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https://www.deutschestextarchiv.de/book/show/andolt_nacht_1910
Bernhard Abeken (GND, Wikipedia, ADB/NDB)
Eine Nacht
1910
131,844
Deutscher Novellenschatz herausgegeben von Paul Heyse. Vierte Serie. Vierter Band. (Der ganzen Reihe zweiundzwanzigster Band.) Erste Auflage München. Druck und Verlag von R. Oldenbourg. 1875 Inhalt. Seite Euere Wege sind nicht meine Wege. Von Hermine Wild 1 Eine Nacht. Von Ernst Andolt 211 Eine Nacht. Von Ernst Andolt (Bernhard Abeken). Westermann's Illustrirte Monatshefte. 1857. Bernhard Abeken wurde am 27. März 1826 in Braunschweig geboren, studirte in den Jahren 1845 — 1819 in Heidelberg, Bonn und Berlin die Rechte, wurde 1850 Auditor, 1856 Advocat in seiner Vaterstadt, gab aber die Advocatur nach einigen Jahren wieder auf, um sich belletristischen und journalistischen Arbeiten zuzuwenden. Im Januar 1874 wurde er als Abgeordneter für den zweiten Wahlkreis des Herzogthums Braunschweig in den Reichstag gewählt, in welchem er sich der national-liberalen Partei anschloß. Die Novelle, die wir hier mittheilen, entstand in Folge einer Preisausschreibung von Seiten der Redaktion der Westermann'schen illustrirten Monatshefte. Sie ist ungekrönt geblieben, vielleicht gerade wegen der Vorzüge, die sie uns der Aufnahme in den Novellenschatz würdig erscheinen ließen: Jener feinen Schlichtheit und Klarheit des Tones, die fast an eine frühere Epoche, an die Stilfarbe Rumohr's und Geistesverwandter erinnert. Hierzu kommt der überaus glücklich durchgeführte bescheidene Humor, der schon in der Fassung der Aufgabe hervortritt. Eine Reihe bedeutsamer Abenteuer aus kriegerisch bewegter Zeit werden von einem Manne des Friedens erzählt, der seine eigene Aengstlichkeit, seinen Mangel an physischem Muth treuherzig eingesteht, und dennoch unseren Antheil zu gewinnen weiß, da er in den entscheidenden Augenblicken das Herz immer auf dem rechten Flecke hat. Auch die Charakteristik der übrigen Personen und die Führung der Handlung zeigen eine so sichere Hand, daß man in dem Pseudonymus „Ernst Andolt“ mit gutem Recht einen gereiften Novellisten vermuthen durfte. Um so überraschender war die Entdeckung, daß die Novelle eine Erstlingsarbeit eines in ganz anderem Berufe thätigen Dilettanten sei, und zwar zugleich die erste und letzte, ein Fall, der gerade im Gebiete der Novelle wohl einzig dastehen möchte. Fünf Jahre später freilich hatte derselbe Autor unter seinem wahren Namen einen Roman „Greifensee“ (Rümpler 1862) erscheinen lassen, der aber zum größten Theil schon aus der Studentenzeit stammte und durch mancherlei lebendige Details nicht für die mangelnde Reife und die zerstreute Gesammtwirkung entschädigen konnte. Die Novelle dagegen wird ihren Platz unter den besten Erzählungen zünftiger Novellisten so ehrenvoll behaupten, wie in der Zeit, die sie schildert, die Freiwilligen in den Reihen des stehenden Heeres. Aber nun zu der Bowle eine Geschichte! Wer erzählt uns eine Geschichte? Ja eine Geschichte, aber eine wahre. Und die zugleich überraschend ist. Und recht schauerlich; o Herr Pastor, Sie sind unser Mann; würzen Sie unsern Punsch mit einer Geschichte aus Ihrem thatenreichen Leben! — Alle Blicke richteten sich auf den Pastor, welcher schmunzelnd umherschaute. Aus meinem thatenreichen Leben? sagte er mitleidig lächelnd. — Wahrhaftig — wenn alle Menschen so thatenreich gelebt hätten, als ich — es sähe recht still und friedlich auf der Welt aus. Nein, meine Lieben! ich bin weder ein Gil-Blas, noch ein Münchhausen; ich bin ein ruheliebender Diener des Herrn, der seit vielen Jahren nicht über die Grenze seiner Pfarre hinausgekommen ist. Wenden Sie sich lieber an den Herrn Major — Beileibe nicht! rief dieser, ich will mich hängen lassen, wenn mein Kriegerleben in dieser friedlichen Zeit nicht eben so unblutig als das seiner Hochehrwürden gewesen! Aber wenn ich nicht irre, so sind Sie, Herr Pastor, in der westphälischen Zeit Mitglied einer geheimen Verbindung gewesen — auch sollen Sie einmal über Hals und Kopf bei nächtlicher Weile wegen Conspirationen nach Cassel transportirt sein; ich weiß nicht, wer mir davon gesagt hat; das können Sie uns ja mit einigen poetischen Ausschmückungen zum Besten geben. In der That, versetzte der Geistliche, ich habe in meiner Jugend etwas der Art erlebt; aber ich zweifle, ob diese mir selbst allerdings höchst interessante Begebenheit geeignet sein möchte — O gewiß! unterbrach man ihn von allen Seiten, erzählen Sie uns die Geschichte Ihrer Conspiration — — das muß herrlich sein — Ich bin zu neugierig, rief Fräulein Antonie, unsern lieben, frommen Pastor als Genossen einer Verschwörung kennen zu lernen. Ich kann Sie mir gar nicht in solcher Rolle denken. Ich war auch der unschuldigste Mensch bei der ganzen Geschichte, versetzte Jener. Indessen, wenn Sie es denn hören wollen, so sei es darum; aber ich bleibe außer Verantwortung, wenn Sie sich dabei langweilen. So hören Sie denn den getreuen Bericht von der merkwürdigsten Nacht meines Lebens. Das Schneegestöber draußen und die nächtliche Stille, welche nur zuweilen ein heulender Windstoß unterbricht, das Alles ist eine vortreffliche Begleitung zu den Scenen, die ich Ihrer Phantasie vorführen werde. Am 12. Februar 1812 Nachmittags stand ich in Halle auf meinem Studirzimmer und packte meinen Koffer. Dies Geschäft war nicht so einfach, als es bei meinen geringen Habseligkeiten zu erwarten stand. Denn wenn ich auch wenig Wäsche und keinen Ueberfluß an sonstigen Kleidungstücken hatte, so besaß ich doch verhältnißmäßig viele, meist in Auctionen und Trödelbuden erstandene Bücher, von denen ich aus Mangel an Raum nur einen Theil mitnehmen konnte. Die Auswahl wurde mir unendlich schwer; wohl sämmtliche Bücher passirten nach und nach den Koffer, ohne daß ich zu einem Endresultat gelangen konnte. Kaum glaubte ich fertig zu sein und die Elite glücklich in den engen Raum ein- geprest zu haben, so fiel mein Blick auf neue, bisher übersehene Concurrenten, welche mir würdiger als manche der verpackten erschienen. Da stritt sich Plato mit Moosheim, Sophokles und Homer mit dem würdigen Klopstock, das Heidenthum mit dem Christenthum, Römer mit Griechen und Franzosen; alle Sprachen und Nationen kämpften um den engen Raum. Da kam zum Glück als Deus ex machina zur Auflösung dieses tragischen Conflicts der Postknecht, um meinen Koffer abzuholen mit der Mahnung: ich möge mich beeilen, die Pferde würden schon angespannt. Nun packt' ich rasch, ohne Wahl, in halber Verzweiflung Alles, was zunächst lag, in diesen literarischen Noahkasten; die profane Hand des Postmercurs half mit verwünschter Dienstfertigkeit, den Proces zu beschleunigen. Klapp! flog der Deckel in das Schloß des Koffers und dieser auf den Schultern des Kerls zum Hause hinaus. Ich prüfte möglichst schnell meine Toilette, stopfte meine Pfeife, revidirte meine Taschen, in deren Lücken ich noch einige Bände klemmte, warf einen letzten wehmüthigen Abschiedsblick in die so langbewohnten, theuren — nun schon halb verödeten Räume und eilte seufzend hinaus. Vor dem Postgebäude fand ich einen von außen nicht sehr einladenden Beiwagen bereits meiner harrend und neben demselben den Professor H., meinen würdigen Lehrer und Gönner, dessen gütiger Empfehlung ich die Hauslehrerstelle verdankte, der ich entgegen fuhr. Ein letzter Händedruck, einige gerührte Dankes- und Abschiedsworte von meiner, einige mehr geflüsterte als gesprochene Warnungen vor freisinnigen Reden, französischen Spionen u. s. w. von seiner Seite, das war Alles, was der Augenblick gestattete; ich stieg — stürzte vielmehr in den Wagen; das Posthorn tönte, und fort rollten wir. Ich will Sie, andächtige Zuhörer, mit den Rührungen verschonen, mit welchen ein armer Candidat auf immer von der Musenstadt scheidet, in bereit Mauern er die freiesten und stolzesten, wenn nicht die schönsten drei, vier Jahre seines Lebens genossen hat. In solchen Augenblicken däucht uns nur die Vergangenheit werth und golden; die Zukunft mit ihren kleinen, bürgerlichen Verhältnissen erscheint uns schal und armselig und drückt bleiern auf die Schwungfedern unsrer Phantasie. Neben mir in dem Postwagen saß ein Herr mit einem blassen Gesichte, welches einen stolzen, abgeschlossenen Ausdruck hatte, schwärzlichem Haar und Schnurrbart, in einem grauen, bis an den Hals zugeknöpften Rock. Ihm gegenüber saß ein junges Mädchen, deren Gesicht ein liebliches Gemisch von Seelenreinheit, Bescheidenheit und Verstand ausdrückte. Sie trug einen Hut von schwarzer Seide und war in einen einfachen braunen Mantel gehüllt. Ein viertes Individuum gab mir seine Anwesenheit in dem Wagen zu erkennen, indem es mich auf die Füße trat, ohne um Entschuldigung zu bitten: dieses unangenehme Vis-à-vis bestand in einem jungen, derbknochigen Gesellen, dessen von langem, schlecht gekämmtem blondem Haar eingeschlossenes Gesicht von Gesundheit strotzte; seine Unterkleider bestanden trotz des kalten Schneewetters aus grauer Leinwand, und er schien so wenig von dem Einfluß der Witterung zu leiden, daß er eine Art Flausrock, welchen er darüber trug, nicht einmal zuzuknöpfen würdigte. Seine Hände waren groß und mäßig rein. Das war meine Reisegesellschaft. Es war vier Uhr, als wir aus dem Thore der Stadt fuhren. Es war das letzte Mal, daß ich die Glocken der Musenstadt hörte. Ich wollte Reflexionen über meine Wagengenossen anstellen und die Frage stillschweigend erwägen, ob überhaupt und worüber etwa eine Unterhaltung ohne Gefährde zu eröffnen sei. — O, Sie waren doch immer Derselbe, unterbrach hier lächelnd, eine ältere Dame den Erzähler; Sie haben stets ein ganzes Compendium von Bedenklichkeiten und Vorsichtsmaßregeln im Kopfe. Wie kann man nur das Leben so systematisch behandeln! Zumal ein Mann des Glaubens, des Gottvertrauens! Spotten Sie nur, versetzte der Pastor, ich bin es längst gewohnt, mit meiner Vorsicht — oder, wie sie Manche nennen möchten, Furchtsamkeit — geneckt zu werden. Aber was kann ich dafür, daß ich weiter sehe, als andere Leute? Denn ohne mich loben zu wollen, sage ich es ganz kühn heraus: meine sogenannte Furchtsamkeit ist keine Schwäche des Herzens, sondern eine Stärke der Phantasie und des Wissens. Der Unwissende sieht keine Gefahr, wo der Wissende sie in hundert Dingen, welche möglicher Weise unter gewissen Einflüssen gefährlich werden können, in denen also irgend ein Unglück so zu sagen embryonisch verborgen liegt, anticipirt. Genug; ich anticipirte — und Niemand kann mir die Berechtigung meiner Besorgnisse abstreiten — in dem neben mir sitzenden Schnurrbart einen französischen Officier, der aus Gott weiß welchen Gründen incognito reisen wollte, vielleicht gerade, um die Stimmung über den bevorstehenden russischen Feldzug zu erforschen. Ich wollte eben in meinen Vermuthungen weitergehen, als mir einfiel, daß ich meine Pfeife, den Hebel meiner geistigen Functionen, noch immer kalt und trocken in den Händen hielt; noch bevor ich die Frage entschieden hatte, ob das Anzünden derselben und der Geruch des Tabaks Niemand im Wagen beleidigen könnte, bemerkte ich zu meinem Schrecken, daß ich mein Feuerzeug in der Eile der Abreise zurückgelassen. Jetzt erst empfand ich das ganze Glück, die ganze Unentbehrlichkeit einer brennenden Pfeife, jetzt ballte ich in der Tasche zornig die Faust gegen mein feindliches Schicksal; jetzt fühlte ich, daß ich alle Rücksichten verachtend dem Kaiser Napoleon selbst ins Gesicht rauchen würde, — wenn ich eben nur ein Feuerzeug hätte. Der mir gegenübersitzende Blondkopf schien meinen Schmerz zu errathen und sagte mit einem überlegenen Lächeln: Ihr bedauert wohl gar, daß Ihr den Dunst Eures Giftkrauts nicht einathmen könnt? — Ich war über die sonderbare Anrede so bestürzt, daß ich anfangs keine Antwort finden konnte. Indeß hoffend, dieser etwas ungewöhnliche Eingang möchte bloß eine ironische Einleitung zu einem freundlichen Feuerangebot sein, sagte ich höflich: Könnten Sie, Verehrter, mir vielleicht aus der Noth helfen? Und wenn ich's auch tausendmal könnte, so thät' ich's doch nicht, versetzte er: ich werde wahrlich nie einem Menschen behülflich sein, sich zu vergiften. Denn, setzte er mit salbungsvollem Tone hinzu, unser Leib soll uns heilig sein. Nach diesen Worten stieß er das Wagenfenster auf, fuhr mit dem Arm hinaus, schaufelte an der äußeren Wand des Wagens eine Handvoll Schnee zusammen und rieb sie sich ins Gesicht. Mich fröstelte bei dem Anblick. Ich blickte unwillkürlich die übrige Gesellschaft an; der Herr neben mir verzog keine Miene, die junge Dame lächelte, und erröthete, als ich es bemerkte. Ich hätte sie gern angeredet; aber bei dem bloßen Gedanken daran wurde ich so verlegen, daß ich nahe daran war, auch zu erröthen. Inzwischen verhüllte die rasch zunehmende Abenddämmerung die Gestalten in dem Wagen mehr und mehr. Ich versank in Betrachtungen über meine Zukunft, aus denen mich nur zuweilen die unruhigen Bewegungen des mir gegenübersitzenden jungen Bramarbas erweckten, welcher wiederholt seinen Kopf aus dem Wagenfenster ins Schneegestöber hinaussteckte. Ein herrliches Wetter! rief er begeistert; wie wohl thut einer deutschen Brust dieser sausende Nordwind! Sagt an, Freund, vermißt Ihr bei diesem reinen Hauch noch Euren Tabaksdunst? — Ich sehe wohl, erwiderte ich halb verdrießlich, halb lächelnd, Sie sind ein abgesagter Feind des Rauchens; aber Sie werden mir wenigstens zugeben, daß es, wenn es auch gerade kein sehr gesundes, doch ein halb geistiges, ein so zu sagen philosophisches Vergnügen ist. Philosophisches Vergnügen? versetzte er höhnisch; was Philosophie! ich halte nichts davon. Das Wort klingt nicht deutsch, und die Sache ist auch nicht deutsch. Das ist so ein welscher Tand, den die fränkischen Gottesläugner bei uns eingeschwärzt haben, der Voltaire und Rousseau, und wie sie alle heißen. Nein, Landsmann! traut nimmer auf den philosophischen Quark. Frommer Glaubensmuth und keusche Kraft allein können uns retten. Frisch, frei, fröhlich, fromm — das muß jetzt die Lösung sein. Diese Rede erfüllte mich mit heftigem Schrecken. Ich merkte wohl, daß ich einen jener wunderlichen Ordensbrüder vor mir hatte, welche in der Hasenhaide bei Berlin am „Reck“ und „Schwingel“ für die Rettung Deutschlands arbeiteten. Ich erkannte zugleich, welch einen guten Kern die ungeschlachte Außenseite dieses Jünglings barg, und hätte ihm gern versichert, daß ich trotz meiner Tabakspfeife seine vaterländische Gesinnung theilte. Aber der Gedanke an meinen unheimlichen Nachbar, der jetzt vielleicht schon im Stillen aus jener Rede eine Denunciation formulirte, schnürte mir die Kehle zusammen, und ich erwiderte kein Wort. Zu meinem Entsetzen aber fuhr der junge Mensch fort, sich in seinen Lieblingsbetrachtungen zu ergehen. Ja, ja, sagte er, wir haben uns Alle schwer versündigt, und dafür müssen wir jetzt büsen. Die Franken haben es herrlich verstanden uns zu verderben. Erst schickten sie uns ihre philosophischen Giftpulver aus der Voltaire'schen Apotheke und die schmutzigen Romänchen aus Crebillon's Küche über den Rhein; und ach! wie schnalzten wir danach mit dem Zünglein! wie mundete unsern Großen und Schöngeistern die neue Kost! wie gierig verschlangen wir das Gift, das uns ausmergelte und siech machte an Sinn und Sitten. Aber danach kam das Gericht; danach kamen die gallischen Räuberschaaren mit Mann und Roß; und es half uns nichts, daß wir ihre Büchlein so fleißig studirt und ihre Sprache so manierlich parlirten. Sie schlugen uns mit der eisernen Zuchtruthe, machten die Pfalzen unserer Fürsten zu Casernen und unsere Gotteshäuser zu Pferdeställen. Ha! wenn ich denke — — Um Gotteswillen, junger Mann, unterbrach ich ihn mit flehender Stimme, mäßigen Sie Ihre Hitze! Er sah mich verächtlich an: Mäßige sich, wer da mag; ich kann nicht schweigen, wo die Steine schreien möchten. Ja, Mäßigung! das ist immer die Lösung der Philister in Zeiten der Schmach! — Verbindet euch das Maul, daß ihm keine Klage entschlüpfe, kein Stoßgebet für das entweihte Vaterland! — Macht euren Henkern ein freundliches Gesicht, küßt ihnen die Hände, mit denen sie euch geißeln! — Baut ihrem Oberhaupt Ehrensäulen und macht Hymnen auf eure Niederlagen! Glaubt mir, Freund, wenn Alle so dächten und redeten, wie diese klugen Leute, so käme nie ein Tag der Erlösung. Ich war in der peinlichsten Verlegenheit; ich hätte den kühnen Sprecher umarmen mögen; ich fühlte mich beschämt über die Meinung, welche ich bei ihm erweckt hatte; mehr als einmal öffnete ich den Mund, um ihn vom Gegentheil zu überzeugen. Aber nein! die Ueberlegung siegte. Lieber eine Weile verkannt werden, dacht' ich, als zwei Menschenleben für nichts und wieder nichts gefährden! Ich durfte ihn nicht noch tiefer in so gefährliche Reden verstricken. Ich warf mich daher, ohne zu antworten, in meine Wagenecke zurück und machte Miene, zu schlafen. Er schwieg nun ebenfalls, und ich athmete freier. Inzwischen hielt unsere Kutsche; wir waren bei der ersten Station angelangt. Ein mit der Laterne vorleuchtender Hausknecht führte uns in ein Wirthszimmer, in welchem eine behagliche Wärme meine fröstelnden Glieder erquickte. Die Dame ließ sich Kaffee, der Mann mit dem Schnurrbart ein Glas Grog geben, ich folgte seinem Beispiel und steckte mit großem Behagen nun endlich meine geliebte Pfeife an. Der Turner hatte ein Glas Wasser hinuntergestürzt und war in den Hof gegangen, wo er, wie ich durchs Fenster bemerkte, im Schnee mit großer Gewandtheit einige Verrenkungen und Purzelbäume ausführte. Ich blickte zerstreut in ein auf dem Tische liegendes Zeitungsblatt; militärische Beförderungen, Truppenmärsche, Hinrichtungen in Spanien, entdeckte Conspirationen und ähnliche Angelegenheiten — trübe Bilder einer eisernen Zeit — bildeten den Inhalt derselben. Unmuthig sah ich auf, und meine Blicke fielen auf die junge Dame, welche mir in einiger Entfernung gegenüber saß und in schmerzliche Betrachtungen versunken schien. Ach, wie verklärte der geheime Gram und die in ihrem Auge glänzende Thräne ihre Züge! — Ja, sie war schön; in diesem Antlitz malte sich, was wir so oft vergebens suchen — eine Seele. — Ich stand auf und wollte ihr näher treten, als plötzlich die Thür heftig aufgerissen wurde und ein Mann in der Uniform eines Polizeibeamten eintrat und uns mit schnarrender Stimme zurief: Ihre Pässe, meine Herren! Die ganze Erscheinung dieses Mannes hatte für mich etwas Imposantes; die eisige Ruhe seiner blaßgelben Physiognomie, der stechende Blick, womit er uns durch und durch zu blicken schien, verriethen eine sichere Allwissenheit und schienen, in Worte übersetzt, uns zu sagen: Gebt euch keine Mühe, arme Schächer, mich zu täuschen. Ich kenne euch längst. Mit dieser Miene prüfte er unsere Pässe. Wie erleichtert fühlte ich mich, als er mir den meinigen ohne Bemerkung zurückgab. Auch der Paß des inzwischen wieder eingetretenen Turners schien ihn zu befriedigen, obgleich er die Figur desselben mit einem mißtrauischen Blick maß, der jedoch allmählich in ein feines Hohnlächel n überging. Jetzt kam der schweigsame Mann an die Reihe. Der Polizeibeamte betrachtete abwechselnd ihn und seinen Paß aufmerksam, legte dann den letzteren ruhig zusammen und sagte eben so ruhig: Herr Hauptmann, folgen Sie mir aufs Bureau; Sie können nicht weiter reisen. — Was haben Sie gegen meine Legitimation zu erinnern? fragte der Officier scharf; ist sie etwa nicht in Ordnung? — Sie folgen mir aufs Bureau, wiederholte Jener kalt, den Paß in die Brusttasche steckend. — Was soll das? rief der Hauptmann heftig; ich stehe im Dienste eines mit Ihrem Souverän verbündeten Monarchen, und ich erwarte, daß man mich in dieser Eigenschaft behandle. Mein König wird Genugthuung fordern, wenn — Er fordere sie! Das ist die Sache meiner Vorgesetzten; ich handle auf höheren Befehl. Wache! — Zwei Gendarmen traten ein. Führt den Herrn nach dem Bureau, sagte der Beamte, auf den Hauptmann deutend, er ist Arrestant. Habt ihr den Wagen durchsucht? — Zu Befehl, Herr Commissär, versetzte einer der Gendarmen; wir haben nichts, als diesen Tabaksbeutel gefunden. — Es ist der meinige, rief ich unwillkürlich, als ich das mir so werthe Kleinod erkannte. Der Polizeimann gab ihn mir zurück und sagte herablassend zu uns: Sie können abreisen! Ziemlich aufgeregt über die erlebte Scene stiegen wir wieder in den dunklen Postwagen, mit Ausnahme des Hauptmanns, welcher von den Gendarmen bewacht zurückblieb. Das Posthorn tönte, und fort rollte der Wagen in die beschneite Landschaft hinaus. In welcher Schreckenszeit leben wir! seufzte die junge Dame kaum hörbar. Ja wohl eine Zeit des Schreckens! erwiderte ich, erfreut, eine Gelegenheit zu meiner Rechtfertigung zu finden; eine Zeit, in der man mit Götz von Berlichingen sagen mag: „Schließt eure Herzen sorgfältiger als eure Thore.“ Das ist eben das Unglück, versetzte der Schüler Jahn's; wenn Alle offen sprächen und aus ihren Gesinnungen kein Hehl machten, würden bald die Gefängnisse der Feinde zu eng werden, und Tausende würden sich erheben wie ein Mann. Aber so ballt Jeder die Faust in der Tasche, und Keiner traut dem Anderen. Ich betheuerte ihm meine patriotischen Gefühle, machte aber bescheidene Einwände gegen die Zumuthung, mich vor der Zeit muthwillig zu exponiren. Nachdem er diese meine Bedenken weitläufig bekämpft und, da ich verstummte, widerlegt zu haben glaubte, auch einige düstere Winke über die nahe bevorstehende blutige Erhebung hingeworfen hatte, lehnte er sich zurück und entschlief sanft, wahrscheinlich in Folge der starken Körperübungen, zu welchen er den Hof des Wirthshauses benutzt hatte. Ich bemerkte dies mit Vergnügen und wollte nun nicht länger meinem wachsenden Interesse für die anmuthige Reisegefährtin Zwang anthun; nach einiger Ueberlegung fragte ich sie höflich über den Zweck ihrer Reise. Ich reise nach Helmstädt, antwortete sie, und von da weiter nach einem in der Nähe liegenden Gute. Ich fühlte mich freudig überrascht: sie nannte meine Vaterstadt. Und Sie wollen dort vermuthlich längere Zeit verweilen? fragte ich schüchtern. Ich fürchte es. Das fürchten Sie? Haben Sie eine so schlechte Meinung von den dortigen Menschen? Das nicht; aber die Ursache meiner Reise ist so traurig, daß ich, Hier schienen Thränen ihre Stimme zu ersticken. Ach! wie fühlte ich mein Herz von ihrem mir unbekannten Leid zusammengeschnürt; wie kämpfte meine Theilnahme mit der Besorgniß, zudringlich zu erscheinen, wenn ich weiter fragte! Jedoch die Sympathie, oder wie Sie es vielleicht lieber nennen möchten, die Neugier hätte jedenfalls über die Schüchternheit gesiegt, wenn nicht — — aber so geht es immer im Leben: im Augenblick der interessantesten Entwickelungen, der wichtigsten Aufklärungen plumpt irgend ein dummer Zufall dazwischen und bringt Alles in Confusion. Hier manifestirte sich das Schicksal in der Gestalt des Postillons, welcher plötzlich, nachdem er schon durch wildes Antreiben der Pferde, sonderbare Schwenkungen des Wagens und unarticulirte Ausrufe Symptome einer bedenklichen Aufregung an den Tag gelegt hatte, von dem Pferde, auf welchem er ritt, hinunterfiel, in Folge dessen die schon unruhig gewordenen Thiere sich in Carriere setzten und ohne Zügel fortgallopirten, noch mehr angetrieben durch das Fluchen des eine Weile hinter dem Wagen hertaumelnden Postillons, welcher sich rasch und unbeschädigt von seinem Falle erhoben hatte. Das Gefühl der Gefahr verbannte sofort bei der Gesellschaft im Wagen alle anderen Empfindungen. Der Turner war erwacht, riß die Wagenthüre auf und lud unsere Reisegefährtin ein, sich seinem nervigen Arm anzuvertrauen; er wolle mit ihr aus dem Wagen springen, sie habe nicht das Mindeste dabei zu besorgen, da er alle Arten von Sprüngen und Kraftstücken mit der größten Sicherheit ausführe. Ich protestirte, und wir geriethen in einen heftigen Wortwechsel, den die Dame dadurch beendigte, daß sie erklärte, sich ruhig dem Schicksal unsers Fuhrwerks überlassen zu wollen. Der Turner beschloß jetzt, durch das Fenster das Dach der Kutsche zu ersteigen und von dort aus in den Sattel des Reitpferdes zu springen, um so die Leitung der Pferde zu übernehmen. Trotz meiner Gegenvorstellungen führte er den ersten Theil dieses Kriegsplanes mit lobenswerther Gewandtheit aus: er gelangte glücklich auf das Dach; aber nicht weiter; mochte ihm von seinem erhöhten Standpunkt aus betrachtet der Rittersprung gefährlicher als zuvor erscheinen, mochte die kalte Abendluft beruhigend auf seine turnerischen Wallungen wirken: er blieb auf seinem Gipfel zwischen Koffern und Kasten sitzen und rief uns die beruhigende Nachricht herunter, daß weitere Maßregeln nicht nöthig seien, da die Pferde auf der Landstraße blieben und er schon von fern den Stationsort zu erblicken glaube. Trotz dieser Versicherung war ich nicht ruhig, sondern ergriff alle mir einfallenden Vorsichtsmaßregeln, um für den Umsturz des Wagens die schöne Gefangene desselben möglichst sicher zu stellen. Ich häufte ungeachtet ihrer heroischen Gegenvorstellungen alle im Wagen befindlichen Kissen gleichsam als ein weiches Gehäuse um und auf sie. Ich weiß nicht, was ich in meiner Herzensangst, die in der Sorge für das schwächere Geschlecht einen Beschönigungsgrund fand, Alles versucht und gethan habe. Das Ende war, daß wir glücklich das nächste Dorf erreichten, vor dessen Postgebäude die ermüdeten Pferde mechanisch Halt machten. Obgleich ich mit einem dankbaren Blick gen Himmel dem dunklen Gefängniß entstieg und mit unbeschreiblichen Gefühlen den kurzen elastischen Druck der beim Herabgleiten auf meinen Arm sich stützenden Schicksalsgefährtin empfand — während der Turner mit einem gewaltigen Satze über uns weg dem aus dem Hause kommenden Postmeister in die Arme sprang — so durchfuhr mich doch in demselben Augenblick der schmerzliche Gedanke, daß ein tyrannisches Geschick zwei vielleicht ganz für einander geschaffene Menschenseelen, welche es unter beängstigenden Umständen zusammengeführt hatte, schon jetzt durch seinen gebieterischen Spruch — vielleicht auf ewig — wieder trennen mußte. Ach! jeder verlassene Mensch, welcher vergebens nach einer ihm harmonischen, von der Natur gerade für ihn gestimmten und bestimmten Person seufzt, ist dieser wohl schon auf den flüchtigen Pfaden des Lebens begegnet, ohne sein Glück geahnt zu haben, oder doch wieder an den Kreuzwegen des Schicksals von ihr getrennt worden, ehe die Ahnung zum Bewußtsein werden konnte. Um es kurz zu sagen, ich war am Ziel meiner Postreise; ein Wagen meines künftigen Brodherrn sollte mich an der Station erwarten und nach dem benachbarten Landsitze desselben entführen. Ein im Hofe haltendes bespanntes Cabriolet blickte mich finster an. Sie lächeln, wie ich sehe, über eine so schnell entstandene, so wenig durch die Dauer des Zusammenseins motivirte Zuneigung. Aber fordern Sie für Alles Motive — nur nicht für derartige Gefühle. Inzwischen fluchte der Posthalter entsetzlich; er hatte Gründe genug zum Zorn: der fehlende Postillon — die schweißtriefenden, schnaubenden Pferde, seine bei dem Sprunge des Turners zerbrochene Brille — Alles kam zusammen, diesen Ehrenmann zu erbittern. Ich führte die Dame in das von einem Talglichte matt erhellte Wirthszimmer und fragte, als sie sich in einem alterthümlichen Sessel niedergelassen, wie sie sich nach dem Schreck befinde? — Ich glaube, sagte sie lächelnd, die Sache hat mir von Allen am wenigsten Schreck gemacht; was hilft auch das Fürchten? Gefahr ist überall; und schon häufig hab' ich bemerkt, daß uns die Uebel, welche uns am meisten Sorge machen, am wenigsten treffen, dagegen andere, an die wir gar nicht gedacht haben. — Die Hauptsache ist, daß man sich auf seine Glieder verlassen kann, sagte der während der letzten Worte eingetretene Turner. — Das nützt verdammt wenig, rief der ihm folgende Postmeister, wenn man sich nicht auf seinen Verstand verlassen kann; und es zeigt verdammt wenig Verstand, bei drei Grad Kälte auf dem Kutschendache zu fahren und den Leuten ins Gesicht zu springen. Der Turner suchte ihn zu begütigen; der Postmeister sagte: Nun, die Sache ist abgemacht. Wer von den Herrschaften reis't weiter? Ich erwarte hier, sagte ich vortretend, ein Fuhrwerk des Freiherrn von — Ah! das sind Sie! sagte er; der Wagen hält hier schon seit einer Stunde. Johann! rief er einem eintretenden Livreebedienten zu, hier ist der Herr endlich, den Ihr fahren sollt. Der gnädige Herr erwartet Sie, sagte der Bediente sich verbeugend; belieben Sie einzusteigen. Sogleich, sagte ich seufzend und näherte mich traurig der jungen Dame, um ihr Lebewohl zu sagen. Ach! warum war auch der rothnasige Postmeister, der Turner und der Bediente im Zimmer! Was für ein Abschied! — Was ich dem Fräulein gesagt, was sie darauf geantwortet, wie wir Beide dabei ausgesehen haben — das hab' ich nie erfahren. Ich habe eine dunkle Erinnerung, daß ich hinaus ging, daß ich in einen weichgepolsterten Wagen zu sitzen kam, und daß dieser Wagen auf einem sehr holperigen Weg mit mir davonfuhr. Der Weg führte allmählich aus dem offenen Felde m einen Eichenwald. Die riesigen Stämme mit ihren weitausstrebenden entlaubten Aesten hoben sich majestätisch aus dem glänzenden Schnee empor. Darüber flimmerten die Myriaden Sterne auf ihrem schwarzen Schattengrunde. Es legte sich weich und still um mein Herz; die schweigende Majestät der Natur gab mir eine tiefe, göttliche Ruhe. Ja, redete ich innerlich, ich will euch fest ansehen, ihr knorrigen Eichen, und euch, ihr blitzende Sterne hoch oben, als sähe ich euch zum letzten Mal. Und wenn auch der frevelhafte Wahnsinn der Menschen rings umher so manches Glück zertrümmert, wenn auch die idealen Hoffnungen der Jugend immer mehr verdorren in dem winterlichen Sturm dieser Zeit, wenn auch alle anderen Freuden versiegen: du bleibst dir gleich und uns allgegenwärtig, ewige Natur, ein unerschöpflicher Dorn von Wonne jedem Gemüth, das zu geniesen weiß. Deine Reize kann uns keine Tyrannei verkümmern; kein Despotenarm reicht so weit, um die leuchtenden Wahrzeichen dort oben auszulöschen! O gütiger Gott, wenn auch mein Herz einst kälter schlagen und für Vieles absterben wird, erhalte mir wenigstens bis zum letzten Athemzuge diese reine, erfrischende Freude an Deinen Werken! Der Wald lichtete sich; wir fuhren durch ein Thor, dann durch eine Allee, an deren Ende sich einige erleuchtete Fenster zeigten. In einigen Secunden hielt der Wagen vor einem weiten, schloßartigen Gebäude. Eine Hünengestalt von Diener öffnete den Schlag. Ich ordnete so gut als möglich im Dunklen meine Toilette und stieg aus. Ich betrat eine weite mit Hirschköpfen und anderen Jagdemblemen geschmückte Hausflur; der Hüne ergriff einen schweren messingenen Armleuchter und schritt mir schweigend voraus eine breite Treppe hinauf, dann durch einen Corridor, an dessen Ende sich eine Thür öffnete, aus der mir ein Mann entgegentrat. Es war eben ein Mann: sein Gesicht, seine Gestalt, Alles an ihm sprach Kraft und Entschiedenheit aus; er trug einen kurzen grünen Sammetrock und schwarze Unterkleider. Seien Sie mir willkommen! sagte er mit ernster Herzlichkeit, indem er mich durch eine Bewegung einlud, in das Cabinet zu treten, während der Diener sich entfernte. In dem kleinen Zimmer, dessen einziges hohes Fenster mit schweren blausammtnen Gardinen verhangen war, verbreitete eine in einem großen Kamin lodernde Flamme behagliche Wärme. Ein in der Ecke befindlicher Schreibtisch war mit Briefen und Papierstößen bedeckt; einige Reihen Bücher ragten darüber empor und über diesen auf einer Console die broncene Büste Friedrich's des Großen. Ueber dem Kamin hing ein altes Gemälde, das Brustbild eines Ritters darstellend. Eine halb geöffnete Seitenthür führte in ein anderes Zimmer. Glückliche Reise gehabt? Ich danke Ihnen — ja, Herr Baron. Nirgends angehalten? Nein! die einzige kleine Gefahr, die ich auf der kurzen Tour zu bestehen hatte, war, daß auf der letzten Station die Pferde durchgingen. Aber Alles gut abgelaufen? Mit Gottes Hülfe — ja. Freut mich. Jetzt zur Sache! Niemand kann uns hier hören; was bringen Sie mir? Freilich nur mich selbst und die ergebensten Grüße von dem edlen Professor H., dem ich das Glück verdanke — Professor H.? Hat man ihn eingeweiht? Seit wann? Mir neu. Soll allerdings ein guter Patriot sein. O gewiß, Herr Baron, und ein herrlicher Exeget, und wenn er wollte, könnte er unser größter Kirchenhistoriker sein. Nun, davon wissen wir nichts; Sie scheinen sich sehr für Wissenschaft zu interessiren, mehr als Officiere sonst pflegen — aber zur Sache: Hat Ihnen Graf Chasot Briefe mitgegeben? Graf — Chasot? — Man denke sich mein Erstaunen, als ich in so naher Verbindung mit meiner geringen Person den Flügeladjutanten des preußischen Königs nennen hörte. Der Baron runzelte die Stirn. Was sollen diese Possen? rief er ärgerlich; zweifeln Sie, daß ich der bin, an den Sie adressirt sind — oder hat vielleicht das Berliner Comité neue Vorsichtsmaßregeln und Erkennungsceremonien vorgeschrieben? Doch plötzlich, als wenn ihm ein Licht aufginge, sah er mich halb erschrocken, halb drohend an und sagte heftig: Herr, wer sind Sie? Wie kommen Sie hierher? Ich nannte meinen Namen und erzählte die Veranlassung meiner Reise — freilich verlegen genug; denn ich sah ein, daß hier ein Mißverständniß obwalten mußte. Der Freiherr wurde während meiner Rede leichenblaß. Für wen halten Sie mich denn aber, rief er, für wen? Für den hochverehrlichen Freiherrn von Stawitz, der mir auf Empfehlung meines Gönners, des Professors H., die Erziehung seiner Kinder anzuvertrauen die Gewogenheit hatte. Der Teufel hole den Baron von Stawitz und Ihren Profesfor H. dazu! Aber die Sache ist nicht Ihre Schuld, sehe ich wohl. Ein unglückseliges Zusammentreffen! — Ich errathe jetzt die ganze Geschichte. Herr von Stawitz ist mein Gutsnachbar — sein Wagen wird sich verspätet haben — aber der Hauptmann mußte doch auch — — Was ist denn aus dem geworden? — — Vielleicht meinen Sie, Herr Baron, einen preußischen Officier, welcher mit derselben Post reis'te, und welchen Sie in meiner Person zu empfangen glaubten? O, also das Ganze ist nur ein Scherz, rief der Baron mit verkärtem Gesichte; Sie sind der Hauptmann und haben sich in dies alberne Kostüm gesteckt, um keinen Verdacht zu erwecken, und benutzten es nun, um mir einen Schreck zu bereiten! Nun, das ist Ihnen fast gelungen. Nein, Herr Baron, sagte ich ruhig und fest, ich bedaure, Ihnen diese angenehme Täuschung verderben zu müssen. Der von mir erwähnte Officier ist auf der ersten Station hinter Halle von einem westphälischen Polizeibeamten verhaftet worden, und ich bin der, für den ich mich von Anfang an ausgegeben habe, Candidat Friedmann; und um jeden Verdacht gegen meine Person zu entfernen, sehen Sie hier den Brief des Herrn von Stawitz, in welchem er mich — Schon gut! rief der Baron, das dargereichte Schreiben heftig ergreifend, um es flüchtig zu durchlaufen und auf den Tisch zu werfen. Dann ging er ein paar Mal schweigend auf und ab, trat plötzlich vor mich hin und sagte feierlich: Glauben Sie an die Heiligkeit des Eides? Wie können Sie daran zweifeln! erwiederte ich, die Hand aufs Herz legend. Wohlan, mein Herr! Sie sind durch eine sonderbare Verkettung von Umständen — ich will annehmen, ohne jede Schuld von Ihrer Seite — in Geheimnisse eingeweiht, welche meinen Kopf und vielleicht werthvollere Köpfe Ihrer Discretion anheim geben. Der von mir genannte Name des Grafen Chasot genügt, Ihnen unzweifelhaft zu machen, welcher Natur jene Geheimnisse sind. Durch den Frieden von Tilsit bin ich westphälischer Unterthan geworden, meine Güter liegen auf westphälischem Boden — ich bin in der Gewalt der westphälischen Behörden. Mein Herz ist preußisch geblieben und wird stets nur für meinen wahren König — nie für den Usurpator schlagen. Sie können mich verrathen, Sie können mich unglücklich machen. Ich verlange daher einen Eid von Ihnen, daß Sie nichts, auch gegen Ihren intimsten Freund kein Wort jemals von dem aussprechen werden, was Sie innerhalb dieser Wände gehört, erfahren, oder auch nur errathen haben! Ich kann nicht in Ihr Herz sehen, ich verlange Ihren Eid. Den werden Sie nie bekommen, sagte ich nach einer Pause der Ueberlegung. Er trat zur Seite, berührte eine Stelle der Wand; eine Tapetenthür sprang aus und ließ eine Nische sehen, in der eine Cavallerie-Uniform und verschiedene Waffen aufgehängt waren. Er ergriff zwei schön gearbeitete Pistolen, reichte sie mir und sagte mit eisiger Entschlossenheit: Wählen Sie! Sie haben mich, meine Zuhörer, in den früheren Scenen dieser Erzählung ohne Zweifel als einen sehr schüchternen, wohl gar furchtsamen Mann kennen gelernt. Ich leugne nicht, daß mir oft im Leben bei unbedeutenden Gefahren jene physische Festigkeit fehlte, welche den Herzschlag ruhig, den Kopf kalt erhält, jene Geistesgegenwart, welche sogleich das rechte Mittel und den raschen Entschluß giebt. Aber ein Muth hat mir nie gefehlt: der moralische. Wo es sich um sittliche Güter, um meine Menschenwürde handelte, habe ich nie Furcht gekannt. Ich gehöre zu den Menschen, welche ein bissiger Hund mehr erschreckt, als ein wüthender Mensch. Ich nahm schweigend eine der dargereichten Pistolen, feuerte sie in das Kamin ab und sagte: Ich erlaube Ihnen, mich zu erschießen; aber Sie werden mich nie zwingen, etwas wider meine Ehre zu thun. Der Eid, welchen Sie von mir fordern, verträgt sich nicht damit; denn was bedeutet Ihre Zumuthung anders, als daß Sie mich durch eine moralische Handschelle, durch ein religiöses Zwangsmittel verhindern wollen, einen Schurkenstreich zu begehen, den jeder Ehrenmann von selbst nicht begeht, bei dessen bloßer Erwähnung mein ganzes Inneres von Unwillen zittert. Halten Sie mich für fähig, die Köpfe meiner Landsleute der fränkischen Polizei zu verrathen, so thun Sie, was Sie vor Ihrem Gewissen verantworten zu können glauben. Aber nichts soll mich bewegen, einen Eid zu schwören, über den ich erröthen müßte. Der Baron warf die Pistole auf den Tisch und ging finster auf und ab. Ich setzte mich in einen dastehenden Sessel und stellte Betrachtungen über den Tod und die Unsterblichkeitslehre an; ich dachte an meine arme, verwittwete Mutter daheim, die auf mich, ihren einzigen Sohn, ihre lebensherbstlichen Hoffnungen gesetzt hatte; mein Herz wurde weich und wehmüthig, aber mein Entschluß blieb fest; ich besann mich zur Stärkung auf die erhabensten Stellen aus Seneca und Plato und war eben im Begriff, eine der schönsten Sentenzen aus der Apologie des Sokrates zusammenzubringen, als sich in dem Gange schwere Tritte hören ließen und alsbald der reckenhafte Bediente eintrat mit der lakonischen Meldung: Der Herr Referendarius sind da. Der Baron besann sich eine Weile und sagte dann: Er kann hereinkommen. Mir wurde leichter ums Herz; ein Jurist, ein Diener der Themis — gab es einen stärkern Schutz gegen die mörderischen Gelüste meines Wirthes? Der Referendarius — außer Dienst, wie ich nachher erfuhr, indem er nach dem Frieden von Tilsit wegen Mangel an Beschäftigung entlassen und zu stolz war, in westphälische Dienste zu treten, — erschien in der Gestalt eines langen, blassen, schwarzgekleideten Mannes mit hohen Vatermördern und einer hörnernen Brille. Er begrüßte uns schweigend. Bruder! sagte der Freiherr, ihm die Hand drückend, hier ist ein kritischer Fall. Der Erwartete ist nicht gekommen, statt dessen dieser Herr. Dabei stellte er mich dem Referendarius vor, welcher mir eine steife Verbeugung machte, erzählte ihm die ganze Sachlage, sogar seinen verzweifelten Entschluß in Betreff meiner und forderte seinen Rath. Das ist ja die einfachste Sache von der Welt, sagte Jener, und da hättest du beinahe ein homicidium begangen ; welche Uebereilung! Wir werden sogleich wissen, wie wir daran sind. Eventuell können wir ja den Herrn Candidaten durch mildere Maßregeln unschädlich machen. Aber ich hoffe, er ist ein Mann von Ehre und Vaterlandsliebe, was ich gleich ermitteln werde. Damit ging er feierlich auf mich zu, legte seine Hände auf mein Haupt und befühlte es von allen Seiten. Seine Miene wurde bei dieser komischen Untersuchung immer freundlicher, und er erklärte am Ende derselben: Wir können ganz ruhig sein. Ich garantire für ihn. Der Teufel hole deinen phrenologischen Unsinn! versetzte der Baron halb zornig, halb lachend. Doch die Sache ist abgemacht; mein Herr, ich vertraue Ihrer Ehre. Hier ist meine Hand. Mit Heroismus bestand ich seinen herkulischen Händedruck und erklärte dann: nunmehr, da er seine Drohungen zuruckgenommen, wolle ich ihm offen erklären, daß ich in jeder Hinsicht mit seinen patriotischen Gesinnungen sympathisirte, daß ich zwar weder dem Tugendbunde, noch sonstigen geheimen Verbindungen angehörte, aber ein durch und durch deutsches Herz hätte und das an diesem Abend Erlebte so lange darin versiegelt halten würde, bis Deutschland von dem fremden Joche befreit sein werde. Nach dieser mit überfließender Beredtsamkeit gegebenen Erklärung wollte ich mich empfehlen mit der Bitte, mir einen Boten nach dem Gute des Herrn von Stawitz mitzugeben. Aber mein Schicksal hatte es anders beschlossen. Der Baron erklärte, ich müsse für die Nacht sein Gast bleiben und einige Flaschen Wein mit ihm leeren. Mit diesen Worten, keinen Widerspruch gestattend, führte er mich und den Referendar in das Nebenzimmer, wo eine Tafel für drei Personen gedeckt stand. Als wir uns zu Tisch sitzen, schlug eine ehrwürdige Wanduhr, welche in Gestalt einer Capelle auf dem Spiegeltisch stand, in krächzenden Schlägen eins Uhr. Der Bediente servirte einen stattlichen Wildbraten; einige Flaschen erlesenen Rheinweins wurden entkorkt und ergossen ihren duftigen Lebensbalsam in drei hohe grüne Gläser mit vergoldeten Rändern. Das Convivium war anfangs schweigsam wie ein Leichenschmaus: Jeder hatte viel zu denken. Der arme Hauptmann! sagte endlich der Baron, wenn er nur keine gar zu compromittirenden Papiere bei sich trägt! Und wenn die Briefe, welche er dir bringt, nur nicht an dich adressirt sind! fügte der Referendar hinzu. Wahrhaftig, sagte Jener, ich muß mich reisefertig halten; ich werde Alles zur Flucht nach Oesterreich oder Rußland in Stand setzen, — sonst könnte ich leicht das Schicksal Krosigk's haben und eines schönen Morgens aufgehoben werden! Besser bewahrt, als beklagt; indeß müssen wir so lange als möglich hier aushalten; denn hier können wir der guten Sache am meisten nützen. Ich hoffe noch immer auf eine Berliner Kriegserklärung, und dann muß sich die ganze Gegend wie Ein Mann erheben. Der Geist unsrer Bauern ist vortrefflich. Aber Sie trinken nicht, Herr Candidat! Meine Freunde, fuhr er fort, das Glas erhebend, es lebe unser König Friedrich Wilhelm. Wir standen auf und stießen an. Der Wein verbannte schnell die Sorgen; die Unterhaltung nahm eine heitere Wendung; der Referendar erzählte seine Jenenser Studienjahre und sprach mit Begeisterung von den Vorlesungen Fichte's. Der Baron protestirte dagegen und erklärte, nie ein so langweiliges, abgeschmacktes und verderbliches Buch gelesen zu haben, als Fichte's Moral. Ein so hölzernes Klapperwerk von moralischen Sätzen, sagte er, ein so lebloser, schwerfälliger Mechanismus ist mir nie vorgekommen; dieser Fichte will uns für unser Gefühl von Recht und Unrecht, für den warmen Herzschlag unsers Gewissens eine Art moralisches Exercierreglement in die Brust setzen, welches uns jederzeit anzeigen soll, was wir zu thun oder zu lassen haben. Das bloße Gefühl leitet uns oft irre, versetzte der Referendar; man muß nicht nach Gefühlen, sondern nach Grundsätzen handeln. Die Grundsätze müssen aber auf philosophischer Grundlage basirt sein, diese wiederum — und so hielt er uns eine lange Vorlesung mit einer so ernsten, pedantischen Miene, mit so vielen an den Fingern abgezählten Divisionen und Subdivisionen, daß wir Anderen zuletzt in ein unwiderstehliches Lachen ausbrachen. Der Referendar stutzte, sah uns eine Weile starr an, stand auf und ging schweigend hinaus. O halten wir ihn zurück! rief ich aufspringend, er wird unser Gelächter übelgenommen haben. Glauben Sie das nicht! sagte der Baron, im Gegentheil! der Mann schließt aus unserm Lachen nur, daß er sich in den Schlingen seines Systems verwirrt und Unsinn gesprochen hat. Er ist bei dem bravsten Charakter ein unklarer Kopf und hat bei seiner Naturen oft eigenthümlichen, Leidenschaft für Philosophie auf der Universität viel und gern disputirt, dabei aber immer das Unglück gehabt, sich in seinen künstlichen Sätzen zu verwirren und häufig gerade das Gegentheil von dem zu sagen, was er beweisen wollte. Dann fingen seine Opponenten an zu lachen. Er ist ein leidenschaftlicher Fichtianer und hat diesem System sein eignes Denken eben so sclavisch untergeordnet, wie es die Kirche von dem Christen der Bibel gegenüber verlangt. Daneben hat er Gall während seines Aufenthaltes in Halle gehört und läßt sich darauf todtschlagen, daß man jedem Menschen am Schädel anfühlen kann, ob er ein Genie, oder ein Dummkopf, ein braver Kerl oder ein Hundskerl sei. In diesem Augenblick kam der Referendar schon zurück, ein Buch in der Hand haltend, setzte sich, ohne uns zu beachten, auf seinen Platz und blätterte eifrig in dem Buche, indem er dabei dann und wann vor sich hinmurmelte: Ach so! — da — ganz recht! — Haha! — Ja, so ist es — das hatt' ich vergessen. Dann legte er das Buch ruhig und mit sichtbarer Befriedigung bei Seite, leerte sein Glas und ging munter in eine zwischen dem Baron und mir angeknüpfte Unterhaltung über andere Dinge ein. So plauderten und tranken wir vergnügt bis tief in die Nacht hinein; wir besprachen, je mehr uns der Wein erhitzte, unsere Hoffnungen für die Zukunft, für eine allgemeine europäische Erhebung gegen die französische Tyrannei und unsere Entschlüsse für diesen Fall, welche darauf hinausliefen, daß der Baron dabei als kühner Husarenoberst, der Referendar als Oberauditeur und ich selbst als Feldprediger und Verfasser von Proclamationen mitwirken müsse. Um drei Uhr endlich trieb der Referendar zum Schlafengehen. Der gastliche Wirth wollte es anfangs nicht zugeben, daß wir schon auseinander gingen. Es ist doch verdammt einerlei, sagte er, ob wir eine Stunde länger trinken, oder eine Stunde früher einschlafen. Bedenke, Freund, versetzte der Andere, daß es absolut keine moralisch gleichgültige Handlung giebt; daß wir also jetzt, wenn wir nach sittlichen Grundsätzen leben wollen, entweder schlafen gehen oder forttrinken müssen; nur eine dieser beiden Möglichkeiten kann moralisch, die andere muß unmoralisch sein. Es ist nun für mich schlechthin moralische Nothwendigkeit, zu Bett zu gehen, und damit gute Nacht! Er nahm mit diesen Worten seinen Fichte und ging hinaus. Auch ich fühlte, wenn nicht ein moralisches, doch physisches Bedürfniß der Ruhe. Der Baron schellte und befahl dem langen Diener, mich zu Bett zu führen. Nachdem wir uns gegenseitig eine gute Nacht gewünscht, folgte ich dem vorleuchtenden Giganten durch einige labyrinthische Gänge und Galerieen und gelangte endlich in ein geräumiges Schlafzimmer, in dessen Kamin eine helle Flamme knisterte. Der Diener stellte das Licht auf den Tisch und ging stumm von dannen. Als der letzte seiner Schritte verhallt war, überlief mich ein angenehmer Schauer; ich fühlte mich in einer höchst romantischen Situation: in einem alten Ritterschlosse gefährlich bedroht, dann gastlich bewirthet, in eine dunkle Verschwörung halb und halb mit eingeweiht — jetzt in einer abgelegenen, wunderlichen Kammer, deren Decke mit Wolken, Engeln, Drachen und anderen Fabelthieren bemalt war, vor einem ungeheuren Himmelbett — mit rothen Vorhängen, in welchem vielleicht ganze Generationen von Rittern und Edelfrauen geruht hatten — das ganze Bild schauerlich beleuchtet von der prasselnden Kaminflamme — das Alles schien mir ungemein poetisch. Ich entkleidete mich langsam und wollte eben in das Bett steigen, als mir einfiel, daß ich einige Vorsichtsmaßregeln versäumt hatte, welche ich auf Reisen gewissenhaft zu beobachten pflegte. Ich sah unter das Bett, ob auch Niemand darunter läge; dann untersuchte ich die Thür, fand aber zu meinem Schrecken, daß sie sich nicht verschließen ließ. Ich bin stets der Ansicht gewesen, daß man den vollen Genuß der Nachtruhe nur im Gefühl völliger Sicherheit und zwar bei verschlossenen und verriegelten Thüren haben kann. Um dem Uebelstand einiger Maßen abzuhelfen, erfand ich eine Vorkehrung, daß die Thür nur mit einem bedeutenden Geräusch geöffnet werden könnte, indem ich zwei alte Stühle an derselben gegen einander lehnte und auf die zusammenstoßenden Lehnen derselben mit großer Geschicklichkeit das Waschbecken in einer nur auf dem genauesten Gleichgewicht beruhenden Position anbrachte, so daß der ganze Apparat bei dem geringsten Druck gegen die Thür zusammenstürzen mußte. Sehr zufrieden mit meinem Werke, übersah ich ruhigen Muthes noch einmal das ganze Gemach, als ich plötzlich eine zweite und zwar eine Tapetenthür entdeckte. Wohin führte sie — Diese Frage zu entscheiden, öffnete ich sie mit einer Art schauerlicher Neugier. Ein kalter Hauch kam mir aus einem weiten, dunklen Raume entgegen, ich ergriff das Licht und leuchtete hinaus. Ein weiter Bodenraum that sich vor mir auf. Welche Unvorsichtigkeit, dachte ich, mir ein solches Schlafgemach zu geben, welches von allen Seiten zugänglich ist; wie leicht können Diebe von diesem Boden aus zu mir eindringen! Oder ha! sollte man mich absichtlich in ein so schlecht verwahrtes Quartier gesetzt haben, um mich vielleicht in der Nacht zu knebeln, sich meiner Person zu bemächtigen, um mich — wie der Referendarius sagte — unschädlich zu machen? — Es wäre entsetzlich! Jedenfalls will ich auf meiner Hut sein; Miß- trauen ist in diesen Zeiten eher eine Tugend, als ein Laster; und was schadet es nachher, wenn es unbegründet sein sollte! — Untersuchen wir vor Allem die Natur dieses Bodens! Ich ging fröstelnd, mit dem Lichte umher leuchtend, vorwärts. Doch ach! Des Menschen Vorsicht selbst zeugt oft Gefahr! Indem ich nach allen Seiten umherspähte, blies ein durch eine Dachluke einfallender Windstoß mein Licht aus; erschrocken tappte ich umher, den Rückweg zu finden; ich fühlte eine unbeschreibliche Angst und Verwirrung in der Finsterniß; ich tappte immer weiter, ohne die ersehnte Pforte zu finden — — da plötzlich trete ich mit dem vorgestreckten Fuße statt auf solide Bretter in die leere Luft und stürze mit einem Schrei des Entsetzens in einen dunkeln Abgrund. Ich fiel weicher, als ich hoffen durfte — in einen Heuhaufen, dessen duftige, prickelnde Wogen über mir zusammenschlugen. Tiefes Dunkel rings umher. Schmachvolles Schicksal! rief ich, unwürdiges Loos eines Candidaten der Gottesgelehrtheit, eines künftigen Feld- und Siegespredigers! — Da lieg' ich hülflos — bei drei Grad Kälte — in einer Scheune, in einem schnöden Heuhaufen, um morgen von dem Kuhhirten oder dem Hausknecht erlös't und allgemein ausgelacht zu werden! — Hab' ich deßhalb der bleiernen Drohung eines ergrimmten Ritters getrotzt — hab' ich deßhalb durch die Kühnheit meiner Tischreden die Hochachtung zweier Ehrenmänner erworben — um morgen als zähneklapperndes Gespenst aus dem Abgrund eines Futterbodens aufgefischt zu werden? — Friedmann! wie tief bist du gesunken! Aber dir ist recht geschehen; wozu diese übertriebene Vorsicht, diese überall umherspähende Furchtsamkeit! Ohne sie könntest du jetzt in einem warmen Bette hinter rothen Vorhängen liegen und von Ruhm und Feldpredigten träumen. Indessen beschloß ich, Alles zu versuchen, mich, Wenn möglich, aus meinem Abgrund zu befreien und das verlorne Paradies durch eigene Anstrengungen wiederzugewinnen. Ich tappte vorsichtig umher, ob ich nicht einer Leiter habhaft wurde oder einen Ausgang fände. Obgleich ich nach und nach sämmtliche vier Wände berührt und mir einige Brauschen gestoßen hatte, fand ich doch nur eine von außen verschlossene Thür und kein anderes Geräth, als einige Heugabeln und Dreschflegel. Ich überlegte eben, ob ich die Thür sprengen und auf die Gefahr hin, von den Hofhunden zerrissen zu werden, oder doch mir eine vielleicht lebensgefährliche Erkältung zu holen, von außen wieder in das Haus zu dringen versuchen sollte: als ich draußen plötzlich ein Geräusch vernahm. Schwere Fußtritte ließen sich hören, sodann ein halblautes Gesprach, von dem ich nur einzelne Worte verstand, welche mich mit Besorgniß erfüllten. Gleich darauf verloren sich die Fußtritte. Alles wurde still. Ich überlegte, ob ich schreien und das Haus allarmiren sollte. Aber das war nicht von Nöthen: denn ein lautes Krachen, wahrscheinlich vom gewaltsamen Erbrechen einer Thür, und ein fürchterliches „Rüdengeheul“ ertönte. Bald darauf wurde der Lärm allgemein, aber bereits im Innern des Hauses ; Thüren wurden zugeschlagen, Möbeln umgeworfen — ein Schus fiel. Dann eine augenblickliche Stile, der ein wildes Geschrei folgte; es kam immer näher; ich hörte Fußtritte über meinem Haupte, und plötzlich sprang eine weiße Gestalt von oben herunter, mir fast auf die Schultern. Wer da? rief ich erschrocken. Ein Faustschlag, der mich zu Boden warf, war die Antwort, und ich hörte, wie sich die Gestalt in einer Ecke des Speichers im Heu verkroch. Gleichzeitig fiel ein grelles Schlaglicht von oben in den Raum. Ich sah eine auf der Spitze eines Bayonetts schwankende Laterne durch eine Oeffnung der Decke hereinschweben. Zugleich hörte ich oben Stimmen: Ich sehe ihn, Herr Commissär! — Ah vraiment! le voilà! — Die Laterne verschwand wieder. Gleichzeitig hörte ich in der Nahe eine gedämpfte Stimme:Verrathen Sie mich nicht! Der Zusammenhang wurde mir auf ein Mal klar. Mochte man bei dem am Abend arretirten Hauptmann compromittirende an den Baron gerichtete Briefe gefunden, oder sonst Verdachtsgründe gegen ihn haben: eine Patrouille war nach der damals bei wichtigen Fällen beliebten Praxis zur Nachtzeit ausgesandt, um den Baron zu verhaften und sich seiner Papiere zu bemächtigen. Der Letztere hat sich wahrscheinlich durch mein Schlafzimmer auf den dahinter liegenden Boden geflüchtet und war durch jene mir so verhängnißvoll gewordene offene Fallthür in den Speicher hinabgesprungen. Ehe ich Zeit hatte, diese Möglichkeiten weiter zu erwägen, öffnete sich die Thür, und ein Mann in Uniform, eine Laterne haltend, gefolgt von zwei Soldaten, trat ein. Mein Herr, Sie sind Arrestant! sagte er zu mir. Hier sehen Sie den Verhaftsbefehl! Er hielt mir ein Blatt Papier vor, auf welchem ich bei dem flackernden Scheine der Laterne nur ein großes Siegel und die Namen meines Wirthes und des Referendars bemerkte. Kommen Sie schnell, sich anzukleiden! rief der Beamte. Ich folgte ihm in den Hof, von da rasch in der Mitte zweier Soldaten auf die Hausflur, wo bei hellem Lichterschein noch verschiedene Polizeileute und die erschrockene Dienerschaft umherstanden. Auch den langen Referendar fand ich daselbst, von zwei Männern bewacht; er putzte seine Brille mit dem Taschentuche, und hatte die gleichmüthigste Miene von der Welt. Man führte mich hinauf in die Zimmer des Barons, wo ich an dem offenen Schreibtisch desselben einen kleinen schwärzlichen Mann in Uniform beschäftigt fand, die darin befindlichen Papiere in Bündel zusammenzuschnüren. Derselbe fixirte mich mit einem stechenden Blick und fragte den neben mir gehenden Mann, welcher mich verhaftet hatte, in gebrochenem Deutsch, ob er sicher sei, daß ich die rechte Person. — Zu Befehl, Herr Commissär, versetzte dieser, Sie haben selbst gesehen, wie er in statu quo aus seinem Schlafzimmer entsprang, das Pistol auf uns abfeuerte und hernach durch eine Fallthüre verschwand. — Aber, fragte Jener, Sie ihn nich kenn von Person? — Nein, ich habe ihn früher nie gesehen. In diesem Augenblick trat der gigantische Diener ins Zimmer; er trug Kleidungsstücke über dem Arm und fragte mich in ehrfurchtsvoller Haltung und mit einem eigenthümlichen Zwinkern der Augenwinkel: Befehlen der Herr Baron, daß ich Sie ankleide? Ja, versetzte ich mit fester Stimme, entschlossen, die mir vom Schicksal übertragene Heldenrolle mit Würde zu spielen, und legte mit Hülfe des Bedienten die dargebotenen Kleidungsstucke rasch an, während der kleine Commissär, sich vergnügt die Hände reibend, in den Bart murmelte: Ah, c’est lui; maintenant plus de doute. Eine Stunde später saß ich neben dem guten Referendar mit dem freundlichen vis-à-vis zweier Gendarmen, deren Karabiner beständig auf uns gerichtet blieben, in einem Wagen, welcher rasch durch die Morgennebel dahinflog. Es ist nur ein Glück, sagte der Jurist, mit der den wahren Philosophen charakterisirenden Gemüthsruhe, es ist nur ein Glück, daß ich in der Eile noch einen Band von Fichte eingesteckt habe; da hat man doch auf der Reise eine vernünftige Lecture. Wohin mögen wir fahren? Vermuthlich nach der Hauptstadt, sagt' ich beklommen. Was ist nur aus dem Baron geworden? fragte er wieder. Lassen Sie das, Freund, sagt' ich, ihm einen sanften Fußtritt versetzend, die Leute kennen mich und lassen sich nicht durch Ihre wohlgemeinte Frage irre führen. Der Referendar starrte mich verwundert an und schien zu erwägen, ob mein Gehirn durch den Schreck vielleicht krankhaft afficirt sein möge. Er zuckte die Achseln, zog sein Buch aus der Tasche und fing an zu lesen. Unsere Reise ging unaufhaltsam vorwärts; von Station zu Station wurden die Pferde gewechselt; die beiden Häscher blieben uns fortwährend gegenüber. Der Referendar war schweigsam und las viel in seinem Fichte, ohne sich um die auf ihn gerichteten Feuerschlünde zu kümmern; mich peinigte dagegen beständig der Gedanke, dieselben könnten sich durch eine Erschütterung des Wagens plötzlich entladen, und ich gestehe, daß ich mich möglichst außerhalb der Schuslinie zu halten bemüht war. Es geschah jedoch nichts der Art, und wir langten wohlbehalten in Cassel an, um aus dem Wagen ins Gefängniß zu steigen. Ich brauche wohl kaum zu erwähnen, daß man den über meine Person entstandenen Irrthum bald entdeckte, zumal da der Referendar, welcher als gewissenhafter Fichtianer jede, auch die wohlgemeinteste Unwahrheit verdammte, sich ganz offen über den Sachverhalt aussprach. Ich selbst war inzwischen ganz zufrieden, der Löwenhaut entkleidet und wieder ich selbst zu werden, und bemühte mich bestens, die vorgegangene Verwechselung als einen mir höchst unangenehmen Zufall, an dem ich völlig unschuldig, darzustellen. Man wollte jedoch anfangs meiner wahrheitsgemäßen Erzahlung, wie ich in das Schloß des Barons und später in den Heuschober gerathen, keinen Glauben schenken und behandelte mich als einen gefährlichen Verbrecher. Ich fühlte mich durch diese mir beigelegte Wichtigkeit jetzt nicht im mindesten mehr geschmeichelt; düstere Visionen stiegen in meinem Kerkerloch, besonders in schlaflosen Nächten, vor meinem Geiste auf; ich dachte häufig an den Herzog von Enghien, den Buchhändler Palm und die vor Brannschweig erschossenen Schill'schen Krieger. Ich machte mich auf ein ähnliches Loos gefaßt und unterhielt mich damit, meine Abschiedsrede von der Welt zu entwerfen und mit den dazu gehörigen Gesten förmlich einzuüben. Ich glaube, ich hätte die Sache recht gut gemacht; auch war ich, weil ja ein Sterbender hienieden Nichts mehr zu fürchten hat, fest entschlossen, mit einer patriotischen Verwünschung des Kaisers Napoleon zu schließen. Ich dachte dabei oft meines Reisegefährten, des Turners, wie ich in seiner Achtung steigen würde, wenn er die Beschreibung meiner Hinrichtung in den Zeitungen läse. Das Schicksal hatte es indeß anders beschlossen. Durch mehrfache Verhöre und über mein vergangenes Leben eingezogene Erkundigungen gelangten meine Inquirenten allmählich zu der Ueberzeugung, daß ich im Grunde ein sehr harmloses Subject und mehr das Opfer, als der Urheber der vorgegangenen Täuschung wäre, Und so wurde ich endlich — beinah ein Jahr nach meiner Verhaftung — entlassen. Blaß, abgemagert, hohläugig wie ein Gespenst trat ich aus den Kerkermauern wieder in die Welt, der ich halb und halb schon entsagt und von deren Schicksalen ich so lange Nichts erfahren hatte. Wie staunte ich, als ich nun die großen Ereignisse des Jahres 1812, die Katastrophe von Moskau, den Untergang der großen Armee, die Capitulation des York'schen Corps erfuhr! Ich fühlte mich wie berauscht. Auch die Menschen fand ich so verändert; an die Stelle der hoffnungslosen, knechtischen Ergebung war eine dumpfe Gährung getreten; man flüsterte sich die furchtbaren Verluste, die Entmuthigung des französischen Heeres zu, und Viele erwarteten ungeduldig nur den Wink der heimischen Fürsten, um gegen die verhaßten Fremdlinge in offenem Aufruhr loszubrechen. Ich eilte jedoch vor Allem, die kindliche Pflicht zu erfüllen, nach Helmstedt in die Arme meiner schwergeprüften Mutter. Welch ein Wiedersehen! — Ja, das waren glückliche Tage. Aber sie waren kurz. Meine Mutter lebte in den dürftigsten Verhältnissen; und so sehr sie mir ihren Mangel unter einem Aufwand von Pflege und Frohsinn zu verbergen suchte, so erröthete ich doch bei dem Gedanken, ihr anstatt eine Stütze — noch immer eine Bürde zu sein. Ich hatte bereits an Herrn von Stawitz geschrieben und die freilich Wohl zu erwartende Antwort erhalten, daß die mir zugedachte Stelle längst anderweit vergeben sei. Ueber den Baron, für den ich ins Gefängniß gewandert, erfuhr ich bei dieser Gelegenheit, daß er damals glücklich nach Rußland entkommen sei und daselbst in der Armee Dienste genommen habe. Auch von ihm war also vor der Hand nichts zu hoffen. In dieser niederdrückenden Lage erhielt ich von einem benachbarten Gutsbesitzer, Amtmann O., die Aufforderung, gegen ein allerdings sehr geringes Honorar den Unterricht seiner Sohne zu übernehmen. Obgleich mir der Charakter des Mannes nicht eben günstig geschildert wurde, betrachtete ich doch dieses Anerbieten als eine gütige Fügung des Himmels, wobei mich besonders der Gedanke beglückte, meiner armen Mutter in diesen gefahrvollen Zeiten so nahe zu bleiben. Ich eilte daher, den Amtmann brieflich von der Annahme des Engagements zu benachrichtigen, und einige Tage darauf schickte er mir eine Calesche, welche mich nach seinem Gute beförderte. Ich langte gegen Mittag daselbst an und wurde sogleich durch einen wohlgepflegten Gemüsegarten zu meinem neuen Patron geführt, welcher in einer dunklen Laube bei einer halbgeleerten Flasche Burgunder saß und seine Pfeife rauchte. Ohne bei meiner Begrüsung sich zu erheben, deutete er auf eine in der Laube befindliche Bank und befahl dem Bedienten, welcher mich zu ihm geführt hatte, noch ein Glas und eine Flasche „von demselben“ zu bringen. Ich nahm, über diesen schweigsamen Empfang ein wenig verdutzt, den mir angewiesenen Platz und betrachtete mir mit Muße den breitschultrigen, wohlgenährten Mann, welcher mir auf den ersten Eindruck unter seinem schattigen Blätterbaldachin, bei dem röthlich funkelnden Rebensaft und von den Gewöllen seiner Pfeife sanft umwirbelt als einer der glücklichsten Erdenbürger erschien. Ich bemerkte jetzt, daß sein volles, feistes Gesicht nichts weniger als Zufriedenheit ausdrückte; die kleinen grauen Augen schauten so grämlich unter den starken Wimpern hervor und lugten so mißtrauisch in die Welt hinaus, die Stirn zeigte so viele Runzeln, und um die Mundwinkel spielten so mürrische Falten, daß ich den Mann schon nicht mehr beneidenswerth finden konnte. Seien Sie mir willkommen, sagte er mit näselnder Stimme; Sie wollten also die Information meiner Söhne übernehmen; wünsche viel Vergnügen dazu; die Rängen werden Ihnen genug zu schaffen machen. Sie haben bislang nur die Dorfschule besucht, und unser Schulmeister ist ein vollständiger Ignorant; schneidet während der Schulstunden Häcksel oder strickt Strümpfe. Außerdem fehlt die Mutter im Hause; ich bin seit Jahren Wittwer. Sie werden Ihre Noth haben, sag' ich Ihnen. Ich äußerte, daß es an Eifer von meiner Seite nicht fehlen solle, daß ich mich glücklich schätzte, ein Feld für meine Thätigkeit zu finden. Nun ja! versetzte er, in schlechten Zeiten muß man vorlieb nehmen. Jeder hat seine Plackerei hienieden: das ist einmal so geordnet. Nach dem Pferde ist der Mensch das geplagteste Geschöpf auf der Welt, alles andere Vieh hat es besser. Ich lächelte. Zumal in diesen schrecklichen Zeiten! fügte er mit einem Seufzer hinzu. Wir gehen allerdings, versetzte ich, einem großen Kampf entgegen — aber einem Kampfe, der hoffentlich das wenn auch blutige Morgenroth friedlicher Zeiten ist. Ich glaube nicht daran. Wäre Rußland erobert, ja! dann hätten wir Frieden. Aber so — — Tiefer Seufzer. Sie könnten wirklich wünschen, daß das letzte Bollwerk, welches auf dem Continent sich der französischen Sündflut entgegenstemmte, gefallen wäre? fragt' ich erstaunt. Ja, ich gäbe viel darum. Wenn ganz Europa nur Einem gehorchte, hätten wir keine Kriege mehr. Aber auch keine Nationalitäten, keine Bewegung, kein Leben mehr! Es wurde die Ruhe eines Kirchhofes sein. Sagen Sie: die Ruhe einer wohlgeordneten Haushaltung, wo Jeder ohne Streit und Widerrede seine Schuldigkeit thut. Die fleißigen und friedliebenden Menschen würden sich sehr wohl dabei befinden, während bei dem Schwindel, der jetzt auf einmal in den Köpfen grassirt, nichts als Blutvergiesen und Contributionen, Hunger und Elend abzusehen ist. Nach so vielen traurigen Erfahrungen kann allerdings auch die jetzige Erhebung als gewagt erscheinen. Sagen Sie: als ein Unsinn, purer Unsinn! Glauben Sie, weil dem Kaiser in Rußland eine Armee erfroren, werde er vor den Kosaken oder gar vor den Turnern und der preußischen Landwehr Kehrt machen? Aber vielleicht vor dem neuen Geist , welcher unsre Nation bewegt; es sind nicht bloß Heere, die er zu bekämpfen hat, es sind Ideen — die größten, welche je die Menschheit beseelten und welche zu allen Zeiten Wunder wirkten. Ideen — hm! Mit all Ihren Ideen werfen Sie kein französisches Bataillon über den Haufen. Gewiß nicht; aber die Ideen werben uns deutsche Bataillone und machen sie unbesiegbar. Pah, wenn sie 1806 der preußische Corporalstock nicht unbesiegbar machen konnte, so werden es Hirngespinnste erst recht nicht. — Nun, hier in der Gegend hat es, Gottlob! nichts zu sagen; wir sehen hier täglich französische und andere Truppen durchmarschiren, nach der Elbe zu, um die kaiserliche Armee zu verstärken. Dieser Anblick hat für die Ideologen und Hitzkopfe etwas ungemein Abkühlendes. Aber jenseit der Elbe — in Preußen sollen die Menschen wie toll sein — besonders die Studenten und Turner. Wenn sie noch wüßten, wofür sie sich schlügen! Das wissen sie sehr wohl. Wirklich? — Ich meines Theils weiß es nicht. Wenn Sie mich darüber belehren können, werd' ich Ihnen sehr obligirt sein. Wie? leugnen Sie etwa, daß wir unter dem schmählichsten Joch schmachten? daß unsre nationalen Heiligthumer bedroht sind, wie damals, als Varus mit seinen Legionen in unsern Gauen stand? daß es gilt, den blutgierigsten Tyrannen — — Halten Sie ein, junger Mann! unterbrach mich der Amtmann ängstlich; wenn ich Ihnen rathen soll, hüten Sie Ihre Zunge. Solche Reden können Ihnen den Kopf kosten und mich, wenn ich sie anhöre, compromittiren. Sie können unsre Tyrannei nicht beredter schildern, als mit dieser Bemerkung, sagte ich lächelnd. Wie so? versetzte er; nennen Sie es Tyrannei, daß hochverrätherische Reden verboten sind? Das war immer so, das war vor der westphälischen Regierung noch weit schlimmer. Tyrannen — wenn Sie die, welche uns regieren, so tituliren wollen — hat es von jeher gegeben und wird es immer geben. Das ist einmal so geordnet. Ich für mein Theil will nun lieber en gros, als im Kleinen tyrannisirt werden. Wenn auf viele Millionen ein Tyrann kommt, so ist das leichter zu tragen, als wenn auf eine Million viele Tyrannen kommen, wie wir das bei uns im Heiligen Römischen Reich seligen Andenkens sattsam genossen haben. Je kleiner das Land, desto mehr Schlagbäume und desto größere Steuern; je weniger Volk, desto mehr Standesunterschiede; je weniger zu regieren, desto mehr Beamte; je kleiner das Heer, desto mehr Paraden; je weniger Macht, desto mehr Anmasung. Und um diese Herrlichkeit zurückzuführen, sollen wir unsern letzten Thaler hergeben oder gar unser Leben riskiren? — Thoren, die's thun! Ich kann nicht leugnen, daß die den weinigen schnurstracks entgegenlaufenden Ansichten des Amtmanns mir imponirten; ich wurde zweifelhaft und fühlte mich in meinem Vertrauen an den Sieg der guten Sache erschüttert. In diesem Augenblick wurde Herr O. abgerufen; er ersuchte mich, seine Rückkunft zu erwarten. Ich trat aus der Laube und bemerkte, daß der hintere Theil des Gartens in Parkanlagen auslief. Ich wandelte zwischen den im ersten sommerlichen Grün prangenden Baumgruppen umher, als ich unter den Wipfeln einiger hochstämmiger Buchen ein Borkenhäuschen in der Form einer Kapelle erblickte. Ich trat näher und sah die Thür des Häuschen offen stehen. Nach einigem Bedenken folgte ich dem Zuge der Neugier und trat hinein. Wie erschrak ich aber, als ich mich einer schwarz gekleideten Dame gegenüber fand, welche im Innern der Kapelle an einem mit buntfarbigen Scheiben gefüllten Fenster vor einer Staffelei saß, auf welcher ein fast vollendetes Porträt aufgestellt war. Mein Eintritt war so geräuschlos gewesen, daß die Dame, in ihre Arbeit vertieft, mich nicht bemerkt hatte. Ich wollte zurücktreten; aber der Anblick fesselte mich. Es war ein Bild wie aus einem Tieck'schen Märchen. Die kleine, gewölbte Kapelle, matt erhellt von den durch die farbigen Scheiben brechenden Sonnenstrahlen, — die schwarzgekleidete Frauengestalt, deren blasses, edel geformtes Antlitz von den gelben und violetten Lichtern, welche durch das schmale Fenster einfielen, wunderbar beleuchtet noch blaßer und leidender erschien — der heilige Ernst, mit welchem sie, ganz in ihr Werk versenkt, die zarten Farbenstriche auf die Leinwand webte — die tiefe Ruhe, welche über der ganzen Scene lag — das Alles übte auf meine Phantasie einen mächtigen Zauber. Je länger ich das Profil der schönen Künstlerin betrachte, desto bekannter werden mir ihre Zuge — es dämmert seltsam in meiner Erinnerung — ja! trotz der magischen Beleuchtung erkenn' ich es, dieses liebe Antlitz, welches mir oft tröstend in den Träumen meiner Kerkernächte auftauchte — nein! ich täusche mich nicht — sie ist es! — Und wenn es doch eine Täuschung wäre? Dieser Zweifel trat eiskalt an mein Herz. In diesem Augenblick sah die Dame auf und wandte mir ihr volles Gesicht zu: kein Zweifel mehr — es war die Reisegefährtin von 1812. Erschrocken über meinen Anblick hatte sie sich erhoben; sie erröthete, aber ich glaubte zu bemerken, daß sie auch mich wiedererkannte. Ich stammelte meine Entschuldigung, erklärte meine Anwesenheit, beklagte die Störung: je mehr ich redete, desto muthiger fühlte ich mich: ich erinnerte sie an unser Zusammentreffen auf jener verhängnißvollen Reise. — Aber Sie haben das vielleicht längst vergessen? fügte ich mit traurigem Accent hinzu. Nein, ich hab' es nicht vergessen, sagte sie gerührt, alle Eindrucke jenes Winterabends stehen noch hell vor meiner Seele, auch die hülfreiche Theilnahme, welche Sie mir bewiesen bei dem kleinen Unfall mit den Pferden. O, mein Fräulein, Sie benahmen sich heroischer dabei, als ich selbst — indeß all meine Angst und Besorgniß galt nur Ihnen — besonders als unser toller Reisegenosse den Einfall hatte, Sie durch seine turnerischen Künste aus dem Wagen zu befreien. Sie lächelte; aber es war ein flüchtiger Strahl, der gleich wieder dem stillen Kummer wich, welcher ihr Antlitz trübte. Was war die Ursache dieser schweigenden Klage? Meine Blicke fielen auf das Gemälde: es war das Porträt eines Mannes; ich trat näher — ein schönes, ausdrucksvolles Gesicht mit großen blauen Augen und einem braunen Backenbart — aber ein Gesicht in der Reife des Alters — ich athmete freier. Es ist das Bild meines armen Vaters, sagte das Fräulein mit einer Thräne im Auge. Ich konnte es leider nur nach der Erinnerung entwerfen. Er ist wohl fern von Ihnen? fragte ich theilnehmend. Recht fern — und vielleicht recht nahe, flüsterte sie und deutete mit der weißen Hand nach oben. Todt! — rief ich erschüttert. Das Fräulein rang nach Fassung. Ach! er ist Ihnen nahe, sprach ich bewegt, indem mir selbst Thränen in die Augen traten. Er blickt liebend auf Sie herab, entsagen Sie nie diesem Glauben. Es entstand eine Pause; ich wollte reden, aber die Stimme versagte mir; mein Herz war so voll. Plötzlich hört' ich Schritte; der Amtmann trat in die Kapelle. Nie war mir seine Erscheinung so widerlich, als in jenem Moment. Wo bleiben Sie nur, Herr Candidat? rief er mit feiner näselnden Stimme; seit einer halben Stunde suchte ich Sie im ganzen Garten. Haben derweil die Bekanntschaft meiner Nichte gemacht. Fräulein von Halden — Candidat Friedmann — sagte er, uns gegenseitig vorstellend. Wie gefällt Ihnen der Kasten? fuhr er fort, auf die Wände deutend. Ein Denkmal meiner Schwäche für die Wunsche dieser jungen Dame. Die Baracke war total verfallen, mit Spinnweben und Gestrüpp überzogen, als ich das Gut übernahm. Ich hatte zehn Jahre lang, die ich hier wirthschafte, kein Geld für Verschönerungen, die nichts nützen. Aber auf einen Wink des gnädigen Fräuleins da läßt der gutmüthige Onkel sofort Tischler und Glaser kommen und aus der Ruine, welche kein Mensch betreten mochte, dieses allerdings etwas sonderbare Boudoir machen. Aber sie hat mir schlecht dafür gelohnt; versteckt sich hier den ganzen Tag und entzieht mir ihre anmuthige Gesellschaft. Der Mann war wie umgewandelt; er sprach munter und belebt, und mit den kleinen grauen Augen blinzelte er das Fräulein freundlich an. Doch ein guter alter Herr! dachte ich; auf den ersten Eindruck etwas menschenfeindlich, aber im Grunde nicht ohne Gemüth. Ich bin Ihnen gewiß von Herzen dankbar, Herr Onkel, erwiderte Fräulein von Halden, und ich glaubte das gerade dadurch zu beweisen, daß ich diese liebe Stätte, die mir Ihre Güte bereitet, so gern bewohne. Wenn du mir wenigstens endlich das trauliche „Du“ geben wolltest, wie es sich unter Verwandten schickt! Ja, Onkel! sehen Sie, das verträgt sich nicht mit der Ehrfurcht, mit der ich zu Ihnen, meinem Wohlthäter und Beschützer, emporblicke. Sie sprach diese Worte zögernd und mit einiger Verlegenheit. Was soll mir die Ehrfurcht! versetzte Herr O., in seinen grämlichen Ton fallend. Du sollst mich lieb haben. Doch da kommt die Mamsell — das Essen wird fertig sein. Gehen wir! Eine wohlgenährte weibliche Gestalt, in der sommerlichen Blüte des Lebens prangend, mit vollem, rothbäckigem Gesicht präsentirte sich und machte die vom Amtmann vorausgesehene Meldung. Wir begaben uns nach dem Wohnhause, wo in einem höchst einfach möblirten Zimmer das Mittagsmahl genommen wurde; ich machte hier auch die Bekanntschaft meiner Zöglinge, welche mich scheu begafften. Am Nachmittag mußte ich dieselben in Gegenwart des Amtmanns examiniren, und diese Prüfung überzeugte mich allerdings, daß sich für meine Lehrthätigkeit hier ein völlig unbebautes Feld eröffnete. Der Unterrichtsplan wurde festgesetzt, wobei der Amtmann über meine Zeit in einer ziemlich despotischen Weise disponirte; er hatte sie ja gekauft, und ich ergab mich in mein Loos. Wie schlichen die Stunden dahin, wie sehnt' ich mich nach dem Abend, der mir Gelegenheit geben würde, das Fräulein zu sehen! —Ach, ich mußte ihre Schicksale erfahren; sie mußte mir Alles anvertrauen, ich hatte ihr so viel zu sagen. Der Abend kam, aber meine Hoffnung wurde getäuscht; ich sah Fräulein von Halden erst bei Tisch, wo sich die Unterhaltung meist um Wirthschaftsangelegenheiten bewegte. Nach beendigtem Mahl wurde der vom Hausherrn eingeführten und heilig gehaltenen Gewohnheit gemäß eine Whistparthie gespielt, an welcher ich mit dem Verwalter und der „Mamsell“ Theil nehmen mußte. Das Fräulein wurde nur auf ihre dringende Bitte davon dispensirt und zog sich auf ihr Zimmer zurück, worüber Herr O. sehr ungehalten schien. Am andern Morgen erwacht' ich mit dem ersten Sonnenstrahl, kleidete mich rasch an und eilte in den Park. Wie ein Dieb schlich ich nach dem Borkenhäuschen; die Pforte war verschlossen. Ich konnte mir nicht versagen, durch das Fenster in das Innere des Heiligthums zu blicken; das Bild stand noch immer auf der Staffelet; ich betrachtete es mit eigenen Gefühlen, es war mir, als ob der Mann mit den großen blauen Augen mich trauernd anblickte, und als ob sich seine Lippen bewegten. Ich kehrte nach dem Hause zurück; außer dem Amtmann fand ich schon alle Personen wach und in Bewegung. Ich begann meine Unterrichtsstunden. Gegen Mittag sah ich durchs Fenster den Amtmann ins Feld reiten. Ich gab meinen Zöglingen die Freiheit und ging nach der Kapelle. Ich fand das Fräulein, wie am vorigen Tage; das Gemälde war beendigt, und sie stand sinnend davor. Ich begann mit einer wohleinstudirten Schutzrede für meine Kühnheit, schon wieder unberufen in das Heiligthum einzudringen. Ich berief mich auf meine doppelte Eigenschaft als einstiger Reisegefährte und nunmehriger Hausgenosse und deutete auf die wunderbare Fügung unseres Wiedersehens hin. Möchten Sie darin, rief ich warm, einen Wink des Himmels sehen, daß Sie mir vertrauen dürfen. Betrachten Sie mich als einen bescheidenen und zuverlässigen Freund. Allerdings ist unsre Bekanntschaft von kurzer Dauer. Aber sind wir armen Menschen hienieden denn so überreich an fremder Liebe, um noch so viele Schränken des Mißtrauens und der Convention gegen einander aufzuthürmen, um höflich kalt an einander vorüberzugehen, wenn vielleicht daß Herz nach Mittheilung seufzt? Ich sprach noch viel in dieser Weise; ich war auf einmal so beredt, als ich den Tag zuvor scheu und linkisch gewesen sein mochte. Vielleicht, daß mein geistlicher Stand und meine ehrliche Physiognomie, welche selbst vor einem Lavater Gnade gefunden hätte, den Antrag meiner Freundschaft unbedenklich erscheinen ließ — genug, Anna von Halden schenkte mir Vertrauen und erzählte mir die Schicksale, welche sie in dieses ländliche Asyl verschlagen hatten. An dem Tage, an welchem wir uns zuerst begegnet, an jenem auch für mich so bedeutungsvollen 12. Februar, hatte sie ihren Vater zum letzten Mal umarmt. Er hatte als preußischer Major nach dem Frieden von Tilsit seinen Abschied genommen und voll Kummer über das Loos seines Landes in der Zurückgezogenheit gelebt, als der zwischen Frankreich und Rußland drohende Krieg seine Hoffnungen neu entflammte. Er beschloß, so mancher seiner preußischen Waffenbruder, unter die Fahnen Alexander's zu eilen und auf den sarmatischen Steppen für Deutschlands Erlösung zu kämpfen. Er wollte seiner einzigen Tochter trotz ihrer innigsten Bitten nicht gestatten, ihn auf einer so gefahrvollen Bahn zu begleiten. Er veranlaßte sie zu einem Besuch bei dem Gatten seiner verstorbenen Schwester, dem Amtmann O., mit dem Versprechen, sie vor seiner Abreise dort noch zu sehen, da er selbst mit dem Amtmann Geldangelegenheiten zu ordnen habe. Möchte sein Versprechen auch ernstlich-gemeint sein, bei der Trennung übermannte ihn eine seinem strengen Wesen ungewohnte Rührung, und als er sein Kind in den Wagen hob und sie noch eimnal an seine Brust drückte, waren seine Augen von Thränen umflossen. Vielleicht, daß ihm eine Ahnung sagte, daß es für das letzte Mal sei. In einem kurzen Briefe sagte er dem Fräulein Lebewohl und befahl ihr, bis zu weitern Nachrichten bei dem Amtmann zu bleiben und sich möglichst in seine Launen und Eigenheiten zu fügen, da er ihr kein anderes Asyl zu bieten wisse. Es waren die letzten Zeilen, die sie von seiner Hand empfing. Der schicksalsreiche Winter verfloß in ängstlicher Erwartung; gegen Ende desselben erhielt das Fräulein durch Mittheilung gefangener Officiere die Trauerkunde, daß der Major in der Schlacht bei Borodino den Heldentod gefunden. Erzählte Leiden bilden zwischen den sich mittheilenden Personen ein stilles, starkes Band. Der träuliche Verkehr mit dem schwergeprüften jungen Mädchen, obwohl auf seltene, karg zugemessene Augenblicke beschränkt, versöhnte mich mit den vielen Unannehmlichkeiten meiner Stellung, welche mir besonders durch den Despotismus und das mürrische Wesen des Amtmanns erschwert wurde. Die ganze Natur dieses Mannes ruhte auf einem naiven Egoismus. Alle Dinge der Welt beurtheilte er nach den Einflüssen, welche dieselben auf seine Person äußerten, oder möglicher Weise äußern konnten. Er gefiel sich in seinem einträglichen Besitz und dem ruhigen Wachsthum seiner irdischen Güter, welche er auf seine Weise genoß, und haßte Alles, was ihn darin zu beunruhigen oder zu schmälern drohte. Daher sein Abscheu gegen die patriotischen Bestrebungen, das französische Joch abzuschütteln. Er fühlte sich darunter ganz zufrieden und wünschte der schlesischen Armee von ganzem Herzen ein neues Jena. Dabei hatte er es gern, wenn ich meine Ansichten lebhaft gegen ihn vertheidigte; mein warmes Interesse für eine Sache, bei deren Sieg ich für mich selbst materiell nichts zu gewinnen hatte, erschien ihm als eine psychologische Curiosität. Er betrachtete mich in dieser Hinsicht mit einem behaglichen Gefühl geistiger Ueberlegenheit als einen unpraktischen Schwärmer, der wohl nie im Leben etwas erreichen werde. Besonders als nach der Schlacht bei Bauzen der Waffenstillstand geschlossen und die Prager Conferenzen eröffnet wurden, triumphirte er und prophezeite, Alles werde beim Alten bleiben, Kaiser Alexander werde sich glücklich schätzen, einen leidlichen Frieden zu erhalten; Preußen bereue längst, sich an einem so ungleichen Kampfe betheiligt zu haben, und Oesterreich werde schon im Interesse der Ordnung die Partei des Weltherrschers ergreifen. Die Schwärmer und Phantasten, fügte er mit einem mitleidigen Blick auf mich hinzu, werden freilich ihre Rechnung nicht dabei finden, aber die ruhigen Bürger desto mehr; die lieben gar nicht, ihre Haut zu Märkte zu tragen für zukünftige Dinge, die nicht von ihnen abhängen. Was hilft mir auch der beste Staat von der Welt, wenn ich vorher todt oder zum Krüppel geschossen bin! Ich glaube nicht, daß der glänzendste Sieg uns für einen dabei verlorenen Arm entschädigen kann, den wir alle Tage unsers Lebens vermissen werden. Da ist mein Schwager, der arme Major von Halden — was hätte er nun davon, wenn auch Deutschland das größte und glücklichste Reich der Welt würde — er wäre nicht mit dabei! Mein Vertrauen auf die Sache der Verbündeten war auch einigermaßen gesunken; Napoleon an der Spitze einer zahlreichen Armee, die bereits glänzende Proben ihrer Begeisterung und kriegerischen Tüchtigkeit abgelegt hatte, im Besitz der Oder- und Elbfestungen, hinter sich die ihm noch immer ergebenen Staaten des Rheinbundes — kein Wunder, daß der Glaube an seine Unüberwindlichkeit in den Gemüthern der Menschen wieder auflebte! Für den Verlust meiner politischen Hoffnungen tröstete ich mich mit dem Gedanken, daß es mir nach Wiederherstellung des Friedens gelingen werde, mit Gottes Hülfe einen eigenen Herd zu gründen. Ich malte mir in glücklichen Träumereien ein stilles, von Linden umschattetes Pfarrhäuschen, abseit von dem Lärm der Welt, ein Gärtchen am Ufer eines rauschenden Baches — und in der Geisblattlaube drei selige Menschen. Daß zwei dieser Personen meine Mutter und ich sein würden, ist leicht zu errathen; wer die dritte, war mein Geheimniß. Gegen den Amtmann äußerte ich nichts von diesen Träumen; über die politischen ließ ich ihn nach Herzenslust spotten. Ja, ich begann mehr und mehr seine quietistische Weltansicht zu theilen. Wie wenig, sagte ich mir, gewinnt bei der politischen Größe und Macht eines Staates das Wohlsein der Individuen! Der Einzelne wird sein Glück immer für sich unabhängig von den öffentlichen Angelegenheiten suchen müssen; sein Königreich sind doch immer nur die vier Pfahle, innerhalb deren er hauset. Aus diesen Träumereien weckte mich die Kunde von dem Wiederausbruch des Krieges; das Gesicht meines Brodherrn verzog sich dabei in düstere Falten, und seine grauen Augen blickten mißtrauischer als je. Die Welt ist toll, murmelte er wiederholt mit einem tiefen Stoßseufzer: das einzige vernünftige Volk lebt in Amerika; könnt' ich mich doch mit meinem Grund und Boden dahin versetzen! Seine Stimmung wurde immer schwärzer; Niemand konnte es ihm recht machen; Kinder und Gesinde hatten viel zu leiden; ich nicht minder, so daß ich mehr als einmal im Begriff war, das Haus zu verlassen. Nur mit Fräulein von Halden machte er eine Ausnahme, gegen sie hatte er nur selten ein rauhes Wort, dem dann auch immer bald ein versöhnendes folgte. Er suchte ihr den Aufenthalt auf dem Gute so angenehm als möglich zu machen, und ihre Gegenwart schien seine schlimmsten Launen zu verscheuchen, wenigstens unterdrückte er die Ausbrüche derselben. Dieser Zug versöhnte mich fast mit, seinen übrigen Fehlern. Das Unglück wenigstens, dacht' ich, ist dem sonst so selbstsüchtigen Manne heilig; er ehrt den Schmerz der Waise. Vielleicht auch, daß er nicht unempfänglich für ihre Vorzüge, ihren Seelenadel ist, daß er wenigstens an Andern die sittliche Schönheit empfindet, welche ihm selbst fehlt. Wie hatt' ich mich getäuscht! Ich bemerkte häufig, daß es dem Amtmann unangenehm war, wenn ich mich mit seiner Nichte lebhaft unterhielt, besonders wenn das Gespräch religiöse oder literarische Gegenstände betraf; er suchte uns darin auf alle mögliche Weise zu stören. Es mißfiel ihm, daß wir geistige Berührungspunkte hatten, welche ihm fremd waren. Noch ärgerlicher war es ihm, wenn wir gelegentlich im Garten oder auf einem Spaziergang uns absonderten. Die „Mamsell,“ welche die Wirthschaft führte und in diesem Amte viele schätzbare Eigenschaften bewies, nahm dagegen unsere Partei und warnte uns, wenn wir uns allein trafen, vor seinen Ueberfällen. Sie ihrerseits schien es ungern zu sehen, wenn sich Onkel und Nichte mit einander allein befanden, und störte nicht selten ein solches Zusammensein durch wirthschaftliche Mittheilungen oder Anfragen. Mit der unermüdlichsten Thätigkeit, wegen deren sie der Amtmann schätzte, verband sie einen gewissen Widerspruchsgeist und wünschte in dem ihr zugewiesenen Kreise uneingeschränkt zu herrschen. Ich ahnte die geheimen Motive aller dieser Vorgänge nicht, als mich eines Tages der Amtmann in der naiven Unbefangenheit seines Egoismus aufklärte. Ich saß mit ihm in der Gartenlaube beim Kaffee. Fräulein von Halden hatte uns eben verlassen, um sich mit einem Bande von Jean Paul in ihre Einsiedelei zurückzuziehen. Schade, sagte Herr O., daß sie so wenig Sinn für die Wirthschaft hat. Die verdammten Bücher — ich mochte sie allesamt verbrennen. Ich äußerte bescheiden, daß sich das Fräulein ohne Zweifel gern der Wirthschaft mit annehmen würde, wenn sie es nicht ausRücksicht für die Haushälterin unterließe. Die könnte sie ja mit der Zeit ersetzen bemerkte der Amtmann. Jedenfalls wird sich Mamsell trotz ihres Eigensinnes bald darein finden müssen, unter der Controle einer Herrin zu stehen, wie es früher war bei Lebzeiten meiner Frau. Beabsichtigen Sie vielleicht — die Frage stockte mir zwischen den Lippen. Mich wieder zu verheirathen; allerdings, mein lieber Candidat. Ich habe auch bereits meine Wahl getroffen. Schade, daß Sie noch nicht Pastor sind, sonst sollten Sie die Trauung besorgen. Ich würde mich glücklich schätzen, einen so ehrenvollen Auftrag zu vollziehen, versetzt' ich lächelnd; übrigens hab' ich für die Person der Braut nicht die leiseste Ahnung. Ich erinnere mich, nie Damenbesuch auf dem Gute gesehen zu haben, so lang' ich hier bin. Sie sehen wie gewöhnlich den Wald vor Bäumen nicht; Sie suchen immer in der Ferne, statt zu sehen, was sich vor Ihren Augen begiebt. Ich erschrak Das Mädchen, fuhr er ruhig fort, hat allerdings ihre etwas absonderlichen Liebhabereien, schwärmt gern in unpraktischen Ideen und schwatzt über Dinge, über die ein Frauenzimmer keine Meinung haben soll; indessen in der Ehe giebt sich das. Glauben Sie mir, mein junger Freund, die Ehe ist ein durch und durch praktisches Institut. Sie dächten wirklich daran, Fraulein von Halden — Zu heirathen, ja. Es ist wahr, sie hat kein Vermögen, und das hat mich einen Augenblick zweifelhaft gemacht. Aber grade darum ist es zugleich ein gutes Werk. Ihr Vater wird es mir im Himmel Dank wissen, falls es überhaupt eine Fortdauer nach dem Tode giebt, was ich für ungewiß halte. Aber bedenken Sie den Abstand — der Jahre, wollt' sich sagen, fürchtete aber den Amtmann zu beleidigen. Welchen Abstand? fragte er verächtlich. Sie meinen wohl ihren Adel? — Nun das Vorurtheil sind wir zum Glück auch durch die Franzosen losgeworden. Vor der Hand leben wir noch im Königreich Westphalen, wo es den Unsinn von Standesunterschieden nicht giebt. Bürgerliche Gleichheit, heiliges Palladium der menschlichen Gesellschaft! Er blickte wie verklärt um sich: Ja, mein Herr, noch besitzen wir es, dieses werthvollste Gut des Staatsbürgers. Noch haben es uns Ihre preußischen „Freiheitskämpfer“ nicht wieder entrissen. Wie können Sie glauben, rief ich entrüstet, daß ich die Wiederkehr der alten Mißbräuche wünschte! — Ich meinte auch keineswegs diese Bedenken — ich wollte sagen — ich dachte an die nahe Verwandtschaft. Darüber seien Sie außer Sorge. Das Fräulein ist nicht meine leibliche Nichte, sondern lediglich die meiner verstorbenen Frau — Gott habe sie selig! Als künftiger Prediger sollten Sie wissen, daß ein solches Verhältniß kein Ehehinderniß ist. Mein Advocat hat mich längst über diesen Punkt aufgeklärt. Ich weiß das, versetzte ich ein wenig piquirt; trotzdem widerspricht eine solche Ehe unserm Gefühle — Dem Ihrigen vielleicht — dem meinigen nicht, und darauf kommt es lediglich an. Aber sind Sie so gewiß, daß das Fräulein mit Ihren Gefühlen übereinstimmt? Ich habe ihr in Rücksicht auf ihre Trauer, die Anstands halber noch einige Monate dauern muß, meine Intentionen noch nicht ausgesprochen. Es kann indeß jeden Tag geschehen, und ich bin überzeugt, daß das liebe Kind bei einer Reflexion über seine Verhältnisse und Aussichten sich glücklich schätzen wird, einen Mann zu bekommen. Es zuckte mir in den Fingern, und ich hatte meine ganze Selbstbeherrschung nöthig, sehr unchristliche Regungen, welche ich gegen den Amtmann fühlte, äußerlich wenigstens zu unterdrücken. Dieser ahnte offenbar von meiner Stimmung nicht das Mindeste und sagte ruhig: Da Sie nun, mein lieber Herr Friedmann, in meine Absichten eingeweiht sind, werden Sie die Schicklichkeit berücksichtigen und eine zu große Vertraulichkeit mit Fräulein von Halden zu vermeiden suchen. Ich glaube gern, daß Sie nichts weiter dabei denken, wenn Sie mit ihr unter einem Eichenbäume für Klopstock's Oden schwärmen — indessen, es ist doch angemessener, wenn das von jetzt an unterbleibt. Mit diesen Worten verließ er mich und ging aus dem Garten. Ich stand wie betaubt; mein erster Gedanke war, nach dem Borkenhause zu eilen und mich dem Fräulein zu entdecken. Durft' ich länger zögern, sie über die Gefühle ihres Oheims zu enttäuschen? — Durft' ich sie länger über meine Gefühle im Zweifel lassen? — Aber wie? sollt' ich auf der andern Seite das mir geschenkte Vertrauen verletzen? ein fremdes Geheimniß verrathen? Sollt' ich die kaum verharschten Wunden in ihrer Seele wieder aufreißen, indem ich ihr Absichten enthüllte, die sie verletzen, erschrecken, die ihr den Aufenthalt unter dem Dache ihres einzigen Verwandten verleiden müßten? — Und was konnt' ich ihr Bieten ? — Ein ärmliches Asyl im Hause meiner Mutter, bis — wer konnte sagen, wann? — meine Hoff nungen auf ein noch so bescheidenes Amt sich realisiren würden? — Verzweifelte Lage! Nach langem Kampfe entschloß ich mich, die mir gemachte Mittheilung treu zu bewahren, dem Amtmann aber selbst bei einer passenden Gelegenheit frei und furchtlos das Verwerfliche seines Beginnens vorzuhalten. Im äußersten Falle würd' ich meine Entlassung nehmen und den Schutz der Gerichte anrufen, um das Fräulein seiner Gewalt zu entziehen. Zu diesem letzten Mittel hatte ich freilich selbst wenig Vertrauen, und nur die feste Ueberzeugung, daß Anna von Halden nie den Antragen ihres Oheims Gehör geben würde, hielt mich in dieser schrecklichen Lage von übereilten Schritten zurück. Wie bitter empfand ich damals das Gefühl meiner Abhängigkeit. Wie ängstlich sucht' ich nach einem Ausweg, der mir eine anständige Selbständigkeit gewähren konnte! — Ich schrieb an meinen Gönner, den Professor H., ob er mir nicht eine noch so geringe Lehrstelle an einer öffentlichen Anstalt verschaffen konnte. Bevor ich jedoch seine Antwort erhielt, traten große Veränderungen ein. Von den Erfolgen der Verbündeten waren nur vage Gerüchte an uns gelangt. Da kam plötzlich im Oktober die große Kunde von der Schlacht bei Leipzig und von dem fluchtartigen Rückzug des französischen Heeres. Meine alten Gefühle erwachten, und ich beschloß in einer Stunde heiliger Begeisterung, mich als Freiwilliger der ersten deutschen Truppenschaar anzuschließen, welche unsre Gegend betreten würde. Ich theilte vor der Hand Niemandem mein Vorhaben mit. Ich leugne nicht, daß mir dieser Entschluß schwer geworden; entsagt' ich doch damit vor der Hand all jenen idyllischen Träumen, die mich noch vor wenigen Wochen so entzückt hatten! — mußt' ich doch zwei mir unendlich theure Personen in der hülflosesten Lage zurücklassen — vielleicht um sie nie wieder zu sehen! Eines Tages, gegen Ende des Oktobers, saßen wir beim Mittagsmahle, als der Schäfer des Gutes athemlos und leichenblaß ins Zimmer stürzte. Sie kommen! rief er zitternd, rettet euch, sie sind schon im Dorfe, rauben und morden! das Haus des Schulzen brennt lichterloh! Wer? die Kosacken? rief der Amtmann entsetzt. Nein, Franzosen, versetzte der Schäfer und lief aus der Stube. Eine versprengte Schaar französischer Krieger war in das benachbarte Dorf eingebrochen; vom Fenster aus sah ich eine große Rauchwolke aus demselben aufsteigen. Der Amtmann war aufgesprungen und in ein Nebenzimmer geeilt. Mit Hut und Stock, in der Hand einen Korb mit silbernen Löffeln, trat er wieder ein. Lassen Sie das Vieh in den Wald treiben! Schnell! rief er dem Verwalter zu. Ihr Uebrigen folgt mir! In den Wald! Er eilte voraus, wir ihm nach. Ich blieb dem Fräulein, welche die meiste Ruhe zeigte und den jüngsten Sohn des Amtmanns am Arm führte, immer zur Seite. Wir gelangten durch den Garten aus einer Hinterthür ins Freie; wir sahen von dort, wie die Plünderer bereits in das Gehöft drangen. Sie werden Alles verbrennen! jammerte der Amtmann. Fort! fort! — Wir eilten durch eine Wiese dem nahen Gehölze zu. O Gott! das Bild meines Vaters! rief plötzlich Anna erbleichend und die Hand des Knaben fahren lassend, ich muß zurück. — Unsinn! donnerte der Amtmann, ihren Arm ergreifend. Ich bring' es Ihnen! rief ich schnell und lief nach dem Garten zurück. Nein! nein! rief sie mir mit flehender Stimme nach; aber ich hörte nichts mehr, sprang über den Zaun und eilte durch den Garten nach dem Hause zurück; ich war entschlossen, das Bild zu retten, sollt' es mein Leben kosten. Das Haus wimmelte von Soldaten in halbzerrissener Uniform, von verwildertem Aussehen. Fluchend waren sie beschäftigt, Schränke und Kommoden aufzuschlagen und zu durchwühlen. Ich gelangte, ohne beachtet zu werden, bis in das Zimmer des Fräuleins, wo das Porträt über ihrem Bette hing. Zwei der Marodeurs wühlten in dem erbrochenen Secretär und starrten mich verwundert an, als ich mit einem Sprunge das Bild vom Nagel riß und damit forteilen wollte. Ein in diesem Augenblick eintretender Soldat versperrte mir den Ausgang, während die beiden in dem Zimmer beschäftigten auf mich losstürzten und mir das Bild entrissen. Es ist etwas von Werth darin! rief der Eine in französischer Sprache, indem er es untersuchte. Wer seid Ihr? wo habt Ihr das Geld versteckt? donnerte mich der Andre an, mich an der Brust packend. Hört mich! rief ich in ihrer Sprache, ihr sollt Alles erfahren! Aber verschont das Bild. — Es steckt nichts darin, versetzte Der, welcher es untersucht hatte, indem er es gegen das Licht hielt. Das ist ein Officier! fügte er hinzu, den Kopf betrachtend. Es ist ein Officier, versetzte ich; er schläft auf dem Felde von Borodino bei so vielen eurer Brüder! Bei Borodino, ah! rief der zuletzt eingetretene Krieger, ein graubärtiger Sappeur; ich war dort. Er kämpfte unter den Fahnen eurer Feinde, fuhr ich fort; es war für die Freiheit seines Landes, und er starb als braver Soldat. Das Bild ist das einzige Andenken, welches seiner Tochter — einer armen Waise von ihm geblieben. Sie erwartet von den Soldaten der großen Armee, daß sie ihr dieses einzige Erbtheil nicht entreißen werden. Das Wort schien zu wirken; die Soldaten sahen einander an. Wo ist sie? fragte der Soldat, welcher mich gefaßt hatte. Sie ist nicht hier, versetzt' ich, sie ist auf einem benachbarten Gute, wo sie eine Freundin besucht. Hätte sie eine Ahnung von diesem Ereigniß gehabt, würde sie jenes Bild mit sich genommen haben. Sie würde untröstlich sein, wenn sie es bei ihrer Rückkehr nicht fände. Aber ich hoffe, ihr sagen zu können: Hier, mein Fräulein, das Bild des Majors, Ihres Vaters — französische Krieger gaben es mir zurück, als sie erfuhren — Genug, rief der Sappeur, nehmt das Bild, junger Mann. Wer seid Ihr? Ich bin ein armer Teufel, versetzt' ich, ich unterrichte die Kinder des Gutsherrn. Wo ist er? Schon seit einer Stunde entflohen — er hatte von eurem Herannahen erfahren. Ich kehrte zurück, weil mir das Bild des Fräuleins in den Sinn kam. Wo ist das Geld vergraben? Ihr wißt es! rief Der, welcher mich noch immer hielt, mit schrecklicher Stimme. Wie soll ich das wissen! versetzt ich, durchsucht mich — nehmt, was ihr findet. Ich habe nichts als meine Armuth! Laßt ihn! rief der alte Sappeur. Gebt ihm das Bild. Der, welcher mich festhielt, ließ mich los, zog mir aber dabei meine Uhr aus der Tasche und steckte sie in die seinige. Der Sappeur runzelte die Stirn und machte eine Bewegung gegen ihn, als Plötzlich unten ein Ruf ertönte: Der Feind! zu den Waffen! Die drei Soldaten eilten hinaus. Preußische Husaren sprengten in den Hof und schlugen sich mit den Marodeurs herum; ich nahm das Bild und eilte hinunter, um aus dem Hause zu entkommen, weil ich fürchtete, die Plünderer möchten es angezündet haben. Als ich auf die Hausflur gelangte, fiel von dem Hof aus, wo der Kampf noch fortdauerte, ein Schus durch das Fenster, welcher mich in den rechten Arm verwundete. Ich fühlte meine Besinnung schwinden und sank zu Boden, das Bild mit letzter Kraft fest an mich drückend. Als ich aus meiner Betäubung erwachte, begegneten meine Blicke dem zarten Antlitz des Fräuleins, welche mit zarter Hand meinem verwundeten Arm einen Verband anlegte. Ich befand mich auf einem Sopha ausgestreckt im Zimmer des Amtmanns, welches noch die Spuren der Verheerung trug. Ueber mich gebeugt stand die Mamsell, die mir die Stirn mit Spiritus rieb. Bei meinem Erwachen that das Fräulein einen Freudenschrei; ich sah, daß an ihren Wimpern Thränen hingen. Von den Fragen über mein Befinden, Danksagungen, zärtlichen Vorwürfen und Selbstanklagen, die nun folgten, will ich schweigen; ich fühlte mich als der glücklichste Sterbliche; der geringe Schmerz meiner Wunde diente nur, meine Seligkeit zu erhöhen. Das gerettete Bild lag unbeschädigt neben mir auf dem Tische. Durch den Ueberfall der Husaren waren die Marodeurs verhindert, die Gebäude in Brand zu stecken, was sie sonst wohl aus Rache gegen den Besitzer, welcher seine Werthgegenstande so wohl verborgen hatte, nicht versäumt haben würden. Der Amtmann tröstete sich über seine zerschlagenen Möbel mit seinen — er allein wußte, wo — vorsorglich vergrabenen Schätzen. Die Preußen waren zu seiner Freude nach einigen Erfrischungen aus Küche und Keller abgezogen; nur ein blessirter Husar blieb zurück. Gegen Abend erschien der aus dem nächsten Flecken herbeigeholte Wundarzt; er erklärte meine Wunde für nicht gefährlich, verordnete aber die größte Vorsicht und Schonung. Meine kriegerischen Plane mußt ich also einstweilen aufgeben. Die Söhne des Amtmanns betrachteten die Ferien, welche sie sich von meinem Zustand versprechen durften, als das Beste bei der ganzen Affaire. Die Tage meiner allmählichen Genesung gehörten zu den schönsten meines Lebens; ich verweile gern dabei, wenn ich mich zuweilen für die Plagen des Alters aus dem Born der Erinnerung erquicke. Anna von Halden ließ es sich nicht nehmen, täglich der Vorschrift des Chirurgus gemäß den Verband meines Arms zu erneuen, obgleich der Amtmann mehr als einmal ärgerlich sagte, dergleichen Dienste würden sich besser für die „Mamsell“ schicken. Kein Verbot ihres Onkels verhinderte sie, den größten Theil des Tages mir Gesellschaft zu leisten; wir lasen zusammen und tauschten Gedanken; wir waren im Geiste bald verlobt und versprochen; vereint auf Lebenszeit, ohne es einander je gesagt oder die Ringe gewechselt zu haben. Mein Herz war eher geheilt, als mein Arm, ich sah der Zukunft ruhig entgegen. Der Amtmann schien von diesem inneren Vorgang etwas zu ahnen; jedenfalls erschienen ihm unsre Gespräche über Klopstock's Oden nicht mehr so harmlos, als ehedem. Er faßte seinen Entschluß und arrangirte meine Entfernung mit einer diplomatischen Zartheit, welcher ich noch heute meine Anerkennung zollen muß. Ich war völlig wieder hergestellt — im December, wenn ich nicht irre, — als Herr O. seine Nichte zu einer Schlittenfahrt einlud. Beim Wegfahren nickte er mir freundlich zu. Als der Schlitten in der Ferne entschwunden und ich fröstelnd auf mein Zimmer zurückgekehrt war, trat der Verwalter ein und überreichte mir schweigend mit feierlicher Miene eine versiegelte Geldrolle nebst einem Brief. Was soll das? fragt' ich verwundert. Vom Herrn Amtmann, erwiderte der Verwalter lakonisch. Ich öffnete das Schreiben und las; es lautete ungefähr also: „So sehr ich Ursache habe, mit Ihrem auf die Er- ziehung meiner Sohne verwendeten Eifer und den Fortschritten derselben zufrieden zu sein, so sehr ich mithin aus väterlichen Rücksichten die Fortdauer dieses Verhältnisses wünschen möchte, so besitzen Sie, mein verehrter Candidat, doch zu viel Zartgefühl, um nicht zu begreifen, daß wir uns von einander trennen müssen. Sie kennen die Absichten, welche ich für das Wohl der Nichte meiner vom Schauplatz dieser Erde zu früh abgerufenen Gattin gefaßt habe. Diese Absichten vertragen sich nicht mit dem Benehmen, welches Sie gegen Fräulein von Halden beobachten. Ich verzeihe Ihrer Jugend, daß Sie für die Reize meiner Nichte nicht unempfindlich sind; Sie werden jedoch als ehrlicher Mann fühlen, daß dieses Verhältniß für beide Theile gefährlich ist. Sie werden vielleicht bei diesen unglücklichen Zeitläuften nie in die Lage kommen, eine Frau ernähren zu können; Sie sind mir daher zum Danke verpflichtet, daß ich Ihrem Herzen den Kampf mit der Pflicht erspare und es ersuche, sofort nach Empfang dieses Schreibens mein Haus zu verlassen. Das einjährige Honorar von 12 Louisdor füg' ich zur gefälligen Empfangnahme bei und bitte, die einliegende Quittung unterzeichnen und dem Ueberbringer einhändigen zu wollen. Mit ausgezeichneter Hochachtung und den besten Segenswünschen für Ihre fernere Zukunft der Ihrige.“ Ich war wie versteinert; ich fühlte, wie mir die Schamröthe über eine solche Behandlung ins Gesicht stieg; ich war unschlüssig, wie ich diesem Schlage begegnen sollte. Die Calesche ist schon angespannt, sagte der Verwalter mit höhnischem Lächeln. Ich werde nicht abreisen, bevor ich Herrn O. selbst gesprochen habe, rief ich in heftiger Aufwallung. Der Herr Amtmann hat Ordre hinterlassen, seinen Willen auf alle Fälle zu vollziehen. Die Calesche ist angespannt. Ich werde seine Rückkehr erwarten. Sie werden sofort abreisen. Die Calesche ist angespannt. Und wenn ich mich weigere? Dann würde ich mich genöthigt sehen, Sie mit Gewalt über die Grenze des Guts zu schaffen. Kann ich Ihnen beim Packen des Koffers behülflich sein? Ich danke Ihnen, ich werde das selbst besorgen. Beeilen Sie sich gefälligst! Die Calesche ist angespannt. Mit diesen Worten verließ mich der seines Herrn würdige Diener; ich hätte mich an ihm vergreifen können; aber seine athletische Gestalt flößte mir Mäßigung ein. Ich begann meine geringen Habseligkeiten zu packen, schrieb dann rasch einige Zeilen an Fräulein von Halden, worin ich ihr meine erzwungene Entfernung anzeigte mit dem Versprechen, das Aeußerste aufzubieten, um sie baldigst aus der Gewalt des Tyrannen zu befreien. Ich hatte dieses Schreiben eben versiegelt, als der Verwalter wieder eintrat. Fertig? fragte er mit cyklopischem Lächeln. Sogleich. Wenn Sie die Gute haben wollen, meinen Koffer zu verschließen, werd' ich unterdessen eines meiner Bucher suchen, welches in einem andern Zimmer liegen muß. — O, ich verstehe, Sie wollen den Brief da an seine Adresse besorgen. Nun, Herr Candidat, — ich mein' es im Grund nicht böse, obgleich mich dieses summarische Verfahren des alten Herrn königlich amüsirt. Aber es kann ihm nichts schaden, wenn Sie ihm einen groben Brief unters Sophakissen stecken. Ich weiß von nichts. Den Koffer will ich unterdessen besorgen. Ich eilte auf das Zimmer des Fräuleins, schob den Brief unter ein auf der Toilette, liegendes Schnupftuch und ging nach einem wehmüthigen Blick auf die heilige Stätte die Treppe hinunter in den Hof, wo mich der Verwalter, welcher den Koffer bereits befestigt hatte, erwartete. Nun, Glück auf! sagte er, als ich in den Wagen stieg. Sagen Sie Ihrem Principal, ich müsse sein Benehmen für unwürdig erklären und würde ihm Gelegenheit geben, es zu bereuen. Mit diesen Worten, welche der Verwalter gewissenhaft zu bestellen versprach, fuhr ich von dannen. Der eisige Nordwind kühlte meine erhitzte Stirn. Die Galesche fuhr langsam durch den hohen Schnee. Meine Stimmung wurde immer düsterer: wie ein Lump dem fremden Hause gestoßen, in der peinlichsten Angst für die geliebteste Person, welche nun ganz den Launen eines herzlosen Tyrannen preisgegeben war, ohne Hoffnung für die nächste Zukunft fühlte ich mich recht von Gott und Welt verlassen. Die schrecklichsten Versuchungen gingen damals durch meine Seele: in die Gefühle meiner Ohnmacht hascht' ich gierig nach jedem Mittel der Rache, welche mir meine erhitzte Phantasie vorspiegelte; dann wieder überkam mich eine eiskalte Verzweiflung. Ich vermochte nicht zu beten; ich war nahe daran, zu lästern. — Gütiger Gott! wie beschämtest du mich! Ich empfand einen heftigen Stoß, hörte ein Geräusch und einige Fluche. Aus meiner Erstarrung auffahrend, sah ich, daß mein Kutscher mit einem uns entgegenkommenden Fuhrwerk zusammengefahren war. Beide Kutscher schimpften einander, als eine tiefe Baßstimme aus dem fremden Wagen rief: Schock Schwerenoth! Statt zu raisonniren, seht zu, wie ihr aus einander kommt. Und ein in einen Pelz gehüllter Mann mit einem gewaltigen Schnurrbart sah mit funkelnden Augen über den Bock hervor. Seine Erscheinung schien auch meinem Phaeton zu imponiren, und beide Wagenlenker bemühten sich, seiner Weisung zu genügen. Ihre Anstrengungen wurden durch einen schnellen Erfolg belohnt, und eben waren wir im Begriff, friedlich an einander vorbeizufahren, als der Herr mit dem Schnurrbart ein donnerndes Halt! rief. Dann sich aus dem Wagen lehnend und mich scharf fixirend, rief er mit freudiger Stimme: Aber sind Sie es denn auch? Sehe ich recht? Candidat Friedmann? Mein Gott ja, rief ich überrascht, der bin ich. Da sprang der fremde Mann trotz seines Stelzfußes, den ich jetzt bemerkte, mit einem Satz aus dem Wagen; ich folgte höflich seinem Beispiel; aber meine Frage erstickte an der breiten Brust des Fremden, welcher mich in seine gewaltigen Arme schloß und heftig an sein Herz drückte. Kennen Sie mich denn nicht mehr? rief er, mich endlich aus seiner Umarmung entlassend, Sie, mein Retter, mein Martyrer! O ich weiß ja Alles! Jetzt erkannt' ich den Baron; mein Auge wurde feucht, mein Herz stand still, ich fühlte meine Füße unter mir wankend. Eine Ahnung sagte mir, daß nun Alles gut werde. Ich hätte mich auf die Knie werfen und beten mögen. Auch dem Baron traten die Thränen in die Augen. Er faßte meine Hände und zog mich nach seinem Wagen: Steigen Sie ein — so bald trennen wir uns nicht mehr! Mechanisch folgte ich seiner Aufforderung. Dieses plötzliche Glück in dem Augenblick, wo ich an Allem verzweifelte, hatte mich übermannt. Aber soll ich denn den Herrn nicht weiter fahren? fragte der Kutscher des Amtmanns verlegen. Fahre wohin du willst, mein Sohn, sagte der Freiherr, aber dein Herr bleibt in meinem Wagen. Georg, rief er seinem Kutscher zu, nimm den Koffer des Herrn aus den Bock! Der Kutscher des Barons gehorchte; der des Amtmanns wandte um und fuhr dem Gute zu; der Wagen des Barons folgte in derselben Richtung. Ja, Sie haben viel für mich gelitten, sagte der Baron gerührt, und es bedurfte nur eines Wortes von Ihnen, um Sie zu retten und mich zu verderben. Ach! ich kann es Ihnen nie vergelten! Ich war in Verzweiflung, Ihren Aufenthalt nicht zu wissen — alle meine Erkundigungen waren umsonst — und nun find' ich Sie mitten auf der Landstraße und muß das Ungeschick meines Kutschers segnen, ohne daß Sie unbemerkt an mir vorbei gerollt wären. Ich fragte den Baron nach seinen Schicksalen in der Zeit, daß wir uns nicht gesehen. Er hatte unter Kutusow den Krieg in Rußland mitgefochten, war dann unter die Fahnen seines Königs geeilt, um auf deutschem Boden gegen den alten Feind zu kämpfen. Bei Leipzig hatte er ein Bein verloren, ein Mißgeschick, das er nur beklagte, weil es seinem Kriegerleben ein Ende machte. Nun, sprach er am Ende seiner Erzählung, es sollte so sein. Auch ohne mich werden unsre Truppen in Paris einziehen und die preußische Fahne auf Montmartre pflanzen. Ich wäre freilich gerne bis zu Ende dabei geblieben. Sie haben Ihr Wort gehalten, sprach ich bewegt, und ich schätze mich glücklich, durch eine gütige Fügung des Himmels ohne mein Verdienst dazu beigetragen zu haben, einen solchen Mann dem Vaterlande zu erhalten. Ich selbst dagegen bin leider weder als Feldprediger, wie Sie damals scherzten, noch als Mitstreiter bei dem großen Erlösungskampfe thätig gewesen; indessen — Machen Sie sich darüber keine Sorge, versetzte der Baron, mich unterbrechend; Jeder in seinem Beruf! Wir haben Soldaten genug, und ich zweifle nicht, daß der Krieg in wenigen Monaten beendigt sein wird, Napoleon's Mittel sind erschöpft, unsre Armeen sind ihm um das Sechsfache überlegen. Und wo lebten Sie seit Ihrer Entlassung aus dem Gefängniß? fragte er nach einer Pause. Hier in der Gegend, versetzte ich, beim Amtmann O. in der bescheidenen Stellung eines Hauslehrers. Ah! das ist merkwürdig. Haben wir noch weit bis dahin? Höchstens noch eine Viertelstunde — wir müssen gleich den Giebel des Hauses erblicken. Fahren Sie denn zu dem Amtmann? Ja, ein wichtiges Geschäft führt mich zu ihm. Wie ist der Mann beschaffen? Ich zuckte die Achseln. Er soll ein Menschenfeind, ein verdrießlicher alter Kauz sein, wenig umgänglich. Nun, Sie wollen nicht schlecht von ihm reden; Sie leben unter seinem Dache — Offen gesagt, Herr Baron, ich bin mit ihm zerfallen und hatte eben sein Haus verlassen, als wir uns so wunderbar begegneten. Mein Urtheil würde daher leicht parteiisch ausfallen. Die Gesinnung eines Ehrenmannes! — Gut denn, schweigen wir von dem Amtmann. Aber das können Sie mir beantworten: lebt in dem Hause eine junge Dame, ein Fräulein von Halden? Ich bejahte in der lebhaftesten Bewegung; die Frage hatte mich zu sehr überrascht. In welcher Beziehung stand der Baron zu dem Fraulein? Dieser bemerkte meine Bewegung und fixirte mich scharf. Weiß die Dame bereits den Tod ihres braven Vaters? fragte er zögernd. Ja, schon seit längerer Zeit. Wenn Sie wüßten, wie sie ihn betrauert! Fühlt sie sich übrigens in dem Hause des Amtmanns glücklich? Ich glaube — oder ich weiß vielmehr — nein. Ich bin fest entschlossen, sie um jeden Preis aus jenem Hause zu befreien. Hoho! Mit welchem Recht? Mit dem Rechte der Humanität — der Nächstenliebe. Sie müssen mich dabei unterstützen. Klären Sie mich auf! Ich bin dazu bereit. Doch zuvor, Herr Ba- ron, in welchem Verhältniß stehen Sie zu dem Amtmann! Bis jetzt in gar keinem. Ich hab' ihn nie gesehen. Aber — Fräulein von Halden — kennen Sie? Ich habe sie vor Jahren einmal als Kind im Hause ihres Vaters gesehen. Er war mein langjähriger Kamerad. O, dann bin ich Ihres Beistandes gewiß. Sie werden die Tochter Ihres Waffenbruders nicht in den Händen eines Tyrannen lassen, der — Der? — Warum reden Sie nicht weiter? Mißtrauen Sie mir? Nein, nein! Sie sollen Alles wissen! Ich schilderte ihm nun die völlige Vereinsamung, in welcher das Fräulein bei Herrn O. lebe, wie sie, abgeschnitten von allem geselligen Verkehr, lediglich auf den Umgang des für alle edleren Interessen unempfänglichen Hausherrn angewiesen, in einem Dasein ohne Reiz und Anregung verkümmern müsse, ich deutete ihm endlich auch die Heirathspläne des Amtmanns, jedoch lediglich als eine Vermuthung an. Schon gut, sagte der Baron lächelnd, wir werden sehen, was zu thun ist. Indessen, wer weiß? vielleicht geht das Fräulein auf die Wünsche des alten Herrn ein? Man hat Fälle, — O nimmermehr! Glauben Sie das nicht. Das Fräulein würde erschrecken, wenn sie die Absichten des Amtmanns je ahnen sollte! Ei, ei, was hat Sie dessen so gewiß gemacht? fragte er, mich scharf ansehend. Die vollständige Verschiedenheit der Charaktere; wenn Sie Herrn O. eine Viertelstunde lang beobachtet haben, werden Sie mir gewiß beistimmen. Nun wohl, wenn dem so ist, wird die junge Dame noch heute sein Haus verlassen. Ich fürchte, das wird nicht so leicht zu bewirken sein. Seien Sie unbesorgt; ich werde die Prinzessin aus der Drachenhöhle erlösen — auch ohne das Horn des Hüon zu besitzen. — Doch nun zu Ihren eigenen Angelegenheiten, mein wackerer Freund! Würden Sie mit einer Landpfarre vorlieb nehmen? Landpfarre? — Vorlieb nehmen? stammelte ich; Sie scherzen, Herr Baron! Nein! ich gönnte Ihnen lieber eine Professur, oder ein höheres Kirchenamt, wo Sie Ihr Licht besser leuchten lassen konnten, als vor einer Dorfgemeinde. Indessen, vor der Hand, meinte ich — Mein Gott! die bescheidenste Landpfarre würde mich zum glücklichsten Menschen machen! Vortrefflich! In der Nahe meines Gutes ist eine eröffnet, welche Graf S. als Patronatsherr zu vergeben hat. Ich habe mich schon bei dem Grafen für Sie verwandt; als ich, ihm Ihr edles Benehmen in jener denkwürdigen Nacht erzählte, war die Sache im Reinen. Aber lesen Sie denn keine Zeitung? — Seit drei Wochen ruf' ich Ihnen in sechs öffentlichen Blättern ein flehentliches „Samiel, erscheine!“ zu, und Sie lassen nichts von sich hören. Der Baron erschrak fast über die Bewegung, welches dieses neue Glück in mir hervorbrachte. Ich zitterte, wurde blaß und roth und suchte vergebens nach Worten. Aber wurd' ich nicht auch an diesem Tage aus dem Füllhorn der ewigen Gute wie mit einem Frühlingsregen überströmt? — Wenn ich daran denke, staun' ich noch heute, wie viel Freude auf ein Mal der Mensch zu ertragen vermag. Kaum bemerkt' ich, daß wir bereits im Hofe des Amtmanns hielten. Ich gestehe, daß ich eine Anwandlung von Eitelkeit fühlte, so im Triumph dort wieder zu erscheinen. Sie gehen mit mir, sagte der Baron, ich wünsche bei der Verhandlung mit Herrn O. einen Zeugen zu haben. Der im Hofe stehende Kutscher des Amtmanns, welcher eben seine Pferde ausgespannt hatte, starrte uns verwundert an. Der Baron gab ihm eine Visitenkarte mit dem Auftrag, er lasse den Amtmann um eine kurze Unterredung ersuchen. Diese Meldung stärte, wie ich später erfuhr, Herrn O., welcher, von seiner Schlittenfahrt bereits zurückgekehrt, beim Frühstück saß, in einer an Fräulein von Halden gerichteten Rede, welche von meiner Abreise beginnend zu einer Zergliederung meines Charakters im Allgemeinen und meiner „gewissenlosen“ Handlungsweise im Besondern überging, dann meine armseligen Verhältnisse und die Unmöglichkeit ausführte, daß ich je zu einer anständigen Versorgung gelangen konnte. Er war gerade bei der näheren Begründung dieses letztern Punktes, als ihm die Karte und Bestellung des Barons überbracht wurde. Was will der Mann von mir? Ich kenn' ihn nicht, sagte der Amtmann. Der Name ist mir bekannt, rief das Fräulein, es ist ein alter Freund meines seligen Vaters. Der Amtmann entfernte sich. Herr Friedmann ist auch wieder mit angekommen, bemerkte der Kutscher. Was? wie kommt Der hierher? Im Wagen des Barons. Ich will von Beiden nichts wissen, rief der Amtmann heftig; sie sollen sich packen, ich bin nicht zu Hause. Aber ich, sagte das Fräulein sich erhebend mit fester Stimme, ich will den Freund und Waffenbruder meines Vaters sehen; ich glaube ein Recht dazu zu haben. Das haben Sie allerdings, mein Fräulein, sagte der bei diesen Worten mit mir ins Zimmer tretende Baron, und ich bin hier, Sie in diesem, wie in ihren sonstigen Rechten zu vertreten. Er verbeugte sich gegen den Amtmann. Dieser erhob sich und maß den Baron mit einem stechenden Blicke. Mit welchem Rechte, fragte er langsam, mischen Sie sich eigentlich in fremde Familienangelegenheiten? He? Zunächst mit dem Rechte einer langjährigen Freundschaft, welche zwischen dem Vater dieser Dame und mir bestanden. Darauf giebt das Gesetz gar nichts — Freundschaft hat keine legale Wirkungen. Sie haben Recht; und da auch Herrn von Halden diese Bemerkung nicht entging, versäumte er nicht, vor seiner Abreise nach Rußland bei dem königlichen Gericht zu Steinau ein Testament zu deponiren, in welchem er mich für den Fall seines Todes zum Vormund des Fräuleins ernannte. Ein Testament! Vor — mund — lallte der Amtmann und sank wie gelähmt in seinen Sessel zurück. O Gott, es kränkt ihn, rief Fräulein von Halden bewegt; und neben ihm niederknieend ergriff sie die Hand des alten Mannes und suchte ihn zu begütigen. Vormund oder nicht, Onkel, sprach sie, ich werde nie vergessen, was ich Ihnen schuldig bin. Bitte — nehmen Sie Platz, meine Herren, sagte der Amtmann mit einer Handbewegung. Wo ist Johann? Er soll die Pferde des Barons in den Stall bringen! Nicht doch, Herr Amtmann, sagte der Baron, ich gedenke sogleich mit dem Fräulein abzureisen; nach dem Empfange, welcher mir von Ihnen zu Theil wurde, will ich Sie nicht langer belästigen. Entschuldigen Sie mich; bedenken Sie, Herr, wie konnt' ich wissen — Gestatten Sie mir wenigstens einen Blick in das Testament meines Schwagers — Sie werden es dach ohne Zweifel — Mitgebracht haben. Allerdings und zwar in gerichtlich beglaubigter Abschrift. Hier, lesen Sie mit Muße, indessen Sie, gnädiges Fräulein, Ihre Reisevorbereitungen machen werden — nicht so? Die Frage war mit einer herzlichen Höflichkeit betont. Es war der specielle Wunsch Ihres Herrn Vaters, setzte er leise hinzu, daß Sie, sobald es die Umstände erlaubten, dieses Haus mit dem meinigen vertauschen möchten. Die Gründe später! Der Baron hatte in dem Blick seines Auges etwas so Festes und Ehrliches, daß man ihm unwillkürlich folgen mußte. Der edle Mann! rief jetzt Herr O., welcher inzwischen das Testament gelesen, mit pathetischer Stimme. Ja, so war er immer — sanft ruhe seine Asche! Ich könnte weinen, wenn es nicht gegen meine Grundsätze wäre. Sich dann an den Baron wendend, fuhr er fort, Sie werden mir gestatten, von diesem Actenstück eine Abschrift zu nehmen! — Bitte, behalten Sie Platz. Auch Sie, Herr Friedmann. Vor Abend dürfen Sie mich nicht verlassen. Verzeihen Sie, sagte der Baron, wir müssen sofort reisen, um noch bis Abend in Halberstadt zu sein, wo meine Frau das Fräulein voll Sehnsucht erwartet. Meine Frau — herrlicher Ausspruch! mir fiel ein Stein vom Herzen. Ich will es nur gestehen: je mehr ich während der vorhergehenden Scene den Baron in seiner stattlichen Erscheinung, seinem gewandten und ritterlichen Anstand bewundern mußte: je bedenklicher erschien mir die neue über Anna von Halden verhängte Vormundschaft. Bei dem sichtlichen Eifer, welchen er zeigte, das Fräulein so rasch als möglich von dannen zu führen, schien es mir kaum noch zweifelhaft, daß er mit größerer Berechtigung als sein Vorgänger die Heirathsgedanken desselben adoptiren dürfte, und das alte Incidit in Scyllam etc. trat drohend vor meine Seele, als mir jene zwei Worte lieblich ins Ohr tönten und mich von dieser neuen Sorge befreiten. Von nun an erschien mir der Baron erst in seiner wahren Glorie. Doch die Stunde drängt — ich eile zum Schluß. Um die letzterzählten Vorgänge, die mir selbst damals ziemlich dunkel erschienen, zu erklären, muß ich bemerken, daß in früheren Jahren der Major von Halden seinem Schwager, mit dem er sonst nicht sonderlich harmonirte, ein nicht unbedeutendes Capital geliehen hatte, um demselben das durch Kriegsereignisse und Mißwachs überschuldete Gut zu erhalten. Außer den beiden Männern wußte Niemand von jenem Darlehn; insbesondere mit seiner Tochter pflegte der Major nie über seine Geldangelegenheiten zu sprechen. Als er 1807 seinen Abschied genommen, verbrauchte er in den folgenden Jahren trotz seiner mäßigen Lebensweise den Rest seines Vermögens, so daß ihm bei seiner Abreise nach Rußland nur jenes Capital blieb, über welches ihm der Amtmann einen bereits mehrmals Prolongirten Wechsel ausgestellt hatte. Er glaubte es vor der Hand noch bei demselben am besten aufgehoben. Nur ungern bestimmte der Major für die Dauer seiner Abwesenheit das Haus seines Schwagers zum Asyl der zurückbleibenden Tochter. Weit lieber hätte er dieselbe seinem Freunde, dem Baron, anvertraut; da er jedoch die gefahrvolle Lage des Letzteren kannte und sonst keinen passenden Aufenthalt wußte, entschloß er sich zu jener Wahl. Als der Amtmann die Nachricht von dem Tode des Majors erhielt, fand er es nicht passend, mit der tiefgebeugten Waise über Geldangelegenheiten zu reden; er erwähnte daher nichts über jenes Darlehn und ließ sie in dem Glauben, daß ihr Vater kein Vermögen hinterlassen habe. Auch später schien ihm noch immer nicht der passende Augenblick für die betreffende Mittheilung gekommen zu sein, und er gewöhnte sich immer mehr an den Gedanken, daß es am besten sei, das Capital überhaupt nicht zurückzuzahlen. Bei fernerer Ueberlegung fand er, daß sich jene seine Lieblingsidee mit den Pflichten gegen seine Nichte durch seine eheliche Verbindung mit dieser am leichtesten und angenehmsten vereinigen lasse. Er besaß jedoch Menschenkenntniß genug, um sich mit der Eröffnung dieser Absicht nicht zu übereilen. Alle diese Plöne durchkreuzte nun jenes Testament; er hatte nichts von der Errichtung desselben geahnt, da er seinen Schwager zu der Classe der „unpraktischen Charaktere“ zählte, wohin er alle Menschen zu rechnen pflegte, die ihre Lebensthätigkeit idealen Interessen widmen und gar dafür Opfer bringen konnten. Er dachte nun im ersten Schreck nicht anders, als daß dem Vormund des Fräuleins freie Hand gegeben sein wurde, jenen Wechsel sofort gegen ihn geltend zu machen — was ihn trotz seiner günstigen Verhältnisse in der That in einige Verlegenheit gesetzt haben wurde. Mit aufrichtiger Rührung erfüllte ihn daher bei Lesung des Testaments eine darin enthaltene Bestimmung, nach welcher hinsichtlich der Rückzahlung des Capitals mit möglichster Schonung für die Interessen des Amtmanns verfahren werden sollte. Dem Wunsche des Barons gemäß beschleunigten wir unsere Abreise. Das Fräulein umarmte ihren Oheim mit aufrichtiger Rührung. Ja, ja, sagte dieser, es ist traurig, daß du liebes Kind so von meiner Seite gerissen wirst; du fühltest dich so glücklich in diesem Hause. Nun, ich hoffe, du wirst den Weg dahin nicht vergessen und mit Erlaubniß deines Vormundes von Zeit zu Zeit mich besuchen. Und Sie, Herr Candidat, sprach er, sich zu mir wendend, wollen mich also auch verlassen? — Hätte man dies Alles voraussehen können, so könnten wir noch lange zusammenbleiben. Es thut mir wirklich leid. — Es ist das Beste so, versetzt' ich trocken. Im Wagen kam ich dem Fräulein gegenüber zu sitzen; ich fühlte mich lebhaft an jene frühere Reise erinnert, wo wir uns zum ersten Mal so einander gegenüber fanden. Auch damals waren die Felder mit Schnee bedeckt, und der kalte Nordwind fauste um die Wagenfenster, es war dieselbe Tageszeit; die Däm- merung brach allmählich herein — wie ähnlich, und doch wie verändert! Die Gespräche im Wagen waren freilich auch diesmal traurig ernster Natur; der Baron mußte dem Fräulein von ihrem Vater und den näheren Umständen seines Endes erzählen; die Dunkelheit verbarg ihre Thränen. Ziemlich spät am Abend erreichten wir Halberstadt, wo wir in einen ansehnlichen Gasthof einfuhren. Die Baronin, eine noch hübsche Frau von einnehmenden Gesichtszügen, empfing uns und war anfangs über meine Erscheinung nicht wenig erstaunt; aber kaum hatte der Baron meinen Namen genannt, als sich in ihrem Antlitz die freudigste Ueberraschung malte, und sie mich mit der aufrichtigsten Theilnahme als den Retter ihres Gemahls begrüßte. Ich war nicht sein Retter, gnädige Frau, versetzte ich gerührt; mein ganzes Verdienst beschränkt sich darauf, daß ich nicht sein Verräther werden wollte. Aber der Baron ist heute in der That mein Retter gewesen. Sie wünschte Aufklärung über die letzte Andeutung; aber ich verschob solche auf eine passendere Zeit. Nach einem vergnügten Souper, bei welchem der Baron viel von dem Kriege in Rußland und von der furchtbaren Kälte jenes verhängnißvollen Winters daselbst erzählte, während das Knistern und Prasseln in dem geräumigen Windofen zu seinen Schilderungen eine angenehme Begleitung bildete, zogen sich die Damen zurück. Ich wollte mich nun ebenfalls verabschieden; mein tapferer Freund bestand aber darauf, noch einige Flaschen mit mir zu leeren. Am andern Morgen wollte ich von diesen mir so theuer gewordenen Personen Abschied nehmen, um nach meiner Heimath zu reisen und meiner Mutter das mir wiederfahrene Glück zu verkünden. Das geht nicht, sagte der Baron; Ihren kind- lichen Gefühlen alle Ehre — aber ich muß darauf dringen, daß Sie vor der Hand erst mit mir nach meinem Gute und von da zum Grafen fahren, um ihn Persönlich von der Annahme der für Sie bestimmten Pfarre zu benachrichtigen. Nebenbei besehen wir uns mit Muße das Pfarrhaus und die Kirche; Sie machen die Bekanntschaft Ihrer künftigen Gemeinde — und dann mögen Sie mit Gott heim reisen, um bald auf längere Zeit zu uns zurückzukehren. Ich folgte seinem Rathe; nachdem ich einen Brief an meine Mutter auf die Post gegeben, fuhren wir dem Gute des Barons zu, wo wir gegen Abend anlangten. Mit welchen Gefühlen betrat ich jene Schwelle und die breite Hausflur! — die braunen Hirschköpfe an den Wanden schienen mir freundlich zuzunicken als alte Bekannte; auch der Goliath erschien, ganz wie damals, mit dem mächtigen Armleuchter in der Hand, um uns in steifer Haltung vorauszuschreiten. Bei meinem Anblick spielte um seine Lippen ein wohlgefälliges Lächeln, welches jedoch gleich wieder in dem feierlichen Ernst seiner Miene verschwand. Ich bat mir als besondere Gunst aus, auf demselben Zimmer einquartiert zu werden, auf welchem ich bei meinem früheren Besuch übernachtet — oder vielmehr nicht übernachtet hatte. Als mich der Baron selbst dahin führte, fragte er plötzlich: Aber nun, zum Henker! erklären Sie mir, wie Sie in jene Scheune gelangten, wo ich Ihnen beinah auf den Kopf sprang — ich habe mir das immer nicht erklären können. Ich machte ein ziemlich verlegenes Gesicht zu dieser Frage und suchte anfangs Ausflüchte; dann aber gestand ich meinem Gastfreund offen den wahren Zusammenhang und meine lächerliche Vorsicht, die mir so verhängnißvoll werden sollte. Er lachte recht herzlich darüber. Und damit Sie nicht wieder, sagte er, eine schlaflose Nacht unter meinem Dache zubringen, will ich sogleich jene Ihnen so unheimliche Thür verschließen und, wenn Sie es wünschen, vernageln lassen. Nicht doch, versetzt' ich eifrig, ich weiß ja nun nach eigener Erfahrung, was dahinter ist, und werde sicherlich keine neue Entdeckungsreise in jenes Gebiet unternehmen. Außerdem haben die Begebenheiten jener Nacht mich von meiner Furchtsamkeit geheilt; ich weiß jetzt: Niemand entgeht seinem Schicksal. Ein wahres Wort, erwiderte der Baron, und man konnte mir Diderot's Jaques le fataliste sagen: Es stand dort oben geschrieben, daß Sie nicht in diesem Bette schlafen, daß Sie in einem Heuschober übernachten und aus demselben ins Gefängniß wandern sollten. — Nun, ich lobe jetzt die Wanderung; hat sie mich doch ans Ziel meiner Wünsche geführt. Wir umarmten uns herzlich und kehrten zu den Damen zurück. Soll ich noch erzählen, wie wir Tags darauf zu dem Grafen S. fuhren, wie derselbe mich überaus gütig empfing und das dem Baron gemachte Versprechen erneuerte? — Es genüge, daß ich nach einigen Wochen als ordinirter Prediger mit meiner überglücklichen Mutter in dem freundlichen Pfarrhause zu —dorf saß. Der Baron hatte dasselbe in meiner Abwesenheit aufs Herrlichste in Stand setzen lassen; es war weit stattlicher und größer als das, welches ich mir in meinen Träumereien erbaut hatte. Auch war ein kühler, schattiger Garten dahinter mit einer Laube, zwar nicht von Geisblatt, aber von andern, auch ganz artigen Schlinggewächsen. Und als ich an einem schönen Maimorgen neben meiner Mutter in besagter Laube am Kaffeetisch saß und die Predigt für den nächsten Sonntag meditirte, da fehlte mir wirklich nichts mehr, um der glücklichste Erdbewohner zu sein. Doch nein, Etwas fehlte mir noch. Das bewiesen schon die häufigen Spaziergange, welche ich oft beim schlechtesten Wetter, nach dem Schlosse des Barons machte; aus meiner Verehrung und Freundschaft für ihn ließen sie sich nicht Wohl erklären, seitdem er aus längere Zeit in Geschäften verreis't war. Als er zurückgekommen, hatten wir ein langes Gespräch unter vier Augen, in welchem wir uns Beide ein wenig ereiferten: der Baron war nicht ganz frei von Adelsvorurtheilen; trotzdem rief er am Schlusse der Unterredung: Wohlan, das Mädchen mag selbst entscheiden; im Grunde gönn' ich sie Ihnen ja vom Herzen. Und wenn es dort oben geschrieben steht, daß Anna von Halden und der Landprediger von Neu-Wakefield ein Paar werden sollen, so läßt sich nichts dagegen machen, und dem zuletzt gefragten Vormund bleibt nichts übrig, als sein Jawort zu sprechen. Und es stand allerdings oben geschrieben; und als ich einige Wochen später in der gedachten Gartenlaube zu Dreien saß, ohne an die Predigt für den nächsten Sonntag zu denken, — da fehlte mir wirklich nichts mehr. Mit diesen Worten endigte der Pastor seine Erzählung, während draußen der Wächter die zwölfte Stunde rief. Und was ist aus dem Referendar geworden? fragte der Major. Er starb vor einigen Jahren als Regierungsrath! Und von dem Amtmann haben Sie wohl nichts weiter gehört? Nur, daß er in derselben Woche, als ich Hochzeit hielt, seine Verbindung mit der „Mamsell“ feierte, bei welcher Gelegenheit sich der Verwalter stark betrunken haben soll. Und diese ganze Geschichte wäre wahr? fragte Fräulein Antonie. Nein, nein, Herr Pastor, ich kann es nicht glauben; es fügt sich Alles darin zu wunderbar glücklich, um baare Wirklichkeit zu sein; ich habe Sie in Verdacht, daß Sie uns einen Roman erzählten! Ich weiß nicht, ob Ihr Verdacht für meine Erfindungsgabe schmeichelhaft ist. Uebrigens steht Ihnen frei, meine Gattin darüber zu examiniren, sobald sie von ihrer Badereise zurück sein wird. Und sollte wirklich hie und da ein Körnchen Dichtung mit untergelaufen sein, so beruf' ich mich auf das Wort unsers größten Dichters: Giebt's ein Gespräch, wenn wir uns nicht betrügen, Mehr oder weniger versteckt? — So ein Ragout von Wahrheit und von Lügen, Das ist die Kocherei, die mir am besten schmeckt. Aber ich glaube, es wird Zeit sein, aufzubrechen.
https://www.deutschestextarchiv.de/book/show/abel_leibmedicus_1699
Heinrich Caspar Abel (GND, Wikipedia, ADB/NDB)
Wohlerfahrner Leib-Medicus Der Studenten
1699
350,405
" D. Henrici Caſparis Abelii, Wohlerfahrner Leib-Medicus Der Studenten, welcher So wohl allen auf S(...TRUNCATED)
https://www.deutschestextarchiv.de/book/show/abelinus_theatrum_1635
Johann Philipp Abelin (GND, Wikipedia, ADB/NDB)
Theatrum Europaeum
1635
7,583,630
" THEATRVM EVROPAEVM, Oder Außführliche / vnd Warhafftige Beschrei- bung aller vnd jeder denckwür(...TRUNCATED)
https://www.deutschestextarchiv.de/book/show/abschatz_gedichte_1704
Hans Assmann von Abschatz (GND, Wikipedia, ADB/NDB)
Poetische Ubersetzungen und Gedichte
1704
1,038,196
" Herrn Hannß Aßmanns Freyherrn von Abſchatz/ Weyl. geweſenen Landes-Beſtellten im Fuͤrſtenth(...TRUNCATED)
https://www.deutschestextarchiv.de/book/show/achenwall_staatswissenschaft_1749
Gottfried Achenwall (GND, Wikipedia, ADB/NDB)
Abriß der neuesten Staatswissenschaft der vornehmsten Europäischen Reiche und Republicken
1749
394,110
" Gottfried Achenwalls auſſerord. Lehrers der Weltw. zu Goͤttingen Abriß der neueſten Staatswi(...TRUNCATED)
https://www.deutschestextarchiv.de/book/show/adams_elektricitaet_1785
George Adams (GND, Wikipedia, ADB/NDB)
"Versuch über die Elektricität, worinn Theorie und Ausübung dieser Wissenschaft durch eine Menge (...TRUNCATED)
1785
488,661
" Verſuch über die Elektricität, worinn Theorie und Ausübung dieſer Wiſſenſchaft durch eine (...TRUNCATED)
https://www.deutschestextarchiv.de/book/show/berthold_irrwischfritze_1910
Reinbold Adelheid (GND, Wikipedia, ADB/NDB)
Irrwisch-Fritze
1910
156,961
" Deutscher Novellenschatz. Herausgegeben von Paul Heyse und Hermann Kurz. Band 4 Berlin Globus Verl(...TRUNCATED)
https://www.deutschestextarchiv.de/book/show/adler_studie_1907
Alfred Adler (GND, Wikipedia, ADB/NDB)
Studie über Minderwertigkeit von Organen
1907
237,974
" STUDIE ÜBER MINDERWERTIGKEIT VON ORGANEN Von DR. ALFRED ADLER (WIEN). URBAN & SCHWARZENBERG BERLI(...TRUNCATED)
https://www.deutschestextarchiv.de/book/show/adler_frauen_1906
Emma Adler (GND, Wikipedia, ADB/NDB)
Die berühmten Frauen der französischen Revolution 1789–1795
1906
549,009
"EMMA ADLER DIE BERÜHMTEN FRAUEN DER FRAN- ZÖSISCHEN REVO- LUTION 1789—1795 MIT 9 PORTRÄTS WIEN(...TRUNCATED)
https://www.deutschestextarchiv.de/book/show/386427
Christian Adolph (GND, Wikipedia, ADB/NDB)
"Daktulion (he)pomnematikon (gr.) sive Annulus monitorius [...] Geistlicher GedenckRing/ mit zweyen (...TRUNCATED)
1641
108,329
"Δακτύλιον ὑπομνηματικόν ſive Annulus monitorius, Junctis dextris adumbrans (...TRUNCATED)
YAML Metadata Warning: empty or missing yaml metadata in repo card (https://huggingface.co/docs/hub/datasets-cards)

🇩🇪 German Public Domain 🇩🇪

German-Public Domain or German-PD is a large collection aiming to aggregate all German monographies and periodicals in the public domain. As of March 2024, it is the biggest German open corpus.

Dataset summary

The collection contains 260,638 individual texts making up 37,650,706,611 words recovered from multiple sources, including Internet Archive and various European national libraries and cultural heritage institutions. Each parquet file has the full text of 2,000 books selected at random.

Curation method

The composition of the dataset adheres to the criteria for public domain works in the EU and, consequently, all Berne-countries for EU authors: any publication whose author is dead for more than 70 years. Additionally, the initial consolidation of public domain status for cultural heritage operates in the EU under the 2019 Copyright Directive (art. 14).

Uses

The collection aims to expand the availability of open works for the training of Large Language Models. The text can be used for model training and republished without restriction for reproducibility purposes.

The rationales for creation of this collection are multifold:

  • Scientific: We observe that the closure of training corpora represents a major barrier to AI research. Large language models face a real crisis of reproducibility.
  • Legal: With the adoption of the AI Act with its obligations in terms of copyright law compliance for the pretraining corpora, the European AI ecosystem will have to change its provenance practices.
  • Cultural: The linguistic diversity of the European Union is currently underrepresented. Unlike web archives, open, heritage, administrative, or scientific texts are often of high quality: they are long, multilingual, and editorialized publications.
  • Economical: Today, value capture is concentrated on players whose financial resources are already considerable, allowing them to collect or purchase data at a high price. Making a royalty-free corpus available to as many people as possible frees innovation in uses and minimizes economic dependencies on dominant actors.

License

The entire collection is in the public domain in all regions. This means that the patrimonial rights of each individual or collective right holders have expired.

There has been a debate for years in Europe over the definition of public domain and the possibility to restrict its use. Since 2019, the EU Copyright Directive states that "Member States shall provide that, when the term of protection of a work of visual art has expired, any material resulting from an act of reproduction of that work is not subject to copyright or related rights, unless the material resulting from that act of reproduction is original in the sense that it is the author's own intellectual creation." (art. 14)

Future work

This dataset is not a one-time work but will continue to evolve significantly in three directions:

  • Expansion of the dataset to the late 19th and early 20th century works and its further enhancement with currently unexploited collections coming from European patrimonial data repositories.
  • Correction of computer generated errors in the text. All the texts have been transcribed automatically through the use of Optical Character Recognition (OCR) software. The original files have been digitized over a long time period (since the mid-2000s) and some documents should be. Future versions will strive either to re-OCRize the original text or use experimental LLM models for partial OCR correction.
  • Enhancement of the structure/editorial presentation of the original text. Some parts of the original documents are likely unwanted for large scale analysis or model training (header, page count…). Additionally, some advanced document structures like tables or multi-column layout are unlikely to be well-formatted.

Acknowledgements

The corpus was stored and processed with the generous support of Scaleway. It was built up with the support and concerted efforts of the state start-up LANGU:IA (start-up d’Etat), supported by the French Ministry of Culture and DINUM, as part of the prefiguration of the service offering of the Alliance for Language technologies EDIC (ALT-EDIC).

Corpus collection has been largely facilitated thanks to the open science LLM community insights, cooperation and support (Occiglot, Eleuther AI, OpenLLM France, Allen AI).

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Collection including PleIAs/German-PD