title
stringlengths 0
568
| content
stringlengths 1
531k
| author
stringlengths 0
41
| description
stringlengths 0
1.61k
| keywords
listlengths 1
12
| category
stringclasses 148
values | news_type
stringclasses 2
values | datePublished
stringlengths 0
25
| dateModified
stringlengths 0
25
| url
stringlengths 24
475
|
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Industrie 4.0: Wenn ich mit euch fertig bin, seid ihr Joghurt
|
Softwareagent an Glas: Mach Granatapfel-Zitrone-Joghurt Zur Vorbereitung auf die nächste industrielle Revolution haben einige Universitäten beschlossen, gemeinsam Joghurt zu produzieren. Auf einer Webseite der Universität Stuttgart darf man seinen Wunschjoghurt zusammenstellen . Es stehen vier Rahmstufen zur Auswahl, zwanzig Fruchtsorten sowie diverse Toppings wie Streusel und Müsli. Die Kunden können zwischen biologischer, lokaler und CO₂-reduzierter Produktion wählen, Frucht oben, unten oder gemischt, Verpackung aus Plastik oder Glas, insgesamt gibt es rund elf Millionen Kombinationsmöglichkeiten. Gut möglich also, dass das bestellte Exemplar ein Unikat wird. Ein Granatapfel-Zitrone-Sahnejoghurt mit Schokostreuseln und auf Sonderwunsch Chiliflocken zum Beispiel. Bestellung absenden? Klick. Das Besondere an diesem Joghurt ist, dass anschließend nicht Menschen, sondern Softwareagenten miteinander kommunizieren. Ein Einkaufsagent nimmt die Bestellung auf; Koordinationsagenten der Fabriken verhandeln, wer den Auftrag bekommt; Produktionsagenten in der Fabrik organisieren die Herstellung. Auf dem Glas klebt ein Mikrochip, der den Joghurt mit dem Netz verbindet. Unterwegs durch die Fabrik kommuniziert er mit Robotern und Abfüllmaschinen. Es geht dabei nicht wirklich um Joghurt. Die Universität Stuttgart will mit anderen zeigen , wie die Fabrik der Zukunft funktionieren könnte, die smarte Fabrik. Es geht um das nächste große Ding: die digitalisierte, vernetzte industrielle Produktion. Maschinenbau trifft Big Data. In der Autoproduktion sollen autonome Roboter Seite an Seite mit Menschen arbeiten, nicht mehr im Sicherheitskäfig. Werkzeugmaschinen sollen dank unzähliger Sensoren und Messdaten besser vorhersagen, wann sie eine Wartung brauchen. Und die Arbeiter laufen künftig mit Tabletcomputern durch die Fabrik wie Mr. Spock durch das Raumschiff Enterprise. "Technik als Motor positiver Visionen? Das hatten wir lange nicht mehr", sagt die Industriesoziologin Sabine Pfeiffer von der Universität Hohenheim. "Seit Jahrzehnten kam Technik als Veränderungsinstanz fast nur ins öffentliche Bewusstsein, wenn es um ihre bedrohlichen Nebenfolgen ging." Nun aber scheine sie wieder "Auslöser eines großen und alle gesellschaftlichen Bereiche berührenden Prozesses zu sein". Die Deutsche Akademie der Technikwissenschaften (acatech) hat schon mal die "vierte industrielle Revolution" ausgerufen . Die erste Revolution datieren die Techniker auf das Ende des 18. Jahrhunderts, als mechanische Produktionsanlagen, angetrieben von Dampf- und Wasserkraft, viel Handarbeit ersetzten; die zweite Revolution ging um 1900 mit Fließbandarbeit und Massenproduktion einher. Die dritte Revolution war die Computerisierung der Maschinen ab 1970. Und als Nächstes steht die Vernetzung der Maschinen an. Deshalb reden Politiker, Ökonomen und Verbände hierzulande von "Industrie 4.0". Nun diskutieren Arbeitskreise im ganzen Land: Was bedeutet die große Digitalisierung für die Kunden? Für die Arbeiter und Angestellten? Für die Unternehmen? Für den Standort Deutschland und, nun ja, für den Kapitalismus? Produktionsagent an Abfüllung: Arbeitest du heute? Könnten wir hören, wie die Maschinen miteinander reden, würden wir ein anschwellendes Getöse vernehmen: Im Jahr 2012 waren erstmals so viele Dinge – Spielzeug, Rauchmelder, Maschinen – mit dem Internet verbunden, wie es Menschen auf der Erde gibt, im Jahr 2020 sollen es 50 Milliarden Dinge sein. Ihre elektronischen Kleinhirne speisen Daten ins Netz und empfangen Steuerungsbefehle. Das ist das Internet der Dinge , und es wird in der vernetzten Industrie auf Anlagen wie Werkzeugmaschinen, Lackierautomaten und Milchmaschinen erweitert, oft ist von "cyberphysikalischen Systemen" die Rede. Anlagen und Werkzeugmaschinen sind zwar heute schon computergesteuert. Neu ist, dass sie in der vernetzten Fabrik miteinander Kontakt aufnehmen. Jede Maschine wird in der Cloud von einem digitalen Zwilling repräsentiert. Die Zwillinge kommunizieren miteinander in der virtuellen Fabrik. Abfüllanlage an Produktionsagent: Ich bin heute mit Sahnejoghurt beschäftigt und habe noch 900 Liter davon vorrätig; in zehn Tagen werde ich wegen Wartungsarbeiten sechs Stunden lang pausieren. "Jede Maschine hat zwar ein eigenes Steuerungssystem und eine eigene Sprache", sagt Birgit Vogel-Heuser von der Technischen Universität München, "aber der jeweilige Softwareagent ist eine Art Übersetzer. Deshalb können wir auch Altanlagen ertüchtigen." Ein Familienbetrieb muss also keine nagelneuen Industrie-4.0-Geräte kaufen. Stattdessen kann er seine altbewährten Anlagen mithilfe neuer Software aufrüsten, sodass sie mit anderen Maschinen und Softwareagenten kommunizieren können. Das ist ungefähr so, wie wenn die Großeltern anfangen zu skypen. Vogel-Heuser leitet den Lehrstuhl für Automatisierungstechnik und koordiniert das myJoghurt-Forschungsprojekt, sie redet von Maschinen wie von Menschen. Sie sagt: "Die Softwareagenten vertreten die Interessen der Maschinen."
|
Max Rauner
|
Achtung, Achtung: Die Arbeitswelt steht vor einem dramatischen Umbruch. Denn Maschinen und Dinge reden miteinander. Was haben wir davon? Ein schöneres Leben?
|
[
"Industrie",
"Roboter",
"Produktion",
"Automation",
"Technik",
"Fabrik",
"Arbeit"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2016-01-04T19:28:08+01:00
|
2016-01-04T19:28:08+01:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2016/01/industrie-4-0-kuenstliche-intelligenz-maschinen/komplettansicht
|
Kosmologie: Im Kosmos haust ein Gespenst
|
Basislager Gehen Sie erst los, wenn Sie die folgenden Grundlagen in Ihren Rucksack gepackt haben Kaum ein Panorama ist so spektakulär wie der Anblick des Nachthimmels über dem wolkenlosen Ozean oder der Wüste. Vom Ost- zum Westhorizont spannt sich das funkelnde Band der Milchstraße , stehen unzählige Sterne am Firmament. Anders als in den vergangenen Jahrtausenden rätseln wir nicht mehr, was diese Lichter bedeuten. Manche mögen noch daran glauben, dass sie unser Schicksal beeinflussen. Aber auch sie wissen, dass es sich bei vielen um heiße Sonnen handelt – gewaltige Fusionsreaktoren, die unablässig enorme Mengen Wasserstoff verbrennen und dabei Helium und ein paar andere leichtere Elemente produzieren und elektromagnetische Strahlung: das Licht. Hinter manchem Lichtpunkt verbirgt sich sogar eine ganze Galaxie, ähnlich unserer Milchstraße, nur zu weit entfernt, als dass wir die Ausdehnung mit bloßem Auge erkennen könnten. Die Bahnen der Gestirne lenkt die Schwerkraft, die Isaac Newton in seinem Gravitationsgesetz 1686 erstmals mathematisch beschrieb. Albert Einstein erweiterte Newtons Erkenntnisse 1915 zur Allgemeinen Relativitätstheorie . Während Newton noch glaubte, Raum und Zeit seien überall im Weltall gleich und unveränderlich – also "absolut" –, korrigierte Albert Einstein dieses Bild: Der Raum wird durch Sterne und Planeten in deren Nachbarschaft "gekrümmt". So wie die Oberfläche einer Matratze durch eine Eisenkugel, die auf ihr liegt, eingedellt wird. Und die Zeit verstreicht nicht überall im Universum gleich schnell. Raum und Zeit sind relativ. Astronomen und Astrophysiker können nicht zu anderen Sternen reisen, um sie aus der Nähe zu inspizieren. Sie können auch keine Experimente mit kosmischen Objekten machen. Stattdessen erspähen sie mit Teleskopen die bei uns ankommende elektromagnetische Strahlung: Licht, Radiowellen, Mikrowellen. Was diese über das Gefüge des Weltalls verrät, müssen die Forscher aus deren Farbe, Wellenlänge und Helligkeit schließen. Weil die Strahlung zum Teil vor Jahrmilliarden ausgesandt wurde, ist die Vermessung des Himmels zugleich ein Blick in die Vergangenheit des Universums.
|
Niels Boeing
|
Woraus besteht unser Universum? Wer diese Frage nur ansatzweise beantworten will, muss einen Berg aus Informationen erklimmen. Willkommen auf dem Pfad der Kosmologie
|
[
"Urknall",
"Kosmologie",
"Astronomie",
"Weltraum",
"Weltall",
"Hubble",
"Materie",
"Weltraumteleskop",
"Kosmos",
"Gravitation"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2016-02-24T11:42:14+01:00
|
2016-02-24T11:42:14+01:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2016/01/kosmologie-astronomie-hubble-weltraumteleskop-weltall/komplettansicht
|
Nahtoderfahrung: Weiterleben nach 40 Minuten Tod
|
Dass wir damit begannen, dem Tod in seinen Auftritt zu pfuschen, ist noch keine 60 Jahre her. Bis dahin war der Tod eine Grenze, und wer diese überschritt, kam nicht mehr zurück. Die Grenze war in dem Augenblick erreicht, in dem das Herz aufhörte zu schlagen. Bum-bum, bum-bum, bum-bum – Ende. Im Jahr 1957 veröffentlichte der österreichisch-amerikanische Arzt Peter Safar ein Buch, das das Leben von Tausenden Menschen verlängern sollte. Im ABC of Resuscitation beschrieb er, wie man jemanden nach einem Herzstillstand durch Herzdruckmassage, Beatmen und Freihalten der Atemwege wiederbeleben konnte. Zum ersten Mal waren Ärzte nun in der Lage, vermeintlich Toten das Leben zurückzugeben. Safars Erkenntnisse, anfangs mit Skepsis aufgenommen, stießen einen fundamentalen Wandel in unserem Verständnis vom Tod an. An der Grenze zwischen Leben und Tod war plötzlich ein Übergang. Zwischen Weiß und Schwarz öffnete sich ein Streifen Grau. Mediziner wie Laien begannen zu begreifen, dass der Tod kein Moment ist, sondern ein Prozess , der sich aufhalten und sogar rückgängig machen lässt. Ärzte verlängern heute durch Kühlung, Maschinen und Medikamente die Zeit, in der eine Wiederbelebung glücken kann. Vielleicht werden sie bald in der Lage sein, Menschen, die schon mehrere Stunden tot sind, wieder ins Leben zurückzuholen. Das wirft Fragen auf. Wenn Menschen vom Tod zurückkommen, was sagt das über die Zwischenzeit aus? Was geschieht in der Phase des Totseins mit dem, was uns ausmacht? Wo ist unser Bewusstsein, wenn wir sterben? Schon Platon und Aristoteles stritten darüber, ob der Geist vom Körper erschaffen wird oder ob er unabhängig von ihm existiert. Philosophen und Theologen können ganze Karrieren auf diese Fragen gründen, Naturwissenschaftler hielten sich lange Zeit davon fern. Doch das ändert sich gerade. Mediziner haben seit einigen Jahren angefangen, sich für das zu interessieren, was nach dem klinischen Tod passiert. Mit ihren Experimenten bereiten sie den Weg, einen uralten Menschheitsglauben zu überprüfen: dass wir mehr sind als nur Fleisch und Blut. Joe Tiralosi fühlte sich schlecht, als er an einem heißen Augusttag im Jahr 2009 seine Schicht als Chauffeur in den Straßen New Yorks beendete. Er schwitzte, drehte die Klimaanlage auf und wollte sich auf den Weg nach Hause machen. Doch dafür war er schon zu schwach. Ein Kollege brachte ihn ins nahe gelegene Presbyterian Hospital. In der Notaufnahme brach er zusammen. Sein Herz stand still, das Gehirn arbeitete nicht mehr. Tiralosi war tot. Allerdings war er in einem der besten Krankenhäuser Nordamerikas gestorben. Sofort eilten Krankenschwestern und Ärzte herbei, alle speziell für die Reanimation geschult. Sie schnitten Tiralosis Pullover und Hosenbeine auf. Sie klebten ihm die Elektroden des Defibrillators auf den Brustkorb und legten ihm Eisbeutel unter die Achseln und an den Hals, alles innerhalb rund einer Minute. Dann begannen die Fachkräfte mit der Herzdruckmassage, 100 Kompressionen pro Minute. Sie beatmeten ihn, acht Atemzüge pro Minute. Schockten sein Herz mit 360 Joule. Nach zehn Minuten zeigte Tiralosi noch immer keine Lebenszeichen. Früher lag hier die Grenze, an der Ärzte die Behandlung abbrachen. Die Schäden im Gehirn seien nach zehn Minuten ohne Sauerstoff zu gravierend, als dass der Patient ohne gravierende Probleme weiterleben könne, so die gängige Meinung. Die Ärzte und Schwestern im Presbyterian Hospital machten weiter. Sie wechselten sich mit der Herzdruckmassage ab. Sie spritzten Adrenalin, eine Ampulle nach der anderen. Zwanzig Minuten war Tiralosi jetzt tot. Wieder und wieder schockte das Team sein Herz. Dreißig Minuten ohne Reaktion. Vierzig Minuten. Spätestens jetzt hätten die meisten Ärzte die Reanimation aufgegeben, zu groß ist die Angst, dass das Herz zwar wieder zu schlagen beginnt, aber weite Teile des Gehirns abgestorben sind. Das Team machte weiter. Auf einmal rief eine Schwester aufgeregt: "Ich spüre einen Puls!" Die Erschöpfung wich Euphorie. 47 Minuten lang war Tiralosi nach medizinischen Maßstäben ein Toter gewesen. Nun begann er zurück ins Leben zu kommen. Würde diese Geschichte ein Happy End haben? In den vergangenen 20 Jahren ist das Wissen um die Vorgänge im Körper eines Sterbenden enorm gewachsen. Wird das Herz nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt, hört es zu schlagen auf. Der Kreislauf bricht zusammen. Binnen Sekunden ist der restliche Sauerstoff verbraucht. Ohne Maßnahmen der Wiederbelebung hören dann die Organe auf zu arbeiten. Nach 20 Sekunden verliert der Mensch das Bewusstsein. Die Temperatur auf der Hautoberfläche fällt ab. Das Gehirn funktioniert nicht mehr. Nach fünf Minuten treten aus den Nervenzellen im Hirn Enzyme aus, die irreparable Schäden anrichten. Nach 25 Minuten sterben die Zellen des Herzens, nach 30 Minuten die der Nieren und der Leber. Langsam bilden sich Totenflecken, weil das Blut durch die Schwerkraft nach unten sinkt. Das Lungengewebe beginnt nach ein bis zwei Stunden abzusterben, nach zwei bis vier Stunden setzt die Totenstarre ein, zuerst am Kiefergelenk, nach acht Stunden am ganzen Körper. Magen und Darm arbeiten noch 24 Stunden weiter, bis sie sich aufzulösen beginnen. In der Hornhaut des Auges lassen sich noch nach sieben Tagen lebendige Zellen finden.
|
Fritz Habekuß
|
Liegt jemand nach einem Herzstillstand leblos da, erhöht Kühlen die Chance auf Wiederbelebung. Nur ein Trick, mit dem Mediziner heute Totgeglaubte zurückholen.
|
[
"Wiederbelebung",
"Tod",
"Medizin",
"Arzt",
"Gehirn",
"Herz"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2015-12-08T08:20:58+01:00
|
2015-12-08T08:20:58+01:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2016/01/nahtoderfahrung-sterben-forschung-gehirn/komplettansicht
|
Sport: Laufen Sie den Ultramarathon!
|
Berchtesgadener Alpen, im Juli 2015. Ich quäle mich einen Grashang hoch, den im Winter die Skifahrer hinuntergleiten, die Steigung von 30 Prozent kommt mir fast senkrecht vor. 56 Kilometer und 2.900 positive Höhenmeter bin ich jetzt gelaufen. 44 Kilometer liegen vor mir, mehr als ein Marathon . Und der höchste Gipfel des Tages: der Hochfelln, tausend Meter rauf und dann wieder runter. Auf diesen Beinen mit der gefühlten Stützkraft zweier Dosenspargel? Unmöglich, wenn ich darüber nachdenke. Aber Nachdenken ist gerade nicht meine Stärke. Ist mir eh alles gleich, ich laufe einfach immer weiter. Was tue ich da? Ich versuche, 100 Kilometer am Stück zu Fuß zurückzulegen, die meisten davon im Laufschritt und überwiegend auf holprigen Bergwegen, rauf, runter, rauf, runter, selten flach, über Matsch, Geröll, Wurzeln und Felsen. Manchmal kann ich locker durch die Landschaft traben, manchmal muss ich auf allen vieren eine Felsstufe runterkraxeln. Es ist ein Experiment. Ich möchte einen verborgenen Teil meiner Natur zum Vorschein bringen: den geborenen Läufer. Ich bin Stadtmensch, nehme das Rad zum Supermarkt, die U-Bahn zum Büro und im Urlaub das Auto. So bequem hatten es unsere Urahnen nicht. Sie waren einen großen Teil ihrer Zeit damit beschäftigt, ihren Mahlzeiten hinterherzurennen. Durchschnittlich mehr als 40 Kilometer täglich sollen sie zurückgelegt haben, schätzen manche Anthropologen. Jeden Tag einen Marathon, und das mit der gleichen genetischen Ausstattung wie wir heute. Laufen muss für sie so selbstverständlich gewesen sein wie Atmen. Dass wir Menschen überhaupt sportliches Talent haben, ist eine ziemlich neue Erkenntnis. Verglichen mit anderen Tieren, sind wir nur mittelmäßige Athleten. Wir schwimmen nicht schnell, tauchen nicht tief, springen nicht weit und sind nicht sonderlich stark. Wir sind miserable Sprinter. Lange waren Physiologen überzeugt, dass unser Bewegungsapparat aufs gemächliche Gehen spezialisiert ist. Vor ein paar Jahren jedoch haben die Experten ihre Meinung geändert: Der Biologe Daniel Lieberman von der Harvard University und sein Kollege Dennis Bramble veröffentlichten im Jahr 2004 im Fachblatt Nature eine Studie mit dem Titel Born to run, für die sie die Evolution des menschlichen Körperbaus neu untersuchten und mit dem anderer Primaten verglichen. "Die Fossilienbelege sprechen dafür, dass Dauerlaufen eine abgeleitete Fähigkeit der Spezies Homo ist , die vor zwei Millionen Jahren entstand und womöglich zur Evolution des menschlichen Körpers beitrug", schreiben sie. Unser Lauftalent offenbart sich allerdings erst auf den zweiten Blick. Menschen brauchen ihr ganzes erstes Lebensjahr, um überhaupt erst gehen zu lernen, und ihr ganzes erstes Lebensjahrzehnt, bis sie richtig rennen können. Und selbst dann sprintet uns noch jeder übergewichtige Stadthund davon. Die schnellsten Menschen laufen die 100 Meter in zehn Sekunden. Ein Gepard schafft sie in fünf Sekunden. Pferde und Windhunde halten minutenlang die doppelte Höchstgeschwindigkeit menschlicher Läufer. Aber dann geht ihnen die Puste aus. Auf die Dauer können wir sie alle wieder einholen. Im Langstreckenlauf sind Menschen Weltklasse. "Dauerlauf ist die einzige Sportdisziplin, in der Menschen mit der tierischen Konkurrenz ganz gut mithalten können", sagt Robert McNeill Alexander , Biomechaniker an der Universität Leeds. Für unsere Vorfahren war das eine Frage des Überlebens. Sie erbeuteten ihr Essen, indem sie es müde hetzten. Die Hebelverhältnisse in unseren Beinen, die Spannung und die Elastizität der Sehnen, die Pendel der Arme sind wie für den Langstreckenlauf konzipiert. Unsere Fußgewölbe, einzigartig im Tierreich, und unsere Achillessehnen wirken wie Sprungfedern. Unsere starke Pomuskulatur streckt und stabilisiert die Hüfte. Bei Schimpansen und Hominiden findet man Plattfüße und Hängeärsche. Auch der Neandertaler war mutmaßlich ein schlechterer Läufer. Er kam vor 30.000 Jahren beim Wettrennen ums Mittagessen regelmäßig zu spät und musste Europa schließlich dem Homo sapiens überlassen.
|
Tobias Hürter
|
Sie brauchen noch schnell einen Vorsatz für das neue Jahr? Wie wäre es hiermit: einfach mal 100 Kilometer durch die Alpen rennen.
|
[
"Ausdauersport",
"Körper",
"Marathon",
"Gesundheit"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2015-12-31T15:29:59+01:00
|
2015-12-31T15:29:59+01:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2016/01/sport-marathon-laufen-endorphine-ultramarathon/komplettansicht
|
Weihnachten: So relaxed kann Weihnachten sein
|
Einmal im Jahr findet hierzulande ein großes Psychologieexperiment statt. Es beginnt am 24. Dezember, dauert etwa drei Tage und besteht aus einer explosiven Mischung . Die wichtigsten Bestandteile: überzogene Erwartungen, teure Geschenke und tagelanges Zusammensein mit Menschen, mit denen man gewöhnlicherweise nicht so geballt Zeit verbringt. In der Regel endet es mit der Zerrüttung aller Beteiligten, dem Schwur, nie mehr daran teilzunehmen, und einer Gewichtszunahme von circa 2,3 Kilogramm. Es steht mir nicht zu, das Ganze zu kritisieren; den meisten von uns ist es derart vertraut (und damit lieb), dass wir es sowieso alljährlich unverändert wiederholen. Für all jene, die den Ausgang des Experiments trotzdem ein wenig freundlicher gestalten wollen, hätte ich ein paar Übungen auf Lager. Der entscheidende Vorteil: Diese versuchen nicht, das aberwitzig vertrackte Geflecht von Gefühlen, Missverständnissen und Problemlösungsgesprächen mit ebenso aberwitzig vertrackten Psycho-Gegenstrategien anzugehen. Man kann die Übungen, die ich für Sie habe, mit Leib, aber ohne Seele verrichten. Und gerade dadurch sind sie so wirkungsvoll. Sie basieren auf der Embodiment-Theorie, die besagt, dass wir unserem Denken, Fühlen und Handeln durch einfache körperliche Interventionen einen positiven Schubs versetzen können. 1. Lächeln Sie die miesepetrigsten Menschen auf der Veranstaltung konsequent an Wie angespannt eine Situation auch sein mag, willentliches Lächeln hilft immer. Sie können es auf verschiedene Weise in Ihr Gesicht zaubern: Singen Sie leise "eeee" vor sich hin; denken Sie an etwas Angenehmes; oder klemmen Sie einen Stift (oder eine Kuchengabel) zwischen die Zähne, und versuchen Sie, diesen Gegenstand nicht mit den Lippen zu berühren. In allen drei Fällen zwingen Sie sich zu einem Lächeln. Und das wirkt? Ja, das wirkt. Es gibt dazu eine ganze Reihe seriöser Untersuchungen (die erste von Charles Darwin, 1872), und sie alle zeigen: Unsere Gefühle lösen nicht nur eine bestimmte Mimik aus (Wohlgefühl -> Lächeln), sondern die Sache wirkt auch umgekehrt. Eine bestimmte Mimik lässt ein bestimmtes Gefühl aus dem Nichts entstehen (Lächeln -> Wohlgefühl). Der Grund für dieses Phänomen: Wir speichern unsere Erfahrungen vernetzt ab. Das heißt: Wer sich freut, der lächelt, nimmt eine bestimmte Körperhaltung ein und verbindet all das mit einem besonderen Bild, Geruch, Geschmack oder Geräusch. Das Wunderbare an solchen Erinnerungsnetzwerken: Sie lassen sich von jedem Knotenpunkt aus aktivieren. Was wiederum bedeutet: Wenn wir ein freundliches Gesicht machen, aktivieren wir das dazu passende positive Gefühl – und bezwingen damit die Kraft der Miesepeter. Wunderbarer Nebeneffekt und unschlagbare Geheimwaffe des Kunstlächelns: Sie animieren auch Ihr Gegenüber dazu, freundliche Miene zum weihnachtlichen Tohuwabohu zu machen. Denn wer in ein lächelndes Gesicht blickt, ahmt es unbewusst nach und hebt solcherart die eigene Laune. Es ist Ihrer Hartnäckigkeit überlassen, die anderen in der Familie so lange grundlos anzulächeln, bis die nicht anders können und dasselbe machen. 2. Wenn die Stimmung kippt, kochen Sie eine warme Suppe für alle Anwesenden Wer etwas Warmes in der Hand hält, fühlt sich seinen Mitmenschen deutlich enger verbunden als normalerweise. Denn: Kaum auf die Welt gekommen, beginnen wir zu lernen. Vermittelt werden uns die ersten Erfahrungen meist von unseren Müttern und anderen Bezugspersonen. Da wir noch nicht sprechen können, kommunizieren wir über Berührung. Wir werden gehalten, gestreichelt, in den Schlaf gewiegt und berühren unsererseits die Menschen in unserer Nähe. Das ist alles meist angenehm (warme Haut) und verbunden mit wunderbaren Erfahrungen. Und dieses archaische Erfahrungsnetzwerk aus Wärme und Geborgenheit bestimmt uns lebenslang – es führt dazu, dass wir zwei Konzepte untrennbar miteinander koppeln: Temperatur und soziale Akzeptanz. Es ist nachgewiesen, dass wir nur eine Tasse mit einem warmen Getränk oder eine Schale heißer Suppe in Händen halten müssen, und schon fühlen wir uns besser; nachzulesen in einer Studie zweier amerikanischer Psychologen aus dem Jahr 2011. Sie trägt den verheißungsvollen Titel "Hühnersuppe ist wirklich gut für die Seele" . Wenn Sie nicht schnell genug mit der Suppe sind, könnte es übrigens frisch werden: Zwei Psychologen der Universität Toronto zeigten 2008 in einer Studie, dass Menschen, die sich ausgeschlossen vorkamen, die Raumtemperatur markant niedriger einschätzten als die, die sich angenommen fühlten.
|
Christian Ankowitsch
|
Panik vor Weihnachten? Völlig unnötig! Wie Sie die Familienzeit unbeschadet überstehen und gar für gute Laune sorgen. Sieben Tipps – wissenschaftlich abgesichert
|
[
"Weihnachten",
"Sozialverhalten",
"Familie",
"Psychologie"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2015-12-23T06:43:00+01:00
|
2015-12-23T06:43:00+01:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2016/01/weihnachten-familie-verwandte-stimmung-tipps/komplettansicht
|
ZEIT Wissen 2/2016: Hier haben wir recherchiert
|
Am Anfang drei Fragen 1. Wie schütze ich mich vor mir selbst Zwei lesenswerte Bücher zum Thema: Marsha Linehan, Professorin für Psychologie an der University of Washington in Seattle, hat die wirksamste und wissenschaftlich am besten abgesicherte Therapiemethode bei Borderline-Persönlichkeitsstörungen entwickelt, die Dialectical Behavior Therapy (DBT). Die ist inzwischen der Goldstandard in der Behandlung dieser Patienten. Ihr Bestseller in Neuauflage ist bei Guilford erschienen . Prof. Martin Bohus, Direktor am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim und Borderline-Experte, hat den Therapieansatz von Linehan nach Deutschland gebracht und zahlreiche Fach- und Ratgeberbücher darüber verfasst . 3. Wie kann ich vermeiden, zu werden wie meine Eltern? Buch: Werden wir wie unsere Eltern? Die Kunst sein Leben zu verändern von Silvia Dirnberger-Puchner, Goldegg Verlag 2015, broschiert, 12,95 € Die Klugheit der Sinne Bücher: In What the Nose knows schreibt Avery Gilbert unterhaltsam und faktenreich über die Geruchsforschung, mit vielen Anekdoten, aber ohne zu übertreiben. Gilbert erklärt auch, warum man beim Thema Geruchserinnerungen nicht dauernd Marcel Proust zitieren sollte. Hanns Hatt und Regine Dee geben im Kleinen Buch vom Riechen und Schmecken einige Tipps, wie man seine Nase schult. In Aroma (von 1994) schreibt Constance Classen über die Kulturgeschichte des Geruchssinns, ihr neuestes Werk The Deepest Sense widmet sich dem Tastsinn. Viele Aufsätze des Soziologen Kelvin Low über die Soziologie des Riechens sind auf seiner Webseite kostenlos erhältlich. Georg Simmels Aufsatz über die Soziologie der Sinne gilt als Auftakt der Sinnessoziologie. Rund 1000 Gene, drei Prozent des Menschlichen Erbguts, steuern das olfaktorische System. In Laborexperimenten finden Frauen den Schweißgeruch jener Männer am interessantesten, deren Erbgut sich am stärksten von ihrem eigenen Erbgut unterscheidet. Der ZEIT-Autor Dieter E. Zimmer machte sich 1990 auf die Suche nach dem Geruch der DDR, der öffentlichen Gebäuden und der Deutschen Reichsbahn zu eigen war. Als die US-Armee das Potenzial einer Stinkbombe erforschte, mussten die Militärs ernüchtert feststellen, dass kein Geruch bei allen ethnischen Gruppen gleichermaßen Ekel hervor rief. Die Deutsche Bahn beduftete den Waggon eines bayerischen Regionalzugs über die Klimaanlage mit einem Gemisch aus Jasmin, Rosenholz und Melone. Die Geruchsorgel von Wolfgang Georgsdorf wird auf der Seite smeller.net beschrieben. Ein deutsch-japanisches Psychologenteam ließ jeweils rund 40 Frauen aus Japan und Deutschland an 18 Düften schnuppern, um kulturelle Unterschiede aufzuspüren. Der Berliner Blindwalk lässt sich bei den Bärentouren buchen . Gebrauchsanleitung für ein Gefühl In seinem Buch Gefühle lesen beschreibt der berühmte Psychologe Paul Ekman, wie man die sieben Basisemotionen anhand ihrer Mimik erkennt und richtig interpretiert. (Spektrum Verlag, 396 Seiten, 14,99 Euro) Wie die Amygdala kurzzeitig die Kontrolle über uns an sich reißt (Wissenschaftler sprechen vom "Amygdala Hijack"), ist hier sehr anschaulich erklärt. ZEIT WISSEN-Gespräch mit Sudan, dem Breitmausnashorn Eine Übersicht der in Zoos gehaltenen Nördlichen Breitmaulnashörner gibt dieses Dokument . Das Reservat Ol Pejeta in der Nähe des Mount Kenia wird von einer britischen Stiftung betrieben. Im November 2015 verstarb Nola im Zoo von San Diego. Es gibt einen Rettungsplan von Stammzellforschern zum Erhalt der Nördlichen Weißen Nashörner. Sie wollen Hautzellen mit einer komplizierten Technik zu Keimzellen umprogrammieren und daraus einen Embryo machen, der dann von einem südlichen weißen Nashorn ausgetragen wird. Die Zumutung: Pi Die Geschichte der Berechnungsversuche der Kreiszahl π ist lang. Auch der Mathematiker Peter Borwein, einer der Entdecker des bahnbrechenden BBP-Algorithmus, hat sie beschrieben . Eine ausführlichere Darstellung von den Ägyptern bis heute hat Daniel Frischemeier von der Universität Paderborn zusammengestellt, wer es ganz genau wissen will, kann das Buch Pi – die Story des Mathematik-Professors Jean-Paul Delahaye heranziehen. Lesenswert ist auch das Skript zur Vorlesung der frühen Geschichte der Mathematik des Mathematikers Detlef Gronau, der mit der Vorstellung aufräumt, die Mathematik früherer Zeiten sei primitiv gewesen. Zur Bedeutung des BBP-Algorithmus hat David Bailey, Mitstreiter von Borwein, 2006 einen Aufsatz verfasst. Auf seiner Seite gibt es auch das Original-Paper von Bailey, Borwein & Plouffe On the Rapid Computation of Various Polylogarithmic Constants , veröffentlicht 1997 im Journal Mathematics of Computation. Weil man mit der Zahl π wunderbar herumspielen kann, hier noch zwei Tipps: die "Pi Search-Page" , auf der man in den ersten 200 Millionen Nachkommastellen zum Beispiel nach dem eigenen Geburtsdatum suchen kann, sowie Visualisierungen der Nachkommastellen durch den Grafiker Martin Krzywinski. Die Zukunft der Versicherung Einen detaillierten Blick auf die Zukunft der Versicherungen liefert lief PriceWaterhouseCoopers in einem 12-teiligen Online-Special "Insurance 2020" . Eine Trendstudie , die ebenfalls nach 2020 schaut, hat HUK Coburg veröffentlicht. Einen Überblick über den Einsatz von Maschinenlernen im Versicherungswesen mit weiterführenden Links gibt Tony Ward von der Statistikberatung StatCore. Was der Klimawandel für Versicherungen bedeutet, untersuchen etwa Evan Mills vom Lawrence Berkely National Lab in einem Beitrag für climatactionprogramme.org. Eine ausführliche Analyse hatte bereits 2010 Laurence Loubières von Sustainalytics vorgenommen. Zahlen zur Entwicklung von Versicherungsschäden unterschiedlichster Art in den vergangenen Jahrzehnten bietet das Insurance Information Institute, darunter Statistiken zu weltweiten Naturkatastrophen oder menschgemachten Katastrophen . Ein Exemplar der Originalausgabe von Pedro de Santarems Werk Tractatus de assecurationibus & sponsionibus mercatorum , der ersten theoretischen Abhandlung über Versicherung 1552, wird übrigens derzeit in einem Online-Antiquariat für sage und schreibe 37.500 Pfund angeboten.
|
ZEIT ONLINE
|
Wir wollen unsere Arbeit transparenter machen: Mit welchen Experten wir gesprochen, welche Internetseiten wir besucht, welche Studien wir benutzt haben, lesen Sie hier.
|
[
""
] |
zeitwissen
|
Article
|
2016-02-16T11:06:41+01:00
|
2016-02-16T11:06:41+01:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2016/02/0216quellen
|
Emotionen: Ich. bin. nicht. wütend.
|
1. Herkunft Emotionen entstehen in einem evolutionär sehr alten Bereich unseres Gehirns, dem limbischen System. Ein Teil davon und für Emotionen sehr wichtig ist die Amygdala – eine mandelförmige Ansammlung von Nervenzellkörpern, auf Schläfenhöhe der beiden Hirnhälften gelegen. Sie ist mit anderen Strukturen des limbischen Systems verbunden, unter anderem dem Hypothalamus. Weiterhin hat sie Verknüpfungen zur Mittlerstation Thalamus und zur Großhirnrinde. Normalerweise wird die Amygdala von unserer Großhirnrinde im Stirnbereich gehemmt, und wir verhalten uns bedacht und kontrolliert. In einer bedrohlichen Situation aber springt das uralte Notfallsystem an: Die Reizinformation gelangt über Augen und Ohren in die Mittlerstation Thalamus. Dieser schickt den Reiz nun über zwei Wege weiter – ins limbische System, genauer in die Amygdala, und in die Großhirnrinde. Kommt die Amygdala zu dem Schluss, dass eine ernste Bedrohung vorliegt, entscheidet sie, ob wir Angst oder Wut bekommen. Die Amygdala übernimmt das Ruder, indem sie den hemmenden Stirnbereich außer Kraft setzt und über den Hypothalamus das Alarmsystem des Körpers aktiviert (siehe unter 2.). Der Thalamus schickt die Reizinformation zwar auch an die Großhirnrinde. Weil diese Bahn aber langsamer ist als das limbische System, können wir vor Wut explodieren, bevor die Großhirnrinde wieder das Ruder übernimmt. 2. Merkmale/Charakter Zorn versetzt den Körper über das Sympathikus-System in Alarmzustand. Die Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin werden ausgeschüttet, der Herzschlag beschleunigt, Blutdruck und Muskeltonus steigen. Das Blut wird umverteilt – raus aus dem Verdauungstrakt, rein in die Muskeln. Die werden gebraucht, wenn unser Körper gleich entweder um sein Leben rennen oder darum kämpfen muss. Langfristig kann dadurch allerdings das Herz-Kreislauf-System Schaden nehmen und sich das Herzinfarktrisiko verdoppeln. Im Zorn verwandelt sich unser Gesicht in eine Fratze. Die Augenbrauen ziehen sich zusammen, der Blick wird stechend. Der Unterkiefer schiebt sich nach vorn. Bei manchen Menschen pressen die Lippen aufeinander, werden schmal. Andere zeigen Zähne. Es bedarf nur "minimaler Veränderungen im Gesicht, um einen starken Eindruck von Ärger zu vermitteln", schreibt der Gefühlsforscher Paul Ekman in seinem Buch Gefühle lesen. Bekannt geworden ist seine Theorie, dass diese Zornesmimik von jedem Menschen in jedem Kulturkreis verstanden wird. Aber das ist umstritten. Weil Zorn über einen kurzen Schaltkreis im Hirn ausgelöst wird, ist er eine der schnellsten Emotionen. Studien haben gezeigt, dass wir ärgerliche Gesichter rascher wahrnehmen als freundliche. Meistens verraucht Zorn zügig wieder, weil dann die Großhirnrinde die Situation bewertet. Er kann jedoch auch zu lang anhaltendem Groll und sogar zu Hass ausarten. 3. Zweck "Emotionen haben sich in der Evolution entwickelt, damit wir rasch auf lebenswichtige Ereignisse in unserem Leben reagieren können", schreibt Paul Ekman. Wenn Zorn dann als Gefühl ins Bewusstsein dringt, steuert er unsere Handlungsabläufe. Wir reagieren auf bestimmte Ereignisse mit den entsprechenden Emotionen – wahrscheinlich gibt es angeborene universale Themen, auf die wir reagieren; wir können aber auch neue Themen erlernen. "Wir werden zornig, wenn wir etwas im Kopf haben, eine Vision oder ein Ziel – und jemand oder etwas hindert uns daran, dorthin zu gelangen", sagt Paul Ekman. Haben wir den Eindruck, dass das mit Absicht passiert, wird unser Ärger noch heftiger. Zweck des Zorns ist immer die Beseitigung eines Hindernisses, durch Drohung oder durch einen Angriff. Und hier liegt die Gefahr: Zorn provoziert neuen Zorn, und er kann schnell in Gewalt umschlagen. Häufig treten Angst und Zorn unter derselben Bedrohung auf, aber Zorn mindert die Angst und setzt Energien frei. Er kann daher auch Positives bewirken. 4. Konsequenzen Der Zorn hat – auch wegen seiner Nähe zur Gewalt – in unserer Gesellschaft kein gutes Image. Wer öffentlich ausrastet, gilt als charakterschwach. "Wer seiner Wut nachgibt, der muss damit rechnen, dass dies Folgen hat für seine Stellung im gesellschaftlichen Leben, dass seine Beziehungen zu anderen Menschen Schaden nehmen", schreibt der Hirnforscher Giovanni Frazzetto in seinem Buch Der Gefühlscode. Schon zornige Kinder verlieren die Achtung ihrer Altersgenossen. Der Zorn hatte, auch wegen seiner Nähe zu Aggression und Gewalt, seit Anbeginn der Zivilisation einen schlechten Stand: Das Christentum verdammt ihn als eine der sieben Todsünden. Auch für den Islam ist er Teufelszeug. Hinduisten und Buddhisten bedauern ihn eher als Schwäche des unvollkommenen Individuums. Vor Gericht kann Zorn als mildernder Umstand gelten: Wer im Affekt, also in einem außergewöhnlichen Gefühlszustand, eine Tat begeht (Paragraf 20 des Strafgesetzbuches spricht von einer "tief greifenden Bewusstseinsstörung"), kann als eingeschränkt schuldfähig oder sogar als schuldunfähig eingestuft werden. Psychiater und Psychologen müssen beurteilen, ob ein solcher Zustand zum Tatzeitpunkt vorlag. 5. Wartung und Pflege Der Wunsch, dem anderen zu schaden, ist, wie Paul Ekman vermutet, integraler Bestandteil der Zornreaktion. Allerdings ist die Stärke dieses Gewaltimpulses bei jedem unterschiedlich ausgeprägt. Ist es nun besser, dem Zorn nachzugeben oder ihn zu unterdrücken? Psychologen sind sich bis heute uneins, ob ausgelebter Zorn zu einer inneren Reinigung führt oder nicht. Langfristig angestauter oder unterdrückter Ärger aber schadet Gesundheit und Psyche, weil Stresshormone ausgeschüttet werden und das limbische System daueraktiv ist. Das kann Verhaltensänderungen erzeugen. Eine Studie an 10.000 amerikanischen Schülern zeigte: Langfristig unterdrückter Zorn endete häufiger in destruktivem Bewältigungsverhalten wie Drogenkonsum oder Aggression. Zudem war die Wahrscheinlichkeit einer Depression erhöht. Zorn kann also hilfreich sein. "Er sagt uns, dass etwas geändert werden muss", schreibt Paul Ekman. Doch wollen wir eine Veränderung herbeiführen, müssen wir den Grund unseres Zorns kennen. Dann kann Zorn zu einer wertvollen Quelle werden. "Wie gespeicherte Hitze in Energie umgewandelt werden kann, so kann auch kontrollierter Zorn in eine Kraft verwandelt werden, die die Welt bewegen kann", sagte Gandhi. Dafür müssen wir aber mit dem Zorn umgehen lernen. "Jeder kann wütend werden, das ist einfach", schrieb Aristoteles. "Aber wütend auf den Richtigen zu sein, im richtigen Maß, zur richtigen Zeit, zum richtigen Zweck und auf die richtige Art, das ist schwer." Um Zorn kurzfristig unter Kontrolle zu bekommen, hilft es, tief durchzuatmen und bis zehn zu zählen oder die Situation zu verlassen. Das gibt der Großhirnrinde Zeit, die im Alarmzustand befindliche Amygdala einzufangen, die Situation zu bewerten und die eigene Reaktion zu regulieren. Langfristig kann man Zorn mit kognitiver Verhaltenstherapie, Entspannungstechniken oder Achtsamkeitsmeditation mindern. Wie eine Metastudie gezeigt hat, reichen im Schnitt schon acht Sitzungen aus. Wahrscheinlich stärkt man mit diesen Techniken die hemmende Wirkung der Großhirnrinde auf die Amygdala. Die Quellenangaben zum ZEIT-Wissen-Artikel finden Sie hier.
|
Jens Lubbadeh
|
Zorn ist eine Emotion mit Imageschaden: Wer ausrastet, gilt als charakterschwach. Vor Wut zu explodieren, kann aber helfen – es mindert Angst und setzt Energie frei.
|
[
"Jordan Mansfield",
"Paul Ekman",
"Getty Images",
"Gebrauchsanweisung",
"Imageschaden",
"Großhirnrinde",
"Amygdala",
"Emotion",
"Körper"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2016-02-18T07:12:57+01:00
|
2016-02-18T07:12:57+01:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2016/02/emotionen-limbisches-system-amygdala-zorn
|
Nashorn: "Die Menschen halten sich für Götter"
|
Armin Püttger-Conradt kann man ohne Übertreibung als den Pressesprecher der Nördlichen Weißen Nashörner bezeichnen. Seit mehr als 30 Jahren verfolgt er das Schicksal dieser Art, vor ein paar Wochen hat er den Bullen namens Sudan noch einmal in Kenia besucht. Doch weder er noch Wildparks, Zoos oder Tierschutzorganisationen konnten verhindern, dass die Nördlichen Weißen Nashörner bald endgültig vom Planeten Erde verschwunden sein werden. Auf den ersten Blick sind skrupellose Wilderer und abergläubische, Nashornpulver konsumierende Asiaten an der Ausrottung schuld. Aber die Sache ist komplizierter. Püttger-Conradt hat sich für uns auf ein Spiel eingelassen: Er schlüpft in die Rolle des Nashornbullen Sudan. Für ein letztes Gespräch über Menschen und Hyänen, Leben und Tod. ZEIT Wissen: Sudan, wie geht es Ihnen? Sudan: Ich fühle mich hier im Privatreservat sicher. Aber meine Beine werden immer krummer. Sie müssen ein Gewicht von mehr als zwei Tonnen tragen. Von Tag zu Tag habe ich größere Schwierigkeiten, in die Höhe zu kommen. ZEIT Wissen: Wobei Nashörner ohnehin den halben Tag im Liegen verbringen, oder? Sudan: Das stimmt, aber wenn ich gar nicht mehr aufstehen kann, drückt mein Gewicht auf die Organe, und ich bekomme enorme Schmerzen. Ich hoffe, dass ich noch ein oder zwei Jahre durchstehen kann. Nach menschlichen Maßstäben bin ich mit 43 Jahren schon ein Greis, älter als 47 werden die wenigsten. Eine Zeit lang würde ich gerne noch die kleinen Wanderungen und Ausflüge hier im Park genießen. ZEIT Wissen: Ihr Reservat Ol Pejeta liegt in der Nähe des Mount Kenia und wird von einer britischen Stiftung betrieben. Wie groß ist das Gebiet? Sudan: Ungefähr drei Kilometer lang und zwei Kilometer breit, umgeben von einem elektrischen Zaun mit ziemlich hoher Spannung. Trotzdem versuchen Wilderer immer wieder , zu uns durchzukommen. Deshalb stehen an jeder Ecke auch noch Türme mit riesigen Scheinwerfern, die nachts die Zäune anstrahlen. Ich werde rund um die Uhr bewacht, ungefähr 200 Wärter wechseln sich damit ab. ZEIT Wissen: Freiheit sieht anders aus. Sudan: Mag sein, aber die Freiheit wäre tödlich. Kein Tier meiner Art hat sie überlebt. Nur hier in diesem Schutzraum sind wir vor den Wilderern sicher. ZEIT Wissen: Man hat Ihnen sogar das Horn abgesägt, damit Sie für Wilderer uninteressant sind. Sudan: Das war vor ein paar Jahren, aber inzwischen sind mir – wir haben ja immer zwei Hörner auf der Nase – wieder zwei schöne, kräftige Hörner gewachsen. ZEIT Wissen: Tut es weh, wenn das Horn abgesägt wird? Sudan: Nein, unser Horn besteht aus gepresster Haut und Chitin, genauso wie unsere Hufe oder beim Menschen die Haare, Finger- und Fußnägel. Horn absägen ist wie Fußnägel schneiden, völlig harmlos. ZEIT Wissen: Sie leben hier zusammen mit zwei Nashorndamen Ihrer Art, Fatu und Najin. Wie sieht Ihr Alltag aus? Sudan: Die Nacht verbringe ich zur Sicherheit in einem kleinen Sondergehege. Morgens bei Sonnenaufgang geht es gleich los. Meistens begleite ich Najin, dann zupfen wir hier und da Grashalme. Der Boden ist aber schon ziemlich kahl, deshalb bringt jeden Tag ein Trecker Heu. Oft kommen auch Wildhüter, die meine Hautwülste drücken und mich kratzen und schubbern. Das mag ich gern. Und dann leben hier noch ein gutes Dutzend entfernte Verwandte im Gehege, die Südlichen Weißen Nashörner. Wir sehen und verhalten uns sehr ähnlich, sind aber genetisch verschiedene Arten. Wenn wir miteinander Kinder zeugen würden, wäre das wie bei Pferden und Eseln: Es käme ein lebensfähiges Tier heraus, das aber unfruchtbar wäre. Na ja, für Sex bin ich eh zu alt. ZEIT Wissen: Darauf möchten wir später noch mal zurückkommen. Wie verstehen Sie sich mit den Verwandten aus dem Süden? Sudan: Im Prinzip gut, aber die sind viel jünger und gesünder als ich. Manchmal rempeln sie mich an, wahrscheinlich aus Versehen, und dann falle ich um, wegen der Beine. Am liebsten sind wir drei Nördlichen Weißen Nashörner unter uns. ZEIT Wissen: Warum heißen Sie eigentlich "Weißes Nashorn", wenn Sie doch offensichtlich grau sind? Sudan: Als wir vor über hundert Jahren entdeckt wurden, hat man uns nachgesagt, dass wir uns bevorzugt in hellem Schlamm suhlen. Das ist Unsinn, die Farbe des Schlamms ist egal, Hauptsache, matschig. Wahrscheinlich ist unser Name ein Missverständnis. Die Buren in Südafrika haben uns immer wijd neushoorn genannt, wijd wie "breit", wegen unseres breiten Mauls, und die Engländer haben white verstanden. Ich finde den Namen trotzdem passend. Wir leben ja hauptsächlich in baumloser Grassavanne, da knallt die Sonne den ganzen Tag auf die Haut, und die schimmert um die Mittagszeit fast weißlich. Schwarze Spitzmaulnashörner, die viel kleiner sind, leben in der Baum- und Buschsavanne und stehen dort oft im Schatten. Deshalb sehen die schwarz aus. Gerne können Sie aber auch Nördliches Breitmaulnashorn zu mir sagen.
|
Max Rauner
|
Bald wird so ein Tier nicht mehr existieren. Das Weiße Nashorn Sudan ist der letzte Bulle seiner Art. Ein Gespräch mit ihm über sein Leben, Sex und uns – die Menschen
|
[
"Wilderei",
"Afrika",
"Tier",
"Artenschutz"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2016-03-07T18:33:56+01:00
|
2016-03-07T18:33:56+01:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2016/02/nashorn-interview-armin-puettger-conradt/komplettansicht
|
Organspende: "Dieses Gefühl, nicht allein im Körper zu sein"
|
Es sind Passagen wie diese in David Wagners Buch Leben , die sich wie eine Liebesgeschichte lesen. Wagner, 45 Jahre alt, hat in seinem Buch die Geschichte seiner Lebertransplantation verarbeitet. Er beschreibt darin den Kosmos Krankenhaus und spricht zuweilen im Geiste zu einer geheimnisvollen Fremden – jener Frau, von der er seine neue Leber zu haben glaubt. "Alles war genau so und auch ganz anders", steht zu Beginn des Buches. Diese Geschichte zu schreiben, sagt Wagner, habe ihm die Möglichkeit gegeben, überhaupt erst über das sprechen zu können, was er vor und nach der Transplantation erlebt hat. ZEIT Wissen: Herr Wagner, würden Sie heute noch leben, wenn es diese Operation und diese neue Leber nicht gegeben hätte? David Wagner: Die Operation ist neun Jahre her. Und ich kann sagen, mit meiner Leber hätte ich diese neun Jahre nicht mehr gehabt. Vielleicht hätte ich noch ein halbes Jahr oder ein Jahr weitergelebt. So genau weiß man das nicht. Es ist für mich immer noch ein Wunder und ein seltsames Gefühl zu wissen, dass ich eigentlich nicht mehr da wäre, nun aber doch noch hier sein darf. Ich denke jeden Tag daran. ZEIT Wissen: Sie waren seit dem Kindesalter krank. Eine Autoimmunerkrankung führte dazu, dass Ihr Körper die Leber angegriffen hat. Wagner: Ich habe lange mit einer geringen Leberleistung gelebt, dann aber sackte die Leistung immer weiter ab. Irgendwann wurde ich gar nicht mehr richtig wach, sondern hing selbstvergiftet, enzephalopatisch herum. ZEIT Wissen: Sie denken jeden Tag an die neue Leber – liegt das an den Medikamenten, die Sie täglich nehmen müssen, um das Immunsystem in Schach zu halten? Wagner: Diese Medikamente nehme ich mehr oder weniger automatisch, morgens und abends. Das ist Routine. Medikamente habe ich auch vorher eingenommen. Nein, es ist etwas anderes. Wenn ich nur daliege oder mich im Bett drehe, denke ich an meine neue Leber. Dieses Gefühl, irgendwie mit einem oder einer anderen zusammenzusein, das kommt mir immer wieder. ZEIT Wissen: Wie sehr hat diese Frage Sie beschäftigt: Wer war dieser Mensch, dessen Leber ich in mir trage? Wagner: Schon sehr. Natürlich könnte ich denken – und so denken ja manche Patienten und Mediziner –, da wird ein neues Ersatzteil eingebaut und dann funktioniere ich wieder.
|
Claudia Wüstenhagen
|
Eine neue Leber rettete dem Schriftsteller David Wagner vor neun Jahren das Leben. Seither fragt er sich: Wer war der Mensch, dessen Organ nun in mir weiterlebt?
|
[
"Organspende",
"Transplantationen",
"Krankenhaus",
"Schriftsteller"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2016-03-29T21:49:32+02:00
|
2016-03-29T21:49:32+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2016/02/organspende-interview-david-wagner/komplettansicht
|
Pi-Tag: Juchu, heute ist π-Day!
|
Basislager Gehen Sie erst los, wenn Sie die folgenden Grundlagen in Ihren Rucksack gepackt haben. 3. 1415926535 8979323846 2643383279 5028841971 6939937510 5820974944 5923078164 0628620899 8628034825 3421170679 8214808651 3282306647 0938446095 5058223172 5359408128 4811174502 8410270193 8521105559 6446229489 5493038196 4428810975 6659334461 2847564823 3786783165 2712019091 4564856692 3460348610 4543266482 1339360726 0249141273 7245870066 0631558817 4881520920 9628292540 9171536436 7892590360 0113305305 4882046652 1384146951 9415116094 3305727036 5759591953 0921861173 8193261179 3105118548 0744623799 6274956735 1885752724 8912279381 8301194912 9833673362 4406566430 8602139494 6395224737 1907021798 6094370277 0539217176 2931767523 8467481846 7669405132 0005681271 4526356082 7785771342 7577896091 7363717872 1468440901 2249534301 4654958537 1050792279 6892589235 4201995611 2129021960 8640344181 5981362977 4771309960 5187072113 4999999... Richtig, das ist die Zahl π . Mit 768 Nachkommastellen. Die sechs Neunen am Ende nennen Mathematiker den Feynman-Punkt, benannt nach dem amerikanischen Physiker und Nobelpreisträger Richard Feynman. Er hat sie nicht entdeckt, sondern der Legende nach einen Witz darüber gemacht. Der Feynman-Punkt ist allerdings nicht das Ende von π. Auch bedeutet er nicht, dass danach nur noch Neunen folgen. Im Gegenteil: Sogleich tauchen wieder alle anderen Ziffern von 0 bis 9 durcheinander auf. Bekannt sind bisher 13,3 Billionen Nachkommastellen, und anscheinend weisen sie keinerlei Ordnung, kein Muster auf. Unerhört. Seit 4.000 Jahren sind Mathematiker besessen von dieser Zahl , die – so viel wissen die meisten aus der Schule – etwas mit Kreisen zu tun hat. Gibt es nicht doch irgendwo einen tieferen Sinn in π? Wird man in der Zahlenfolge eines Tages eine Ordnung finden? Und warum taucht π in so vielen Naturgesetzen auf? Vor diesem Gipfel muss gewarnt werden. Wird er sich am Ende als Berg des Sisyphos erweisen? Erster Anstieg Los geht’s! Auf leichten Anhöhen begegnen Sie Erkenntnissen, die Sie bereits ins Schwitzen bringen können Gemächlich zieht sich der Weg den sanften Hang hoch. Wir schreiten kräftig aus und durcheilen rasch Jahrtausende. Bald nachdem die Menschen das Rad erfunden hatten, bauten sie Streitwagen und Transportkarren. Die Wagenbauer des Altertums fragten sich irgendwann: Kann man berechnen, wie lang die Metallbänder sein müssen, mit denen die Holzräder beschlagen werden, wenn wir nur den Durchmesser des Wagenrads kennen? Eine ähnliche Frage stellten sich Küfer, die Fässer mit kreisförmigem Boden herstellten und deren Volumen genau bestimmen wollten. Die frühen Mathematiker Ägyptens und Mesopotamiens machten sich an die Arbeit. Mithilfe geometrischer Figuren versuchten sie die "Quadratur des Zirkels": Sie suchten zu einem vorgegebenen Kreis dasjenige Quadrat, dessen Umfang genauso groß ist wie der Umfang des Kreises. So wollten sie eine Rechenvorschrift für die sogenannte Kreiszahl finden, das Verhältnis von Umfang zu Durchmesser des Kreises. Dieser Wert ist für alle Kreise gleich, egal welchen Durchmesser sie haben, nämlich π (die Bezeichnung gab es damals noch nicht). Wie groß ist π? Die ägyptischen Mathematiker landeten mit ihrer Abschätzung vor über 3.500 Jahren bei dem Wert 3,16, ihre mesopotamischen Kollegen bei 3,125. Anders als viele heute glauben, war die Mathematik damals nicht primitiv. Bruchrechnen, lineare Gleichungen und Geometrie beherrschten beide Kulturen bereits souverän. Allerdings formulierten sie ihre Berechnungen als Texte, die an die Textaufgaben in der Schule von heute erinnern. Die moderne mathematische Schreibweise mit Ziffern, Komma, Formelzeichen und Platzhaltern kannten sie noch nicht. π = U/d (Umfang geteilt durch den Durchmesser) schrieb man nicht. Auch Archimedes, der wohl größte Mathematiker der Antike, tat dies noch nicht. Er arbeitete geometrisch, so wie die meisten Mathematiker jenes Zeitalters. Mit Zirkel und Lineal teilten sie Winkel oder konstruierten auf einem Kreis ein Sechseck. Heute wird das in der fünften bis siebten Klasse gelehrt. Archimedes’ Ansatz im 3. Jahrhundert vor Christus bestand darin, den Kreisumfang mithilfe von zwei Vielecken abzuschätzen – einem innerhalb, einem außerhalb des Kreises. Je mehr Seiten die Vielecke hatten, desto besser wurde die Annäherung. Mithilfe von 96-Ecken grenzte er schließlich die Kreiszahl weiter ein. Sie war größer als 3 10/71* und kleiner als 3 10/70, lag also zwischen 3,1408 und 3,1428. Diese sogenannte Exhaustionsmethode, das Eingrenzen mithilfe von Vielecken, trieben in den folgenden anderthalb Jahrtausenden Mathematiker in Griechenland, Indien, Arabien und China immer weiter. Im 5. Jahrhundert errechnete der Chinese Zu Chongzhi einen Wert, der die ersten fünf richtigen Nachkommastellen der Kreiszahl enthielt. Der persische Mathematiker Dschamschid al-Kaschi berechnete im frühen 15. Jahrhundert die ersten 15 Zahlen hinter dem Komma korrekt, und dann ging der Wettlauf auch in Europa los: Ludolph van Ceulen knackte bis zu seinem Tod 1610 die ersten 35 Nachkommastellen, die auch auf seinem Grabstein eingraviert wurden. Seine Fleißarbeit war der Endpunkt einer Sackgasse. Kleiner Trost: Die Kreiszahl wurde anschließend für mehr als hundert Jahre "Ludolphsche Zahl" genannt. Am Steilhang Atmen Sie tief durch: Es ist alles ganz anders, als Sie dachten – aber Sie schaffen das Der Weg hat uns in ein enges Tal geführt, das vor einer senkrechten Felswand endet. Wir gehen ein kleines Stück zurück und entdecken einen steilen, aber begehbaren Seitenpfad. Während das christliche Abendland der Mathematik wenig Aufmerksamkeit schenkt und stattdessen Kreuzzüge führt, legen Denker in Indien die Grundlagen der heutigen Mathematik. Sie führen die Dezimalschreibweise für Zahlen mitsamt der Null ein, kennen negative Zahlen, beschreiben Probleme in Form von quadratischen Gleichungen. Welch ein Erkenntnisfortschritt! Ihr Wissen gelangt in die islamische Welt, wo der Perser Mohammed al-Chwarizmi im 8. Jahrhundert die Grundlagen der Algebra entwickelt. Was Schüler heute ins Schwitzen bringt, die Lösung einer Gleichung wie (3 × 2) – 4x – 4 = 0, beschrieb Al-Chwarizmi zum ersten Mal systematisch. Über die arabische Welt erreicht dieses neue Wissen im Hochmittelalter auch Europa. Die Denker lässt die Kreiszahl nicht los. Sie rücken ihr nun nicht mehr mit Vielecken und geometrischen Hilfsmitteln zu Leibe, sondern mit neuen mathematischen Werkzeugen: Sie summieren oder multiplizieren unendlich viele Bestandteile. Natürlich nicht wirklich, sonst würden sie nie fertig. Doch im 15. und 16. Jahrhundert entdecken gleich mehrere Mathematiker einen Trick: Es gibt Summen, die immer weniger wachsen, je mehr Teile sie enthalten. Stattdessen nähern sie sich nach sehr vielen Rechenschritten einem Grenzwert an. Mehr noch: Es gibt Summen, deren Grenzwert die Kreiszahl π oder ein Bruchteil von ihr ist. Der Inder Madhava beispielsweise startet mit der Eins, zieht ein Drittel ab, addiert ein Fünftel, zieht ein Siebtel ab, addiert ein Neuntel und immer so weiter mit zunehmenden ungeraden Zahlen im Nenner des jeweiligen Bruchs. Diese Summe strebt auf einen Wert zu, der einem Viertel von π entspricht.
|
Niels Boeing
|
Heute ist der 14. März, auch 3/14. Wow, das sind doch die ersten Stellen von Pi! Zur Feier des Tages besuchen wir die Kreiszahl auf dem Gipfel der Mathematik.
|
[
"Mathematik",
"Jahrestag",
"Geometrie",
"Wissenschaft",
"Physik",
"Naturwissenschaft"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2016-03-14T13:23:44+01:00
|
2016-03-14T13:23:44+01:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2016/02/pi-tag-mathematik-pi-kreiszahl/komplettansicht
|
Psychologie: Am peinlichsten finden wir uns selbst
|
Was Barry Manilow alles aushalten muss! Nicht genug, dass ein Kaufhaus in Neuseeland ankündigte, mit seinen Songs jugendliche Störenfriede zu vergraulen. Auch die Wissenschaft hat den Schmusesänger benutzt: für ein Experiment zu Peinlichkeiten. Das war im Jahr 2000, lange nach seinem Megahit Mandy, und zugegebenermaßen hatte Manilow seinen Zenit da bereits überschritten. Aber das hatte er nicht verdient: Die Psychologen Thomas Gilovich, Kenneth Savitsky und Victoria Husted Medvec ließen sein Konterfei auf T-Shirts drucken und kleideten junge Probanden damit ein – um sie in Verlegenheit zu bringen. Manilow hatten sie bewusst gewählt, denn eine Umfrage unter Studenten hatte ergeben, dass ein T-Shirt mit ihm hohes Blamage-Potenzial besitzt. Immerhin, so möchte man Manilow aufmunternd zurufen, verhalf er der Psychologie zu einer bedeutsamen Entdeckung: dem Spotlight-Effekt . Mit dem T-Shirt bekleidet, mussten die Probanden Räume voller Kommilitonen betreten und sich kurz zu ihnen setzen. Hinterher sollten sie einschätzen, wie viele der anderen wohl Notiz von dem Shirt genommen hatten. Den Probanden muss die Sache ziemlich unangenehm gewesen sein, sie fürchteten, dass fast die Hälfte der Anwesenden Manilow erkannt haben musste. Damit aber lagen sie gehörig daneben. In Wahrheit war nicht einmal jeder Vierte in der Lage, zu sagen, wer auf dem Shirt abgebildet war. Die Probanden hatten die Aufmerksamkeit der anderen massiv überschätzt. Während sie selbst fast im Boden versunken wären, hatten die meisten gar keine Notiz von der vermeintlichen Peinlichkeit genommen. Ein Phänomen, das Psychologen seither immer wieder gefunden haben. Ob wir auf der Tanzfläche stolpern, in der Kantine etwas fallen lassen oder in der Konferenz etwas Blödes sagen – wir neigen dazu, die Aufmerksamkeit anderer für unsere Fehltritte zu überschätzen. O Gott, alle haben es gesehen! Das kann niemandem entgangen sein! In unserer eigenen Wahrnehmung stehen wir im Mittelpunkt, und irgendwie scheinen wir anzunehmen, dass auch andere immerzu registrieren, was wir tun. Als wäre ein Scheinwerfer auf uns gerichtet. Das gilt auch für unsere Glanzmomente: Ein Folgeexperiment ergab, dass Menschen in einer Diskussion ihre eigenen Beiträge für bedeutsamer halten als andere Leute. Was für ein genialer Einfall von mir! Jetzt hat sicher jeder gemerkt, wie schlau ich bin! Von wegen. Auch unsere Geistesblitze entgehen der Umwelt öfter, als uns lieb ist. Wir sind für andere einfach nicht so wichtig wie für uns selbst. Es fällt uns schwer, vollends aus der eigenen Perspektive herauszutreten und zu sehen: Die anderen sind mit ihrer Wahrnehmung auch eher bei sich selbst. Das kann frustrierend sein, aber befreiend zugleich. Wie viele Menschen scheuen sich, vor anderen zu tanzen, zu singen oder Sport zu treiben, aus Angst aufzufallen? Dabei müssten wir uns oft gar keine Gedanken machen, weil wir eben nicht immerzu im Rampenlicht stehen. Das ist so wunderbar, dass man eine Tanzfläche betreten und lauthals singen möchte: "Oh Mandy! You kissed me and stopped me from shaking!"
|
Claudia Wüstenhagen
|
Kennen Sie das? Ihnen passiert etwas Blödes und genau dann schauen alle hin? Die gute Nachricht: Sie bilden sich das nur ein. Spotlight-Effekt sagen Psychologen dazu.
|
[
"Psychologie",
"Selbstbewusstsein",
"Charakter",
"Verhaltensforschung"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2016-02-22T17:07:06+01:00
|
2016-02-22T17:07:06+01:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2016/02/psychologie-aufmerksamkeit-blamage-spotlight-effekt
|
ZEIT Wissen 3/2016: Hier haben wir recherchiert
|
Am Anfang drei Fragen 1. Ist aus der Reihe tanzen gesund? Zwei Bücher von Christian Schubert (Leiter des Labors für Psychoneuroimmunologie der Universitätsklinik Innsbruck): Psychoneuroimmunologie des Lebenslaufs und Psychoneuroimmunologie und Psychotherapie . Steve W. Cole und seine Kollegen haben in dieser Studie die Auswirkungen des Outings auf die Gesundheit homosexueller Männern erforscht. Hans-Peter Erb und Kollegen zum Bedürfnis nach Einzigartigkeit (Need for Uniqueness). Salomon Asch schreibt in diesem Artikel über Konformitätsdruck. 3. Kann man besser denken, wenn es still ist? Geräusche können nicht nur die Aufmerksamkeit ablenken, sondern auch bestimmte geistige Prozesse behindern. Die Psychologin Prof. Dr. Maria Klatte von der TU Kaiserslautern untersuchte unter anderem den Einfluss von Fluglärm auf die Leseleistung von Schülern. Bei kreativen Aufgaben können Geräusche günstig sein: In Experimenten konnten Probanden durch Café-Geräusche abstrakter denken und hatten kreativere Einfälle. Intro- und extrovertierte Menschen nehmen Geräusche unterschiedlich wahr. Das liegt an ihrem von Natur aus unterschiedlich hoch geregelten Arousal-Level. Im diplomatischen Dienst der Getränke: In seinem Buch "Sechs Getränke, die die Welt bewegten" erzählt der englische Wissenschaftsautor Tom Standage wie Getränke zum Auslöser wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Veränderungen wurden. Die verbindende Wirkung der Getränke wird streng wissenschaftlich untersucht. Amerikanische Forscher studierten das Gesprächsverhalten von 720 Teilnehmern , die in Vierergruppen unterschiedliche Drinks konsumieren und sich dabei unterhalten sollten. Eine niederländische Studie zeigt, dass Menschen ihren Trinkrhythmus synchronisieren. Warme Getränke können unser Urteil über andere Personen beeinflussen: Versuchsteilnehmer, die einen warmen Kaffee in der Hand hielten, ordneten einer fiktiven Person warme Persönlichkeitseigenschaften zu. Eine dänische Studie zeigte, dass Angestellte den gemeinsamen Kaffee mehr als das Mittagessen dazu nutzen, miteinander ins Gespräch zu kommen. Die zwei Gesichter des Menschen Die Publikationen des Bonobo-Forschers Gottfried Hohmann sind auf der Webseite des Max-Planck-Instituts aufgelistet. 1,6 Prozent des menschlichen Erbguts hat mehr Ähnlichkeit mit den entsprechenden Stellen des Bonobo-Genoms als Bonobo- und Schimpansen-Genom untereinander, fanden Genetiker des Leipziger Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie heraus . Und in weiteren 1,7 Prozent ist das menschliche Genom näher an dem des Schimpansen als das Genom des Bonobos. Schimpansen vertrauen ihren Freunden, zeigt diese Studie aus dem Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthroplogie. Wie sich kognitive Fähigkeiten von Bonobos und Schimpansen unterscheiden, hat Esther Herrman mit Kollegen untersucht . Die Selbstdomestizierungshypthese beschreibt Brian Hare in dieser Arbeit . Der Reporter Ian Parker hat den Primatenforscher Gottfried Hohmann im Kongo begleitet . Leicht verständlich und mit vielen Anekdoten: Frans de Waals Sachbuch Der Mensch, der Bonobo und die zehn Gebote . Die Kunst, sich zu erholen Richard Friebe: Hormesis. Das Prinzip der Widerstandskraft. Wie Stress und Gift uns stärker machen. Hanser, 2016. Das Wechselspiel von Stress und Erholung, von der anderen Seite her gesehen. Stress ade – Erholung leicht gemacht – In dieser Broschüre buchstabieren Psychologen der Universität Mainz das ABC der Erholung nach dem aktuellen Stand der Forschung aus. Stressreport Deutschland 2012 Wie erholungsbedürftig sind die Deutschen? Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin hat es zuletzt im Jahr 2012 untersucht. ZEIT WISSEN-Gespräch mit Jan Philipp Reemtsma Jan Philipp Reemtsmas Hauptwerk zum Thema Gewalt ist das Buch Vertrauen und Gewalt. Versuch über eine besondere Konstellation der Moderne , erschienen 2008 im Verlag des Hamburger Instituts für Sozialforschung. Etwas kürzer stellt er seine Gedanken zur Gewalt in dem Büchlein Die Gewalt spricht nicht (Reclam, 2002) zusammen sowie in dem Vortrag Vertrauen und Gewalt. Grundzüge einer Theorie der Moderne , den er 2013 für eine Veranstaltungsreihe der Evangelischen Akademie der Nordkirche gehalten hat. Über seine Entführung und das eigene Erleben von Gewalt schreibt Reemtsma in dem Buch Im Keller, erschienen 1998 bei rororo. Mit erlaubter Gewalt beschäftigt er sich in dem Essay Mehr als ein Champion. Über den Stil des Boxers Muhammad Ali von 1995, erschienen bei Klett-Cotta. Spiel ohne Grenzen Joseph Stiglitz & Bruce Greenwald setzen sich in ihrem 2015 erschienen Buch "Die innovative Gesellschaft" kritisch mit dem Welthandelssystem auseinander. Unter der Vielzahl von Studien sind diese lesenswert: Sandra Polaski - "Winners and Losers: Impact of the Doha Round on Developing Countries" (2006); Pekka Sulamaa & Mika Widgrén - "Asian Regionalism versus Global Free Trade: A Simulation Study on Economic Effects" (2005); Cislla Lakatos et al. - "Potential Macroeconomic Implications of the Trans-Pacific Partnership" (Global Economic Prospects, Januar 2016). Für seine Handelstheorie der "Neuen Geographie" bekam Paul Krugman 2008 den Wirtschaftsnobelpreis. Gute Zusammenfassungen gibt es von der Nobel-Stiftung (samt kurzem historischem Abriss der Handelstheorie von David Ricardo bis heute) sowie von dem Ökonomen Michael Roos . Zu einem "faireren", nachhaltigeren oder einfach anderen Welthandelssystem sind zwei Paper zu empfehlen: Dani Rodrik - "The Global Governance of Trade as if Development Really Mattered" (2001) sowie Mark Halle - "Trading into the Future: Rounding the Corner of Sustainable Development" (2006). Allgemeine Statistiken zur Entwicklung des Welthandels findet man in den Statistik-Reports der WTO . Operation Gavriel Die Stiftung der Familie Rosenfeld ist der Duchenne Research Fund . Ronald Cohn am SickKids Hospital Toronto . Dieser Aufsatz eines internationalen Forscherteams unter der Leitung von Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna hat die Gentechnik Crispr/Cas9 einem breiten Fachpublikum bekannt gemacht. Drei Forschungsgruppen beschreiben in Science die erfolgreiche Behandlung von Duchenne Muskeldystrophie an Mäusen. Das Unternehmen Solid Biosciences erforscht neue Methoden zur Behandlung der Muskeldystrophie. Im Wochentakt kommen neue Sensationsmeldungen aus den Labors: Crispr schneidet Aids-Virus aus dem Erbgut; Crispr soll Schweineorgane verträglicher für Transplantationen machen; Crispr könnte die Malaria-Mücken ausrotten . Eine alternative Gentherapie verfolgt den Ansatz, eine Miniaturversion des Dystrophie-Gens mit Adenoviren in die Muskelzellen zu schleusen. Zahlreiche Forschungsprojekte zur Muskeldystrophie sind auf dieser Webseite aufgelistet . Die Zumutung: Sind Pflanzen schlauer als wir? Jiri Friml und Klaus Palme beschreiben ihre Forschung zum Transport des Pflanzenhormons Auxin in dem Artikel Polar auxin transport – old questions and new concepts? Noch detaillierter wird es in dem Artikel The march of the PINs: developmental plasticity by dynamic polar targeting in plant cells. Die Debatte der Botaniker über den Begriff der Pflanzen Neurobiologie begann in der Zeitschrift Trends in Plant Science . Ausgelöst hat sie der Artikel Plant neurobiology: an integrated view of plant signaling , unter anderem von den Autoren Stefano Mancuso und Frantisek Baluska. Die Antwort mit harscher Kritik schrieben 33 Wissenschaftlern unter dem Titel Plant neurobiology: No brain, no gain? Im Theater der Erkenntnis In seiner Verteidigungsrede berichtet Sokrates von den Erfahrungen, die er mit dem Nichtwissen gemacht hat (Apologie von Platon). Die Fragebögen, die wir an die Wissenschaftler geschickt und die Antworten, die wir zurückbekommen haben, sind hier einzusehen.
|
ZEIT ONLINE
|
Wir wollen unsere Arbeit transparenter machen: Mit welchen Experten wir gesprochen, welche Internetseiten wir besucht, welche Studien wir benutzt haben, lesen Sie hier.
|
[
""
] |
zeitwissen
|
Article
|
2016-04-12T04:00:05+02:00
|
2016-04-12T04:00:05+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2016/03/0316quellen
|
Bonobos und Schimpansen: Halb Primatenhippie, halb Haudraufaffe
|
In Afrika trennt Schimpansen und Bonobos ein gewaltiger Fluss, der Kongo. Die Bonobos leben südlich davon, die Schimpansen nördlich, und dort bleiben sie auch, denn sie können nicht schwimmen. In Leipzig trennen Bonobos und Schimpansen zwei Panzerglasscheiben und ein Betonweg. Die Bonobos leben links, die Schimpansen rechts, und dazwischen steht an diesem Tag der Mitteldeutsche Rundfunk. Das Kamerateam dreht einen Film über 15 Jahre Pongoland, so heißt das Affengehege des Zoos. Der Mensch interessiert sich mal wieder für seine nächsten Verwandten. Auf den ersten Blick beginnt an diesem Dienstag im Februar ein normaler Zootag. Die älteren Affen sitzen auf den Kletterbäumen und frühstücken Chinakohl, auf dem Boden liegen Bälle und Jutedecken, die Kleinen spielen Fangen. Aber heute ist etwas anders: Immer mal wieder geht in der Wand des Innengeheges eine Schiebetür auf, und ein oder zwei Affen schlüpfen hindurch. Durch verborgene Gänge gelangen sie in einen Raum, wo Primatenforscher des Max-Planck-Instituts auf sie warten, getrennt durch eine Glasscheibe und Gitter. Hier nehmen die Affen an Spielchen teil. Es geht in diesen Verhaltensstudien nicht nur um die Affen. Es geht auch um uns, die Menschen. Bonobos und Schimpansen sind unsere nächsten Verwandten , erst vor ein bis zwei Millionen Jahren trennte die Evolution beide Affenarten. Dabei ist etwas Rätselhaftes geschehen. Bonobos lösen Konflikte durch Sex, gerne auch zwischen Frauen. Begegnen sich fremde Bonobogruppen an Reviergrenzen, laufen die Weibchen mitunter auf die andere Seite und reiben mit den fremden Weibchen in Missionarsstellung ihre Genitalien aneinander. Sie kreischen dabei und, so vermuten jedenfalls Menschen, haben Spaß. Die Männer wiederum spielen nach kurzer Zeit mit den Kindern der anderen Gruppe. Es herrscht eine Willkommenskultur. In Bonobogesellschaften haben Frauen das Sagen. Erbeuten Bonobos zusammen etwa eine kleine Waldantilope, sitzen die Frauen in der ersten Reihe und verteilen die Fleischstücke. Auf den Primatenforscher Frans de Waal wirken diese Affen wie Intellektuelle: "Mit ihren schlanken Hälsen und den Fingern eines Klavierspielers scheinen Bonobos nicht in ein Fitnessstudio zu gehören, sondern in eine Bibliothek." Schimpansen dagegen vergleicht Frans de Waal mit Bodybuildern. Sie lösen Konflikte bevorzugt durch Aggression. Schimpansengesellschaften werden von kräftigen Alphamännern regiert. In freier Wildbahn patroullieren Schimpansenmännchen in Gruppen entlang der Reviergrenzen. Sie jagen fremde Schimpansen, verstümmeln oder töten sie, auch die Kinder aus benachbarten Revieren sind vor den Trupps nicht sicher. Sexuelle Nötigung ist bei Schimpansen weitverbreitet, schon die jungen Männer stellen den Frauen nach. Schimpansen können zwar auch kooperieren – in den jüngsten Studien der Max-Planck-Forscher verhielten sie sich fair gegenüber befreundeten Artgenossen. An die Nächstenliebe der Bonobos reichen sie aber nicht heran. Das Rätsel lautet: Wie hat die Evolution aus einem gemeinsamen Vorgänger bloß so unterschiedliche Arten hervorgebracht? Welche Umstände haben Bonobos zu Diplomaten und Schimpansen zu Diktatoren gemacht ? Und was heißt das für uns? Im Leipziger Zoo steht der Homo sapiens Daniel Hanus neben der Glasscheibe zum Bonobogehege und stellt Joey vor, der in der einen Hand eine Möhre hält und mit der anderen beiläufig onaniert. Er ist der kräftigste Affe im Gehege, aber das heißt noch nichts. "Joey ist manchmal der Prügelknabe", sagt Hanus. Einmal wurde er von drei Weibchen zur Rechenschaft gezogen. Joey lag auf dem Boden, und sie bissen ihn in Hände und Füße. Das war für die Zoobesucher vielleicht etwas heftig, aber für Hanus hat es auch etwas Positives: "Ich finde beruhigend, dass nicht nur das Patriarchat ein Erfolgsmodell ist." Daniel Hanus ist Psychologe und koordiniert die Verhaltensstudien im Leipziger Zoo. Im Urwald der Elfenbeinküste hat er als Student einmal monatelang Schimpansen beobachtet. Zu sehen, wie Schimpansenmänner ihr Revier verteidigen und einen kleinen Affen nach der Jagd in Stücke reißen, kann für einen angehenden Primatenforscher ernüchternd sein: "Man hat das Gefühl, man guckt in die eigene Vergangenheit." Auch Hanus fragt sich manchmal: Waren unsere Vorfahren eher die Haudrauf-Fraktion oder die Kamasutra-Leute? "Ich befürchte, von der Gesellschaftsstruktur her sind wir näher am Schimpansen. Aber die Toleranz und das kooperative Verhalten gehen eher in Richtung Bonobo." Verblüffend ist, dass der Mensch den Bonobos und Schimpansen mitunter mehr ähnelt, als die beiden Affenarten sich untereinander ähneln. 1,6 Prozent des menschlichen Erbguts haben mehr Ähnlichkeit mit den entsprechenden Stellen des Bonobogenoms als Bonobo- und Schimpansengenom untereinander, fanden Genetiker des Leipziger Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie heraus. Und in weiteren 1,7 Prozent ist das menschliche Genom näher an dem des Schimpansen als das Genom des Bonobos. Das Gleiche gilt für einen Vergleich der Verhaltensweisen. Folgende Merkmale verbinden den Homo sapiens mit dem Bonobo und unterscheiden beide vom Schimpansen : Sie haben Sex nicht nur zur Fortpflanzung; die Mutter ist auch für Erwachsene eine wichtige Bezugsperson; Erwachsene spielen gerne; selbst Fremde teilen miteinander. Und das verbindet den Homo sapiens mit dem Schimpansen und unterscheidet beide vom Bonobo: Konflikte zwischen Gruppen enden oft tödlich; Männer üben sexualisierte Gewalt gegenüber Frauen aus; Männer bilden Allianzen.
|
Max Rauner
|
Bonobos lösen Konflikte mit Sex, Schimpansen mit Gewalt. Beide sind unsere nächsten Verwandten. Was sagt das über uns aus?
|
[
"Affe",
"Primaten",
"Schimpanse",
"Verhaltensforschung",
"Evolution"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2016-04-15T13:26:36+02:00
|
2016-04-15T13:26:36+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2016/03/bonobos-schimpansen-stammbaum-verwandtschaft-sex-gewalt/komplettansicht
|
Crispr: "Mein Junge ist ein Versuchskaninchen"
|
Gavriel liebt Pferde. Kann sein, dass diese Pferdeliebe eine Begleiterscheinung seiner Krankheit ist, eine Zwangsstörung, wie Ärzte vermuten, aber was ändert das schon? Er hat die Zeitschrift Horse & Rider abonniert, die Kissen auf seinem Bett tragen Pferdemotive, neben dem Fenster steht ein Brett mit 14 Hufeisen. Nach der Schule guckt Gavriel Dressurreiten im Fernsehen, und sonntags hat er im Norden von London Reitunterricht, am liebsten mit Heather, einer Stute. Wenn man nur nach dem Äußeren geht, hätten viele Kinder in seinem Alter, mit 14, eine Pferdezwangsstörung. Aber bei Gavriel geht es ums Innerste. Jede seiner Körperzellen hat einen Gendefekt. Und wer weiß schon, was so ein Amok laufendes Gen alles anstellt. Auch andere Jungen mit diesem Genfehler haben eine Obsession. Gavriel jedenfalls sagt über Pferde: "Ich liebe ihre Stärke." Wenn ein Fohlen erwachsen wird, wird es immer kräftiger, bis es irgendwann eine Kutsche ziehen oder über ein Hindernis springen kann. Wenn Jungen wie Gavriel älter werden, werden sie immer schwächer, bis sie irgendwann nicht mehr aus eigener Kraft den Rollstuhl bewegen können. Gavriels Gendefekt sorgt dafür, dass seine Muskelzellen kein Dystrophin produzieren, ein Eiweiß, das die Muskelfasern stabilisiert. Menschen mit seiner Diagnose sterben früh, weil auch die Atem- und Herzmuskulatur allmählich versagt. Bis vor ein paar Monaten war Gavriel einer von Millionen Menschen, die an einer seltenen genetischen Krankheit leiden. Heute verkörpert er eine Hoffnung, denn mit seinem Schicksal ist eine Frage verknüpft: Ist es möglich, mikroskopische U-Boote mit einer Schere an Bord durch Gavriels Blutbahn zu seinen Muskelzellen zu schicken, um dort den Fehler im Gen herauszuschneiden? Crispr heißt die Technik , und manche feiern sie jetzt schon als medizinische Entdeckung des Jahrhunderts. Gavriel nennt den Mann, der diese Frage stellt, Ronni. Ronni ist Kinderarzt am SickKids Hospital in Toronto, mit vollem Namen heißt er Ronald Cohn . Der Tag vor zehn Jahren, an dem Gavriels Gendefekt diagnostiziert wurde, hat sich seiner Mutter Kerry Rosenfeld ins Gedächtnis eingebrannt. Sie war mit Gavriel zum Arzt gegangen, weil ihn Wadenkrämpfe plagten. Man hatte ihm Muskelgewebe entnommen. Nun saß Kerry mit ihrem Mann Doron einem Arzt im Krankenhaus gegenüber. Gavriel habe Muskeldystrophie vom Typ Duchenne, sagte dieser. Die Krankheit wird auf dem X-Chromosom vererbt, sie trifft fast nur Jungen, einen von 3.500. Duchenne-Jungen würden im Alter zwischen neun und zwölf Jahren die Fähigkeit zu laufen verlieren, erklärte der Arzt. Sie sterben mit Anfang zwanzig. Und: Es gibt keine Heilung. Minuten später standen sie vor dem Ausgang des Krankenhauses, Kerry und Doron Rosenfeld, und zogen eine Zigarette nach der anderen durch, eine ganze Packung Marlboro. Kerry raucht normalerweise nicht, aber normal war gestern. "Es war wie bei der Verlobung", sagt sie heute, "nur umgekehrt. Solange du es niemandem verrätst, ist es nicht real. Es ist dein Geheimnis. Und wenn du es erzählst, flippen alle aus." Eine Verlobung lässt sich auflösen, Gavriels Krankheit blieb. Zu Hause angekommen, kauerte sich Kerry in das Bett ihres Sohns und löste sich in Tränen auf. Und dann schlief sie ein und schlief und schlief und schlief. Eine tödliche Krankheit besucht eine Familie wie ein Gast, der nicht mehr aus dem Haus gehen will. Er gehört nun dazu, und man muss ihm einen Namen geben. Die Rosenfelds reden von "Duchenne", so hieß der Entdecker dieser Form der Muskeldystrophie. Duchenne sitzt beim Frühstück mit am Tisch und beim Abendessen. Duchenne begleitet Gavriel zur Schule und ist auf jedem Ausflug mit dabei. Kerry und Doron wollten nicht mit Gavriel und Duchenne allein sein. Sie bekamen drei weitere Kinder, alle gesund. Kerry Rosenfeld sitzt im Wohnzimmer ihres zweistöckigen Klinkerhauses im Nordwesten Londons und wärmt ihre Hände an einer Tasse Tee, es ist kühl im Haus. Die Kinder sind in der Schule, Fotos von ihnen schmücken die Wände: Gavriel mit seinen drei Geschwistern, Gavriel im Dinosaurierkostüm, als er noch gehen konnte. Ein Foto zeigt die Eltern mit Ronald Cohn, dem Arzt aus Kanada, der die Gene des Jungen verändern möchte. Sie haben ihn nach Gavriels Diagnose über einen gemeinsamen Freund kennengelernt. Kerry Rosenfeld weiß, dass Gentherapien riskant sind. Sie sagt: "Wir sind vielleicht verzweifelt, aber wir sind nicht dumm. Ja, mein Junge ist ein Versuchskaninchen. Aber wenn du nichts tust, heißt das, dass diese Krankheit dein Kind zerstören wird." Kerry Rosenfeld ist eine schmale Frau, die man für zerbrechlich halten könnte, bis sie zu reden beginnt. Sie hat eine kräftige Stimme, sie redet schnell und wippt manchmal ungeduldig mit dem Bein, sie sagt: "My brain goes 100 miles per hour." Sie hat keine Zeit zu verlieren. Mit Mitte zwanzig war sie Investmentbankerin bei der Schweizer Großbank UBS. Heute ist sie Gavriels Gesundheitsministerin. Im Wohnzimmer stehen 18 Stühle um einen langen Tisch, ein Flipchart, zwei Rollstühle. Dies ist ihr Hauptquartier im Kampf um das Leben ihres Sohnes. Sie vernetzt Biotech-Unternehmer und Wissenschaftler, organisiert Telefonkonferenzen und plant das nächste Spenden-Dinner für ihre Stiftung, den Duchenne Research Fund . Das Startkapital hatte die Familie durch Spenden ihrer jüdischen Gemeinde erhalten. Ihr Mann, Teilhaber einer Elektronikfirma, möchte, dass sie kürzertritt, Burn-out-Gefahr.
|
Max Rauner
|
Gavriel leidet an Duchenne. Die Krankheit ist selten und tödlich. Doch den Kampf um sein Leben könnte er dank seiner Mutter und einer neuen Technik gewinnen: Crispr.
|
[
"Gentechnik",
"Erbgut",
"Arzt",
"DNA",
"Gendefekt",
"Kanada"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2016-07-04T08:08:15+02:00
|
2016-07-04T08:08:15+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2016/03/crispr-gentechnik-duchenne-gendefekt-veraenderung-dna/komplettansicht
|
Jan Philipp Reemtsma: "Ich bin sehr für Rache, sie darf nur nicht sein"
|
Eine herrschaftliche Villa in Hamburg, zwischen Universität und Alster gelegen. Der Sitz der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur. Im Foyer eine Vase mit Kirschbaumzweigen, an den Wänden der hohen Räume reihen sich Bücherregale aneinander. Jan Philipp Reemtsma empfängt uns in seinem Arbeitszimmer. Seit 40 Jahren beschäftigt er sich mit Gewalt. Genozide, Massaker, Diktaturen sind seine Themen. Und er hat Gewalt selbst erlebt: Vor 20 Jahren wurde der Erbe eines Zigarettenfabrikanten vor seinem Haus in Blankenese entführt, in einen Keller gesperrt und erst nach 33 Tagen für ein Lösegeld von 30 Millionen D-Mark freigelassen. Reemtsma finanzierte die Suche nach den Tätern selbst. Sie wurden gefasst, verurteilt und haben ihre Haft abgesessen. Wir beginnen unser Gespräch an diesem Dienstagmorgen im März, indem wir gemeinsam die Zehn-Uhr-Nachrichten im Radio hören. Die Themen an diesem Tag: Syrienkrieg, Terroranschlag in der Türkei, Flüchtlinge, Wahlerfolge der AfD, Donald Trump. ZEIT Wissen: Herr Reemtsma, wenn Gewalt ein Wesen wäre, wäre es attraktiv? Jan Philipp Reemtsma: Wie attraktiv ist der Teufel? Bekanntlich hat er gewisse verführerische Qualitäten; aber hübsch ist er nicht. ZEIT Wissen: Was ist so anziehend an Gewalt, dass sie immer wieder die Menschen verführt? Reemtsma: Gewalt ist ein Machtangebot an den Menschen. Ein Angebot, das diese Gesellschaft nicht zur Verfügung hat, auch nicht haben soll. Wenn jemand kommt und Gewalt im Angebot hat, dann ist das die größte Macht, die man einem Menschen verleihen kann: seinen Mitmenschen töten und tottreten. Nicht jeder fährt darauf ab, aber genug tun es. Diese Leute – um ganz ins Extreme zu gehen – gehen zum IS . Darf ich mich bitte in die Luft sprengen? Darf ich köpfen? Diese Leute hat es immer gegeben, da dürfen wir uns auch nichts vormachen. Die sind früher in die Kolonien gegangen oder in die Fremdenlegion. Warum geht man in die Fremdenlegion? Weil man töten will. Ich finde das alles nicht rätselhaft. Es hat immer Leute gegeben, die ganz vorn an die Front rennen wollten. Im Krieg nennt man sie dann Helden. ZEIT Wissen: Sie haben sich fast Ihr gesamtes Berufsleben mit Gewalt beschäftigt, dazu geforscht und sie selbst erlebt – was muss man als Erstes verstehen? Reemtsma: Dass wir seit – sehr grob gesprochen – Ende des Dreißigjährigen Krieges in eine andere Zeit eingetreten sind. Zuvor war die Kultur gewaltgetränkt, sie ließ sich Gewalt als Amüsement und Volksschauspiel gefallen und kam nicht auf die Idee, etwas nur wegen seiner Brutalität anzuprangern. Unsere Moderne kennzeichnet, dass sie Gewalt als Anormalität betrachtet. ZEIT Wissen: Wodurch hat sich das geändert? Reemtsma: Ich habe mir dafür den Begriff eines "koevolutionären Prozesses" zurechtgelegt. Es ist ein Zusammenspiel von Verschiedenem. Zum einen funktionierten die Religionen nicht mehr als Rechtfertigung für alles Mögliche. Gleichzeitig wurde das Individuum wichtiger. Man definierte sich nicht mehr nur über Stände, Verbände oder Religion. Das Ich tritt als verletzliche Einheit in Erscheinung. In England fragte Thomas Hobbes, wie Gewalt zu begrenzen sei, und diese Idee drang in die Philosophie, die Politik, den Habitus der Menschen ein. ZEIT Wissen: Verdrängt Zivilisation Gewalt? Reemtsma: Gewalt findet weiterhin statt, aber unser Blick auf sie ist ein anderer. Wir brauchen jetzt Rechtfertigungsmuster. Denken Sie an die koloniale Gewalt . Die wird im Namen der Zivilisation ausgeübt, mit der Begründung, die Gewalt der Barbaren abzuschaffen. Oder Guantánamo : Das ist ganz klar ein Foltercamp, aber man darf es nicht so nennen, denn Folter, das Wort, passt nicht zur modernen Gesellschaft. ZEIT Wissen: Versuchen wir manchmal, Gewalt abzuschaffen, indem wir sie einfach leugnen? Reemtsma: Ja, das gibt es. Oder indem wir sie pathologisieren: Im kriminellen Milieu gibt es bizarre Vögel, aber die sind verrückt. Das muss man nicht weiter an sich heranlassen. ZEIT Wissen: Daneben existiert auch die Zone der erlaubten Gewalt. Reemtsma: Jede Gesellschaft unterscheidet zwischen verbotener, erlaubter und gebotener Gewalt. Ein Mörder zum Beispiel: Seine Gewalt war verboten. Dann haben sie ihn verhaftet und in Handschellen gelegt; auch das ist Gewalt. Aber die ist eben erlaubt beziehungsweise geboten. Es gibt keine schlechthin ungewalttätigen Gesellschaften. Und wir würden sie auch nicht wollen. ZEIT Wissen: Wo verlaufen die Grenzen zwischen erlaubt und nicht erlaubt?
|
Andreas Lebert
|
Genozide, Massaker, Diktaturen – seit 40 Jahren analysiert Sozialforscher und Entführungsopfer Jan Philipp Reemtsma Gewalt. Wie kann man erklären, dass Menschen foltern?
|
[
"Gewalt",
"Entführung",
"Jan Philipp Reemtsma",
"Napoleon Bonaparte",
"Ruth Klüger",
"Sigmund Freud",
"Götz Aly",
"Thomas Hobbes",
"Intelligenz",
"Soldat"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2016-06-07T20:24:04+02:00
|
2016-06-07T20:24:04+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2016/03/jan-philipp-reemtsma-gewalt-menschen-grenzen-waffen-krieg/komplettansicht
|
Kommunikation: Wie Getränke unsere Beziehungen beeinflussen
|
Lange hat er beobachtet, wie sie durch den Garten spaziert. Nun nähert sie sich, das ist seine Chance, sie aufzuhalten. Im Vorbeigehen tritt er auf ihren langen Rock, sie dreht sich um. Dann der Satz, den er sich bereits im Kopf zurechtgelegt hat: "Oh, Entschuldigung! Darf ich Sie als Entschädigung auf eine Tasse Tee einladen?" In diesem Moment ist beiden klar: Es geht hier nicht darum, den Durst zu stillen, sondern ins Gespräch zu kommen, wie Tom Standage in seinem Buch Sechs Getränke, die die Welt bewegten schreibt: Englands Teegärten im 18. Jahrhundert waren eine beliebte Partnerbörse für junge Männer und Frauen, und Tee war das soziale Schmiermittel. Sicher, inzwischen gibt es Partnerbörsen im Internet. Aber wenn zwei Menschen sich kennenlernen, sitzt auch heute noch meistens ein stiller Vermittler dazwischen: das Getränk. Ob Kaffee, Tee, Wein oder Bier – in vielen Situationen klammern sich Menschen an ihre Tasse oder das Glas, als würde ihnen ohne die Flüssigkeit im Gespräch die Stimme versagen. Wollen wir uns nachher auf einen Kaffee treffen? Kommst du mit auf ein Feierabendbier ? Mögt ihr ein Glas Wein ? Die Einladung ist mehr als nur Small Talk. Vor allem Alkohol dient seit jeher als Treibstoff zwischenmenschlicher Beziehungen. "Der Wein enthüllt Verborgenes", sagte der griechische Philosoph Eratosthenes im 3. Jahrhundert vor Christus. So veranstalteten die Griechen große Festgelage und schöpften beim symposion (altgriechisch für "gemeinsames Trinken") Wein aus einem großen Kessel. Die Sumerer in Mesopotamien und die alten Ägypter betrachteten das Bier als Göttertrank und schlürften es gemeinschaftlich mit Strohhalmen aus einem Tonkrug. Wir synchronisieren unseren Trinkrhytmus Heute wird die verbindende Wirkung der Getränke streng wissenschaftlich untersucht, von Soziologen, Psychologen, Anthropologen, Ethnologen, Ökonomen. Beispiel Alkohol: Amerikanische Forscher studierten das Gesprächsverhalten von 720 Teilnehmern , die in Vierergruppen unterschiedliche Drinks konsumieren und sich dabei unterhalten sollten. Diejenigen, die ein alkoholisches Getränk bekamen, redeten mehr miteinander und lächelten sich häufiger an – die Forscher sprechen von "goldenen Momenten" – als die Vergleichsgruppen mit alkoholfreien Drinks. Eine niederländische Studie zeigt , dass Menschen sogar ihren Trinkrhythmus synchronisieren: Nippte der Versuchsleiter in der Forschungsbar am Glas, tat es sein Gegenüber ihm gleich, mit Wein und Bier häufiger als mit Wasser und Softdrinks. In größeren Gruppen bringt Alkohol Menschen in vielen Kulturen dazu, merkwürdige Rituale auszuführen (zuprosten, Trinksprüche aufsagen, Schnapsflaschen auf den Tresen klopfen). Der Anthropologe Victor Turner unterteilte solche Formen symbolischer Handlungen in drei Stufen. Erstens: Eine Gruppe wird aus den Alltagsstrukturen gelöst. Zweitens: Die Teilnehmer erleben gemeinsam eine Situation, in der Hierarchien und soziale Regeln aufgebrochen werden, während die Gruppe zu einer Einheit verschmilzt. Drittens: Die Gruppenmitglieder kehren zurück in den Alltag. Gut möglich, dass die Rangordnung am Morgen nach dem Saufgelage eine andere ist. Auch nichtalkoholische Getränke haben eine soziale Funktion. Während der Aufklärung dienten Europas Kaffeehäuser als Nachrichtenbörse für Wissenschaftler, Kaufleute, Politiker, Anwälte. Hier wurden Geschäfte gemacht. Heute richten Firmen Kaffeeecken und Teeküchen ein. Die Angestellten sollen sich wohlfühlen, Wissen austauschen – und am Ende produktiver sein. Eine dänische Studie zeigte , dass Angestellte den gemeinsamen Kaffee mehr als das Mittagessen dazu nutzen, miteinander ins Gespräch zu kommen. Es ist Spekulation, aber nicht ausgeschlossen, dass heiße Getränke einem positiven Arbeitsklima förderlich sind . Versuchsteilnehmer, die einen Kaffee in der Hand hielten, ordneten einer fiktiven Person, von der sie eine kurze schriftliche Beschreibung erhielten, warme Persönlichkeitseigenschaften zu (großherzig, freundlich, fürsorglich, vertrauenswürdig). Diejenigen hingegen, die einen Eiskaffee hielten, beschrieben die Person mit kühleren Eigenschaften. Ob warm oder kalt, trotz Facebook, Partnerbörsen, Xing und WhatsApp – es scheint, als fehle dem Menschen etwas Existenzielles, wenn er mit anderen nicht mehr gemeinsam trinken kann: Zu den häufigsten Motiven auf der Online-Plattform Instagram zählen die Fotos frisch servierter Cappuccinos. Die Quellenangaben zum ZEIT-Wissen-Artikel finden Sie hier.
|
Josefa Raschendorfer
|
Wenn wir jemandem näherkommen, sind oft Vermittler dabei: Kaffee, Bier, Wein. Wir klammern uns an unser Glas, als würde ohne Flüssigkeit unsere Stimme versagen. Warum?
|
[
"Psychologie",
"Soziologie",
"Beziehung",
"Sozialverhalten",
"Alkohol",
"Kaffee",
"Getränk",
"Wein",
"Bier",
"Tee"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2016-05-04T09:23:50+02:00
|
2016-05-04T09:23:50+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2016/03/kommunikation-getraenke-soziale-funktion-partner-vermittlung
|
Nichtwissen: Im Theater der Erkenntnis
|
Frage: Was ist in Ihrem Fachgebiet die wichtigste Frage, auf die es keine Antwort gibt? Andreas Maercker: Im größeren Fachgebiet der Seelenheilkunde sicher die Frage: Wie kann man Menschen mit bislang kaum behandelbaren psychischen Erkrankungen besser als bisher therapieren? Da stehen viele Formen der Depressionen an, die schizophrene Psychose, die Anorexie und andere mehr. Weil der Anspruch, den diese Frage ausdrückt, aber viel zu umfassend ist und inzwischen in mehrere Fachgebiete zerfällt, schaue ich lieber auf eine unbeantwortete Frage, die einfacher zu beantworten wäre und die zur Zeit besonders spannend ist: Gibt es zur Zeit einen Anstieg psychischer Erkrankungen? Dies wird von verschiedenen Autoren wohlfeil behauptet, die sich auf bestimmte Zahlenreihen berufen. Ein kritischer Blick auf diese Daten zeigt aber, dass diese Behauptung auf wackligen Füssen stehen, denn die benutzen Daten haben immer irgendwelche methodischen Haken. Andererseits gibt es viele theoretisch gute Gründe anzunehmen, dass es einen Anstieg psychischer Störungen im Zusammenhang mit den industriellen und soziokulturellen Veränderungen gibt. Nur gibt es noch keine zweifelsfreien Daten, die diese theoretische Vermutung belegen. Es gibt sogar zaghafte kleine empirische Studien, die nahelegen, dass der Anteil psychischer Störungen mit zunehmender gesellschaftlicher Modernisierung und Postmodernisierung trotz der mit ihnen verbundenen Krisenkonstellationen sinkt. Bisher weiß es niemand. Frage: Welches vermeintliche Wissen in Ihrer Disziplin ist vermutlich falsch? Maercker: Dass die schizophrene Psychose überall auf der Welt mit der gleichen Häufigkeit auftritt – dabei wird dann die Zahl von einem Prozent der Bevölkerung genannt. Das ist eine klassische Angabe in vielen Lehrbüchern, die immer weiter abgeschrieben wird und hinter der steht: wir haben es hier mit etwas Universellem zu tun. Spätestens seit einer großen Studie der Weltgesundheitsorganisation aus den 1980er Jahren zeigte sich, dass die Häufigkeiten in verschiedenen Regionen um mehrere Größenordnungen variieren: viel weniger in tropischen Ländern und höher in nördlichen Ländern. Ähnliche Variationen, allerdings mit anderen regionalen Mustern, gibt es auch für Kopfschmerzen und für Herz-Kreislauf-Krankheiten. Aber diese Angabe "1% der Bevölkerung haben eine schizophrene Erkrankung" scheint einfach nicht aus dem Bewusstsein der Psycho-Berufe zu verschwinden. Frage: Was ist die wichtigste Voraussetzung dafür, das Nicht-Gewusste zu verkleinern? Maercker: Psychiatrie, klinische Psychologie und Neurowissenschaften funktionieren häufig noch nach einem essentialistischen Erkenntnismuster: es gibt notwenige und kontingente Eigenschaften einer Sache und wenn man sie wissenschaftlich untersucht, kommt man entweder zu einer richtigen oder falschen Aussage. Der erkenntnistheoretische Konstruktivismus und gar sein wilder Geselle, der Dekonstruktivismus, werden nicht angewandt. Daher gibt es noch zu viele Ergebnisse, die man aus dem ethnozentristischen, westlichen und weißen Blickwinkel heraus erhält. Das gilt auch für die Neurowissenschaften, denn bio-kulturelle Interaktionen spielen auch dort eine Rolle – wozu ein gerade begonnener, bisher noch ganz dünner Forschungsstrang langsam Belege sammelt. Frage: Welche jüngere Erkenntnis in Ihrem Fachgebiet hat am meisten neues bekanntes Nicht-Wissen hervorgebracht? Maercker: Ein Paradigmenwechsel aus den 1980er Jahren stellte die traumatischen Erfahrungen, die einzelne Menschen durchleiden müssen, in den Fokus der Aufmerksamkeit für die Entstehung psychischer Störungen. Damit verbunden ist ein neues Paradigma, dass den Stress allgemein in den Fokus der klinischen Psychologie, Psychiatrie und Neurowissenschaften stellt. Taumatischer Stress ist demnach ein Sonderfall des klinisch bedeutsamen Stresses. Man spricht heute von "Stressfolgeerkrankungen" und erforscht diese intensiv. Aber sehr weit ist man noch nicht. Spielt beispielsweise in der Kindheit erlebter traumatischer Stress eine Rolle für viele verschiedene psychische Erkrankungen ausser der bekannten Diagnose der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS)? Im Falle der schizophrenen Psychosen, der verschiedenen Depressionen und Persönlichkeitsstörungen? Frage: Sie dürfen spekulieren: Was könnte ein bedeutendes "unknown Unknown" auf Ihrem Forschungsbiet sein? Maercker: Wie weit spielte traumatischer Stress (heute definiert als erlittene Lebensgefahren und/oder sexuelle Gewalt) eine Rolle bei der Entstehung schwerer, bisher noch kaum therapierbarer psychischer Störungen? Frage: Sie dürfen spekulieren: Welchen Anteil des Wissbaren wissen wir bereits? Maercker: Das wollen häufig auch Betroffene oder ihre Angehörige für eine bestimmte Erkrankung wissen, insbesondere in Bezug auf Therapie- oder Heilungschancen. Bei einigen Diagnosen kann man es sagen: Bei einer Posttraumatischen Belastungsstörung nach einem im Erwachsenenalter erlebten Trauma sind es bis zu 85%, bei denen die bekannten spezifischen Psychotherapieverfahren helfen. Es zusammengefasst zu beantworten, ist dagegen schier unmöglich. Nein, ich kann es nicht beantworten. Frage: Gibt es etwas, das wir Menschen besser nicht wissen sollten und etwas, das Sie persönlich nicht wissen wollen? Maercker: Siehe meine Antwort auf die nächste Frage. Frage: Sollten die Wissenschaft danach trachten, alles zu wissen? Maercker: Ja, die Wissenschaft ja. Jedenfalls die, zu der ich hier Aussagen mache. Dazu gehört natürlich auch die Erklärung des menschlichen Bösen, der Fragen wie Gewalt entsteht, wer sich zu ihr hingezogen fühlt, und wer Gewalt in schrecklicher Potenzierung ausübt. Wenn man Wissenschaftler mit Leib und Seele ist, dann möchte man keine "blinden Flecken" lassen, die eigene Neugier ist dann "polymorph pervers"—ein Begriffspaar, das Sigmund Freud geprägt hat. Das geht auch ins Persönliche, aber für das gilt gleichzeitig die Einsicht, das Wissensbesitz nicht bedeutet, irgendetwas besser zu machen. Frage: Was wäre dann anders als heute? Maercker: Es gäbe schon Angelegenheiten, die dann besser gelöst werden — siehe die Therapien schwerer psychischer Erkrankungen. Andererseits ist es für viele Wissensbereiche wohl auch gut, dass wir noch nicht alles wissen oder es nie wissen werden. Frage: Würden Sie etwas, was Sie wissen, gerne wieder vergessen? Maercker: Nein. Es ist noch Platz im Kopf und im Herzen. Nur beim Banalen möchte ich manches nicht so genau wissen—und doch schaut man von Zeit zu Zeit aufs Vermischte in den News und merkt sich wer sich mal wieder von wem getrennt hat. Aber die Psyche wird dieses unnütze Wissen schon verkraften. Frage: Existiert das Nicht-Gewusste überhaupt, solange wir es nicht wissen? Maercker: Diese Frage überlasse ich den Kolleginnen und Kollegen aus der Philosophie. Frage: Gibt es etwas, was wir für wahres Wissen halten, was in alle Zukunft wahr bleiben wird? Maercker: Ohne Zweifel wird vieles bleiben. Es bleibt auf der anderen Seite genügend scheinbar wahres Wissen übrig, dass im Orkus verschwinden wird auf Nimmerwiedersehen. Frage: Wie schnell, schätzen Sie, wird Ihr eigenes Wissen überholt sein? Maercker: Teile meines Wissens erneuern sich alle zehn Jahre, z.B. wie man schwere psychische Störungen wie Selbstverletzungen therapiert. Man muss schon dranbleiben an dem, was die Kolleginnen und Kollegen aus aller Welt herausfinden. Aber es wird weiterhin Dinge geben, zu denen sich das Wissen seit hundert Jahren nicht verändert und für die man eigentlich die wissenschaftlichen Vorfahren immer noch im Original lesen sollte.
|
ZEIT ONLINE
|
Andreas Maercker, Psychopathologe und Leiter des Psychologischen Instituts der Universität Zürich. Forschungsschwerpunkt: Traumata und Stress
|
[
""
] |
zeitwissen
|
Article
|
2016-04-12T04:20:02+02:00
|
2016-04-12T04:20:02+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2016/03/nichtwissen-andreas-maercker
|
Nichwissen: Im Theater der Erkenntnis
|
Frage: Was ist in Ihrem Fachgebiet die wichtigste Frage, auf die es keine Antwort gibt? Jochem Marotzke: Wie wird sich das globale Klima im 21. Jahrhundert entwickeln? Hier gibt es die fundamentale Schwierigkeit, dass wir nicht wissen, welche Entscheidungen die Menschheit bezüglich Energieversorgung o.ä. treffen wird, und daher auch nicht, wie viele Treibhausgase sie in Zukunft ausstoßen wird. Und selbst wenn wir diese Emissionen wüssten, gibt es erhebliche Unsicherheiten dahingehend, wie empfindlich das Klima auf diese Emissionen reagiert. Frage: Was ist die wichtigste Voraussetzung dafür, das Nicht-Gewusste zu verkleinern? Marotzke: Wir müssen Rückkopplungen im Klimasystem quantitative besser verstehen, besonders diejenigen, die mit Änderungen der Wolken zu tun haben. Ob es jemals möglich sein wird, dass kollektive menschliche Verhalten vorherzusagen, ist unklar – man kann es nicht ausschließen, es ist aber nicht sehr wahrscheinlich. Frage: Welches vermeintliche Wissen in Ihrer Disziplin ist vermutlich falsch? Marotzke: Viele Forscherkollegen glauben noch immer, dass es einen "Kipppunkt" in der arktischen Meereisbedeckung gibt – will sagen, wenn das Meereis einmal verschwunden ist, kommt es nicht wieder, auch wenn die Temperatur wieder sinkt (Hysterese). Das Hauptargument hierfür liegt in der positiven (verstärkenden) Rückkopplung zwischen (Eis-)Albedo und Temperatur begründet, übersieht aber, dass es auch sehr starke negative Rückkopplungen gibt. Vermutlich ist es so, dass das Meereis immer zurückkehren wird, falls die Temperatur wieder sinkt. Frage: Welche jüngere Erkenntnis in Ihrem Fachgebiet hat am meisten neues bekanntes Nicht-Wissen hervorgebracht? Marotzke: Das Klima schwankt chaotisch, also quasi-stochastisch. Das ist seit langem bekannt, aber in der Kommunikation mit der Nicht-Fachwelt ist dieser Aspekt nicht sehr stark betont worden. Eine auffällige Ausnahme ist der öffentliche Diskurs über das Abschwächen der Oberflächenerwärmung der letzten 15–20 Jahre. Wie Öffentlichkeit und Politik mit der zunehmen virulenten Manifestation chaotischer Variabilität umgehen wird, ist völlig unbekannt. Beispiel: falls es wirksame Emissionsminderungsbeschlüsse gibt, etwa vom Pariser Klimagipfel, werden Politik und Öffentlichkeit ungeduldig darauf warten, dass die "Belohnung" für die Anstrengungen sichtbar wird. Aber chaotische Variabilität wird die Ergebnisse der Anstrengungen für Jahrzehnte überdecken. Welche Reaktion wird den Klimawissenschaften entgegenschlagen? Wir wissen es nicht. Frage: Sie dürfen spekulieren: Was könnte ein bedeutendes "unknown Unknown" auf Ihrem Forschungsbiet sein? Marotzke: Wir können natürlich nicht ausschließen, dass es einen unbekannten Effekt gibt, der das Klima entweder deutlich stabiler oder deutlich instabiler macht, als wir das heute annehmen. Frage: Sie dürfen spekulieren: Welchen Anteil des Wissbaren wissen wir bereits? Marotzke: Ich glaube, diese Frage ist prinzipiell unbeantwortbar. Thomas Kuhn hat ja in "Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen" darauf hingewiesen, dass sich "normale" Wissenschaft immer spezialisiertere Fragestellungen vornimmt. Das scheint ein inhärent offener Prozess zu sein, von grundsätzlich neuen Paradigmen einmal abgesehen. Frage: Gibt es etwas, das wir Menschen besser nicht wissen sollten und etwas, das Sie persönlich nicht wissen wollen? Frage: Sollten die Wissenschaft danach trachten, alles zu wissen? Frage: Was wäre dann anders als heute? Marotzke: Diese drei Fragen hängen natürlich zusammen. Für mich liegt die Grenze auf jeden Fall dort, wo ethische Prinzipien die Untersuchung einer Frage verbieten – Beispiel wären die Menschenexperimente der Nazis. Wir wollen und dürfen nicht experimentell erforschen, welche gefährlichen Belastungen wie etwa Unterkühlung der menschliche Körper verträgt. Eine ethisch tiefgraue Zone betrifft die Forschung zur Waffenentwicklung; das hat Friedrich Dürrenmatt uns ja vorgeführt. Frage: Würden Sie etwas, was Sie wissen, gerne wieder vergessen? Marotzke: Das brauche ich mir nicht zu wünschen, das Vergessen geschieht automatisch – auch und vor allem von etwas, das ich eigentlich behalten möchte. Frage: Existiert das Nicht-Gewusste überhaupt, solange wir es nicht wissen? Marotzke: Es führt zu keinem praktischen Fortschritt in der Forschung, diese Existenz in Frage zu stellen (außerhalb der Quantenmechanik jedenfalls). Genauso wenig führt es zu neuen Erkenntnissen, grundlegende Errungenschaften wie die klassische (Newton’sche) Gravitation in Frage zu stellen. Insofern kann man sich solche Fragen aus einer grundsätzlichen philosophischen Perspektive heraus stellen, der Forschungsprozess außerhalb der Erkenntnistheorie wird davon aber nicht befruchtet. Frage: Gibt es etwas, was wir für wahres Wissen halten, was in alle Zukunft wahr bleiben wird? Marotzke: Die Klassische Physik in der vom Menschen erfassbaren Umgebung. Es gibt zu viele Implikationen, die in exquisitem Detail untersucht worden sind, als dass da etwas falsch sein könnte. Die Grenzen liegen natürlich dort, wo wir gehen ins ganz schnelle, ganz große oder ganz kleine gehen. Frage: Wie schnell, schätzen Sie, wird Ihr eigenes Wissen überholt sein? Marotzke: Meine Hoffnung ist, nur so langsam, dass ich durchs Dazulernen mithalten kann.
|
ZEIT ONLINE
|
Fragen an Jochem Marotzke, Direktor des Max-Planck-Instituts für Meteorologie
|
[
""
] |
zeitwissen
|
Article
|
2016-04-12T04:18:02+02:00
|
2016-04-12T04:18:02+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2016/03/nichtwissen-jochem-marotzke
|
Völlerei: Immer rein damit!
|
Dass Suppenschüsseln tückisch sind und man in ihrer Tiefe seinen Kopf verlieren kann, hat schon Michel aus Lönneberga erfahren müssen. Als der Knirps gierig in die Schüssel lugte, blieb er stecken und machte sich zum Gespött der Leute. So war das bei Astrid Lindgren. Ganz so arg hat das Geschirr den Leuten in Brian Wansinks Labor nicht mitgespielt. Aber auch sie wurden Opfer ihrer Gier und fielen auf die Tücke eines Suppentellers herein. Brian Wansink ist Ernährungsforscher an der Cornell University im Bundesstaat New York. Manche bezeichnen ihn als Sherlock Holmes des Essens, weil er Menschen mit detektivischer Raffinesse der unbedachten Völlerei überführt. In einer Studie machte er einen Suppenteller zum Komplizen und lud Versuchspersonen zur Verkostung ein. Angeblich ging es um eine neue Tomatensuppenrezeptur, doch in Wahrheit waren die Suppenesser selbst das Testobjekt. Manche von ihnen aßen nämlich von einem verzauberten Teller: Er wurde nie leer. Die Probanden konnten noch so eifrig löffeln, den Boden erreichten sie nie. Der Teller füllte sich wie durch Geisterhand stetig wieder auf. Über ein Loch im Tellerboden und eine bizarre Schlauchkonstruktion ließ der Forscher immerzu Suppe nachfließen. Die Probanden ahnten nichts davon. Natürlich hätten sie jederzeit sagen können: Nun reicht es mal, ich bin jetzt satt. Aber es dauerte eine Weile, bis dies geschah. Wansink verglich die Esser mit Probanden, die aus normalen Tellern löffelten. Auch sie durften so viel essen, wie sie wollten, mussten sich aber selbst nachnehmen. Und das machte einen Unterschied: Wer von der "unendlichen Suppe" aß, konsumierte im Schnitt 73 Prozent mehr als jene, deren Teller sich nicht von selbst auffüllte. Warum diese Suppenkasperei? Wansink wollte einer gewichtigen Frage auf den Grund gehen: Woran erkennen Menschen, dass sie satt sind? Am vollen Bauch? Offenbar nicht nur. Die Suppenteller-Studie legt nahe, dass wir uns auch an visuellen Informationen orientieren, folgert Wansink. Am Füllstand des Tellers etwa. Der Teller ist noch voll? Dann kann ich unmöglich schon satt sein. Vielleicht wurden viele Leute auch einfach so erzogen, den Teller brav leer zu essen. In jedem Fall zeigt die Studie, dass Menschen oft nicht bewusst ist, wie viel sie essen. Denn die Probanden aus der Loch-Teller-Gruppe hatten gar nicht das Gefühl, besonders viel gegessen zu haben. Sie fühlten sich nicht satter als die anderen, obwohl sie deutlich mehr im Magen hatten. Sind wir achtlose Mampfer? Manipulierbare Opfer des Geschirrs? In Wansinks Studien drängt sich dieser Eindruck auf: An anderer Stelle wies er nach, dass bereits größere Teller (ohne Lochtrick) zur Völlerei verführen, ebenso wie große Löffel und bestimmte Geschirrfarben. Die Rede ist von der Delboeuf-Illusion, benannt nicht etwa nach einem Gourmetkoch, sondern nach einem Forscher, der optische Täuschungen ergründete. Die könne es auch am Esstisch geben, meint Wansink: Je größer die Teller und je stärker der farbliche Kontrast von Mahlzeit und Teller, desto mehr wird unterschätzt, wie viel darauf liegt. Um wieder in Würde speisen zu können, gibt es nur eine Lösung: Weg mit Geschirr und Besteck!
|
Claudia Wüstenhagen
|
Wann wir satt sind, bestimmt nicht nur der Bauch. Es kommt auch auf das Geschirr an – oder eben seine Abwesenheit. Das haben Forscher im Loch-Teller-Experiment gezeigt.
|
[
"Psychologie",
"Ernährung",
"Studie",
"Cornell University"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2016-06-10T11:31:09+02:00
|
2016-06-10T11:31:09+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2016/03/voellerei-studie-satt-sein-suppe-teller
|
Freihandel: Spiel ohne Grenzen
|
Es war einmal ein Märchen, das handelte vom Schlaraffenland. Noch in den 1970er Jahren lernten Kinder es in Erzählungen der Großeltern kennen. In den Shopping-Zonen der Metropolen ist es wahr geworden. Erdbeeren aus Südafrika im Winter, Lammfleisch aus Neuseeland, Kleidung aus Tunesien, Smartphones aus Korea und Kalifornien und vieles mehr. Rund um den Globus werden heute Produkte in einer Menge transportiert und verkauft, die noch vor 40 Jahren unvorstellbar war. Die damals einsetzende Globalisierung entfesselte den Welthandel. Sie hat das "Güternet" der Container hervorgebracht, das Warenpakete transportiert, und das Internet der Computer, das Datenpakete um die Welt schickt. Die Globalisierung wird oft als recht neues Phänomen beschrieben, aber ihr Ursprung liegt weit zurück. 1947 schlossen 23 Länder das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen Gatt. Handel, so die Idee dahinter, verbinde Nationen und mehre ihren Wohlstand, auf dass sie nicht mehr mit dem Gedanken an Krieg spielen. In acht Handelsrunden wurde das Gatt immer feiner ausgearbeitet, stießen immer mehr Länder dazu. Von 1948 bis 1995 verhundertfachte sich das globale Handelsvolumen. Dieses Wachstum sollte die Welthandelsorganisation WTO, die am 1. Januar 1995 in Genf ihre Arbeit aufnahm und heute 162 Mitgliedstaaten zählt, noch ausweiten. Der Welthandel vervierfachte sich noch einmal, auf knapp 24 Billionen Dollar im Jahr 2014, Dienstleistungen eingeschlossen. Doch das neue Schlaraffenland hat dunkle Hinterhöfe. Neue Kriege, wachsende Ungleichheit, zunehmende Migration und eine globale Finanzkrise hat das Handelswunder nicht verhindern können. Die Unzufriedenheit von Entwicklungs- und Schwellenländern ließ die neunte Welthandelsrunde, die sogenannte Doha-Runde, 2008 ohne Ergebnis in sich zusammensacken. Auch in den alten Industrieländern regt sich längst heftiger Protest gegen neue Handelsabkommen wie TPP oder TTIP . Der Welthandel selbst wuchs seit 2012 nur noch um magere 2,5 Prozent jährlich, kein Vergleich zu den Boomjahren vor dem Finanzcrash. Business as usual funktioniert nicht mehr. Hier sind drei Szenarien für ein Welthandelssystem der Zukunft. Szenario 1: Globaler Freihandel Wer im Internet Produkte aus anderen Weltgegenden kauft, bekommt mitunter Post vom Zoll. Das Paket wartet im Zollamt und wird erst dann herausgerückt, wenn der Empfänger die Einfuhrumsatzsteuer und einen Zollsatz von einigen Prozent bezahlt hat. In einer Welt mit globalem Freihandel gäbe es diese Prozedur nicht mehr: Jeder dürfte Produkte überallhin verkaufen und von überall kaufen. Die Staaten könnten ihre Zollbehörden abschaffen. Das würde zum Beispiel Unternehmern in Kenia nützen. Sie könnten aus dem Kakao, der dort angebaut wird, Schokolade herstellen und direkt nach Europa verkaufen. Bislang geht das nicht: Die Einfuhr ist nur für Kakao als Rohstoff frei, nicht jedoch für daraus verarbeitete Produkte. Wenn die kenianische Tafel Schokolade lecker und günstig zugleich ist, könnten die Hersteller den hiesigen Schokofabrikanten das Geschäft streitig machen. Diese könnten im Extremfall pleitegehen, sodass am Ende in den Supermarktregalen nur noch Schokolade aus afrikanischen Ländern stünde. Nicht schön für die heimischen Hersteller. Für die Weltwirtschaft insgesamt wäre es jedoch gut, argumentierte der Begründer der Freihandelstheorie, der Engländer David Ricardo, schon vor 200 Jahren. Nach seiner Theorie des komparativen Kostenvorteils führt Freihandel dazu, dass sich jedes Land auf das spezialisiert, was es am effektivsten herstellen kann: Kenia beispielsweise Schokolade, während Deutschland sich etwa noch mehr auf Maschinen konzentrierte. Ricardo rechnete vor, dass bei einer solchen Arbeitsteilung zwischen zwei Ländern unter dem Strich nicht nur mehr produziert wird als vor einem Freihandel, sondern beide Länder auch besser dastehen als vorher. Nun war Ricardos Modell noch sehr simpel und abstrakt. Ökonomen späterer Generationen verfeinerten es, vor allem die Schweden Bertil Ohlin und Eli Heckscher um 1930 und der Amerikaner Paul Krugman mit seiner Neuen Ökonomischen Geographie 1991 (er wurde 2008 mit dem Nobelpreis geehrt). An der Konsequenz, die Ricardo formuliert hatte, änderte sich jedoch nichts. Zahlreiche Modellrechnungen, die in den vergangenen Jahren verschiedene Handelsszenarien verglichen haben, zeigen: Beim globalen Freihandel stiege das volkswirtschaftliche Einkommen am stärksten, in vielen Studien sogar für alle Beteiligten. Die OECD sagte 2006 einen globalen Einkommenszuwachs von 287 Milliarden Dollar bis 2015 vorher. Eine Studie der Carnegie Endowment for International Peace, die zur gleichen Zeit die Zukunftsaussichten für Entwicklungs- und Schwellenländer modellierte, kam auf 168 Milliarden Dollar. Auch hier schnitt kein Szenario, bei dem es noch irgendeine Form von Handelsbarrieren gab, besser ab. Zum Vergleich: Die Vorschläge, die damals in den WTO-Verhandlungen in Doha auf dem Tisch lagen, hätten nur einen Zuwachs von knapp 59 Milliarden Dollar gebracht. Der Praxistest blieb jedoch aus – die Doha-Runde scheiterte.
|
Niels Boeing
|
Der globale Handel lässt nach, das Misstrauen gegen Abkommen wie TTIP und Ceta wächst. Wie sieht die Zukunft des Welthandels aus? Drei Szenarien
|
[
"WTO",
"TTIP",
"Freihandel",
"Fair Trade",
"Handel",
"Doha"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2016-05-14T16:32:38+02:00
|
2016-05-14T16:32:38+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2016/03/welthandel-zukunft-oekonomie-misstrauen-handelsabkommen/komplettansicht
|
ZEIT Wissen 4/2016: Hier haben wir recherchiert
|
Am Anfang drei Fragen 1. Warum fangen Männer auf Partys später als Frauen an zu tanzen? Der Kunsthistoriker Ramsay Burt untersuchte 2007 in seinem Buch "The male dancer" die Rolle des Mannes im Tanz und deren Veränderungen im Laufe der Zeit. Der Psychologe Peter Lovatt von der University of Hertfordshire ist einer der führenden "Tanzpsychologen" der Gegenwart. Er leitet dort das Dance Psychology Lab. Die Psychologin Chiara Bassetti von der Universität Trento widmet sich in "Male Dancing Body, Stigma and Normalising Processes. Playing with (Bodily) Signifieds/ers of Masculinity" den Normen, die sich für den männlichen Körper entwickelt haben. 2. Warum können Mädchen nicht werfen? Der US-Sportwissenschaftler Jerry Thomas hat mehrere Untersuchungen zu den Geschlechtsunterschieden im Wurfverhalten durchgeführt und zusammengetragen, darunter auch zu den Besonderheiten bei Aborigine-Kindern . Dass Mädchen auch durch gezieltes Training den Leistungsunterschied zu den Jungs nicht verringern können, zeigt die Metastudie von Richard W. Young. Der Essay, in dem die Philosophin und Politikwissenschaftlerin Iris Marion Young die Wurftechnik von Mädchen auf gesellschaftliche Unterdrückung zurückführt, wurde erstmals 1980 veröffentlicht. In einer Sammlung von Texten, in denen Young die weibliche Körpererfahrung thematisiert, erschien er 2005 erneut. Der Elfmeter Die Ruhr-Universität in Bochum hat " Das Hirn des Torwarts beim Elfmeter " wissenschaftlich durchleuchtet. Erfolg und Misserfolg beim Elfmeterschießen - die Sporthochschule Köln hat dazu "eine empiriegeleitete retrospektive Analyse der Europa- und Weltmeisterschaften von 1982 bis 2012" verfasst. "Asymmetric Predictability and Cognitive Competition in Football Penalty Shootouts" heißt eine Studie , die untersucht hat, warum sich Torwarte beim Elfmeter in welche Richtung werfen (und eine Untersuchung , ob kein Torwart nicht genauso gut halten würde). "Choking under Pressure": Warum selbst Profis unter dem Druck zusammenbrechen . The British Association of Sport and Exercise Sciences über die psychologischen Vorbereitungen eines Elfmeterschusses. Fuß trifft auf Ball... Tor! Eine interessante Abhandlung über die Biomechanik beim Elfmeterschuss . Über die Physik von Fußball im Allgemeinen und des (Elfmeter-)Schießens im Besonderen gibt es eine Reihe von Fachveröffentlichungen: "Football Curves" von Guillaue Dupeux u.a., CNRS Ecole Polytechnique, 2011 "The Science of Soccer" von John Wesson, IOP Publishing, 2002 "Modelling Football Penalty Kicks" von Jeffrey Leela und Donna Commissiong, University of the West Indies, 2009 "How to score a goal" von J. Sandhu u.a., University of Leicester, 2011; das Paper beschreibt kurz und prägnant die Magnus-Kraft, die Bälle Kurven fliegen lässt. "Physik und Fußball" schülergerecht dargestellt von Sven Fischer, Universität mainz, 2012 Was essen Sie am allerliebsten? Soll man Kindern eintrichtern, dass Obst und Gemüse gesund sind? Amanda Bruce und Kollegen berichten in einer neuen Studie über Verhaltensexperimente mit älteren Kindern. Außerdem sollten die Kinder Essensentscheidungen treffen, während sie im Hirnscanner lagen. Konsumforscher haben beobachtet , dass Kindern zwischen 3 und 5 das Essen nicht so gut schmeckt, wenn man betont, dass es gesund ist. In seinem Buch What the Nose knows schreibt Avery Gilbert unterhaltsam und faktenreich über die Evolution des Geschmacksinns. Nicola Pirastu beschreibt die ersten Forschungsergebnisse über Genetik und Lebensmittelvorlieben entlang der Seidenstraße in diesem Fachartikel . Das Geheimnis der Resonanz In einem ZEIT-Interview erläutert Hartmut Rosa die Idee der Resonanz. Sein Buch "Resonanz" ist bei Suhrkamp erschienen Der Psychiater und Kreativitätsforscher Rainer Holm-Hadulla hat Literatur und Aufsätze zum Thema Kreativität auf seiner Webseite aufgelistet. Der Holzschnitzer Simon Stiegeler zeigt seine Arbeiten auf dieser Webseite. Matthew Crawfords Buch "Die Wiedergewinnung des Wirklichen" ist bei Ullstein erschienen . Buchtipp für fortgeschrittene Leser: " Die Erfindung der Kreativität " von Andreas Reckwitz. Viel Theorie und Soziologenjargon. Der amerikanische Ökonom Richard Florida erfand in den Nullerjahren den Begriff der "kreativen Klasse". Die Entwicklung des kreativen Denkens in den USA hat diese Langzeitstudie untersucht. QWERTZ Der Qwerty-Effekt besagt, dass Wörter, in denen Buchstaben von der rechten Tastaturhälfte dominieren, positivere Konnotationen auslösen als linkslastige Wörter. Entdeckt und erstmals benannt wurde der Effekt 2012 in einer Studie von Daniel Casasanto und Kyle Jasmin. Zwei Jahre später und in einem größeren Team wiesen ihn die Forscher für weitere Sprachen nach, unter anderem für Deutsch. Ob auch im Web bestimmte Muster in der Verwendung von "rechten" und "linken" Buchstaben existieren, wollten David Garcia und Markus Strohmaier herausfinden. Tatsächlich zeigte der Effekt sich auf neun von elf untersuchten Online-Plattformen wie Amazon und Youtube. Die Zumutung: Geld ist kein Tauschmittel Die Bremer Wissenschaftler Gunnar Heinsohn und Otto Steiger († 2008) haben 1996 in "Eigentum, Zins und Geld" eine Eigentumstheorie des Geldes vorgestellt, die auf seinem Ursprung im Kredit aufbaut. Das Buch ist etwas akademisch gehalten, aber lesenswert. Die an der Humboldt-Universität in Berlin lehrende Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun trägt in "Der Preis des Geldes" (2012) viele überraschende Befunde aus der Geschichte des Geldes zusammen, unter anderem seinen Ursprung aus dem Opfer. Der US-Anthropologe David Graeber beschreibt in "Schulden. Die ersten 5000 Jahre" (2012), wie Schuld und Schulden die Geschichte seit den ersten Hochkulturen in Mesopotamien durchziehen und immer auch mit Gewalt und Sklaverei verbunden sind. Das Buch wartet mit vielen empirischen Befunden auf, allerdings mangelt es Graeber etwas an Stringenz. Der Schweizer Ökonom Hans Christoph Binswanger kritisiert in "Die Wachstumsspirale" (2006) die Naturvergessenheit und das Tauschparadigma von Klassik und Neoklassik scharf. Wem seine Argumentation anhand von Formeln zu mühsam ist, sollte stattdessen sein später erschienenes kürzeres Buch "Vorwärts zur Mäßigung" (2009) lesen. Der Marxist Robert Kurz († 2012) hat in seinem letzten, posthum erschienenen Buch "Geld ohne Wert" (2012) herausgearbeitet, dass auch der Marxismus das Problem des Geldes noch nicht vollständig begriffen hat. Auch er verwirft die Tauschmittel-Theorie. Fetisch Effizienz Mit dem Effizienzbegriff hat sich unser Autor vor allem in seinem Buch " Ausgepowert. Das Ende des Ölzeitalters als Chance " (Zürich 2011) befasst; mit dem konkreten Beispiel der Dampfmaschine in " Fortschrittsgeschichten. Für einen guten Umgang mit Technik " (Frankfurt/Main 2015), Kapitel "Dampf". Eine akribische, wenn auch schon ältere Studie zur Dampfmaschine ist G. N. von Tunzelmann: "Steam power and British industrialization to 1860", Oxford 1978. Einen systematischen Gang durch die Weltgeschichte der Energienutzung, reich an Zahlen, bietet Vaclav Smils " Energy in World History ". Über den Reboundeffekt gibt es mittlerweile eine umfangreiche wissenschaftliche Literatur. Besonders umfassend sind die Studien des UK Energy Research Center . Mit dem EROEI hat sich Richard Heinberg intensiv auseinandergesetzt; seine Studie " Searching for a Miracle " kann gratis heruntergeladen werden. Gebrauchsanweisung für ein Gefühl: Eifersucht Der Berliner Psychotherapeut und Autor Dr. Wolfgang Krüger stellt in seinem Buch mit dem versöhnlichen Titel " Aus Eifersucht kann Liebe werden " die Funktion des ungeliebten Gefühls heraus. Christine R. Harri und Caroline Prouvost haben die Eifersucht in Hunden geweckt. Die Studie mit ihren Ergebnissen gibt es hier zum Nachlesen. Das schon Kleinkinder Eifersucht empfinden können, belegt diese Studie – nur eine von zahlreichen Untersuchungen, die sich mit diesem Thema beschäftigen.
|
ZEIT ONLINE
|
Wir wollen unsere Arbeit transparenter machen: Mit welchen Experten wir gesprochen, welche Internetseiten wir besucht, welche Studien wir benutzt haben, lesen Sie hier.
|
[
""
] |
zeitwissen
|
Article
|
2016-06-13T16:03:23+02:00
|
2016-06-13T16:03:23+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2016/04/0416quellen
|
Elfmeterschießen: Die Physik, Botanik und Psyche des Elfmeters
|
Wenn der Schiedsrichter pfeift und mit lang ausgestrecktem Arm auf den Punkt zeigt, wenn der Ball "auf die Strafstoßmarke gelegt" wird (DFB-Regelwerk) und der "ausführende Spieler" auf den zweiten Pfiff wartet, dann ist Elfmeter , das Spiel steht still. Und mit einem Mal schrumpft es zusammen auf zwei Menschen. Dann wird aus dem "Elf gegen elf" ein "Eins gegen eins". Schütze. Torwart. Beide wollen, nur einer wird können. Die anderen stehen mindestens 9,15 Meter vom Punkt entfernt, machtlos. Es ist die moderne Form des Duells. Die Waffe: der Ball. Keiner muss sterben. Aber einer wird die Schmach abbekommen. Es gibt keine andere Situation im Fußball, die so sehr einem wissenschaftlichen, wiederholbaren Experiment ähnelt. Kein Wunder, dass sich Forscher immer wieder damit beschäftigen: Psychologen, Physiker, Mathematiker, Historiker, Sportwissenschaftler. Für Spieltheoretiker ist der Elfmeter ein wissenschaftliches Juwel, ein Beispiel vollkommener Konkurrenz: Nur einer kann siegen, es gibt kein Verhandeln, keine Grauzonen. Der Strafstoß wird geprägt von vollständiger Information und von der Simultanität der Züge: Beide wissen um die Absicht des anderen – treffen versus halten. Vielleicht weiß der Torwart , wohin der Spieler gerne schießt, aber ob der das auch machen wird, weiß er nicht. Also wählen beide Beteiligten eine Strategie, müssen sie parallel exekutieren, und dann jubelt das Publikum: aus einem der zwei möglichen Gründe. Solche Situationen gibt es – komplexer – auch bei Verhandlungen in der Wirtschaft, zum Beispiel bei Deals zwischen Firmen. Auch da muss manchmal die Ecke erahnt werden, auf welche die Konkurrenz zielt. Beim Elfmeter geht es um alles. Manfred Kaltz, Rekord-Elfmeterschütze der Bundesliga, sieht das weniger komplex. "Das Gute am Elfmeter ist", sagt er, "es geht so schnell, da kann man nicht lange nachdenken. Also kann man sich auch nicht lange verrückt machen. Manche werden es sicher genießen, in diesem kurzen Moment im Mittelpunkt zu stehen. Bei mir war der Elfmeter immer nur das Mittel zum Zweck, der Ball musste ins Tor. Kurz und schmerzlos." Die Physik Wenn der Fuß des Schützen auf das runde Leder knallt, gibt es kein Zurück mehr. Mit locker 90 Kilometern pro Stunde oder 25 Metern pro Sekunde fliegt die Kugel. Zielt der Schütze in die Mitte, erreicht sie bei 90 Stundenkilometern nach 0,44 Sekunden die Torlinie, bei einem Schuss in die Ecke – die Entfernung erhöht sich um 60 Zentimeter – dauert es 0,02 Sekunden länger. Sollte der Torwart richtig stehen und der Ball ihn für eine Hundertstelsekunde treffen, wirkt eine gewaltige Kraft auf ihn ein: bis zu 4.000 Newton, wie die Deutsche Sporthochschule in Köln gemessen hat. Das entspricht einem Objekt von 400 Kilogramm Gewicht oder 20 Standard-Bierkästen, konzentriert auf eine Kugel von 21 Zentimetern Durchmesser. Wenn die ausgestreckte Hand des Torwarts solch ein Geschoss nur abfälschen , aber nicht aufhalten kann, ist das also mitnichten Unvermögen. Für den Schützen gibt es aber auch ein Problem: Der Ball ist rund – wie wir von Sepp Herberger gelernt haben. Je nachdem, wo der Fuß den Ball trifft, dreht der sich in der Luft auch um die eigene Achse. Elf Meter und ein bisschen sind zwar zu kurz, als dass der Magnus-Effekt, der durch Verwirbelungen der Luft an der Oberfläche des Balls entsteht, eine kurvenförmige Bahn bewirken könnte. Beim Aufprall auf Pfosten oder Latte kann der Ball allerdings einen bizarren Drall bekommen. Trifft der Schütze ihn unter dem Mittelpunkt, dreht er sich gegenläufig zur Flugrichtung. Folge: Ein Abpraller von der Latte nach unten auf die Torlinie kann ins Feld zurückspringen. Mit einem anderen Drall kann es hingegen passieren, dass ein Abpraller in den Strafraum doch noch ins Tor trudelt. Exakte wissenschaftliche Untersuchungen über Pfosten- und Lattenschüsse fehlen bislang. Einer auf dem Platz ist aber in jedem Fall der Depp. Die Angst "Choking under pressure" nennen Sportwissenschaftler das Phänomen, wenn selbst ausgebuffte Profis unter großem Druck zusammenbrechen. Ein Kloß im Hals, ein Schuss: Pfosten, gehalten, vorbei. Auslöser meist, so die Forscher: Angst vor Versagen, was eine verstärkte Selbstwahrnehmung zur Folge hat; der Sportler beginnt auf seine eigenen Bewegungen – die eigentlich perfektionierte Automatismen sind – bewusst zu achten. Und schon werden sie zu schwach, falsch oder unpräzise ausgeführt. Die Statistik aller Elfer bei EM- und WM-Spielen seit 1982 stützt diese Theorie. Je früher es im Spiel Strafstoß gibt , desto öfter ist er drin – klar: geht ja auch noch nicht um alles. Öfter treffen auch diejenigen Spieler, die beim Elfmeterschießen früh antreten dürfen; das höchste Stresslevel haben die Spieler, die im Mittelkreis warten müssen, bis sie an der Reihe sind, fanden norwegische Forscher heraus. Wissenschaftler empfehlen Fußballern aber auch, sich Zeit zu nehmen. Schützen, die sich am Elfmeterpunkt 2,3 Sekunden lang sammeln, treffen zu 78 Prozent; bei nur einer Sekunde Konzentration liegt die Quote lediglich bei 59 Prozent. Das kann natürlich auch schiefgehen – wenn der Spieler sich nicht für eine Ecke des Tores entscheiden kann. So wie Matthias Sammer , der keine Elfer mochte: "Ich kann das einfach nicht", sagte er, "mir gefallen immer beide Ecken."
|
Niels Boeing
|
Achzehn Elfmeter dauerte der epische Shootout zwischen Deutschland und Italien. Über das Prinzip Elfmeterschießen, die Angst, den Körper und den Wahnsinn
|
[
"Fußball",
"Elfmeter",
"Sportwissenschaft"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2016-07-06T11:27:13+02:00
|
2016-07-06T11:27:13+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2016/04/elfmeterschiessen-fussball-duell/komplettansicht
|
Lann Hornscheidt: "Geschlecht ist eine Erfindung von Sexismus"
|
Wir sitzen auf einer Bank in einem kleinen Park in der Nähe eines ehemaligen Klosters in Rostock. Die Sonne scheint. Lann Hornscheidt trägt Jeans und Pulli. Auf dem Spielplatz diskutieren zwei Kinder darüber, ob das Wort Motherfucker etwas mit ihrer Mutter zu tun hat. Sprachforschung ... Lann Hornscheidt lacht. ZEIT Wissen: Wir sollen nicht Frau Hornscheidt zu Ihnen sagen und auch nicht Herr Hornscheidt. Warum möchten Sie das nicht? Lann Hornscheidt: Ich verstehe mich nicht als weiblich oder männlich, und die Konsequenz daraus ist, dass ich auch keine Ansprache haben möchte, die mich als eines von beidem herstellt. Das ist eine Entscheidung, die ich für mich getroffen habe. Sie hängt auch mit meiner Profession zusammen, meinem lebenslangen Mich-Auseinandersetzen damit, inwiefern Geschlecht konstruiert ist – und was das dann für mich bedeutet. ZEIT Wissen: Was bedeutet es? Hornscheidt: Es ist nicht stimmig für mich und jedes Mal ein Schmerz, weil ich mich nicht angesprochen fühle in dieser Welt. Aber das ist ein Eingeständnis von mir selber über einen sehr langen Zeitraum hinweg. Einfacher wäre es, darüber hinwegzugehen. Es bedarf schon einer gewissen Stärke, da hinzugucken und zu sagen, nee, für mich ist das nicht okay. ZEIT Wissen: Sie haben diese Bitte auf der Website Ihrer Universität veröffentlicht , dann ging der Sturm los. Was haben die Menschen Ihnen geschickt? Hornscheidt: Zum Beispiel Fotos von Genitalien, als Beweis dafür, dass diese Personen doch sehr genau wissen, ob sie Männer oder Frauen sind. Diffamierungen über Visualität: Ach ja, so wie Sie aussehen, da ist ja klar, dass Sie sich nicht zuordnen können. Auch viele vermeintlich christliche oder ökonomische Beweisführungen waren darunter: Was würde das die Volkswirtschaft kosten, wenn überall geschlechtsneutrale Schreibweisen eingeführt würden. Und Androhungen von Vergewaltigungen, um mir deutlich zu machen, was für ein Geschlecht ich denn sei, und dass sie mir das schon zeigen würden. ZEIT Wissen: Sind Sie dagegen vorgegangen? Hornscheidt: Ich nicht, aber die Uni. Bei alten Naziliedern, die umgedichtet wurden, das waren sehr direkte Mordaufrufe. Aber die Strafanzeige ist im Sande verlaufen, denn die Leute sind ja sehr ängstlich und feige: Je heftiger ihre Anfeindungen, umso verdeckter ist die E-Mail-Adresse. ZEIT Wissen: Haben Sie auf eine andere Art reagiert? Hornscheidt: Ich habe eine weitere E-Mail-Adresse eingerichtet und geschrieben, wenn Sie sowieso nur Ihre Aggressionen loswerden wollen, schreiben Sie bitte hierhin: [email protected]. Und die Leute halten sich auch daran! Zwei oder drei Mails habe ich noch persönlich bekommen, da hieß es: "Ich bin mir jetzt nicht ganz sicher, ob das eine Hatemail ist." Das finde ich sehr spannend. Die Leute hatten die Sachen einfach rausgehauen, jetzt mussten sie plötzlich über das Genre ihrer Reaktion nachdenken. ZEIT Wissen: Die Forderung, Sie keinem Geschlecht zuzuordnen, haben Sie nur für sich gestellt. Es ging also nicht darum, dass das für alle gelten soll. Trotzdem regen sich die Menschen so auf – warum? Hornscheidt: Wir nehmen in dieser Gesellschaft selbstverständlich an, dass es zwei Geschlechter gibt, sodass eine Infragestellung dessen höchst irritierend ist. Wir werden von Geburt an so orientiert, lernen das im Kindergarten und in der Schule, und wenn alles gut läuft, identifizieren wir uns damit, sind auch zufrieden und versuchen, die Rolle auszufüllen. Wenn dann eine Person sagt, na ja, vielleicht müsste das gar nicht so sein, fühle ich mich vielleicht in einem Kern, den ich als natürlich empfunden habe, herausgefordert. Ich glaube, die Reaktionen haben viel mehr mit den Leuten selbst zu tun als mit mir. ZEIT Wissen: Die Leute fühlen sich in ihrer eigenen Identität angegriffen? Hornscheidt: Ja, und das in einem Moment, in dem es sowieso nicht so einfach ist mit der eigenen Identität. Wir haben gerade das mit der Frauenbewegung verstanden: Okay, auch Frauen können in Aufsichtsräte und Männer in Elternzeit gehen. Aber dass grundsätzlich das Bezugssystem auch schon eine Konstruktion ist, ist dann vielleicht ein Schritt zu viel. Ich glaube, wenn es nicht irgendwo ein Wissen gäbe, dass wir es mit einer Konstruktion zu tun haben, dann würden nicht so viele so heftig reagieren.
|
Andreas Lebert
|
So viel Aggression: Diese Person ist Lann Hornscheidt – als sie nicht mehr als Frau oder Mann bezeichnet werden wollte, kamen Hassmails. Fragen wir sie: Warum ist das so?
|
[
"Genderforschung",
"Sexismus",
"Sprache",
"Sprachforschung",
"Norm",
"Diskriminierung",
"Humboldt-Universität",
"Rassismus"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2016-07-20T14:53:59+02:00
|
2016-07-20T14:53:59+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2016/04/lann-hornscheidt-geschlecht-identitaet-sprache-diskriminierung/komplettansicht
|
Leibspeise: Bratkartoffeln! Spaghetti! Kaiserschmarrn!
|
Eigentlich hat Nicola Pirastu nur Marmeladenbrot gegessen, die ganzen 45 Tage lang. Man könnte auch sagen: viele Tausende Kilometer lang. In Georgien, in Aserbaidschan, in Turkmenistan, in Usbekistan, Kasachstan, Tadschikistan – nichts als Marmeladenbrot. Kurz vor der Abreise war er krank geworden, ein Problem mit der Bauchspeicheldrüse. Deshalb die strenge Ansage von seinem Hausarzt: auf Fett verzichten! Das ist allerdings eine Diätvorschrift, die sich mit den Essenstraditionen der Wüstenvölker nicht vereinbaren lässt. Da blieb Nicola Pirastu nur eins übrig: Brot mit Marmelade aus der Heimat, aus Italien. Dabei wollte der Populationsgenetiker von der Universität Triest die Geschmäcke der Seidenstraße erforschen, jener uralten Handelsroute, auf der neben Seide, Porzellan und Jade schon vor mehr als 2.000 Jahren Gewürze aus Asien nach Europa eingeführt wurden. Doch glücklicherweise hing der Erfolg seines Forschungsprojekts nicht davon ab, dass er die Speisen selbst verkosten konnte. Er wollte vielmehr wissen, was die Menschen an der Seidenstraße mögen – und warum . Fast jeder Mensch hat ein Lieblingsgericht, eine Leibspeise: Bratkartoffeln! Spaghetti mit Tomatensauce! Schupfnudeln mit Sauerkraut! Kaiserschmarrn! Warum aber geht dem einen das Herz auf, wenn er nur den Geruch von Rouladen in die Nase bekommt, warum könnte der andere für Pizza Salami sterben? Was macht eine Speise so besonders, dass ein Mörder sie sich als Henkersmahlzeit wünscht? Warum also mögen wir, was wir mögen? Die Frage geht über den Rand des Tellers hinaus. Nicht zufällig ist "Geschmack" die Metapher für die Summe unserer Vorlieben. In unserem Geschmack spiegelt sich, wer wir sind. Die ganz große Frage, die durch die Frage nach der Leibspeise hindurchschimmert, ist also die: Wieso sind wir eigentlich, wer wir sind? Die Leibspeise ist ein guter Ausgangspunkt, um dieser Frage nachzugehen. Denn der Geschmackssinn ist unser intimster Sinn: Was wir schmecken, berühren wir, ja wir verleiben es uns sogar ein. Und zugleich sind am Gesamterlebnis Geschmack auch all unsere anderen Sinne beteiligt. Geschmack ist nämlich nicht nur das, was im Mund passiert . Die Zunge ist ein recht simpel eingerichtetes Chemielabor. In den Geschmacksknospen finden sich bloß Rezeptoren für fünf Geschmäcke. Das reicht gerade einmal, um besonders nahrhafte Bissen – süße, salzige und herzhaft-fleischige, Fachbegriff: umami – von potenziell verdorbenen oder giftigen zu unterscheiden, sauren oder bitteren nämlich. Die Zunge ist damit eigentlich nichts weiter als der letzte Kontrollposten vor dem Schlucken. Für eine Aroma-Orgie ist sie nicht ausgestattet. Dazu braucht es die Hilfe der anderen Sinne. Sie machen unser Geschmackserlebnis so vielfältig – aber auch äußerst anfällig für alle möglichen Täuschungen. Der größte Teil dessen, was wir Geschmack nennen, ist eigentlich Geruch. Während wir kauen und atmen, steigen unzählige Aroma-Moleküle aus dem Essen durch den Rachen von hinten in die Nase auf. 350 verschiedene, hoch spezialisierte Geruchsrezeptoren gibt es hier. Das klingt schon eher nach Orgie. Die Wissenschaftler nennen es "retronasales Riechen". Und trotzdem glauben wir, all diese Aromen im Mund zu spüren. Das liegt am Kauen und Beißen und Knabbern, am Schlürfen, Stopfen, Malmen, Schlucken. Denn allein durch die Bewegungen und Berührungen des Mundes verortet das Gehirn den Ursprung des Geschmacks ebendort. Und es ist ja auch etwas dran: Ohne die Aktivität von Lippen und Zunge, Gaumen und Zähnen würde kaum Aroma freigesetzt. Delfine übrigens, die ihre Beute am Stück schlucken, haben den Geschmackssinn im Laufe der Evolution fast völlig verloren; sie brauchen ihn ja nicht. Schmecken ist ein aktiver, ein zupackender Sinn – eine Leckerei, die unangerührt auf dem Teller liegt, schmeckt nach überhaupt nichts. Die Sinnes-Soziologin Constance Classen meint gar, Geschmack sei eine Form von Berührung, nur intensiver. Und doch sind auch unsere Distanzsinne, das Hören und das Sehen, am Geschmackserlebnis beteiligt. Es ist wissenschaftlich erwiesen: Das Auge isst mit, und das Ohr auch. Erdbeermus zum Beispiel schmeckt von einem weißen Teller süßer als von einem schwarzen, Käse von einem eckigen Teller schärfer als von einem runden, und Chips schmecken knuspriger, wenn sie beim Kauen in höheren Frequenzen knacken. Hören, Sehen, Fühlen, Riechen, Schmecken: Essen ist eine "multisensorielle Tätigkeit", wie die Wissenschaftler es formulieren. Man könnte auch sagen: Essen ist das Zweitsinnlichste überhaupt. Wie aber entstehen unsere Vorlieben für bestimmte Reize in diesem Sinnesfeuerwerk? Die klassische Geschmacksforschung meint: Alles erlernt. Nur sehr wenige, grundlegende Präferenzen seien angeboren, die Vorliebe für Süßes und Fettiges sowie die Abneigung gegen Bitteres.
|
Stefanie Kara
|
Und was essen Sie am liebsten? Fast jeder hat eine Leibspeise. Allein dran zu denken, macht zwar nicht satt, aber glücklich. So hängen Geschmack, Glück und Gene zusammen.
|
[
"Essen",
"Genetik",
"Sinnesorgan"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2016-08-17T13:42:15+02:00
|
2016-08-17T13:42:15+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2016/04/leibspeise-lieblingsgericht-essen-kindheit-vorlieben/komplettansicht
|
Philosophie: "Wir wollen spüren, dass wir etwas bewirken"
|
Der Tag, an dem Matthew Crawford nach Paris kommen will, um sein neues Buch vorzustellen, fängt nicht gut an. Der Philosoph verschläft, wegen des Jetlags. Am Vorabend ist er in Brüssel gelandet, dort wacht er mit Brummschädel am helllichten Vormittag auf, also verpasst er den Zug, also auch unseren Termin, also schreibt er eine SMS voller Entschuldigungen, die ratlos fragt: "Und jetzt?" Ein neuer Zug nach Paris, ein neuer Treffpunkt, und dann kommt er an, außer Atem, mit Rucksack, tropfnass vom Regen, ein Intellektueller von zierlich-zäher Statur, Typus Axt im Hause, die den Zimmermann ersetzt, mit einer Tüte Erdnüsse in der Tasche. Mehr hat er in der Eile nicht zu essen gefunden. "Die Wiedergewinnung des Wirklichen" heißt sein Buch, es erscheint jetzt auch auf Deutsch. Das ist das Stichwort ... ZEIT Wissen: Sie wollen das Wirkliche wiedergewinnen, die reale Welt außerhalb unserer Köpfe. Was heißt für Sie "wirklich", wenn Sie sich hier im verregneten Paris umschauen? Matthew Crawford: Es heißt, außer Atem, erschöpft, aufgerieben, nass und ohne Orientierung zu sein. (lacht. Er greift zu den Erdnüssen) Diese Art Erschöpfung ist besonders real, sie ist an Leib und Seele oft wirklicher als alles andere, was uns tatsächlich umgibt, nicht nur in Paris. Das Gefühl der Erschöpfung, verbunden mit der modernen Befreiung des Selbst, das immerzu handeln muss, ist typisch für unseren gegenwärtigen Alltag. Wir sind wie gefangen in dieser zwanghaften Freiheit. ZEIT Wissen: Was hat den Zwang geschaffen, in dem wir gefangen sind? Crawford: Wir haben alle die Anforderungen des Wettbewerbs am Arbeitsmarkt internalisiert und rennen, als gehe es um unser Leben. Alle sind im dauernden Selbsttest, nirgends ist wirklich Ruhe zu spüren. Alexis de Tocqueville hat dies als Erster beobachtet, als er vor bald 200 Jahren aus Paris nach Amerika kam: Die moderne Demokratie bedeutet, sagte er damals, dass jeder Angst um seinen sozialen Wert und seine Anerkennung hat, dass niemand sich mehr stabil zu Hause fühlt, weil jeder sich immer mit anderen vergleicht und den Stillstand fürchtet, der den sozialen Absturz bedeuten könnte. Wir kämpfen darum, permanent in Bewegung zu sein . Dabei geht uns die Welt verloren, die uns durch ihre Schönheit Kraft geben könnte. ZEIT Wissen: Sie wollen den Geist sozusagen aus dem Käfig, in dem er ruhelos eingeschlossen ist, wieder zurück in die Welt setzen, damit wir erfinderisch werden können ? Crawford: Unser Geist ist inzwischen wie in unserem Kopf eingesperrt. Er ist nicht mehr unabhängig und frei von Autoritäten, wie die Philosophen der Aufklärung es zu Recht postuliert haben. Heute kreist er in sich selbst, auf der Suche nach etwas, worauf er sich konzentrieren könnte. Ich verstehe uns Menschen historisch: Aus der guten alten Idee Kants, dass wir als autonome Menschen rational und frei handeln können, ist der Zwang geworden, im Unendlichen dauernd auszuwählen. Dadurch kommen wir aus dem ruhelosen Reflektieren nicht mehr heraus. ZEIT Wissen: Die Freiheit, die Kant meinte, ist dahin? Crawford: Wir sind schwach geworden. Ich möchte, dass wir unsere Kraft der Aufmerksamkeit neu auf die Bindung an eine Fertigkeit richten können und an sie heften. Um der Freiheit eine Form der Selbstbindung zu geben, damit wir der Welt handelnd begegnen können. Ich halte das für den wirksamsten Widerstand gegen die neoliberale Auflösung aller Grenzen. Heute sind wir Aufklärer, wenn wir uns durch erlernte Fertigkeiten in der Welt verankern. ZEIT Wissen: Aber was ist das Wirkliche, von dem Sie sagen, dass wir es wiedergewinnen müssen, um selbst kreativ zu sein? Was unterscheidet gehetztes Handeln vom schöpferischen Tätigsein? Crawford: Wir machen von früh bis spät vorgefertigte Erfahrungen. Wir rasen über Oberflächen, in Einkaufszentren, Flughäfen, am Bildschirm, wir durchqueren im Netz körperlose Welten, ohne zu spüren, wo wir selbst gerade sind. Unsere Aufmerksamkeit wird angezogen und aufgesogen, dauernd müssen wir uns entscheiden, wie wir diesen Überfluss ausblenden, um zu wissen, wo wir eigentlich sind. Das strengt an. Und es bedeutet, sich oft ohnmächtig zu fühlen. Aber wir sind in Wirklichkeit als Menschen aus Fleisch und Blut körperliche Wesen, mit einem uralten Sinn dafür, wo rechts ist, wo links, oben und unten, wir sind Verkörperungen, die mit ihren Händen nach Dingen in Reichweite greifen. Diese physische Wirklichkeit können wir wiedergewinnen, um zu spüren, dass wir selbst wirksam sind, dass wir gestalten können. Das kann uns glücken, wenn wir uns, Handgriff für Handgriff, ans geduldige Erlernen von Fertigkeiten machen.
|
Elisabeth von Thadden
|
Im Alltag rennen wir, als ginge es ums Überleben. Besser, wir griffen nach dem Sinn des Lebens, sagt Philosoph und Mechaniker Matthew Crawford. Und zwar mit den Händen.
|
[
"Alltagsstress",
"Stress",
"Google",
"Alexis de Tocqueville",
"Alltag",
"Facebook",
"Handwerk",
"Jonathan Franzen",
"Selbstverwirklichung"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2016-08-05T17:00:21+02:00
|
2016-08-05T17:00:21+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2016/04/philosophie-sinn-des-lebens-matthew-crawford/komplettansicht
|
Selbstverwirklichung: Bist du noch kreativ, oder lebst du schon resonant?
|
Was ist das Geheimnis des gelingenden Lebens? Hartmut Rosa hat die vergangenen zehn Jahre seiner Wissenschaftlerkarriere darüber nachgedacht. Er ist zu einem Ergebnis gekommen, aber anstelle einer Antwort erzählt er erst mal die Geschichte von zwei talentierten Malern, Vincent und Gustav. Vincent und Gustav nehmen an einem Malwettbewerb teil. Innerhalb von vierzehn Tagen sollen ihre Werke fertig sein, das Thema dürfen sie frei auswählen. "Gustav nimmt die Aufgabe sehr ernst", sagt Rosa. Er besorgt sich eine Staffelei und eine gute Beleuchtung, er macht sich auf die Suche nach einer hochwertigen Leinwand. Außerdem braucht er verschiedene Pinsel für die feinen Linien und die groben Striche. Und einige neue Farben, um alle Zwischentöne perfekt zu treffen. Er wiederholt noch einmal die wichtigsten Maltechniken und macht sich dann auf die Suche nach einem passenden Motiv. Er möchte einerseits den Nerv der Zeit treffen, sich andererseits aber auch nicht anbiedern. Als Gustav schließlich zu malen beginnt, setzt gerade die Dämmerung des vierzehnten Tages ein. Vincents Geschichte, sagt Rosa, lasse sich viel schneller zusammenfassen: "Er reißt ein Papier von seinem Zeichenblock, holt seinen Wasserfarbkasten, spitzt die Bleistifte, legt seine Lieblings-CD ein und beginnt zu malen." Zunächst ohne Vorstellung, was er malt, aber nach und nach entsteht eine Welt, die ihm stimmig erscheint. Welcher der beiden Maler ist mit sich und seinem Leben eher im Einklang? Welcher hat mehr Chancen in diesem Wettbewerb? Wer nun auf Vincent tippt, ist Hartmut Rosa schon in die Falle gegangen. Hartmut Rosa ist Soziologieprofessor an der Universität Jena und Direktor des Max-Weber-Kollegs in Erfurt, aber er ist noch mehr als das, nämlich eine Art hauptberuflicher Deutschlandversteher, bekannt geworden mit seiner Kritik an der beschleunigten Gesellschaft . Auf dem Kirchentag in Stuttgart diskutierte er im vergangenen Jahr vor vielen Tausend Menschen mit dem Bundespräsidenten. Das Publikum war begeistert, die FAZ schwärmte von einem "intellektuell funkelnden Zwiegespräch". Dieser Mann hat ein neues Buch geschrieben, 800 Seiten dick. Eine Analyse dessen, was alles schiefläuft auf der Suche nach dem gelingenden Leben, wer daran schuld ist und was sich ändern muss. Man kann es lesen als eine Grundsatzkritik am neoliberalen System, aber auch als Herausforderung, seine eigenen Werte neu zu justieren. Der Ausgangspunkt ist die große Frage: Bist du mit deinem Leben zufrieden? "Wir beantworten das in der Regel mit einem Blick auf unsere Ressourcenlage", sagt Rosa. "Man sagt: Ich habe einen guten Job, ein nettes Haus, eine glückliche und gesunde Familie, es geht mir gut, ich bin zufrieden. Aber wir wissen alle, dass man trotzdem Depressionen haben oder von einem tiefen Gefühl der Leere erfüllt sein kann." An einem Dienstag im April sitzt Hartmut Rosa in seinem Erfurter Büro bei einer Tasse Filterkaffee. Er ist gerade mit dem Zug aus Grafenhausen im Schwarzwald angereist, wo auch sein Vater und seine Schwester leben und wo er an Sonntagen häufig die Kirchenorgel spielt. Der Zug hatte Verspätung, egal. Es ist die erste warme Woche des Jahres, jene Tage Anfang April, an denen Staub aus der Sahara den dunklen Lack des deutschen Fuhrparks verschmuddelt und mal wieder alles mit allem zusammenhängt. Afrika und Deutschland, Panama und Putin, der Burn-out und der Kapitalismus, die Kreativität und die Selbstausbeutung, Vincent und Gustav. Viele Menschen, sagt Rosa, verhalten sich wie der strategische Maler Gustav. Sie stecken so viel Zeit und Energie in die Anhäufung von Ressourcen, dass sie nicht dazu kommen, sich ihre Wünsche zu erfüllen. Sie kaufen immer mehr E-Books, lesen aber immer weniger. Sie machen viermal pro Woche Achtsamkeitsmeditation oder Fitnesstraining, erleiden dann aber einen Burn-out . Sie haben scheinbar alles, was sie brauchen, fühlen sich aber entfremdet. Sie wollen mehr Zeit mit der Familie verbringen und warten damit bis zur Rente. Sie wollen Neues entdecken, sind aber in Routinen gefangen. Das ist die Diagnose der beschleunigten Gesellschaft. Rosa sagt: "Gleichgültig, wie kreativ, aktiv und schnell wir in diesem Jahr sind, nächstes Jahr müssen wir uns steigern." Er selbst ist auch betroffen. Nachts guckt er gerne vom Schwarzwald aus ins Universum. Aber je weniger Zeit er dafür hat, desto teurer werden seine Teleskope. Rosa zufolge ist das kein individuelles Problem, sondern ein gesellschaftliches. Denn auch der verträumte Vincent hat im Malwettbewerb keine Chancen: In einer Welt der Konkurrenz muss er seine Ressourcen steigern, um mithalten zu können. Zwei Pinsel und ein Tuschkasten sind zu wenig, um die Jury von seinem Werk zu überzeugen. Das ist die Pointe dieser Geschichte. Rosa spricht von der Steigerungslogik der Moderne. Andere sagen Wachstumsgesellschaft dazu. Es gibt da ein großes Missverständnis. Die Suche nach dem guten Leben kreist um ein paar Begriffe, die durchaus ihre Berechtigung hatten. Selbstentfaltung und Selbstverwirklichung gehören dazu, Autonomie, Authentizität, Achtsamkeit , Flow. Irgendwo drin im Menschen steckt demnach sein innerer Wesenskern, und der kommt am besten durch Selbstverwirklichung zum Vorschein. Man soll sich finden, sich treu bleiben, authentisch und autonom und achtsam sein, dann werden Glück und Erfolg sich schon einstellen.
|
Astrid Hansen
|
Sich neu entdecken, seine Talente, sein Selbstbewusstsein – wie geht das? Vielleicht mit dem Draht zur Welt, der Resonanz. Klingt esoterisch? Ist es aber gar nicht.
|
[
"Selbstverwirklichung",
"Selbstbewusstsein",
"Psychologie",
"Freizeit",
"Soziologie",
"Burn-out",
"Grundeinkommen"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2016-07-18T21:40:34+02:00
|
2016-07-18T21:40:34+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2016/04/selbstverwirklichung-kreativitaet-resonanz-selbstfindung/komplettansicht
|
ZEIT Wissen 5/2016: Hier haben wir recherchiert
|
Am Anfang drei Fragen 1. Wohin gehen die Flausen im Kopf? In diesem Review bespricht Paul Seli von der Harvard University den Kenntnisstand zu spontanen Gedanken. Hier ist Paul Selis Webseite . Diese Studie von 2010 zeigt wie abgelenkt Menschen im Alltag von ihren Gedanken sind und diese Studie von 2007 zeigt, dass die Aktivität im Default Mode Network mit spontanen Gedanken korreliert. Dass die Aufmerksamkeit auf spontane Gedanken so anspringt, als wären es externe Stimuli, zeigt diese Studie von 2016, an Meditierenden. 3. Gibt es Wetterfühligkeit? In dieser Übersicht erklärt der emeritierte Atmosphärenphysiker Hans Richner das Phänomen der Wetterfühligkeit. Der Deutsche Wetterdienst macht eine Vorhersage für Wetterfühlige , die allerdings nicht unumstritten ist. In dieser Sammlung von Artikeln aus dem Jahr 2007 findet man einige Forschungsergebnisse über den Zusammenhang von Wetter und Gesundheit. Optimist Wer sich nicht vor Statistiken fürchtet, sondern es genauer wissen will, sollte "Die unaufhaltsame Revolution. Wie die Werte der Moderne die islamische Welt verändern" von Youssef Courbage und Emmanuel Todd (Piper 2008) lesen. Mit Datenreihen bis ins 18. Jahrhunderte zurück rücken sie die Ereignisse der letzten Jahre in eine historische Perspektive, die im Strom der Terrornachrichten untergeht. Todd erregte übrigens als junger Wissenschaftler 1975 Aufsehen, als er anhand demographischer Daten das Ende der Sowjetunion bis 1990 prognostizierte. Die Geschichte gab ihm hier auf jeden Fall recht. Kompakt und fundiert hat Fouad Allam die Entwicklung des Islamismus in "Der Islam in einer globalen Welt" (Wagenbach 2004) beschrieben. Der Islamkenner und Soziologe Olivier Roy setzt sich für einen nüchterneren und differenzierten Blick auf das Phänomen des europäischen Islamismus ein, unter anderem in "The Challenges of Euro-Islam" (aus: Adam Garfinkle (Hg.), "A Practical Guide to Winning the War on Terrorism", Hoover Press 2004) oder in " Islamic Terrorist Radicalisation in Europe " (aus: Amghar/Boubekeur/, "European Islam - Challenges for Public Policy and Society" , Center for European Policy Studies 2007). Empfehlenswert sind auch die Publikationen des Project on Middle East Political Science (POMEPS), darunter der Band zur Konferenz "Rethinking Islamist Politics" (Februar 2014) oder die Ausgabe 19 der POMEPS Studies, "Women and Gender in Middle East Politics" (Mai 2016). Nein! Das befreiende Wort Wie funktioniert unser Gehirn - eine Vorlesung von Daniel Kahnemann . Wie wir Entscheidungen treffen - ein Interview mit Daniel Kahnemann . Ein Auszug aus Karolien Notebaerts neuem Buch "Wie das Gehirn Spitzenleistung bringt". Stiltrainer Jan Schaumann erklärt in seinem Stilbrief , wie man sich zu verhalten hat, was geht und was nicht geht, beim Ja- und beim Nein-sagen Befördert werden Ja-Sager - ein Interview mit Martin Wehrle in der ZEIT. Raus aus dem Hamsterrad und Nein sagen - ein Karrieretipp von Simone von Stosch auf ZEIT online. Die Statistik zeigt, bei wem es Menschen besonders schwer fällt, nein zu sagen. Selbsttest mit zehn Fragen, ob man Nein sagen kann. Literatur: Radecki, Monika: Nein sagen. Die besten Strategien. Haufe Lexware Verlag, 2015. Marson, Jacqui: Zu nett für diese Welt? Wer Nein sagen kann, hat mehr vom Leben. Goldmann Verlag, 2014. Baum, Tanja: Die Kunst, freundlich Neun zu sagen. Konsequent und positiv durch Beruf und Alltag. Redline Verlag, 2016 Kunze, Petra: Nein sagen. Mein Übungsbuch für mehr Selbstbewusstsein und Freiheit. Gräfe und Unzer Verlag, 2016. So motivieren Sie sich richtig Literatur: Baumeister, Roy: Die Macht der Disziplin. Wie wir unseren Willen trainieren können. Goldmann Verlag, 2014. Oettingen, Gabriele: Die Psychologie des Gelingens. Pattloch, 2015. Schönpflug, Wolfgang/Schönpflug, Ute: Psychologie. 2., durchg. Aufl. Psychologie Verlags Union, 1989. Zimbardo, Philip G.: Psychologie. Springer-Verlag, 1983. S. 345 ff Zimbardo, Philip G.: Psychologie. 6., neu bearb. und erw. Aufl. Springer-Verlag, 1995. Kapitel 9, S. 407 ff Interviews: Gabriele Oettingen, Psychologieprofessorin an der Universität Hamburg sowie NYC University Klaus-Börge Boeckmann, Sprachwissenschaftler an der Pädagogischen Hochschule Steiermark Gefällt Euch, wer ich bin? Catarina Kaatzer gehört zu den führenden Forschern auf dem Gebiet der Cyberpsychologie. Ihr Buch "Cyberpsychologie" ist 2016 bei dtv erschienen. Uwe Hasebrinck ist Professor der empirischen Kommunikationswissenschaft am Hans-Bredow-Institut in Hamburg. Die Schwerpunkte seiner Forschung liegen in den Bereichen Mediennutzung und Medieninhalte sowie Medienpolitik. Die antropologische Studie "Why we post" untersuchte die Nutzung von Social Media in neun Regionen der Welt. In ihrer Studie "Broadcasting and Narrowcasting: How Audience Size Affects What People Share " untersuchten Alixandra Barrasch und Jonah Berger den Einfluss der Publikumsgröße auf die Selbstdarstellung der Probanden. Träumen ist ein Algorithmus Eine Einführung ins Maschinelle Lernen in vier Teilen für Menschen mit Grundlagenkenntnissen im Programmieren. Der Artikel von Arthur L. Samuel von 1959 über seinen Algorithmus, der Dame spielt: Some Studies in Machine Learning Using the Game of Checkers Wie der Minimax-Algorithmus Tic-Tac-Toe spielt. Die Ausgabe 10/88 des Magazins Byte mit dem Rotkäppchen-Text "Back-Propagation – A Generalized Delta Learning Rule" von William P. Jones und Josiah Hoskins. Wo ist Erling M. Haaland? In diesem Fachartikel beschreiben Inge Morild und Kollegen die Suche nach den norwegischen Soldaten in Karelien. Es gibt keine gute Gesamtübersicht über die Vermissten der Welt. Die ICMP hat auf dieser Webseite einige Zahlen und Länder zusammengestellt. Eine eindrucksvolle animierte Graphik über die Opfer von Krieg, Gewalt und Terror seit 1989 hat das Uppsala Conflict Data Program ins Netz gestellt. Wer in Sarajevo ist, sollte sich diese Ausstellung über den Völkermord von Srebrenica anschauen. Das Jugoslawientribunal der UN hat 161 Menschen im Zusammenhang mit dem Jugoslawienkrieg angeklagt. Den Stand der Verhandlungen dokumentiert das Gericht hier . Kampf ums Korn Einen guten Überblick über die Geschichte des Saatguts vom Allgemeingut zur umkämpften Handelsware gibt Anja Banzhaf in ihrem jüngst erschienenen Buch "Saatgut. Wer die Saat hat, hat das Sagen" (Oekom 2016). Die Grünen-Fraktion des EU-Parlaments veröffentlichte im Januar 2014 die Studie "Concentration of Market Power in the EU Seed Market" , die viele Details zur Entwicklung des Saatgut-Markts in den vergangenen 30 Jahren enthält. Wie Züchtung zu wachsenden Weizenerträgen geführt hat und warum diese Zuwächse nun gefährdet sind, beschreibt ein Beitrag auf Pflanzenforschung.de, einer Informationsplattform des Bundesforschungsministeriums. Risiken und Nutzen der Hybrid-Züchtung am Beispiel des Roggens beleuchteten 2005 Christine Arncken und Hansueli Dierauer vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau in einem Forschungsbericht . Die Umweltorganisation Navdanya, mitgegründet von der bekannten indischen Aktivistin Vandana Shiva, hat 2013 das Manifest "The Law of the Seed" veröffentlicht, dass für freien Zugang zu Saatgut in aller Welt wirbt.
|
ZEIT ONLINE
|
Wir wollen unsere Arbeit transparenter machen: Mit welchen Experten wir gesprochen, welche Internetseiten wir besucht, welche Studien wir benutzt haben, lesen Sie hier.
|
[
""
] |
zeitwissen
|
Article
|
2016-08-15T18:00:02+02:00
|
2016-08-15T18:00:02+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2016/05/0516quellen
|
Gesundheit: Gibt es Wetterfühligkeit?
|
Wer dicke Hagelkörner auf den Kopf kriegt, hat anschließend Beulen. Kein Zweifel, das Wetter hat in diesem Fall die Gesundheit beeinflusst. Doch wer sich als wetterfühlig bezeichnet, hat subtilere Effekte im Sinn. Migräne als Folge des Alpenföhns zum Beispiel. Rheuma und schmerzende Narben aufgrund einer Kältefront. Herzprobleme bei Gewitter . Jeder Zweite sieht laut einer Umfrage des Deutschen Wetterdienstes (DWD) einen Zusammenhang zwischen der Wetterlage und der eigenen Gesundheit, mehr Frauen (57 Prozent) als Männer (42 Prozent), mehr Ältere als Jüngere. Für die Betroffenen sind die Beschwerden real. Wissenschaftler aber rätseln: Welche Wirkmechanismen gibt es wirklich zwischen Witterung und Gesundheit? Unbestritten ist, dass Pollen und Ozon abhängig von der Wetterlage Allergiker beeinträchtigen. Und auch dass Kälte, Hitze, schwüle Luft und intensive Sonnenstrahlung das Herz-Kreislauf-System belasten. Der Körper muss dann mehr Energie aufwenden, um die Temperatur zu regulieren. Umstritten ist dagegen der Einfluss von Luftdruckschwankungen. Einige Forscher fanden einen Zusammenhang von Tiefdruckgebieten und dem Einsetzen von Wehen in der Schwangerschaft . Andere stellten fest, dass in München zehn Prozent weniger Rettungseinsätze gefahren werden, wenn der Luftdruck nachmittags innerhalb von einer Stunde rasch ansteigt. Dann sind da noch die periodischen Druckschwankungen, bei denen der Luftdruck im Rhythmus von einigen Minuten minimal schwankt, sogenannte Schwerewellen. Eine Studie mit 200 Personen zeigte, dass das Wohlbefinden umso schlechter war, je stärker diese Schwingungen waren. Der Atmosphärenphysiker Hans Richner von der ETH Zürich hat zusammen mit Medizinern 40 Jahre lang die Wetterfühligkeit erforscht. Er habe Respekt vor der Qualität einzelner Studien, sagt er. Aber: "Wer Dutzende Wetterdaten mit Dutzenden Gesundheitsparametern vergleicht, wird immer irgendeinen Effekt finden." Richners Team hat die Daten von 39.000 Herzinfarkten in vier Regionen der Schweiz durchforstet und nach einem Einfluss der Witterung gesucht. Die Forscher wurden fündig. Doch in der einen Region schien Tiefdruck einen Infarkt zu begünstigen, in der anderen ein Hoch. Und Schwüle schien mal eine positive Wirkung zu haben, mal eine negative. Bei vielen beobachteten Effekten handle es sich um "Scheinkausalitäten", sagt Richner. "Der Umsatz an Himbeereis und die Häufigkeit von Sonnenbrand sind hoch korreliert. Trotzdem kommt niemand auf die Idee, zu sagen, vom Eisessen bekomme man einen Sonnenbrand." So ähnlich verhält es sich wohl auch mit der Schwerewellen-Studie, Richners Doktorarbeit. Die Wellen treten vor allem bei schlechtem Wetter auf. "Es scheint, dass sich die Mehrzahl der Personen bei gutem Wetter einfach besser fühlt als bei schlechtem", sagt der Professor. Und wenn Wehen wirklich vermehrt bei Tiefdruck einsetzen, müssten Schwangere schon aufpassen, sobald sie 400 Höhenmeter einen Berg hinauffahren. Die Druckdifferenz entspricht den typischen Unterschieden zwischen Hoch- und Tiefdruckgebiet. Richner ist heute davon überzeugt, dass Wetterfühligkeit oft mehr mit psychologischen Effekten als mit dem Wetter zu tun hat. Zum Beispiel mit dem Nocebo-Effekt : "Wenn Biowetter-Prognosen den Menschen einreden, dass sie bei Kälte Gelenkschmerzen bekommen, dann werden Studien genau diesen Effekt auch finden. Das ist ein sich selbst erhaltendes System."
|
Max Rauner
|
Der Föhn, das Tief, die Hitze! Ständig muss das Wetter als Ausrede für Gesundheitsprobleme herhalten, wie Migräne, Herzprobleme oder Rheuma. Zu Recht?
|
[
"Gesundheit",
"Wetter",
"Migräne",
"Kopfschmerzen",
"Schmerz",
"Medizin"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2016-08-28T16:20:45+02:00
|
2016-08-28T16:20:45+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2016/05/gesundheit-wetter-migraene-gelenkschmerzen-wetterfuehligkeit-ausreden
|
Künstliche Intelligenz: Träumen ist ein Algorithmus
|
Basislager Gehen Sie erst los, wenn Sie die folgenden Grundlagen in Ihren Rucksack gepackt haben Ein Computer, so heißt es oft, kann nicht mehr als der Programmierer, der ihm die Anweisungen gegeben hat. Er tut nur das, was man ihm befohlen hat. Das stimmt zwar, wenn man die unterste Maschinenebene betrachtet: Die Software arbeitet Zeile für Zeile die Befehle ab, die der Programmierer aufgeschrieben hat. Aber heißt das, dass ein Computer nichts lernen kann? Dieser Schluss ist ebenso falsch wie der, dass ein Schüler niemals klüger sein kann als sein Lehrer. So wie ein guter Lehrer seinen Schülern nicht nur Fakten eintrichtert, sondern ihnen zeigt, wie sie sich weiterentwickeln können – so kann auch ein Computer derart programmiert werden, dass er eine Aufgabe immer besser erfüllt, je öfter er sie angeht. Willkommen in der Disziplin des Maschinellen Lernens. Das erste selbstlernende Programm, das Furore machte, entwickelte der IBM-Forscher Arthur Samuel 1956. Die Software spielte Dame auf achtbarem Amateurniveau. Am Anfang kannte der Computer nur die Regeln des Spiels sowie ein paar Faustregeln, die ihm Samuel mitgegeben hatte. Mit jedem Spiel aber lernte die Maschine dazu. Nach acht bis zehn Stunden Trainigszeit war sie besser als ihr Schöpfer. Im Damespiel haben Menschen heute gegen Computer keine Chance mehr. Im Schach ist uns der Rechner zumindest ebenbürtig, und seit Googles Programm AlphaGo den Europameister im Go schlug, ist der Mensch in keinem Brettspiel mehr unbesiegbar. Maschinelles Lernen ist ein Teilgebiet der Künstlichen Intelligenz. Heute fällt eine Vielzahl von Softwaretechniken unter diesen Begriff: Computer lernen, Menschen auf Fotos zu identifizieren . Sie steuern fahrerlose Autos durch den Stadtverkehr, nachdem sie einige Tausend Stunden trainiert haben. Sie finden Muster in riesigen Datensätzen (Big Data). Bei vielen dieser Lerntechniken ist der Mensch noch immer der Lehrer: Er gibt ein Ziel vor und bewertet die Leistungen des Computers, der daraufhin sein Verhalten variiert und anpasst, um immer bessere Noten zu bekommen. Inzwischen gibt es aber auch das sogenannte unbeaufsichtigte Lernen: Der Computer muss sich auf einen Haufen von Daten selbst einen Reim machen. So fütterte Google ein Computernetz mit Millionen von Fotos, und das Programm bildete selbsttätig Kategorien wie "Katze" oder "Mensch". Das ähnelt schon sehr dem Lernen eines Kleinkinds, das ebenfalls Kategorien bildet, bevor es sie benennen kann. Erster Anstieg Los geht’s! Auf leichten Anhöhen begegnen Sie Erkenntnissen, die Sie ins Schwitzen bringen können. Als erste Kletterübung wollen wir uns mit einem Spiel beschäftigen, das eigentlich schon für Fünfjährige zu simpel ist: Tic-Tac-Toe . Das Spielfeld bilden dreimal drei Kästchen. Zwei Spieler setzen abwechselnd ihre Spielsteine. Wem es gelingt, drei seiner Steine in eine waagerechte, senkrechte oder diagonale Reihe zu setzen, der hat gewonnen. Es gibt 255.169 verschiedene mögliche Verläufe des Spiels. In 131.185 gewinnt der erste Spieler, in 77.904 der zweite. 46.080 Varianten enden unentschieden. Wichtiger als diese Zahlen ist die Information, dass ein "kluger" Spieler kein Spiel verlieren wird: Egal ob er als Erster oder Zweiter spielt, er kann seine Steine (oder Kreuze beziehungsweise Kreise, wenn man mit Stift und Papier spielt) so setzen, dass das Spiel zumindest unentschieden ausgeht. Wie findet man in einer gegebenen Situation den besten Zug? Bei Tic-Tac-Toe lassen sich alle möglichen Züge im Voraus berechnen. Das führt zu einem Entscheidungsbaum: Man betrachtet alle Züge, die man selbst in der momentanen Stellung machen könnte, dann jeweils alle möglichen Antwortzüge des Gegners und so weiter. Bei Schach führt das zu einer Explosion der Zahl möglicher Konfigurationen, bei Tic-Tac-Toe bleibt die Sache übersichtlich – spätestens nach neun Zügen ist das Spielfeld besetzt und weist eine von 138 möglichen Endpositionen auf. Jeder Ast endet mit dem Sieg eines Spielers oder einem Remis. Um jeder möglichen Spielposition einen Wert zuzuordnen, bewertet man jedes Blatt an diesem Baum: Ein eigener Sieg bekommt den Wert +1, eine Niederlage den Wert –1 und ein Remis den Wert 0. Es folgt ein Schritt zurück im Spiel. Bei jeder Astgabel des Entscheidungsbaums bekommt eine Spielstellung wiederum einen Wert, und zwar den höchsten der nachfolgenden Werte, wenn man selbst am Zug ist, und den niedrigsten der nachfolgenden Werte, wenn der Gegner dran ist. Am Ende haben alle Stellungen die Bewertung 1, 0 oder minus 1. Auf den Ästen mit einer 1 handelt es sich um eine Strategie, mit der man nur gewinnen kann.
|
Christoph Drösser
|
Maschinen erkennen Gesichter, fahren Autos und schlagen uns in Brettspielen. Sie werden immer besser, weil sie immer besser lernen. Was können wir ihnen noch beibringen?
|
[
"Künstliche Intelligenz",
"Lernen",
"Forschung",
"Computer"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2016-08-27T11:27:28+02:00
|
2016-08-27T11:27:28+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2016/05/kuenstliche-intelligenz-algorithmus-deep-learning-maschinelles-lernen/komplettansicht
|
Populismus: "Populismus weist auf ein Problem hin"
|
Jan-Werner Müller ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Princeton, einer der ältesten und renommiertesten Hochschulen in den USA. In der Woche, in der wir ihn zum Gespräch treffen, wählen die Republikaner in Cleveland Donald Trump zu ihrem Präsidentschaftskandidaten, und in Deutschland verkündet Pegida-Chef Lutz Bachmann, er habe eine Partei gegründet . Kurz zuvor haben sich die Briten gegen die EU entschieden und die Österreicher beinahe einen rechtspopulistischen Bundespräsidenten gewählt . Marine Le Pen in Frankreich, Viktor Orbán in Ungarn, Recep Tayyip Erdoğan in der Türkei – viel Arbeit für einen Populismusforscher. Jan-Werner Müller ist gerade für ein Forschungsjahr nach Wien gezogen. Es ist ein heißer Tag, wir trinken fünf Flaschen Wasser, der Schweiß läuft. Ein Gespräch über Macht, Demokratie und frustrierte weiße Männer. ZEIT Wissen: Professor Müller, was hat Populismus mit Verführung zu tun? Jan-Werner Müller: Ich wehre mich immer gegen diese psychologisierende Perspektive. Man ist sehr schnell mit allen möglichen Gefühlen bei der Hand, die man den Populismusopfern zuschreibt: Sie werden verführt, sind alle ressentiment- oder wutgeladen, sind die Frustrierten, die Verängstigten. ZEIT Wissen: Stimmt das denn nicht? Müller: Ich will nicht in Abrede stellen, dass das auch der Fall sein kann. Aber wir sagen damit indirekt, die Leute können nicht selber denken, die sind den falschen Versprechen oder eigenen Wutausbrüchen ausgeliefert. Wenn wir "die Masse der Verführten" als Opfer von Demagogen behandeln, sind wir auf einer abschüssigen Bahn. Wir werden selber verführt von Annahmen, die typisch sind für die Massenpsychologie des 19. Jahrhunderts und die Modernisierungstheorie der fünfziger Jahre: Die Masse ist angeblich irrational und hat Angst vor der Moderne. Diese Sicht ist heute sehr weit verbreitet. So schrieb Tony Blair einmal, viele Leute könnten die moderne Welt schlicht nicht verstehen. Da wäre ich vorsichtig. ZEIT Wissen: Woran erkennt man einen Populisten, wenn nicht an seinen Verführungstricks? Müller: Daran, dass jemand behauptet, er und nur er beziehungsweise nur er und seine Partei seien die einzig legitimen Vertreter des wahren Volkes. Entscheidend ist nicht die antielitäre Haltung, denn Eliten kritisieren wir alle ständig. Entscheidend ist eine antipluralistische Haltung. ZEIT Wissen: Können Sie ein Beispiel nennen? Müller: Donald Trump hat im Mai auf einer Wahlkampfveranstaltung etwas gesagt, das kaum beachtet worden ist, weil er ja ständig sehr anstößige Sachen von sich gibt, aber es zeigt diese Haltung deutlich. Er sagte: "The only thing that matters is the unification of the people, and all the other people don’t matter." ZEIT Wissen: "Das Einzige, was zählt, ist die Einheit des Volkes" – klingt eher harmlos. Müller: Der zweite Teil des Satzes ist entscheidend: "All die anderen Menschen, die zählen nicht." Es gibt also ein wahres Volk und einen einzigen wahren Vertreter dieses Volkes – ihn. Wer gegen ihn ist, ist automatisch nicht Teil des wahren Volkes und zählt damit moralisch und vor allem auch politisch nicht. ZEIT Wissen: Populismus ist für Sie in erster Linie eine Haltung und nicht mit bestimmten Themen verbunden? Müller: Das Entscheidende ist der moralische und dann auch politische Ausschluss aufgrund des eigenen Alleinvertretungsanspruchs. Wer den nicht vollzieht, ist für mich kein Populist. Da kann er noch so viele Dinge sagen, die einem aufstoßen oder die man strikt ablehnen muss, wie Fremdenfeindliches und Rassistisches.
|
Katrin Zeug
|
Populismus lässt sich nicht durch Verführung erklären, sagt der Politikwissenschaftler Jan-Werner Müller. Ein Gespräch über den wahren Charakter der gefährlichen Kraft
|
[
"Rechtspopulismus",
"Populismus",
"Euro-Krise",
"Pluralismus",
"Donald Trump",
"Nigel Farage"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2016-09-04T14:39:06+02:00
|
2016-09-04T14:39:06+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2016/05/populismus-politikwissenschaft-jan-werner-mueller-interview/komplettansicht
|
Psychologie: Lieber riskant leben als gelangweilt sterben
|
Die Stromschläge taten weh. Gefährlich waren sie nicht, aber die Versuchspersonen waren keine Masochisten, sie genossen die Stromstöße nicht. Umso seltsamer, dass sie sich diese selbst zufügten. Freiwillig. Mehrfach. Irgendetwas trieb sie dazu. Das Experiment von zwei US-Forschern wirft ein irritierendes Licht auf unsere Psyche. Es zeigt, dass Menschen sich aus purer Neugier selbst Schaden zufügen. So lautet zumindest das Fazit von Christopher K. Hsee und Bowen Ruan. Die beiden hatten Probanden im Labor an Tische gesetzt, auf denen Kugelschreiber lagen. Dort sollten sie angeblich warten, bis das Experiment beginne, hieß es. Zum Zeitvertreib dürften sie mit den Kugelschreibern spielen. Die Forscher sprachen jedoch eine Warnung aus: Vor einigen Stiften müssten sie sich in Acht nehmen. Jene mit rotem Aufkleber würden beim Herausklicken der Mine einen Stromstoß abgeben. Bei denen mit grünem Aufkleber bestünde diese Gefahr nicht. Und dann gebe es noch solche mit gelber Markierung – die seien unberechenbar. Die Forscher wollten herausfinden, welche Kugelschreiber das größte Interesse wecken würden. Dafür verglichen sie zwei Bedingungen: In der einen Gruppe lagen nur grüne und rote Stifte vor den Teilnehmern, in der anderen Gruppe nur gelbe. Das Ergebnis war eindeutig: Die Probanden der Gruppe mit gelben Stiften fassten ihre deutlich häufiger an. Immer wieder nahmen sie einen Stift in die Hand, um ihm sein Geheimnis zu entlocken: Würde er beim Klicken einen Stromstoß abgeben oder nicht? Neugier habe sie dazu getrieben, sagen die Forscher. Es schien gerade die Ungewissheit zu sein, die die Probanden an den gelben Stiften reizte. Wäre es ihnen nur darum gegangen, sich die Langeweile mit kleinen Stromschlägen zu vertreiben, hätten die roten Stifte ähnliches Interesse erfahren müssen. Dem war aber nicht so. In Folge-Experimenten ließ sich die These bestätigen. Mal sollten Testpersonen auf Knöpfe drücken, um schreckliche oder wohlklingende Geräusche zu hören, mal wurden sie mit ekligen Insektenbildern konfrontiert. Wann immer sie nicht wissen konnten, was passieren würde, drückten sie besonders oft – und riskierten somit lauter unerfreuliche Erlebnisse. Mit der Zeit schlug ihnen das richtig auf die Laune, doch die Neugier war stärker als die Vernunft. Als "Pandora-Effekt" bezeichnen die Forscher das Phänomen, benannt nach der berüchtigten Pandora aus der griechischen Mythologie: Sie öffnete entgegen ausdrücklicher Warnung die Büchse voller Laster und brachte damit Unheil über die Welt. Neugier hat fatale Folgen: Finger, die auf Herdplatten glühen. Seitensprünge oder Drogen, die ins Verderben führen. Fragen, deren Antworten man nicht hören möchte. Doch auch, wenn Neugier zuweilen lächerlich macht, wenn grotesk erscheint, was die Probanden in der Studie aufführten: Neugier lässt uns wagemutig sein. Nie wären die großen Entdecker in See gestochen, wären sie nicht der Versuchung des Horizonts erlegen. Nie wäre ein Mensch zum Mond geflogen oder auf den Grund des Meeres getaucht. Ohne Neugier würden wir im Altvertrauten verharren und an Langeweile sterben. Dann schon lieber an einem Stromschlag.
|
Claudia Wüstenhagen
|
Endlose Weiten? Reisen zum Meeresgrund? Ein Seitensprung? Das Ungewisse hat seinen Reiz. Ohne Neugier würden Menschen nur wenig wagen.
|
[
"Psychologie",
"Vernunft",
"Menschenversuch"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2016-09-12T19:00:45+02:00
|
2016-09-12T19:00:45+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2016/05/psychologie-experimente-vernunft-neugier
|
Soziale Netzwerke: Gefällt euch, wer ich bin?
|
Eine Box, eine Ratte, ein Hebel. Drückt die Ratte den Hebel, stimuliert ein Stromimpuls über eine winzige Elektrode eine Struktur in der Mitte ihres Gehirns. Ihr gefällt das so sehr, dass sie den Hebel immer wieder ansteuert. Die Forscher wissen nun: Sie haben das Belohnungszentrum des Gehirns entdeckt; durch dessen Stimulation erlebt die Ratte einen Glücksrausch nach dem anderen. Der Mensch hat keinen Schalter, den er einfach umlegen kann, um glücklich zu sein. Gott sei Dank, könnte man sagen, denn die Ratten, die im Experiment der fünfziger Jahre ihr Glück selbst in der Pfote hatten, starben beinahe: Vor lauter Glücksgefühlen vergaßen sie, zu fressen und zu trinken. Etwas kommt dem Prinzip Glücksrausch auf Knopfdruck jedoch erstaunlich nahe: der Like-Button in sozialen Netzwerken. Neurowissenschaftler haben herausgefunden, dass uns Likes genauso glücklich stimmen wie ein Offline-Lob. Im Arbeitsbereich Biologische Psychologie und Kognitive Neurowissenschaft untersucht Dar Meshi an der Freien Universität Berlin die Parallelen zwischen Online- und Offline-Verhalten. In einem Experiment zeichnete Meshi bei Probanden die Aktivierungsmuster ihres Belohnungszentrums auf, wenn der Versuchsleiter sie lobte. Dieses Muster stellte er in Zusammenhang mit der Facebook-Nutzung der Probanden. Dar Meshi fand heraus: Die Probanden, deren Hirne stark auf das Lob reagierten, nutzen soziale Netzwerke besonders intensiv. Das Belohnungszentrum, der Nucleus accumbens, ist ein cleverer Mechanismus der Evolution: Es versetzt uns in einen körpereigenen Rausch von Glück und Stärke, wenn wir etwas tun, das dem eigenen Überleben und dem Erhalt der Art nützlich ist. Bei Menschen verhelfen Essen, Sex, Geld und soziale Reputation zu Glücksgefühlen. Durch die Ausschüttung des Neurotransmitters Dopamin lernt das Gehirn: Das fühlt sich gut an, mehr davon! Soziale Anerkennung wirkt somit wie eine Droge, für die wir fast alles tun würden. Das Problem: Das Gehirn gewöhnt sich schnell an das positive Feedback. Ein Like, noch eins und noch eins – dadurch passiert bei routinierten Postern nicht viel. Erst wenn die eigenen Erwartungen übertroffen werden, kommen die Neuronen in Schwung. 40, 50, 60 Klicks – das fühlt sich nicht schlecht an. Aber geht noch mehr? 80, 90, 100. Ja! Klingeling, das Belohnungszentrum springt an: Happy Face :-). Damit ihre Erwartungen an Likes und Followern regelmäßig übertroffen werden, müssen die Nutzer immer bessere Inhalte abliefern. Darum werden Selbstinszenierungen in sozialen Netzwerken professioneller, Selfies waghalsiger. (Inzwischen sterben jährlich wesentlich mehr Menschen weltweit bei dem Versuch, ein Foto von sich zu schießen, als bei Hai-Angriffen. Daran wird auch kaum das inzwischen an vielen Orten geltende Selfie-Stick-Verbot etwas ändern.) Die Wissenschaft interessiert sich immer mehr für die Frage, wie sich der Mensch im Netz darstellt. Fakt ist: Während wir in Offline-Gesprächen in nur rund 60 Prozent der Gesprächsinformationen Persönliches offenbaren, sind in sozialen Netzwerken 80 Prozent unserer geteilten Inhalte auf uns selbst bezogen. Besonders bemerkenswert ist der Grund für die Ego-Eskalation im Netz: Es liegt an der Größe des Publikums, das wir über die Online-Plattformen erreichen. Die Kommunikationswissenschaftler Alixandra Barrasch und Jonah Berger von der Universität Pennsylvania fanden heraus: Je mehr Menschen uns zuhören, desto eher sprechen wir über uns selbst. Die Forscher erklären das mit der natürlichen Egozentrik des Menschen, durch die wir Schwierigkeiten hätten, uns in die Rolle von anderen zu versetzen. Ohne dass uns jemand durch seine unmittelbare Anwesenheit darauf hinweist, dass er unsere Aufmerksamkeit sucht oder Rat braucht, gehen wir den Aufwand, die Perspektive zu wechseln, nicht ein, so die These der Forscher. Empirische Belege dafür sammelten Barrasch und Berger in sechs Experimenten mit jeweils rund 150 Teilnehmern. In ihrer Studie unterschieden sie zwischen Broadcasting -Situationen, in denen die Probanden Informationen mit einem großen Publikum teilten, und Narrowcasting -Situationen, Unterhaltungen zwischen zwei Personen. Es bestätigte sich: Erst im Zweiergespräch legten die Probanden den Fokus jeweils auf ihr Gegenüber. Dieser Perspektivwechsel sorgte dann dafür, dass sie – anstatt über sich zu reden – Informationen mitteilten, die dem Gesprächspartner nützlich zu sein schienen. In größeren Gesprächsgruppen hingegen schlüpften die Versuchsteilnehmer nicht nur in die Ego-Perspektive, sondern vermieden auch Informationen, die sie selbst schlecht dastehen ließen. Sie stellten Situationen zudem besser dar, indem sie weniger negative Formulierungen wie hässlich, nervig oder übel benutzten.
|
Josefa Raschendorfer
|
Soziale Anerkennung in Form von Facebook-Likes wirkt wie eine Droge. Deshalb präsentieren wir uns im Internet angeblich anders als offline. Stimmt das überhaupt?
|
[
"Soziale Netzwerke",
"Facebook"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2016-08-29T12:36:13+02:00
|
2016-08-29T12:36:13+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2016/05/soziale-netzwerke-internet-likes-verhaltenspsychologie/komplettansicht
|
Sport-BH: Brüste, wo ist euer Problem?
|
Ein einziges Foto brachte den Frauenfußball weltweit auf die Titelseiten: 120 Minuten hatte die US-Mannschaft gegen die chinesische um den WM-Titel gekämpft, ohne dass ein Tor gefallen wäre. Nun stand es 4:4 im Elfmeterschießen . Die Amerikanerinnen hofften auf ihre Verteidigerin Brandi Chastain , und die zimmerte den Ball mit links ins gegnerische Tor. In einer Geste des Triumphs zog die Spielerin ihr weißes Trikot über den Kopf, ließ sich in schwarzem Sport-BH und Shorts auf die Knie fallen. Das Bild ging als "Brandi-Bra-Moment" 1999 in die Sport(bekleidungs)geschichte ein. Nie zuvor hatte ein Sport-BH derart viel Öffentlichkeit bekommen. Mit ihrem Torjubel lenkte die Fußballerin die Aufmerksamkeit auf ein Kleidungsstück, das bis dahin wenig beachtet worden war. Dabei beeinflussen Sport-BHs die Performance von Athletinnen ganz entscheidend. Sie unterstützen und schützen vor Überlastung. Goldie Sayers, britische Speerwerferin, ist überzeugt, ihr extra für sie entworfener Sport-BH mache sie "leistungsfähiger". Für die Hersteller von Sportausrüstung hatten Sport-BHs lange den Sex-Appeal von Kompressionsstrümpfen. Das ändert sich. 2014 verkündete Nike, den Umsatz mit Lauf-Tights und Sport-BHs in drei Jahren um zwei Milliarden Dollar steigern zu wollen. Auch Konkurrent Under Armour hat sich sportliche Ziele gesetzt: doppelter Umsatz bis 2018, unter anderem mit neuen Sport-BH-Modellen. Denn verantwortlich für das wirtschaftliche Wachstum im Segment Sportswear sind Frauen: in Deutschland zu 69 Prozent. Und die zeigen ihre Outfits. Auf Instagram finden sich unter Hashtags wie #girlswithmuscle oder #yogagirl Hunderttausende Selfies von Sportlerinnen in Sport-BHs oder den bügellosen Crop-Tops. Was der Laie nicht sieht: Die meisten dieser Oberteile sitzen schlecht. "85 Prozent aller Frauen wissen nicht, welche BH-Größe sie haben", sagt die Sportwissenschaftlerin Jenny Burbage. "Wenn ich mir im Fernsehen Sportereignisse wie die Olympischen Spiele anschaue, fällt es mir sofort auf, wenn eine Teilnehmerin einen Sport-BH trägt, der nicht passt." Burbage, die an der Universität Portsmouth lehrt, ist Expertin für Angewandte Biomechanik. Ihr Forschungsschwerpunkt: die weibliche Brust. Eine Problemzone – zumindest wenn es um die passende Bekleidung geht. "Es gibt kein einheitliches Größensystem. Und vielen Frauen fehlt die Kenntnis, wie ein BH sitzen muss." Das will Burbage ändern. Nicht nur die Anatomie der Brust sollte in der Schule erklärt werden, findet sie. Mädchen müssten lernen, wie sie den passenden BH aussuchen. Denn die Brüste von Frauen sind so verschieden, dass sie sich kaum in Standardmaßen erfassen lassen. Was bei der einen 75B-Trägerin perfekt sitzt, reibt, quetscht und schubbert bei der anderen. Ein Drittel aller Läuferinnen empfinden Beschwerden. Dazu kommt, dass Mädchen in der Pubertät nicht immer damit klarkommen, wie ihr Körper sich verändert. "In einer unserer Studien gaben 17 Prozent aller Frauen ihre Brüste als Grund dafür an, keinen Sport zu treiben. Zu viele", sagt Burbage. "Sie klagen über Rücken- oder Nackenschmerzen oder schämen sich sogar, weil ihre Brüste sich sichtbar bewegen." Seit 2007 befasst sich die Britin mit Sport-BHs, um die Bedingungen für Amateur- und Profisportlerinnen zu verbessern. Das Labor für Brustgesundheit der Universität Portsmouth ist eines der zwei weltweit führenden Forschungszentren auf diesem Gebiet. Während des London-Marathons befragten Burbage und ihre Kolleginnen über 1.300 Läuferinnen zu deren BHs und den Problemen, die diese auf solchen Distanzen verursachen. Im Labor vermessen sie Brüste und deren Bewegungsmuster. An über 900 Frauen brachten sie bereits Sensoren an, filmten sie mit Infrarotkameras auf dem Laufband, beim Springen oder auf einem mechanischen Pferd. Mit Sport-BH und ohne. "Hinter gut verschlossener Labortür", sagt Burbage. Über 600 verschiedene Modelle wurden so getestet. Nicht alle mit befriedigendem Ergebnis. "Im Vergleich zu den Sportschuhen hinkt die BH-Entwicklung 20 Jahre hinterher." Auch war die Biomechanik, die Lehre vom Bewegungsapparat, lange eine Männerdomäne . Seit es mehr Frauen in diesem Fachbereich gibt, macht die Erforschung der weiblichen Anatomie Fortschritte. Zum Beispiel durch 3-D-Darstellungen: "Anfangs wussten wir nur, dass Brüste auf und ab wippen. Jetzt können wir ihr Bewegungsmuster unabhängig vom Rest des Körpers untersuchen. Das hilft uns, Sport-BHs zu entwickeln, deren Funktion über die reine Kompression hinausgeht." Die weibliche Brust besteht aus Fett, Drüsen und Bindegewebe. Darunter liegen der kleine und der große Brustmuskel. Diese halten die Brust jedoch nicht aufrecht. Wissenschaftler glauben, dass entweder das Coopersche Band dafür verantwortlich ist – Faserzüge, die das Bindegewebe der Brustdrüse mit der Brustfaszie verbinden –, die Haut oder beides. "Aber die Bodenreaktionskraft, die auf Brüste einwirkt, ist immens", sagt Deirdre McGhee, Sportwissenschaftlerin der Universität Wollongong, Australien. "Brüste bewegen sich elliptisch: vor, rüber, hoch, runter, rüber, hoch. Je schneller eine Frau läuft, desto größer ist die Wucht." Bis zu 21 Zentimeter können Brüste ausschlagen. Abhängig von der Größe belasten etliche Hundert Gramm den Brustkorb. "Bereits bei einem gemäßigten Lauftempo von acht Kilometer pro Stunde kommt es zu bis zu 10.000 Erschütterungen pro Stunde."
|
Jessica Braun
|
Sie schwingen vor, rüber, hoch, runter, rüber, hoch. Brüste können Sport schmerzhaft machen. Ein Olympia-Leistungsträger ändert das und wird immer besser: der Sport-BH.
|
[
"Olympia",
"Leistungssport",
"Damenbekleidung",
"Sportler",
"Forschung",
"Sportmedizin"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2016-08-18T12:14:51+02:00
|
2016-08-18T12:14:51+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2016/05/sport-bh-verbesserung-bionik/komplettansicht
|
Vermisste Personen: Wer sind all die Toten?
|
Die Distanz zwischen den Lebenden und den Toten ist groß, aber die Distanz zwischen den Lebenden und den Vermissten ist noch viel größer. Als der Zweite Weltkrieg längst vorbei ist, machen sich zwei Männer und eine Frau auf die Suche nach einem vermissten Soldaten. Der eine Mann ist Skjalg Haaland, ein pensionierter Ingenieur aus Norwegen, der Sohn des Soldaten. Am 22. Januar 2008 piekst er sich mit einer Lanzette in den Finger und drückt ein paar Tropfen Blut auf ein Blatt Filterpapier. Genau genommen sucht Skjalg Haaland seinen Vater schon seit seiner Kindheit . Erst suchte er ihn in der Erinnerung, später in Büchern über den Krieg. Als Rentner setzt er seine letzte Hoffnung in die Wissenschaft. Deshalb die Blutstropfen. Der andere Mann ist Inge Morild, ein Forensiker, der in seinem Leben zwischen neun- und zehntausend Leichen obduziert hat, so genau hat er nicht mitgezählt. Genau genommen sucht Morild nicht nur Skjalg Haalands Vater, sondern hundert norwegische Soldaten. Sie kämpften damals an der finnisch-russischen Grenze. Zwischen 2007 und 2011 fliegt Morild dreimal nach Russland, um dort Skelettknochen anzusägen. Die Frau ist Kathryne Bomberger, eine hartnäckige Menschenrechtlerin. Sie leitet die Internationale Kommission für vermisste Personen (ICMP) in Sarajevo und Den Haag. Genau genommen sucht sie nicht nur die hundert norwegischen Soldaten, sondern alle Vermissten dieser Welt. Sie hat aus der Fahndung nach den Vermissten eine Präzisionswissenschaft gemacht. Gestern suchten Bomberger und ihr Team die Vermissten von Srebrenica, heute suchen sie die Vermissten im Irak, zwischendurch helfen sie den Norwegern. Und wenn sie CNN anschalten, wissen sie schon, wo sie morgen sein werden: am Mittelmeer, wo Flüchtlinge ertrinken , und in Syrien natürlich. Sie ordnen anonymen Knochen einen Namen zu und geben Angehörigen ein bisschen Frieden. Wenn es gut läuft, bringen ihre Funde einen Kriegsverbrecher in den Knast. In Trondheim, im Januar 2008, bringt Skjalg Haaland den Brief mit seiner Blutprobe zur Post. In St. Petersburg verpackt Inge Morild ein paar Monate später daumendicke Knochenscheiben zwischen seinen Socken im Koffer. Und so treten Blut und Knochen eine Reise quer durch Europa an. Man weiß zu jenem Zeitpunkt nicht, ob sie jemals zusammenfinden werden, die Gebeine aus dem russisch-finnischen Grenzgebiet und der Name des Soldaten Erling Münther Haaland. Man kann nur sagen, dass es eine Reise ist, auf der man den guten und den bösen Seiten der Spezies Mensch begegnen wird. Eine Zeitreise, die den Zweiten Weltkrieg verbindet mit dem Völkermord von Srebrenica und den Kriegen und Krisen der Gegenwart. Als Skjalg Haaland in der Mitte seines Lebens anfing, dem Schicksal seines Vaters nachzuspüren, fragte seine Frau ihn unvermittelt: "Bist du ein Nazi?" Nein, er ist kein Nazi. Aber sein Vater war einer. Erling Münther Haaland war Mitglied der norwegischen Faschisten, der Nasjonal Samling. Nachdem die Deutschen Norwegen im April 1940 besetzt hatten, meldete er sich freiwillig für den Kriegsdienst bei den Besatzern. Er wurde einer von sechstausend sogenannten Frontkämpfern und diente im "Ski-Jäger-Bataillon Norge" der deutschen Waffen-SS, das überwiegend aus Norwegern bestand. Skjalg Haaland, geboren 1938, versuchte zu verstehen, warum sein Vater ihn damals verlassen hatte, um für Hitler zu kämpfen. Heute hat er weiße Haare und die Sorgenfalten eines 77-Jährigen, der in seinem Leben schon viele Dämonen bekämpft hat. Er verlor nicht nur seinen Vater, sondern auch seine Tochter. Sie starb am zweiten Weihnachtsfeiertag 1979 im Alter von elf Jahren an einem Hirntumor . Aber für sie gibt es wenigstens ein Grab, an dem er trauern kann. Haaland hat die Wohnung seiner Frau in Trondheim für ein Treffen vorgeschlagen. Die beiden wohnen getrennt, seit er sich so obsessiv mit seinen beiden Hobbys beschäftigt, Spiritualität und Ahnenforschung, aber sie sehen sich an den Wochenenden. Es ist der längste Tag dieses Jahres, Sonnenwende. Am Abend spielt Deutschland gegen Nordirland in Paris, aber die Europameisterschaft interessiert ihn nicht so. Haaland sitzt auf der Couch und zieht ein Porträt seines Vaters aus einer Mappe. Es zeigt einen jungen Mann in Uniform, ernst in die Kamera blickend. Das Licht auf dem Foto fällt so, dass die Nase einen Schatten auf die Oberlippe wirft, es sieht aus wie ein Hitlerbärtchen. Skjalg Haaland hat eine tiefe, knarzige Stimme, ein bisschen wie eingerostet, bis heute hat er nur mit wenigen Menschen über seinen Vater gesprochen. Er sagt: "Mein Vater war das schwarze Schaf der Familie." Die drei Schwestern des Vaters und deren Ehemänner hielten im Zweiten Weltkrieg zu den Briten.
|
Max Rauner
|
Gestern in Srebrenica, heute im Irak, morgen in Syrien: Ein Team von Forensikern sucht weltweit Überreste von Vermissten – und gibt den Skeletten ihre Identität zurück.
|
[
"DNA",
"DNA-Tests",
"Völkermord",
"Mord"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2016-09-01T07:27:15+02:00
|
2016-09-01T07:27:15+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2016/05/vermisste-personen-norwegen-suche-zweiter-weltkrieg-forensik/komplettansicht
|
ZEIT Wissen 6/2016: Hier haben wir recherchiert
|
Am Anfang drei Fragen 1. Woran merkt man, dass man in die falsche Richtung geht? Darüber, wie Orientierung im Gehirn funktioniert, hat uns Debora Ledergerber von der Norwegischen Universität für Wissenschaft und Technik (NTNU) informiert. Über das Orientierungsvermögen von Taxi- und Busfahrern in London forscht Eleanor Maguire . Eine gute Zusammenfassung gibt Scientific American in diesem Artikel . Wie sich das Gehirn der Taxifahrer während der Ausbildung verändert, beschreibt Maguire hier . 2. Wie weit bringt uns Disziplin? In dieser Studie haben Peter Gollwitzer und Gabriele Oettingen die Wirkung der wish-outcome-obstacle-plan-Methode getestet. Auch in diesem Aufsatz geht es um die "Woop"-Methode. Ein Leben in Frieden Eine äußerst anregendes und durchaus provozierendes Buch ist Steven Pinkers fulminantes Werk "Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit" . Auf 1000 Seiten zeichnet der Harvard-Forscher die Entwicklung von Krieg, Gewalt und friedensstiftenden Errungenschaften seit der Antike nach. Brillant, zuweilen bewegend ist "The Fog of Peace" von Gabrielle Rifkind und Giandomenico Picco, dessen dritte Auflage gerade erschienen ist. Rifkind und Picco geben unmittelbare Einblicke in Friedensverhandlungen und die Vermittlung zwischen Kriegsparteien und analysieren die Chancen, Frieden zu stiften, aus psychologischer und psychotherapeutischer Sicht. Schon älteren Datums, aber immer noch lesenswert und zugleich eine gute Einführung in die Friedensforschung ist Ernst Otto Czempiels "Friedensstrategien" von 1986. Czempiel lässt die die wichtigsten Gedanken früher Theoretiker wie Macchiavelli oder Kant Revue passieren und untersucht die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedingungen, ohne die Frieden nicht gelingen kann. Ein wichtiger Klassiker, den man im Original nicht nur lesen kann, sondern lesen sollte, ist Immanuel Kants berühmte Schrift "Zum ewigen Frieden" von 1795. Ein intellektueller Meilenstein in der theoretischen Auseinandersetzung mit Krieg und Frieden. Zwei Paper aus der vielfältigen, multidisziplinären Friedensforschung seien hier empfohlen, weil sie Einblicke in wichtige Fragen der Friedensforschung geben: eine rückblickende politische Analyse der Appeasement-Politik des britischen Premiers Neville Chamberlain von Peter Trubowitz und Peter Harris von der London School of Economics, "When States appease: British appeasement in the 1930s" (2015); und eine spieltheoretische Analyse der Bedingungen, unter den Bürgerkriege beendet werden können, von Elisabeth Jean Wood, "Modelling Robutst Settlements to Civil War: Indivisible Stakes and Distributional Compromises" (2003). Zur aktuellen weltpolitischen Lage veröffentlichen die führenden deutschen Institute das jährliche Friedensgutachten ; auch das renommierte Stockholm International Peace Research Institute gibt einen Jahresbericht heraus. Das Institute for Economics and Peace berechnet seit zehn Jahren einen jährlichen "Peace Index" , um den Zustand der Welt quantitativ zu erfassen. Schlaf schön, gute Nacht Wie Schlaf funktioniert beschreibt der Schlafforscher Ingo Fietze in seinem Buch "Über guten und schlechten Schlaf". Was man tun kann, um den verloren gegangenen Schlaf wiederzufinden erklären Jürgen Zulley und Barbara Knab in dem Buch "Die kleine Schlafschule", erschienen im Mabuse Verlag. Die Zumutung: Die nächste Erde ist in Sichtweite Einen Überblick über die Methoden zur Entdeckung von Leben auf Exoplaneten gibt dieser Artikel von Sara Seager in PNAS (Sept. 2014). Homepage von Sara Seager mit vielen Links zur Exoplaneten-Forschung. Einer von vielen Presseartikeln über den kürzlich entdeckten Exoplaneten Proxima B: Wired ordnet die Entdeckung sehr nüchtern ein. Eine Nasa-Meldung über das Starshade-Programm zur direkten Beobachtung von Exoplaneten. Die ZEIT brachte 2013 eine große Infografik über Exoplaneten. Wikipedia hat sehr gute Informationen zu Exoplaneten, der Sonde Kepler und den verschiedenen Entdeckungsmethoden. Gebrauchsanleitung für ein Gefühl: Scham Mit den gesellschaftlichen Aspekten der Scham und ihrem politischen Potenzial beschäftigt sich dieses Buch der New Yorker Professorin Jennifer Jacquet, das 2015 auf Deutsch erschienen ist. Brené Brown von der University of Houston schilderte ihre Erkenntnisse zu den geschlechtsspezifischen Anlässen der Scham 2012 in einem sehr persönlichen 20-minütigen TED Talk , von dem es auf der Website auch eine deutsche Übersetzung gibt. Daniel M.T. Fesslers Veröffentlichung zu den evolutionären und kulturellen Aspekten der Scham hat die University of California als 36-seitiges PDF ins Netz gestellt. Das Abc des Lesens Über Blickbewegungen beim Lesen und das Schnelllesen informierten Prof. Ralf Radach , Psychologe an der Universität Wuppertal sowie Peter Rösler , Schnelllesetrainer. Herzlichen Dank dafür. Die Erkenntnisse über Schriftarten stammen aus diesem und aus diesem Artikel von M. Bernard et al. Mehr über Moses-Illusionen erfährt man zum Beispiel in diesem Artikel von T. D. Erickson und M. E. Mattson. Wie Lesen unser Denken beeinflussen kann, zeigt dieser Artikel von D. Casasanto . Die Unterschiede zwischen dem Lesen von Fiktion versus Fakten haben R. Zwaan sowie D. J. O. Henderson und H. Clark erforscht. Welche Unterschiede sich beim Lesen am Computer/Tablet ergeben, zeigt A. Mangen, z.B. in diesem Artikel . Zahlen und Fakten über Lesen, Lesegewohnheiten und den Buchmarkt findet man u.a. hier , hier , hier , hier , hier und hier . Kampf ums Korn Einen guten Überblick über die Geschichte des Saatguts vom Allgemeingut zur umkämpften Handelsware gibt Anja Banzhaf in ihrem jüngst erschienenen Buch "Saatgut. Wer die Saat hat, hat das Sagen" (Oekom 2016). Die Grünen-Fraktion des EU-Parlaments veröffentlichte im Januar 2014 die Studie "Concentration of Market Power in the EU Seed Market" , die viele Details zur Entwicklung des Saatgut-Markts in den vergangenen 30 Jahren enthält. Wie Züchtung zu wachsenden Weizenerträgen geführt hat und warum diese Zuwächse nun gefährdet sind, beschreibt ein Beitrag auf Pflanzenforschung.de, einer Informationsplattform des Bundesforschungsministeriums.
|
ZEIT ONLINE
|
Wir wollen unsere Arbeit transparenter machen: Mit welchen Experten wir gesprochen, welche Internetseiten wir besucht, welche Studien wir benutzt haben, lesen Sie hier.
|
[
""
] |
zeitwissen
|
Article
|
2016-10-11T09:44:52+02:00
|
2016-10-11T09:44:52+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2016/06/0616quellen
|
Erkältungen: Schnupfen, Husten, Fieber – nicht mit mir!
|
7 Tipps 1. BESUCH AN TAG FÜNF Die für Schnupfen verantwortlichen Rhinoviren vermehren sich vor allem in der Nase. Im Nasenschleim ist ihre Dichte am höchsten. Beim Niesen ist deshalb immer eine ordentliche Portion Viren dabei. Eine Gesichtsmaske müsse man aber nur in Pandemiezeiten tragen, rät das Bonner Hygieneinstitut – oder wenn man direkten Kontakt zu Kranken habe. Es schützen jedoch nur eng anliegende Chirurgenmasken, einlagige Papiermasken lassen zu viel durch. Ein mit Grippe infizierter Mensch verbreitet seine Viren übrigens bereits bis zu 48 Stunden vor den ersten Symptomen. Die Menge der Erreger ist während der ersten drei Erkrankungstage am höchsten, vom fünften Tag an ist ein Krankenbesuch wieder ungefährlich. 2. WARTEZIMMER MEIDEN Meiden Sie in Grippezeiten nicht nur größere Menschenansammlungen wie Musikkonzerte oder Theateraufführungen, sondern auch Ihren Arzt – außer Sie sind ernsthaft krank. Wenn Sie nicht schon erkältet waren, sind Sie es nach einer Stunde im virengefüllten Wartezimmer garantiert. Müssen Sie doch zum Arzt, geben Sie ihm wenigstens nicht die Hand. Eine Schweizer Studie zeigte, dass sich sogar Mediziner nicht so oft die Hände waschen, wie sie sollten. Und verbieten Sie Ihrem Kind, die praxiseigenen Spielsachen im Wartezimmer zu berühren. Nehmen Sie eigene mit. 3. WIE MAN RESISTENTER WIRD Häufiges Lüften beugt Erkältungen vor, denn Heizungsluft trocknet die Schleimhäute aus – das macht sie anfällig für Virenattacken. Nasenspülungen mit Kochsalzlösung sind unangenehm, halten aber die Schleimhäute feucht. Wer Sport treibt, stärkt sein Immunsystem. Und in der Sauna lernt der Körper, heftige Temperaturschwankungen besser zu verkraften. Der Psychologe Sheldon Cohen von der Carnegie Mellon University fand heraus, dass positiv denkende Menschen seltener krank werden. Und wenn es sie doch trifft, klagen sie über weniger Beschwerden. 4. HÄNDE WEG Von Händen sollte man sich in Erkältungszeiten fernhalten. Martin Exner vom Institut für Hygiene und Öffentliche Gesundheit schätzt, dass 85 Prozent aller Ansteckungen durch simples Händeschütteln erfolgen. In die betreffenden Hände muss nicht einmal gehustet oder geniest worden sein. Es genügt, wenn sie vorher einen virenbeladenen Haltegriff im Bus berührt oder eine Nase geschnäuzt haben. Die Virenkonzentration auf der Hand nehme zwar innerhalb von fünf Minuten um das Hundert- bis Tausendfache ab, erklärt Exner. Trotzdem könne jemand, nachdem er sich nur die Nase geputzt habe, 13 weitere Menschen anstecken. Das bedeutet: Finger weg vom Gesicht! Entweder in ein Wegwerftaschentuch niesen oder im Notfall in den Ärmel. Außerdem: Die Hände häufig, mindestens 15 bis 20 Sekunden lang mit warmem Wasser und Seife waschen. Wasserhähne in öffentlichen Toiletten mit einem Papiertuch zudrehen. In Pandemiezeiten sollte man sogar ein Fläschchen mit Handdesinfektionsmittel dabeihaben. 13 Prozent der Deutschen waschen sich nicht die Hände, nachdem sie auf der Toilette waren. 5. AUFPASSEN: ES LEBT Erkältete Menschen hinterlassen in Hotelzimmern an mehrmals benutzten Gegenständen wie Türklinken oder Fernbedienungen Keime, die sogar noch am nächsten Morgen nachweisbar sind, wie eine wissenschaftliche Studie der University of Virginia zeigt. Der kranke Gast ist weg, seine Viren bleiben. Grippeviren, erklärt Martin Exner, überlebten bei 28 Grad Celsius und 35 bis 40 Prozent Luftfeuchtigkeit auf harten, nicht porösen Oberflächen bis zu zwei Tage lang, auf Kleidung, Papier oder Tüchern acht bis zwölf Stunden. Auch wenn Luft kein eigenständiges Infektionsreservoir ist, können Grippeviren in seltenen Fällen sogar über Lüftungen übertragen werden. Im Flugzeug zum Beispiel kann ein Influenzapatient andere Passagiere anstecken, selbst wenn sie fünf Reihen entfernt sitzen. 6. ABSTAND HALTEN Klassische Winterkrankheiten wie Schnupfen oder Grippe werden durch Tröpfcheninfektionen übertragen . Dazu muss der Erkrankte einen anderen anhusten, anniesen oder beim Sprechen anspucken. Diese Übertragungsart kann über eine Distanz von einem Meter erfolgen. Wer einen Tropfen ins Auge bekommt oder einatmet, kann sich beim Gegenüber schon bedanken. Ein Großteil der Ansteckungen erfolgt allerdings über Handkontakt. 7. FÖHNLUFT ATMEN Der kalifornische Arzt Stephen Langer schlägt vor, täglich fünf Minuten lang warme Luft aus einem Föhn einzuatmen. Die Wärme töte die Viren ab, sagt er. Das ist allerdings umstritten. "Wenn da ein Fünkchen Wahrheit drinsteckt", erwidert zum Beispiel Helmut Jäger vom Bernhard-Nocht-Institut in Hamburg, "sehe ich es nicht."
|
Sigrid Neudecker
|
Bis zu viermal im Jahr sind Erwachsene durchschnittlich erkältet. Dabei könnten sie das Schniefen und Niesen leicht vermeiden – mit der richtigen Vorbeugung. 7 Tipps
|
[
"Erkältung",
"Grippevirus",
"Virus",
"Erkältungskrankheiten"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2017-01-04T17:03:32+01:00
|
2017-01-04T17:03:32+01:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2016/s1/erkaeltungen-fieber-viren-husten-schnupfen-tipps
|
Arbeitskleidung: Wie beeinflusst Kleidung unseren Erfolg?
|
Bikinis machen dumm. Zumindest während der Tragedauer. Zu diesem Schluss kamen Forscher der University of Michigan in den neunziger Jahren. Bei der Studie schnitten Frauen, die einen Bikini trugen, in Matheaufgaben schlechter ab als die, die mehr anhatten. Auf den ersten Blick lässt sich daraus kein alltagstauglicher Ratschlag herleiten – die wenigsten planen, sich im knappen Zweiteiler in die nächste Prüfung zu setzen. Aber hinter dem amüsanten Versuch steckt eine größere Botschaft: Kleider verändern nicht nur unsere Wirkung auf andere, sie beeinflussen auch die eigene Leistung. Aktuellere Studien bestätigen diesen Effekt: Der Psychologe Abraham Rutchick und seine Kollegen von der California State University wollten wissen, welchen Einfluss Kleidung auf unser Denken hat . Sie luden 90 Studenten zu verschiedenen Assoziationstests ein, wobei die eine Hälfte während der Tests Alltagskleidung trug und der Rest wie bei einem Bewerbungsgespräch angezogen war. "Die formell gekleideten Probanden waren in der Lage, abstrakter und ganzheitlicher zu denken", sagt Rutchick. Nach Fortbewegungsmitteln befragt, gaben sie zum Beispiel neben Begriffen wie "Auto" oder "Fahrrad", auch "Kamel" an. Aber nicht nur auf unsere Gedanken wirkt das, was wir tragen, sondern auch ganz direkt auf den Körper: So zeigten Forscher der University of Durham, dass bei den Olympischen Spielen 2004 Sportler mit einem roten Trikot häufiger siegten als solche mit einem blauen. Schon vor den Wettkämpfen hatten die Roten messbar mehr Kraft und einen schnelleren Herzschlag als die Blauen. Den Einfluss auf den Hormonhaushalt untersuchten Wissenschaftler der Yale University. Sie ließen Männer entweder in Anzug, Jogginghose oder Alltagskleidung ein fiktives Geschäftsabkommen verhandeln. Das Ergebnis: Die Anzugträger waren nicht nur dominanter und erfolgreicher als die anderen, sie hatten auch einen konstant hohen Testosteronspiegel. Dieser Spiegel sinkt beim Verlieren von Wettbewerben – bei den Kandidaten in Jogginghose geschah dies schon vor dem Ende der Verhandlung. Und auch Arztkittel wirken: Probanden in Weiß machten bei einer Studie der Northwestern University nur halb so viele Konzentrationsfehler wie die ohne Kittel. Unter einer Voraussetzung: Sie durften nicht glauben, der weiße Kittel sei von einem Maler. Dieser letzte Versuch zeigt, dass die Magie nicht allein in Naht, Schnitt oder Stoff der Kleidung liegt, sondern in dem, was wir damit verbinden. "Social Priming" nennen Psychologen diesen Mechanismus. Unser Gehirn reagiert nicht immer gleich auf Reize. Hat uns vorab ein Geruch, eine Farbe , ein Wort oder Bild an etwas denken lassen, also bestimmte Gedächtnisinhalte wachgerufen, dann beeinflusst uns das unbewusst. Zwei Beispiele: Studienteilnehmer verhielten sich, nachdem sie über Geld geredet hatten, egoistischer als solche, die nicht darüber gesprochen hatten. Blonde Studentinnen, die vor einem Intelligenztest Blondinenwitze lasen, schnitten danach schlechter ab als diejenigen, die andere Witze lasen. Auch Kleider wecken in uns bestimmte Assoziationen . Wir verbinden mit ihnen Macht, Geschlecht, Status oder Alter und damit wiederum bestimmte Eigenschaften. Ab jetzt also im roten Anzug oder im Arztkittel zum Bewerbungsgespräch? Wohl kaum. "Gerade weil Kleidung einen so großen Symbolcharakter hat, sollte sie zum Anlass passen", sagt der Psychologe Rutchick. Vielleicht war das auch das Problem der Bikini tragenden Rechnerinnen.
|
Insa Schiffmann
|
Thomas Mann soll stets Anzug und Fliege getragen haben, als er seine Bücher verfasste. Wären seine Werke in Jogginghose nur halb so gut geworden?
|
[
"Psychologie",
"Bekleidung"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2016-12-14T18:11:47+01:00
|
2016-12-14T18:11:47+01:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2017/01/arbeitskleidung-einfluss-leistung-symbolik
|
Inventur: Wer kauft heute noch Sammeltassen?
|
Meine Freundschaft mit Lumpi, Paddy, Urs und Snorry begann im Dezember 2001. Wir trafen uns an einem verschneiten Donnerstag in der Hauptstraße 61 meines Heimatdorfs, ein roter Elektroofen wärmte unsere Füße. Ich, 13 Jahre alt, klebte an jenem Tag ein paar Pfennig-Münzen in mein Tagebuch – als Erinnerung. Mein erstes selbst verdientes Geld sollte mir nämlich bald darauf in Euro ausbezahlt werden, sieben Euro pro Stunde. Nach unserem ersten Treffen vereinbarte ich mit Lumpi und den anderen ein regelmäßiges Wiedersehen. Zeit: die Tage nach Weihnachten, Ort: Spielwarenabteilung im Geschäft Leschhorn, 61200 Wölfersheim, Mittelhessen. Bei der jährlichen Inventur im Laden von Elfriede Leschhorn, meiner Oma, waren die Steiff-Tiere mit dem Knopf im Ohr meine Lieblingsstation. Zehn Jahre sind seit meinem letzten Treffen mit ihnen vergangen – heute mache ich noch einmal die Inventur. Lumpi (Schnauzer), 49,95 €, Anzahl: 1 Paddy (Biber) 56,50 €, Anzahl: 1 Snorry (Fuchs) 89,50, € Anzahl: 1 Urs (Braunbär) 101,75 €, Anzahl: 1 Wie damals beobachten Lumpi und seine Kollegen ihr Revier: 125 Quadratmeter Spielwarenabteilung, durch zwei Treppenstufen von der übrigen Ladenfläche abgesetzt. Und drei Schaufenster, an denen sich einst Kinder die Nase platt drückten. Frankfurt, die nächste Großstadt, hatte Hertie, Horten, Kaufhof und Karstadt. Wölfersheim hatte Leschhorn. Als 13-Jährige hatte ich keinen Grund, daran zu zweifeln, dass das für immer so bleiben wird. Wenn die Menschen etwas kaufen wollten, dann brauchten sie schließlich ein Kauf-Haus, oder? Das Terrain der Spielwarenabteilung übernahm ich bei der Inventur gemeinsam mit meinen zwei älteren Geschwistern, die Aufteilung war nicht verhandelbar. Mein Bruder zählte Lego, Playmobil, Siku-Mähdrescher und -Traktoren, meine Schwester das Zubehör der Puppenstuben von der Hollywoodschaukel bis zur Kaffeekanne, und ich kümmerte mich um Schleich-Tiere, Stofftiere, Malbücher , Puzzles und Spiele. Automatisch greife ich auch heute zuerst zu diesen Sachen: Schleich-Esel 5,99 €, Anzahl: 1 Schleich-Giraffe 6,99 € Anzahl: 3 Straßenkreide 1,95 €, Anzahl: 4 Kniffel-Block 3,99 €, Anzahl: 10 Nach und nach füllt sich meine Liste. Zugegeben, ich bin nicht mehr so genau wie damals, als ich jede einzelne Murmel gewissenhaft erfasst habe, vielmehr interessieren mich all die Dinge, die ich hier entdecke: Kaufladenobst (Pflaumen) 0,77 €, Anzahl: 4. Handpuppe (Prinzessin) 22,89 €, Anzahl: 1 Handpuppe (Rotkäppchen) 16,99 €, Anzahl: 1 Puzzle: Boyzone, 3,50 €, Anzahl: 2 Boyzone? War das nicht die Boyband von Ronan Keating, die in den Neunzigern Mädchenherzen wie meines höherschlagen ließ? (Ich unterbreche die Inventur, um auf YouTube Boyzone-Videos zu schauen). In Zeiten von Big Data kommt es mir ein bisschen anachronistisch vor, jeden einzelnen Gegenstand in die Hand nehmen zu müssen, zu zählen oder zu wiegen. Gibt es dafür nicht eine App? Auf jeden Fall gibt es dafür in Deutschland ein Gesetz. Paragraf 240 des Handelsgesetzbuches verpflichtet jeden Kaufmann dazu, seine vorhandenen Bestände körperlich zu erfassen, den Wert zu ermitteln, Bilanz zu ziehen. So zählen Apotheken ihre Salben, Förster ihre Bäume, Zoohandlungen ihre Kaninchen, Wellensittiche und Guppys – und die Leschhorns eben ihre Bauklötze und Porzellantassen. Indem die Inventurliste dokumentiert, was man hat, zeigt sie auch, was fehlt und was man braucht. Sie spiegelt Erfolge und enttarnt Defizite. Als Jahresabschluss ist die Inventur die Grundlage des Neuanfangs. Ein Kaufhaus ist da gar nicht so verschieden von den Menschen mit ihren Jahresrückblicken und Vorsätzen für das neue Jahr. Die Inventur ruft dazu auf, seine Umgebung zu durchkämmen, in alle Ecken zu blicken, jede Schublade und Kiste zu öffnen, Lager und Keller zu durchleuchten. Invenire ist lateinisch für "etwas finden" oder "auf etwas stoßen". Im über hundert Jahre alten Geschäft meiner Oma bedeutet das, sich auf eine Zeitreise einzulassen.
|
Josefa Raschendorfer
|
Als Kind verdiente sie hier ihr erstes Geld. Nun kehrt unsere Autorin zurück ins alte Kaufhaus ihrer Oma, um noch mal bei der Inventur zu helfen. Vielleicht die letzte.
|
[
"Handel",
"Einzelhandel",
"Konsum"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2016-12-16T19:52:14+01:00
|
2016-12-16T19:52:14+01:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2017/01/bestandsaufnahme-inventur-kaufhaus-hundert-jahre-hessen/komplettansicht
|
Beziehungen: Warum lieben? Weil wir es können
|
Wenn irgendwer sich mit Liebe ausgekannt hat, dann Shakespeare . Er war mit all ihren Spielarten vertraut, von ewiger Treue ( Romeo und Julia ) über wilde Promiskuität (Venus und Adonis) bis zur entfesselten Eifersucht (Othello). Doch seine schönsten und vor allem persönlichsten Worte über die Liebe finden sich in seinen Sonetten. In diesem Zyklus von 154 Gedichten erzählt er von seinem Liebesleid. Anfangs sieht alles noch ganz rosig aus. Dann jedoch verfällt er, der sich in den Versen "Will" nennt, einer mysteriösen "düsteren Dame" (dark lady). Sie ist nicht schön, sie ist nicht nett, aber er hängt an ihr. Es geht um Missbrauch, Gewalt und schlechten Sex. Er will sich aus der Abhängigkeit von ihr befreien. Doch es gelingt ihm nicht. Er ist ihr verfallen. Das soll diese Liebe sein, von der all die Popsongs und Schmonzetten schwärmen, um die sich Serien und Reality-Shows drehen und deretwegen so viele Menschen Ratgeber kaufen oder sich auf Dating-Plattformen tummeln? Dann wäre es kein Wunder, dass sie aus der Mode kommt. Glaubt man Umfragen, geht der Trend zur Kurzfristbeziehung: Sex, Spaß und Unverbindlichkeit statt Liebe, Romantik und ewige Treue . Liebe nervt inzwischen sogar ihre lautstärksten Anhänger. Seit Mitte der neunziger Jahre verschwindet das Wort love aus den Texten der Popsongs. Dafür wird in den Charts mehr über Sex, Gewalt und Kiffen gesungen. Man kann diesen Trend als Ausdruck einer allgemeinen Desillusionierung deuten. Nach Jahrzehnten des Liebesschmachtens wenden wir uns realistischeren Zielen zu: Sex, Freundschaft, Kinder, Karriere. Wozu auch noch? Im Unterschied zu früheren Zeiten können Menschen heute bestens allein zurechtkommen. Ehe und Familie sind seltener zur ökonomischen und sozialen Absicherung erforderlich. Man hat zweifellos weniger Ärger, wenn man die Liebe sein lässt, und gewinnt eine Menge Zeit für andere Dinge. Sparen wir uns also den Shakespeare-Kram. Aber so einfach ist die Sache nicht. Die Umfragen, die einen Trend zu individualisierten Lebensformen feststellen, zeigen auch, dass die Sehnsucht nach der einen, großen Liebe lebendig bleibt. Wenn es stimmt, dass die Liebe ein Grundbedürfnis stillt, dann lässt sich nicht so ohne Weiteres auf sie verzichten – zumindest wird einem dann etwas Wichtiges im Leben fehlen. Wenn man die Liebe mit den Augen heutiger Naturwissenschaftler betrachtet, wirkt sie in der Tat nicht sonderlich attraktiv. So hat die amerikanische Anthropologin Helen Fisher , die an der Rutgers University forscht und lehrt, gemeinsam mit Neurowissenschaftlern schwer verliebte Versuchspersonen in die Röhre eines Kernspintomografen geschoben, um ihr Gehirn zu durchleuchten : manche von ihnen frisch verliebt, manche frisch verlassen, manche glücklich in einer jahrzehntelangen Beziehung. Sie sah, dass die romantische Entrückung das menschliche Zentralorgan gründlich umprogrammiert. Vor allem aktiviert die Liebe jene Areale, die in den dunklen Tiefen des Gehirns sitzen, die weit unterhalb der Schwelle des rationalen Denkens arbeiten und den Fluss des "Belohnungshormons" Dopamin regulieren. Verliebtheit ist demnach kein höherer Geisteszustand, nicht einmal ein Gefühl, sondern ein archaischer Trieb, sagt Fisher. Die neurochemischen Veränderungen gleichen jenen, die Kokain und andere Drogen in den Gehirnen von Abhängigen bewirken. Wenn Physiologie alles wäre, dann könnte man sagen: Ein Abhängiger ist in Kokain verliebt und jemand Verliebtes abhängig von seiner oder seinem Angebeteten. Die physiologische Ähnlichkeit bleibt auch, wenn das Objekt der Begierde außer Reichweite rückt. Ob Drogenentzug oder Liebeskummer, der zerebrale Leidenszustand ist der gleiche. Helen Fisher rät daher, in Liebesdingen sorgfältig auf die Dosierung zu achten. Warum nicht eine ruhige Freundschaft statt verzehrender Liebe ? Neurophysiologisch gesehen mag es also ziemlich egal sein, ob man verliebt ist oder kokainabhängig. Doch das Nutzer-Erlebnis ist ein völlig anderes. Kokain ist nichts als eine chemische Substanz. Liebe bedeutet etwas. Liebe bedeutet alles, haben manche Leute gesagt – Jesus von Nazareth zum Beispiel. Was genau bedeutet Liebe? Das kann man auch mit dem besten Hirnscanner nicht erkennen. Bedeutungsfragen sind eher was für Philosophen. Tatsächlich spielt die Liebe eine große Rolle in der abendländischen Philosophie . Platon hat eines seiner besten Bücher, Das Gastmahl , über sie geschrieben. Aristoteles hat seine Ethik zum großen Teil auf sie gegründet, Augustinus seine gesamte Philosophie. Wobei die meisten Philosophen das deutsche Wort "Liebe" natürlich nicht kannten, sondern die Vokabeln anderer Sprachen, die diesem Wort bloß ungefähr entsprechen. "Liebe" hat sich aus germanischen Formen des Sanskrit-Wortes lubh entwickelt, was Begierde bedeutet. Und Begierde spielt zweifellos mit in dem Gefühlscocktail, den die Liebe uns serviert. Aber Begierde ist eben nicht gleich Liebe. Man kann begehren, ohne zu lieben, und lieben, ohne zu begehren. Die Schwierigkeit, mit der alle Versuche kämpfen, die Liebe zu verstehen, ist gerade, dass sich in ihr verschiedenste Dinge berühren, die nicht ohne Weiteres zusammenpassen: lodernde Leidenschaft und der Wunsch nach Beständigkeit; Freiheitsdrang und Sehnsucht nach Geborgenheit. Liebe soll das Göttlichste auf Erden sein, aber Sex die größte Sünde – nanu? Da gibt es einiges zu entwirren, das erkannten schon die Philosophen des antiken Griechenlands. Sie unterschieden zwischen eros, der leidenschaftlichen Liebe, und philia, der freundschaftlichen Liebe. Durch die Übersetzung der jüdisch-christlichen Schriften ins Griechische kam schließlich ein dritter Aspekt der Liebe hinzu: agape, die fürsorgliche Liebe.
|
Tobias Hürter
|
Der Trend geht wohl zur Kurzfristbeziehung: Sex, Spaß und Unverbindlichkeit statt Liebe, Romantik und ewige Treue. Doch halt! Ohne die Liebe sind wir arm dran.
|
[
"Liebe",
"Beziehung",
"Philosophie",
"Freundschaft",
"Psychologie",
"Karl Jaspers",
"Sigmund Freud"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2017-01-29T16:21:13+01:00
|
2017-01-29T16:21:13+01:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2017/01/beziehungen-liebe-philosophie-platon-dating-apps-erotik/komplettansicht
|
Erwachsenwerden: Heute Revoluzzer, morgen Philosoph
|
Wer als Kind in die Welt der Erwachsenen übersetzt, bei dem verändert sich plötzlich alles, und nichts passt mehr zueinander. Und das ist eigentlich großartig: Denn wir zeigen in dieser Lebensphase Fähigkeiten und Eigenschaften, von denen wir uns manche für das spätere Erwachsenenleben bewahren sollten. In der Pubertät erfinden wir uns alle paar Wochen neu: heute Revoluzzer, morgen Philosoph. Wir werden nie wieder eine solche Entdeckungsfreude an den Tag legen. Wir probieren alles Mögliche aus, am häufigsten uns selbst. Und wir kümmern uns sehr viel weniger darum, was andere darüber denken. Als Kind wollten wir noch von allen gemocht werden, als Pubertierender spornen uns irritierte Blicke nur an. Als Erwachsener werden wir dann die Kunst des Kompromisses gelernt haben und sogar zu jenen Menschen freundlich sein, die wir eigentlich gar nicht mögen. In der Pubertät lernen wir, mutig zu sein . Wir setzen den tapfersten Schritt unseres Lebens: jenen heraus aus dem Urschutz der elterlichen Geborgenheit. Bis dahin waren wir automatisch Teil einer Familie, jetzt können wir uns erstmals ein Leben als Individuum vorstellen. Im selben Atemzug beginnen wir, Autoritäten infrage zu stellen. Wissen unsere Eltern wirklich alles besser? Haben die Lehrer tatsächlich immer recht? In deren Augen erscheint unser Verhalten oft als stures Widersprechen aus Prinzip. "Das Moment des Widerspenstigen, Rebellischen, des gesteigerten Oppositionsgeistes der Pubertierenden wird in zwei Variationen zum Ausdruck gebracht", sagt Rolf Göppel von der Pädagogischen Hochschule Heidelberg, der mehrere Bücher über die Pubertät geschrieben hat. "Einmal durchaus im Sinne der kritischen Hinterfragung von Prinzipien, Regeln, Standpunkten, also im Sinne einer mutigen und notwendigen offenen Auseinandersetzung mit der Frage, wie gut die bestehenden Ordnungen und Einrichtungen begründet sind." Zum anderen würden Pubertierende auch eine gewisse Lust an der Provokation an den Tag legen, um Grenzen auszutesten, meint Göppel. Wann, wenn nicht jetzt? In diesem angeblich schwierigen Alter kann man noch mit Nachsicht rechnen, egal, ob man seine Umgebung mit seiner schlechten Laune nervt oder tatsächlich etwas anstellt. Als Erwachsener geht man lieber auf Nummer sicher und verhält sich sozial verträglich. In der Pubertät lässt man sich von seinen Gefühlen noch völlig ungehemmt mitreißen , von den negativen genauso wie von den positiven. Jedes kleine Verknalltsein wird sofort zur größten Liebe aller Zeiten, bei jedem Liebeskummer sind wir sicher, dass wir ihn nicht überleben werden. Wir können uns über gesellschaftliche Ungerechtigkeiten zutiefst empören und würden am liebsten sofort losstürmen, um sie zu bekämpfen. Wir glauben noch fest an das Gute im Menschen und an die Möglichkeit, die Welt zu verbessern. Erst später beginnt der Kopf, die Ratio, solche Gefühlsaufwallungen vorsorglich runterzupegeln. "Daran kannst du ohnehin nichts ändern", denken wir dann immer öfter. Oder auch: "Wer weiß, ob er es ernst mit dir meint. Lieber vorsichtig sein!" Was wir aber am allerbesten können, ist Herumalbern. Wir machen uns über Rituale oder Konventionen lustig und kichern umso haltloser, je ernsthafter eine Zeremonie ist. Teils aus Übermut, teils weil wir den Sinn dahinter nicht erkennen können. "Das gehört sich so", ist in diesem Alter eben noch kein ausreichendes Argument. An diese Leichtigkeit des Seins erinnern wir uns sogar als Erwachsene gern zurück.
|
Sigrid Neudecker
|
Erwachsenwerden ist ein Kinderspiel: In der Pubertät erfinden wir uns alle paar Wochen neu. Wir lernen, mutig zu sein. Und leiden, lieben, leben ungehemmt.
|
[
"Pubertät",
"Jugendliche"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2016-12-19T14:42:32+01:00
|
2016-12-19T14:42:32+01:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2017/01/erwachsenwerden-pubertaet-faehigkeiten
|
Immunsystem: Wie viel Dreck ist gesund?
|
Viertausendsechshundert. So viele Arten von Mikroorganismen fand der Geologe Helge Trond Torsvik in einem Gramm Walderde, das er per DNA-Sequenz-Analyse untersucht hatte. Das sind mehrere Millionen Bakterien, Viren, Algen, Pilze und Einzeller. Und nicht alle sind schlecht für den Menschen. Mycobacterium vaccae zum Beispiel – vaccae , lateinisch "von der Kuh" – wurde erstmals in Kuhdung gefunden und könnte wirken wie ein Antidepressivum. Das hat die Onkologin Mary O’Brien zufällig entdeckt, als sie das Bakterium Krebspatienten verabreichte. Zwar verlangsamte es nicht wie erhofft das Tumorwachstum, doch die Patienten mit dem Kuhbakterium schätzten ihre Lebensqualität besser ein als die einer Kontrollgruppe. Dreck kann also gut sein für den Menschen. Kein Wunder, enthält doch sein Körper mehr Bakterien als eigene Zellen. Viel Dreck macht er zudem selbst, schließlich besteht Hausstaub zu einem nicht kleinen Teil aus Mensch, aus Hautschuppen nämlich. Dreck ist also Definitionssache, "Materie am falschen Ort", wie Brecht geschrieben hat. Mit dem Boom der Meister Proppers und Sagrotans im 20. Jahrhundert ist der richtige Ort für die meisten Westeuropäer: in der Natur. Im Haus soll alles nicht nur sauber sein, sondern auch rein. Ob das gut ist, wird allerdings seit 1989 angezweifelt. Da formulierte der Epidemologe David Strachan seine Hygiene-Hypothese . Die besagt, dass sich der enorme Anstieg von Allergien in den Industrienationen seit den 1950ern mit den gleichzeitig ständig verbesserten Hygienebedingungen erklären lässt. Mit der Abnahme der Infektionskrankheiten reduzierte sich die Vielfalt an Mikroorganismen, die den Menschen jahrhundertelang umgeben hatten. Das Immunsystem, besonders das von Kindern, gerate so aus dem Gleichgewicht und reagiere übertrieben auf eigentlich Harmloses wie Pollen, Milben, Gräser. Inzwischen leidet fast jeder fünfte Deutsche an einer allergischen Erkrankung. Mehrere Studien geben Strachan recht: Kinder, die öfter mit Dreck in Berührung kommen und zum Beispiel unter Bazillen schleudernden Altersgenossen in der Kita, mit wurmigen Haustieren oder am besten auf einem Bauernhof zwischen Kuhstall und Mistgabel aufwachsen, haben seltener Allergien und Asthma als vergleichsweise keimfrei aufwachsende Kinder. Zuletzt zeigte eine Langzeitstudie , dass bereits ein paar Gramm Dreck der Gesundheit förderlich sein können: Für 1.037 Teilnehmer der Studie wurde erhoben, wer im Kindergartenalter an seinen schmutzigen Fingernägeln gekaut oder am Daumen gelutscht hatte. Bei Allergietests, denen sich die Studienteilnehmer später jeweils im Alter von 13 und 30 Jahren unterziehen mussten, stellte sich heraus: Von den Daumenlutschern und Nägelkauern hatten insgesamt weniger eine Allergie entwickelt als von denjenigen, die diese Angewohnheiten als Kind nicht gehabt hatten. Bleibt die Fünf-Sekunden-Regel : Essbares, das erst vor wenigen Sekunden auf den Boden gefallen ist, kann man ohne Bedenken verspeisen. Forscher haben das überprüft. Sie sagen: Bakterien ist es egal, ob man Lebensmittel nach drei Sekunden oder drei Tagen aufhebt, sie belagern es sofort. Entscheidend ist, welche und wie viele Bakterien sich auf der Absturzstelle befinden, ob das Essbare klebrig oder eher trocken (Bakterien finden trocken besser), ob der Boden glatt oder teppichartig ist (Bakterien lieben glatte Oberflächen). In einer Studie gaben Forscher an: Befinden sich weniger als 50 Keime pro Quadratzentimeter auf dem heruntergefallenen Lebensmittel, ist es vermutlich noch genießbar. Am besten legt man sich für solche Fälle also ein Mikroskop zu. Die Quellenangaben zum ZEIT-Wissen-Artikel finden Sie hier.
|
Amelie Breitenhuber
|
In einigen Häusern soll alles nicht nur sauber sein, sondern rein. Gesund ist das ausgerechnet gar nicht. Lieber öfter den Sprung in den Matsch wagen.
|
[
"Immunsystem",
"Hygiene",
"Asthma",
"Mikroorganismus"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2017-01-17T18:15:35+01:00
|
2017-01-17T18:15:35+01:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2017/01/immunsystem-dreck-gesund
|
Klimawandel: Schrebergarten, tiefgefroren
|
Zugegeben, das Überleben in der Kälte ist hierzulande gerade kein Thema, eher das Überleben ohne Kälte, darum sorgen sich jedenfalls Hotelbesitzer und Touristenmanager in vielen europäischen Skigebieten. Schneesicher war gestern. Die Klimaerwärmung macht die Winter wärmer und lässt Skipisten schrumpfen, so weit, so bekannt. Dabei wird allerdings oft vergessen, dass einige Szenarios der Klimaforscher für Teile Europas nicht nur Hitzewellen und Sintfluten vorhersehen, sondern auf längere Sicht womöglich eine Abkühlung. Denn durch die Klimaveränderung könnte der Nordatlantikstrom seinen Warmwassertransport einstellen. Diese Meeresströmung verlängert den Golfstrom bis in den nördlichen Atlantik und dient West- und Nordeuropa als Heizung. Vor 13.000 Jahren ist diese Heizung zuletzt ausgefallen. Kann das wieder passieren? Und was machen wir dann? "Theoretisch ist eine Unterbrechung des Nordatlantikstroms möglich", sagt Uwe Mikolajewicz vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg. Der Ozeanograf erforscht den Verlauf der letzten Eiszeit mithilfe von Klimasimulationen, und darin spielt der Nordatlantikstrom eine zentrale Rolle. Die Strömung wird unter anderem durch die "thermohaline Zirkulation" angetrieben (thermós ist griechisch für "warm", hálos für "Salz"): Je kälter und salziger Wasser ist, desto dichter ist es. Im Polarkreis sinkt kaltes, salziges Wasser ab, strömt am Meeresboden Richtung Süden und zieht an der Oberfläche warmes Wasser aus den Subtropen nach Norden, wo es sich wiederum abkühlt. So schließt sich der Kreislauf. Doch durch das Schmelzen von Eis über Grönland und in der Polarregion können große Mengen Süßwasser in den Nordatlantikstrom eindringen, ihn verdünnen und die Zirkulation unterbrechen. Die Heizung fällt aus. Tipping-Points heißen solche Kipppunkte im Klimasystem. In The Day After Tomorrow bringt Regisseur Roland Emmerich genau dieses Schicksal über die Erde. Innerhalb weniger Wochen versinken die USA im Schneechaos. "Die Schnelligkeit und Dramatik des Films sind aber eine Karikatur", sagt Mikolajewicz. "Tatsächlich bewirkt die immense Wärmekapazität der Ozeane einen sehr langsamen Temperaturabfall. In einem Menschenleben passiert da nicht viel." Allerdings: Die Meeresregion zwischen Irland und Kanada ist praktisch das einzige Gebiet der Erde, das sich laut einer neuen Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung seit 1900 nicht erwärmt, sondern abgekühlt hat. Der Nordatlantikstrom wird schwächer. Um sich vorzustellen, wie eine neue Eiszeit ablaufen könnte, lohnt ein Blick in die Vergangenheit. Die vorerst letzte Eiszeit war die Weichsel-Kaltzeit, die vor 12.000 Jahren endete und vor 115.000 Jahren begann. Die Ursache waren sinkende Temperaturen aufgrund einer abnehmenden CO₂-Konzentration in der Atmosphäre. In Nordskandinavien bildete sich ein Eispanzer, der in einigen Zehntausend Jahren bis 50 Kilometer vor das heutige Hamburg rutschte. Von Süden schoben sich zur selben Zeit Gletscher aus den Alpen bis über den Bodensee. Dazwischen war Deutschland von einer baumlosen Steppe bedeckt. Herden von Mammuts, Bisons und Wildpferden zogen durchs Land. Der Winter dauerte neun Monate, im Sommer war es aber auch schon mal über 20 Grad warm. Tatsächlich war ein Drittel des europäischen Kontinents während der Weichsel-Kaltzeit bewohnbar, schätzen Forscher der Universität Helsinki. Nach ihren Berechnungen lebten bis zu 130.000 Menschen hier. Wie aber triumphierte der kleine, nackte Mensch, während Wollnashörner, Mammuts und Säbelzahntiger den widrigen Bedingungen erlagen? Der Ethnologe Carl Triesch vom Museum für Völkerkunde in Hamburg studiert mit seinem Team die Anpassungsfähigkeit der Polarvölker. Der Name "Eskimo", früher übersetzt als Rohfleischesser, zeugt von einem Trick, der auch dem Eiszeitmenschen das Überleben ermöglichte: Roh behalten Fleisch und Fisch fast all ihre Nährstoffe und Vitamine. "Kräuter und Beeren gab es nur im Sommer", sagt Triesch, "die meiste Zeit des Jahres lebten die Menschen von der Jagd." Als Großfamilien folgten sie den Tierherden in einem Radius von bis zu 500 Kilometern. Auf ihrem Weg trafen sie andere Clans. "Fundstücke wie Muschelschalen aus dem Mittelmeer, die bei Koblenz gefunden wurden, sind Indizien, dass die Familien Tauschhandel betrieben", sagt Michael Merkel vom Archäologischen Museum Hamburg. Und Handel sei ein Beleg dafür, dass die Gruppen miteinander kommunizierten. Mit Feuer heizten die Menschen gegen die Kälte an, mit Fellen hielten sie sich warm. Das Leben mit der Eiszeit: geht doch. Merkel und Triesch haben dieser Epoche in ihren beiden Museen eine Doppelausstellung gewidmet. Welche Folgen hätte eine neue Eiszeit für die moderne Gesellschaft? " Vegetarier hätten es zumindest schwer", sagt Triesch, das Sammeln pflanzlicher Nahrung wäre nur in den kurzen Sommermonaten möglich. Lebensmittel wären kostbar und kämen die meiste Zeit aus dem Gewächshaus. Merkel sagt: "Eine der wichtigsten Fragen wäre dann, wie wir ausreichend Energie erzeugen." Atomkraft? Wahrscheinlich müssten trotzdem zahlreiche Europäer umsiedeln, mutmaßt Triesch. Als Klimaflüchtlinge gen Süden. Wie wahrscheinlich ist solch ein Szenario? Laut den Berechnungen des Max-Planck-Instituts würde ein Anstieg der durchschnittlichen Jahrestemperatur bis 2080 um vier Grad zu einer Abschwächung des Nordatlantikstroms um ein Drittel führen. Das reicht allerdings noch lange nicht, um die Erwärmung Europas aufgrund des Klimawandels rückgängig zu machen und Berlin mit Gletschern zu bedecken. Und wenn Europas Heizung komplett versagt? Eine erneute Vergletscherung Europas ist auf Jahrhunderte hinaus sehr unwahrscheinlich, zeigt eine noch unveröffentlichte Modellrechnung amerikanischer Forscher. Der Mensch sorgt dafür, dass sich die Klimageschichte nicht wiederholt. Laut den Klimamodellen ist nämlich ein anderes Szenario viel plausibler: dass die Treibhausgas-Emissionen die nächste, natürliche Eiszeit aufhalten werden. Die wäre eigentlich in 50.000 Jahren fällig. Ist die globale Erwärmung also sogar wünschenswert, weil sie die Gletscher auf Distanz hält? Nun ja. Unter den Folgen des Klimawandels leiden die Menschen jetzt. Die nächste Eiszeit jedoch beträfe unsere Ur-ur-(hier denken Sie sich bitte 1.600-mal "ur")-Enkel.
|
Insa Schiffmann
|
Eispanzer, Gletscher, baumlose Steppen: Wenn die nächste Eiszeit kommt, wie werden die Europäer dann leben? Ein Blick in die Vergangenheit hilft.
|
[
"Klimawandel",
"Eiszeit",
"Gletscher",
"Heizung",
"Alpen",
"Berlin",
"Bodensee",
"Koblenz"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2017-01-05T14:26:42+01:00
|
2017-01-05T14:26:42+01:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2017/01/klimawandel-europa-eiszeit-nordatlantikstrom
|
Kommunikation: So gewinnen Sie jeden Streit
|
Schon was Sie in den nächsten drei Absätzen lesen werden, kann Ihre Kommunikation mit Ihrem Partner, Ihren Freunden und Ihrem Chef grundlegend verbessern. Dazu brauchen Sie jetzt eine gewisse Offenheit. Dass Sie die haben, dafür stehen die Chancen gut: Als Leserin oder Leser des ZEIT Wissen-Magazins sind Sie laut Marktforschung besonders reflektiert und auch bei heiklen Themen eher unvoreingenommen. Daher können auch wir ganz offen mit Ihnen sein. Pegida . Die "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" sind ohne Zweifel ein problematischer Verein. Aber an den Sorgen ist ja auch etwas dran. Wie an dieser, geäußert von einer 72-jährigen Pegida-Demonstrantin aus Dresden: "Für uns ist kein Geld da, nicht für Schwimmbäder, nicht für Kultur, aber Millionen werden für Asylanten lockergemacht." Keine Sorge. Platter Populismus , das sehen wir in Wirklichkeit genauso. Wir wollten nur etwas ausprobieren: die Tricks der Argumentation. Wer sie beherrscht, kann andere empfänglicher machen, sogar für offensichtlichen Quatsch. Entscheidend sind in diesem Fall drei Kniffe. Zum einen die Reziprozität, so nennen Soziologen und Rhetoriker das Prinzip der Gegenseitigkeit. In unserem Fall war es das Zugeständnis, Pegida sei problematisch. Wer seinem Gegenüber in dessen Meinung entgegenkommt, weckt in ihm die Bereitschaft, auch entgegenzukommen. Es ist ein enorm wichtiges Werkzeug, das man braucht, um Kompromisse zu schließen. Zweiter Trick: die soziale Bewährtheit (social proof). Wenn Menschen, die man schätzt, sich für etwas interessieren oder entscheiden, dann tut man das selbst auch eher. In unserem kleinen Versuch haben wir die Marktforschung erwähnt und Sie dadurch Teil einer Gruppe "unvoreingenommener" ZEIT-Wissen-Leser werden lassen, die offen sind, auch für heikle Themen. Dritter Trick: Exklusivität. "Daher können auch wir offen zu Ihnen sein." Das Ziel: ein gutes Verhältnis aufbauen. Sie sollten sich privilegiert fühlen und uns erwartungsvoll zugewandt sein. So vorbereitet kommt der Schlag. Dies ist der vierte Absatz. Wenn alles nach Plan lief, ist ein Zwischenziel unseres Versprechens erreicht: Sie haben einen ersten Eindruck bekommen, welchen oft verdeckten Einflüssen die Kommunikation ausgeliefert ist. Damit sind wir beim nächsten Rat fürs gute Argumentieren: Ein großes Ziel zu haben ist nützlich, aber die Annäherung sollte über kleine Schritte erfolgen. Dies war der erste Schritt. Okay, erst einmal keine Tricks mehr. Bleiben wir trotzdem bei Pegida. Und geben noch ein paar andere Themen dazu: AfD , Donald Trump , Hausarbeit ("Wer räumt die Spülmaschine ein?"), Stuttgart 21, Russland und Ukraine, Gehaltsverhandlungen ("Mein Gehalt ist zu niedrig!"), Flughafen Berlin-Brandenburg, Veganer gegen Fleischesser, Homöopathie gegen Schulmedizin. Fertig ist der Cocktail an Reizthemen. Ein Cocktail, der übel schmeckt, betrachtet man, wie beleidigend die Auseinandersetzungen geführt werden. Dabei ist Streiten an sich gut. Der Schweizer Evolutionsbiologe Hugo Mercier von der Université de Neuchâtel sagt sogar, der Mensch sei zum Streiten geboren. Streiten ist ein Weg, um Fehler zu korrigieren, und ein Vehikel des Fortschritts. Zuletzt konnte man allerdings den Eindruck gewinnen, dass in dieser Hinsicht einiges verloren gegangen ist. Das ist ein Problem, denn Streiten ist wichtig, für eine Demokratie ebenso wie für Beziehungen. Wenn jemand weiß, wie man richtig streitet, dann ist das Sosan Azad. Die 47-Jährige hat in den vergangenen 15 Jahren intensiv beobachten können, wie ein Streit wächst und wirkt, entsteht und vergeht. So lange arbeitet die Vorsitzende des Bundesverbands Mediation als Streitschlichterin und hat in mehr als tausend Konflikten vermittelt: in Dax-Unternehmen zwischen Vorstandsmitgliedern, in Kitas zwischen 4-Jährigen und an der Admiralbrücke in Berlin-Kreuzberg zwischen Anwohnern und Straßenmusikern. Mal ging es um Geld, mal um Religion. Mal wollte einer recht haben, mal forderte ein anderer, dass ein unbedachtes Wort zurückgenommen wird. In einigen Auseinandersetzungen reichten ein paar Minuten Mediation, in anderen zog sich die Schlichtung über Jahre hin. "Ein Streit ist wie ein Lebewesen, das immer in Bewegung ist", sagt Sosan Azad. In fast jeder Entwicklungsphase dieses Wesens gibt es eine Reihe an Möglichkeiten, Einfluss darauf zu nehmen: um die eigenen Ziele durchzusetzen, sich zu wehren oder um die wilde Kreatur zu bezwingen. Die Geburt des Streits Er: Schön haben wir heute gekocht, war lecker. Sie: Ja, fand ich auch. Bald wieder! Er: Wo gehst du hin? Räum bitte erst deinen Teller in die Spülmaschine. Sie: Mach ich nachher, ich muss erst kurz jemanden anrufen. Er: Ich will die Spülmaschine aber jetzt anmachen. Es dauert ein paar Sekunden, den Teller in die Spülmaschine zu stellen. Sie: Wenn es so schnell gemacht ist, warum machst du es dann nicht? Er: Weil ich nicht einsehe, dein Geschirr wegzuräumen. Sie: Gestern habe ich deinen Teller auch in die Spülmaschine getan ... Er: ... weil ich unsere Tochter abholen musste. Das hast du übrigens auch geschickt an mich delegiert, indem du ja angeblich für deine Freundin Johanna da sein musstest. Sie: Behauptest du damit jetzt, dass ich dich anlüge? Johanna braucht mich wirklich. Ruf sie doch an! Er: Räumst du jetzt bitte deinen Teller ein? Ich will einfach die Spülmaschine starten. Sie: So sehr kannst du es ja nicht wollen, sonst hättest du den Teller schon längst abgespült. Er: Das ist mir zu blöd. Mach du die Küche sauber, wenn du so weit bist. Ich verschwinde. Ein Streit entsteht, weil es einen Missstand gibt, den mindestens eine der Parteien erkennt. Im Idealfall ist dieser Missstand auch Gegenstand des Streits: Das Paar streitet tatsächlich wegen des Tellers. In den meisten Fällen ist die Sache allerdings komplizierter. "Der Streit ist häufig eine Art Ventil, um etwas zum Ausdruck zu bringen, das mit dem Streitthema nur entfernt zu tun hat", sagt Azad. Vielleicht fühlt er sich von ihr grundsätzlich nicht wertgeschätzt. Vielleicht meint er, dass sie ihn in ihrem Leben hin und her schiebt, wie es ihr gerade passt. An der Frage, wer die Spülmaschine einräumt, entlädt sich der Streit nur.
|
Christian Heinrich
|
Wann lohnt der Konflikt mit dem Chef? Wie diskutiere ich mit Freunden über Politik? Und versöhnen – gibt es da Tipps? Die besten Strategien, um besser zu argumentieren
|
[
"Kommunikation",
"Rhetorik",
"Psychologie",
"Konflikt",
"Beziehung",
"Aristoteles",
"Abraham Lincoln"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2017-03-02T07:18:55+01:00
|
2017-03-02T07:18:55+01:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2017/01/kommunikation-rhetorik-konflikt-streit-argumente/komplettansicht
|
Psychologie: "Die Kränkung ist wie ein eiternder Prozess"
|
Reinhard Hallers Arbeitsplatz liegt in Österreich an der Grenze zu Liechtenstein. Steile Hänge, Fachwerk, Kühe. Wer mit dem Zug anreist, landet an einem kleinen Kiosk, an dem es außer Bahntickets auch Leberkäs-Semmeln und die Nummer des Taxifahrers gibt, der einen das letzte Stück auf die Anhöhe bringt. Dort oben, im Krankenhaus Maria Ebene, beschäftigt sich Haller seit mehr als 30 Jahren mit den Abgründen des Menschen. Der Psychiater leitet die Klinik für Suchtpatienten und arbeitet außerdem als Sachverständiger für verschiedene Gerichte. Mehr als 400 Einzel- und Serienmörder hat er bisher begutachtet. Narzissmus, Niedertracht, Wahn und Kränkung sind die Themen, die ihn beschäftigen. Er sagt: "Ich finde, das ergänzt sich hervorragend, das Grausige mit der schönen Landschaft." Für das Gespräch in seinem Arbeitszimmer nimmt er Platz unter einer Heiligenschnitzerei, sie zeigt die Arztpatrone Cosmos und Damian. ZEIT Wissen: Herr Haller, wo liegt die Grenze zwischen Gut und Böse ? Reinhard Haller: Es muss im Menschen so etwas wie einen Moralinstinkt geben. Denn Delikte wie Töten, Vergewaltigen oder Rauben werden zu allen Zeiten, in allen Kulturen als verwerfliche Taten angesehen, die man verhindern und bestrafen muss. Der Mensch weiß das also instinktiv. Tatsächlich beginnt das Böse, glaube ich, an dem Punkt, an dem man den Moralinstinkt überspringt. ZEIT Wissen: Wo sitzt dieser Moralinstinkt? Haller: Es gab diesen berühmten Fall Charles Whitman. Er hatte sich in Austin, Texas, auf dem Turm der Universität verschanzt, nachdem er 28 Menschen getötet und viele weitere verletzt hatte. Zwei Polizisten erschossen ihn, und bei der Obduktion fand man in seinem Gehirn, im Bereich des sogenannten Putamen, einen haselnussgroßen Tumor. Da war man der Meinung, man wisse endlich, womit das Böse zusammenhängt. Aber so einfach war es dann doch nicht: Viele haben einen ähnlichen Hirntumor und bleiben ganz normale Menschen. Den einen Ort, an dem das Böse sitzt, hat man noch nicht gefunden. ZEIT Wissen: Wie entsteht das Böse? Haller: Es gibt zwei Theorien. Die eine besagt, dass der Mensch als universell kriminelles Wesen auf die Welt kommt. Er ist böse, und es ist die Aufgabe der Erziehung, aus dem grausamen Kind, diesem wilden Wesen, ein sozial adaptiertes zu machen. Die andere These besagt, nein, genau umgekehrt, Kinder sind unschuldig, und die Lebensentwicklung, der falsche Umgang und Drogen machen sie erst zu bösen Wesen. Ich selbst bin ein Anhänger der ersten Theorie. ZEIT Wissen: Wir tragen also das Böse alle in uns ? Haller: Ich glaube, dass jeder Mensch in sich seine Abgründe hat. Für mich ist das auch die Erklärung, weshalb sich Thriller in der Literatur und im Film so großer Beliebtheit erfreuen: Letztlich spürt der Mensch, dass er auch böse Anteile hat, die in bestimmten Situationen manifest werden können. Er kennt sie nicht, sie sind verdrängt, abgespalten, aber im Film, im Thriller, da findet er sie, da findet er ein Stück von sich. ZEIT Wissen: Was genau verstehen Sie unter dem Bösen? Haller: Für mich gehören dazu immer fehlende Empathie, Sadismus und das Herstellen und Ausnutzen eines einseitigen Machtverhältnisses, wie es im Krieg sehr ausgeprägt ist oder bei Terroranschlägen, die sich gegen Unschuldige richten. Aber das Böse an sich ist natürlich keine Kategorie für die Psychiatrie. Das ist etwas für Theologen, Juristen und Philosophen. Das Böse hat immer mit Schuld zu tun, und diesen Ausdruck mögen wir in unserem Fach nicht. Trotzdem sind wir es, die die psychisch Abnormen untersuchen, verwahren, behandeln. Die Verwaltung des Bösen ist also auch die Aufgabe der Psychiatrie. ZEIT Wissen: Kann man das Böse im Mensch ausrotten? Haller: Das Böse auszurotten, indem man Persönlichkeitszüge verändert, gelingt nicht. Aber was spannend ist, sind die Situationen, in denen es ausbricht. Denn die kann man versuchen zu verhindern. ZEIT Wissen: Welche sind das? Haller: Wenn ein Regime bestimmte Werte autorisiert, werden, wie wir wissen, auch Otto Normalverbraucher zu Verbrechern. Gruppendruck spielt ebenfalls eine enorme Rolle, vor allem bei Jugendlichen. Die Gruppe holt oft Seiten aus Menschen heraus, die sie selbst nicht kannten. Wenn ich Jugendliche untersuche, die in der U-Bahn jemanden zu Tode geprügelt haben, bin ich immer wieder erstaunt, was für verschämte, schüchterne Personen das sind. Eine weitere Situation sind Auseinandersetzungen in der Partnerschaft. Die werden maßlos unterschätzt, machen aber ungefähr zwei Drittel der Tötungsdelikte in Mitteleuropa aus. Wer also nicht Opfer eines Verbrechens werden will, muss nicht die dunkle Gasse meiden, sondern das eigene Haus. ZEIT Wissen: Können Sie das irgendwie eingrenzen? Haller: Kriminologisch gesehen ist der 18- bis 30-jährige Mann das gefährlichste Wesen. Entscheidender als Geschlecht und Alter sind für ein Verbrechen nur noch Alkohol und Drogen. Die enthemmen und steigern die Aggressivität. ZEIT Wissen: Warum sind Männer gefährlicher als Frauen?
|
Andreas Lebert
|
Er tut Gutes als Experte für das Böse. Hunderte Verbrecher hat er begutachtet. Der Psychiater Reinhard Haller über die Besonderheiten der Seele und die Kraft der Kränkung
|
[
"Psychiatrie",
"Psychologie",
"Gericht",
"Verbrechen",
"Amoklauf",
"Kriminalität"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2017-01-02T16:42:08+01:00
|
2017-01-02T16:42:08+01:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2017/01/psychologie-psychiater-gericht-gutachten-verbrecher-interview/komplettansicht
|
Schenken: Vorsicht, Geschenke!
|
Nach einem irischen Märchen lebten vor langer, langer Zeit in dem Dorf Swabedoo kleine Leute, die nichts mehr liebten, als sich gegenseitig kleine Felle zu schenken. Jeder trug einen Beutel voller Fellchen über der Schulter, und jedes Mal, wenn sie sich trafen und ein Fellchen gaben oder bekamen, freuten sie sich. Ihr Leben war sehr glücklich. Doch eines Tages kam ein großer grüner Kobold aus seiner Höhle. Er warnte die kleinen Leute, dass sie aufpassen müssten, nicht zu viele Fellchen zu verschenken, weil sie sonst bald keine mehr hätten. Die kleinen Leute begannen zu grübeln und wurden vorsichtig. Sie überlegten nun genau, wem sie ein Fellchen gaben und wem nicht, beobachteten einander argwöhnisch und wurden ängstlich. Bald gingen die Ersten gebückt, ihre Beutel schleiften am Boden, und schließlich ließen die kleinen Leute sie zu Hause. Ihr Leben war nicht mehr glücklich, einige wurden krank. Ohne dass Menschen schenken und beschenkt werden, würde eine Gesellschaft gar nicht zustande kommen. Das schrieb der Soziologe Georg Simmel 1908 in seinem Exkurs über Treue und Dankbarkeit, und nicht nur für Soziologen ist Schenken eine der stärksten sozialen Kräfte überhaupt. Schenken ist ein großes Gesellschaftsspiel, in dem sich Menschen miteinander verstricken. Jeder kann sich darin eine Rolle aussuchen: der viel und auch ohne Anlass Schenkende sein, die in letzter Minute Losrennende oder der Wunschzettelabhaker. Es gibt die Internetbesteller, Selbermacher , Geld- und Gutscheinschenker. Nur eines steht nicht zur Wahl: ob man mitspielen will oder nicht. Auch wenn manche versuchen, sich dem Ganzen durch Absprachen zu entziehen, sicher ist keiner davor, nicht doch etwas zu bekommen – und dann in irgendeiner Weise reagieren zu müssen. Schenken ist etwas tief im Menschen Verwurzeltes. Dabei ergibt es, rein ökonomisch betrachtet, gar keinen Sinn: Wir geben, ohne die Sicherheit, etwas dafür zu bekommen. Schon Darwin grübelte über das Phänomen, weil es nicht mit seiner Idee vom Leben als Konkurrenzkampf zusammenpasste. Seitdem haben sich Forscher der unterschiedlichsten Disziplinen daran abgearbeitet. Warum tut sich der Mensch so etwas an? Fest steht: Was an Weihnachten mit dem ganzen Gold und Geklimper so leicht daherkommt, ist in Wirklichkeit ein hochkomplexes Hin und Her, ein uraltes Spiel um Liebe, aber auch um Macht und Überleben. Und es steckt voller ungeschriebener Regeln. Nüchtern betrachtet bedeutet dieses Spiel vor allem zu Weihnachten für den Einzelhandel einen guten Umsatz: 280 Euro gibt eine Person in Deutschland durchschnittlich für Weihnachtsgeschenke aus, zusammen macht das gut 14 Milliarden Euro und 30 Prozent des Jahresumsatzes. Aber wer will schon nüchtern bleiben? Geschenke sind eben nicht nur Waren mit einem Preis. Weihnachten ist auch: 22 Millionen geschmückte Bäume, Adventskränze , Goldkugeln und andere Dekorationen in 70 Prozent der Haushalte, Weihrauchschwaden, Kilometer an Geschenkpapier und Schleifenband und Tonnen selbst gebackener Plätzchen. "An Weihnachten gibt es eine magische Ökonomie", sagt Elfie Miklautz, Professorin für Kultursoziologie an der Wirtschaftsuniversität Wien: "Geschenke regnen vom Himmel, dargebracht von mythischen Figuren." Die Wurzeln liegen noch in vorchristlicher Zeit, die Rauh- und Weihnächte waren Nächte des Geister- und Gespensterglaubens. Es heißt, sagt Miklautz, dass man in den Kindern die Wiedergänger von Ahnengeistern erkannte und sie stellvertretend beschenkte, um die Geister gütig zu stimmen. Weihnachten als Familienfest, besinnlich und abgeschottet von der Außenwelt, entstand erst mit der Reformation. Es sollte eine Umkehr des Alltäglichen sein: ohne Knappheit, voller Verausgabung und Hingabe, einmal im Jahr. "In einer Konsumgesellschaft , die täglich auf Verschwendung setzt, ist Weihnachten eigentlich kein stimmiges Ritual mehr", sagt Miklautz. Aber auch die, die alles haben, verweben sich in das gegenseitige Geben und Nehmen. Der Mensch schenkt zu Geburtstagen und Essenseinladungen, Taufen und bestandenen Prüfungen, zum Danken, Wiedergutmachen und manchmal auch einfach so. Viola König glaubt, dass der Antrieb dazu ein sehr alter ist, dem der Mensch nicht weniger verdankt als das Überleben seiner Art. Die Amerikanistin und Direktorin des Ethnologischen Museums Berlin beschreibt als den Ursprung des Schenkens das Verteilen von Gütern – eine frühe Art Lebensversicherung für Gemeinschaften, die von den Launen der Natur abhingen. "Wenn die Jagd oder Ernte gut war, dann gab man ab, auch über weite Distanzen. Große Mengen über längere Zeit aufzubewahren war weder möglich noch angestrebt." So spann sich ein Netz miteinander verbundener Gemeinschaften oder Familienverbände. Bei Missernten, unergiebigen Fischzügen oder ausbleibender Jagdbeute musste man sich auf Nachbarn, die mehr Glück hatten, verlassen können. "Das Geben und Teilen war ein Deal über lange Zeiträume: Früher oder später würde er sich als lebensrettend erweisen", sagt König. Regelrecht berühmt wurden die Verteilfeste der Kwakwaka’wakw, eines Volks, das im Südwesten Kanadas lebt. Mehrere Tage geht ein solcher "Potlatsch", es wird mit Masken getanzt, getrommelt und von den Gastgebern eine Flut von Geschenken verteilt: Wolldecken, Kleider, Fischöl. Manche Familien geben dabei alles, was sie haben. Der französische Ethnologe Marcel Mauss hat mit Essai sur le don (der deutsche Titel ist Die Gabe ) das wohl einflussreichste Buch über das Schenken geschrieben, nachdem er diese Feste erforscht hatte. Auch für ihn dient die Gabe dem Zweck, ein soziales Band herzustellen, das noch in schlechten Zeiten hält. Nicht zu schenken oder ein Geschenk nicht anzunehmen gleicht für Mauss einer Kriegserklärung: Man verweigert sich dem sozialen Austausch und damit der Gemeinschaft.
|
Katrin Zeug
|
Das Schenken scheint so profan. Doch es ist ein hochkomplexes Hin und Her, ein uraltes Spiel um Liebe, Macht und Überleben. Und es steckt voller ungeschriebener Regeln.
|
[
"Weihnachten",
"Konsum",
"Brauchtum"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2016-12-22T11:12:38+01:00
|
2016-12-22T11:12:38+01:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2017/01/schenken-geschenke-weihnachten-anlaesse/komplettansicht
|
Soziale Ungleichheit: Lohnt sich der Kampf für Gerechtigkeit?
|
Am 8. November erschütterte ein politisches Erdbeben die Welt: Die US-Bürger wählten Donald Trump zu ihrem nächsten Präsidenten . Einen Mann, der Hass geschürt hat, der polarisiert wie kein anderer, der Einwanderer beschimpft, Frauen verspottet. Doch seine Parolen kamen an. Warum? Einen Hinweis gab die Politikwissenschaftlerin Kathy Cramer schon eine Woche vor der Wahl in der Washington Post . Kramer berichtete von ihren Untersuchungen im ländlichen Raum des Bundesstaats Wisconsin, wo sie seit dem Jahr 2007 Gespräche mit jenen Menschen geführt hatte, die sich nichts sehnlicher wünschten als eine Abrechnung mit "denen da oben". Sie wurde Zeugin einer Verbitterung, die sich über lange Zeit aufgebaut hatte. Die Befragten beschrieben dieses Gefühl sinngemäß so: "Ich tue das, von dem man mir beigebracht hat, dass es nötig ist, um ein guter Amerikaner zu sein und voranzukommen. Aber ich erhalte dafür nicht das, was man mir versprochen hat." Die Grundstimmung bringt Kramer auf die Kurzformel : "Ich bin ein Opfer der Ungerechtigkeit, ich bekomme nicht meinen fairen Anteil." Spätestens seit dem 8. November 2016 kann man diese Frage nicht mehr ignorieren: Ist unsere Gesellschaft wirklich gerecht ? Viele Menschen, auch in Europa, antworten darauf mit Nein. Aus der Wirtschaftsstatistik lässt sich diese Verbitterung nicht herauslesen. Wisconsin zum Beispiel hat eine Arbeitslosenquote von nur vier Prozent. Weder die USA noch Deutschland sind von der Finanzkrise annähernd so gebeutelt worden wie Griechenland oder Spanien. Schaut man auf den Index für soziale Gerechtigkeit (Social Justice Index), den die Bertelsmann Stiftung berechnet, geht es in Deutschland aufwärts. Der Index bewertet sinkende Armut, Zugang zu Bildung und zum Arbeitsmarkt sowie Nichtdiskriminierung, Gesundheit und Generationengerechtigkeit auf einer Skala von 1 bis 10. Der EU-Durchschnitt liegt bei 5,6 Punkten, Schweden steht mit 7,5 Punkten an der Spitze. In Deutschland ist der Index seit 2008 um 0,5 auf 6,6 Punkte gestiegen, was zu einem achtbaren siebten Platz unter den 27 EU-Staaten führt. Doch auch hierzulande nimmt der Verdruss zu: Im letzten Sozialstaatssurvey der Bundesregierung (Befragungszeitraum 2005 bis 2008) waren drei Viertel der Bundesbürger der Meinung, die soziale Gerechtigkeit habe abgenommen. 2001 hatten dies nur 46 Prozent so gesehen. Gefragt, ob sie ihren "gerechten Anteil" erhalten, verneinten dies 2008 immerhin 44 Prozent der Bürger in Westdeutschland, 1982 waren es nur 27 Prozent gewesen. Wie kann das sein? "Die gefühlte Wirklichkeit der Bevölkerung bildet eine eigenständige Dimension der Realität", hat der Soziologe Wolfgang Glatzer einmal schön formuliert. Glatzer und andere Sozialforscher weisen allerdings seit Jahren darauf hin, dass man diese gefühlte Wirklichkeit – und damit auch die gefühlte Ungerechtigkeit – ebenso ernst nehmen muss. Seit Jahrtausenden verehren Menschen Helden, die die Reichen schmähen oder ihnen Geld abnehmen und es verteilen, wie Robin Hood . Im 20. Jahrhundert wird eine Comicfigur wie Batman zum Helden, der auf eigene Faust für Gerechtigkeit sorgt. In der Realität verhelfen die Wähler immer wieder Politikern zur Macht, die den Helden der Gerechtigkeit nacheifern: Sie wählen einen Salvador Allende 1970 in Chile – und manchmal, so widersinnig es erscheint, auch einen Donald Trump. Was ist soziale Gerechtigkeit? Was ist Gerechtigkeit? Seit 2500 Jahren versuchen sich Philosophen an Antworten. Aristoteles führte als Erster den Gedanken einer gerechten Verteilung von Ressourcen ein. Heute prägen zwei Lager die Debatte. Das eine sagt, soziale Gerechtigkeit im Sinne von Verteilungsgerechtigkeit sei eine Illusion. Die Ökonomen Milton Friedman und Friedrich August von Hayek etwa lehnten das Ansinnen, der Staat solle Gerechtigkeit herstellen, rundweg ab. Gerecht war für sie allein das, was der Markt hergibt. Wer seine Arbeitskraft oder ein Produkt verkauft, bekommt genau den Preis, den Angebot und Nachfrage erlauben. Punkt. Das zweite Lager versucht seit dem 19. Jahrhundert, Prinzipien der Gerechtigkeit zu formulieren. Die Philosophen des Utilitarismus kamen auf die Formel vom "größtmöglichen Glück für die größtmögliche Zahl" an Menschen. Wenn die Gesellschaft darauf hinarbeitet, dass es immer mehr Menschen besser geht, wenn sie also versucht, den Kuchen größer zu machen, profitieren am Ende alle davon, so die Idee. Der größer werdende Kuchen der Moderne ist das wachsende Bruttoinlandsprodukt.
|
Niels Boeing
|
Vielen Menschen geht es statistisch gesehen gut, trotzdem finden sie die Welt ungerecht und wollen mit "denen da oben" abrechnen. Wie sich dieses Gefühl ändern lässt
|
[
"Soziale Ungleichheit",
"Chancengerechtigkeit",
"Populismus",
"US-Wahl",
"John Rawls",
"Kapitalismus"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2017-02-07T11:24:57+01:00
|
2017-02-07T11:24:57+01:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2017/01/soziale-ungleichheit-ungerechtigkeit-einkommen-philosophie/komplettansicht
|
Bewusstsein: "Mein Gehirn ist tot, aber mein Geist ist lebendig"
|
Steven Laureys ist vielen Menschen an der Schwelle zum Tod begegnet, im Leben eines Komaforschers bleibt das nicht aus. Einen Patienten wie John Taylor allerdings hat er bis heute nur ein einziges Mal kennengelernt. "Steven, könntest du bitte schnell nach unten kommen", hatte Laureys’ Sekretärin am Telefon gesagt, "dieser Patient erzählt mir, er wäre tot." John Taylor, der eigentlich anders heißt, war aus England in Begleitung einer Krankenschwester angereist und wartete in der Neurologie des Universitätskrankenhauses Lüttich auf einen Arzt. Er hatte schlechte Zähne, aber sonst schien er kein ungewöhnlicher Patient zu sein. Er konnte gehen, er redete auch. Er war offensichtlich am Leben. Er sagte: "Ich bin hier, um zu beweisen, dass ich tot bin." Es gibt ein Foto von John Taylor, aufgenommen vier Jahre nach dieser Begegnung, das zeigt einen 57-Jährigen mit Bartstoppeln und zusammengekniffenen Augen, er blickt ernst in die Kamera und sieht nicht glücklich aus, aber vielleicht ist das Einbildung, jedenfalls hatte er neun Jahre zuvor versucht, sich umzubringen. Mit einem Föhn in der Badewanne. Die Sicherung war rausgesprungen, und Taylor hatte überlebt, doch von diesem Moment an war er vom Gegenteil überzeugt. Er hörte auf, sich die Zähne zu putzen. Er verbrachte Stunden und Tage auf dem Friedhof, bis die Polizei ihn wieder nach Hause brachte. Er empfand keinen Genuss mehr beim Rauchen. Er hatte keinen Appetit mehr, sein Bruder drängte ihn zu essen. Den Ärzten erklärte er, ihre Tabletten würden nichts helfen. Sie schickten ihn zu Steven Laureys, einem der bekanntesten Bewusstseinsforscher in Europa. Im Herbst 2009 standen sich die beiden gegenüber. "Ihr Herz schlägt, und Sie atmen", sagte Laureys zu Taylor, er könne gar nicht tot sein. "Mein Gehirn ist tot", antwortete Taylor, es sei damals in der Badewanne frittiert worden. Er hatte es schon Laureys’ Kollegen an der University of Exeter erklärt: "My brain is dead, but my mind is alive." Mein Gehirn ist tot, aber mein Geist ist lebendig. Taylor ließ sich nicht vom Gegenteil überzeugen. Er simulierte nicht und schien wirklich zu leiden, zugleich trug er sein vermeintliches Zombie-Schicksal mit Fassung. Steven Laureys tat das, wofür er berühmt ist. Er schickte Taylor durch den Maschinenpark der Coma Science Group, um sein Bewusstsein zu erkunden. An einem Dienstag im Dezember sitzt Steven Laureys in seinem Büro an der Universitätsklinik Lüttich und erzählt die Geschichte vom bizarrsten Patienten seiner Forscherlaufbahn. Laureys ist ein Arzt wie aus einer Fernsehserie, groß, mit welligem Haar und Dreitagebart, die Hemdsärmel aufgekrempelt, Termine im Hochfrequenztakt. Nur ein Happy End erlebt er selten. Aus ganz Europa lassen Ärzte bewusstlose Patienten nach Lüttich bringen. Eine Woche lang durchleuchten die Komaforscher deren Gehirn, immer von Dienstag bis Dienstag. Für diesen Nachmittag erwartet Laureys den nächsten. John Taylor hatte damals nicht das Bewusstsein gefehlt, aber das Selbst-Bewusstsein. Was geht im Kopf eines Menschen vor, der sich für tot hält? Es ist ein Menschheitsrätsel, das Steven Laureys umtreibt. Das Rätsel des " Ich ". Wie verbindet das Gehirn das Chaos von Sinneswahrnehmungen, Erinnerungen, Wünschen, Emotionen und Körpersignalen zu einem stabilen Selbst-Bewusstsein? Ein Mensch verändert sich im Laufe der Zeit, er wird erwachsen, verliebt sich und zerstreitet sich mit anderen, der Körper altert, und er spürt trotzdem – normalerweise – eine zeitlich und räumlich zusammenhängende Identität. Vom Früher-Ich bis zum Heute-Ich. Das Ich gehört zu einem Körper, setzt Handlungen und Gedanken in Gang und kann sogar über sich selbst nachdenken. Sokrates: "Erkenne dich selbst." René Descartes: "Ich denke, also bin ich." Friedrich Nietzsche: "Was gibt mir das Recht, von einem Ich als Gedankenursache zu reden?" Albert Camus: "Ich werde mir selbst immer fremd bleiben." So geht das seit Jahrhunderten. Jetzt neu: die Hirnforschung. Das Gehirn ist eine Dauerbaustelle, ständig entstehen neue Verbindungen, Erfahrungen werden im Gedächtnis abgespeichert, Erinnerungen verblassen. Die Einheit des Selbst scheint währenddessen erstaunlich robust. Gibt es im Gehirn einen Identitätskern, der ein Leben lang unverändert bleibt? Diese Sicht auf das Selbst wird gerne als Perlen-Perspektive bezeichnet. Der Körper ist in diesem Bild die Muschelschale, das Gehirn das Muschelfleisch, die Perle wäre der Ich-Kern. Und Steven Laureys ist dann wohl ein Perlentaucher. Neben der Espressomaschine hat er ein Foto von sich und Papst Johannes Paul II. aufgestellt. Auch mit dem Dalai Lama hat er schon diskutiert. Leben und Sterben, Körper, Geist und Seele, solche Sachen. Steven Laureys, geboren an Heiligabend 1968 im katholischen Leuven, sagt: "Ich bin Atheist." Er glaubt weder an Gott noch an Wiedergeburt. Er glaubt an die Wissenschaft, sagt aber auch: "Wir dürfen nicht arrogant sein. Niemand versteht wirklich das Bewusstsein." Sie arbeiten dran. Was würde ein Mensch über sich und die Welt herausfinden, wenn ein böser Dämon ihm die Sinne vernebelte, sodass er weder den Himmel noch die Erde, noch Gegenstände, Menschen oder irgendetwas anderes wahrnehmen könnte? Darüber spekulierte vor knapp 400 Jahren René Descartes in einem Gedankenexperiment. Müsste, wer gar nichts mehr wahrnimmt, nicht auch an der eigenen Existenz zweifeln? Nein, schrieb Descartes, der Dämon "täusche mich, soviel er kann, niemals wird er jedoch fertigbringen, dass ich nichts bin, solange ich denke, dass ich etwas sei". Ich denke, also bin ich.
|
Max Rauner
|
Menschen, die am Cotard-Syndrom leiden, halten sich für tot. Es ist die extremste aller Ich-Störungen. Sie könnte helfen, herauszufinden: Wie entsteht das Ich im Kopf?
|
[
"Bewusstsein",
"Psychologie",
"Hirnforschung"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2017-04-27T19:42:07+02:00
|
2017-04-27T19:42:07+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2017/02/bewusstsein-ich-identitaet-hirnforschung/komplettansicht
|
Chris Bangle: "Ein Autodesign ist gefrorene Zeit"
|
Ein kleiner Ort in der italienischen Provinz Cuneo, auf halbem Weg zwischen Turin und Genua. Drum herum Weinberge, in der Mitte ein Dorfplatz. Ein weißer BMW X6 braust heran, Chris Bangle sitzt am Steuer, aus den Boxen dröhnt Rockmusik. "Hi guys, welcome to Italy!" Dann geht es allradgetrieben zu seinem Anwesen: einem romantischen Ensemble aus alten Gebäuden, in dessen Garten ein überdimensionaler Pilz aus buntem Glas steht und eine runde Tischtennisplatte für fünf Spieler. Der Pool hat die Form einer waagerechten Skisprungschanze, die über den Hang mit Rebstöcken ragt. Hier lebt und arbeitet Bangle. Einen Espresso zum Aufwärmen, dann kann’s losgehen. ZEIT Wissen: Herr Bangle, im vergangenen Jahr wurden weltweit rund 70 Millionen Autos gebaut, aber abgesehen von ein paar Details sehen sie alle gleich aus. Fehlen den Designern die Ideen? Chris Bangle: Ich denke nicht, dass es an Ideen mangelt, sondern am Mut. Die Autoindustrie scheut sich, dem Kunden etwas Neues, Ungewohntes vorzusetzen. Menschen, die sich ein Auto kaufen, haben bestimmte Vorstellungen und möchten, dass die erfüllt werden. Das führt dazu, dass Autos gebaut werden, die aussehen wie die Autos davor – abgesehen von ein paar kleinen Änderungen, über die manchmal viel palavert wird, die aber kaum der Rede wert sind. ZEIT Wissen: Um auf der sicheren Seite zu sein, lassen Hersteller neue Modelle in sogenannten "car clinics" vorab von potenziellen Kunden bewerten. Ist das auch ein Grund für das Mainstream-Design? Bangle: BMW hat das, während ich dort für das Design verantwortlich war, nicht gemacht. Ich lehne diese Art von Marktforschung kategorisch ab. Denn wenn die Zustimmung einer beliebigen Gruppe von Menschen das Design künftiger Autos bestimmt, dann braucht man kein Management mehr. Für derartige Entscheidungen gibt es Designchefs und Vorstände. ZEIT Wissen: Sie gestalten auch andere Produkte wie Cognacflaschen und Handys. Was ist anders beim Design eines Autos? Bangle: Design, insbesondere Autodesign, muss immer den Charakter eines Objektes darstellen. Die Karosserie – ihre Linien, ihre Kanten, ihre Falze – ist grundsätzlich die Momentaufnahme einer Bewegung. Ein Autodesign ist gefrorene Zeit. Die Flächen müssen plausibel und in sich stimmig aussehen, so als ob die Bewegung gleich weiterginge. Man kann das dahinterstehende Prinzip an den Skulpturen großer Bildhauer studieren: Bei den Figuren ist der Faltenwurf der Kleidung so natürlich, dass es aussieht, als ob sie gleich vom Sockel herabsteigen würden. ZEIT Wissen: Gibt es aktuell ein Auto, das sich durch sein Design von der Menge abhebt? Bangle: Der Nissan Juke. Er ist geformt wie eine barocke Kirche. Ich würde sagen, dieses Auto ist das erste, dessen Design perfekt in die moderne, urbane Welt passt: In einer Reihe von parkenden Autos erkennt man den Juke auf Anhieb. Ähnlich wie hier in Italien komplett eingebaute Barockkirchen mit ihren Fassaden aus den Häuserzeilen optisch hervorspringen. ZEIT Wissen: Barocke Kirche – das klingt aber nicht so wahnsinnig urban. Bangle: In modernen Städten ist man immer nah dran an den Dingen. In Straßen voller Autos gibt es keine Sichtachsen von mehr als 20 oder 30 Metern. Ein Auto muss dort aus der Nähe wirken, und das tut der Juke. ZEIT Wissen: Ist Ihnen in letzter Zeit noch ein weiteres Auto durch sein Design aufgefallen? Bangle: Der neue Toyota Prius, der ist für mich das erste postfaktische Auto. ZEIT Wissen: Das klingt nicht gut. Bangle: Es ist nur eine Feststellung. Normalerweise arbeiten Autodesigner mit Fakten. Dazu gehören zum Beispiel große Räder, eine schwungvolle Linie und spitz zulaufende Scheinwerfer. Diese Dinge sagen: Seht her, ich bin ein sportliches Auto! Wir sind es gewohnt, ein Auto als stimmiges Gesamtbild einzelner Fakten zu sehen. Beim Toyota Prius ist das anders. Da geht es um flüchtige Emotionen. Hier ein kleiner Schwung, dort ein Zierteil, eine Blechkante, etwas Chrom. Diese Designelemente wirken wie viele kurze Twitter-Botschaften. Und wenn man einen Schritt zurücktritt und das ganze Auto betrachtet, ergeben diese Details überhaupt keinen Sinn. ZEIT Wissen: Ein Autodesign, das in die Irre führt? Bangle: So ungefähr. Diese vielen Hingucker sind an sich perfekt gemacht. Aber die kleinen Räder wirken wie lauter kleine Scherze. Als ob das Auto in einem nachfolgenden Tweet sagt: "Haha, war nur Spaß. Ich bin gar kein dynamisches Auto, ich bin nur ein harmloser Durchschnittswagen." ZEIT Wissen: Warum tun Designer so etwas? Bangle: In all den kleinen Dingen steckt ja immer auch ein bisschen Wahrheit. Und mal ehrlich, bei niemandem von uns besteht das Leben einzig und allein aus Wahrhaftigkeit. ZEIT Wissen: Sie meinen, der Toyota Prius erinnert uns an unsere eigene Widersprüchlichkeit? Bangle: Jedenfalls geht es mir nicht darum, die Toyota-Designer für ein merkwürdig aussehendes Auto zu kritisieren. Mich interessiert vielmehr die Frage, was das Design des Prius über unsere heutige Welt aussagt und über die Art, wie wir Dinge betrachten. ZEIT Wissen: Wie lautet Ihre Antwort? Bangle: Wir sind offenbar tatsächlich im postfaktischen Zeitalter angekommen. Unmittelbare Gefühle bestimmen unsere Wahrnehmung, und wir sehen immer öfter Einzelheiten anstatt das große Ganze.
|
Hanno Rauterberg
|
Der berühmte Autodesigner Chris Bangle vermisst Mut bei seinen Kollegen: "Die Autoindustrie scheut sich, Kunden etwas Neues, Ungewohntes vorzusetzen." Woran liegt das?
|
[
"Auto",
"Autodesign",
"Design"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2017-03-07T11:25:52+01:00
|
2017-03-07T11:25:52+01:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2017/02/chris-bangle-autodesigner-bmw-ferrari/komplettansicht
|
Emotionen von Tieren: Wovon träumt die Fliege?
|
Kann man mit 250.000 Gehirnzellen ein erfülltes Leben führen? Oder sogar Glück empfinden? Ein durchschnittliches Fliegengehirn verfügt in etwa über eine Viertelmillion Neuronen – wir Menschen dagegen über rund 90 Milliarden. Lässt uns dieses eklatante Missverhältnis so abfällig auf Fliegen blicken? Trauen wir deshalb den Fliegen nichts zu? Machen Sie mit mir ein kleines Gedankenexperiment: Stellen Sie sich eine Autofahrt von Hamburg nach München vor. Auf dieser Strecke knallen 20 Vögel gegen die Windschutzscheibe Ihres Autos, zerstieben in Federwolken und hinterlassen blutverschmierte Reste auf der Motorhaube. Ich könnte mir vorstellen, dass Sie nach dieser Fahrt allzu gern auf Bahn oder Flugzeug umsteigen. Zerklatschen dagegen Hunderte von Fliegen während einer Fahrt an der Autoscheibe, so ärgern Sie sich höchstens über die schmutzige Scheibe, die Sie an der nächsten Tankstelle säubern müssen. Doch denken Sie auch an die Fliegen? Sind mit den Hunderten von Leben nicht auch Hunderte individuelle Lebensträume zerplatzt? Hinter meinem Gedankenspiel verbirgt sich die Frage: Sind Fliegen gefühllose, dumme Lebewesen, die nur ihr genetisch fixiertes Programm absolvieren, um nach einer festgelegten Zeit wieder abzutreten? Oder können wir Menschen bloß kein Mitgefühl für Fliegen aufbringen, weil sie uns evolutionär so fern sind? Neue Forschungsergebnisse jedenfalls lassen vermuten, dass in den winzigen Oberstübchen mehr Licht brennt, als Autofahrern lieb sein kann. Unsere Sichtweise auf Tiere ist weder wissenschaftlich noch objektiv. Tieren Gefühle zuzugestehen, ein Bewusstsein oder gar eine Schuldfähigkeit, war zu anderen Zeiten jedoch überhaupt nicht abwegig. Der Mentalitätshistoriker Peter Dinzelbacher beschreibt in seinem Buch Das fremde Mittelalter, wie etwa Ratten vor Gericht geladen wurden, weil sie sich an den Vorräten vergriffen hatten. Die Richter warteten vergebens, doch der Verteidiger der Nager bat um mildernde Umstände. Katzen hätten den Weg verstellt, ein pünktliches Erscheinen sei somit unmöglich. Derselbe Anwalt vertrat in einem anderen Prozess des Jahres 1520 ein paar Holzwürmer. Auch Maikäfer gerieten ins Visier der mittelalterlichen Justiz: Sie hatten Felder kahl gefressen und erhielten drei Tage Zeit, sie wieder zu verlassen. Unser Denken ist bis heute durch das mechanistische Weltbild der Aufklärung geprägt. Schon der französische Philosoph René Descartes (1596 bis 1650) hatte die These formuliert, Mensch und Tier seien mechanische Automaten. Eine Seele habe jedoch nur der Mensch. Entsprechend grausam waren seine Untersuchungsmethoden an Tieren: Descartes schnitt Hunde bei lebendigem Leib auf, kappte die Herzspitze und führte einen Finger ein, um den Schlagrhythmus zu fühlen. Die Schreie der gequälten Kreaturen verglich er mit dem Quietschen ungeölter Maschinen. Das 18. und 19. Jahrhundert kannte viele solche aufklärerischen Pragmatiker: Der französische Arzt Claude Bernard (1813 bis 1878) nagelte Hunde und Katzen auf Bretter und schnippelte ähnlich ungerührt wie sein Vorbild Descartes an ihnen herum, um zu neuen Erkenntnissen zu gelangen. Er brachte seine Forschungsobjekte sogar mit ins eheliche Schlafzimmer, damit er die Tiere, die oft noch viele Stunden lebten, weiterbeobachten konnte. Seine Frau ließ sich scheiden und gründete zusammen mit ihren Töchtern ein Tierheim. Sind wir besser als Descartes und Bernard, humaner? Empfinden wir heute mehr Mitgefühl für Tiere als Rationalisten und Aufklärer? Doch wie wäre es dann zu erklären, dass beispielsweise die betäubungslose Kastration von männlichen Ferkeln noch bis Ende 2018 erlaubt ist? Setzt ihr Schmerzempfinden erst nach diesem Datum ein? Wir teilen das Tierreich in eine Art Kastensystem ein: Je näher uns eine Art entwicklungsgeschichtlich steht, desto vorsichtiger oder rücksichtsvoller gehen wir mit ihr um, zumindest dann, wenn wir das lebende Tier vor uns haben (und nicht ein anonymisiertes, eingeschweißtes Produkt im Supermarktregal). Säugetiere sind prima, Vögel noch ganz okay, Insekten dagegen überwiegend ekelhaft, sofern es sich nicht um farbenfrohe Schmetterlinge handelt. Diese Form der Wertung ist völlig normal und sogar bei Tieren nachweisbar: Empathie steigt mit dem Grad der Artverwandtschaft. Was allerdings nichts mit Wissenschaft zu tun hat; das Leben von Schmeißfliegen ist rein objektiv nicht weniger wert als das von Seeadlern oder Blauwalen. Aber wir können uns in Fliegen weniger gut hineinversetzen als in einen Delfin, oder anders gesagt: Für Tiere, die uns weniger fremd scheinen, können wir leichter Empathie entwickeln.
|
Peter Wohlleben
|
Je näher uns ein Tier evolutionär steht, desto empathischer verhalten wir uns. Zu Unrecht? Vielleicht, denn auch ein kleines Gehirn kann Glück produzieren.
|
[
"Tier",
"Bewusstsein",
"Tierschutz",
"Glück",
"Schmerz",
"Evolution",
"Emotion"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2017-03-10T08:24:06+01:00
|
2017-03-10T08:24:06+01:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2017/02/emotionen-tiere-gefuehle-evolution-empathie/komplettansicht
|
Mundhygiene: Sie sind glatt, sie sind hart, sie geben nicht nach
|
Wer wissen will, wo die Ultraschall- und die Bluetooth-Zahnbürste, die schwingende Interdentalbürste und der Xylit-Kaugummi ihren Ursprung haben, wer die Umwege auf dem Pfad der Mundhygiene sehen will, die Menschen gingen, bis sie bei den heutigen Apps ankamen, die ihnen die exakte persönliche Zahnputzdauer ermitteln – der muss sich in die Tiefen des Sächsischen Burgenlandes begeben. In Zschadraß, einem kleinen Ort auf halbem Weg zwischen Leipzig und Dresden, betreibt Andreas Haesler das Dentalhistorische Museum. Es ist eine der größten Sammlungen zur Geschichte der Zahnmedizin auf der ganzen Welt: 500 000 Exponate aus rund 2300 Jahren. Am Eingang steht eine Holzfigur im rosa Gewand und mit Heiligenschein über dem blonden Haar, sie hält in der linken Hand eine überdimensionierte Kneifzange, darin steckt ein riesiger Zahn. "Das ist die heilige Apollonia, die Schutzheilige der Zahnärzte und die Beschützerin vor Zahnschmerzen ", sagt Andreas Haesler. Apollonia steht in einem Raum mit bizarren Zahnarztstühlen und alten Zahnbohrern, ein Zimmer weiter: Zahnstocher aus Fischgräten und Hühnerknochen, Elfenbeinzahnbürsten und aufwendig verzierte Amulette, an denen Zahnstocher neben Ohrlöffel und Pinzette hängen, wie sie die alten Ägypter und Babylonier trugen. Es gibt in diesem Museum den längsten je dokumentierten Eckzahn (fünf Zentimeter) zu bestaunen, eine rote Koralle, wie sie zermahlen zum Abschmirgeln der Zähne genutzt wurde, und Flakons für Kinderurin zum Spülen des Mundes. In einer der Vitrinen des Museums steht ein in Leder gebundenes Lehrbuch zur Zahnmedizin. Die Geschichte, die das Buch und die anderen Stücke des Museums erzählen, reicht bis in die Anfänge der Menschheit zurück. Evolutionsbiologen schreiben den Zähnen eine Schlüsselrolle in der Entwicklung der Säugetiere und damit auch des Menschen zu: Vor 270 Millionen Jahren lebten auf der Erde reptilienartige Geschöpfe, die Cynodontia, deren Körpertemperatur sich der Umgebung anpasste. Als sie anfingen, mit ihren Zähnen zu kauen, konnten sie mehr Energie aus der Nahrung herausziehen. Sie nutzten diese Energie, um ihre Körpertemperatur auch unabhängig von der sie umgebenden Hitze oder Kälte stabiler zu halten – die wechselwarmen Tiere entwickelten sich zu Säugetieren. Aber die Zähne dienten nicht nur dem Kauen, bis heute nutzen Lebewesen sie auch als Werkzeug und Waffe. Der Literaturnobelpreisträger Elias Canetti beschrieb die Zähne als das "auffälligste Instrument der Macht, das der Mensch und auch sehr viele Tiere an sich tragen". Ein Zahnarzt könnte es nicht schöner formulieren: "Die Reihe, in der sie angeordnet sind, ihre leuchtende Kette, ist mit nichts anderem, was sonst zu einem Körper gehört und an ihm in Aktion gesehen wird, zu vergleichen. Das Material der Zähne ist verschieden von den übrigen augenfälligen Bestandteilen des Körpers. Sie sind glatt, sie sind hart, sie geben nicht nach." Zugleich ist der Mund eines der sensibelsten Organe. Im Gehirn beschäftigen sich so viele Nervenzellen mit der Verarbeitung von Reizen, die über Lippen, Zunge und Zahnfleisch aufgenommen werden, wie sonst beim Menschen nur für die Fingerspitzen zuständig sind. Jedes kleinste Haar, das versehentlich in den Mund gelangt, wird sofort aufgespürt. Die Zähne sind die empfindlichste Stelle unseres Körpers – und die härteste. Zahnschmelz ist härter als Knochen. Wenn der Mund Essen befühlt, schmeckt, kaut und schluckt, wirken dabei 26 fein aufeinander abgestimmte Muskelpaare zusammen. 12.000 Liter Luft strömen jeden Tag durch Mund und Nase. Der Mund ist nicht nur für den Stoffwechsel, das Essen, Trinken und Atmen da, er ist auch das sozialste unserer Organe. Wir küssen und lachen mit ihm, beißen und schreien. Er drückt Lust, Trauer und Aggression aus. Und schließlich sprechen wir mit ihm, verbal und non-verbal durch all die kleinen Regungen und Zuckungen der Mundwinkel. Erst der Mund, sagt Hartmut Böhme, mache uns zu sozialen Wesen. Böhme forscht zu Kulturtheorie und Mentalitätsgeschichte und ist emeritierter Professor der Humboldt-Universität zu Berlin. Zusammen mit mehreren Zahnärzten hat er zwei Bücher geschrieben, Das Orale und Das Dentale, die den Mund von allen Seiten der Wissenschaft betrachten. Er sagt: "Die soziokulturelle Geburt geschieht erst durch unseren Mund." Mit dem Mund erschließe sich der Säugling die Welt, "er erlutscht sie". Dabei nehme das kleine Kind, wenn es ein Objekt im Mund habe, gleichzeitig sich selbst und das körperfremde Objekt wahr – die Grundlage dafür, später zwischen sich selbst und der Welt zu unterscheiden. Die Urerfahrung eines Ich-Bewusstseins. "Durch den Mund werden wir ein zweites Mal geboren", sagt Böhme. Wer die Sammlung in Zschadraß betrachtet, sieht, dass den Menschen noch eine weitere Besonderheit des Mundes bewusst war: Er muss gepflegt werden, um gesund zu bleiben, und zwar akribischer als alles andere am Körper. Von jeher haben sie ihn gespült, geschrubbt und ausgeschabt. "Die Geschichte der Mundpflege ist so alt wie der Mensch selbst", sagt Dominik Groß, Professor für Medizingeschichte an der RWTH Aachen. Allerdings: Engagement und Ergebnis waren im Laufe der Geschichte sehr unterschiedlich – und abhängig von technischen Innovationen. Ein Vorgänger der Zahnbürste war das Stöckchen vom Zahnbürstenbaum (Salvadora persica). Man kaute so lange auf den Zweigen herum, bis man sich mit den ausgefransten Enden die Zähne scheuern konnte. Mohammed formulierte Regeln für den Gebrauch des Kauhölzchens und soll selbst ein begeisterter Nutzer gewesen sein. Auch Mundspülungen werden seit Jahrtausenden gemacht. Stuart Fischerman, der an der Hebrew University in Jerusalem Zahnmedizin lehrt, beschreibt in einer Abhandlung zur Geschichte der Mundhygiene die Praxis, bei entzündetem Zahnfleisch den Mund mit Kinderurin zu spülen. Sie soll 2700 Jahre vor Christus in China empfohlen worden sein. Auch zerstoßener Bimsstein oder Natronpulver nutzten Menschen zur Reinigung. Die erste Zahnbürste soll in China erfunden worden sein, mit Borsten vom Schwein oder aus Pferdehaar und einem Stiel aus Knochen. Aber die Haare waren zu weich, die Schweineborsten zu hart und nicht abgerundet, das Zahnfleisch litt. Erst Jahrhunderte später gelang der Durchbruch: Die erste Kunstfaser, das Nylon, wurde 1935 erfunden. Nylonborsten konnten nach Bedarf geformt und abgerundet werden. Die Zahnbürste war geboren.
|
Dr. Jakob Simmank
|
Alles wird immer schlechter – nicht unsere Zähne. Wenn wir die weiter so gut pflegen, werden sie uns bald überleben. Zahnpasta, Zahnbürste und Zahnseide sei Dank.
|
[
"Zahnmedizin",
"Gesundheit",
"Geschichte"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2017-03-14T08:26:56+01:00
|
2017-03-14T08:26:56+01:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2017/02/mundhygiene-geschichte-zaehne-zahnmedizin-zaehneputzen/komplettansicht
|
Psychologie: Zeit für eine Panikattacke
|
Draußen tobt die Welt, und hier drinnen? Ein Zimmer in einer therapeutischen Praxis in Berlin, zwei Stühle stehen sich gegenüber. Blumensträuße und eine große Pflanze sollen dem Raum die Schwere nehmen. Hier drinnen soll es um den Menschen gehen, nur um den Menschen und seine Sorgen, nicht um das lärmende Getöse draußen, nicht um die Ängste der Zeit. Geht das? Der Ort, an dem ein Terrorist vor wenigen Wochen mit seinem Lkw elf Menschen in den Tod gerissen hat, der Breitscheidplatz , liegt keine zwei Kilometer entfernt von der Berliner Praxis. Nein, das geht nicht. "In den letzten Wochen und Monaten hat sich meine Arbeit mit den Patienten stark verändert", sagt die Therapeutin. Aber anders, als man zunächst meinen könnte. Es geht nicht darum, dass sich ihre Patienten Sorgen machen würden wegen der Flüchtlingssituation ( alles dazu lesen Sie auf diesen Seiten ) oder dass sie Ängste hätten vor einem terroristischen Angriff. Diese konkrete Welt bleibt scheinbar draußen. Aber da sind die Ängste, die auf diesem Stuhl Platz nehmen, ihr gegenüber, viel mehr als sonst. "Bei vielen Leuten kommen jetzt Dinge hoch, die lange geschlummert haben. Richtige Traumata, die plötzlich ausbrechen. Manche fragen mich: Warum geht das denn jetzt los?" Es sind Ängste aus der Kindheit, ewig verdrängte Ereignisse von früher, die präsent werden. "Es scheint so zu sein", sagt die Berliner Therapeutin, "dass das allgemeine Klima der Unsicherheit , das unsere Gesellschaft gerade beschäftigt, bei Menschen sehr persönliche, eigene Ängste hervorholt, die immer da waren, aber jetzt Alarm schlagen." Ängste tauchen gerne da auf, wo man sie nicht erwartet. Sie sind nur schwer zu berechnen und zu kategorisieren. Angst ist etwas anderes als Furcht. Furcht ist konkret, man fürchtet sich vor einem wilden Tier, vor dem Scheitern in einer Prüfung, vor einer Operation. Angst ist allgemein – und wirkt oft irrational. Eine Einteilung in große und kleine Ängste bringt nichts, auch nicht in sinnlose Ängste und sinnvolle. Was soll es schon für einen Sinn machen, wenn jemand beispielsweise nicht in der Lage ist, über eine Brücke zu gehen, weil er wahnsinnig Angst davor hat, obwohl es eine ganz normale, sichere Brücke ist? Manchmal sind Ängste nicht einmal leicht zu erkennen. Matthias war 41, als er eines Nachts aufwachte und nicht wusste, was los war. Er spürte einen Druck in der Brust; als er aufstand, spürte er Schwindelgefühle. Er dachte: Ein Herzinfarkt? Ein Schlaganfall? Er rief den Notarzt. Kam ins Krankenhaus, aus dem er zwei Tage später entlassen wurde. Als körperlich gesund. Die Ärzte zuckten mit den Schultern: Ihnen fehlt nichts, auf Wiedersehen. Es war eine Krankenschwester, die ihn zur Seite nahm: Sie hatten eine Panikattacke, das kann wiederkommen, wahrscheinlich sogar. Suchen Sie sich mal einen guten Psychologen. Wie bitte, dachte Matthias: Panikattacke, ich? Matthias arbeitet bei einer großen Münchner Versicherung, ist dort so etwas wie ein Star, der Fachmann für Risikoanalysen jeder Art, er verdient knapp 200.000 Euro im Jahr und hatte ein Angebot auf dem Tisch von der Konkurrenz in den USA, der Job würde noch mehr Geld und Denver bedeuten. Privat war er auch nicht unglücklich, im Gegenteil, dachte er: Er hatte noch keine Familie, auch keine feste Beziehung, aber ausreichend Liebschaften, neulich war sogar mal ein Mann darunter gewesen, warum nicht? Im Großen und Ganzen ist doch alles in Ordnung, dachte Matthias. Also beschloss der Meister der Risikoanalyse, den einen Vorfall in der Nacht zu ignorieren. Das nächste Mal erwischte es ihn nur einige Tage später beim Einparken seines Wagens. Er hatte gerade noch mit seinem Chef telefoniert, das Gespräch war ein wenig kompliziert gewesen, aber macht nichts, kommt eben vor. In zwei Stunden sollte er nach Hause fahren zu seinen Eltern, sie lebten in derselben Stadt, und er hatte noch kein Geschenk für seinen Vater, der Geburtstag hatte. Und im Radio, das brannte sich bei ihm ein, lief gerade ein alter Beatles-Song. Yesterday. All my troubles seemed so far away. Plötzlich bekam er Probleme mit dem Atmen. Er dachte, er wird ohnmächtig, er dachte, er wird verrückt. Er stieg aus dem Wagen. Ein paar Minuten. Dann ging es wieder, er dachte, es ging wieder. Doch dann musste er anfangen zu weinen. Die Passanten schauten ihn an. Es war ihm peinlich. Er setzte sich wieder ins Auto. Und weinte weiter. Eine Stunde lang. Etwa zehn Millionen Menschen in Deutschland leiden unter Angststörungen : unter Panikattacken, generalisierten Ängsten oder diversen Phobien, die sie dazu bringen, bestimmte Situationen zu meiden oder sich schlimmstenfalls von der Umgebung völlig zurückzuziehen. Experten sind sich einig, dass es jeden treffen kann, jeder vierte Deutsche muss in seinem Leben damit rechnen. Bei dem einen kommt die Angst früher, bei dem anderen später.
|
Stephan Lebert
|
"Bei vielen kommen jetzt Dinge hoch, richtige Traumata, die ausbrechen." Etwas hat sich verändert, sagen Therapeuten. Weckt ein Klima der Unsicherheit alte Ängste in uns?
|
[
"Angst",
"Psychologie",
"Therapie",
"Emotion",
"Psychoanalyse",
"Psychiatrie"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2017-02-21T14:45:45+01:00
|
2017-02-21T14:45:45+01:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2017/02/psychologie-angst-therapie-panikattacken-terror-gesellschaft-unsicherheit-trauma/komplettansicht
|
Psychologie: Wer dreist ist, kriegt, was er will
|
Die Frage war dreist: Können wir Zutritt zu Ihrer Küche haben? Wir kommen zu sechst und brauchen ungehinderten Zugang zu allen Schränken und Schubladen. Wir wollen nämlich gern erkunden, welche Putzmittel und Lappen Sie persönlich so benutzen. Die Ergebnisse werden in einen Ratgeber einfließen. Mit diesem Anliegen traten 1966 zwei Stanford-Forscher an kalifornische Hausfrauen heran. Tatsächlich erklärten sich einige Frauen bereit, dem Inspektionstrupp Einlass zu gewähren. Je nach Versuchsgruppe waren es bis zu 53 Prozent. Die Forscher hatten die Hausfrauen zuvor nämlich in Gruppen eingeteilt, ohne deren Wissen. Die Frauen ahnten nicht, dass sie Teil eines psychologischen Experiments waren. Und dass es gar nicht um Haushaltsprodukte ging. Jonathan Freedman und Scott Fraser wollten wissen, wie man Menschen dazu bringt, anderen einen Gefallen zu tun . Sie gingen einer kuriosen These nach, die durch die Fachwelt geisterte – der "Fuß in der Tür"-Hypothese. Die besagt: Sobald man jemanden dazu gebracht hat, einem einen kleinen Gefallen zu tun, kann man im nächsten Schritt umso leichter einen größeren Gefallen einfordern. Auf diese Weise habe man mehr Erfolg, als würde man gleich um den großen Gefallen bitten. Die Hausfrauen bestätigten diese These. Einige von ihnen waren nämlich kurz zuvor bereits am Telefon kontaktiert worden. Manchen hatten die Forscher dabei bloß ihr angebliches Ratgeberprojekt vorgestellt. Andere waren dagegen schon bei diesem Anruf um einen ersten Gefallen gebeten worden: Sie sollten eine Reihe privater Fragen beantworten, zu ihrem persönlichen Seifengebrauch etwa. Drei Tage später folgte dann der zweite Anruf mit der Bitte um Einlass in die Küche. Nun könnte man annehmen, dass das Maß irgendwann voll ist und die Frauen sich dachten: Warum soll ich diese Leute in meine Küche lassen, wenn ich schon lauter Fragen am Telefon beantwortet habe? Aber das Gegenteil war der Fall. Jene Frauen, die bereits beim ersten Anruf mit Fragen behelligt worden waren, willigten beim zweiten Anruf besonders häufig zur Kücheninspektion ein. Wenn man den kleinen Finger schon gegeben hat, fällt es offenbar leichter, auch den Arm zu reichen. Diese Erkenntnis ist äußerst nützlich. Wer seinen Willen kriegen will, kann sich folglich anpirschen: "Leihst du mir kurz dein Auto, damit ich zum Supermarkt fahren kann?" – "Ja, klar." – "Cool. Könnte ich es auch bis Sonntag haben, um ans Meer zu fahren?" – "Ähh, ja, ooo-kay." Für Psychologen ist das Phänomen aber aus einem anderen Grund interessant. Die Frage ist ja, warum Menschen so manipulierbar sind. Die These der Forscher: Weil wir unserem Selbstbild gern treu bleiben, dieses Selbstbild aber gewissen Wandlungen unterliegt. Wir aktualisieren es abhängig vom eigenen Verhalten, das wir beobachten. Wer sich darauf einlässt, anderen einen Gefallen zu tun, lernt über sich: "Ich bin offenbar eine Person, die andere nicht hängen lässt." Folgt dann eine zweite Bitte, kann man sie dem anderen schlecht abschlagen. Es würde sich einfach widersprüchlich anfühlen.
|
Claudia Wüstenhagen
|
Sie tun gerne mal einen Gefallen? Passen Sie auf, wir sind leicht manipulierbar: Warum viele auch noch den Arm reichen, obwohl sie schon den kleinen Finger gegeben haben.
|
[
"Verhaltensforschung",
"Sozialverhalten",
"Psychologie"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2017-02-28T08:31:55+01:00
|
2017-02-28T08:31:55+01:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2017/02/psychologie-gefallen-tun-selbstbild-forschung
|
Psychologie: Diese Ruhe macht mich wahnsinnig!
|
Endlich Ruhe! Endlich mal nichts zu tun haben, kein Stress, keine Pflichten, ganz nach Belieben die Gedanken schweifen lassen dürfen. Und was tun die Leute? Sie verabreichen sich Stromschläge. Das musste der Sozialpsychologe Timothy Wilson von der University of Virginia beobachten, als er seinen Probanden, viel beschäftigten College-Studenten, die Handys abnahm und sie in den denkbar einfachsten und ruhigsten Versuchsaufbau setzte: auf einen Stuhl in einem leeren Raum. Die Versuchspersonen sollten einfach nur eine Viertelstunde in Ruhe sitzen – und bekamen auch noch Geld dafür. Eine angenehme Situation, möchte man meinen. Aber für sie war es eine Qual. "Wir haben gesehen, dass es die meisten Menschen nicht genießen, 'einfach nur zu denken', und es klar vorziehen, etwas anderes zu tun zu haben", resümierte Wilson. Also gab er ihnen etwas zu tun. Auf Knopfdruck konnten sie sich selbst Elektroschocks verpassen. Wilson erwartete nicht ernsthaft, dass sie diese Optionen wählen würden, doch er wurde wieder überrascht: Zwei Drittel der Männer und ein Viertel der Frauen setzten sich freiwillig unter Strom. "Offenbar war es so unangenehm, einfach für 15 Minuten mit seinen eigenen Gedanken allein zu sein, dass viele Teilnehmer den Drang verspürten, sich selbst Elektroschocks zu verabreichen", sagt Wilson. Warum fiel es ihnen so schwer, die Ruhe auszuhalten? Sehnen wir uns in einer hektischen Welt nicht genau danach? In der Tat, Menschen brauchen Ruhe. Das Gehirn hat ein physiologisch messbares Ruhebedürfnis. Aber es ist eine Kunst, Ruhe zu finden, vor sich selbst und vor den anderen – eine Kunst, die wohl nicht nur die Studenten in Virginia neu lernen müssen. "Handy aus und Tür zu" reicht offenbar nicht. Was suchen wir überhaupt, wenn wir uns nach Ruhe sehnen? Da werden vielleicht Fantasien wach von stillen Berggipfeln oder einem Palmenstrand, an den sanft die Brandung rauscht. Kein Lärm, kein Gelaber, kein Müssen, kein Sollen, einfach mal abschalten. Aber wo ist der Aus-Knopf? Solange ein Mensch am Leben ist, herrscht niemals Funkstille in seinem Gehirn, nicht einmal im tiefsten Schlaf. Mit dem Energieverbrauch einer 20-Watt-Glühbirne werkelt unser Zentralorgan unablässig dahin, von der Wiege bis zum Grab. Irgendetwas ist immer los zwischen unseren Ohren – es kommt nur drauf an, was. Neurophysiologisch gesehen seien wir in Ruhe, "wenn die Hirnsysteme, die uns vorantreiben, herunterfahren", sagt der österreichische Neuropsychologe Niels Birbaumer, der an der Universität Tübingen und am Wyss Center for Bio- and Neuroengineering in Genf forscht. Wenn also jene Systeme schweigen, "die zielstrebig nach vorne blicken, die uns suchen lassen, die uns belohnen und bestrafen". Wenn sie Ruhe geben, ist der Kopf frei von willentlicher Anspannung. Das bedeutet nicht unbedingt Leere im Kopf. Im Gegenteil, der vom Wollen befreite Kopf hat Raum für Gedankenspiele. Aber die Gedanken sind nicht mehr auf ein Ziel gerichtet. Sie weisen in keine Richtung mehr. In diesen Zustand geraten viele Menschen regelmäßig von selbst, wenn sie in ihr Nachmittagstief fallen. Morgens noch, spätestens nach dem ersten Kaffee, sind sie voller Tatendrang. Sie wollen gar keine Ruhe haben, sie wollen etwas zustande bringen. Nach einigen Stunden jedoch regelt die innere Uhr das Energieniveau herunter. Das Ruhebedürfnis mancher Menschen wird so mächtig, dass sie gar nicht anders können, als sich zu einem Nickerchen hinzulegen. Und auch jenen, die wach bleiben, fällt es schwer, sich zu konzentrieren. Die Aufmerksamkeit schweift ab. Die Gedanken beginnen zu wandern. Die Zeit der Tagträume beginnt. "Tagträume" – dieser Begriff taucht selten in den Fachzeitschriften auf. Psychologen sprechen eher von "aufgabenunabhängigem Denken" (task-unrelated thought). Man denkt ohne Zweck. Das ist der Zustand, den man Ruhe nennen kann. Man will nichts, strebt nach nichts, freut sich auf nichts, fürchtet nichts, ist von keinem Bedürfnis getrieben. Die Stressreaktionen, die mit zielgerichtetem Denken verbunden sind, klingen ab. Als Forscher in den 1970er Jahren begannen, sich näher mit diesem Zustand, den wohl jeder kennt, zu beschäftigen, benutzten sie eine simple Technik namens thought sampling. Sie statteten Probanden mit Funkempfängern aus, piepsten sie zu verschiedenen Zeiten an und fragten sie, was ihnen gerade durch den Kopf gehe. Solche Studien zeigten stets, dass Menschen sich in so gut wie allen erdenklichen Situationen mentale Auszeiten nehmen und ins Tagträumen abgleiten. Der englische Psychologe Jonathan Smallwood hat gemessen, dass wir zehn bis 20 Prozent unserer Zeit mit Tagträumerei verbringen. Meist wandert die Aufmerksamkeit von irgendeiner Beschäftigung – ein Buch lesen, eine Mail schreiben, dem Partner zuhören – in die Ferne. Der Ausdruck "tagträumen" trifft es gut: Die Vorstellungen kommen oft wie aus dem Nichts ins Bewusstsein, wie die Träume der Nacht. Psychologen wissen seit Langem, dass uns im Abstand von 90 Minuten besonders lebhafte Tagträume kommen, entsprechend dem Rhythmus des besonders traumreichen REM-Schlafs während der Nacht – und manche Forscher glauben, dass Tag- und Nachtträume nur verschiedene Schattierungen des gleichen Zustands sind.
|
Tobias Hürter
|
Handy aus, Musik aus, allein sein, durchatmen – und plötzlich sind Sie mega gestresst? Abschalten ist nicht so einfach. Hier verraten Psychologen, wie es am besten geht.
|
[
"Psychologie",
"Stress",
"Entspannung",
"Hirnforschung",
"Psyche",
"Depression",
"Bewusstsein"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2017-04-28T19:28:11+02:00
|
2017-04-28T19:28:11+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2017/02/psychologie-innere-ruhe-bewusstsein-tagtraeume-hirnforschung/komplettansicht
|
ZEIT Wissen 2/2017: Hier haben wir recherchiert
|
Lasst mich in Ruhe Warum das Gehirn Ruhe braucht, und warum es uns dennoch oft nicht leichtfällt, sie zu finden, erklärt der Neuropsychologe Niels Birbaumer in seinem gemeinsam mit dem Journalisten Jörg Zittlau verfassten Buch Denken wird überschätzt . Ruhe ist ein sozialer Zustand – wer es ganz genau wissen will, kann sich die Publikationen des Psychiaters Leonhard Schilbach vornehmen, zum Beispiel hier . Introvertierte Menschen brauchen mehr Ruhe (und andere Formen von Ruhe), schreibt die amerikanische Autorin Susan Cain in ihrem Buch Still . Cain hat auch einen sehenswerten TED-Vortrag dazu gehalten. Wie man seinen Mitmenschen schwierige Dinge auf gute Weise mitteilt – auch sein Ruhebedürfnis – kann man aus dem Buch Miteinander reden des Hamburger Psychologen Friedemann Schulz von Thun erfahren. Ich existiere nicht In diesem Artikel berichten Adam Zeman, Steven Laureys und Mitarbeiter über den Hirnscan am Cotard-Patienten. Ein Übersichtsartikel über das Cotard-Syndrom ist hier erschienen. Drei lesenswerte Bücher über das Ich-Gefühl und die Entstehung des Selbst-Bewusstseins im Gehirn: In seinem Buch Der Ego-Tunnel erklärt der Philosoph Thomas Metzinger sein Modell, wie das Bewusstsein das Ich konstruiert. Und warum er das Ich für eine Illusion hält. Hier ein Interview mit Metzinger. In The Man who wasn’t there schildert der Wissenschaftsautor Anil Ananthaswamy anhand unterschiedlicher Ich-Störungen, wie im Gehirn das Selbst-Bewusstsein entsteht. Und wie leicht dabei etwas schiefgehen kann. Im ersten Kapitel geht es um das Cotard-Syndrom. Julian Baggini hat für The Ego-Trick mit Hirnforschern, Theologen, Buddhisten und Philosophen über das Selbst-Modell des Menschen gesprochen. Warum das Cotard-Syndrom für die Philosophie interessant ist, beschreibt Thomas Metzinger in diesem Essay . Der New Scientist hat einen ehemaligen Cotard-Patienten hier interviewt. Martin Desseilles erklärt das Cotard-Syndrom in seinem neuen Buch "Manuel du Bipolaire" (ISBN: 9782212564327), Editions Eyrolles (25€). Angst Wir danken der Angst-Hilfe e.V. für die Vermittlung von Kontakten. Über die "Angst" als bestem Freund schrieb Extremkletterer Alexander Huber schon vor zwei Jahren. In ihrer aktuellen Graphic Novel "Die Leichtigkeit" berichtet Catherine Meurisse über die schockstarren Wochen und Monate nach dem Attentat bei Charlie Hebdo. Und Tanja Buburas hat ihrem Lebensretter Gonzo ein ganzes Buch gewidmet: "Ein Hund ist ein Herz auf vier Beinen." Dan Kieran sublimierte seine Flugangst, in dem er das langsame Reisen erfand: "Slow Travel" . Heute leitet er einen eigenen Verlag für unkonventionelle Bücher. Athanasia Kostist und Ulrich Schnippat engagieren sich auch weiterhin bei und für die Münchner Angstselbsthilfe . Im All wird gewürfelt Die Satellitenmission Qb50 wird auf dieser Webseite beschrieben. Die Dresdner Forschungsgruppe, die den Satelliten SOMP2 mit ins All schickt, hat ihre Webpräsenz hier . Der New Scientist beschreibt die Ignorosphäre in diesem (kostenpflichtigen) Artikel. Der Einfluss der Thermosphere auf das Wetter ist noch nicht gut erforscht. Hier eine umstrittene Theorie japanischer Forscher, die einen Zusammenhang mit der Zahl der Zyklone sehen. Die Zumutung: Gentechnik verstehen Der schwedische Pflanzenphysiologe beschreibt seine Mahlzeit, die er mit gentechnisch veränderten Pflanzen gekocht hat. In einem Fachartikel erklären Stanley Cohen und seine Kollegen, wie sie den ersten gentechnisch veränderten Organismus erschaffen: ein Bakterium. Dieser Artikel auf Statnews erklärt den Patentstreit der CRISPR/Cas-Erfinder im Detail. Die Bedeutung der CRISPR/Cas-Entdeckung für die Humanmedizin erklärt dieser Artikel in der ZEIT. Von der Entdeckung des Erbmoleküls DNA erzählt dieser Text in der Süddeutschen Zeitung. Paul Berg war 1975 einer der Biologen, die zur Konferenz in Asilomar eingeladen hatten, um über die Gefahren der Gentechnik zu diskutieren. 2008 erinnerte er sich noch einmal für das Wissenschaftsjournal Nature an diese Tage. Gene Drive, vom Laborjournal im Detail erklärt . Frau Kamel und der Teilchenbeschleuniger Der Sesame-Beschleuniger hat eine eigene Webpräsenz hier. Wie lange das Projekt schon geplant ist, zeigt dieser ZEIT-Artikel von 2001. Kurzer Rückblick in die Geschichte der Synchrotronstrahlung . Etwas mehr darüber schreibt der Wissenschaftshistoriker Helge Kragh in seinem Buch Quantum Generations . Digitale Selbstverteidigung Welche Äußerungen in Sozialen Medien und überall sonst strafbar sind, beschreibt No-Hate-Speech in diesem Beitrag . 10 Tricks für die Twitter-Suche . Übersicht der Google-Suchoperatoren . Die Seite wikibu.ch schätzt die Verlässlichkeit von Wikipediabeiträgen ein. Mit diesem Plugin für Chrome kann man Facebook durchsuchen. Bitte die Warnungen des Anbieters beachten. Research-Clinic gibt Hinweise für investigative Recherchen. Fake-News erkennen – Tipps und Tricks von Spiegel online . Tipps von Mimikama . Um Bilder im Netz aufzuspüren, nutzt man google.de/imghp , Metadaten von Fotos macht findexif.com sichtbar Beim Reporter-Forum berichten Journalisten regelmäßig über investigative Recherchen. Die Audio-Files sind empfehlenswert. Die EU-initiative euvsdisinfo.eu hat sich auf Fake News aus Russland spezialisiert. BotorNot versucht social media bots auf Twitter zu erkennen. Correctiv.org soll in Zusammenarbeit mit Facebook Fake News erkennen. Der Gründer erklärt die Initiative in diesem FAQ.
|
ZEIT ONLINE
|
Mit welchen Experten wir gesprochen, welche Internetseiten wir besucht, welche Studien wir benutzt haben, lesen Sie hier.
|
[
""
] |
zeitwissen
|
Article
|
2017-02-24T14:30:36+01:00
|
2017-02-24T14:30:36+01:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2017/02/quellen
|
Satelliten-Flotte: 36 Schuhkartons auf ihrem Weg zum Horizont
|
Wer das Ergebnis von sieben Jahren zäher Arbeit ins Weltall fliegen lässt, der muss loslassen können. Das dämmerte Tino Schmiel aus der Oberlausitz, als er auf der Besuchertribüne des Kennedy Space Center stand, vor ihm das Spaceshuttle mit zwei Millionen Litern hochexplosivem Treibstoff, im Laderaum seine Doktorarbeit. Ein Gerät von der Größe einer Müslipackung, das die Astronauten außen an der Raumstation installieren sollten. Seine Erfindung. Weil der Raumfahrtingenieur Tino Schmiel ein Mann der Zahlen ist, hatte er mal ausgerechnet, wie viel Kaffeepulver er in den zurückliegenden sieben Jahren zu Espresso gebrüht hatte. 250 Kilogramm. Auch das stand an diesem frühen Nachmittag in Florida irgendwie mit auf dem Spiel. Ein Viertel seiner Lebenszeit. Ten, nine, eight ... In diesem Moment, sagt Schmiel, ziehen alle Fehler, die man vielleicht gemacht haben könnte, am inneren Auge vorüber. ... seven, six, five ... Dir wird bewusst, dass du jetzt keine Schraube mehr nachziehen kannst. ... four, three, two ... Du hoffst, dass durch das Rütteln beim Start bitte kein elektrischer Kontakt kaputtgeht. Dass dieses Monster von Raumfähre bloß heil nach oben kommt. ... one ... Die Astronauten an Bord sind öffentliche Helden. Jeder kennt sie. Die Helden der Forschung kennt keiner. Sie stehen auf der Tribüne und gucken zu, wie ihre Experimente losfliegen. Lift-off! Tino Schmiel spürte das Vibrieren in der Brust. Er sah das Feuer unter den Raketen. Er hatte absichtlich keine Sonnenbrille mitgenommen. Es sollte wehtun im Auge. – Hat dann alles funktioniert. Die Astronauten kamen heil im Orbit an, und eine Woche später erreichten Schmiel auf der Erde die ersten Daten. Sein Instrument hatte begonnen, in 400 Kilometer Höhe Sauerstoffatome aufzuspüren. Es war ein kleiner Schritt auf dem Weg zu einem großen Ziel: die Grenze zum Weltall zu vermessen. Dort oben, wo die Atmosphäre sich im Weltraum verflüchtigt, hat die Wissenschaft ein Problem. Es geht um die Zone in 80 bis 600 Kilometer Höhe. Thermosphäre heißt sie offiziell, thermo für heiß, weil dort Temperaturen von 1.000 Grad auftreten. Inoffiziell reden Wissenschaftler von der Ignorosphäre (ignorare ist lateinisch für "nicht wissen"). Es mangelt an Daten. Und das geht nicht nur Atmosphärenforscher etwas an. Erstens bremst die Ignorosphäre Satelliten aus. In 350 bis 600 Kilometer Höhe umkreisen rund 30 Satelliten die Erde, die meisten liefern Wetter- und Umweltdaten. Beim Flug werden sie durch ihren eigenen Fahrtwind allmählich langsamer und sinken zur Erde. Das gilt auch für Weltraumschrott, also kaputte Satelliten und Raketenteile. 200 bis 400 Schrottteile treten jedes Jahr den Sturzflug zur Erde an. Die meisten verglühen, aber bis zu 100 Fragmente erreichen das Land oder das Meer. Verstünde man die Ignorosphäre besser, ließen sich die Flugbahnen besser vorhersagen. Die Bundeswehr wüsste gerne, ob ein unbekanntes Flugobjekt eine feindliche Rakete oder doch nur Schrott ist, und hat deshalb in der Nähe von Duisburg ein Weltraumlagezentrum gegründet. Die Ignorosphäre stört, zweitens, die Navigation. Wenn die Sonne besonders aktiv ist, ist in den äußeren Luftschichten die Hölle los. Dort heizen Strahlen und Partikel von der Sonne den Atomen ein. Elektronen schießen durch den Raum und stören Funksignale. Raumfahrttechniker erzählen sich wahre Gruselgeschichten vom Halloween-Sonnensturm, der am 30. Oktober 2003 die Atmosphäre erreichte. Bis nach Texas wurden Polarlichter gesichtet, in Alaska tanzten Kompassnadeln wild umher, und die Genauigkeit der GPS-Navigation war mancherorts zehnmal schlechter als sonst. Der automatische Landeanflug von Flugzeugen musste zeitweise ausgesetzt werden. Die Ignorosphäre beeinflusst, drittens, das Wetter. Wie sehr, ist umstritten. Normalerweise spielt sich das Wetter in den unteren Atmosphärenschichten bis 80 Kilometer ab, darüber ist die Luft zu dünn für Wolkenschieberei. Allerdings können Stickoxide aus hohen Schichten in tiefere Schichten gelangen und dort vorübergehend den Anteil des Ozons reduzieren, das wiederum die Erde wärmt. Der Deutsche Wetterdienst forscht nun mit neun Instituten daran, das globale Wettergeschehen nicht mehr nur bis in 80 Kilometer, sondern bis in 150 Kilometer Höhe zu simulieren. Auch dafür braucht man bessere Daten aus der Ignorosphäre. "In der Atmosphäre hängt alles miteinander zusammen", sagt Anasuya Aruliah vom University College London. "Wenn man die Thermosphäre ignoriert, ist das so, als würde man beim Menschen nicht wissen, wie die Lunge funktioniert." Manche Computersimulationen der Ignorosphäre weichen um 500 Prozent voneinander ab. Das soll sich ändern. Anasuya Aruliah und Tino Schmiel arbeiten mit Instituten aus aller Welt an einer kuriosen Mission: In den kommenden Tagen sollen 28 Zwergsatelliten zur Raumstation ISS transportiert werden, drei Wochen später weitere acht**. Cubesats heißen die Würfel, sie sind kleiner als ein Schuhkarton, mit Solarzellen umkleidet und mit Sensoren bestückt. Von der ISS werden sie Anfang nächsten Jahres nacheinander im Weltall ausgesetzt und auf einen Kamikazeflug Richtung Erde geschickt. Während sie die Ignorosphäre durchqueren, funken sie Messdaten zur Erde. QB50 heißt das Projekt. Der Sauerstoffsensor, den Tino Schmiel in seiner Doktorarbeit erfunden hat, ist bei vielen dieser Satelliten mit an Bord. Die Mission zeigt einen erstaunlichen Trend in der Raumfahrttechnik: Statt aufwendiger Großsatelliten mit zertifizierter Weltraumelektronik kommen zunehmend Wegwerfsatelliten mit Bauteilen aus dem Elektronikladen zum Einsatz. Die fallen zwar schneller mal aus, aber dafür kann man sie gleich im Dutzend ins All schicken. Sie fliegen auf Raketen quasi als blinde Passagiere mit, als Hauptlast ist meistens ein großer Satellit an Bord. Außerdem begeistern die vergleichsweise simplen Zwergsatelliten den wissenschaftlichen Nachwuchs. Fast 50 Studenten haben an dem Dresdner Cubesat mitgearbeitet. Das Baumaterial kostete weniger als 60.000 Euro, ein Schnäppchen in der Raumfahrt. Zuletzt haben sie Nachtschichten eingelegt und wieder viel Kaffee konsumiert. Schmiel leitet das Projekt am Institut für Luft- und Raumfahrttechnik in Dresden. In seinem Büro hängt an der Magnettafel eine Zeichnung seiner Tochter, sie zeigt Papa am Schreibtisch und eine Sprechblase: "Arbeit ist so anstrengend." Aber der Mann wirkt entspannt. Der Satellit steht flugbereit in Houston. In Dresden können sie sich ein wenig ausruhen, aber nicht lange. Bald rast Somp2, so heißt der Kleine, mehrmals am Tag mit 28.000 Stundenkilometern über Europa. Vom Boden aus müssen die Forscher dann die Daten abfangen, dafür bleiben pro Überflug nur fünf bis acht Minuten. Die 38 Cubesats aus aller Welt werden dann allmählich tiefer sinken und die Ignorosphäre Schicht für Schicht vermessen. "Als Sachse muss man mit dieser Formulierung vorsichtig sein", sagt Schmiel, "aber wir legen hier einen Maschendrahtzaun um die Erde." Die Cubesats für die Mission stammen von Instituten aus Russland und den USA, der Ukraine, China und Taiwan, Australien, Israel, Indien, Europa. Von den politischen Feindschaften der Staaten sei bei den Forschertreffen nichts zu spüren, sagt Schmiel. Ach, wäre die Welt doch eine Rakete. Ihn nervt nur, dass er jetzt dauernd auf Pegida angesprochen wird und dass Sachsen, wenn er morgens die Süddeutsche Zeitung aufschlägt, immer wie ein failed state dargestellt wird. Er sei kein Lokalpatriot, aber er lebe gern in Dresden und fahre jeden Montag mit dem Fahrrad an der Pegida-Demo vorbei, und da stünden meistens nur ein paar Hanseln. "Es gibt hier Fremdenfeindlichkeit auf niedrigem Niveau wie in jeder Großstadt", sagt Schmiel. "An der Universität studieren Menschen aller Couleur, und das kleine Problem Pegida spielt im Alltag keine Rolle." Immerhin fragen ihn die Kollegen auf Konferenzen jetzt nicht mehr nach der großen Flut. Innerhalb von zwei Jahren werden die Zwergsatelliten absinken bis auf 200 Kilometer. Anasuya Aruliah träumt schon davon, alle paar Monate einen neuen Schwarm ins All zu schicken. So wie Wetterballons ständig neue Daten für die Vorhersage liefern, könnte man Ignorosphärensimulationen laufend an die Wirklichkeit anpassen. Unterhalb von 200 Kilometern allerdings wird der Gegenwind so groß, dass die Cubesats abstürzen und verglühen. Würfelschnuppen. *Anm. der Red.: Im ZEIT Wissen Magazin war von 38 Satelliten die Rede, dies war der Stand bei Redaktionsschluss. Wir haben die Zahlen aktualisiert. Aktuelle Informationen unter qb50.eu **Anm. der Red.: Als der Text in Druck ging, hieß es, am 16. März starten 30 Satelliten. Mittlerweile ist der Start mehrmals verschoben worden und das Projekt hat bekannt gegeben, dass beim ersten Start nur 28 Satelliten zur ISS transportiert werden. Wir haben den Text entsprechend online angepasst.
|
Max Rauner
|
Ein Schwarm aus Einwegsatelliten: Dieser Tage wird die Cubesat-Flotte ins All geschossen. Die Miniwürfel sollen eine bisher kaum erforschte Atmosphärenschicht erkunden.
|
[
"Astronomie",
"Raumfahrt",
"Satelliten",
"Weltall",
"Ingenieure",
"Nasa"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2017-03-29T08:37:16+02:00
|
2017-03-29T08:37:16+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2017/02/satelliten-cubesats-thermosphaere-atmosphaerenschicht-weltall-wissenschaft-astronomie-raumfahrt
|
Technologie: Das Paradox des elektrischen Korkenziehers
|
Der Mensch sei ein Mängelwesen, schrieb der Philosoph Arnold Gehlen 1940. Daraus wurde ein Fortschrittsmythos: Weil seine in der Evolution entwickelten Organe zu schwach sind, versucht er diesen Mangel mittels Technik auszugleichen, um Probleme zu lösen. Dumm nur: Zahlreiche Probleme, denen der Mensch sich gegenübersieht, hat er sich selbst eingebrockt. Also setzt er seine technische Fantasie in Bewegung, um ein Ding zu erfinden, das es besser kann als er. Und immer nagt der Zweifel weiter: Ist das schon gut genug, oder kann man das noch besser machen? Zum Beispiel: Der Korkenzieher Das Problem Winzer beginnen im 17. Jahrhundert, ihre Weinflaschen mit einem Korken fest abzudichten, um sie während der Gärung liegend aufstapeln zu können. Anders als herkömmliche Korkverschlüsse, wie sie heute noch etwa bei Whiskyflaschen genutzt werden, lassen sich die Korken nicht mehr per Hand abdrehen. Zuerst behalfen sich die Leute mit einem steel worm, einer Metallspindel, mit der man Gewehrläufe reinigt. Doch die ist unhandlich. Samuel Henshall, ein Pfarrer, lässt schließlich 1795 den ersten "richtigen" Korkenzieher patentieren: einen Holzgriff mit einer Spindel daran, die in den Korken hineingedreht wird. Ist das schon gut genug? Kommt darauf an, wie kräftig derjenige ist, der den Korken herausziehen soll. Die Gleitreibung des Korkens im Flaschenhals ist so stark, dass dies eine mühsame Operation ist: Flasche zwischen die Beine oder Füße klemmen und dann mit Kraft nach oben ziehen. Das kann es noch nicht sein, denkt sich Edward Thomason 1802. Er konstruiert ein Gerät, das aus zwei ineinander verschachtelten Gewinden besteht. Der Vorteil: Hat man die Spindel in den Korken gedreht, braucht man nur weiter im Uhrzeigersinn zu drehen, und die Drehbewegung zieht über das äußere Gewinde den Korken aus der Flasche. Das funktioniert, weil Thomason eine äußere Halterung in Form eines Rings dazugebaut hat, der auf dem Flaschenhals sitzt. Der Ring übernimmt also die Aufgabe der Beine oder Füße. Viel bequemer! 1832 wird der fleißige Erfinder zum Ritter geschlagen. Ist es jetzt gut genug? Für Karl Wienke nicht. Es gibt Menschen, die auch im Handgelenk nicht so viel Kraft haben. Die Drehbewegung strengt sie an. Wienke erfindet deshalb 1882 den "Waiter’s Friend", den heute klassischen Kellner-Korkenzieher. Heraus kommt der Korken nun nicht mittels Drehen, sondern über einen Hebel, der sich auf dem Flaschenhals abstützt. Das geht nicht nur mit weniger Kraftaufwand, sondern auch schneller – für Kellner im hektischen Restaurantbetrieb ein echter Gewinn. Interessant ist Wienkes Erfindung, weil sie dem Korkenzieher eine "einfache Maschine" hinzufügt: den Hebel. Einfache Maschinen sind das Fundament technischer Apparate. Heron von Alexandria systematisierte sie erstmals vor 2.000 Jahren. Der Keil als schiefe Ebene und der Hebel vermindern den Kraftaufwand einer Tätigkeit, das Rad setzt eine Drehbewegung in eine gerade Bewegung um, die Rolle mit Seil wiederum lenkt eine Kraft um. Neville Heeley verbesserte Wienkes Ansatz, indem er zwei Hebel nutzte, die über ein Zahnrad in ein Gewinde greifen – dieser zweiflügelige Korkenzieher ist auch heute noch verbreitet. Und nun? Endlich fertig? Der amerikanische Ingenieur Herbert Allen fügte dem mechanischen Korkenzieher noch zwei Erfindungen hinzu: Der "Screwpull" von 1979 verbesserte Edward Thomasons simples Modell von 1802, und der "Selbstzieher" von 1981 verbesserte die Hebel-Korkenzieher. Es bleibt aber dabei: Die nötige Kraft muss der Mensch aufbringen. Muss er das wirklich? Zwei neue Erfindungen machen damit Schluss. Sie verkörpern das Versprechen des modernen technischen Zeitalters, in dem rein mechanische Geräte als altmodisch gelten. Philips bringt in den achtziger Jahren einen elektrischen Korkenzieher auf den Markt. Nun genügt ein Tastendruck, um die Spindel mithilfe eines Elektromotors zu drehen. Wieder ein neues Küchengerät im Schrank. Das Coravin-Patent von 2010 nutzt die Thermodynamik von Gasen: Eine hohle Nadel bohrt sich durch den Kork in die Flasche, Gas strömt hindurch und erhöht den Luftdruck oberhalb der Flüssigkeit, bis der Korken langsam herausgedrückt wird. Das ist der Punkt, an dem Lucius Burckhardt lächeln würde. Der 2004 verstorbene Schweizer Designtheoretiker mokierte sich über das Phänomen der "Kontraproduktivität" zeitgenössischen Designs: Irgendwann erreicht die Technik eine Stufe, auf der ein Apparat dem Mängelwesen Mensch nur noch minimalen persönlichen Aufwand abverlangt – dafür den Apparat aber in ein größeres System einbettet, das einen Aufwand anderer Art nach sich zieht. Der Elektrokorkenzieher braucht Strom, der Coravin eine Gaskartusche. Ohne diese Zusätze sind beide Geräte nicht mehr zu gebrauchen. Burckhardt hatte dazu eine klare Meinung: "Wir sollten diejenigen Objekte meiden, die uns dazu zwingen, weitere Zusatzgeräte zu kaufen."
|
Niels Boeing
|
Ohne Werkzeuge wäre der Mensch aufgeschmissen. Nur wirft jede neue Erfindung neue Probleme auf, die technisch gelöst werden wollen. Nur, wo führt das am Ende hin?
|
[
"Technik",
"Erfindung",
"Patent",
"Innovation",
"Naturwissenschaft",
"Design"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2017-03-28T11:09:44+02:00
|
2017-03-28T11:09:44+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2017/02/technologie-korkenzieher-erfindungen-patente-innovation
|
Wissenschaft im Nahen Osten: Forschung beflügeln, Gegner befrieden
|
Die Frau mit dem Kopftuch hat in ihrem Leben zwei Männer zurücklassen müssen, die nicht mit ihr gehen wollten. Dafür ist sie jetzt von 30 Männern umgeben, die schon mal über sie lachen. Wenn Gihan Kamel auf der Baustelle den Schutzhelm auf ihr Kopftuch setzt und über Kisten klettert, fühlt sie sich manchmal wie ein seltenes Tier im Zoo. Die Männer, die dann grinsen, werden erst einmal an ihrer Seite bleiben. Und Gihan Kamel wäre nicht da, wo sie heute ist, wenn sie in diesem Moment nicht mitlachen könnte. Die Logik der Physikerin funktioniert so: Lachen die Männer, klettert sie höher. Geben sie ihr absichtlich schwere Kisten zum Tragen, stemmt sie abends im Fitnessstudio noch schwerere Gewichte. Nehmen ihre Kollegen sie als Wissenschaftlerin nicht ernst, arbeitet sie eben doppelt so hart. Kamel bedeutet im Arabischen perfekt. Die Ägypterin hat ihre Formel gefunden, um als einziger weiblicher Wissenschaftler in einem Labor voller Männer nicht unterzugehen. Den Rest braucht nicht nur sie, sondern brauchen alle, die an dem gewagten Experiment mitarbeiten: einen starken Willen und vor allem eine Vision. Im Ort Allan, 35 Kilometer entfernt von der jordanischen Hauptstadt Amman, entsteht in einem Gebäude, das wie ein römischer Tempel anmutet, eine neue Lichtquelle. Es ist die Erste ihrer Art im Nahen Osten. Sie trägt den Namen Synchrotron Light for Experimental Science and Applications in the Middle East, kurz Sesame. Es handelt sich um einen Teilchenbeschleuniger, der Elektronen mithilfe von Magneten und elektrischen Feldern im Kreis flitzen lässt, bis sie fast so schnell sind wie Licht. Die elektromagnetische Strahlung, die sie dabei aussenden, nennen Wissenschaftler Synchrotronstrahlung. Dreizehn Jahre dauerte der Bau, Anfang Januar begann die Testphase, im Sommer starten die Experimente. Weltweit gibt es mehr als 60 Forschungsanlagen dieser Art. Das Besondere an Sesame ist aber nicht nur der Standort im Nahen Osten. Es sind vor allem die Wissenschaftler, die hellhörig werden lassen. Im Tempel-Labor sollen sich Israelis und Iraner, Türken und Zyprioten, Pakistaner, Palästinenser und Ägypter treffen und gemeinsam forschen. Sie sollen in den Pausen zusammen essen, bei einem Kaffee plaudern und sich im Gästehaus begegnen. Unabhängig von Herkunft, Religion und der einander oft feindlich gesinnten Politik ihrer Heimatländer will Sesame ein internationales Labor für Wissensaustausch sein – und ist damit nicht weniger als eines der größten Experimente für den Frieden in der Region. Gihan Kamel (ausgesprochen: Kamell) sitzt an ihrem Schreibtisch im ersten Geschoss oberhalb der Rotunde, durch die sich der Beschleuniger schraubt. An der Wand über ihr hängen Bilder und ein Schild mit zwei Pfeilen. "Men to the left because women are always right", steht darauf geschrieben. Kamel trägt das dazu passende Lächeln im Gesicht, selbstbewusst; ein Hemd, grün-weiß kariert; Nagellack, schwarz. Das blau-weiß geblümte Kopftuch hat sie unter dem Kinn zusammengewurschtelt, oben spitzt der dunkle Haaransatz heraus. Warum trägt sie es? "Ich will das Vorurteil brechen, dass Frauen mit Kopftuch immer unterdrückt sind und sich nur um Haushalt und Kinder kümmern", sagt sie. "Eine Frau mit Kopftuch kann eine erfolgreiche Wissenschaftlerin und religiös sein." Gihan Kamel, so viel ist klar, kämpft an mehreren Fronten. Auf dem Tisch spiegelt ihre Sonnenbrille das Herbstlicht in den blauen Gläsern. Daneben liegt ein Buch von Orhan Pamuk. Diese Fremdheit in mir, ein Roman über Zerrissenheit und die Suche nach innerer Heimat. Gihan Kamel sieht jünger aus als die 40 Jahre, die sie alt ist. In der Hand hält die Physikerin einen kurzen Bleistift. Wenn sie erklärt, warum sie an das Friedenslabor glaubt, klopft sie damit vehement auf das Blatt Papier vor ihr auf dem Tisch. Anfangs habe sie schon Zweifel gehabt. "Ich habe mich gefragt, ob ich, eine stolze Ägypterin, zu einer neutralen Person werden kann", sagt sie. "Kann ich meine Augen vor der Welt verschließen und einfach nur meine Experimente machen?" Wochenlang habe sie mit sich gerungen. Ägypten hat mit Israel zwar einen Friedensvertrag und erkennt den Staat, anders als der Iran oder Pakistan, auch an, aber der Freiheitskampf der Palästinenser ist für viele die Sache aller Araber. Nach ein paar Wochen weiß sie die Antwort. Ihre tägliche Arbeit funktioniert seitdem nach einem Dreisatz: "Ich lese keine Zeitung, ich schaue keine Nachrichten, ich spreche nicht über Politik", sagt sie und tippt mit dem Stift dicke Bleistiftpunkte auf das Blatt. Drei Jahre lang repräsentierte Gihan Kamel Ägypten im Mitgliederkomitee von Sesame. Sie beobachtete, wie sich Palästinenser und Israelis auf Konferenzen nebeneinandersetzten, wie iranische Forscher in der Kaffeepause mit israelischen Kollegen redeten. 2015 zieht sie nach Jordanien und tritt ihre Stelle als verantwortliche Physikerin für die Infrarotstrahlung an. Sie wird schnell zur vehementesten Verteidigerin dieser "verrückten Idee" namens Sesame, ihrer Vision vom Frieden.
|
Eva Lindner
|
"Sesame" ist eines der größten Experimente für Frieden im Nahen Osten. Hier forschen Israelis, Iraner, Türken und Ägypter gemeinsam. Mittendrin: Physikerin Gihan Kamel.
|
[
"Teilchenphysik",
"Physik",
"Teilchenbeschleuniger",
"Jordanien",
"Wissenschaft"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2017-03-22T11:34:29+01:00
|
2017-03-22T11:34:29+01:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2017/02/wissenschaft-naher-osten-jordanien-frauen-physik-teilchenbeschleuniger/komplettansicht
|
"Pfade der Erkenntnis": Die ZEIT WISSEN-Wanderungen
|
Wie wir wurden, was wir sind: Wer in Deutschland wandert, setzt seinen Fuß auf einen Boden voller verborgener Geschichten. Geschichten von Mammutjägern und Neandertalern, von Vulkanen und urzeitlichen Meeren, von wachsenden Städten und schroffen Industrielandschaften. In der dreiteiligen Serie Pfade der Erkenntnis verbindet ZEIT WISSEN diese Geschichten mit exklusiven Wanderungen. Die Erkenntnisse zu diesen Wanderungen erfahren Sie in den ZEIT Wissen-Ausgaben zwischen Juni und Oktober 2017. Die GPS-Tracks finden Sie unter https://www.komoot.de/collection/340/zeit-wissen-wanderungen (Teil 1), https://www.komoot.de/collection/357/wie-das-land-entstand (Teil 2) und https://www.komoot.de/collection/400/zeit-wissen-wanderungen (Teil 3) oder hier: Teil 1: Wie der Mensch ins Land kam (ZEIT WISSEN-Ausgabe Mai/Juni) 1. Eiszeitjäger in der Schwäbischen Alb Etappe 1: Das Lohnetal Etappe 2: Das Achtal 2. Wandernde Völker am Rhein Etappe 1: Speyer-Oggersheim Etappe 2: Oggersheim-Worms Etappe 3: Worms-Mettenheim Etappe 4: Mettenheim-Oppenheim Etappe 5: Oppenheim-Bodenheim Etappe 6: Bodenheim-Mainz 3. Das große Rätsel im Neandertal Die Wanderung durchs Neandertal Teil 2: Wie das Land entstand (ZEIT WISSEN-Ausgabe Juli/August) 1. Vom Urknall zu den Vulkanen Etappe 1: Rund um Gerolstein Etappe 2: Von Daun nach Manderscheid Etappe 3: Rund um Manderscheid 2. Wo Afrika und Europa sich küssen Etappe 1: Von Bergen im Chiemgau zum Hochfelln-Gipfel 3. Als das Meer das Land erschuf Etappe 1: Von Maasbüll nach Dagebüll Etappe 2: Von Dagebüll nach Langeneß Etappe 3: Am Strand von Amrum Teil 3: Was der Mensch daraus gemacht hat (ZEIT WISSEN-Ausgabe September/Oktober) 1. Wo Alster und Elbe zusammenfließen. Eine Wanderung zu den Geldquellen Hamburgs 2. Wo Maschinen zu Architekten der Wildnis werden. Eine Wanderung durch die Lausitz 3. Wo Gedanken und Gefühle weite Strecken gehen müssen. Eine Wanderung von Weimar nach Buchenwald Etappe 1: Wanderung Ettersberg Etappe 2: Rundgang Weimarer Klassik Etappe 3: Architektur-Rundgang
|
ZEIT Wissen
|
ZEIT WISSEN hat gemeinsam mit Wissenschaftlern neun Wanderungen in Deutschland entwickelt, die garantiert klüger machen. Hier finden Sie die GPS-Tracks.
|
[
"Deutschland",
"Schwäbische Alb",
"Neandertal",
"Manderscheid",
"ZEIT",
"Etappe",
"Pfad",
"Wanderung",
"Wandern"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2017-04-24T14:09:18+02:00
|
2017-04-24T14:09:18+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2017/03/erkenntnispfade
|
Frido und Christine Mann: Dieses Ehepaar tritt an, unsere Weltsicht zu verändern
|
D ie beiden haben ein geradezu ungeheuerlich optimistisches Buch geschrieben: Frido Mann, 76 Jahre alt, und Christine Mann, geborene Heisenberg, 72 Jahre alt. Er entstammt der Familie des Literaturnobelpreisträgers Thomas Mann. Thomas Mann war sein Großvater, Klaus und Golo Mann waren seine Onkel. Sein Vater war Michael, der jüngste der Mann-Söhne. Sie entstammt der Familie des Physiknobelpreisträgers Werner Heisenberg, sie war seine zweitjüngste Tochter. Viel mehr Bedeutung im deutschen Stammbaum geht nicht. Das Buch heißt "Es werde Licht", und es will die Quantenphysik, mitbegründet von Vater Heisenberg, ins Zentrum einer neuen Gesellschaftsphilosophie rücken. ZEIT Wissen: Wie haben Sie sich kennengelernt? Frido Mann: Beim Studium in München, wir haben Theologie studiert. Und da wir beide an der Schule kein Griechisch hatten, mussten wir das nachholen. Morgens um acht, total verschlafen, zweimal die Woche, im Griechischkurs. Als ich den Namen Heisenberg hörte, dachte ich: Interessant. ZEIT Wissen: Und Sie, Frau Mann? Christine Mann: Ich dachte: Aha, ein Schriftsteller als Großvater. Das war so gar nicht meins. Ich kam ja aus der Naturwissenschaft. Nein, der Name Mann klang für mich erst mal eher negativ. (beide lachen) studierte Musik, Theologie und Psychologie und arbeitete als klinischer Psychologe in Leipzig und Prag. Heute lebt er als freier Schriftsteller in München. Sein Großvater war Thomas Mann studierte Theologie, Pädagogik und Psychologie und leitete viele Jahre lang eine schulpsychologische Praxis. Sie ist die zweitjüngste Tochter des Physikers Werner Heisenberg ZEIT Wissen: Man weiß es ja, wenn zwei Menschen ein Liebespaar werden, heiraten sie auf eine gewisse Weise immer die Familie des anderen mit. Puh, denkt man da bei Ihnen ... Christine Mann: Es gab wegen dieser extremen Familien von Anfang an Spannungen, ganz klar. Zum einen: politisch. Die Manns waren im Exil, galten daher nach 1945 als politisch unbelastet. Mein Vater war nicht im Exil, war in Positionen, in denen er sich mit den nationalsozialistischen Machthabern einlassen musste. Er wollte trotzdem nichts mit den Nazis zu tun haben, aber er hat sicher Kompromisse gemacht. ZEIT Wissen: Werner Heisenberg war zwischen 1942 und 1945 federführend am Uranprojekt der Nazis beteiligt. 1946 wurde er von den Engländern zum Direktor des Max-Planck-Instituts für Physik in Göttingen ernannt. Das alles ist nicht unser Thema. Frido Mann: Eine andere Spannung war von Anfang an: Die einen sind Künstler, die anderen sind Wissenschaftler, Christine hat schon davon gesprochen. Christine Mann: Da gibt es schon Unterschiede. Schauen Sie, mein Vater sagte immer: Die Wahrheit setzt sich schließlich von alleine durch. Und das stimmt irgendwie ja auch in der Wissenschaft. Und in der Literatur? Da gibt es das ja nicht: Wahrheit. Da müssen alle kämpfen, damit sie wahrgenommen werden. Eigenwerbung ist gefragt. Frido Mann: Einstein hat gesagt, alle Religionen, Künste und Wissenschaften sind Zweige desselben Baumes . Dein Vater trug sich mit dem Gedanken, Musiker zu werden, er spielte sehr gut Klavier, bevor er dann doch Physiker wurde. ZEIT Wissen: Herr Mann, wissen Sie noch, wann Sie Werner Heisenberg zum ersten Mal begegnet sind? Frido Mann: Ja, das weiß ich noch sehr genau. Im Jahr 1965, es war im März, ich war zum ersten Mal im Hause Heisenberg. Er kam aus Berlin, aus der geteilten Stadt, er hatte da zu tun. Mein erster Eindruck: ein Mann, der in seinem Wesen sehr leicht wirkte, ausgeglichen, ein freundlicher Mann. Ich kann es nicht anders sagen: so leicht und rund, wie ein Ball. Unser Sohn hat von dieser Leichtigkeit ein bisschen was abbekommen, der wirkt auch so.
|
Stephan Lebert
|
Frido und Christine Mann wollen Geist und Materie mithilfe der Quantentheorie vereinen. Bitte? Als Thomas Manns Enkel und Tochter von Werner Heisenberg dürfen sie das.
|
[
"Naturwissenschaft",
"Quantenphysik",
"Werner Heisenberg",
"Thomas Mann",
"Philosophie"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2017-06-27T08:46:20+02:00
|
2017-06-27T08:46:20+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2017/03/frido-mann-christine-mann-quantentheorie-philosophen-familie-werner-heisenberg/komplettansicht
|
ZEIT Wissen 3/2017: Hier haben wir recherchiert
|
Titel: So kommen Sie weiter! Wunderbare Darstellung der Biomechanik menschlicher und tierischer Fortbewegung: R. McNeill Alexander, Principles of Animal Locomotion, Princeton University Press, 2002. Welche Rolle hat das Gehen in verschiedenen Zeiten gespielt? Schön erzählt in: Johann-Günther König, Zu Fuß – eine Geschichte des Gehens, Reclam, 2013. Ein spannender kurzer Film des britischen National Physical Laboratory über die Biometrie des menschlichen Gangs ist hier auf Youtube zu finden. ZEIT Wissen-Serie "Pfade der Erkenntnis" Die GPS-Tracks der Wanderungen sowie weiterführende Links finden Sie unter www.komoot.de/user/zeitwissen Wanderung: Eiszeitjäger in der Schwäbischen Alb Wer mehr wissen möchte über das Leben der Eiszeit-Menschen in der schwäbischen Alb und über die einzelnen Fundorte und Kunstwerke, kann sich hier kostenlos eine Info-Broschüre herunterladen. Sie ist - im Zuge des Welterbeantrages - herausgegeben vom Landesamt für Denkmalpflege des Landes Baden-Würtemberg. Eine sehr gute Übersicht über die Funde und Höhlen bietet außerdem das Buch "Eiszeitachäologie auf der Schwäbischen Alb" , erstellt von Archäologen der Universität Tübingen und erschienen im Kerns Verlag. Frau Merkel, sind die echt? Diamondfoundry stellt Diamanten in den USA mithilfe von Chemical Vapour Deposition her und wird von Leonardo Di Caprio unterstützt. Das deutsche Unternehmen coat6.de wird nicht an Endkunden verkaufen, die Webseite ist im Aufbau. Die sieben größten Betreiber von Diamantenminen haben eine PR-Offensive gestartet , um Werbung für Diamanten aus Diamantminen zu machen. Informationen über den Kartellrechtsstreit zwischen EU und De Beers sind hier zu finden. Einige Fakten über den Diamantenhandel in Antwerpen hat die Interessenvereinigung AWDC zusammengestellt. Am Fraunhofer Institut IAF wird künstlich hergestellter Diamant für den Quantenelektronik erforscht. Zwei NGOs, die den Kimberley-Prozess kritisch begleiten, sind Global Witness und IPIS Research . Edward Epstein hat eine Geschichte des Diamantengeschäfts geschrieben. Spannend wie ein Krimi, aber nicht ganz aktuell. Die Zumutung: Immunonkologie Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg hat für Patienten seriöse und gut verständliche Informationen über den Zusammenhang zwischen Immunsystem und Krebs zusammengestellt. Auf diesem Informationsblatt findet man die wichtigsten Punkte zur Immuntherapie kurz zusammengefasst. Der Molekularbiologe Robert A. Weinberg formulierte mit seinem Kollegen Douglas Hanahan auf einer Vulkanwanderung die berühmten "six hallmarks of cancer". In seinem Lehrbuch "The Biology of Cancer" erklärt er die molekularen Grundlagen von Krebserkrankungen (englisch, ISBN: 9780815342205, 2. Ausgabe, 2013, 960 Seiten, Garland Science). Krebs ist eine furchtbare Krankheit, aber auch eine faszinierende. Niemand hat das besser beschrieben als Siddharta Mukherjee in seinem Buch "Der König aller Krankheiten". Im Jahr 2011 bekam er dafür den Pulitzer-Preis für das beste Sachbuch (deutsch, ISBN: 9783832186227, 1. Ausgabe, 2012, 670 Seiten, Dumont). Quantenphilosophie Die ersten Quantenphysiker haben sich noch ausführlich mit der philosophischen Deutung ihrer Theorie befasst. Zum Beispiel Werner Heisenberg in Physik und Philosophie . Für fortgeschrittene Leser empfiehlt sich das Fachbuch "Die Philosophie der Quantenphysik". Der Philosoph Holger Lyre von der Universität Magdeburg hat sich in mehreren Arbeiten mit der Philosophie von Weizsäckers und den Interpretationen der Quantenphysik beschäftigt. Weitere Aufsätze zu aktuellen Diskussion um die Interpretation der Quantenphysik finden sich bei Dieter Zeh von der Universität Heidelberg . Eine unter Esoterikern beliebte Auffassung der Quantenphysik vertritt Rupert Sheldrake, den ZEIT Wissen hier portraitiert hat.
|
ZEIT Wissen
|
Mit welchen Experten wir gesprochen, welche Internetseiten wir besucht, welche Studien wir benutzt haben, lesen Sie hier.
|
[
""
] |
zeitwissen
|
Article
|
2017-04-24T14:09:21+02:00
|
2017-04-24T14:09:21+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2017/03/quellen
|
ZEIT Wissen 4/2017: Hier haben wir recherchiert
|
Am Anfang drei Fragen: Ist Aussehen ansteckend? Die Psychologen Michael Roy und Nicholas Christenfeld von der University of California legten Versuchspersonen Fotos von Hunden und Herrchen vor und ließen sie beurteilen, ob sich die beiden wirklich ähneln. Ein psychologischer Klassiker sind d ie Experimente von Robert Zajonc von der University of Michigan : Emotionen stecken an, nach 25 Ehejahren ähneln sich die Gesichtszüge von Braut und Bräutigam stärker als noch vor dem Traualtar. Nicholas Christakis forscht über soziale Netze, also das fein verzweigte Geflecht an persönlichen Verbindungen, das unserer Gesellschaft zugrunde liegt. Seine Ergebnisse erstaunen, nachzulesen sind sie in dem Buch connected. Der Marketing-Forscher Jonah Berger versucht in seinem Buch Contagious zu erklären, warum manche Ideen oder Produkte zu globalen Trends werden und andere schon nach kürzester Zeit wieder passé sind. Braucht der Mensch ein Gegenüber? Eine umfassende Studie zu den Folgen von Kindesvernachlässigungen gibt es hier . Veröffentlicht wurde sie von einem Forscherteam um Charles Nelson und ist Teil des Bucharest Early Intervention Project . In dem Buch Romania’s Abandoned Children beschreiben Nelson und seine Kollegen die Ergebnisse der Untersuchungen im Waisenhaus in Bukarest. Kristina Musholt versucht in Thinking about Oneself aufzuzeigen, wie und warum der Mensch ein Selbst-Bewusstsein entwickelt. Machen Gruppen dumm? Eine Studie zu dem Zusammenhang von Zugehörigkeitsgefühlen und Aggression nach außen beim gemeinsamem Singen von Fußballfans gibt es hier . Der Psychologe Adrian Furnham vom University College London erklärt in diesem Artikel der Business Strategy Review die Sinnlosigkeit von Brainstorming in der üblichen Form - ohne vorheriges, einzelnes Nachdenken. Gregory Berns untersuchte mit Kollegen in dieser Studie , was in unserem Gehirn passiert, wenn wir der allgemeinen Gruppenmeinung widersprechen. Titel: Die Studie zu den "Neuen Dramaserien" von Hennig-Thurau basiert auf einer repräsentativen Befragung und beantwortet unter anderem die Frage, warum Serien wie Breaking Bad so erfolgreich sind. Die Studie der Geruchsforscherin Rachel Herz zu Erinnerungen durch Gerüche gibt es hier . Sie verglich, wie die unterschiedlichen Sinne mit Erinnerungen verknüpft sind. "Das große Wegschmeißen" des WWF gibt es hier zum Nachlesen mit vielen Grafiken und Statistiken. Noch mehr Zahlen zum Ehrenamt gibt es auf Statista . Der Germanist Rüdiger Safranski gibt in seinem Buch "Romantik – Eine deutsche Affäre" einen ausführlichen Überblick über die Geschichte, Ausprägungen und Vertreter der Literaturepoche – gut für interessierte Einsteiger. Der Sammelband "Zwischen Innerer Emigration und Exil: Deutschsprachige Schriftsteller 1933-1945" beschäftigt sich intensiv mit diesem Spannungsfeld der deutschen Literaturgeschichte und legt den Fokus auf die sogenannte "innere Emigration". Sonne und Schatten Strandknobeleien: Ein Buch mit vielen kurzen Knobeleien aus den Bereichen Logik, Mathematik, räumliches Denken und Sprache ist das "Gehirntraining" aus dem DUDEN-Verlag. Ein anderes kompaktes Knobelbuch ist "Warum Kühe gern im Halbkreis grasen" von Albrecht Beutelspacher und Marcus Wagner sowie "Gedächtnistraining für kluge Köpfe" von Gareth Moore. Astrophysik: Das Schicksal der Sonne wird in diesem ZEIT WISSEN-Artikel ausführlicher geschildert. Empfehlenswert dazu ist das Buch "Tod aus dem All" von Philip Plait. Wie sich das Klima in den kommenden 10000 Jahren entwickeln wird, diskutiert dieses Nature Paper . Die Präzession der Erdachse wird gut im englischen Wikipedia-Artikel erklärt. Psychologie: Die erste Studie zur Sommerdepression von Norman Rosenthal aus dem Jahr 1987 gibt es hier . Der Zusammenhang zwischen Winterdepression und Breitengraden in den USA wird in dieser Studie beschrieben. Medizin: Das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) gibt für das Sonnenbaden eine Empfehlung heraus, dabei geht es vor allem um die Bildung von Vitamin D. Auch interessant: Allgemeine Empfehlungen des BfS zum Schutz vor UV-Strahlen, Informationen über das UV-Bündnis sowie die Forderung nach mehr Schattenplätzen. ZEIT Wissen-Serie "Pfade der Erkenntnis" Die GPS-Tracks der Wanderungen sowie weiterführende Links finden Sie unter www.komoot.de/collection/357/wie-das-land-entstand Außerdem können Sie die GPS-Tracks hier herunterladen. Das erste Heft der Wanderserie können Sie hier nachbestellen . Wanderung: Vom Urknall zu den Vulkanen Die Sternwarte Hoher List kann man besichtigen, Infos hier. Informationen zur Geologie der Region bietet der Geopark Vulkaneifel . Im Maarmuseum Manderscheid ist das Urpferd aus dem Eckfelder Maar ausgestellt, außerdem erfährt man, wie Geoforscher das Alter der Maare bestimmen. Für Fortgeschrittene: Fachartikel zur Analyse von Seebohrkernen aus dem Meerfelder Maar hat Achim Brauer vom GFZ Potsdam veröffentlicht. Er fliege hoch Wie genau hängen New Space und Old Space zusammen? Und hängen sie nicht auch voneinander ab? Michael Smart, Professor of Hypersonic Aerodynamics von der University of Queensland fasst seine Gedanken nach der SPACE 2016-Conference hier zusammen . Die Konferenz hat deutlich gemacht, dass ein massiver Wandel auf die Raumfahrt zukommt. Wird überhaupt jemand den Google Lunar X-Prize gewinnen? Greg Freiherr führt im Air&Space Magazine in die Hintergründe, Geschichte und den aktuellen Stand des Wettbewerbs ein. Wer die politische Dimension des Wettlaufs in der Raumfahrt zur Zeit des ersten bemannten Raumflugs und die aktuelle Stimmung in den USA nachempfinden möchte, dem sei der Film "Hidden Figures" empfohlen. Er erzählt zudem die spannende Geschichte der weiblichen "Computer" – der mathematischen Genies hinter der damaligen amerikanischen Raumfahrt – und gibt einen Eindruck davon, wie komplex Raumfahrt ist. Formel E Das EUROPEAN ALTERNATIVE FUELS OBSERVATORY (EAFO) veröffentlicht zahlreiche Statistiken zur Elektromobilität in Europa. Prognosen zur Entwicklung der Elektroautos veröffentlicht die Internationale Energie-Agentur hier. Die Zumutung: Das Gedächtnis In seiner überragend geschriebenen Autobiografie "Die Suche nach dem Gedächtnis" verwebt der aus Wien stammende, US-amerikanische Nobelpreisträger Eric Kandel seine Lebensgeschichte mit seiner Forschungsbiografie. Wer lieber Filme schaut als liest, kann sich beispielsweise hier die Verfilmung der Autobiografie bestellen oder hier ein äußerst vergnügliches Interview mit dem Forscher ansehen. Kandel ist außerdem Autor eines englischsprachigen Standard-Lehrbuchs der Neurowissenschaften, "Principles of Neural Science" , die fünfte, neueste Edition stammt von 2012. Deutlich älter, nämlich aus dem Jahr 1995, ist die deutsche Ausgabe dieses Lehrbuchs - "Neurowissenschaften: Eine Einführung" . Kurz gehalten, für Studenten oder interessierte Laien gut zu verstehen und auch als E-Book erhältlich ist der schmale Lehrbuch-Band "Gedächtnis" des Osnabrücker Psychologie-Professors Thomas Gruber. Sind Sie auch gegen Genfood? Wer sich für die Geschichte des Konflikts um die Grüne Gentechnik interessiert, sollte das Buch "Lords of the Harvest" von Dan Charles lesen, auch wenn es schon 2001 erschienen ist. In "Tomorrow's Table: Organic Farming, Genetics, and the Future of Food" schreiben eine Pflanzengenetikerin und ein Ökolandbau-Professor recht pragmatisch über Gentechnik und Ökolandbau – die beiden sind verheiratet. Der Brief der Nobelpreisträger steht hier im Netz. Die Webseite des Golden Rice-Projekts ist www.goldenrice.org "GM foods currently available on the international market have passed safety assessments and are not likely to present risks for human health" erklärt die WHO 2014. "no effects on human health have been shown as a result of the consumption of such foods by the general population in the countries where they have been approved." "No adverse health effects attributed to genetic engineering have been documented in the human population" schreibt die National Academy of Sciences, Engineering and Medizine 2004 . Der jüngste Bericht zur grünen Gentechnik ist 584 Seiten lang und stammt von den Nationalen Akademien der USA. 80 Experten wurden angehört, 700 schriftliche Kommentare ausgewertet. Das soziologische Experiment von Wolfgang van den Daele, Gentechnik-Befürworter und -Gegner tagelang miteinander diskutieren zu lassen, wurde bei Wiley publiziert. Ingo Potrykus hat seine Erinnerungen an die Golden Rice-Entwicklung hier aufgeschrieben. Die Greenpeace-Kampagne gegen Golden Rice ist hier zu finden. Der Golden Rice-Forscher Adrian Dubock antwortet hier auf die Kritik von zwei Sozialwissenschaftlern. Und hier schreibt er über Golden-Rice-Politik und den Widerstand gegen grüne Gentechnik. Eine viertel bis eine halbe Million Kinder erblinden jährlich aufgrund von Vitamin A-Mangel. Die Hälfte dieser Kinder sterbe kurze Zeit später, schätzt die Weltgesundheitsorganisation . 1987 sprühten Forscher gentechnisch veränderte Bakterien auf ein Erdbeerfeld. Wie der Goldene Reis zu seinem Namen kam, inspiriert durch einen Kondomhersteller, ist an dieser Stelle nachzulesen . Greenpeace werde keine Golden Rice-Versuchsfelder zerstören, berichtet ein Reporter des New Scientist 2001. Die Financial Times schreibt : "Greenpeace erklärt Waffenstillstand in Sachen Goldener Reis." Die WHO lässt derzeit eine Cochrane-Studie über den Nutzen von mit Nährstoffen angereicherten Getreidesorten anfertigen.
|
ZEIT Wissen
|
Mit welchen Experten wir gesprochen, welche Internetseiten wir besucht, welche Studien wir benutzt haben, lesen Sie hier.
|
[
""
] |
zeitwissen
|
Article
|
2017-06-19T17:00:02+02:00
|
2017-06-19T17:00:02+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2017/04/quellen
|
ZEIT Wissen 5/2017: Hier haben wir recherchiert
|
Am Anfang drei Fragen: Können Perfektionisten weniger genießen? Die Studie "Die Unfähigkeit zu genießen – Die Deutschen und der Genuss" von Rheingold Salon besteht aus einer tiefenpsychologischen Untersuchung sowie einer repräsentativen Befragung von 60 Menschen in zweistündigen Tiefeninterviews bzw. Gruppendiskussionen. Anschließend wurden die Ergebnisse bundesweit an mehr als 1.000 ausgewählten Frauen und Männern überprüft. Die Erkenntnis: die Deutschen haben es offenbar verlernt zu genießen. Forscher der Berliner Charité untersuchten in dieser Studie die therapeutische Wirkung von Musik auf Herz und Bluthochdruck. Kann man Neugierde lernen? Eine Studie über den Zusammenhang von Zugehörigkeitsgefühlen und Aggression beim gemeinsamem Singen von Fußballfans gibt es hier . Der Psychologe Adrian Furnham vom University College London erklärt in einem Artikel der Business Strategy Review die Sinnlosigkeit von Brainstorming ohne vorheriges, einzelnes Nachdenken. Gregory Berns untersuchte mit Kollegen in dieser Studie , was in unserem Gehirn passiert, wenn wir der allgemeinen Gruppenmeinung widersprechen. Titel: Ich schaffe das! Marsha Linehan hat mehrere Bücher über die Dialektisch-Behaviorale Therapie (DBT) und das Skillstraining geschrieben, auch Arbeitsbücher mit Anleitungen. Sie richten sich aber vorwiegend an Therapeuten und Fachleute. In diesem Vortrag in Washington erzählte sie davon, wie sie die Zen-Lehre für sich entdeckte und in die Dialektisch-Behaviorale Therapie einbaute. Der New York Times gab sie 2011 ein langes Interview, indem sie über ihre Zeit in der Klinik und ihr Leben danach erzählt. Daraus entstand der Artikel: "Expert on Mental Illness Reveals Her Own Fight." Claas-Hinrich Lammers ist Psychiater und Psychotherapeut, sowie ärztlicher Leiter an der Asklepios Klinik Nord Ochsenzoll. Sein Buch " Emotionsbezogene Psychotherapie ", erschienen im Verlag Schattauer, gibt einen guten Überblick darüber, was Emotionen sind, wie sie funktionieren, welche Rolle sie in der Therapie spielen und mit welchen Techniken sie reguliert werden können. In ihrem Buch " Das Ich und die Abwehrmechanismen ", schrieb Anna Freud 1936 darüber, was der Mensch alles tut, um miteinander in Konflikt stehende Triebe, Wünsche und Werte zu bewältigen. Die Studie von James J. Gross zu versteckten Gefühlen ( "Hiding Feelings: The Acute Effects of Inhibiting Negative and Positive Emotion" ) erschien 1997 im Journal of Abnormal Psychology. Raffael Kalisch, Direktor des Neuroimaging Center an der Uni Mainz , erforscht Resilienz. In seinem Buch " Der resiliente Mensch ", erschienen bei Piper, beschreibt er in vielen Beispielen, aber auch mit Erkenntnissen aus Hirnforschung und Psychologie, wie der Mensch Krisen erlebt und übersteht. Die Studie, in der Mark Seery zeigt, dass überwundene Krisen abhärten können, heißt "Whatever Does Not Kill Us: Cumulative Lifetime Adversity, Vulnerability, and Resilience" und ist von 2010. Hier ist eine kurze Zusammenfassung. Juan Ruiz sieht die Welt mit den Ohren Bereits 2012 startete ein Wissenschaftlerteam um Lutz Wiegrebe Versuche zur menschlichen Orientierung mit Echos. Dabei wurde ein virtueller akustischer Raum genutzt und gezeigt, dass Menschen aus Echos ziemlich detaillierte Informationen über ihre Distanz zu Gegenständen ziehen können. Menschen wie Juan Ruiz oder Daniel Kish nutzen Bereiche ihres Gehirns, die eigentlich visuelle Eindrücke verarbeiten, um die Informationen aus den Echos auszuwerten. Wiegrebe nennt das die Nutzung "brach liegender Computerkompetenzen". Sehende Probanden zeigten keine vergleichbare Aktivität im visuellen Cortex. In jüngsten Versuchsreihen von 2017 zeigten Wiegrebe und sein Team, wie wichtig es bei der Klicksonartechnik ist, dass die Geräusche von einem selbst, per Zungenschnalzen erzeugt werden. 2011 gründeten Ellen Schweizer und Steffen Zimmermann den Verein Anderes Sehen. Seither bieten die beiden immer wieder Klicksonar-Trainings mit Juan Ruiz in Berlin an, es werden Kinderbücher designt, deren Geschichten nicht gelesen, sondern gefühlt werden müssen. Spezielle Stöcke für Kinder, die einen Namen tragen und kunstvoll gestaltet und verziert sind, sollen eine engere Bindung zwischen Kind und Stock herstellen. Herkömmliche Stöcke für Kinder seien oft viel zu schwer und unhandlich, sodass sie zu selten genutzt werden, klagen Schweizer und Zimmermann, die auch die Krankenkassen dafür kritisieren, die Kinder-Langstöcke nicht ausreichend zu fördern. Juan Ruiz und Daniel Kish sind in "World Access for the Blind" aktiv, stellen Workshops, Vorträge und große Projekte auf die Beine, um blinden Menschen mehr Autonomie und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Dabei hilft natürlich die Öffentlichkeit, die Juan Ruiz mit seinen spektakulären Fähigkeiten erzeugt. Unter anderem steht er im Guinness-Buch der Rekorde. Ruiz arbeitet und lebt mittlerweile in Wien. Über knapp zwei Jahre gab er sein Wissen an Pädagogen in ganz Österreich weiter, um die Klicksonartechnik flächendeckend weitergeben zu können. Das Projekt wurde vom Bund finanziert, ein vergleichbares gibt es in Deutschland bisher nicht. ZEIT Wissen-Serie "Pfade der Erkenntnis" Die GPS-Tracks der Wanderungen sowie weiterführende Links finden Sie unter www.komoot.de/collection/ 400/zeitwissen Außerdem können Sie die GPS-Tracks hier herunterladen. Das erste und zweite Heft der Wanderserie können Sie hier nachbestellen . Der digitale Zwilling Hans Lehrach beschreibt seine Vision vom virtuellen Patienten in diesem Manifest. Die Future Health Initiative bewirbt sich um eine Milliarde Euro Forschungsgeld bei der Flagship Initiative der EU. Das Treat20plus-Projekt wird auf dieser Webseite beschrieben. Das Comprehensive Cancer Center der Charité betreut die Treat20plus-Studie von klinischer Seite. Die Firma Alacris Theranostics simuliert die Krebsbehandlung mithilfe eines mechanistischen Modells der Tumorzellen. Die Zumutung: Das 5-Grad-Rätsel Fachartikel zur Analyse von Seebohrkernen aus dem Meerfelder Maar hat Achim Brauer vom GFZ Potsdam veröffentlicht. Wie entwickelt sich der Golfstrom bis 2100? Das Deutsche Klima-Konsortium und das Konsortium Deutsche Meeresforschung fassen den aktuellen Stand der Forschung in einer Broschüre zusammen. Seine These, dass die Klimasprünge der vergangenen Eiszeit (die Dansgaard-Oeschger-Events) durch die Sonnenaktivität verursacht wurden, beschreibt Stefan Rahmstorf in diesem Fachartikel. Gerrit Lohmanns Forschergruppe am AWI hat Kipppunkte im Golfstromsystem am Computer simuliert und macht CO2-Schwankungen in der Atmosphäre dafür verantwortlich. Gebrauchsanleitung für ein Gefühl: Gier? Die Studie von Paul Piff und anderen Forschern der Universität Berkeley zum Zusammenhang zwischen Gier und Wohlstand zeigt, dass wohlhabende Menschen eher zu Gesetz- und Regelbrechungen neigen, beispielsweise im Straßenverkehr. Zudem nehmen sie sich mehr Bonbons aus einem Glas als weniger wohlhabende Studienteilnehmer. Hier die Studie über spontane Kooperation und kalkulierte Gier verschiedener Forscher aus Harvard und Yale, die zu dem Ergebnis kommt, dass wir immer gieriger werden, je länger wir über eine Entscheidung nachdenken. Hier die Studie der Würzburger Forscher , die zeigt, dass Gier mit einer höheren Risikobereitschaft einhergeht und gierige Menschen schlechter aus ihren Fehlern lernen. Die Umfrage , bei der fast die Hälfte der amerikanischen Teenager ihre eigene Generation für gierig hält. Bauen und Wohnen Zur Frage der Umlage von Energetischer Modernisierung auf die Miete hat der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein das Positionspapier "Preistreiber Modernisierung" (Nov. 2016) verfasst. Vom Bundesumweltministerium gibt es seit Oktober 2016 die "Arbeitshilfen Recycling" zum Umgang mit Bau- und Abrissabfällen von Gebäuden. Das Ministerium hat im November 2016 außerdem einen Leitfaden für "Wege zum Effizienzhaus Plus. Grundlagen für energieerzeugende Gebäude" herausgegeben. Die Veranstalter des "Weltkongress Gebäudegrün", der im Juni 2017 in Berlin stattfand, haben verschiedene interessante Vorträge zum Thema Dachbegrünung online gestellt. Schon etwas älter, aber immer noch informativ sind die Infobroschüre "Schutz vor Kälte und Hitze. Dämmstoffe im Vergleich" der Energieagentur NRW und der "Leitfaden ökologische Dämmstoffe" des Naturschutzbundes (NaBu).
|
ZEIT Wissen
|
Mit welchen Experten wir gesprochen, welche Internetseiten wir besucht, welche Studien wir benutzt haben, lesen Sie hier.
|
[
""
] |
zeitwissen
|
Article
|
2017-08-14T17:00:00+02:00
|
2017-08-14T17:00:00+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2017/05/quellen
|
ZEIT Wissen 6/2017: Hier haben wir recherchiert
|
Am Anfang drei Fragen: Wie viele Sprachen kann ein Mensch lernen? Harald Clahsen hat einige Forschungsarbeiten zum Thema Multilingualism publiziert. 2. Kann man die elektronische Gesichtserkennung austricksen? Das Projekt CV Dazzle des Künstlers Adam Harvey hat eine eigene, unterhaltsame Website. 3. Ziehen sich Gegensätze wirklich an. Die Studie zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden der beiden Partner in 1500 Paaren wurde hier publiziert. Titel: Hörst Du die Signale? Darüber, wie das Mikrobiom, also die Bakterienbesiedlung des Darmes, über unser Verhalten bestimmt, gibt folgende Studie einen Überblick: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC4442490/ Ein Vortrag von Bud Craig, dem Verfechter der Insula-Hypothese, über die Funktionsweise unseres Gehirns und wie es abhängt von seiner Umgebung: https://vimeo.com/8170544 Die Studie von Christoph Herrmann-Lingen zum Zusammenhang von Herzschwäche und Angstgefühl wurde hier publiziert. Eine Übersichtsarbeit zum Alien Hand Syndrome wurde in diesem Fachblatt publiziert. Wer sich selbst im Spiegel betrachtet, kann seine Herzschläge besser zählen. Die Zumutung: Welche Rolle spielt der Menschen beim Artensterben? Eine gute Einführung in das Thema Biodiversität geben Bruno Streits Buch "Was ist Biodiversität?" (C.H. Beck 2007) und Josef Reichholfs "Ende der Artenvielfalt?" (Fischer 2008). Chris Thomas bürstet in seinem kürzlich erschienenen, äußerst lesenswerten Buch "Inheritors of the Earth" (Penguin 2007) die pessimistische Aussicht auf ein sechstes Massenartensterben gegen den Strich und entwickelt darin den Gedanken eines "virtuellen Pangaea". Die Zoological Society of London listet auf www.edgeofexistence.org die gemäß EDGE Score am stärksten bedrohten Säugetier-, Vogel, Amphibien- und Korallenarten auf. Das Konzept des EDGE Scores ist in dem Paper "Mammals on the EDGE: Conservation Priorities Based on Threat and Phylogeny" (PLoS One Issue 3, 2007) erklärt und als PDF frei verfügbar. Das Paper "Introduced megafauna are rewilding the Anthropocene" von Erick Lundgren et al. wird im Magazin Ecography erscheinen, eine Zusammenfassung gibt es hier . Einen Überblick über die Rote Liste gefährdeter Arten und aktuelle Statistiken zum Artensterben bietet die Weltnaturschutzunion IUCN auf der Seite "Summary Statistics" an. Cash voraus! Unbedingt lesenswert, wenn auch aufgrund seines Umfangs nicht gerade eine Einführung, ist David Graebers Buch "Schulden. Die ersten 5000 Jahre" (Klett-Cotta 2011), das der frühere FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher "eine Befreiung" nannte. Eine kritische Bestandsaufnahme der deutschen Schuldenbremse nehmen Ökonomen des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung in "Die Schuldenbremse im Bundeshaushalt seit 2011" vor. Jürgen Kaiser vom Entschuldungsbündnis Erlassjahr.de zeigt in einer Studie für die Friedrich Ebert Stiftung, "Resolving International Debt Crises" , wie ein internationales System für die Insolvenz überschuldeter Staaten aussehen könnte. Wie das Londoner Schuldenabkommen von 1953, das den Weg für das westdeutsche Wirtschaftswunder freimacht, beispielhaft für eine neue Entschuldungspolitik sein könnte, beschreibt Kaiser in "One Made it Out of the Debt Trap" , einer Analyse für die Friedrich Ebert Stiftung. Erlassjahr.de bietet auf seiner Webseite verschiedene Handbücher und Studien zum Thema Schuldenkrise an. Wie das Schreiben das Denken beeinflusst Der tschechische Medienphilosoph Vilém Flusser befasst sich in seinem Buch "Die Schrift", erschienen 1992 im Fischer Taschenbuchverlag, ausführlich mit der Durchdringung des Lebens durch Schrift. Eine Art Bibel für Kultur- und Medienwissenschaftler ist das Buch "Grammophon Film Typewriter" in dem Friedrich Kittler unter anderem die Schreibmaschinenrevolution beschreibt. Lutz von Werder war Professor an der Alice-Salomon-Fachhochschule in Berlin und hat unter anderem das Institut für kreatives Schreiben aufgebaut. Von ihm sind mehrere Bücher zum kreativen Schreiben erschienen. Die "Einführung in das Kreative Schreiben" bietet zum Beispiel viele kleine Übungen um es direkt auszuprobieren. Silke Heimes lehrt ebenfalls kreatives aber auch therapeutisches Schreiben. Sie ist Ärztin, Professorin und Autorin. Von ihr sind unter anderem diese Sachbücher zum Thema erschienen: "Kreatives und therapeutisches Schreiben. Ein Arbeitsbuch" und "Warum Schreiben hilft. Die Wirksamkeitsnachweise zur Poesietherapie"
|
ZEIT ONLINE
|
Mit welchen Experten wir gesprochen, welche Internetseiten wir besucht, welche Studien wir benutzt haben, lesen Sie hier.
|
[
""
] |
zeitwissen
|
Article
|
2017-10-16T14:02:14+02:00
|
2017-10-16T14:02:14+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2017/06/quellen
|
ZEIT Wissen 1/2018: Hier haben wir recherchiert
|
Am Anfang drei Fragen: Welche Landschaften wecken unser Vertrauen? Einen aktuellen Überblick über den Stand der Forschung gibt ein brasilianisches Forscherteam in seinem Aufsatz "Landscape preferences in the human species: insights for ethnobiology from evolutionary psychology" (Juli 2017). John Falk und John Balling, die 1982 die erste Studie zu dieser Frage vornahmen, haben dasselbe Studiendesign 2010 mit Versuchspersonen aus Nigeria wiederholt und in "Evolutionary Influence on Human Landscape Preference" beschrieben. Eine Gruppe von Wissenschaftlern hat Unterschiede in der Landschaftswahrnehmung zwischen Probanden aus Deutschland, Schweden und Oregon einerseits und Probanden aus China, Russland und Indien festgestellt. Die Ergebnisse haben sie 2008 in "Variations in cross-cultural perception of riverscapes in relation to in-channel wood" publiziert. Mit der Frage, wie der Goldene Schnitt die Wahrnehmung von Fotografien verändert, beschäftigen sich Forscher der Universität Prag in "Does the composition of landscape photographs affect visual preferences? The rule of the Golden Section and the position of the horizon" (2014). Kann man absichtlich vergessen? Das Buch "Memory" der Autoren Alan Baddeley, Michael W. Eysenck und Michael Anderson liefert einen Überblick über die komplexen Funktionsweisen des Gedächtnisses. Die wissenschaftlichen Grundlagen und Experimente der Vergessens-Forschung werden in mehreren Kapiteln verständlich wiedergegeben (auf Englisch). In dem Artikel Neural mechanisms of motivated forgetting beschreiben Michael Anderson von der University of Cambridge und Simon Hanslmayr von der University of Birmingham die neuronalen Abläufe beim absichtlichen Vergessen. In seiner Studie A neural signature of contextually mediated intentional forgetting belegt Jeremy R. Manning vom Dartmouth College Hanover (New Hampshire), dass Menschen erlebte Ereignisse vergessen können, indem sie den mentalen Kontext, der mit dem Ereignis assoziiert wird, verändern. Wann hilft es, die Fassung zu verlieren? Expertinnen für die Recherche: Verena Kast, ehemalige Psychologie-Professorin an der Universität Zürich, heute Präsidentin des C. G. Jung Instituts in Zürich und Autorin des Buches "Vom Sinn des Ärgers"; Barbara Krahé, Professorin für Sozialpsychologie an der Universität Potsdam und Expertin für Psychologie von Aggression und Gewalt. In ihrer Studie "Experiencing Emotion: A Cross-Cultural Study" weisen die Psycholog_innen Klaus Scherer, Harald Wallbott und Angela Summerfield nach, dass unsere Wut meistens Menschen trifft, die uns nahe stehen. In ihrem Buch "Vom Sinn des Ärgers" beschreibt die Psychologin Verena Kast, wie man Ärger konstruktiv einsetzen kann, um nach neuen Lösungsansätzen zu suchen. Heidi Kastner, Psychiaterin und Gerichtsgutachterin des Straftäters Joseph Fritzl, erklärt in ihrem Buch "Wut: Plädoyer für ein verpöntes Gefühl" , wie Wut eskalieren kann, wenn wir sie über lange Zeit zurückhalten. Titel: Am liebsten würde ich damit aufhören In diesem klassischen Paper von 1999 beschrieb Peter Gollwitzer, Psychologe an der New York University, die Wirkung von einfachen Wenn-dann-Plänen gegen schlechte Gewohnheiten, die seither in unzähligen Studien belegt wurde. In dem Buch "Die Macht der Gewohnheit" (Berlin-Verlag, 2012) schreibt der amerikanische Wissenschaftsautor Charles Duhigg von der Wissenschaft und der Praxis des Kampfes gegen schlechte Gewohnheiten. Ein aktuelles Review-Paper der maßgeblichen amerikanischen Gewohnheitsforscherin Wendy Wood ist hier als PDF zu finden. Die Wissenschaft vom Fahrstuhl Das Experiment von Solomon Asch, in dem Schauspieler sich mit dem Gesicht zur Fahrstuhlwand stellen, wird hier beschrieben. Ein weiterer Artikel in SimplyPsychology fasst das Experiment hier zusammen. Rebeka Rousi schreibt hier über ihre Fahrstuhlforschung. Stefan Hirschauers Betrachtungen des Fahrstuhlfahrens sind kostenlos als PDF zu haben. Der Wert des Lebens In seinem Buch "What is Life Worth? The Unprecedented Effort to Compensate the Victims of 9/11" beschreibt Kenneth Feinberg ausführlich, wie er seine Methode entwickelte, Leben zu bewerten, und anschließend das Geld an die Opfer und Angehörigen der Terroranschläge des 11. Septembers 2001 verteilte. Die Formel des Personalmanagement-Professors Christian Scholz zur Berechnung des Humankapitals und weitere Informationen dazu gibt es hier . In einem Faktencheck überprüft die Spiegel -Dokumentation, ob Raucher dem deutschen Staat wirklich finanzielle Vorteile bringen, weil diese früher sterben. Das Buch, in dem der Statistiker Ernst Engel den "Kostenwerth des Menschen" erstaunlich trocken berechnet heißt " Der Werth des Lebens ", ist von 1883 und steht online frei zur Verfügung. Die Macht des Gewissens Vielleicht zur Abwechslung mal wieder in der Bibel blättern? Die Zehn Gebote stehen ziemlich weit vorne. Weiter hinten im Neuen Testament wird es dann etwas entspannter, sogar mit Happy End. Die Weltliteratur ist voll mit dem Thema Schuld und schlechtes Gewissen. Der Klassiker: Schuld und Sühne von Fjodor Dostojewski, die Geschichte eines Mordes und was er mit dem Täter macht. Wie sehr das schlechte Gewissen uns im Leben begleitet, zeigt die Fülle der Ratgeber zum Thema, wie man es los wird. Ins Dadaistische treibt die Ratgeberei ein Autor mit dem Pseudonym Tommy Jaud unter dem Titel " Einen Scheiß muss ich – das Manifest gegen das schlechte Gewissen " (Fischer Verlag). Ein guter Job, gesundes Essen, die Familiengründung, alles belastender Mist, findet Jaud. Wer es tiefgründiger mag, dem seien zum Beispiel die wissenschaftlichen Arbeiten von June Tangney empfohlen oder alles, was mit der Messmethode TOSCA für Schuld und Scham zu tun hat . Noch tiefgründiger nähert sich Judith Butler dem Thema: Die " Kritik der ethischen Gewalt " handelt vom Ethischen, das sich gerade in unethischem Verhalten zeigt. Zur Frage, woher überhaupt unsere moralischen Gefühle kommen, sind zwei spannende Bücher zu empfehlen: " Das soziale Tier " von David Brooks und und " Eine Naturgeschichte der menschlichen Moral " von Michael Tomasello. Zukünftige Lebenswelten "Die Welt in 100 Jahren" wurde 1910 von Arthur Brehmer herausgegeben und wurde 2010 als Nachdruck vom Georg Olms Verlag neu veröffentlicht. Den Bericht des Club of Rome von 1972, "Die Grenzen des Wachstums", gibt es in der englischen Originalversion als PDF . Die Illustrationen aus dem Diafilm "Im Jahr 2017" von V. Strukova und V. Shevchenko (Diafilm Studios 1960) kann man u.a. hier anschauen. Die Zumutung: Wie funktioniert ein Quantencomputer Der Ausschnitt der Pressekonferenz, auf der der kanadische Premierminister Justin Trudeau den Quantencomputer erklärt, ist hier auf Youtube zu sehen . Um ein Bit auf 1 zu schalten, wird auf der Insel eine elektrische Ladung deponiert, inzwischen nur noch rund zehn Elektronen . Um eine 232-stellige Zahl zu faktorisieren, braucht ein herkömmlicher Computer 1500 Jahre . Als Edward Snowden die NSA-Dokumente an Journalisten übergab, wurden Details bekannt : Die Erforschung eines "kryptografietauglichen Quantencomputers" war demnach Teil des 80 Millionen Dollar teuren NSA-Programms Penetrating Hard Targets. Als erstes Bauteil eines Quantencomputers dienten zwei geladene Atome (Ionen) in einer Ionenfalle am National Institute of Standards and Technology in Boulder. Der IBM 701 war groß wie ein Kleiderschrank und hatte eine Speicherkapazität von 10 Kilobyte . IBM-Chef Thomas Watson rechnete mit fünf Bestellungen. (D araus wurde die Legende , Watson habe einen Weltmarkt von fünf Computern prophezeit). 18 Maschinen verkaufte IBM schließlich: an Rüstungsfirmen, Universitäten und an die NSA . 2011 verkauft D-Wave eine Maschine mit angeblich 128 Qubits an die Rüstungsfirma Lockheed Martin – auf dem Pressefoto posiert der Firmengründer vor einem kinderzimmergroßen schwarzen Kubus –, 2013 bestellen Google und die Nasa zusammen ein Gerät. D-Wave kooperiert mit Volkswagen. Man wolle mit dem Rechner die Verkehrsströme von Peking simulieren, verkündeten beide Unternehmen auf der diesjährigen Cebit. Auch das "Problem des Handlungsreisenden" – finde den kürzesten Weg für den Besuch vieler Adressen! – scheint ein Quantencomputer deutlich schneller lösen zu können . Die NSA appellierte im vergangenen Jahr ungewohnt offen an Behörden und Industrie, ihre Daten besser zu verschlüsseln. In diesem Video sieht man , was passiert, wenn man ein Programm an den IBM-Quantencomputer schickt. Hier sind Zweifel formuliert, dass ein Quantencomputer die RSA-Verschlüsselung brechen kann . Was ist ein Qubit? Informationen aus dem Lexikon der Physik. In einem weiteren Artikel wird der Quantencomputer erklärt .
|
ZEIT ONLINE
|
Mit welchen Experten wir gesprochen, welche Internetseiten wir besucht, welche Studien wir benutzt haben, lesen Sie hier.
|
[
""
] |
zeitwissen
|
Article
|
2017-12-11T14:10:03+01:00
|
2017-12-11T14:10:03+01:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2018/01/quellen
|
Gesundheit: Schlafen Sie doch mal im Garten
|
Alastair Humphreys ist Tausende Kilometer um die Welt geradelt, durch die Sahara gerannt und quer durch Indien gewandert. Er ist über den Atlantik gepaddelt und hat die größte Wüste der Welt durchlaufen. Fast die Hälfte aller Länder hat der Brite bereist, und dann ist er bekannt geworden mit einer Tour vor seiner Haustür: In einem bitterkalten, trüben Januar wanderte er die M 25 entlang. Die Autobahn umkreist London und ist, wie Stadtautobahnen im Winter eben so sind: grau und hässlich. Sein Plan war, das Abenteuer am langweiligsten Ort zu suchen, der ihm einfiel. Mit einem Freund ging er los, immer so nah wie möglich an der Straße, durch Industriegebiete, Wohnsiedlungen und Ackerland. Sie kletterten über Zäune und schlugen sich durch Büsche. Sie aßen in Autobahnraststätten und Pubs, schliefen unter Brücken, in Gärten, im Schnee. Jahrzehnte war Humphreys um die Welt gezogen und hatte davon gelebt, Vorträge über Extreme und Grenzerfahrungen zu halten, die er an den entlegensten Orten erlebt hatte. Oft kamen danach Leute aus dem Publikum zu ihm und sagten: Wahnsinn, was du alles machst! Aber du bist ja auch ein Abenteurer, ich dagegen bin nur ein normaler Mensch. Deshalb die M 25. "Abenteuer ist ein weiter Begriff und für jeden etwas anderes", sagt Humphreys. "Aber im Grunde geht es darum, etwas Neues auszuprobieren, die eigene Komfortzone zu verlassen." Und das klappt auch ohne Arktis-Expedition oder monatelange Auszeiten. Der Ausflug an die Autobahn gefiel so vielen Menschen auf Humphreys’ Social-Media-Kanälen, dass er beschloss, weiterzumachen: Er radelte nach der Arbeit aus London raus, fuhr ans Meer und legte sich mit dem Schlafsack an den Strand. Er spazierte in einer Vollmondnacht am Stadtrand über Felder und schoss Fotos mit extralanger Belichtungszeit. Er wanderte an Weihnachten tagsüber dorthin, wo er am Abend feierte. Er fing einen Fisch und briet ihn überm Lagerfeuer. Mikro-Abenteuer nennt er das. Sie sind billig, einfach und kurz, bieten aber alles von einem großen Abenteuer: die Herausforderung, den Bruch mit dem Alltag, das Lernen – kondensiert in einem Tag oder ein paar Stunden. "Ich wollte die Hürden einreißen, die uns davon abhalten, zum Abenteuer aufzubrechen", sagt Humphreys. Das Buch, das er darüber schrieb, wurde zum Bestseller. Es reicht, im eigenen Garten zu übernachten "Mikro-Abenteuer passen gut zum modernen Menschen", sagt Anja Göritz, Psychologieprofessorin an der Universität Freiburg. "Er hat wenig Zeit und Natur, dafür viel Beton und Lärm um sich. Die kleinen Ausbrüche sind eine effiziente Form der Erholung." Der Urlaubsforscher Gerhard Blasche aus Wien sagt, oft sei uns gar nicht bewusst, wie wir uns am besten erholen. Viele glaubten, nach einem anstrengenden Tag sei Nichtstun oder Schlafen das Entspannendste – ein Trugschluss. "Früher hat man sich beiläufig erholt. Heute ist das nicht mehr so", sagt er. Damit es trotzdem klappe, müsse man sich mental vom Alltag distanzieren . Denn die Arbeit oder ein Streit zu Hause sind nicht nur währenddessen anstrengend. Stresshormone werden auch ausgeschüttet, wenn man auf der Couch darüber nachdenkt. Der Körper kommt nicht zur Ruhe. Ablenkung hilft, besonders die durch Natur: "Natürliche Reize binden die Sinne und damit die Aufmerksamkeit", sagt Blasche. Das Grün und Vogelgezwitscher, der Wind und das Wahrnehmen des Tag-Nacht-Rhythmus bieten einen Kontrast, der einen abschalten lässt. Weil wir Dingen ausgesetzt sind und Widrigkeiten überwinden müssen, die anders sind als sonst. "Kleine Abenteuer sind vielleicht erst mal ein bisschen anstrengend. Aber sie bringen uns raus und schaffen eine Distanz zwischen uns und unseren Sorgen", sagt Blasche. Aus der Forschung weiß man, dass neben dem Abschalten vor allem das Meistern von Herausforderungen der Erholung dient. Sich im Gelände ohne Navi zurechtfinden. Feuer machen. Draußen kochen. Tiere und Pflanzen erkennen. "Es sind Ermächtigungserfahrungen, die den Horizont erweitern und die man wieder in den Alltag mit zurücknimmt", sagt Anja Göritz. Körperliche Aktivität gilt zusätzlich als einer der stabilsten Wirkfaktoren auf Gesundheit und Erholung. Und auch die Erdung, die bei einem Abenteuer in der Natur eintritt, tut gut: den Elementen ausgesetzt, wird man zurückgeworfen auf grundsätzliche Bedürfnisse wie Wärme, Essen, Geborgenheit. "Das relativiert die kleinen Nervereien des Alltags, sie erscheinen wie Bagatellen gegenüber dem wirklich Wichtigen", sagt Göritz. Bleibt nur ein Problem: das Losgehen. Oft ist es gerade dann, wenn ein guter Moment wäre, draußen dunkel oder kalt und drinnen sehr gemütlich. Den Fernseher anmachen geht gerade noch. Den Rucksack packen? Unmöglich. Das Gemeine ist: Je nötiger wir es hätten, desto schwieriger ist das Aufraffen. Die Selbstdisziplin ist wie ein Muskel, der ermüdet. Wer im Alltag zu oft stark sein und Versuchungen widerstehen muss, dem fehlt diese Kraft für die Freizeit. Alastair Humphreys kennt das Phänomen und empfiehlt, klein anzufangen: Einmal im Garten schlafen. Oder im Park frühstücken. Zum nächsten Fluss rennen und reinspringen. Im Winter auf dem Balkon zu Abend essen. Tu es allein. Oder mit einem Freund. In einer Nacht unter der Woche. Am Geburtstag. Oder zur Sonnenwende. Währenddessen werden Ideen kommen, für die nächsten Abenteuer.
|
Katrin Zeug
|
Müde und gestresst? Dann verlassen Sie am besten kurz Ihre Komfortzone. Zwölf Vorschläge für ein kleines Abenteuer, um dem Alltag zu entkommen
|
[
"Katrin Zeug",
"Andreas Lebert",
"Peter Wohlleben",
"Jan Lichte",
"Birgit Herden",
"Anja Göritz",
"Gerhard Blasche",
"Alastair Humphreys",
"Hella von Sinnen",
"Sahara"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2018-03-09T18:06:06+01:00
|
2018-03-09T18:06:06+01:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2018/02/gesundheit-alltag-abenteuer-arbeit-komfortzone-alastair-humphreys-entspannung-komfortzone/komplettansicht
|
ZEIT Wissen 2/2018: Hier haben wir recherchiert
|
Am Anfang drei Fragen Können wir Gegenstände so lieben wie Menschen? Dokumentation über Eija-Riita Eklöf-Berliner-Mauer: https://vimeo.com/52427622 Dr. Verena Schönbucher: http://www.praxis-sexualtherapie.ch , http://www.tagblatt.ch/ostschweiz/Das-bittere-Erwachen-von-Miss-Euregia;art120094,3181631 Ian Pearson: http://www.futurizon.com ; The Future of Sex Report (2015): http://graphics.bondara.com/Future_sex_report.pdf , Foundation for Responsible Robotics (2017): Our Sexual Future with Robots. Online verfügbar unter https://responsiblerobotics.org/2017/07/05/frr-report-our-sexual-future-with-robots/ Dr. Kathleen Richardson: http://www.dmu.ac.uk/about-dmu/academic-staff/technology/kathleen-richardson/kathleen-richardson.aspx ; Campaign against Sexrobots: https://campaignagainstsexrobots.org Abyss Creations "Harmony": https://www.theguardian.com/technology/2017/apr/27/race-to-build-world-first-sex-robot Amy Marsh (2010): Love Among the Objectum Sexuals. Online verfügbar unter http://www.ejhs.org/volume13/ObjSexuals.html Nicola Döring (2017): Vom Internetsex zum Robotersex: Forschungsstand und Herausforderungen für die Sexualwissenschaft. Z Sexualforsch 2017; 30; 35–57 Nesta FutureFest Survey (2016): Online verfügbar unter http://www.comresglobal.com/polls/nesta-futurefest-survey-2/ Szczuka&Krämer (2017): Not only the lonely – How men explicitly and implicitly evaluate the attractiveness of sex robots in comparison to the attractiveness of women, and personal characteristics influencing this evaluation. Online verfügbar unter https://doi.org/10.3390/mti1010003 Titel: Bleiben oder gehen? Der Klassiker zum Thema ist das Buch Should You Leave? des amerikanischen Psychiaters Peter Kramer. Darin illustriert er an Fallgeschichten, wie man die Entscheidung "Bleiben oder gehen?" anpacken kann. Das Buch Psychologie der Beziehung von Jens Asendorpf und anderen erklärt neben vielem anderen auch die Austauschtheorie, mit der Psychologen die Dynamik von Beziehungen beschreiben. Für die brandneue Beziehungspflege-App PAIRfect kann man sich hier anmelden. Das Paper der Psychologen Rainer Banse und Roland Imhoff über den erstaunlichen Zusammenhang der Verarbeitung einer Trennung und den expliziten/impliziten Einstellungen zum Expartner findet sich hier . Die Macht der Stimme Eine gute Einführung in Walter Sendlmeiers Forschung zur Wirkung von Stimme und Sprechweise gibt es hier. Einen recht komplexen Überblick zur Anatomie des Kehlkopfs bietet die Universität Stuttgart. Inwiefern sich die Gefühle für das Gegenüber in der Stimme niederschlagen, beschreibt unter anderem diese Studie von Susan M. Hughes und Kollegen. Weshalb Babys im Klang ihrer Muttersprache schreien und wie sich das feststellen lässt, dazu verrät die Universität Würzburg hier mehr. Über ihre Forschung zu den Zusammenhängen von ADHS und Stimme informieren die deutschen Wissenschaftler hier . Ole rüstet ab Die Website von ICAN ist www.icanw.org Eine Atombombe besteht aus wenigen Kilogramm Plutonium -239 oder Uran-235, umgeben von konventionellem Sprengstoff. Eine gute Übersicht zum Thema Abrüstungsverifikation bietet Armscontrol .org Ole Reistad wird diese neu eingerichtete UN-Abrüstungskommission beraten. Am Gefrierpunkt des Kalten Krieges besaßen die USA und die Sowjetunion, China, Frankreich und Großbritannien zusammen 64000 atomare Sprengköpfe , davon 99 Prozent im Besitz von Amerika und den Sowjets. Das war 1986. Anfang 2017 zählte das Stockholm International Peace Research Institute (Sipri) noch 3650 strategische Atombomben im Besitz der USA und Russlands. Unter dem Codenamen Letterpress trafen sich im Oktober 2017 50 Experten in Großbritannien und spielten die Zerlegung eines Sprengkopfs durch. Informationen zur Abrüstungsinitiative von Norwegen und Großbritannien findet man auf der UKNI-Website. Der Koxit Die Erklärung der Powering Past Coal Alliance gibt es hier . Das Umweltbundesamt hat im November 2017 das Positionspapier "Kohleverstromung und Klimaschutz bis 2030" veröffentlicht. Einen Überblick über Pläne verschiedener Staaten zum Kohleausstieg gibt dieses Papier . Den britischen Kohleausstieg untersucht Iain Staffell vom Imperial College London in "Measuring the progress and impacts of decarbonising British electricity" (2017). Smart Home - wird das noch was? Einen guten Überblick über die historische Entwicklung vom elektronisch aufgepeppten bis zum vernetzten Heim gibt Paul Atkinson in " At the Push of a Button ". Die Unternehmensberatung NNcKinsey macht eine Bestandsaufnahme zum aktuellen Stand der Entwicklung: " There’s NO Place Like [a connected] Home ". Eine Analyse der "Benefits and risks of smart home technologies" haben Charlie Wilson, Tom Hargreaves und Richard Hauxwell-Baldwin 2017 im Journal Energy Policy veröffentlicht. Wann kommt der Arzt? Auf 217 Deutsche gibt es statistisch gesehen einen berufstätigen Arzt. In Berlin soll ein Rettungswagen in 75 Prozent der Fälle nach acht Minuten vor Ort sein. Hessen schreibt eine Hilfsfrist von zehn Minuten für 90 Prozent aller Fälle vor. Thüringen erlaubt in dünn besiedelten Gebieten 17 Minuten für 95 Prozent der Fälle. Im Jahr 2000 gab es in Deutschland 2240 Kliniken , 16 Jahre später waren es 300 weniger – trotz steigender Fallzahlen. In Hessen wird jetzt das Konzept Tele-Notarzt erprobt. 21 Mio suchen jährlich eine Notaufnahme in einem Krankenhaus auf. Die Hälfte von ihnen bekommt eine ambulante Behandlung, für die eigentlich ein niedergelassener Arzt zuständig ist. Krankenhäuser beklagen sich , dass die Notaufnahmen überlastet sind. 7,1 Mio Mal im Jahr rückt der Rettungswagen aus , jedes zweite Mal ist ein Notarzt dabei. Knapp 200.000 Ärzte arbeiten in Krankenhäusern, 150.000 in einer Praxis. Die Zahl der Ärzte steigt, aber ebenso steigen die Lebenserwartung der Deutschen und auch die Zahl der Behandlungen. Die Bundesärztekammer jedenfalls warnt vor "großen Lücken" in der ärztlichen Versorgung und wünscht sich mehr Medizinstudenten. Ein interessantes Eckpunktepapier zur Notfallversorgung der Bevölkerung ist 2016 hier erschienen. Die Zahl der Notfalleinsätze 2013 .
|
ZEIT Wissen
|
Mit welchen Experten wir gesprochen, welche Internetseiten wir besucht, welche Studien wir benutzt haben, lesen Sie hier.
|
[
"Amy Marsh",
"Nicola Döring",
"Peter Kramer",
"Jens Asendorpf",
"Rainer Banse",
"Roland Imhoff",
"Ole Reistad",
"Ian Pearson",
"Richardson",
"USA"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2018-02-22T14:49:40+01:00
|
2018-02-22T14:49:40+01:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2018/02/quellen
|
ZEIT Wissen 3/2018: Hier haben wir recherchiert
|
Titel: Das Geheimnis der guten Ausstrahlung? Der Redenschreiber Thilo von Throta sagt, die Inaugurationsrede von Donald Trump sei technisch sehr gut gewesen. Lesen Sie die komplette Rede mit ausführlichen Kommentaren der NPR-Politik-Redakteure hier . Eine gute Analyse zum Charisma-Begriff in der deutschen Politik liefert Julia Encke in ihrem Buch "Charisma und Politik" Die Porträtfotografin Herlinde Koelbl hat in einer Langzeitstudie "Die Spuren der Macht" deutscher Politiker verfolgt und sie in Fotos und Interviews dokumentiert. In ihrer Dissertation "Charismania: Charisma als "Doping" für Persönlichkeit und Karriere?" hat die Psychologin Eva B. Müller Charisma-Ratgeber miteinander verglichen Wenn Charismatiker moderne Helden sind, sollte man lesen, was der amerikanische Mythenforscher Joseph Campbell zur Formel der Heldenreise zu sagen hatte, eine Formel wie sie Hollywoodfilme oder die berühmten Ted Konferenzen, ein Spielplatz für Raketenbauer und Nobelpreisträger, nutzen. 1988 strahlte der Sender PBS sechs Gespräche mit Joseph Campbell unter dem Titel "The Power of Myth" aus, bis heute zählt die Sendung zu den erfolgreichsten Serien überhaupt in der Geschichte des öffentlichen amerikanischen Fernsehen Neuer Mensch oder arme Sau? Myostatin ist ein Gen, dass das Muskelwachstum kontrolliert, und die Flüssigkeit, die Rich Lee sich in beide Oberarm injiziert hat, soll dieses Gen ausschalten. Biomediziner haben das erfolgreich an Embryos von Mäusen, Hunden , Kaninchen, Ziegen, Schweinen und Rindern ausprobiert. Die britische Sun titelte , Rich Lee wolle seinen Penis in einen batteriebetriebenen Vibrator umbauen. Der Philosoph Nick Bostrom von der Oxford University gründete den Dachverband der Szene, die World Transhumanist Association . In der Pflanzenzüchtung ist Crispr inzwischen weit verbreitet, doch mit Versuchen an Menschen sind die Forscher zurückhaltend. China hat 2015 die ersten Studien an wenigen Krebspatienten begonnen, die USA starten in diesen Wochen . Das Telefongespräch von Josiah Zayner und der FDA ist auf Zayners Youtube-Kanal nachzuhören. Eine Bund-Länder-Arbeitsgemeinschaft warnt : "Wer Do-it-Yourself-Kits bestellt und außerhalb gentechnischer Anlagen entsprechend anwendet, riskiert eine Geldbuße bis zu fünfzigtausend Euro." Der Transhumanismus habe eine religiöse Dimension, schreibt der Philosoph Stefan Lorenz Sorgner . Er gebe dem Leben wissenschaftsaffiner Menschen einen Sinn: "Ich möchte der Vorfahre des Posthuman sein". Über den Eklat auf der Bodyhacking Konferenz sowie das dubiose Biohacker-Startup berichtete Gizmodo in diesem Artikel. Hier nimmt die ZBSK Stellung zu den Crispr Kits von The Odin. Im Crispr Kit gibt es den E.coli Stamm HME63 . Das Bundesamt für Verbraucherschutz stuft ihn in Risikogruppe 1 (von 3) ein. Richard Lee startet am 10.11.2016 einen Spendenaufruf . Er braucht Geld für seinen Anwalt. Hier schreibt Josiah Zayner über seinen Crispr-Selbstversuch. Auf Facebook lässt Josiah seine Story in 4 Teilen Revue passieren . An die Kette gelegt Das Fraunhofer-White-Paper "Blockchain: Grundlagen, Anwendungen und Potenziale" bietet einen guten Einstieg in das Thema. Wer es genauer wissen will, gerade auch technisch, dem sei "Bitcoin and Cryptocurrency Technologies. A Comprehensive Introduction" von Arvind Narayanan u.a. (2017) empfohlen. In dem aktuellen Fraunhofer-Report "Blockchain und Smart Contracts" (November 2017) wird das Konzept der Smart Contracts erläutert. Alex de Vries geht auf seiner Seite "Digicono m ist" dem Problem des Energieverbrauchs der Bitcoin-Blockchain nach. Einen interessanten tabellarischen Vergleich der wichtigsten Eigenschaften von Bitcoin und Ethereum listet Solomon Lederer in seinem Blockmatics-Blog auf Medium.com auf. Die Zumutung: Geo-Engineering Die Deutsche Forschungsgemeinschaft unterstützt hierzulande 18 Universitäten und Institute mit insgesamt 10 Millionen Euro, um Geoengineering zu erforschen. David Keith leitet an der Harvard University ein Forschungsprogramm zum "Sonnenstrahlungs-Management ". "Sowohl für das 2-Grad-Ziel als auch für das 1,5-Grad-Ziel müssen ziemlich sicher Technologien für negative Emissionen eingesetzt werden," schreiben die Klimaforscher Johan Rockström und Hans Joachim Schellnhuber in dieser Analyse des Paris-Abkommens . Mit Direct Air Capture (DAC) lässt sich Kohlendioxid direkt aus der Luft fangen. Anschließend müsste man das Kohlendioxid in unterirdischen Gesteinsschichten speichern oder mit Wasserstoff zu synthetischem Benzin recyceln . Die Technik steht noch am Anfang, und die Kosten pro Tonne aufgefangenem CO2 betragen stolze 200 bis 1000 Dollar . Lena Boysen vom Max-Planck-Institut für Meteorologie hat ausgerechnet, wie viel Land man bräuchte, um mithilfe von BECCS das 2-Grad-Ziel einzuhalten: Die in Paris zugesicherten CO2-Einsparungen der Staatengemeinschaft vorausgesetzt, müsste auf einem Viertel aller derzeit genutzten Ackerflächen Energiepflanzen angebaut werden. Innerhalb von 10 bis 20 Jahren ließe sich die Welt durch Solar Radiation Management wieder auf vorindustrielles Niveau abkühlen, schätzt der Weltklimarat in seinem jüngsten Bericht . Simulationen vom Max Planck-Institut für Meteorologie zeigen die Nachteile von Solar Radiation Management. Das Übereinkommen zur Verhütung der Meeresverschmutzung verbietet neuerdings die Ozeandüngung . Claudias Horrorfilm In diesem New York Times-Artikel schreibt der Politikprofessor Howard Ball über die Tests in Nevada. Sein Fazit: Die Atomic Energy Commission wusste sehr genau, dass der Fallout gefährlich ist. In der Fachzeitschrift Health Phys ist diese medizinische Analyse der Fallout-Schäden auf den Marshall Inseln erschienen. Liste der Atomwaffentests der USA Der Radiation Exposure Compensation Act entschädigt einen Teil der Bevölkerung östlich des Atomwaffentestgebiets von Nevada, wenn die Menschen an bestimmten Krebsarten erkrankt sind. Informationen der NGO Healutah.org über Downwinder . Die Universität Utah sammelt Videointerviews mit Downwindern. Spring! In Japan gilt Waldbaden als Medizin Alles über den Wald in Deutschland steht in der dritten Bundeswaldinventur. Der japanische Forscher Qing Li weist in seinen Arbeiten nach, dass Waldbaden , also schon ein kurzer entspannter Spaziergang durch den Wald, einen Einfluss auf unsere Gesundheit hat. Li forscht an der Nippon Medical School Vor allem japanische und koreanische Studienergebnisse weisen nach, dass ein Aufenthalt im Wald einen Einfluss auf die Gesundheit hat. Japanische Forscher haben gerade erst erneut die positive Wirkung von Naturmotiven nachgewiesen. Forscher haben für eine Metaanalyse 127 Studien aus den Jahren 2007 bis 2017 untersucht. Sie stützen die Biophilia-Hypothese, stellen aber fest, dass die Langzeitwirkung des Waldbadens noch nicht ausreichend belegt sei. Der emeritierte Marburger Soziologe Rainer Brämer hat ein umfangreiches Forschungsarchiv für das Verhältnis von Mensch und Natur erstellt. Dass die Präsenz von Pflanzen Auswirkungen auf Gemütszustand, Stresslevel, Selbstwahrnehmung und die Konzentrationsfähigkeit hat, zeigt ein Überblick hinsichtlich der Interaktion zwischen Mensch und Pflanze von McLain et al. Wie wichtig Gärten , Parks, naturbasierte Therapien und ein grünes Umfeld vor allem für Stadtbewohner und ältere Menschen sind, hat Ulrika K. Stigsdottar in mehreren Studien untersucht. Bereits 1984 sorgte der schwedische Forscher Roger Ulrich mit einer Studie für Aufsehen, der zufolge Patienten schneller gesund werden, wenn sie ins Grüne schauen . Angela Schuh vom Lehrstuhl für Public Health und Versorgungsforschung an der Ludwig-Maximilians-Universität in München hat im Auftrag des Bäderverbandes Mecklenburg-Vorpommern aktuelle Studien zur Waldtherapie ausgewertet. Bad Iburg hat das Waldbaden in das Veranstaltungsprogramm der diesjährigen niedersächsischen Landesgartenschau genommen.
|
ZEIT Wissen
|
Mit welchen Experten wir gesprochen, welche Internetseiten wir besucht, welche Studien wir benutzt haben, lesen Sie hier.
|
[
""
] |
zeitwissen
|
Article
|
2018-04-16T15:53:21+02:00
|
2018-04-16T15:53:21+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2018/03/quellen
|
ZEIT Wissen 4/2018: Hier haben wir recherchiert
|
Serie, Teil 2: Das Geheimnis der guten Ausstrahlung? Der Soziologe Ulrich Rosar beweist in seiner Studie Schöner wählen oder Schönheit wählen ? den Zusammenhang von Attraktivität und Wahlerfolg. Die Philosophin Lisa Schmalzried erforscht das Phänomen menschlicher Schönheit und Ausstrahlung. In der Sternstunde Philosophie diskutiert sie mit der Schönheitschirurgin Eva Neuenschwander über das Thema. Der Evolutionsbiologe Satoshi Kanazawa von der London School of Economics zeigte in seiner Studie, dass Intelligenz ebenso stark mit physischer Attraktivität korreliere wie mit Bildung. Seine Studie Why Beautiful People Are More Intelligent finden Sie auf ResearchGate. Körpersprache hat einen Einfluss darauf, wer du bist, sagt die US-amerikanische Sozialpsychologin Amy Cuddy in ihrem berühmten TED Vortrag. Ein rücksichtsloser Politiker wird vor nichts Halt machen, um Washington D. C. zu erobern, so zeigt es die Polit-Serie House of Cards – an dieser lässt sich auch beispielhaft beobachten wie dafür gezielt Stil und Kleidung eingesetzt werden. Gesund im Urlaub Prof. Dr. Thomas Holstein von der Universität Heidelberg hat entschlüsselt, wie sich Quallen verteidigen . Forscher haben untersucht, was nach einem Quallenstich am besten hilft: die Wunde mit Essig oder Salzwasser ausspülen und ein Wärmekissen oder heißes Wasser darauf geben. Ob der Inhaltsstoff DEET in Mückensprays gesundheitsschädlich sind, haben Forscher in dieser Studie untersucht . Für Reisende in Malaria-Gebieten hat die Deutsche Gesellschaft für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit (DTG) Informationen und Tipps zusammengestellt. Viele Urlauber sind unzureichend geimpft, haben Forscher in einer Befragung an Flughäfen herausgefunden . Wenn eine Erkältung im Anflug ist, greifen manche zu Alkohol. Tatsächlich können zwei Gläser Bier oder Wein Schmerzen lindern. Das belegt eine Studie . Andere Untersuchungen zeigen jedoch , dass zu viel Alkohol das Immunsystem schwächt. Die Scharfstoffe in Chili, Ingwer und Wasabi können das Wachstum von Bakterien hemmen – in hohen Konzentrationen und unter Laborbedingungen. Der 10-Meter-Turm Die New York Times zeigt den großartigen Dokumentarfilm über Menschen auf dem 10-Meter-Turm . Die Studie von Surjo Soekadar und Lüder Deecke zum Bereitschaftspotential und Bungee-Jumping ist hier nachzulesen . Weiterführende Links zum Thema Willensfreiheit und Bereitschaftspotential findet man in diesem Blog. Extrovertierte Menschen haben eine höhere Risikobereitschaft, zeigte eine Studie der Forschungsgruppe von Ralph Hertwig vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung mit 1.500 jungen Männern und Frauen. Jürgen Hennig von der Universität Gießen hat die Endorphinausschüttung beim Bungee Jumping in dieser Studie gemessen . Psychologen haben untersucht, ob Springer besonders sensationslustig sind . Warum suchen Menschen freiwillig das Risiko? Eine Analyse von australischen Psychologinnen . Unterschiede im Risikoverhalten von Männern und Frauen hat diese Metastudie untersucht. Der Mann-Frau-Unterschied "ist wenig erforscht" sagt Martin Keck, Klinikdirektor des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie, "es gibt sinnvollere Kategorien." Nämlich: Novelty Seeker (auch: Risiko-Sucher) und Risiko-Vermeider. Jugendliche sind riskofreudiger. Sie ignorieren bewusst Informationen, zeigt diese Studie vom MPI für Bildungsforschung. Sie wollen sich ausprobieren. Der will nicht nur spielen Eine kompakte, lesenswerte Einführung in Geschichte und Stand der Künstliche-Intelligenz-Forschung bietet das kürzlich erschienene Buch von Thomas Ramge: "Mensch und Maschine. Wie Künstliche Intelligenz und Roboter unser Leben verändern" (Reclam, 2018). Darin steht alles, was Sie derzeit über das Gebiet wissen müssen. John Brockman, Kurator des Online-Salon edge.org für aktuelle Debatten der Forschung, hat 175 renommierten Experten unter anderem aus KI-Forschung, Psychologie und Hirnforschung die Frage gestellt: "Was sollen wir von künstlicher Intelligenz halten?" (S. Fischer, 2017). Die Kurzessays geben einen guten Überblick über die derzeitige Debatte und präsentieren pessimistische und optimistische Einschätzungen gleichermaßen. Hier noch zwei wissenschaftliche Veröffentlichungen: Einen detaillierten Überblick über kognitive Architekturen und ihre Probleme gibt das Paper "The Role of Cognitive Architectures in General Artificial Intelligence" von Antonio Lieto, Christian Lebiere und Alessandro Oltamar (2017). Das Paper von Sepp Hochreiter und Jürgen Schmidbauer über das Konzept der Long Short Term Memory" von 1997, das das Tiefe Lernen maßgeblich voranbrachte, finden Sie hier . Was der Gang verrät Unser Gang kann mit darüber entscheiden, ob wir als Opfer für einen Überfall ausgewählt werden. Das fanden die Psychologen Betty Grayson und Morris Stein 1981 in einer Studie heraus. Können Insassen eines Hochsicherheitsgefängnisses am Gang anderer erkennen, ob sie bereits zum Opfer geworden sind? Eine Studie von kanadischen und amerikanischen Forschern. Der Psychologe Prof. Dr. Johannes Michalak von der Universität Witten/Herdecke hat untersucht, ob unser Gangstil mit beeinflusst, welche Informationen wir uns merken. Das Ergebnis: Gehen wir gebeugt, merken wir uns auch eher negative Informationen. Sagt unsere Gehgeschwindigkeit etwas über unseren Charakter aus? In einer Langzeitstudie sind amerikanische und französische Forscher dieser Frage nachgegangen. Die Zumutung: Die Welt bekommt ein neues Koordinatensystem Das bisherige internationale Einheitensystem (SI) wird in dieser Broschüre der PTB erklärt. Zwischen 1950 und 1990 hat das Urkilogramm 50 Mikrogramm verloren , zeigen Vergleichsmessungen. Im November 2018 wird die Internationale Konferenz für Maß und Gewicht in Versaille zusammenkommen und das ganze Einheitensystem radikal umkrempeln. Die Anträge für die Sitzung sind in diesem Dokument zusammengefasst. Im Jahr 1971 wurde das Mol nach einer langen Debatte zwischen Physikern und Chemikern in den Rang einer Basiseinheit aufgenommen. Die Makel des internationalen Einheitensystems werden in diesem Artikel der PTB erwähnt. Die Neudefinition des Kilogramms wird in diesem Artikel beschrieben. Wieviele Konstanten braucht man für ein konsistentes Maßeinheitensystem? Die Zeitschrift Nature fasst die Debatte zusammen. Bücher Wir danken der Lindauer Nobelpreisträgertagung für Unterstützung bei unserer Rubrik "Das lesen Nobelpreisträger".
|
ZEIT Wissen
|
Mit welchen Experten wir gesprochen, welche Internetseiten wir besucht, welche Studien wir benutzt haben, lesen Sie hier.
|
[
"Donald Trump",
"Julia Encke",
"Herlinde Koelbl",
"Eva B. Müller",
"Joseph Campbell",
"Rich Lee",
"Nick Bostrom",
"E. Coli",
"China",
"USA"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2018-06-11T18:30:03+02:00
|
2018-06-11T18:30:03+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2018/04/quellen
|
ZEIT Wissen 5/2018: Hier haben wir recherchiert
|
Titel: Ich sehe das anders! Wer Immanuel Kant im Original lesen möchte, dem sei von seinen monumentalen drei Vernunftkritiken eher abgeraten. Besser zugänglich ist zum Beispiel seine "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" (Suhrkamp Studienbibliothek, 2007) Eine besonders gute Einführung in Kants Denken gibt Volker Gerhardt in seinem Reclam-Band "Immanuel Kant: Vernunft und Leben" (2002). Wunderbar, einsichtsvoll und skurril ist das Gespräch, das der englische Philosoph Bryan Magee in den 1980er Jahren im BBC-Fernsehen mit Geoffrey Warnock über Kant führte. Serie, Teil 3: Das Geheimnis der guten Ausstrahlung Prof. Dr. Oliver Niebuhr untersucht akustisches Charisma. Zum Beispiel bei Steve Jobs: Warum war der frühere Apple-CEO ein so charismatischer Sprecher? Weil Steve Jobs selbst im Vergleich zu anderen visionären Unternehmern wie Mark Zuckerberg gefühlt stets besser beurteilt wurde, wollte Niebuhr eine Formel finden, um seine Art zu sprechen, objektiv beurteilen, messen und in Rhetoriktrainings anwenden zu können. Hier erklärt Niebuhr im Video wie man charismatisch redet – und warum Charisma wichtig für jede Alltagskommunikation ist Die Welle – Gefangener Wind Andrea Gentile hat 2015 das charmante und leicht verständliche Buch "Wie kommt der Sand an den Strand. Wissenschaft unter dem Sonnenschirm" geschrieben, erschienen ist es bei Atlantik. Kapitel 1 beschäftigt sich mit den Wellen. Der in Südengland lebende Autor und "Naturexperte" Tristan Gooley gibt den wohl besten populär verfassten Überblick über Wellen. Sein Buch "Die geheimen Zeichen des Wassers", 2018 im Riva Verlag erschienen, ist ein perfektes Buch für alle, die gern in der Natur sind und sie verstehen möchten. Gooley findet einfache Definitionen, gute Erklärungen und anschauliche Beschreibungen, von denen wir einige im Artikel zitieren. Lesenswert ist übrigens auch sein Buch "Der innere Kompass". Viele Details über die Gezeiten erfährt man in Hugh Aldersey-Williams 2017 auf Deutsch erschienenem Buch "Flut. Das wilde Leben der Gezeiten" (Hanser) – mit verständlichen Erklärungen und Berechnungen der Maßeinheit Sverdrup. Der Biophysiker Olaf Fritsche hat in seinem Buch "Gibt es Geisterschiffe wirklich?" ein Kapitel den Monsterwellen gewidmet. (Rowohlt 2018) Großartige Fotos zeigt der vergriffene Band "Wellen. Faszinierende Schauspiele der Ozeane", hrsg. v. Pierre Nouqueret, erschienen im Delius Klasing Verlag, Bielefeld 2006. Das "mare"-Heft Nr. 3 mit dem Titelthema "Welle" von 1998 ist ebenfalls vergriffen und nicht mehr lieferbar. Wir danken dem mare Verlag , der uns ein PDF der Ausgabe zur Verfügung gestellt hat. Letzter Ausweg Die Studie von David Pöppel zum "rauen Ton" von Neugeborenen kann man hier kostenfrei herunterladen Farbe spielt bei Notausgängen eine wichtige Rolle. Der deutsche Wissenschaftler Karl Gegenfurtner forscht dazu seit Jahren. Auf der Universitäts-Homepage gibt es einen kleinen Überblick. Spannend im Zusammenhang mit Farbwahrnehmung ist außerdem dieser Klassiker: Die Insel der Farbenblinden von Oliver Sacks, erschienen ist die deutsche Ausgabe bei Rowohlt (1998). Über Dirk Helbings Arbeit in Mekka hat ZEIT WISSEN 2007 berichtet. Wer sich für Virtuelle Realität in der Notausgangsforschung interessiert, sollte sich die Arbeit von Max Kinateder vom Dartmouth College genauer anschauen. Er hat zahlreiche Studien zu dem Thema durchgeführt. Einige von ihnen lassen sich auf der Universitäts-Homepage herunterladen Einen kurzweiligen Einblick in das Thema Schwarmverhalten gibt der Ted-Talk des Verhaltensbiologen Jens Krause auf YouTube . Häuser für alle Allen, die sich mit dem Thema gründlicher auseinandersetzen wollen, sei das Buch "Bezahlbar.Gut. Wohnen. Strategien für erschwinglichen Wohnraum" von Klaus Dörner, Hans Drexler und Joachim Schultz-Granberg (Hrsg.) ans Herz gelegt. Erschienen 2016 im Jovis Verlag, bietet es gründliche Analyse, erhellende Statistiken und mehr noch, viele Best-Practice-Beispiele aus Europa. Ein Plädoyer für eine Neue Wohnungsgemeinnützigkeit haben Jan Kuhnert und Olof Leps 2017 im Springer Verlag veröffentlicht. Es basiert auf einer Studie von Kuhnert und Leps zu dem Thema für die Bundestagsfraktion der Grünen 2015. Das Deutsche Institut für Urbanistik hat 2017 eine "Bodenpolitische Agenda 2020 - 2030" vorgelegt. Darin geht es vor allem um die Frage, wie überhaupt wieder ausreichend und günstig Bauland zur Verfügung gestellt werden kann. Eine Bestandsaufnahme zum Sozialen Wohnungsbau in Deutschland hat das Pestel Institut zuletzt 2015 im Auftrag des Verbändebündnisses Sozialer Wohnungsbau veröffentlicht. Ein guter Reader mit vielen aktuellen Beiträgen zum Thema Wohnen, Immobilienmarkt und Stadtentwicklung ist "Wohnraum für alle?! Perspektiven auf Planung, Politik und Architektur" , herausgegeben von Barbara Schöning, Justin Kadi und Sebastian Schipper im Transcript-Verlag in der Reihe Urban Studies (2017). Die Zumutung: Liebe ich einen Narzissten? Die Psychologin Bärbel Wardetzki hat vor Jahren mit ihrer Doktorarbeit das Grundlagenwerk zum "weiblichen Narzissmus" verfasst. Als Therapeutin ist sie in ihrer Münchner Praxis seitdem häufiger mit typischen narzisstischen Beziehungsdynamiken konfrontiert und wurde so schnell auch zur Spezialistin für die "eitle Liebe", die narzisstische Paarbeziehung. In dem hochspannendem Vortrag "Wo die Liebe fehlt" beschreibt Wardetzki Faszination und Abgründe, ja auch die Bösartigkeiten eitler Lieben und zeigt, unter welchen Bedingungen die Liebe zu narzisstisch strukturierten Menschen vielleicht doch eine Chance hat. Sie beschreibt Narzissmus als die Schattenseite der Liebe, hält aber Ko-Evolution unter bestimmten Bedingungen für möglich. Gleichwohl: In Wardetzkis sehr lebensnahem neusten Buch, "Und das soll Liebe sein?", gemeinsam geschrieben mit einer Patientin, klingt das alles sehr viel skeptischer . Das Buch ist der Fallbericht der Patientin Sonja samt Lebensgeschichte, die sich aus der Beziehung zu einem Narzissten löste und dies wie eine Befreiung als Weg zu mehr Lebensfreude und seelischer Gesundheit beschreibt. Das Buch über männlichen Narzissmus ist übrigens auch geschrieben: Der Psychiater Raphael Bonelli hat es verfasst. Auf Youtube kann man Psychiater Bonelli recht kurzweilig über Narzissmus und Liebe sprechen hören. Sein 2018 erscheinendes Buch wird sich ebenfalls die narzisstische Partnerschaft vorknüpfen. Gefiederte Freude Ein sehr lehrreiches und kluges Buch, das gute Grundlagen über Vögel und das (wissenschaftliche) Beobachten vermittelt, ist "Ornis" von Josef Reichholf , einem der bekanntesten Ornithologen und Zoologen des Landes. Manche Kommentare, etwa jene über Menschen in den Ländern des Mittelmeeres, die Jagd auf Vögel machen, muss man allerdings ignorieren. Sehr persönliche Geschichten über die Lust, die es macht, Vögel zuzuhören und sie zu beobachten, stehen in "Federlesen" von Johanna Romberg. Das Buch ist wunderbar geschrieben und eignet sich gut für den Einstieg in das neue Hobby. Uwe Westphal ist für seine Fähigkeit bekannt, Vogelstimmen zu imitieren. Vor ein paar Jahren veröffentlichte er mit Günther Helm ein Buch über Tiere in der Großstadt. "Wilde Hambuger" zeigt, wie viel Natur es selbst in Metropolen geht und regt damit an, auch im Alltag die Augen offen zu halten. Schon ein bisschen älter, trotzdem sehr spannend. Der Bestsellerautor Jonathan Franzen kam erst spät zu den Vögel, dafür aber mit umso mehr Begeisterung. In der amerikanischen Ausgabe von National Geographic beschreibt er "Why Birds Matter" . Das Magazin widmet sich das ganze Jahr über den Vögel, auch die Texte der anderen Ausgaben lohnen sich sehr. Es gibt sehr viele Bestimmungsbücher für Vögel, die beiden besten sind der Kosmos Vogelführer von Lars Svensson, Killian Mullarney und Dan Zetterström , der auch für diese Recherche benutzt wurde und "Die Vögel Europas und des Mittelmeerraumes" von Lars Jonsson. Bücher Wir danken der Lindauer Nobelpreisträgertagung für Unterstützung bei unserer Rubrik "Das lesen Nobelpreisträger".
|
ZEIT Wissen
|
Mit welchen Experten wir gesprochen, welche Internetseiten wir besucht, welche Studien wir benutzt haben, lesen Sie hier.
|
[
"Immanuel Kant",
"Volker Gerhardt",
"Bryan Magee",
"Geoffrey Warnock",
"Oliver Niebuhr",
"Steve Jobs",
"Mark Zuckerberg",
"Andrea Gentile",
"Tristan Gooley",
"Olaf Fritsche"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2018-08-13T15:35:29+02:00
|
2018-08-13T15:35:29+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2018/05/quellen
|
ZEIT Wissen 6/2018: Hier haben wir recherchiert
|
Stimmt so! Eine höchst erstaunliche Kulturgeschichte des Trinkgelds hat Winfried Speitkamp 2007 veröffentlicht: "Der Rest ist für Sie!" (Reclam Verlag). Danach werden Sie das Trinkgeld mit anderen Augen betrachten, das ging dem Autor des Artikels ebenso. In Deutschland gibt es in den letzten Jahrzehnten kaum Forschung zum Thema. Umso mehr jedoch in den USA. Michael Lynn, einer der führenden Trinkgeld-Forscher in den USA, betreibt die Seite t ippingresearch.com , auf der etliche Paper verlinkt sind. Die Erlebnisse mit seinem trinkgeldlosen Restaurant The Linkery in San Diego hat Inhaber Jay Porter in seinem Blog aufgeschrieben. Einen kurzen und interessanten TED-Vortrag zu Sinn und Unsinn von Trinkgeld hat Bruce McAdam 2012 gehalten: "Rethinking Tipping" (auf Youtube) . Die letzte Meile Die Hälfte der Zustellkosten entfällt auf die letzte Meile, schätzt Hermes . Die Bundesregierung subventioniert gewerbliche Schwerlasträder mit bis zu 2500 Euro . In diesem Jahr werden in Deutschland 3,5 Milliarden Sendungen transportiert, schätzt der Branchenverband Paket & Express Logistik. Die Unternehmensberatung pwc hat eine Umfrage zur Logistik auf der letzten Meile veröffentlicht. Methodische Schwäche: die Teilnehmer der Umfrage werden nicht nach Stadt- und Landbewohnern unterschieden. DHL und Hermes halten am Endkundengeschäft zusammen einen Anteil von etwa 90 Prozent . Transportroboter könnten hierzulande nach Schätzung des Fraunhofer-Instituts für Logistik immerhin 400 Millionen Paketlieferungen pro Jahr bewältigen, zehnmal mehr als Drohnen. Einer von 100.000 Marathonteilnehmern stirbt an Herzversagen, und auf der letzten Meile verzeichnet die Statistik knapp die Hälfte dieser Todesfälle . Im japanischen Yokohama müssen alle Sendungen für das Einkaufsviertel Motomachi an einen zentralen Umschlagplatz gebracht werden. Von dort werden sie durch einen kooperativ finanzierten Dienstleister und mit erdgasbetankten Transportern an 500 Geschäfte und 850 Privatkunden verteilt, bis zu 1200 Sendungen täglich. Die Stadt stellt Lieferzonen bereit. Der Zustellverkehr reduzierte sich um 70 Prozent. Einen guten Überblick über die Logistikbranche hat Horst Manner-Romberg . Von ihm stammt u.a. diese Präsentation über die letzte Meile. Seit 2013 setzt das Land konsequent auf die schnellste aller Übertragungstechniken: Glasfaser bis ins Haus. Ein Drittel der Haushalte in Schleswig-Holstein kann heute schon einen Glasfaser-Anschluss nutzen, bis 2020 soll es die Hälfte sein . Vielleicht schafft Deutschland mithilfe von Kupferkabeln und Vectoring-Technik flächendeckend 30 Mbit pro Sekunde bis 2020, schätzt der Europäische Rechnungshof in einem Sonderbericht zum Breitbandausbau. Aber: "Die Technologie hat ihre Grenzen. Je mehr Nutzer verbunden sind, desto geringer ist die Geschwindigkeit". So kommt ein Laptop von China nach Rotterdam . Deutschland fällt zurück wegen der Kupfertechnologie , schreibt netzpolitik.org. Kleine Anfrage der Grünen über Breitbandausbau. "Gerade mal zwei vollständig umgesetzte Ausbauvorhaben und im bundesweiten Schnitt weniger als ein Prozent ausgeschütteter Fördermittel für bewilligte Projekte lautet die Bilanz des Dobrindt-Programms." ( Quelle ) Serie, Teil 2: Die großen Denkschulen Für eine Annäherung an Sokrates’ Denken zu empfehlen: Platons "Apologie", neu übersetzt und kommentiert von Rafael Ferber, erschienen im Beck-Verlag. Ein zeitlos altmodisches Gespräch über Sokrates und Platon zwischen den englischen Philosophen Bryan Magee und Miles Burnyeat. Sokrates als Opernfigur, systematisch untersucht von Klaus Döring Himmel noch mal, diese Buchstaben! Die Geschichte der Erfindung der Buchstaben hat die Ägyptologin Orly Goldwasser in diesem Artikel sehr anschaulich beschrieben: " How the Alphabet Was Born from Hieroglyphs " Unter Leitung des Jugendpsychiaters Gerd Schulte-Körne und in Beteiligung mehrerer Fachverbände entstand diese Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit einer Lese-Rechtschreibstörung . Schon das Wort "Störung" findet die Pädagogikprofessorin Renate Valtin falsch, wie auch das Etikett Legasthenie. In dieser Stellungnahme zu der Frage "Brauchen wir Legasthenie?" beschreibt sie, dass Kinder sich durch eine Diagnose oft nicht erleichtert fühlten, sondern machtlos. Die Zumutung Seit 2010 hat der IceCube-Detektor mehr als 100 Neutrinos nachgewiesen . Elf Stunden nach der Ankunft der Gravitationswelle entdeckt das erste optische Teleskop von Chile aus ein starkes Lichtsignal aus der Galaxie. Dutzende andere ziehen nach, auch das Hubble-Weltraumteleskop wird fündig. Sie messen ein blau-ultraviolettes Aufleuchten, das im Laufe mehrerer Tage ins Infrarote wechselt. Die Analyse wird am 16. Oktober auf 59 Seiten publiziert, davon allein 24 Seiten für die Namen der Autoren und ihrer Institute. Neutronensterne sind unvorstellbar dicht und kompakt: so klein wie München, und zugleich schwerer als unsere Sonne . Ein Esslöffel Neutronenstern wiegt ungefähr so viel wie alle Autos der Erde . Wie verschmelzende Neutronensterne die schweren Elemente hervorbringen, wird in diesem Fachartikel beschrieben. IceCube: Physiker haben mit heißem Wasser 86 Löcher ins Eis gebohrt und 5000 Lichtsensoren versenkt , 1,5 bis 2,5 Kilometern tief . Die Europäische Raumfahrtagentur will im Jahr 2034 einen Gravitationswellendetektor in den Orbit schießen . Die Entdeckung des hochenergetischen Neutrinos durch IceCube zusammen mit Licht von TXS 0506+056 wird hier beschrieben . Gold und Gift Wie Schrott in der Stahlproduktion Klima und Ressourcen schont, erklärt die Fraunhofer UMSICHT-Studie zur Zukunft des Stahlschrotts. In der EU wurde 2017 mehr als die Hälfte des Rohstahls aus Schrott produziert, meldet der Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung e.V. Warum das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz das effiziente Sammeln von Sekundärrohstoffen behindert, zeigt eine Studie im Auftrag des Bundesverbandes für Sekundärrohstoffe und Entsorgung (bvse) Seit 2016 wird in Deutschland wieder mehr Schrott in der Stahlproduktion eingesetzt und der Stahlpreis steigt: die Stahlkrise ist vorbei, das belegt der Stahlschrottverband mit Zahlen. Die unerträgliche Leichtigkeit des Reisens Eine äußerst inspirierende Lektüre zum Phänomen des Tourismus, seiner Geschichte und seiner Bedeutung im Kapitalismus ist "Die Welt im Selfie" von Marco D’Eramo, das Suhrkamp im Frühjahr 2018 veröffentlicht hat. Wichtige Studien und Statistiken zum gegenwärtigen Tourismus sind: - "Coping with Success. Managing Overcrowding in Tourism Destinations" von McKinsey (2017) - "Tourism, Culture and Sustainable Development" der Unesco (2006) "Global Destinations Cities Index" von Mastercard, in den Ausgaben von 2016 , 2017 und, Ende September erschienen, 2018 . Die Arte-TV-Doku "Tourist, go home! Sehnsuchtsorte in Gefahr" (52 Min., 2017) über den Städtetourismus-Wahsninn in Barcelona, Venedig und Dubrovnik gibt es hier zu sehen. Bücher Wir danken der Lindauer Nobelpreisträgertagung für Unterstützung bei unserer Rubrik "Das lesen Nobelpreisträger".
|
ZEIT Wissen
|
Mit welchen Experten wir gesprochen, welche Internetseiten wir besucht, welche Studien wir benutzt haben, lesen Sie hier.
|
[
"Michael Lynn",
"Jay Porter",
"Bruce Mcadam",
"Winfried Speitkamp",
"Platon",
"Sokrates",
"Deutschland",
"USA",
"San Diego",
"Yokohama"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2018-10-16T08:25:22+02:00
|
2018-10-16T08:25:22+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2018/06/quellen
|
ZEIT Wissen 1/2019: Hier haben wir recherchiert
|
Am Anfang drei Fragen 1. Machen Selfies dumm? Psychologen aus China und Singapur haben in einer Studie untersucht, was das Selfie über einen aussagt und wie es auf andere wirkt. Die Philosophin Kristina Steimer promoviert über Selfies und hat mit Kollegen in München ein Forschungsnetzwerk gegründet. Lehrende am Hope College in Michigan nutzen Selfies als pädagogisches Werkzeug im Klassenzimmer. Ihre Erfahrungen haben sie in einem Fachartikel zusammengefasst. Wer fotografiert genießt das, was er erlebt, mehr. Das haben Forscher in den USA herausgefunden. Ihre Experimente zeigten, dass Fotografen mehr auf Details achten und sich mit der Situation verbundener fühlen. In zwei verschiedenen Studien haben Forscher untersucht, wie viele Menschen in den vergangenen Jahren umgekommen sind, als sie sich selbst fotografierten. Eine jüngere Untersuchung ergab: Die Getöteten waren im Schnitt 23 Jahre alt, zu Dreiviertel männlich und mehr als die Hälfte starb in Indien. 3. Kann man zu viel Wellness machen? Im Auftrag der Deutschen Krankenversicherung hat das Zentrum für Gesundheit durch Sport und Bewegung der Deutschen Sporthochschule Köln unter Leitung von Ingo Froböse eine repräsentative Umfrage zum individuellen Gesundheitsverhalten der in Deutschland lebenden Menschen ausgewertet. Es ist die fünfte Auflage des DKV-Reports "Wie gesund lebt Deutschland?" Das Global Wellness Institute hat Zahlen zusammengetragen, die den Wachstum im Bereich Wellness deutlich zeigen. Lutz Hertel, Vorstandsvorsitzender beim Deutschen Wellness-Verband, setzt sich kritisch mit dem Begriff und dem Verständnis von Wellness auseinander. Bücher: Das kulturgeschichtliche Standardwerk übers Baden stammt von Alev Lytle Croutier: "Wasser. Elixier des Lebens. Mythen und Bräuche, Quellen und Bäder", Heyne Verlag 1992 Die deutschsprachige Ausgabe des Wellness-kritischen Buches "Wollen wir ewig leben? Die Wellness-Epidemie, die Gewissheit des Todes und unsere Illusion von Kontrolle" von der amerikanischen Biologin Barbara Ehrenreich ist im Sommer 2018 im Kunstmann Verlag erschienen. Eine kritische Analyse von Selbstoptimierung und kapitalistischer Ausbeutung des gesunden Körpers ist das Buch "Das Wellness-Syndrom. Die Glücksdoktrin und der perfekte Mensch" von Carl Cederström und André Spicer, auf deutsch erschienen in der Edition Tiamat, Berlin 2016. So gefalle ich mir besser Infokasten: Intervallfasten Bas Kast fasst in seinem Buch "Der Ernährungskompass" wissenschaftliche Studien zur Ernährung zusammen. Der Molekularbiologe Prof. Dr. Frank Madeo erforscht an der Universität Graz unter anderem die Autophagie, die Selbstverdauung der Zellen. Sie spielt beim Intervallfasten eine Rolle. Biologen vom Salk Institute in San Diego haben untersucht , wie Mäuse darauf reagieren, wenn sie zeitweise auf Nahrung verzichten. Sie fütterten 400 Tiere mit gleich viel kalorienhaltiger Nahrung, einer Art Fast Food für Nager. Die eine Hälfte kam den ganzen Tag ans Futter, die andere nur neun bis 15 Stunden. Nach etwa vier Monaten waren die Mäuse, die jederzeit fressen konnten, übergewichtig und krank – die anderen gesund und schlank. Infokasten: Verzicht Prof. Dr. Anil Batra leitet die Suchtmedizin und -forschung am Universitätsklinikum Tübingen und hat mit Kollegen eine Beratungsplattform eingerichtet, um Schwangere dabei zu unterstützen, auf Alkohol und Tabak zu verzichten. Im Interview gibt er Tipps, die auch Nicht-Schwangeren helfen können. Walter Mischel von der Stanford University in Kalifornien gilt als Erfinder des Marshmallow-Experiments , mit dem man die Willenskraft von Kindern testen kann. Mischel gab seinen jungen Probanden ein Stück Schaumzucker, das sie sofort essen konnten – oder, wenn sie warteten, bekamen sie ein zweites. Das Digital Detox-Spiel Liegt ein Smartphone auf dem Tisch, verringern sich unsere kognitiven Fähigkeiten. Wir können schlechter logisch denken, Probleme lösen sowie Informationen aufnehmen und verarbeiten. Je abhängiger ich von dem Gerät bin, desto stärker ist dieser Effekt. Das ist das Ergebnis einer Studie , die Forscher an der Universität in Texas durchgeführt haben. Die Blutsauger Die Geschichte der Medizin ist mitunter spannender als jeder Tatort. Ich empfehle daher für sonntags, 20 Uhr, die Enzyklopädie der Medizingeschichte . Hier sehen Sie einen TED-Talk von Tony Wyss-Coray zu dem Thema "How young blood might help reverse aging." In der Ambrosia-Klinik können ältere Menschen durch Transfusion das Blut von Jüngeren bekommen . Auf dem Weltmarkt sei Blutplasma teurer als Erdöl, sagen die Filmemacher Marie Maurisse und François Pilet in ihrer Arte-Dokumentation . Der französische Schriftsteller Frédéric Beigbeder schreibt in seinem neuen Roman auch über die Verjüngungmethode, der man sich in Kalifornien unterziehen kann und für die er sich angemeldet hatte. Beim Deutschen Roten Kreuz kann man Blutspenden . Herr Schuh baut jetzt Autos In Deutschland waren zum 1. Juli fast 47 Millionen PKW gemeldet. 31 Millionen mit Benzinmotor . 15 Millionen mit Dieselmotor. 68.000 mit Elektromotor (Tabellenblatt 27.3). "Von denen, die Kutschen hergestellt haben, hat nur einer den Sprung zur Automobilindustrie überlebt", sagte Angela Merkel im vergangenen Jahr vor der Industrie- und Handelskammer zu Köln. Bei Volkswagen durfte zwischen Tür und Karosserie maximal 3,5 Millimeter Luft sein. Piëch bekam den Spitznamen " Fugen-Ferdl ". Der Kleinbus "Moover" von e.GO wird auf dieser Seite vorgestellt. Der e-up! von Volkswagen kostete bis vor kurzem 26.900 Euro, jetzt 23.000 Euro . Der e.GO Life wird auf dieser Website vorgestellt. Über die Ökobilanz von Elektroautos haben unter anderem die ZEIT (auch hier ) und der Spiegel ausführlich berichtet. Serie, Teil 3: Die großen Denkschulen Für eine erste Begegnung mit Freud eignet sich seine "Psychopathologie des Alltagslebens", online hier . Eine faszinierende neue Biografie , die sich auf die Bedeutung von Freuds frühen Jahren für sein Werk konzentriert, hat der amerikanische Psychoanalytiker und Philosoph Joel Whitebook geschrieben. Einen Überblick über die zahlreichen psychoanalytischen Schulen gibt Wolfgang Mertens in seinem Buch "Psychoanalyse. Geschichte und Methoden" . Die Zumutung Erwin Schrödingers legendäre Vorträge "Was ist Leben?" sind in Buchform auch heute noch eine staunenswerte Lektüre. Jim Al-Khalili und Johnjoe McFadden führen mit "Der Quantenbeat des Lebens" unterhaltsam und gut verständlich in das Gebiet der Quantenbiologie ein. Nick Lane skizziert in "Der Funke des Lebens" nicht nur die Entstehung des Lebens, sondern erklärt auch, warum wir Sex haben und altern. Die jüngste Debatte um den Ursprung des Lebens fasst der New Scientist in diesem Artikel zusammen. Bücher Wir danken der Lindauer Nobelpreisträgertagung für Unterstützung bei unserer Rubrik "Das lesen Nobelpreisträger".
|
ZEIT Wissen
|
Mit welchen Experten wir gesprochen, welche Internetseiten wir besucht, welche Studien wir benutzt haben, lesen Sie hier.
|
[
"Kristina Steimer",
"Ingo Froböse",
"Lutz Hertel",
"Barbara Ehrenreich",
"Walter Mischel",
"China",
"Singapur",
"München",
"Michigan",
"USA"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2018-12-10T13:07:55+01:00
|
2018-12-10T13:07:55+01:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2019/01/quellen
|
ZEIT Wissen 2/2019: Hier haben wir recherchiert
|
Am Anfang drei Fragen 1. Erforschen Tiere den Menschen? Als mexikanische Neurobiologen ihre tierischen Probanden nach langem Training so weit hatten, dass sie sich in einen Kernspintomografen schieben ließen, erlebten Sie eine Überraschung: Dieselbe Region im Hundehirn, die beim Betrachten anderer Hunde aktiv war, leuchtete auch bei Bildern von menschlichen Gesichtern auf. 2018 wiederholten US-Forscher den Versuch und entdeckten bei genauerem Hinsehen sogar ein Areal, das ausschließlich auf den Menschen reagiert. Dass Hunde uns unsere Laune geradezu an den Augen ablesen können, weiß Herrchen oder Frauchen schon lange. Der Beweis aus dem Labor : Die Tiere werden stutzig, wenn Tonfall und Mimik nicht zusammenpassen. Hunde beobachten, wie sich Menschen untereinander verhalten, und ziehen es vor, Futter von denjenigen anzunehmen, die zuvor freundlich und hilfsbereit zu anderen waren . Bei Youtube gibt es Aufnahmen der sprechenden Robbe "Hoover ", die in den 1980er Jahren im New England Aquarium in Boston lebte. Auch ein Video von "Alex", dem sprachbegabten Graupapageien , ist verfügbar. 2. Kann man Schwindelfreiheit trainieren? Die US-amerikanischen Psychologen Eleanor J. Gibson und Richard Walk haben 1960 das "Klippen-Experiment" entwickelt. Sie setzten Babies auf eine Glasplatte mit einer visuellen Klippe. An ihr verharrten viele Kinder. Für die Forscher der Beweis, dass der Mensch von Natur aus Respekt vor der Höhe hat. Prof. Dr. Thomas Brandt leitet das Deutsche Schwindel- und Gleichgewichtszentrum in München und hat den Höhenschwindel in verschiedenen Studien erforscht. Im Paper "Höhenschwindel" (MMW - Fortschritte der Medizin; Dezember 2013, Volume 155, Supplement 7, S. 104–108) fasst er die Ergebnisse einer repräsentativen Bevölkerungsstudie und einer Umfrage unter Alpenvereinsmitgliedern zusammen. Das Buch "Alpin- und Höhenmedizin" informiert Mediziner und interessierte Bergsteiger über Themen wie Training und Ernährung. Es gibt aber zum Beispiel auch ein Kapitel über die Höhenangst und den Höhenschwindel. Der Deutsche Alpenverein hat sich in einer Ausgabe seines Magazins "DAV Panorama" (1/2008) der Höhenangst und dem Höhenschwindel gewidmet. Der Artikel "Wenn Höhe zur Hölle wird" soll vor allem Hobbybergsteiger aufklären. Virtual Reality-Brillen können Höhenangst reduzieren. Das belegt eine Studie , die Forscher der Universität Oxford 2018 veröffentlicht haben. 3. Was verraten unsere Träume über uns? Das WDR Fernsehen hat vor einiger Zeit Traumforscher interviewt, unter anderem Dr. Ursula Voss vom Institut für Psychologie der Goethe-Universität Frankfurt und Dr. Marcel Pawlowski vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München. Brigitte Holzinger leitet das Institut für Bewusstseins- und Traumforschung in Wien und hat mehrere Bücher über Träume veröffentlicht, unter anderem eines über Albträume – inklusive hilfreichen Strategien, um deren Botschaften entschlüsseln und verstehen zu können. Das Kapitel "Träumen - Wenn das Gehirn eigene Wege geht" aus dem Buch "Im Fokus: Neurowissen – Träumen, Denken, Fühlen - Rätsel Gehirn" von Nadja Podbregar und Dieter Lohmann informiert über den REM-Schlaf und das Zeitempfinden beim Träumen. Um herauszufinden, ob unser Traum-Ich durch eine fokussierte Aufmerksamkeit vor dem Schlafengehen oder durch verschiedene Veränderungen am Tag beeinflusst werden kann, haben Judith Koppehele-Gossel und Kollegen eine experimentelle Studie durchgeführt. Mit der Fähigkeit der Träume, den Umgang mit Gefahren und negativen Emotionen zu schulen, beschäftigt sich das Kapitel "Warum träumen wir" von Isabelle Arnulf aus dem Buch "Leben bleibt rätselhaft" (ab Seite 181). Alfred Krovoza und Christine Walde schrieben gemeinsam das umfangreiche und interdisziplinäre Handbuch "Traum und Schlaf" , in dem sie neben empirischen Ergebnissen aus der Neurobiologie, Psychoanalyse oder Kognitionswissenschaft auch Mythen und Kulturgeschichten über Träume zusammentragen. Akte Weltrettung In dem Buch "ClientEarth" wird die Geschichte der Organisation erzählt. Ein spannender Einblick in die unterschiedliche Umweltgerichtsbarkeit in Europa, den USA und anderen Ländern. ClientEarth hat die Abholzungen im Białowieża-Urwald in Polen gestoppt. In China schulen die Anwälte Umweltrichter. Der Entwurf für die EU-Direktive zu Einwegplastik ist hier dokumentiert. Über die Gerichtsverfahren zu Fahrverboten in Deutschland schreibt ZEIT ONLINE auf dieser Seite. James Thornton spielt zuhause Violine, begleitet am Klavier von seinem Ehemann Martin Goodman Die nationalkonservative polnische Zeitung Rzeczpospolita beschimpfte ClientEarth als Öko-Terroristen , der damalige Finanzminister sprach von einem Feind , " der seine Grenze überschritten hätte ". Die EU hat ebenso wie Deutschland die Aarhus-Konvention der UN ratifiziert, die der Öffentlichkeit mehr Rechte in Umweltangelegenheiten gewährt. Das China-Büro von ClientEarth zählt 600 Umweltgerichte im ganzen Land und mehr als 20000 Gerichtsverfahren wegen Verstößen gegen das Umweltrecht, meistens gegen Regierungsbehörden. Das Urteil gegen den Schweinemastbetrieb von Joseph Luter ist hier dokumentiert , die Entscheidung des Supreme Court hier nachzulesen. Weitere Details sind in dem Buch "ClientEarth" geschildert. Das ZEIT Wissen Bewegungsprogramm Dass der Glaube an die eigene Fitness Einfluss auf die Sterbewahrscheinlichkeit hat, zeigen Octavia Zahrt und Alia Crum in ihrer Studie " Perceived physical activity and mortality ". Entgegen dem weitverbreiteten Glauben hilft Dehnen nicht gegen Muskelkater und die meisten Verletzungen, wie Forscher des George Institut for Global Health in Sydney herausfanden. Das High Intensity Intervall Training des japanischen Forschers Izumi Tabata (HIIT) steigerte die Leistung bei olympischen Eiskunstläufern erstaunlich und wird inzwischen auch in Fitnessstudios angeboten. Muskeln, die um ein Prozent erwärmt sind, bringen zwei bis fünf Prozent mehr Leistung. Das zeigt eine Überblicksarbeit der Physiologen Sébastien Racinais und Juha Oksa von 2010. In den Vierzigerjahren fand der Schwede Leonid Muido heraus , dass Schwimmer die 50-Meter-Distanz schneller absolvieren, wenn sie zuvor ein 43 Grad heißes Bad genommen haben. Heute gibt es beheizte Sportkleidung, die die Leistung steigern kann, indem sie die Wärme nach dem Aufwärmprogramm aufrechterhält, wie ein Team um den Sportingenieur Steve Faulkner von der Nottingham Trent University zeigte . Ein Team um Dylan Thompson von der University of Bath überprüfte 2017 die Annahme, dass man durch Fasten vor dem Training den Körper dazu zwingen kann, seine Fettreserven anzugreifen. Dass Schrittzähler, Sensorarmbänder oder Pulsuhren die Motivation per se steigern, konnte eine Studie der Duke National University of Singapore Medical School nicht bestätigen. Forscher um den Mediziner Mitesh Patel von der University of Pennsylvania fanden aber eine Ausnahme: In ihrer Studie erhöhten die Teilnehmer ihre tägliche Schrittzahl um 1500, wenn sie mit ihren Schritten in einem Spiel Punkte sammeln konnten. Bei einer Untersuchung der University of New England in Maine fühlten sich Studenten fitter und weniger gestresst, wenn sie einmal die Woche eine Fitnessgruppe besuchten, als wenn sie genauso häufig allein trainierten. Und nicht nur, dass jemand dabei ist, spielt eine Rolle, sondern auch wer , fand der Psychologe Thomas Plante von der kalifornischen Santa Clara University heraus . Gemeinschaft fördert aber nicht bloß den Sportsgeist, sondern gemeinsamer Sport auch die Gemeinschaft. Das zeigte ein Versuch von Wissenschaftlern um Gary Lewandowski von der Monmouth University in New Jersey. In Singapur ließen Sportmediziner 103 Probanden jeweils 11 Stockwerke in einem Wohnhaus hoch und runter gehen. Sie maßen den Sauerstoffverbrauch und Puls und berechneten den Kalorienverbrauch: 20 Kilokalorien waren es für den Weg nach oben, 10 Kilokalorien pro Minute, 0,11 pro Stufe (fürs Runtergehen etwa die Hälfte). Die körperliche Anstrengung ist vergleichbar mit einem Dauerlauf bei zehn Kilometern pro Stunde. Gebrauchsanleitung für ein Gefühl: Langeweile Die Boredom Proneness Scale der Psychologen Norman Sundberg und Richard Farmer revolutionierte 1986 die Langeweile-Forschung. Wissenschaftlern unter der Leitung von Thomas Goetz (mit dem wir auch ein Interview führten) haben in ihrer Studie "Types of boredom" (2014) eine fünfte Form der Langeweile herausgearbeitet. Mario Herger hat die wichtigsten Ergebnisse kostenlos aufbereitet. Die umfangreiche Studie "Bored in the USA" (Chin und Kollegen, 2017) untersuchte über eine Millionen Langeweile-Berichte. Zum Tagträumen und Gedanken-Wandern (2007) forschte die Hirnpsychologin Malia F. Mason. Dass Langeweile zu mehr Kreativität führt, stellten Sandi Mann und Rebekah Cadman 2014 fest. Das Online-Psychologie-Lexikon Psylex fasst einige Studienergebnisse über Langeweile zusammen – gut für all jene, die sich die Original-Studien nicht kaufen wollen. Auch das englische Fachjournal Nature hat eine Übersicht über den Forschungsstand erstellt. Die internationale Boredom-Conference hat zum Ziel, eine akademische, interdisziplinäre Diskussion über Langeweile zu beginnen. Unterhaltsam aufbereitet haben das Thema Harald Lesch im Video Die geheime Macht der Langeweile und Marie Kern in ihrem Buch "Langweilen Sie sich? Eine kurzweilige Psychologie der Langeweile" . Der SWR3 hat einige interessante Experimente zum Thema zusammengetragen. Spektrum .de hat in seinem Artikel viele weiterführende Quellen verlinkt. Nachteile und Tipps erzählt Tim Franke von Impulsdialog . Laut Standard geht Langeweile oft mit gesundheitsschädlichem Verhalten einher. Martin Bewerunge hat der Langeweile ein Essay bei RP-Online gewidmet. Über die Wohltaten des Gefühls hat das Magazin Blick einen Artikel veröffentlicht. Die großen Denkschulen Das legendäre Interview von Günter Gaus mit Hannah Arendt muss man gesehen haben: Die Zumutung 422 Millionen Menschen weltweit sind zuckerkrank. Und es werden immer mehr: In 20 Jahren soll die Zahl auf über 640 Millionen steigen. Eine große holländische Studie schätzt, dass das Lebenszeitrisiko für eine Vorstufe von Diabetes mit 45 Jahren bei 50 Prozent liegt, für einen Diabetes bei 30 Prozent. Im Jahr 2010 gingen drei Prozent aller Erblindungen weltweit auf Diabetes zurück und achtzig Prozent aller weit fortgeschrittenen Nierenerkrankungen sind entweder durch Diabetes, Bluthochdruck oder eine Kombination aus beidem verursacht. Der ansteigende Blutzuckerspiegel regt kleine Zellhaufen in der Bauchspeicheldrüse, die Inselzellen , dazu an, das Hormon Insulin zu produzieren. Es müssen über zwei Tonnen Rinder- oder Schweine-Bauchspeicheldrüsen zerquetscht werden, um 250 Gramm Insulin zu produzieren. Selbst bei einer großzügigen Berechnung bedeutet dies, dass etwa 12 000 Schweine ihr Leben lassen müssen, um einen Diabetiker ein Jahr lang mit Ersatz-Insulin zu versorgen. Ende des 19. Jahrhunderts beobachteten Ärzte, dass 15 bis 45 Prozent der Diabetiker alles andere als dünn waren. In einer Autopsiestudie mit 75 Menschen, die innerhalb einer Woche nach der Entwicklung eines Typ 1-Diabetes gestorben waren, fanden sich in keiner der Bauchspeicheldrüsen Anzeichen für eine andauernde Viren-Infektion. Gleichzeitig fanden sich im Blut von Kindern mit einem Typ-1-Diabetes in 40 Prozent der Fälle Hinweise für eine akute Infektion mit dem Coxsackie B-Virus. Erkrankt ein eineiiger Zwilling an einem Diabetes Typ 2, so liegt das Erkrankungsrisiko für den anderen bei über 90 Prozent. Das gleiche Szenario bei einem Typ 1-Diabetes ergibt ein 50-prozentiges Risiko für den gesunden Zwilling . Zusätzlich kann der Stoffwechsel bereits vor der Geburt auf Diabetes programmiert werden: Beides, ein zu niedriges und ein zu hohes Geburtsgewicht, erhöhen das Risiko für einen Diabetes Typ 2 um das 1,5-Fache. Kommt die Bauchspeicheldrüse mit der Insulinproduktion nicht mehr hinterher, entsteht, wie bei fünf Prozent der deutschen Schwangeren ( Gesundheitsbericht Diabetes 2018 ), ein "Gestationsdiabetes". Schweizer Forscher haben Nierenzellen so verändert, dass sie immer dann Insulin produzieren, wenn sie mit Coffein in Kontakt kommen. Forschungsansätze zur Diabetes-Impfung werden hier beschrieben. Dafür lassen die Forscher Kinder mit einem hohen Diabetes Typ 1-Risiko kleine Mengen an Insulin essen. Verfechter der Mimikry-Hypothese arbeiten hingegen an einer Impfung gegen Coxsackie-B-Viren. Die aktuellen Leitlinien zur Ernährung bei Diabetes empfehlen einen Kohlenhydrat-Anteil von 45 bis 60 Prozent. Es gibt jedoch auch Hinweise , dass eine "Low-Carb"-Diät den Blutzucker und den Insulinverbrauch senken kann. Im Vordergrund steht letztendlich der Gewichtsverlust. Einige Diabetiker nehmen dafür drastische Mittel in Kauf: Mit einer Adipositas-Operation, bei der z.B. der Magen verkleinert oder der Dünndarm verkürzt wird, sind nach sechs Jahren zwischen 68 und 100 Prozent ihre Zuckerkrankheit los. Im Deutschen Diabetes Zentrum versuchen Wissenschaftler, das Problem von der anderen Seite anzugehen: Mit etlichen Tests bestimmen sie, ob bei einem Typ 1-Diabetiker vielleicht eher eine Insulinresistenz im Vordergrund steht oder bei einem Typ 2-Diabetiker eine ausgebrannte Bauchspeicheldrüse. Macht Raumfahrt links? Der Begriff "Overview Effect" geht auf das gleichnamige Buch von Frank White zurück. Die dritte Auflage von 2003 gibt es unter anderem als PDF . Davon angestoßen beschäftigt sich das Overview Institute mit den kognitiven Veränderungen bei Astronauten, die im All waren. Andrew Newberg und David Yaden (die beide Versuchsreihen planen) haben 2016 mit Kollegen einen Überblicksartikel geschrieben, der mögliche Forschungszugänge untersucht. Sehenswert und anrührend ist das Video "Call to Earth" von ehemaligen Astronauten, an die Pariser Klimakonferenz von 2015 gerichtet. Kann Facebook untergehen? Hierzu seien drei wissenschaftliche Paper empfohlen: David Garcia und Kollegen untersuchten 2013 den Zerfall von Friendster in "Social Resilience in Online Communities: The Autopsy of Friendster" ; darin wird auch das k-Core-Theorem gut erläutert. Yi Yu, Hans Joachim Schellnhuber und Kollegen analysierten 2016 den Zerfall sozialer Netzwerke aus der Perspektive dynamischer komplexer Systeme: "System crash as dynamics of complex networks" ; das k-Core-Theorem wird dabei um eine zusätzliche Komponente erweitert. Ganz neu ist "Collapse of an online social network: burning social capital to create it?" von Laszlo Lörincz und Kollegen (Social Networks, Vol. 57, S. 43-53, 2019); es ist die aktuellste Bestandsaufnahme zum Zerfall des sozialen Netzwerks iWiW. Die in unserem Artikel zitierten Einschätzungen von Lörincz und von Garcia stammen aus persönlichen Gesprächen. Wenn Tiere Fehler machen Im Labor findet man bei Menschen und Ratten ähnliche Aktivierungsmuster im vorderen Teil der Großhirnrinde, wenn ihnen bei einer zielgerichteten Handlung ein Fehler unterläuft. Das Kapuzineräffchen kriegt die Nuss nicht geknackt. Hat es aber vorher einen Artgenossen beobachtet, der an derselben Herausforderung scheiterte, wählt das Äffchen eine andere, bessere Strategie, um an das Futter zu kommen. Das hat ein Experiment von Psychologen der japanischen Kyoto University mit Haubenkapuzinern gezeigt. In einem ähnlichen Versuch lernten Makaken sogar effektiver , wenn das Vorbild Fehler machte, als wenn es die Aufgabe auf Anhieb perfekt ausführte. Versuche zeigen , dass etwa Rotflügelstärlinge bestimmte Früchte verschmähen, wenn andere Vögel nach dem Verzehr erkrankten. Doch nicht alle Spezies sind so klug. Wanderratten fallen in Versuchen dadurch auf, dass sie nicht durch Beobachtung lernen, welche Kost es zu meiden gilt. Im Gegenteil: In einer Studie von Forschern um den Psychologen Bennett Galef schienen sie sogar jenes Futter zu bevorzugen, an dem sich eine andere Ratte zuvor vergiftet hatte. Der Hecht beißt in den Angelhaken. Nach dieser schmerzhaften Erfahrung bleibt er, das zeigen niederländische Studien , mindestens ein Jahr lang hakenscheu. Das Buch "Was Fische wissen" von Jonathan Balcombe liefert viele experimentelle Befunde für die Intelligenz der Fische. Bücher Wir danken der Lindauer Nobelpreisträgertagung für Unterstützung bei unserer Rubrik "Das lesen Nobelpreisträger".
|
ZEIT Wissen
|
Mit welchen Experten wir gesprochen, welche Internetseiten wir besucht, welche Studien wir benutzt haben, lesen Sie hier.
|
[
"Eleanor J. Gibson",
"Richard Walk",
"Thomas Brandt",
"Marcel Pawlowski",
"Brigitte Holzinger",
"Nadja Podbregar",
"Dieter Lohmann",
"Judith Koppehele-Gossel",
"Isabelle Arnulf",
"Christine Walde"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2019-02-11T18:05:03+01:00
|
2019-02-11T18:05:03+01:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2019/02/quellen
|
ZEIT Wissen 3/2019: Hier haben wir recherchiert
|
Am Anfang drei Fragen 1. Woher kommt unser Anlehnungsbedürfnis? Die geschilderten Affenexperimente fanden ab 1957 unter der Leitung des Psychologen Harry Harlow an der University of Wisconsin statt. Von Harlows Leben und Arbeit berichtet die amerikanische Wissenschaftsjournalistin Deborah Blum in " Die Entdeckung der Mutterliebe. Die legendären Affenexperimente des Harry Harlow ". Udo Rudolph ist Professor für Allgemeine und Biopsychologie an der TU Chemnitz und erforscht unter anderem moralische Emotionen und Verhalten sowie sozio-emotionale Kompetenzen bei Kindern. Norbert Sachser leitet die Abteilung für Verhaltensbiologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Er erforscht Verhalten und Sozialstrukturen am Beispiel der Meerschweinchen. In seinem Sachbuch "Der Mensch im Tier" hat er sich mit dem Denken und Fühlen vieler Tierarten auseinandergesetzt. Berührungen und soziale Kontakte halten gesund. Das haben mehrere Studien zum Thema ergeben. 3. Haben Häuser eine Seele? Aufräumexpertin Marie Kondo empfiehlt in ihrem Buch "Magic Cleaning – Wie richtiges Aufräumen Ihr Leben verändert" , sein Haus zu begrüßen. Damit erwiese man ihm Ehre und Dankbarkeit. Der Theologe Haringke Fugmann beschäftigt sich in einem Dossier mit dem weltanschaulichen Hintergrund des Buches "Magic Cleaning" von Marie Kondo. Er beleuchtet das Aufräumen als heilige Handlung. Joachim Fischer hat aus Sicht der Architektursoziologie erforscht, inwiefern Häuser eine Seele besitzen und u.a. diesen Beitrag dazu verfasst. Josef Freitag bildet Priester aus und beschäftigt sich auch mit Fragen wie "Haben Gegenstände eine Seele?" . Im Shintoismus, einer Art Volksglauben in Japan, existiert die Vorstellung, dass alle Dinge lebendig sind. In einer Online-Enzyklopädie kann man etwas über die verschiedenen Shinto-Rituale finden. Lass Dich nicht täuschen! Buchtipps zum Thema Täuschen, Bullshit und Getäuscht-werden: Dan Ariely: "Die halbe Wahrheit ist die beste Lüge" (Droemer Verlag) David Robson: "The Intelligence Trap: Why smart people do stupid things and how to make wiser decisions" (Hodder & Stoughton) Harry Frankfurt: "Bullshit" (Suhrkamp) und "Über die Wahrheit" (Hanser) Die Studie der Hirnforscher mit dem Zauberer Thomas Fraps ist hier im Original nachzulesen. Vielen Dank an Helge Thun für ein Hintergrundgespräch über Täuschen und Zaubern. Den Geist entrümpeln In seinem Ratgeber "The organized mind" gibt der Kognitionspsychologie Daniel Levitin fundierte Tipps für mehr Ordnung im Kopf. Drehbuchautoren und Physiker hatten bessere Einfälle , wenn sie ihre Gedanken schweifen ließen, statt sich aktiv mit dem Problem zu beschäftigen. Das Ruhemodusnetzwerk im Gehirn, das mit dem Tagträumen assoziiert ist, kommt beim Betrachten von Kunst und beim Hören von trauriger Musik in Gang. Ein Paper des Psychologen Anselm Doll beschreibt das typische Aktivierungsmuster im Hirn während einer Atemmeditation. Der Wirtschaftswissenschaftler Martin Hilbert berechnete mehrmals die Datenmenge, die auf der Erde kursiert, und half ZEIT Wissen, eine anschauliche Analogie dafür zu finden. Eine Umfrage ergab 2014, dass sich drei Viertel der Menschen in Industrieländern einen überschaubareren Alltag wünschen. Eine Studie zeigt: Wer am Abend eine To-do-Liste schreibt, schläft schneller ein. Menschen lösen ein moralisches Dilemma anders, je nachdem, in welcher Sprache es ihnen vorgelegt wird. Hier am Beispiel des berühmten Gleisexperiments . 108-mal Frühling Ein Spaziergang durch die Fakten der schönsten Jahreszeit Die Zahl der Suizide Im Frühling in Deutschland ist überraschend hoch, aber auf die Gesundheit hat die Natur einen positiven Einfluss, was sich an den Sterberate n zeigt. Der Nabu bereitet Fakten über den Zaunkönig und andere heimische Singvögel auf. Das Max-Planck-Institut für Ornithologie veröffentlicht regelmäßig Beiträge über die heimische Vogelwelt auch in der Stadt . Der Geruchsforscher Hanns Hatt weiß, wie der Frühling riecht. Der Deutsche Wetterdienst sammelt auch Daten darüber, wo in vergangenen Jahren in Deutschland das Frühjahr besonders warm und regenarm gewesen ist. Der Küstenforscher Karsten Reise untersucht am Alfred-Wegener-Institut auf Sylt, was im Frühling in der Nordsee geschieht. Robert Marsham hat im 18. Jahrhundert gelebt und eine der längsten phänologischen Kalender geführt. Die längste phänologische Messreihe jedoch stammt aus Japan – die der Kirschblüte . Eine Auswahl von Natur-Büchern mit vielen interessante Fakten über den Frühling: Karsten Brensing: Die Sprache der Tiere. Aufbau Verlag 2018. David G. Haskell: Das verborgene Leben des Waldes. Kunstmann 2015. Katharina Henne / Lore Otto : Hamburgs wilde Küche. KJM Buchverlag 2016. Renato Bruni: Was ist denn da im Busch? Wissenschaft im Garten. Atlantik 2017. Elin Unnes : Gartenverrückt. Lebensweisheiten und botanische Tricks von unsterblichen Gartengenies. Atlantik 2019 Tristan Gooley: Der natürliche Kompass. Piper 2018. Peter Wohlleben : Gebrauchsanweisung für den Wald. Piper 2017. Gabriella Pape: Warum blüht mein Flieder nicht? Dumont 2018. Die großen Denkschulen Das legendäre Interview von Günter Gaus mit Hannah Arendt muss man gesehen haben: https://www.youtube.com/watch?v=J9SyTEUi6Kw Die Zumutung Eine kompakte Analyse zu Grenzwerten angesichts der jüngsten Diskussion um Feinstaub und Stickoxide haben die Toxikologen Andrea Hartwig (Vorsitzende der NNAK-Kommission) und Peter Drexler in ASU Zeitschrift für medizinische Prävention 10/2017 verfasst. Wer sich genauer für die Geschichte von Grenzwerten interessiert, dem sei dieses Buchkapitel von Dennis Paustenbach, Dallas Cowan und Jennifer Sahmel von 2011 empfohlen. Interessante Fallbeispiele aus der Praxis, wie Grenzwerte abgeleitet werden, gibt es in dem Symposiumsbericht "Grenzwerte für chemische Einwirkungen an Arbeitsplätzen" (BIA-Report 4/98). Das Bundesinstitut für Risikobewertung BfR setzt sich im Wissenschaftsbericht 2/2009 mit dem Unterschied zwischen Risiko und Gefährdung und der Wahrnehmung von beiden in der Bevölkerung auseinander. Bücher Wir danken der Lindauer Nobelpreisträgertagung für Unterstützung bei unserer Rubrik "Das lesen Nobelpreisträger".
|
ZEIT Wissen
|
Mit welchen Experten wir gesprochen, welche Internetseiten wir besucht, welche Studien wir benutzt haben, lesen Sie hier.
|
[
"Harry Harlow",
"Deborah Blum",
"Udo Rudolph",
"Marie Kondo",
"Haringke Fugmann",
"Joachim Fischer",
"Josef Freitag",
"David Robson",
"Harry Frankfurt",
"Thomas Fraps"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2019-04-15T10:35:03+02:00
|
2019-04-15T10:35:03+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2019/03/quellen
|
ZEIT Wissen 4/2019: Hier haben wir recherchiert
|
Am Anfang drei Fragen 1. Können wir Sucht übertragen? Sucht ist eine moderne Volkskrankheit - und ansteckend, sagt Reinhard Haller. Der Suchtforscher und ehemalige Klinikdirektor aus Österreich beschreibt in seinem Buch " Nie wieder süchtig sein ", wie Sucht entsteht und wie man sie überwindet. Der Hirnforscher Marc Lewis war als Student selbst abhängig von Morphium. Er sieht Sucht nicht als Krankheit, sondern als Gewohnheit, die zu verlernen ist. Das schreibt er in seinem Buch " The Biology of Desire - Why Addiction Is Not a Disease ". Helle Larsen erforscht als Psychologin an der Universität Amsterdam das Zusammenspiel sozialer und individueller Faktoren im Suchtkontext. Für eine Studie zu Gruppendynamiken beobachtete sie das Trinkverhalten von Menschen in einer Bar. Alkoholsucht ist zum Teil genetisch bedingt, weist ein Forscherteam um Kenneth Kendler von den Universitäten in Richmond und Malmö nach. 2. Sind Könige glücklich? Erfolg macht Menschen glücklicher, aber das Glück der Menschen hat auch Auswirkungen auf ihren Erfolg, stellen die Psychologin Sonja Lyubomirsky und ihre Kollegen fest. Jennifer L. Aaker fand heraus, dass Aktivitäten, die eine hohe persönliche Bedeutung oder eine starke prosoziale Komponente haben, glücklich machen können. Einen Überblick darüber, ob Geld glücklich macht, beantwortet der Wissenschaftsbereich der "Positiven Psychologie" mit dem Phänomen des " Wohlstandsparadox ". Der japanische Kronprinz führt schon sein ganzes Leben ein sehr behütetes – Kritiker sagen: eingesperrtes – Leben, wie dieser Bericht zeigt. Reportagen über den Bhutan zu finden, fällt schwer – schließlich kamen viele Jahre lang nur sehr wenige Ausländer in das kleine Land am Himalaya. Diese Reportage von 1994 gibt interessante Einblicke in das verschlossene Land. Eine ausführliche Beschreibung des Bruttonationalglücks aus bhutanesischer Perspektive hat die in Bhutahn lebende Autorin Linda Leaming aufgeschrieben. 3. Ist Schönheit friedlich? Stadtplaner und Architektursoziologe Harald Bodenschatz hat im Deutschen Architektenblatt über schwierige Schönheit geschrieben. Der Titel seines Aufsatzes lautet: "Darf dieser Bau schön sein?" . Der WDR-Film "Asma al-Assad – Das schöne Gesicht der Diktatur" handelt von dem syrischen Präsidentenpaar und zeigt, dass Schönheit manchmal blenden kann. Winfried Menninghaus forscht am Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik. In seinem Beitrag "Schönheit – Leben – Tod", erschienen im Buch "Die Macht der Schönheit" beschäftigt er sich mit der Evolution von Aussehenspräferenzen. Menninghaus hat außerdem das Buch "Das Versprechen der Schönheit" geschrieben. Umschalten! Kognitive Räume als universeller Code des Denkens: einen Fachartikel dazu von Christian Doeller und Kollegen findet man hier . Hier gibt der kanadische Psychologe Stephen Monsell einen Überblick über die Geschichte und den Stand der Forschung zum Task Switching. Und hier ein Forschungsbericht des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften zur Frage, welche Rolle die Antwortmodalitäten, also zum Beispiel Sprechen vs. Schreiben, beim Aufgabenwechsel haben. Die Ostsee Hansjörg Küster hat eine lesenswerte Natur- und Kulturgeschichte bei C.H. Beck mit dem Titel " Die Ostsee" geschrieben. Erschienen 2004 in einer Sonderausgabe, historisch fundiert. Christoph Neidharts "Ostsee"-Buch mit dem Untertitel "Das Meer in unserer Mitte" stammt von 2003 (mare Verlag), ist also für ein Sachbuch alt, doch der Autor schafft erstaunliche Bezüge, die auch nach 15 Jahren noch gültig sind. Ein sehr fundiert-sachliches Buch ist der Fotoband "Mare Balticum" von Rolf, Matthias und Inge Reinicke. Es beschäftigt sich vor allem mit den Küstenlandschaften der Ostsee. Erschienen 2018 im Demmler Verlag. 2017 im Springer-Verlag erschienen ist das Buch " Faszination Meeresforschung ". Der Filmemacher Volker Koepp hat der Ostsee 2018 mit seinem Film "Seestück" ein filmisches Denkmal gesetzt. Ganz großer Auftritt für Wellen, Himmel und die Menschen, die dazwischen leben. Ein zweiter Film, aber längst nicht so poetisch wie Koepps "Seestück" ist "Die Ostsee von Oben ". Es sind zwei literarische Texte, deren zentraler Schauplatz die Ostsee vor historischem Hintergrund bildet, die sowohl literarisch als auch geschichtlich interessant sind: Der schmale Band "Im Krebsgang" von Günter Grass und " Jahrestage " von Uwe Johnson. Wir haben von Grass die 1. Auflage von 2002, erschienen bei Steidl, und von Johnson die Suhrkamp-Ausgabe von 2005 benutzt. Zur geologischen Entstehungsgeschichte der Ostsee und ihre Auswirkungen bis heute findet man Grundlegendes in diesem Paper von Klaus Schwarzer u.a. Auch hier nachzulesen. Der Bericht der Helsinki-Kommission über den Zustand der Ostsee fasst grundlegende und aktuelle Daten des Binnenmeeres zusammen. Warum die Ostsee eine Zeitmaschine ist, steht in The Baltic Sea as a time machine for the future coastal ocean, erschienen in Science Advances 4. DOI: 10.1126/sciadv.aar8195 In der Forschungsvilla Ostsee am IOW Warnemünde befindet sich eine ständige Ausstellung über die Ostsee. Ein Besuch – bei Regenwetter – lohnt sich, auch für Kinder und Jugendliche. Gebrauchsanleitung für ein Gefühl Gesprächspartner: Friedrich Götz promoviert an der Universität Cambridge mit Fokus auf den Themen Heimweh und Fernweh – "Wanderlust". Die Ergebnisse seiner Studie unter Studierenden im Auslandssemester sind hier nachzulesen. Bernhard Verbeek ist Evolutionsbiologe und beleuchtet im Sammelband der Eberswalder Beiträge zu Bildung und Nachhaltigkeit "Vom Sinn der Heimat" das Heimatgefühl aus naturwissenschaftlicher Perspektive. Die amerikanische Kulturhistorikerin Susan J. Matt lehrt an der Weber State University in Utah und hat in ihrem Buch "Homesickness: An American History" über das Heimweh im Verlauf der amerikanischen Geschichte geschrieben. In ihrem Artikel "The New Globalist is Homesick" ist auch ihre Einschätzung der jetzigen Situation nachzulesen. Zum Zusammenhang zwischen Identität und Migration empfiehlt sie das Buch "Psychoanalytic Perspectives on Migration and Exile" von Leon und Rebecca Grinberg. Die Psychologin Beate Mitzscherlich forscht an der Fachhochschule Zwickau unter anderem zu Identität und Beheimatung. Studien: Das aktuellste Modell des Heimwehs hat die Psychologin Margaret Stroebe an der Universität Utrecht entwickelt. Einen guten Überblick zur empirischen Forschung über das Heimweh bis zur Jahrtausendwende gibt dieser Review , neuere Entwicklungen dieser . Weitere Studien untersuchen das Vorkommen von Heimweh, bei ausländischen Angestellten und bei Studierenden in den USA, außerdem die Korrelation mit Internetsucht . Zu Therapien gegen Heimweh haben deutsche und eine malaysische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geforscht. Daten zur Migration weltweit bietet der UN Migration Report von 2017. Die Zumutung Shibley Hydes zeigte in einer vielzitierten Studie , dass es viel mehr Ähnlichkeiten zwischen den Geschlechtern gibt als Differenzen. Diese Studie zeigt, dass die Orgasmusfähigkeit weniger an der Anatomie als am Sexualpartner liegt. Im " International Journal of Surgery " beschreiben Wissenschaftler, wie bei einem Mann während einer Leisten-OP eine Gebärmutter gefunden wurde. Der Mann war 70 Jahre alt und Vater von mehreren Kindern. Das Buch " Intersexualität kontrovers ", herausgegeben von Katinka Schweizer und Hertha Richter-Appelt, gibt einen guten Überblick über Grundlagen, Erfahrungen und Positionen zu Intersexualität. In ihrem Buch "Vulva. Die Enthüllung des unsichtbaren Geschlechts" schreibt Mithu Sanyal über die verschiedenen Darstellungen des weiblichen Genitals im Laufe der Zeit. Historisch: In seinem Buch " On the Curability of Certain Forms of Insanity, Epilepsy, Catalepsy, and Hysteria in Females " empfahl Isaac Baker Brown 1866 die Klitoridektomie (Entfernung der Klitoris) als eine Behandlungsform gegen Hysterie und andere Krankheiten. William Acton schrieb in seinem Buch "The functions and disorders of the reproductive organs" (erste Auflage 1857) fast ausschließlich über den Mann. Mit Ausnahme seiner Beschreibung der weiblichen Unlust. Sigmund Freuds "Drei Abhandlungen zur Sexualtheorie" von 1905 können hier gelesen werden. Mobilität der Zukunft Die Zahl der Studien zur Mobilität der Zukunft ist groß, denn Elektromobilität, autonome Fahrzeuge und Ride Pooling, aber auch Radverkehr und eine andere, fußgängerfreundliche Stadtentwicklung gelten als wichtige Trends für die kommenden Jahre. Hier ist eine Auswahl: "The Future of Mobility 3.0" der Unternehmensberatung Arthur D. Little (2018); interessant ist hierin der Blick auf die unterschiedlichen Voraussetzungen von drei Arten internationaler Metropolen für eine neue Mobilität. "Verkehrswende für Deutschland. Der Weg zu CO2-freier Mobilität bis 2035" , herausgegeben von Greenpeace (2017); die Kurzfassung der vom Wuppertal Institut erstellten Studie bietet einen guten Überblick, was bis 2035 zu tun ist. "Städteranking zur nachhaltigen Mobilität" , herausgegeben von Greenpeace (2017); das von Urbanista erarbeitete Städteranking bietet eine Fülle hochinteressanter Statistiken zu deutschen Großstädten – darin finden sich manche Überraschungen. "Die Evolution der Mobilität" , herausgegeben vom ADAC (2017); die vom Zukunftsinstitut angefertigte Studie wirft vor allem einen Blick auf die Mobilitätsbedürfnisse verschiedener gesellschaftlicher Gruppen und kommt so von einer technikgetriebenen Betrachtung weg, wie sie für IT- und Autounternehmen charakteristisch ist. "A time of unprecedented change in the transport system" vom britischen Government Board of Science (2019); die im Januar 2019 veröffentlichte Studie beschäftigt sich zunächst mit der Geschichte des Verkehrs in einem Industrieland, in diesem Fall Großbritannien, sowie den heutigen Herausforderungen und entwirft dann verschiedene Szenarien für das Jahr 2040. Bücher Wir danken der Lindauer Nobelpreisträgertagung für Unterstützung bei unserer Rubrik "Das lesen Nobelpreisträger". Komm, wir messen das selber Bauanleitung für den Feinstaubsensor: Die Bauanleitung orientiert sich an dem Projekt https://luftdaten.info/ . Sparfüchse bestellen die Bauteile direkt in China und warten zwei bis drei Wochen auf die Lieferung. Bequemer: den Bausatz für 43 Euro im Elektronik-Versand bestellen (zum Beispiel bei eckstein-shop.de ). Die Firmware, eine Datei namens "latest_de.bin", durch anklicken dieses Links downloaden. Die Software "NodeMCU-PyFlasher" von dieser Webseite herunterladen, installieren und starten (Die Installationsdatei findet man unter "Assets", siehe Screenshot): Den Microcontroller "NodeMcu ESP8266" mit dem USB-Kabel anschließen und die Firmware darauf überspielen. So sieht das im Programm NodeMCU-PyFlasher aus: (An diesem Schritt könnte man – je nach Computer – scheitern: Damit der Computer und der Mikrocontroller über USB kommunizieren, muss eventuell vorher ein Treiber installiert werden, wie auf luftdaten.info beschrieben. Auch heise.de stellt die Treiber zum Download bereit ) Registrieren Sie den Sensor auf meine.luftdaten.info mit der Nummer des Sensors (wie im ZEIT WISSEN-Magazin beschrieben) Eine gute Darstellung der Daten findet man auf feinstaub.rexfue.de (oben auf der Seite die Nummer des eigenen Sensors eingeben. Quellen zum Artikel: In Deutschland werden die WHO-Empfehlungen für Partikel unter 10 Mikrometer (PM10) an vier von fünf Messstationen überschritten, die Grenzwerte für Partikel unter 2,5 Mikrometer (PM2,5) an fast allen Stationen. Das schreibt das Umweltbundesamt im Luftqualitätsbericht für 2018, Die Messdaten der Firma Breeze Technologies sind hier zu finden . Die Messdaten des Hamburger Luftmessnetzes sind hier zu finden. Die Messdaten der offiziellen Luftmessstationen listet das UBA hier auf. Umweltwissenschaftler der Universität Breslau haben billige Feinstaubsensoren vier unterschiedlicher Hersteller ein halbes Jahr lang mit einem kalibrierten Hightech-Gerät verglichen. Der Fachartikel ist hier zu finden . Probleme der Billigsensoren bei relativen Luftfeuchtigkeiten oberhalb von 80 Prozent diagnostiziert auch die WMO . Die Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg hat den Sensor SDS011 genauer unter die Lupe genommen. Hier die Ergebnisse. Der Abstand der Messgeräte zu Kreuzungen, Bäumen, Häusern und Balkonen, die Höhe der Ansaugrohre, die Position zur Hauptwindrichtung – alles ist penibel geregelt in der 39. Verordnung über Luftqualitätsstandards und Emissionshöchstmengen, Anlage 3 . Im Jahr 2017 haben Kamine und Holzheizungen im Bundesdurchschnitt fast soviel Feinstaub unter 2,5 Mikrometern ausgestoßen wie Autos, Lastwagen und Busse. Das zeigen die Daten des Umweltbundesamts. (Holzverbrennung und Verkehr tragen jeweils knapp 20 Prozent bei, die Industrie verursacht knapp 40 Prozent). Auf dieser Seite schreibt das Bundesumweltministerium über Holzpelletheizungen. Ansichten des UBA zu Feinstaub aus Holzbefeuerung .
|
ZEIT ONLINE
|
Mit welchen Experten wir gesprochen, welche Studien wir zu Rate gezogen haben, lesen Sie hier für ausgewählte Artikel der ZEIT-Wissen-Ausgabe.
|
[
"Reinhard Haller",
"Marc Lewis",
"Helle Larsen",
"Kenneth Kendler",
"Jennifer L. Aaker",
"Winfried Menninghaus",
"Asma al-Assad",
"Sonja Lyubomirsky",
"Österreich",
"Richmond"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2019-06-18T08:54:49+02:00
|
2019-06-18T08:54:49+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2019/04/quellen
|
ZEIT Wissen 5/2019: Hier haben wir recherchiert
|
Am Anfang drei Fragen 1. Warum fahren Menschen gern Karussell? Margit Ramus kommt aus einer Schaustellerfamilie und beschickt seit vielen Jahren Volksfeste und Weihnachtsmärkte in Westdeutschland. Ihre Doktorarbeit hat die promovierte Kunsthistorikerin zum Thema "Kulturgut Volksfest" geschrieben. Emilio Kropff, Neurowissenschaftler aus Argentinien, war an der Entdeckung der Speed-Zellen im Gehirn beteiligt. Diese Zellen messen die Laufgeschwindigkeit des Körpers. Das Team um Kropff und das norwegische Forscherehepaar May-Britt und Edvard Moser entdeckte die Zellen in Rattenversuchen. Sandra Becker-Bense forscht am Deutschen Schwindel- und Gleichgewichtszentrum , einem integrierten Forschungs- und Behandlungszentrum, zum Thema Schwindel, Gleichgewichts- und Augenbewegungsstörungen. Das Zentrum wird von der Bundesregierung gefördert. 2. Haben Frisuren versteckte Botschaften? Im fünften Buch seiner Historien beschreibt der griechische Gelehrte Herodot von Halikarnass (490/480 v. Chr. bis ca. 430/420 v. Chr.) die Ereignisse, die zum Ionischen Aufstand geführt hatten. Sein neun Bücher umfassendes Werk beschreibt einen Zeitraum von 220 Jahren und thematisiert hauptsächlich den Aufstieg des Perserreichs und die Perserkriege im fünften Jahrhundert vor Christus. "Die Poetik der afrokolumbianischen Frisur" heißt die Abschlussarbeit der Soziologin Lina María Vargas Álvarez übersetzt. Sie hat an der Nationalen Universität von Kolumbien über die Bedeutung von Friseurläden als kulturelle Treffpunkte der Afrokolumbianer in Bógota geforscht und dabei von den Frisurenerzählungen erfahren. Kristin Riedelsberger ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Seminar für Ethnologie an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und Doktorandin unter Prof. Dr. Andreas Schmidt. Sie forscht zu Gender, Paarbeziehung und Körper- und Schönheitsvorstellungen. Hlonipha Mokoena ist Historikerin und Anthropologin an der Witwatersrand Universität in Johannesburg. Sie ist Expertin in südafrikanischer Intellectual History und schreibt gelegentlich für das gemeinnützige Online-Wissenschaftsmagazin The Conversation . Der kalifornische CROWN Act wurde am 3. Juli diesen Jahres unterzeichnet. Das entsprechende New Yorker Gesetz am 12. Juli. Der Gesetzesentwurf für New Jersey muss noch unterzeichnet werden. 3. Welche Farben machen attraktiv? Für eine Studie der Universität von Westaustralien nahm eine Gruppe hellhäutiger Männer zwölf Wochen lang Betacarotin-Präparate ein, die gelbe und rote Farbtöne der Haut verstärken. Durch ihre rosige Gesichtsfarbe wirken sie attraktiver auf Frauen, schreiben die Forscher im Fachmagazin Behavioral Ecology. Der Psychologe Andrew Elliot von der Universität Rochester untersucht die Wirkung der Farbe Rot . In einer Studie erforschte er den Einfluss der Farbe der Kleidung auf die Attraktivität der Person. Blau ist die Lieblingsfarbe der Deutschen, belegen Umfragen des Meinungsforschungsinstituts YouGov . Doch auch in zehn anderen Ländern, unter anderem in Australien, China und den USA, gaben die meisten Befragten an, Blau am liebsten zu mögen. Das Farbunternehmen Pantone kürt jedes Jahr eine Trendfarbe . Die Farbe dieses Jahres ist Korallenrot. Der Kragenparadiesvogel präsentiert den Weibchen seine tiefschwarzen Federn während des Balztanzes. Stark wie ein Baum Einen guten Überblick über die immer höher wachsenden Holzgebäude in aller Welt gibt die Seite ThinkWood.com . Dort gibt es auch ein schönes Poster über die derzeit höchsten Holzgebäude. Eine Gruppe der Ruhr-Universität Bochum hat 2017 eine gründliche "Treibhausgasbilanzierung von Holzgebäuden" vorgenommen. Zum Zustand und zur nachhaltigen Nutzbarkeit des Waldes in Deutschland hat das Öko-Institut 2018 den Report "Waldvision Deutschland" veröffentlicht. Wer sich einen gründlicheren Einblick in wissenschaftliche Aspekte des Holzbaus verschaffen will, dem sei das Paper "The wood from the trees: the use of timber in construction" (Okt. 2016) aus dem Wissenschaftsjournal Renewable and Sustainable Energy Reviews empfohlen. Lasst uns Karten spielen! Einen ganz wunderbaren Blick in die Vergangenheit der Spielkarten liefert die Retrobibliothek , ein Nachschlagewerk aus dem Ende des 19. Jahrhunderts. Auch die Seite " Bridge is cool" beschäftigt sich mit der Geschichte des Pokers (englisch). Das Poker-Portal " poker-olymp " hat die Bedeutung der wichtigsten Karten zusammengetragen. Der Mönch Johannes von Rheinfelden erklärt in seinem Tractatus de moribus et disciplina humanae conversationis , der ältesten in Europa bekannten Beschreibung von Spielkarten, Spielregeln und Charaktere der Figuren sowie die gesamte Gesellschaftsordnung dieser Zeit. Eine Abschrift davon liegt in der Universitätsbibliothek Basel. Eine sehr umfassende Spielesammlung bietet die Website pagat.com mit 633 traditionellen und 579 neuen Spielregeln aus 117 Ländern der Welt. Wer sich für Zauberei interessiert, wird um Jochen Zmecks " Handbuch der Magie " nicht herumkommen – ein Standardwerk für Zauberlehrlinge und alte Hasen. 14 der 39 Kapitel handeln von der Kartenkunst. Duell in der Sonne Das Julius Kühn-Institut, das Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, hat die wichtigsten Informationen zum Bakterium Xylella fastidiosa in einem Merkblatt zusammengefasst. Die Befallszone im Süden Italiens ist fünfmal so groß ist wie Berlin, zeigt die aktuelle Karte . Die EU-Kommission passt die Maßnahmen zur Ausrottung oder Eindämmung des Bakteriums ständig an und aktualisiert die Liste der von Xylella infizierten Pflanzen . Die EU-finanzierten Forschungsprojekt POnTE (Pest organisms threatening Europe/Schadorganismen bedrohen Europa) und XF-ACTORS untersuchen den Überträger: die Wiesenschaumzikade. Dass sich Xyella auch in Nordeuropa ausbreiten könnte, zeigen Computermodellierungen der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA). Die Arbeitsgruppe des Suny College of Environmental Science and Forestry testet gentechnische Methoden zur Rettung der Kastanie . Über das große Ulmensterben in Deutschland schreibt ZEIT ONLINE auf dieser Seite . Wo fahren wir denn hin? Mobilität der Zukunft, Teil 2 Die Zahl der Studien zur Mobilität der Zukunft ist groß, denn Elektromobilität, autonome Fahrzeuge und Ride Pooling, aber auch Radverkehr und eine andere, fußgängerfreundliche Stadtentwicklung gelten als wichtige Trends für die kommenden Jahre. Hier ist eine Auswahl: "The Future of Mobility 3.0" der Unternehmensberatung Arthur D. Little (2018); interessant ist hierin der Blick auf die unterschiedlichen Voraussetzungen von drei Arten internationaler Metropolen für eine neue Mobilität. "Verkehrswende für Deutschland. Der Weg zu CO2-freier Mobilität bis 2035" , herausgegeben von Greenpeace (2017); die Kurzfassung der vom Wuppertal Institut erstellten Studie bietet einen guten Überblick, was bis 2035 zu tun ist. "Städteranking zur nachhaltigen Mobilität" , herausgegeben von Greenpeace (2017); das von Urbanista erarbeitete Städteranking bietet eine Fülle hochinteressanter Statistiken zu deutschen Großstädten – darin finden sich manche Überraschungen. "Die Evolution der Mobilität" , herausgegeben vom ADAC (2017); die vom Zukunftsinstitut angefertigte Studie wirft vor allem einen Blick auf die Mobilitätsbedürfnisse verschiedener gesellschaftlicher Gruppen und kommt so von einer technikgetriebenen Betrachtung weg, wie sie für IT- und Autounternehmen charakteristisch ist. "A time of unprecedented change in the transport system" vom britischen Government Board of Science (2019); die im Januar 2019 veröffentlichte Studie beschäftigt sich zunächst mit der Geschichte des Verkehrs in einem Industrieland, in diesem Fall Großbritannien, sowie den heutigen Herausforderungen und entwirft dann verschiedene Szenarien für das Jahr 2040. Bücher Wir danken der Lindauer Nobelpreisträgertagung für Unterstützung bei unserer Rubrik "Das lesen Nobelpreisträger". Nachtrag vom 6. September 2019: In der Infografik auf Seite 47 ist uns leider ein Fehler unterlaufen. Es muss heißen: Milliarden Hektar, nicht Millionen Hektar. Wir bitten den Fehler zu entschuldigen.
|
ZEIT Wissen
|
Mit welchen Experten wir gesprochen, welche Internetseiten wir besucht, welche Studien wir zu Rate gezogen haben, lesen Sie hier.
|
[
"Margit Ramus",
"Emilio Kropff",
"Edvard Moser",
"Sandra Becker-Bense",
"Andreas Schmidt",
"Herodot",
"Westdeutschland",
"Argentinien",
"María",
"Kolumbien"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2019-08-30T16:12:29+02:00
|
2019-08-30T16:12:29+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2019/05/quellen
|
Klimawandel: Berlin 2040 – eine Zeitreise ins Verkehrsgetümmel der Zukunft
|
Am Alexanderplatz in Berlin gibt es ein Fahrzeug der besonderen Art. Es fährt ein- bis zweimal die Stunde im Kreis und hat mehr als 200 Sitzplätze. Essen ist erlaubt, sogar erwünscht. Man steht nie im Stau und kann nicht von Geländewagen, die außer Kontrolle geraten, umgefahren werden. Willkommen im Drehrestaurant des Berliner Fernsehturms, 203 Meter über dem täglichen Verkehrskrampf. Von hier aus schauen wir auf die in Beton gegossene Idee einer Stadt, in der Autos Vorfahrt haben. Die Kugel des Fernsehturms soll uns als eine Art Kristallkugel dienen. Ausgerüstet mit Studien und Expertenprognosen, blicken wir von hier in die Zukunft, auf das Berlin des Jahres 2040 – nachdem wir in dieser Serie bereits zur Mobilität der Zukunft in die Jahre 2025 und 2030 gereist sind. An den Rändern der Stadt, hinter Rudow im Süden, hinter dem Teufelsberg im Westen, ist der Himmel in Bewegung. Fliegende Wale schweben dort heran, fast auf den Tag genau 103 Jahre nach dem Brand des Zeppelins Hindenburg auf dem Flugplatz von Lakehurst in New Jersey. Schon vor einigen Jahrzehnten hatten Enthusiasten versucht, die Idee des Luftschiffs zumindest als Lastentransporter wiederzubeleben. Am Ende hatten sich deren Konzepte nicht gerechnet. Gegen die mit günstigen fossilen Kraftstoffen befeuerte Schiff- und Luftfahrt hatten sie keine Chance. Doch in den 2020er-Jahren sind die Karten neu gemischt worden. Da war zum einen eine tief sitzende Konsumverweigerung jener "Generation Greta" , die ab 2019 weltweit gegen die Klimapolitik aufbegehrte. Diese Generation ist jetzt erwachsen. Die wenigsten besitzen einen eigenen Pkw. Wozu auch? Auf den Straßen nicht nur Berlins finden sie eine Vielfalt an öffentlichen Verkehrsmitteln, von Sammeltaxis bis zu autonom durch die Stadt rollenden Kugeltaxis, die ihren Mobilitätsbedürfnissen genügt. Diese Generation hat die Flugscham verinnerlicht: Die Zahl der Flugpassagiere ist deutlich gesunken. Als die Staaten im Jahr 2030 Zwischenbilanz bei den Klimazielen zogen, wurde klar: Die Ziele waren allesamt gerissen worden. Im alten Westen hatten nur wenige Länder es geschafft, ihre Treibhausgas-Emissionen wie geplant zu senken. Am schlechtesten innerhalb der Europäischen Union stand ausgerechnet Deutschland da. Kohlekraftwerke rauchten hierzulande immer noch, und der Anteil der erneuerbaren Energien hatte die 2019 von der letzten Merkel-Regierung angepeilten 65 Prozent nicht erreicht. Stattdessen stagnierte er bereits seit einer Weile bei 50 Prozent. Der Klimawandel verschärfte sich weiter und schuf auch für die Luftfahrt ein Problem, das Jahre zuvor nur in wenigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen erwähnt und übersehen worden war. In den 2010er-Jahren hatte der britische Meteorologe Paul Williams gewarnt, dass sich die sogenannten Klarluft-Turbulenzen über dem Nordatlantik ausweiten würden: "Unsere Ergebnisse lassen darauf schließen, das der Klimawandel bis Mitte des Jahrhunderts zu deutlich wackligeren Transatlantikflügen führen wird." Klarluft-Turbulenzen entstehen, wenn Luftmassen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten aufeinandertreffen. Sie treten bei wolkenlosem Himmel auf, zumeist in Regionen des Jetstreams und an Gebirgen, und sie sind mit Messinstrumenten kaum zu entdecken. Die Flugzeuge sacken in Luftlöcher, und an Bord fliegt alles – Passagiere, Tabletts, Servierwagen – durcheinander. Vor 2020 war dies nur auf wenigen Flügen passiert, aber die Knochenbrüche an Bord hätten eine Vorwarnung sein können. Ein Grund für das Phänomen ist laut Williams ein hoher Kohlendioxid-Gehalt in der Atmosphäre. So lange wie von ihm geschätzt dauerte es nicht, bis diese Turbulenzen vermehrt auftraten. Fliegen wurde zur Mutprobe. Schon ab 2035 war jeder dritte Transatlantikflug davon betroffen. Auch in anderen Weltgegenden entlang des nördlichen Jetstreams häuften sie sich. Die Passagierzahlen nahmen weiter ab und setzten das große Airline-Sterben in Gang. Für die Unternehmen, die da bereits seit Jahren neue Luftschiffe entwickelt hatten, eröffnete sich nun die große Chance. Sie bedienen vorzüglich die "neue Langsamkeit" der gegenwärtigen Epoche: Mit gemächlichen 150 Kilometern pro Stunde gleiten sie weit unterhalb der Stratosphäre über die Landschaften. Mit den Zeppelinen des frühen 20. Jahrhunderts haben sie den gasgefüllten, riesigen Rumpf gemeinsam. Schwenkbare Propellertriebwerke und kleine Tragflächen an den Seiten verleihen ihnen hingegen Eigenschaften, die bislang für Hubschrauber und Flugzeuge typisch waren. Und anders als Letztere benötigen sie keine ausladenden Start- und Landebahnen.
|
Niels Boeing
|
Flugtaxis, Zeppeline und Wasserstoffboote: ZEIT-Wissen-Autor Niels Boeing ist auf einer Zeitreise bis ins Jahr 2040. So könnte der Verkehr der Zukunft aussehen.
|
[
"Flugtaxis",
"Klimawandel",
"Wasserstoffboot",
"Zeppelin",
"Zeitreise",
"Wasserstoff",
"Luftschiff",
"Fahrrad",
"Wetter",
"Verkehrswende"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2019-10-25T20:07:19+02:00
|
2019-10-25T20:07:19+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2019/06/klimawandel-elektromobilitaet-wasserstoff-flugtaxis-verkehrswende-umweltschutz-zukunft/komplettansicht
|
ZEIT Wissen 6/2019: Hier haben wir recherchiert
|
Am Anfang drei Fragen 2. Tröstet Weinen? Der US-amerikanische Biochemiker William Frey verglich im Jahr 1981 die Zusammensetzung reflektorischer und basaler Tränen . Seine Ergebnisse präsentiert er im Fachmagazin American Journal of Ophthalmology. Für eine Studie der niederländischen Universität Tilburg schaute eine Gruppe von 60 Probanden den Film Das Leben ist schön. Während manche von ihnen zu Tränen gerührt waren, blieben die Augen der anderen trocken. 90 Minuten nach dem Film waren diejenigen, die weinten, fröhlicher als zuvor. "Weinen kann tatsächlich bewirken, dass man sich besser fühlt", schreibt der Autor der Studie, Asmir Gračanin. Der Psychologe Ad Vingerhoets von der Universität Tilburg erforscht die Funktion des Weinens. Warum wir weinen, erklärt er im TED-Talk Why do only humans weep? Der Psychologe Randolph Cornelius vom Vassar College in New York hat der Signalwirkung von Tränen nachgespürt. In seinem Forschungsbericht beschreibt er, wie die Probanden auf die Tränen ihrer Mitmenschen reagierten. 3. Sollte man seine Schrullen verstecken? In den 1980er-Jahren analysierte der Neuropsychologe David Weeks mehr als tausend Personen mit schrulligen Eigenarten. Das Ergebnis: Menschen, die zu ihren Schrullen stehen, "sind gesünder, weil sie glücklicher sind" und sie gehen seltener zum Arzt als der Durchschnitt. Außerdem sehen sie häufig "jünger aus, als es ihrem Alter entspricht", schreibt er in seinem Buch Exzentriker: Über das Vergnügen, anders zu sein. Über seine Studie spricht der Forscher auch in diesem Video . "Wie weit darfst du dein Ich betreiben", fragt Gottfried Benn in seinem Gedicht Verließ das Haus . Wo fahren wir denn hin? Über Luftschiffe wird wieder vermehrt nachgedacht. Eine aktuelle Studie von Julian David Hunt und anderen in Energy Conversion and Management (Sept. 2019) untersucht, ob man nicht den nördlichen Jet-Stream gewissermaßen als Rückenwind für neue Frachtluftschiffe nutzen könnte. Bloomberg berichtete im März 2019 über eine Kooperation zwischen der französischen Firma Flying Whales und der China Aviation Industry General Aircraft Co. (CAIGA) über den Bau neuer Luftschiffe. Einen Überblick über die Technologie ihrer Airlander-Luftschiffe gibt die britische Firma Hybrid Vehicles. Die Technik des Überschallflugs ist an sich ein Geheimnis. Die Forschung der letzten Jahre widmet sich vor allem der Frage, ob man mit Hilfe der Quiet-Spike-Technologie den Überschallknall mindern kann. Die NASA beschäftigt sich mit ihr seit den 2000er Jahren. Überblicksartikel dazu gab es z.B. bei CNET (2018) oder bei Machinedesign.com (2015). Die Dekarbonisierung der Schiffahrt untersuchen gleich mehrere Reports: der kanadische Brennstoffzellen-Hersteller Ballard Power Systems in "Fuel Cell Applications for Marine Vessels" (2019), die Sustainable Shipping Initiative in "Zero Emission Vessels: ‘What needs to be done?’" (2018) und die OECD in "Decarbonising Maritime Transport Pathways to zero-carbon shipping by 2035" (2018). Der Professor und der Offizier Das legendäre Interview mit den Sex Pistols ist hier zu sehen . Die Archäologie-Fakultät an der University of York gehört die zu den besten weltweit. Das Paper über die Ausgrabungen bei den Militärstützpunkten ist hier nachzulesen . In ihrer Doktorarbeit bezeichnet Rachael Kiddey die Obdachlosen als "Kollegen", und in dem Fachartikel, publiziert in Post-Medieval Archeology stehen zwei von ihnen mit in der Autorenzeile. John Schofield sezierte einen 14 Jahre alten, ausgemusterten Kleintransporter. Das Ergebnis publizierte er im Cambridge Archaeological Journal . "Wir sind jetzt alle Archäologen," schreibt der schwedische Gegenwartsarchäologe Cornelius Holtorf . Vom Teufelsberg aus lauschten die Alliierten in den Ostblock. "Wir konnten im Kreml das Zähneputzen abhören", soll ein Beteiligter gesagt haben . Teufelsberg: Von 1950 bis 1971 ließ der Senat über dem zweistöckigen Rohbau 26 Millionen Kubikmeter Kriegsschutt aus 88.000 Häuserruinen anhäufen, 120 Meter hoch. Die Stasi hatte 1984 einen Spion auf dem Teufelsberg angeworben . John Schofield und Paul Graves-Brown schrieben einen Artikel über das Kulturerbe der Sex Pistols für die Fachzeitschrift Antiquity. Sie verglichen die Kritzeleien mit den Höhlenmalereien von Lascaux . Fünf Jahre später stufte English Heritage das Haus als Kulturerbe der Stufe 2* ein. Die Pressemitteilung zitiert Kulturminister David Evennett, einen Mann von den Tories. Die große Schatzsuche Sand: Mette Bendixen von der University of Colorado und drei Kollegen haben in einem Kommentar für Nature im Juli 2019 das Ausmaß des Problems dargestellt. Die Studie von Harald Sverdrup et al. (2017), die sie in der Nature-Grafik zitieren und die unserer Grafik zugrunde liegt, gibt es hier . Phosphor: Die Soil Association hat bereits in einem Report von 2010 die Gefahr von "Peak Phosphor" beschrieben. Palmöl: Die Weltnaturschutzunion IUCN hat 2018 einen Report zur nicht-nachhaltigen Palmöl-Produktion veröffentlicht. Wie Palmöl in Europa in den Tanks der Autos landet, zeigt ein Briefing von Transport and Environment vom Juni 2019. Aktuelle Daten zu Weltjahresproduktion, Reserven und Ressourcen von metallischen und mineralischen Rohstoffen gibt es beim US Geological Survey (USGS) auf den Statistikseiten u.a. zu Lithium , Aluminium , Seltenen Erden und Phosphor (Phosphatgesteinen) . Wie häufig bestimmte Elemente in der Erdkruste vorkommen bzw. wie hoch ihr Massenanteil an der Masse der Erdkruste ist, ist in der Wikipedia ( deutsch , englisch ) oder in einer schönen Infografik (PDF) der Khan Academy aufgelistet. Die Zumutung Das Plakat des Zolls, das zu Beginn des Textes erwähnt wird, ist auf Twitter zu sehen . Der Amokläufer von München, David S., kaufte die Waffe, mit der er im Juli 2016 neun Menschen erschoss, im Darknet . In einem Artikel im Security Journal schreiben Mihnea Mirea, Victoria Wang und Jeyong Jung über die "Nicht so dunkle Seite des Darknet" . Den Browser Tor, mit dem man ins Darknet gelangt, kann man auf der Webseite des Tor Projects herunterladen. In diesem Onion-Wiki gibt es .onion-Adressen. Nutzerzahlen, Länder, Bridges oder Relays: Hier findet man alle Statistiken des Tor Projects . Die Berichte über die Finanzierung gibt es hier . In Deutschland betreibt der Verein Zwiebelfreunde e.V. die meisten Tor-Server. Die Räume der Zwiebelfreunde in Dresden und privaten Anwesen von Vorstandsmitgliedern wurden 2018 von der Polizei durchsucht . Auf sueddeutsche.de beschreibt Max Muth, wie es im Frühjahr 2019 zur Festnahme der drei Deutschen kam, die den zweitgrößten illegalen Darknet-Marktplatz betrieben . Hier wird erklärt, was eine VPN-Verbindung ist. Das Tor Project bekam einen Preis für sozialen Nutzen verliehen. Hier die Begründung der Free Software Foundation aus Boston . Edward Snowden nutzte Tor, um Dokumente an den Guardian zu schicken. Im Text wird er aus einem Interview auf dem Blog des Tor Projects zitiert. Der britische Journalist Jamie Bartlett hat das Buch The Dark Net geschrieben. Auch für Laien zu empfehlen. Mario Heiderich lehrt Web- und Browsersicherheit an der Uni Bochum . Mit seinem Unternehmen " Cure 53 " hackt er Firmennetzwerke, um deren Sicherheitslücken aufzuspüren.
|
ZEIT Wissen
|
Mit welchen Experten wir gesprochen, welche Internetseiten wir besucht, welche Studien wir zu Rate gezogen haben, lesen Sie hier.
|
[
""
] |
zeitwissen
|
Article
|
2019-10-17T14:21:58+02:00
|
2019-10-17T14:21:58+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2019/06/quellen
|
ZEIT Wissen 1/2020: Hier haben wir recherchiert
|
Am Anfang drei Fragen 1. Steigern starke Freunde das Selbstbewusstsein? Wie sich die beiden Freunde Tiger und Bär nach Panama aufmachen, beschreibt Janosch in seinem Buch "Oh, wie schön ist Panama". In der Zeichentrickreihe Janoschs Traumstunde wurde die Geschichte verfilmt. Freunde machen stark, zeigte der Psychologe Markus Heinrichs von der Universität Freiburg in einer Studie. In seinem Forschungsbericht erklärt er, warum uns Freunde in stressigen Situationen erden. Britische Forscher fanden heraus, dass sich die Wahrnehmungen enger Freunde unbewusst einander annähern. Dabei übt die stärkere Emotion den größeren Einfluss aus. Ihre Ergebnisse präsentieren die Wissenschaftler im Fachmagazin Psychology Today. "Mut ist genauso ansteckend wie Angst" , sagte die inzwischen verstorbene amerikanische Schriftstellerin Susan Sontag bei der Verleihung des Oscar-Romero-Preises an Ishai Menuchin im Jahr 2004. Für eine im Journal of Personality and Social Psychology erschienene Studie haben sich über 200 deutsche Studierende vier Wochen lang täglich selbst bewertet. Dabei fiel auf, dass sie besonders zufrieden mit sich waren, wenn sie an diesem Tag Zeit mit ihren Freunden verbrachten. 2. Welche Waffen haben Blumen? Forscher haben herausgefunden, dass es bei der Abwehrstrategie der Tabakpflanze vor allem darum geht, die Verteidigung zum richtigen Zeitpunkt zu aktivieren. Nicht diejenige Tabakpflanze überlebt, die sich am schnellsten wehrt, sondern diejenige, die das richtige Timing hat. Das bedeutet, dass die Pflanze wartet, bis die angreifende Raupe so groß ist, dass sie zur Nachbarpflanze flüchten kann und diese schwächt. Die toxischen, hemmenden oder abschreckenden Wirkstoffe , die zu den Abwehrstrategien von Pflanzen gehören, um möglichst flexibel auf unterschiedliche Gefahren zu reagieren, wirken meistens synergetisch und richten sich gegen mehrere Fraßfeinde. 3. Wie viele müssen dasselbe tun, damit es normal ist? Die Ergebnisse von Eleanor Roschs Experimenten , die zur Prototypensemantik führten und eine Brücke zwischen Kognitionspsychologie und Sprachwissenschaft schlugen, wurden 1975 im Journal of Experimental Psychology veröffentlicht. Die Normalverteilung nach Carl Friedrich Gauß ist heute aus der Stochastik nicht mehr wegzudenken. Eine vergleichsweise knappe Erklärung der Funktion samt Standardabweichung findet sich im Gabler Wirtschaftslexikon . Prof. Villa Braslavsky setzt sich für die Akzeptanz der Gender Studies ein und hat sich ausgiebig mit der Frage beschäftigt, warum sich Menschen Schönheitsoperationen unterziehen: vor allem um "normal" auszusehen. Ihr Talk "Schön normal?" für ARD alpha ist in der Mediathek des BR zu sehen. Mein Wille geschehe! Laut einer aktuellen Studie des Stellenportals Stepstone fühlt sich jeder zweite Arbeitnehmer unwohl dabei, mehr Geld zu verlangen. Dabei verbessert Verhandlungstraining nachweislich die Durchsetzungsfähigkeit, wie eine Metastudie zeigt. Laut einer Untersuchung der Negotiation Academy Potsdam sagt jeder fünfte befragte Manager, dass die schlechte Vorbereitung der Hauptgrund für gescheiterte Geschäftsgespräche sei. Über den Blowback-Effekt erschien eine Studie im Journal of Applied Psychology, die zeigt, dass sich aggressives Vorgehen lohnt – allerdings nur kurzfristig. Mit Freundlichkeit kommt man hingegen weiter, so eine Studie der Stanford-Universität. Wer in Verhandlungen die Interessen der Gegenseite betont, erreicht mehr. Das konnte Roman Trötschel in acht Studien mit insgesamt 650 Probanden beweisen. Er entwickelte dafür die Scale of interactive mindset. Anker sind ein bekannter Trick in Verhandlungen, wie eine Studie im Journal of Experimental Social Psychology zeigt. In einer Studie der Columbia-Universität New York erzielten die Gruppen, die ehrgeizige Spannweiten nannten, das beste Ergebnis. Eine im Journal of Experimental Social Psychology veröffentlichte Studie von David Loschelder zeigt, dass Menschen, die krumme Beiträge nennen, Expertise ausstrahlen, aber auch dazu neigen, defensiver zu agieren. In ihrem Buch " Kanzler, Krise, Kapital " beschreibt die Journalistin Marietta Slomka unter anderem, wie ein Parteitag funktioniert. Das Buch " Verhandlungen mit dem Arbeitgeber " von Klaus Watzin gibt einen gut strukturierten Überblick über das Verhandlungswesen für alle Arbeitnehmervertretungen. Wer die "Partie in der Oper" nachvollziehen will, findet die Partie interaktiv aufbereitet auf der Website chess.com. Die Schachregeln einfach erklärt stehen (inkl. Klick-Übungen) auf der Website schach.de . Die Zumutung: Die innere Uhr Ein "Leben ohne Tag und Nacht" führten die Probanden in Jürgen Aschoffs berühmtem Bunker-Experiment. Ronald Konopka und sein Doktorvater Seymour Benzer stießen 1971 auf die genetischen Grundlagen der inneren Uhr. Am California Institute of Technology machten sie Versuche mit der Fruchtfliege Drosophila melanogaster. Für die Isolierung des period-Gens erhielten die drei US-amerikanischen Chronobiologen Jeffrey Hall, Michael Rosbash und Michael Young 2017 den Medizin-Nobelpreis. Die Zusammenfassung ihrer Forschungsergebnisse präsentiert das Nobelkomitee hier . Mithilfe von Schaubildern erklärt Gregor Eichele vom Max-Planck-Institut für biophysikalische Chemie in Göttingen, wie der Feedback-Zyklus der inneren Uhr in jeder Körperzelle abläuft. Ein Video veranschaulicht den Mechanismus. Sauerstoffmangel verstellt die innere Uhr, zeigten Forscher vom Institut für Zoologie der Universität Innsbruck. Wer regelmäßig Sport treibe, könne sie teilweise korrigieren. In seinem Buch " Der Zirkadian-Code " beschreibt der Biologe Satchin Panda vom kalifornischen Salk Institute den Einfluss von Essgewohnheiten auf den menschlichen Biorhythmus. Panda erläutert das sogenannte Intervallfasten und erklärt, wie der persönliche Tagesablauf mit der inneren Uhr vereinbar ist. Über die positiven Effekte des Intervallfastens berichteten Forscher der Universität Graz in der Fachzeitschrift Cell Metabolism. Über den Umgang mit Medikamenten schreibt der Mediziner Björn Lemmer in seinem Buch " Chronopharmakologie ". Ziel sei es, die Einnahme von Medikamenten noch genauer auf die innere Uhr des Menschen abzustimmen. Zur Bestimmung der persönlichen Innenzeit haben Wissenschaftler der Charité einen Bluttest entwickelt. In " Tick, tack " geht die britische Autorin Claudia Hammond der Frage nach, wie die Wahrnehmung von Zeit im Kopf entsteht. Der Anti-Rassismus-Knigge Lann Hornscheidt empfiehlt folgende Bücher und Artikel: AK 2013 Critical Whiteness. Debatte um antirassistische Politik und nicht diskriminierende Sprache. Autor*innenkollektiv Rassismuskritischer Leitfaden 2015 Eddo-Lodge, Reni: "Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche" Lorde, Audre: "Vertrauen, Kraft, Widerstand. Vorträge und Reden" Sow, Noah: "Deutschland Schwarz-Weiß" Tupoka, Ogette: "Exit Racism. Rassismuskritisch denken lernen" Hasters, Alice: "Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen" Unter diesem Link findet sich auch das Video 'The unequal opportunity race' von Kimberlé Crenshaw Ein Glossar zu zu Rassismus und Sprache ist auf neuemedienmacher.de erschienen. Nachschlagewerk vom Antidiskriminierungsbüro Köln: Sprache schafft Wirklichkeit Nduka-Agwu, Adibeli und Lann Hornscheidt (Hg.): Rassismus auf gut deutsch. Ein kritisches Nachschlagewerk Arndt, Susan und Lann Hornscheidt: Afrika und die deutsche Sprache. Ein kritisches Nachschlagewerk. Münster Botschaften aus einer anderen Welt Der Neurochirurg Andreas Zieger hat zusammen mit anderen Medizinern in Oldenburg das Neuro-Netzwerk Weser-Ems gegründet, das sich an alle Betroffenen mit neurologischen Schädigungen beispielsweise aufgrund von Schlaganfällen, Hirnschädigungen, neuro-muskulären Erkrankungen und Schädel-Hirn-Traumata richtet – und an ihre Angehörigen. Informationen für Angehörige von Menschen in Koma und Wachkoma gibt diese Broschüre . Locked-In-Patient Gerhard Stoll hat zusammen mit seinem Bruder Siegfried das Buch "SOS – per Lidschlag" geschrieben. Dafür hat Gerhard Stoll mithilfe des Blinzelalphabets ein Jahr lang seinem Bruder Gedanken zu seiner Situation diktiert. Jetzt planen die beiden ein zweites Buch. Wie viele andere Patienten und ihre Angehörigen sieht auch die Familie Stoll das geplante " Gesetz zur Stärkung von Rehabilitation und intensivpflegerischer Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung " (RISG) von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn kritisch. Eine Reihe von Verbänden haben sich mit einer Petition an das Bundesministerium für Gesundheit gewandt, um gegen das RISG zu protestieren. Sie setzen sich dafür ein, dass die Betroffenen wählen können, wo sie leben und gepflegt werden. Der Mensch ist gut In dem populärwissenschaftlichen Buch " Connected " hat Nicholas Christakis vor zehn Jahren die Erforschung der Freundschaftsnetzwerke beschrieben. Im Magazin ZEIT WISSEN haben wir hier darüber geschrieben . Christakis’ neues Buch "Blueprint" ist im S. Fischer Verlag erschienen. Nicholas Christakis ist ein eifriger Twitter-Nutzer. Der Streit zwischen Christakis und StudentInnen über erlaubte und verbotene Halloween-Kostüme ist unter anderem in diesem Youtube-Video zu sehen. Gibt es Liebe auf den ersten Blick? Darüber spricht Nicholas Christakis in dieser Folge des ZEIT WISSEN-Podcasts .
|
ZEIT Wissen
|
Mit welchen Experten wir gesprochen, welche Internetseiten wir besucht, welche Studien wir benutzt haben, lesen Sie hier.
|
[
"Markus Heinrich",
"Susan Sontag",
"Eleanor Rosch",
"Carl Friedrich Gauß",
"Villa Braslavsky",
"Satchin Panda",
"Schriftstellerin",
"Panama",
"Potsdam",
"ZEIT"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2019-12-10T13:35:29+01:00
|
2019-12-10T13:35:29+01:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2020/01/quellen
|
ZEIT Wissen 2/2020: Hier haben wir recherchiert
|
Am Anfang drei Fragen 1. Wie macht man einen guten Plan? Der Norweger Roald Amundsen hatte seine Südpol-Expedition genau geplant. Er erreichte dadurch sein Ziel einen Monat früher als der Brite Robert Scott. Forscher der Peking University, der Korea University und der University of Iowa untersuchten verschiedene Planungsmethoden. Dafür ließen sie Gruppen von Studierenden Lernpläne erstellen und verglichen die Erfolge der Pläne. Die Ergebnisse der Studie erschienen in der Zeitschrift Psychological Science. Dass Planen oft zwecklos ist, weil es ohnehin immer anders kommt als man sich vornimmt, beschreibt Bertold Brecht in seiner Ballade von der Unzulänglichkeit menschlichen Planens . 2. Woran erkennen wir Realität? Michael Schredl hat das Buch " Träume – unser nächtliches Kopfkino" geschrieben. Das Lehrbuch " Kognitive Neurowissenschaften " von Hans-Otto Karnath und Peter Thier bündelt "das Wissen über die Grundlagen kognitiver Leistungen des Gehirns und ihrer krankheitsbedingten Störungen", wie die Autoren schreiben. Die Studie zur Spülung des Gehörgangs bei Anosognosie finden Sie hier . Über die Funktionen der Inselregion erschien eine Studie in der Fachzeitschrift Nature Review Neuroscience von Marc Wittmann. 3. Warum fühlen wir uns von Glitzerndem so angezogen? Die Marketingforscherin Vanessa Patrick untersuchte neben der Anziehungskraft des Glanzes unter anderem auch, warum uns das Auspacken von Gegenständen so Freude macht und wie Menschen zum recyceln animiert werden können – mit süßen Motiven auf Mülleimern. Die Studie von Richard Coss zum "Effekt reflektierender Oberflächen auf die Mundaktivität von Säuglingen und Kleinkindern" wurde 2003 im Ecological Psychology veröffentlicht . In einem Fachartikel über die Ästhetik der nordaustralischen Yolngu beschreibt Howard Morphy bir'yun (Brillianz) als Effekt, "der abgesehen von individueller Prägung und neurophysiologischen Faktoren kulturübergreifend wirkt" und "in der Kunst der Yolngu so natürlich auftritt wie beim Glanz des Meeres in der Abendsonne." Die Londoner Soziologin Rebecca Coleman befasst sich mit der kulturpolitischen Dimension des Glitzers. Ihr Buch "Glitterworlds" erscheint im April. Wer hat hier die Macht – und warum? ZEIT WISSEN-Serie "Mein Wille geschehe", Teil 2 Schon Kleinkinder erkennen den Unterschied zwischen einem Anführer und einem Tyrann, schlossen italienische Psychologen aus ihrer Studie . Die Definition von Macht hat eine lange Geschichte. Byung-Chul Han hat ihr ein Buch gewidmet. Fies, fieser, freundlich! Wirken negative Gutachter mächtiger? Dazu führte Teresa Amabile eine Studie mit positiven und negativen Buchrezensionen durch. Die Psychologin Amy Cuddy und Kollegen klären in ihrem Aufsatz , welcher Führungsstil erfolgreicher ist. Die sozialen Regelbrecher Gerben Van Kleefs Fensterstudie zeigt: Soziale Regelbrecher wirken besonders mächtig. Wie jedoch der Bruch sozialer Normen wahrgenommen wird, hängt eng mit dem kulturellen Kontext zusammen, zeigt eine Studie in 19 Ländern. Immer schön abstrakt Bill Clinton, George W. Bush und Barack Obama – alle drei veränderten ihre Sprache während ihrer ersten Amtszeit, zeigt eine Studie in der Fachzeitschrift Electoral Studies. Abstrakte Sprache signalisiert Macht – aber auch mangelnde Handlungsorientierung, beweist Mauricio Palmeira. Mächtige sprechen lauter und höher, zeigen Forscher der San Diego State University. Auch Schein ist Sein Amy Cuddy hat über ihre Ergebnisse zum Power Posing einen TED-Talk gehalten. Später wurden ihre Ergebnisse scharf kritisiert: Forbes hat den wissenschaftlichen Streit zusammengefasst. Eine Metastudie von Cuddy bestätigte einen Großteil ihrer Ergebnisse (außer den kurzfristigen Effekt auf die Hormone). Der Körper beeinflusst den Geist und umgekehrt: Adam Galinsky fasst seine Erkenntnisse über das "Mind Priming" zusammen. Großes Selbstvertrauen strahlt auf die Handlungen ab, konnte Cameron Anderson bestätigen. Chef mit Scheuklappen Das Workplace Bullying Institute hat eine Befragung unter amerikanischen Arbeitern und Arbeiterinnen durchgeführt über Mobbing auf der Arbeit. Der größte Stressfaktor des Menschen: Social-Evaluative Threat . Mächtige reagieren unempfindlicher auf das Leid anderer, fand Gerben van Kleef heraus. Auf seinem Universitätsprofil (unter "Reaserch" der zweite Punkt "The psychology of power and hierarchy") hat er seine Ergebnisse zusammengefasst. Macht legt dem Träger gewissermaßen Scheuklappen an, zeigt Ana Guinote vom University College London. Vor allem, wenn Macht auf selbst wahrgenommene Inkompetenz trifft, werden Mächtige aggressiv. Die Motivation hinter der Macht – persönliche oder soziale – hat Auswirkungen auf das Testosteronlevel und damit auf die Aggressivität. Die Kontrollillusion Selbst geringe Macht verstärkt die Anfälligkeit für eine Kontrollillusion , zeigt ein Würfelexperiment von Nathanael Fast und Deborah Gruenfeld. Wer Beziehungen zu positiv sieht und sie nicht pflegt, fällt irgendwann vom Thron, zeigen Sebastien Brion und Cameron Anderson. Mit fremden Federn Noah Goldstein und Nicholas Hays schrieben über den Effekt der "scheinbaren Machtübertragung". Auch Stellvertretersiege , etwa bei Fußballfans, haben einen Einfluss auf den Testosteronspiegel. Beide Effekte zeigen sich jedoch nur bei Männern , wie Ian Robertson in seinem Buch "Macht – Wie Erfolge uns verändern" beschreibt. Der Underdog-Effekt Selbst geometrische Figuren lösen den Underdog-Effekt aus, zeigt ein Experiment der University of Richmond. Auch Verlierer können Wahlen gewinnen, zeigt eine Studie mit manipulierten Wahlergebnissen. Underdog-Markenbiografien erhöhen die Kundenbindung. Die Bibelstelle "David und Goliath" aus dem alten Testament kann man hier nachlesen. Die Fantasy-Romanreihe " Harry Potter " der englischen Schriftstellerin Joanne K. Rowling verkaufte sich bisher rund 500 Millionen mal. Im Film "Rocky" verliert Rocky Balboa am Ende seinen großen Kampf – auch wenn viele Zuschauer sich anders erinnern. Die Zumutung: 5G An 5G scheiden sich, aus unterschiedlichen Gründen, die Geister. Für die einen ist es die Zukunft des Internets, das wahre Netz der Netze, für andere birgt es zuerst Risiken. Einen Überblick über die Technologie und die möglichen Anwendungen der fünften Generation des Mobilfunknetzes geben unter anderem folgende Reports: ein gemeinsam von Fraunhofer-Forschern und Ingenieuren der Universität Paderborn verfasstes Whitepaper von 2019 sowie auf Englisch "A network of networks" der Marktforschungsagentur Deloitte (2017), "The Mobile Economy" des Verbands der nordamerikanischen Mobilfunkbetreiber GSMA (2019) und ein Whitepaper des Mobilfunkausrüsters Ericsson (2017). Die derzeitigen Sicherheitsbedenken hat kürzlich der renommierte IT-Sicherheitsexperten Bruce Schneier in seinem Blog zusammengefasst. Der ehemalige Chef der US-Telekommunikationsaufsicht FDA, Tom Wheeler, hat für die Brookings Institution vor einigen Monaten in einem Aufsatz "neue Ansätze für die Cybersecurity" aufgrund von 5G angemahnt. Die Organisation Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs IPPNW hat im Oktober 2019 ein Moratorium für 5G gefordert , ausgehend vom Beschluss des IPPNW-Jahrestreffens im Mai 2019. Bereits 2017 hatten Ärzte und Wissenschaftler aus aller Welt im "5G-Apell" vor Gesundheitsrisiken durch die neue Technologie gewarnt. Hauptplattform der 5G-Gegner in Deutschland ist die Seite Diagnose:Funk . Die Seite izgmf.de wiederum setzt sich mit den Argumenten der Elektrosmog-Gegnern auseinander und ordnet hier die Diskussion um eine Studie zu den Gesundheitsgefahren von 5G ein . Informationen zu Gesundheitsrisiken von Radiowellen, wie sie im Mobilfunk eingesetzt werden, bietet das Bundesamt für Strahlenschutz auf einer eigenen Themenseite an. Das Amt hat im September 2019 angesichts der Kritik außerdem eine Stellungnahme zu 5G abgegeben. Innovation in Shenzhen: Was haben Sie denn so vor in Zukunft? Scotty Allen, der König der Maker, veröffentlicht seine Videos auf dem Youtube-Kanal Strange Parts . In dem Buch Learning from Shenzhen schreibt ein Autorenkollektiv über die Entwicklung Shenzhens von der Sonderwirtschaftszone bis zur modernen Megacity. In Shenzhen Superstars berichtet der freiberufliche China-Korrespondent Johan Nylander über Entrepreneure und Innovatoren in Shenzhen. Der ehemalige Chef von Google China beschreibt den Wettlauf Chinas und Amerikas in Sachen künstlicher Intelligenz in AI Superpowers . Mit der persönlichen Geschichte um seine Krebserkrankung. Sehr lesenswert. Ein guter Startpunkt für Menschen, die das Innovationsökosystem von Shenzhen kennenlernen wollen, sind SZOIL.org , der Hardware Accelerator HAX , Shenzhen Valley Ventures sowie der Makerspace Troublemaker . In diesem Youtube Video erklärt David Li von SZOIL die Entwicklung Shenzhens vom Paradies der Copycats zur Innovationsstadt. Die AHK Greater China unterstützt Unternehmen, die in China Geschäfte machen wollen. Über die Super-App WeChat hat Xifan Yang, die China-Korrespondentin der ZEIT, hier geschrieben . KittenBot heißt das Startup von Zhang Huang. Microsoft empfiehlt dessen Gadget Meowbit. Informationen zu internationalen Patentanmeldungen stellt die WIPO hier bereit. Lässt sich Innovation von oben verordnen? Hier die Rede von Ministerpräsident Li Keqiang vom 10. September 2014. Im Fünfjahresplan der Zentralregierung für den Zeitraum 2016 bis 2020 taucht der Begriff Innovation (创新) mehr als 200- Mal auf . In China ertrinken jedes Jahr mehr als 60.000 Menschen , in der Mehrzahl Kinder und Jugendliche , in diesem Alter ist Ertrinken die Todesursache Nummer eins . In diesem Artikel beschreibt das Magazin MIT Technology Review die vier Entwicklungsphasen von Shenzhen. Das Berliner Startup Soundbrenner hat eine Metronom-Uhr für Gitarristen, Schlagzeuger und andere Musiker erfunden. Sie wird von Fenda Technology produziert. Ich bin In und du bist Ex Der britische Soziologe Steven Lukes hat 2005 in der "Cambridge History of Twentieth-Century Political Thought" im Schlusskapitel "Epilogue: The grand dichotomy of the twentieth century" Geschichte und Konzept von Links und Rechts zusammengefasst. Der Soziologe Jan Fuhse zeigt in seinem Aufsatz "Links oder rechts oder ganz woanders? Zur Konstruktion der politischen Landschaft" (2004) einige interessante grafische Darstellungen, in denen das Links-Rechts-Schema, bezogen auf verschiedene Epochen, durch quer dazu liegende Achsen ergänzt wird. Die zusätzliche Unterscheidung zwischen Kosmopoliten und Kommunitaristen hat der Soziologe Wolfgang Merkel unter anderem 2018 in dem Buchkapitel "Die populistische Revolte" beschrieben. Empfehlenswert für historische Details zur Entwicklung der Konzepte Links und Rechts ist außerdem das Buchkapitel "Left and Right: Critical Junctures" von Joao Cardoso Rosas und Ana Rita Ferreira aus dem von ihnen herausgegebenen Sammelband "Left and Right: The Great Dichotomy Revisited" (2013). Die wilde 13 Die Münchner Gärtnerei Gaissmayer verschickt 250 heimische Wildstauden. In der "Pflanzensuche" kann man dazu einfach unter "Sonstige" nach "Heimische Wildstaude" filtern. Der Hof Berg-Garten verschickt ausschließlich Wildstauden. Die Kräuter- und Wildpflanzen-Gärtnerei Strickler verschickt Topfpflanzen und Samen und hat viele hilfreiche LInks. Die Firma Culinaris hat eigene Balkon-Saaten-Boxen und viel naturnahes Saatgut. Die Biologen Bernd Dittrich und Paul Westrich haben für die Kräutergärtnerei Syringa zwei Wildbienen-Saatgutmischungen konzipiert – für einjährige oder mehrjährige Stauden. Die Datenbank des Bundesamtes für Naturschutz (BfN) enthält Daten und Informationen zu Wildpflanzen und der Vegetation Deutschlands. Wer unsicher ist, wo welche Staude am besten steht, findet beim Garten-Kollektiv eine übersichtliche Auflistung. Naturgarten e.V. , ein Zusammenschluss naturnaher Gärtner, hat auf seiner Website neben vielen Infos und Links auch Saatgut- und Büchertipps. Das ganze Interview mit Naturgartenplanerin Paula Polak von Naturgarten.org lesen Sie hier . Uwe Westphal spricht bei GEO .de unter anderem über die Forsythie. Die evangelische Nachrichtenwebsite chrismon hat viele weitere Tipps gesammelt. Reinhard Witt hat ein umfangreiches Buch über den Naturgarten geschrieben – mit viel Detailwissen und praktischen Tipps: "Natur für jeden Garten. 10 Schritte zum Natur-Erlebnis-Garten. Planung, Pflanzung, Tiere, Menschen, Pflege" (Verlag Naturgarten). Denkschulen: Hegel Eine tolle neue Biografie von Georg Wilhelm Friedrich Hegel zu dessen 250. Geburtstag hat der Philosoph und Hegel-Experte Klaus Vieweg geschrieben. Eine gute und wunderbar zu lesende Einführung in Hegels Denken ist gerade von Sebastian Ostritsch bei Ullstein erschienen .
|
ZEIT Wissen
|
Mit welchen Experten wir gesprochen, welche Internetseiten wir besucht, welche Studien wir benutzt haben, lesen Sie hier.
|
[
"Rocky Balboa"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2020-02-18T11:30:11+01:00
|
2020-02-18T11:30:11+01:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2020/02/quellen
|
ZEIT Wissen 3/2020: Hier haben wir recherchiert
|
Am Anfang drei Fragen 1. Machen Tiere eigentlich auch Ausflüge? Durch ihren Wandertrieb motiviert brechen viele Tiere in Herden zu langen Wanderungen auf. Die weitesten Strecken unter den Landtieren legen Rentiere zurück, wie ein Team um den amerikanischen Zoologen Kyle Joly herausfand. Der Mensch ist bei den Ausflügen ein großer Störfaktor: In kultivierten Landschaften bewegen sich die Tiere nur ein Drittel bis halb so weit fort. Das ergab eine Studie der Senckenberg-Gesellschaft für Naturforschung . Laut den britischen Biologen Nathan Emery und Nicola Clayton haben wilde Tiere gar keine Zeit, nur zum Spaß Ausflüge zu machen. Die Forscher untersuchen speziell das Freizeitverhalten von Vögeln. 2. Welche Architektur macht glücklich? Horace Walpoles neogotisches Landhaus zog nicht nur im 18. Jahrhundert viel Aufsehen auf sich. Mittlerweile hat " Strawberry Hill ", Walpoles Residenz südwestlich von London, seine Tore auch für Besucher geöffnet. "Wir formen unsere Gebäude, danach formen sie uns" , sagte Winston Churchill 1943 über den geplanten Wiederaufbau des britischen Unterhauses. Formen haben einen Einfluss auf unsere Emotionen, zeigt eine in der Fachzeitschrift PNAS erschienene Studie. Die Forscher fanden heraus, dass beim Betrachten von Bögen und Kurven das Belohnungssystem des Gehirns aktiviert wird. Eine geordnete und wiederkehrende Struktur suchen wir nicht nur in Fassaden, sondern auch im Inneren eines Gebäudes, zeigen Neurowissenschaftler des University College in London. Hier erklärt Kate Jeffery, eine der Forscherinnen, wie wir uns in Räumen zurechtfinden. Über die individuelle Wirkung von Architektur schreibt der britisch-schweizerische Autor Alain de Botton in seinem Buch " Glück und Architektur ". 3. Woher kommt bloß der ganze Sand? "Sisyphos’ Dementi" ist ein Gedicht von Hans-Ulrich Treichel und wurde unter anderem in der Sammlung "Mythos Sisyphos", herausgegeben von Bernd Seidensticker und Antje Wessels, abgedruckt. "Kreislauf der Gesteine" von Klaus-Henning Georgi ist eine Einführung in die Geologie und erklärt wissenschaftlich, aber verständlich den Prozess der Erosion. Alles Wissenswerte über Strände, ihre Entstehung, und wie sie nach den drei Regeln geformt werden, beschreibt der Wissenschaftsjournalist Andrea Gentile in seinem Buch "Wie kommt der Sand an den Strand". Hier finden sich auch Informationen darüber, wie der menschengemachte Klimawandel unsere Küsten erneut verändert. Der Tagesschau erzählte Marcel Fangohr, Bürgermeister von Wangerooge, wie Orkan Sabine seine Badestrände wegspülte. Über Sand als Ressource informierte kürzlich der Deutschlandfunk im "Hintergrund" . Eine Broschüre der UNEP bietet einen ausführlichen Bericht über Probleme und Lösungsansätze rund um das Thema. In jedem Frühjahr legt der Umweltminister Schleswig-Holsteins fest, wie viel Sand auf Sylt vorgespült werden soll. Letztes Jahr waren es 1,2 Millionen Kubikmeter . Kleines Zuhause, große Ideen Umfangreiche Quellen zu Isaac Newton und seinen Apfel zum Nachlesen? Gibt es etwa im Blog der Royal Society (sogar mit Link zur hires-gescannten Newton-Biographie von William Stukeley, in der die Geschichte von dem Apfel erstmals erzählt wurde), beim Newton Project und auf der Homepage des Gutshauses von Woolsthorpe . Ein Überblick über die Erfindungen von Konrad Adenauer findet sich auf seiner Homepage . Eine Sammlung der Schreiborte von Schriftstellern gibt es bei der Süddeutschen Zeitung . Eine inspirierende Quelle ist auch das Buch " War ja nur so ‘ne Idee " von Christian Kämmerling über Innovationen, Pionierleistungen, Geistesblitze von klugen Köpfen. Warum tue ich nicht, was ich will? ZEIT WISSEN-Serie "Mein Wille geschehe", Teil 3 Wie Gewohnheiten funktionieren und wie wir Kontexthinweise nutzen können, beschreibt die Psychologin Wendy Wood in ihrem Buch " Good Habits, Bad Habits " (auf Englisch). Über Motivationsforschung schreibt Daniel Pink in seinem Buch " Drive – Was Sie wirklich motiviert ". Gabriele Oettingen beschreibt die WOOP-Methode unter anderem in ihrem Buch " Die Psychologie des Gelingens ". Für Menschen mit wenig Zeit: Hans-Georg Willmann hat ein kurzes Büchlein über Willenskraft geschrieben: " 30 Minuten Willenskraft ". Über Self-Nudging schreibt u.a. Jan Mayer in seinem Buch " Wenn’s drauf ankommt ". Roy Baumeister und John Tierney haben in " Die Macht der Disziplin " viele Studien zusammengetragen. Die Zumutung: Veganismus Einen umfassenden Überblick über die Geschichte der veganen Ernährung sowie ihre Auswirkungen auf die Gesundheit findet man im Standardwerk " Vegetarische und vegane Ernährung " von Claus Leitzmann und Markus Keller. Mit der Geschichte des Veganismus befasst sich auch John Davis von der Internationalen Vegetarier-Union. Die Bayerische Landesanstalt für Wald und Forstwirtschaft hat hier tabellarisch zusammengetragen, welche Mengen CO2 Bäume kompensieren. Um die Klimabilanz von Lebensmitteln zu berechnen, erstellen Wissenschaftler sogenannte Lebenszyklusanalysen (LCA), mit denen angegeben wird, wie viele Treibhausgase für Produktion, Lagerung, Transport und Verarbeitung eines Lebensmittels frei werden. Forscher der Universität Michigan haben eine Liste erstellt. Lebenszyklusanalysen sind sehr komplexe Berechnungen. Je nachdem, welche Faktoren einbezogen werden, können die Ergebnisse stark variieren und auch von Land zu Land unterschiedlich ausfallen. Ein Vergleich von tierischen und pflanzlichen Lebensmitteln findet man auch auf der Homepage des Bundesministeriums für Umwelt. Kurt Schmidinger hat die Methode der Lebenszyklusanalyse um den Faktor der verabsäumten CO2-Senke erweitert. Wie ineffizient eine auf Tierhaltung fokussierte Landwirtschaft ist, verdeutlicht die Studie von Joseph Poore und Thomas Nemecek, die 2018 in der Fachzeitschrift Science veröffentlicht wurde. Wie viele Tiere jedes Jahr in Deutschland und auf der Welt geschlachtet werden ist im Fleischatlas der Heinrich-Böll-Stiftung nachzulesen. Die Sozialpsychologin und vegane Aktivistin Melanie Joy hat den Begriff "Karnismus" erfunden. Die Ideologie des Fleischessens erklärt sie hier . Inventur der guten Ideen Europa der Regionen Leopold Kohrs Aufsatz von 1941, "Einigung durch Teilung" , wurde 1991 von der ZEIT zum 50. Jahrestag noch einmal abgedruckt. Lesenswertes Zeitdokument. Resilienz der Produktion Die Idee der Resilienz im Zusammenhang mit Klimawandel und ressourcenschonender Ökonomie vertritt unter anderem der Postwachstumsökonom Niko Paech in diesem Paper . Demokratie per Losverfahren David van Reybroucks Buch "Gegen Wahlen" von 2017 ist zugleich Geschichte und Kritik der Demokratie mittels Wahlen. Es sollte im Schulunterricht gelesen werden. Open Access Die Berliner Erklärung war 2003 der vorläufige Höhepunkt der Debatte um einen offenen Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen. Fab City Die globale Initiative für eine Fab City hat auf ihrer Webseite ein Manifest und ein weiterführendes White Paper veröffentlicht. Premortem Analyse Der kurze Aufsatz von Gary Klein zur Premortem-Analyse ist 2007 in der Harvard Business Review erschienen. Der Ökonom und Wirtschaftsnobelpreisträger Richard Thaler hat die Idee auf Edge.org gelobt . Grundeinkommen Zum Bedingungslosen Grundeinkommen sind zahlreiche Bücher und Aufsätze erschienen. Ein guter Einstieg ist der 25-seitige WSI-Report zum Thema von Dorothee Spannagel (2015), der die verschiedenen Ansätze sortiert und erläutert. Herdenimmunität Paul Fine und Kollegen von der London School of Hygiene and Tropical Medicine haben 2011 einen "Rough Guide" zur Herdenimmunität geschrieben. Alloparenting Die neurobiologischen Ursachen und Wirkungen des Alloparenting haben William Kenkel und Kollegen 2017 in einem Paper zusammengefasst. Die Psychologin Abigail Marsh beschreibt die Relevanz des Konzepts auf Edge.org. Babylonische Lotterie Eine englische Übersetzung von Jorge Luis Borges' "Die Lotterie in Babylon" gibt es hier . Die Mathematikerin Coco Krumme hat einen Kommentar zur Geschichte auf Edge.org veröffentlicht . Gebrauchsanleitung für ein Gefühl: Ungeduld In " Die Markierung von Ungeduld " zeigt die Soziologin Michaela Pfadenhauer, welchen Einfluss Ungeduld auf das soziale Miteinander hat. Mit steigendem Testosteronspiegel wächst die jugendliche Ungeduld , fand der Psychologe Wouter van den Bos vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung heraus. Daher sind speziell Jungs in der Pubertät besonders ungeduldig. "Würden sie lieber entweder heute günstig ins Kino gehen – oder in zwei Wochen in einen teureren Kurzurlaub fahren?" Diese Frage stellte die Psychologin Corinna Laube vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung Probanden in ihrer Studie. Die Ergebnisse weisen auf einen Zusammenhang zwischen Ungeduld und Zeitwahrnehmung hin. Der berühmte Marshmallow-Test des Persönlichkeitspsychologen Walter Mischel, bei dem Kinder eine zweite Süßigkeit bekommen, wenn sie die erste nicht essen, gilt als Gradmesser für Selbstbeherrschung. Ungeduld ist ungesund – das belegen Studien der Universität Singapur und der kanadischen University of Calgary . Gleichzeitig kann Fast Food Ungeduld befördern. Forscher der Universität Toronto haben bewiesen, dass bereits der Gedanke an Pommes oder Burger ungeduldig macht. Um sich in Geduld zu üben, empfiehlt Walter Mischel " Wenn-dann-Pläne ". Galerie: Expedition zur Erde Die Ausstellung "Towards No Earthly Pole" mit Werken von Julian Charrière wird dieses Jahr im Aargauer Kunsthaus in Aarau in der Schweiz (ab 4. September 2020) gezeigt. Teile seiner Kunst sind zudem in der Galerie Sies + Höke in Düsseldorf in der Ausstellung "Thickens, pools, flows, rushes, slows" (Sommer 2020), sowie im Sprengelmuseum in Hannover in der Ausstellung "Elementarteile" (bis 31. Dezember 2021) zu sehen. Auch das Museum Bern zeigt in der Schweiz in der Ausstellung "Weltuntergang – Ende ohne Ende" (bis 13. November 2022) seine Kunst, genau wie die Alfred Ehrhard Stiftung Berlin mit der Ausstellung "Modell-Naturen in der zeitgenössischen Fotografie". Weitere Informationen gibt es auf der Website des Künstlers selbst, sowie auf der Homepage des MASI Lugano Museo d'arte della Svizzera italiana (Schweiz). Solitude Der Artikel orientiert sich an einem Paper der Psychologen Christopher R. Long und James R. Averill , die es sich zur Aufgabe gemacht haben, auf die positiven Seiten des Alleinseins aufmerksam zu machen. Alle Studien rund um das Antarktis-Projekt der NASA sind in dem Buch From Antarctica to Outer Space versammelt. Wie die Forscher sich in ihrer eigenen Welt verloren, beschrieb die Psychologin Marianne Barabasz ; dass viele aber auch vertrauensvoller wurden, beobachtete Donna C. Oliver .
|
ZEIT Wissen
|
Mit welchen Experten wir gesprochen, welche Internetseiten wir besucht, welche Studien wir benutzt haben, lesen Sie hier.
|
[
""
] |
zeitwissen
|
Article
|
2020-04-21T06:00:03+02:00
|
2020-04-21T06:00:03+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2020/03/quellen
|
ZEIT Wissen 4/2020: Hier haben wir recherchiert
|
Am Anfang drei Fragen 1. Verlassen oder verlassen werden – was ist schlimmer? Für jemanden anderen verlassen werden, ist die schlimmste Art der Zurückweisung, fanden Sebastian Deri und Emily M. Zitek von der Cornell University in ihrer Studie heraus. Bevor eine Partnerschaft zerbricht, gibt es oft eine (lange) Vorgeschichte. Die norwegische Psychologin Sissel Gran hat darüber ein Buch geschrieben: "Ich verlasse dich, weil ich leben will" . Verlassen werden tut körperlich weh, fand Ethan Kross von der University of Michigan heraus. Die Studie im Journal of College Counseling beschäftigt sich mit den psychischen Folgen von Trennungen. Liebeskummer vergeht schneller als man denkt, sagt eine Studie von Paul W.Eastwick und Kollegen. 2. Wie viel Platz brauchen wir zum Leben? Die Ingenieure haben ihre Konstruktion für das Marshaus in dieser Studie vorgestellt. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Mindestgröße einer Gefängniszelle finden Sie hier . Das Umweltbundesamt hat aktuelle Zahlen zur Wohnsituation der Deutschen hier zusammengefasst. In dieser Studie erklärt Maurie Cohen, Professor für Nachhaltigkeit, wieso wir immer mehr Platz haben und wie viel Platz wir wirklich brauchen. Wie der Vergleich mit unseren Nachbarn unsere Zufriedenheit beeinflusst, zeigt diese Studie . 3. Wie machen Mönche Urlaub Arnulf Salmen von der Deutschen Ordensobernkonferenz (DOK) spricht für 412 Obere, die insgesamt rund 17.000 Ordensfrauen und -männer in Deutschland vertreten, davon 13.500 Ordensschwestern und etwa 3.500 Ordensmänner. Mönche haben der Klosterstudie zufolge eine höhere Lebenserwartung als der Rest der männlichen Bevölkerung. Der Unterschied liege zum Teil bei vier Jahren, wie der Rostocker Demographie-Professor Marc Luy bei der Auswertung der Lebensdaten in verschiedenen Klöstern herausgefunden hat. Pater Christoph ist Mönch und wirtschaftlicher Leiter in der Abtei Münsterschwarzach. Er gab telefonisch Auskunft über sein Leben als Mönch. Ebenso der ehemalige Benediktinermönch Fulbert Steffensky , mit dem ein Telefonat zu einer Glücksstunde und einer Turbo-Vorlesung zu Fragen nach dem Sinn des Lebens werden kann. Die Vermessung des Wolfs Kurt Kotrschal gehört zu den Gründern des Wolf Science-Center im österreichischen Ernstbrunn, er forscht und lehrt an der Universität Wien über die Beziehung zwischen Mensch und Tier und leitet die Konrad-Lorenz-Forschungsstelle in Grünau, wo das Verhalten von Graugänsen, Raben und Waldrappen erforscht wird. Markus Schmidbauer hat über ihn den Film Kurt und die Wölfe gedreht . Ilka Reinhardt hat zusammen mit Gesa Kluth das LUPUS-Institut für Wolfsmonitoring und -forschung in Deutschland gegründet, sie ist Wolfsbeauftragte des Landes Sachsen und eine der besten Kennerinnen wildlebender Wölfe in Deutschland. Es gibt zwar eine Reihe von Büchern über Wölfe, aber der Forschungsstand der meisten ist veraltet. Auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft ist dagegen das gerade im Schweizer Werdverlag erschienene Buch Wolfsodyssee . Der Autor ist zwar kein Biologe, sondern der Naturfotograf Peter A. Dettling , aber ihm ist es gelungen, in seiner autobiografischen Reisebeschreibung auch Verhaltensforschung, Biologie und Naturgeschichte verständlich zu präsentieren. Auch Petra Ahne ist auch keine Wolfsforscherin, aber ihr Porträt der Wölfe, erschienen 2016 in der wunderbaren Reihe Naturkunden im Verlag Matthes & Seitz bietet nicht nur kulturgeschichtlich einen sehr guten Überblick. Elli H. Radingers autobiografischer Bestseller Die Weisheit der Wölfe könnte man schon als Klassiker bezeichnen. Und auch das von ihr gemeinsam mit Günther Bloch verfasste Übersichtswerk Der Wolf kehrt zurück hat das Zeug zum Standardwerk über Wölfe. Das Handbuch Wolf von Henryk Okarma und Sven Herzog ist 2019 bei Kosmos erschienen und bietet eine hervorragende Sammlung von Studien und Fachliteratur, vernachlässigt aber punktuell darauf hinzuweisen, wenn Kenntnisse durch die Forschung inzwischen revidiert wurden. Bei der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf erhält man aktuelle Nachrichten aus der Wolfsforschung, aber vor allem alles über Wolfsmonitoring und -management in Deutschland. Wie viel Platz Deutschland für Wolfsrudel und ihre Territorien bietet, hat das Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung in einer Studie über geeignete Lebensräume für Wölfe veröffentlicht. Im Labor der Naturschutzgenetik am Senckenberg -Standort in Gelnhausen werden Wolfsproben untersucht, um Erkenntnisse über das Vorkommen von Wölfen in Deutschland zu gewinnen. Das Bundesamt für Naturschutz veröffentlicht aktuelle Daten und Studien zum Vorkommen der Wölfe in Deutschland, aber auch über den Umgang mit Wölfen. Auto-Psychologie Das " Hup-Experiment " misst die Zeit, die vergeht, bis ein durch ein Fahrzeug an der Weiterfahrt gehinderter Verkehrsteilnehmer die Hupe betätigt – zum Beispiel an einer grün werdenden Ampel. Nach dem Ansatz der Self-congruity theory kaufen Verbraucher die Marken, die ihre tatsächliche oder ideale Persönlichkeit am besten widerspiegeln. "Not only assholes drive Mercedes" , nennen Jan Erik Lönnqvist,Ville-Juhani Ilmarinen und Sointu Leikas ihre Studie über den Zusammenhang von Charakter und schnellen Autos. Machen prestigeträchtige Autos sexier ? Dieser Frage widmen sich Michael J. Dunn and Robert Searle in ihrer Untersuchung. Sarah Pelters schreibt im Journal of New Frontiers in Spatial Concepts über die Geschichte und die emotionale Bedeutung des Autos. Über die Geschichte des Autos in den USA schrieb z.B. auch Lee Vinsel , Michael Dick widmet sich in seiner Ausarbeitung den Motiven des Autofahrens – und findet unter anderem heraus, dass die Blickachse des Fahrenden entscheidend ist. Die Zumutung: Die Mathematik der Solidarität Versicherungsmathematik ist nicht gerade eine Freizeitbeschäftigung. Wer es genauer wissen will, wird hier fündig: Das Konzept der Wahrscheinlichkeit, das Gesetz der Großen Zahlen und die Anwendung von gewichteten Wahrscheinlichkeiten sind in diesem Blogeintrag von Gordon Atlantic Insurance angenehm klar und einfach erklärt. Daraus ist auch das Beispiel im Abschnitt "Basislager" entnommen. Vorlesungsskripte zur Einführung in die Grundlagen der Versicherungsmathematik für Lebensversicherungen gibt es von Ragnar Norberg (englisch) und Volkert Paulsen von der Uni Münster (deutsch). Das Beispiel im Abschnitt "Erster Anstieg" stammt aus dem Skript von Norberg und ist dort genau hergeleitet. Das im Artikel zitierte Paper von Pavel Grigoriev et al. zu Unterschieden in der Sterblichkeitsrate von Deutschen, in Abhängigkeit von Einkommen und Bildung, wurde iim Journal BMJ Open veröffentlicht. Die Bundeszentrale für Politische Bildung bietet umfangreiches und lesenswertes Material zu Geschichte und Konzepten von Krankenversicherungen (von Thomas Gerlinger und Wolfram Burkhardt) und Rentenversicherungen (von Gerhard Bäcker und Ernst Kistler), auch im europäischen Vergleich (von Thomas Gerlinger und Renate Reiter). Kursorische Einführungen in die Extremwerttheorie bieten verschiedene Präsentationen, u.a. von Petra Friedrichs (Universität Bonn) und Greg Herman (Colorado State University), die beide von der Gauss’schen Normalverteilung abweichende Verteilungen zeigen. Nicht vergnügungssteuerpflichtig. Eine gut lesbare Einführung in Oskar Goeckes Konzept des kollektiven Puffers in Kapitalversicherungen ist sein Vortrag bei der Anhörung des Bundestagsausschusses Arbeit und Soziales (S. 38 ff im PDF). Die mathematische Beschreibung gibt es in einem Paper von Goecke. Die Heilkraft der Musik In seinem Sachbuch "Good Vibrations" erläutert der Musikpsychologe und Hirnforscher Stefan Kölsch den aktuellen Stand der Forschung in Sachen Heilkraft der Musik. Unterhaltsam, fundiert und mit vielen Tipps zum selbst ausprobieren. Healing Soundscapes heißt das Forschungsvorhaben am Universitätsklinikum Eppendorf. Babys und Kleinkinder, die beschwingte Musik hören, machen rhythmische Bewegungen, und wenn sie dabei im Takt mit der Musik strampeln, lächeln sie häufiger als eine Vergleichsgruppe, die statt Musik eine Geschichte hört. An der Studie nahmen Babys und Kleinkinder aus Finnland und der Schweiz teil . Den Gänsehaut-Effekt, den Musik auslösen kann, beschreibt Eckart Altenmüller im Fachblatt Music Perception . Gänsehaut-Momente beim Musikhören sind ein Erbe der Evolution, glauben Forscher . Robin Dunbar und sein Forschungsteam ließen mehrere kleine Chöre proben und dann in einem Megachor zusammen singen. Sie maßen Schmerztoleranz und social bonding. Im Megachor waren diese am größten . Alzheimerpatienten erinnern sich an Melodien und merken auch, wenn falsche Töne gespielt werden. Diese 84-Jährige ist besonders beeindruckend, finden Forscherinnen. Eine größere Studie mit 200 Menschen wird in diesem Fachartikel beschrieben. Wenn erwachsene Menschen zusammen musizieren oder tanzen, schütten ihre Körper Endorphine aus, und diese verstärken soziale Bindungen und Kooperation. Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2018 ergab: von 44 Studien, die die Wirkung von Musik auf Stresshormone im menschlichen Körper untersuchten, zeigte sich immerhin in der Hälfte der Arbeiten eine stressmindernde Wirkung. Die Wirkung von Musik bei Schlaganfallpatienten haben unter anderem Kognitionsforscher der Universität Helsinki untersucht. Wer nach einem Schlaganfall Sprachstörungen hat, kann von einer Musiktherapie profitieren . Beginnt die Therapie allerdings mehr als ein Jahr nach dem Schlaganfall, sind die Erfolgsaussichten gering, haben niederländische Medizinerinnen gezeigt. Kinder mit Lese- und Rechtschreibstörung verbesserten ihre Sprachkompetenz mithilfe von Rhythmusübungen . In Studien französischer Psychologen diente Musik den Demenzkranken als eine Art Gedächtnisverstärker: Sie schilderten Ereignisse aus ihrem Leben detailreicher und emotionaler, wenn sie zuvor ihre Lieblingsmusik gehört hatten. Das Album "Mixing Colours" von Roger und Brian Eno ist bei Deutsche Grammophon erschienen. Leider haben wir einen Fehler gemacht: Brian Eno hat nicht fünf Grammy Awards gewonnen, wie auf dieser Musik-Website sowie im ZEIT WISSEN-Artikel steht. Sondern sieben, wie hier dokumentiert . Wir bitten den Fehler zu entschuldigen. Die Geburt von Ambient Music, erzählte Brian Eno in diesem Interview , hat selbst mit einem Krankenhausaufenthalt zu tun. Gibt es Leben ohne die Farbe Grün? Auf ihrem YouTube-Channel Physics Girl klärt die Physikerin Dianna Cowern in anschaulichen Videos spannende wissenschaftliche Fragen. Zum Beispiel warum Pflanzen nicht schwarz sind . Mehr über das Pigment Chlorophyll können Sie hier nachlesen. In dieser Studie vermuten Biologen, dass Pflanzen grün statt schwarz sind, um nicht zu überhitzen und grünes Licht in ihr Inneres vordringen zu lassen. Vielleicht war die Erde früher nicht grün, sondern in Lila getaucht. Mehr dazu lesen Sie hier . Vom Reden zum Handeln Der grandiose Klassiker der Philosophie des Redens und Handelns ist die Nikomachische Ethik von Aristoteles, in vielen Print-Ausgaben und online hier . Ein moderner Ansatz findet sich in dem Buch Life and Action des amerikanischen Philosophen Michael Thompson. Ein hervorragend lesbarer Aufsatz von dem im Artikel zitierten Philosophen Matthias Haase ist "Die Wirklichkeit meiner Tat" .
|
ZEIT Wissen
|
Mit welchen Experten wir gesprochen, welche Internetseiten wir besucht, welche Studien wir benutzt haben, lesen Sie hier.
|
[
"Sebastian Deri",
"Sissel Gran",
"Ethan Kross",
"Paul W. Eastwick",
"Maurie Cohen",
"Arnulf Salmen",
"Marc Luy",
"Fulbert Steffensky",
"Kurt Kotrschal",
"Markus Schmidbauer"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2020-06-16T06:00:03+02:00
|
2020-06-16T06:00:03+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2020/04/quellen
|
ZEIT Wissen 5/2020: Hier haben wir recherchiert
|
Großzügigkeit gegen Kleinlichkeit Einen Überblick über die Forschung zu Großzügigkeit gibt der ausführliche Reader "The Science of Generosity" des Greater Good Science Center der Universität Berkeley. Einige Paper haben psychologische oder verhaltensbiologische Studien zu folgenden Themen beschrieben: - wie sich die Großzügigkeit von drei- und von fünfjährigen Kindern unterscheidet - wie Oxytocin Großzügigkeit vermehrt - wie sich Großzügigkeit evolutionär erklären lässt - wie Großzügigkeit mit steigenden Einkommen abnimmt Die Geschichte von Wohlfahrt und Großzügigkeit in der Antike hat der Theologe Pieter van der Horst aufgeschrieben. Den Versuch einer Definition von Großzügigkeit in der Archtitektur hat Silvio Carta von der University of Hertfordshire im Journal Space and Culture unternommen Wer tut mir gut, wer nicht? Wie sich Glück über bis zu drei Ecken verbreitet, also von der Freundin der Freundin der Freundin noch zu spüren ist, zeigt Nicholas Christakis in einer Studie , die er zusammen mit James Fowler gemacht hat. Christine Porath hat sich in ihrer Forschung mit dem Gegenteil beschäftigt: mit der schädlichen Verbreitung von Respektlosigkeit und Unhöflichkeit. Wie man beides vom eigenen Team fernhält, beschreibt sie in ihrem Essay " Make Civility the Norm on Your Team ", erschienen in der Harvard Business Review. Zusammen mit Wendy Behary und Gerhard Zarbock beschreibt Eckhard Roediger in dem Buch " Passt doch! " wie sich Paarkonflikte verstehen und lösen lassen. Robert Sutton ist Management-Professor an der Stanford Business School und berät weltweit Unternehmen. Sein erstes Buch " Der Arschloch-Faktor. Vom geschickten Umgang mit Aufschneidern, Intriganten und Despoten in Unternehmen " ist zum Bestseller geworden. Zehn Jahre - und ungefähr 8000 E-Mails von Betroffenen, die um seine Hilfe baten - später, hat er ein weiteres Buch geschrieben: " Überleben unter Arschlöchern. Wie Sie mit Leuten klarkommen, die andere wie dreck behandeln ". Die großen 3: Hula Hoop, Springseil und Schaukel Die Sammlerin Ute Protte aus Lüneburg hat dem Altonaer Museum in Hamburg eine große Sammlung zur Kulturgeschichte der Schaukel hinterlassen, die 2010/11 in Teilen in der Ausstellung "Verschaukelt" gezeigt wurde. Protte hat zur Ausstellung den Begleitband "Schaukeln ist (k)ein Kinderspiel" veröffentlicht, der in der Bibliothek des Museums eingesehen werden kann. Außerdem ist zur Ausstellung ein reich illustrierter Band von Verena Fink mit dem Titel " Komm auf die Schaukel " (Husum Verlag 2010) erschienen. Ingo Froböse ist Professor an der Deutschen Sporthochschule Köln und leitet dort das Institut für Bewegungstherapie und bewegungsorientierte Prävention und Rehabilitation. Neben den zitierten Wissenschaftlern hat außerdem Dr. Jonas Rohleder über Anpassungsstrukturen des Körpers informiert. Die Seite Guinness World Records verzeichnet eine Reihe von extremen Leistungen mit Seil, Schaukel und Springseil. Bei Statista findet man Zahlen zu Schaukeln in Gärten und Wohnungen. Schenkt ein, trinkt aus! Eines der ersten Nachweise für das Bierbrauen wurde in Göbekli Tepe gefunden, wie diese Studie zeigt. Einige Tausend Jahre später, tranken auch die Menschen in Israel Bier, sowie im Norden Chinas vor 9000 Jahren. In England fand sich der älteste Bierfund auf einer Baustelle. Zwei Hefearten kamen im 15. Jahrhundert zusammen, damit das untergärige Lagerbier entstehen konnte. Eines der ältesten Reinheitsgebote Deutschlands stammt aus dem thüringischen Weißensee . Im Dezember hob die SpaceX-Rakete Dragon mit einem Bierexperiment ab. Hier ist ihr Start zu sehen (ab min. 57:58). Elisa Raus gewann 2019 als erste Frau die WM der Biersommeliers . In dem Buch " Eine kurze Geschichte der Trunkenheit " beschreibt Mark Forsyth die Beziehung des Menschen zu Wein, Bier und anderen alkoholischen Getränken. Ebenfalls empfehlenswert: das Buch " Warum die Menschen sesshaft wurden " von Josef H. Reichholf, sowie " Bier. Das Buch " von Urs Willmann. Die Zumutung: Die Miete Absolut lesenswert ist Uwe Wesels "Juristische Weltkunde. Eine Einführung in das Recht" (Suhrkamp 1984), die ausführliche Abschnitte zur Entwicklung des Mietrechts seit der Antike enthält. Flott und verständlich geschrieben können alle, für die Recht bisher ein Buch mit sieben Siegeln war, einiges über die Entstehung und die verschiedenen Systeme von Recht in unterschiedlichen Weltteilen und Epochen lernen. Der Berliner Mieteranwalt Benjamin Raabe hat Analysen zum Abbau des Kündigungsschutzes zulasten von Mietern, zur Mietpreisbremse und zum Berliner Mietendeckel verfasst. Die Hamburger Mieteranwältin Christiane Hollander beleuchtet in einem Artikel "Die Tücken des Eigenbedarfs" . Der Richter Ulf Börstinghaus blickt in einem Beitrag auf die "Entwicklung des Mietrechts seit der Mietrechtsreform 2001" zurück. Was ist eine "gerechte Miete"? Dieser Frage ist die Richterin Beate Gsell in einem Vortrag auf dem Mietgerichtstags 2017 nachgegangen. Wie im Gefolge des Ersten Weltkriegs der Mieterschutz entstand, haben 2017 Martin Putschögl und Franziska Zoidl nachgezeichnet. Bereits 1950 hat John W. Willis die Geschichte der Mietenkontrollgesetze der vergangenen Jahrhundert aufgeschrieben. Die Stadtbodenstiftung informiert über den geplanten Community Land Trust für Berlin .
|
ZEIT Wissen
|
Mit welchen Experten wir gesprochen, welche Internetseiten wir besucht, welche Studien wir benutzt haben, lesen Sie hier.
|
[
""
] |
zeitwissen
|
Article
|
2020-08-18T06:00:03+02:00
|
2020-08-18T06:00:03+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2020/05/quellen
|
ZEIT Wissen 6/2020: Hier haben wir recherchiert
|
Das aktuelle Heft finden Sie unter www.zeit.de/zw-aktuell . Dort können Sie auch ein Probeheft gratis bestellen. Am Anfang drei Fragen 1. Woher weiß unser Gehirn, dass etwas fehlt? Was wir wahrnehmen, ist eine Erwartung an die Welt, eine Art Fantasiebild, das ständig mit der Realität abgeglichen wird, sagt der Neurowissenschaftler Chris Frith in seinem Buch " Wie unser Gehirn die Welt erschafft " (Spektrum-Verlag, 312 Seiten, 24,95 Euro). Der Kognitionspsychologe Christian Doeller befasst sich in seiner Forschung damit, wie unser Denken aufgebaut ist. Abwesenheit zweifelsfrei festzustellen ist eine Herausforderung für unser Gehirn, so eine Studie von Matan Mazor, Karl Friston und Stephen Fleming ( 2020: eLife Sciences ). Der philosophische Diskurs über die Wahrnehmung der Abwesenheit lässt sich grob in drei Lager aufteilen: Erstens der sinnliche Ansatz z.B. von Anna Farennikova ( 2013: Philosophical Studies ), zweitens der metakognitive Ansatz z.B. von Jean‐Rémy Martin und Jérôme Dokic ( 2013: Thought A Journal of Philosophy ) und drittens der kognitive Ansatz von Laura Gow ( 2020: European Journal of Philosophy ). 2. Was wissen wir über die Liebe die Wale? "Es gibt einen fundamentalen Sexismus in der Evolutionsbiologie", sagt die Biologin Dara Orbach . Deshalb hat sie ihr Forscherleben der Erforschung beider Wal-Geschlechter gewidmet, den Fokus aber auf das weibliche Geschlecht gelegt. Sie reist um die ganze Welt und beobachtet Wale beim Sex. Darüber gibt es sogar eine Graphic Novel . Benjamin Schulz erforscht Wal-Sperma und wie es sich bei Zusatz von Meereswasser verhält. Dieses Video zeigt Grauwale beim Geschlechtsakt zu dritt. Im Buch "The Smile of A Dolphin. Remarkable Accounts of Animal Emotions" von Marc Bekoff kommen zahlreiche Autoren zu Wort. Unter anderem Bernd Würsig , der eine Liebesszene zwischen Walen beschreibt. Alexander Wilson beobachtete eine Szene, in der Wale einen Delfin adoptiert haben könnten und veröffentlichte dazu Video und Artikel . Frans de Waal fragt in diesem Artikel , was wir verpassen, wenn wir Tieren keine menschlichen Fähigkeiten zutrauen. Patrick Hof und Estelle van der Gucht fanden in Wal-Gehirnen Spindelzellen . Helena Herr zählt beruflich Wale und weiß viel über ihr Sozialverhalten. Julia Fischer vom Deutschen Primatenzentrum ergänzte die meeresbiologische Perspektive um einen Vergleich im Primatenreich. Fabian Ritter vom Verein WDC (Whales and Dolphins Conservatory) leitet bei WDC den Bereich Meeresschutz. Buchtipp: "Der Geist des Ozeans" von Kurt de Swaaf. 3. Was ließe sich mit leeren Parkplätzen alles machen? Wem gehört die Stadt? Um diese Frage zu beantworten, hat die Agentur für Clevere Städte knapp 200 Berliner Straßen vermessen. Das Ergebnis ist ein Flächen-Gerechtigkeits-Report , der die Beanspruchung des öffentlichen Raums durch die verschiedenen Verkehrsteilnehmer zeigt. Wie kann man öffentlichen Raum gerecht verteilen? Der Think Tank Agora Verkehrswende dokumentiert Zahlen und Fakten für ein gerechteres Parkraummanagement. Hermann Knoflacher ist der geistige Vater der weitgehend autofreien Wiener Innenstadt. In zahlreichen Publikationen und verkehrswissenschaftlichen Studien beschreibt er eine alternative Parkorganisation . Als Teil seiner Forschung entwickelte Hermann Knoflacher 1975 das "Gehzeug" . Dabei handelt es sich um ein Holzrahmen-Gestellt den sich Fußgänger umhängen können, um dieselbe Fläche wie PKW-Fahrer in Anspruch zu nehmen. In diesem Video erklärt Knoflacher, wo das Auto beim Menschen im Hirn sitzt. Die Sozialwissenschaftler Weert Canzler und Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung befassen sich mit der Verkehrswende seit vielen Jahren gemeinsam in ihren wissenschaftlichen Texten und Büchern. Zwei Beispiele: "Erloschene Liebe? Das Auto in der Verkehrswende" (2018, 174 Seiten, transcript ) und "Schlaue Netze - Wie die Energie- und Verkehrswende gelingt" (2013, 136 Seiten oekom ). Das Stadtmagazin "Mit Vergnügen" zeigt Urban Gardening Projekte in München und Berlin . Wie Parkplätze aussehen, wenn das fehlt, für was sie gebaut wurden, nämlich Autos, hat der Fotograf Erik Chmil in seiner Fotoserie "Solitude" festgehalten. Seid mal alle ein bisschen leise Die TED-Talks " Macht der Verletzlichkeit " und "Auf die Scham hören" von der Professorin und Bestseller-Autorin Brené Brown wurden millionenfach geklickt. Der Neuropsychologe Lutz Jäncke forscht an der Universität Zürich . Die Forschungsarbeiten zur Misophonie des Amsterdamer Psychiaters Damiaan Denys sind hier zu finden. In dieser Studie hat Elizabeth Morrison das Meinungsklima von 42 Arbeitsgruppen am indischen Standort eines globalen Chemiekonzerns studiert. Ein guter Übersichtsartikel über Employee Voice Behaviour ist in den Academy of Management Annals erschienen. Software Blues Er arbeite seit 15 Jahren als Programmierer, schreibt der in München lebende Softwareingenieur Nikita Prokopov in diesem Essay auf tonsky.me , "aber es macht mich fertig, dass unsere Branche keinen Wert auf Effizienz, Einfachheit und Qualität legt." Der Essay wird unter anderem auf reddit vielfach kommentiert. In diesem Vortrag schlägt Jonathan Blow einen Bogen von den Qualitätsmängeln von Software zum Untergang früher Zivilisationen. Apple ist heute der wertvollste Aktienkonzern der Welt. Platz 2: Saudi Arabian Oil, Platz 3 bis 6 : Microsoft, Amazon, Google (Alphabet), Facebook. Dies ist die Facebook-Seite des Community Radios von Itezhi Tezhi. Dies ist die Website von Hindenburg Systems , und hier wird die Gründungsgeschichte erzählt. In der ZEIT WISSEN-Podcast-Episode vom 18. Oktober 2020 kommen die beiden Gründer Nick Dunkerley und Preben Friis zu Wort. Hock Dich halt hin Die zwei wichtigsten Bücher über das Sitzen stammen von Hajo Eickhoff : "Himmelsthron und Schaukelstuhl. Die Geschichte des Sitzens" (München 1993) bis heute das Standardwerk. Und: "Sitzen. Eine Betrachtung der bestuhlten Gesellschaft." Wissenschaftliche Texte über Möbel, im Besonderen über Tisch und Stuhl finden sich in: Sebastian Hackenschmidt/Klaus Engelhorn (Hrsg.): "Möbel als Medien. Beiträge zu einer Kulturgeschichte der Dinge." Über Michael Thonet und die Thonet-Stühle gibt es diverse Kataloge und Bücher. Diese drei sind Basisliteratur: "Sitzen, Liegen, Schaukeln. Möbel von Thonet". (Katalog zu einer Ausstellung im Grassi Museum für Angewandte Kunst in Leipzig. Dieser Katalog gibt viele Details über Bau, Konstruktion und Besonderheiten der Thonet-Stühle.) Wolfgang Thillmann ist ein großer Thonet-Sammler und auch Kenner dieser Möbel, von ihm stammt das Buch: "Schichten. Möbeldesign vom Klassizismus bis zur Moderne." Ein vergleichsweise kleiner Band ist der von Andrea Gleiniger: "Der Kaffeehausstuhl Nr. 14 von Michael Thonet". Verlag form. Er bietet einen kompakten Überblick mit Details, die man sonst nirgends findet. Mehr über Stühle, Lieblingsstühle und Dichterstühle gibt es hier: Tisch & Stuhl. verweile doch. in: Du, Heft Nr. 4, April 1995. Sandra Hofmeister (Hrsg.): Mein liebster Stuhl. München 2008. Severin Perrig: Am Schreibtisch großer Dichter und Denkerinnen. Eine Geschichte literarischer Arbeitsorte. Zürich 2011. Das Buch "Burn. The new science of human metabolism" von Herman Pontzer erscheint im Januar 2021. Über die Vorteile des Hockens, wie die Hadza es tun, berichtet er zusammen mit David Raichlen in der Titelgeschichte " How to sit" im New Scientist vom 18. Juli 2020 . Bereits 1867 hat sich der Mediziner Hermann von Meyer Sorgen über die gesundheitlichen Folgen des Sitzens gemacht. 1953 berichteten Forscher, dass Londoner Busfahrer, die ständig sitzen, häufiger an Herzinfarkt sterben als die Schaffner, die im gleichen Fahrzeug herumgehen, um das Fahrgeld zu kassieren – die erste von vielen Studien, die alle zeigen werden: Wer viel sitzt, hat ein größeres Risiko an Diabetes oder einem Herz-Kreislaufleiden zu erkranken oder zu sterben. Für besonders große Aufruhr sorgte 2014 eine Studie , die das Sitzen für Darmkrebs, Gebärmutterhalskrebs und in geringerem Maße auch Lungenkrebs verantwortlich machte. Viel sitzen, so Forscher der Universität Regensburg , sei sogar für diejenigen nachteilig, die sich ansonsten intensiv bewegen – einen Ausgleichseffekt gebe es nicht. Das konnte aber ein Forscherteam um den norwegischen Sportmediziner Ulf Ekelund widerlegen : Demnach lassen sich negative gesundheitliche Effekte des Sitzens kompensieren – acht Stunden sitzen, eine Stunde bewegen. Die verbreitete Annahme, dass das kardiovaskuläre Risiko in Jobs, in denen viel gestanden wird, niedriger sei, haben kanadische Wissenschaftler widerlegt. In einer Langzeitstudie von 2003 bis 2015 untersuchten sie die Beeinflussung der Körperhaltung am Arbeitsplatz auf Herzleiden. Ihre Ergebnisse veröffentlichten sie im Fachmagazin " American Journal of Epidemiology ". Das Risiko, eine solche Erkrankung zu entwickeln, ist deutlich höher, wenn man eine rein stehende Tätigkeit ausübt – im Gegensatz zu rein sitzenden Berufen oder Mischformen. Mischformen stellten sich als genauso schlecht für das Herz-Kreislauf-System heraus wie sitzende Tätigkeiten. Der Optimist Cameron Anderson und Kollegen von der University of California fanden in zwei Studien heraus, dass Widerwärtigkeit kein Garant für Erfolg im Job ist. Der Psychologe Bob Sutton von der Universität Stanford beschreibt im Buch "The No Asshole Rule: Building a Civilized Workplace and Surviving One That Isn't" (2007), wie schlechter Führungsstil die Leistung der Mitarbeiter in Mitleidenschaft ziehen kann. In einem Artikel für eCorner erklärt er, warum Menschen Hierarchien brauchen. Tom McNichol beschäftigt sich in einem Artikel für The Atlantic mit den Lehren, die man aus Steve Jobs Führungsstil ziehen kann. Der Soziologe Philipp Staab hat seit Februar 2019 eine Professor für die "Soziologie der Zukunft der Arbeit" an der Humboldt-Universität zu Berlin inne und erforscht dort die Themen Digitalisierung, digitaler Kapitalismus oder Techniksoziologie. Modelle für einen alternativen Führungsstil, von der sich auch CEOs haben inspirieren lassen, sind die folgenden Bücher: Jakob Botters und Lars Kolinds "Unboss" (Jyllands-Postens Forlag, 2012) und Brian J. Robertsons "Holocracy" (Franz Vahlen, 2016). Die Zumutung: Serotonin Michael Gershon von der Columbia University entdeckte schon in den Sechzigerjahren, dass Serotonin nicht nur im Gehirn, sondern auch im Darm vorkommt. Dass der Darm mit dem Gehirn über den Vagusnerv kommuniziert, fanden Forscher erst 2019 heraus. Diese Darm-Hirn-Achse wird als "Serotoninautobahn" bezeichnet. Die Neurobiologin Donatella Marazziti von der Universität Pisa untersuchte Frischverliebte und Menschen mit Zwangsstörungen auf ihren Serotoningehalt und stellte interessante Parallelen fest. Menschen mit Depressionen haben häufig einen Mangel an Serotonin. Dass Schlafentzug hierbei einen positiven Effekt haben kann, zeigt eine Studie des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie. In den Untersuchungen von Julia Sacher vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften geht es um den Zusammenhang zwischen Serotoninmangel und postnataler Depression. Gebrauchsanleitung für ein Gefühl Tim Wildschut , Professor für Sozial- und Persönlichkeitspsychologie an der University of Southampton in Südengland, erforscht die positiven Seiten der Nostalgie, seine Aufsätze sind unter anderem auf Research Gate zu finden, lesenwert ist auch seine Forschung zu nostalgischen Effekten bei syrischen Flüchtlingen . Svetlana Boyms Buch " The future of Nostalgia ", eine Mischung aus persönlichen Erinnerungen, philosophischem Essay und historischer Analyse, ist inzwischen ein Klassiker in der Nostalgieforschung und nach wie vor sehr lesenwert. Katharina Niemeyer ist eine deutsche Medienwissenschaftlerin mit dem Forschungsschwerpunkt Nostalgie an der Universität Quebec in Montreal, Kanada. Sie untersucht dieses sehnsuchtsvolle Gefühl für die Vergangenheit vor allem in Zeiten der Digitalisierung und modernen Medien.
|
ZEIT Wissen
|
Mit welchen Experten wir gesprochen, welche Internetseiten wir besucht, welche Studien wir benutzt haben, lesen Sie hier.
|
[
"Chris Frith",
"Christian Doeller",
"Matan Mazor",
"Stephen Fleming",
"Rémy Martin",
"Jérôme Dokic",
"Laura Gow",
"Dara Orbach",
"Benjamin Schulz",
"Alexander Wilson"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2020-10-13T11:48:30+02:00
|
2020-10-13T11:48:30+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2020/06/quellen
|
ZEIT Wissen 1/2021: Hier haben wir recherchiert
|
Das aktuelle Heft finden Sie unter www.zeit.de/zw-aktuell . Dort können Sie auch ein Probeheft gratis bestellen. Am Anfang drei Fragen 1. Gibt es Regeln für gute Gruppenbilder? Der Geschichte des Gruppenporträts widmet sich die aktuelle Sonderausstellung "Gruppenbilder – Von der Kunst des Gemeinsam-Seins" der Universität Gießen. Sie gibt Einblicke in historische Gesellschaften und läuft noch bis zum 31. März 2021 im Oberhessischen Museum in Gießen. Ein nach außen hin sichtbares Zeichen der Zusammengehörigkeit stärkt die emotionale Bindung zur jeweiligen Gruppe, zeigt eine in der Fachzeitschrift Psychology Today erschienene Studie. In der Serie Mischpoche , die im Sommer 2019 im Gegenwartsmuseum Hamburger Bahnhof in Berlin zu sehen war, vereint Andreas Mühe die Mitglieder seiner Familie. "Für die Gruppenbilder habe ich versucht, Beziehungsgeflechte und familiäre Konstellationen zu begreifen", sagt der Fotograf über sein Projekt. 2. Wie entsteht Fröhlichkeit? Ist Fröhlichkeit eine Tugend? Diese Frage beantwortet die Philosophin Mariana Alessandri in ihrem Essay Against Cheerfulness . Guillaume Duchenne ging davon aus, dass das echte Lächeln durch Lachfalten um die Augen zu erkennen sei. Diese Lachfalten seien nicht vorzutäuschen und ein Zeichen echter Freude. Dieses Ergebnis veröffentlichte er 1862 in seiner Studie Mechanismus der Menschlichen Physiognomie . Britische Forscher fanden heraus, dass das Duchenne-Lächeln – welches in der Forschung als echtes Lächeln gilt – auch vorgetäuscht werden kann. In ihrer Studie zeigten sie, dass die Augenfältchen beim Lächeln dessen Intensität anzeigen, nicht dessen Echtheit. Religiöser Glaube macht fröhlich, fanden Wissenschaftler der englischen University Brunel und der Universität Istanbul in dieser Studie heraus. 3. Was geschieht im Winter unter Wasser? Am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin erforscht eine Reihe von Wissenschaftlern verschiedene Gewässer mit einem Schwerpunkt auf Seen. "In all unseren Langzeitbeobachtungen hatten wir aber eine Lücke", sagt Georgiy Kirillin vom Leibniz-Institut. Denn gerade die Eisperiode sei verbunden mit komplizierten physikalischen Prozessen, die zu untersuchen wichtig sei, um die Folgen des Klimawandels besser abschätzen zu können. Kirillin hat auch den größten See der Erde untersucht, den Wostok-See. Er liegt in der Antarktis unter einer kilometerdicken Eisschicht. In der nördlichen Hemisphäre messen Forscher einen Rückgang der Eisbildung auf Seen, verursacht durch steigende Temperaturen. Dadurch dass die Nordsee eine breite Verbindung zum Atlantik hat, kühlt sie nur langsam ab. Außerdem schubsen im Winter Tiefdruckgebiete die meiste Zeit milde Luft in die Nordseeregion. "Sehr strenge Winter mit viel Eis gab es in den letzten 50 Jahren nur zwei", sagt der Küstenforscher Karsten Reise vom Alfred-Wegener-Institut. Selbst dann bildet sich in der Nordsee kein Eis, dafür ist ihr Salzgehalt zu hoch. Die häufigen Herbst- und Winterstürme sorgen für eine Durchmischung der Nordsee von oben bis unten, so dass im Winter selbst am Grund kein Sauerstoffmangel herrscht. Allerdings haben amerikanische und chinesische Forscher in einer Analyse historischer Messdaten herausgefunden, dass die Durchmischung des Ozeanwassers seit 1960 abgenommen hat, was möglicherweise mit den gestiegenen Temperaturen an der Meeresoberfläche zusammenhängt. Die Folge: weniger Sauerstoff. Der Optimist Das Statistische Amt der Europäischen Union listet jährlich (derzeit bis 2018) den gesamten Textilabfall aller europäischen Nationen auf. Die aktuelle Menge (2018) von Deutschland, auch pro Kopf gerechnet, finden Sie hier . Die Meta-Analyse kanadischer Forscher der Wilfrid Laurier University untersuchte den Einfluss von moralischer Identität auf moralisches Verhalten. Eine starke Moralvorstellung verleitet zu sozialem und ethischem Verhalten. Die Generation Z ist geprägt von der Debatte um den Klimawandel und setzt sich für schützende Klimamaßnahmen ein, was ihr Konsumverhalten nachhaltig beeinflusst – das zeigen Umfragen vom Marktforschungsinstitut Sinus . The Time of Our Lives Der Archäologe Yosef Garfinkel von der Hebräischen Universität in Jerusalem erforscht Evolution und Geschichte des Tanzens seit langem. Lesenswert sind seine Paper "Dance in Prehistoric Europe" (2010) und "The Evolution of Human Dance" (2018). Auch Kevin Laland und Kollegen betonen die Notwendigkeit der Imitation für die Evolution des Tanzens . Wie Musikalität, Rhythmusgefühl und Bewegung sich im Wechselspiel entwickelt haben und gemeinsam soziale Bindungen in Gruppen von Menschen stärken, zeigen Patrick Savage und Kollegen in einem aktuellen Überblicksartikel (Preprint). In der Forschungsgruppe von Robin Dunbar hat auch Bronwyn Tarr, die selbst leidenschaftlich gerne tanzt, die Bedeutung des Tanzens für den sozialen Zusammenhalt untersucht. Aniruddh Patel hat gemeinsam mit seiner Forschungsgruppe gut dokumentiert , dass Papageien als einzige Tiere neben dem Menschen auf ihre Weise Tänzer sind. Weitere Arbeiten von Andreas Gursky, der das Foto "Union Rave" (2005) aufgenommen hat, sind hier zu sehen. Es werde Licht Wie genau kam Licht erstmals in den Kosmos? Das erklärt der Astrophysiker Neil deGrasse Tyson in seinem Buch " Das Universum für Eilige ". Was Gott mit Licht zu tun hat, erläutert die Bibel schon ab der Schöpfungsgeschichte. Und warum plötzlich Licht in Kathedralen strahlte, lässt sich in den Schriften von Abt Suger nachlesen, die im Buch " Die Bedeutung von Licht und Farbe für den mittelalterlichen Kirchenbau " von Günther Binding zusammengefasst sind – auch nachzulesen in diesem Fachartikel . Um sich ein Bild von den sakralen Bauten und der gotischen Bauweise zu machen, ist die zweiteilige arte- Dokumentation "Sakrale Bauwerke: Vom Streben nach Höhe und Licht" empfehlenswert, so wie die ZDFinfo-Dokumentation "Kathedralen - Superbauten des Mittelalters", die zeigt, wie die Geometrie solch hohe Konstruktionen überhaupt möglich machte. Ich kämpfe für … Jess Wade: Jess Wade ist Physikerin am Imperial College und setzt sich aktiv für Diversität auf Wikipedia und allgemein in der Wissenschaft ein. Die Genderforscherin Shlomit Aharoni Lir untersucht in ihrer Studie von 2019 die Voreingenommenheit gegenüber Autorinnen (gender bias) auf Wikipedia. Alexandra Elbakyan: Auf dieser Seite schreibt Alexandra Elbakyan über sich. Dort stehen auch ihre Kontaktdaten. Die Nutzung von Sci-Hub für private Zwecke ist in Deutschland eine juristische Grauzone . Die New York Times verglich Elbakyan mit Edward Snowden , das Technikportal The Verge nennt sie in diesem ausführlichen Portrait "Die Königin der Piraten". Ein US-Gericht verurteilte Elbakyan in Abwesenheit zu 15 Millionen Dollar Schadensersatz . Im Projekt "Deal" verhandelt die Hochschulrektorenkonferenz mit Verlagen über eine Flatrate für alle Zeitschriften der großen Wissenschaftsverlage. Hier die Preisliste für Zeitschriften-Abos des Elsevier-Verlags. Es könnte sein, dass Sci-Hub ihm das Leben gerettet habe, schreibt der Kolumnist George Monbiot im Guardian. Auf Youtube ist die Ask-me-anything-Session mit Alexandra Elbakyan dokumentiert, organisiert von der Graswurzelinitiative Flow . Nach 3 Stunden fragen wir sie, wo sie sich gerade aufhält. David Höner: David Höners Buch "Kochen ist Politik" ist im Westend-Verlag erschienen. Die Cuisine sans Frontières listet ihre Projekte hier auf. Die großen Denkschulen: Mary Wollstonecraft Den Originaltext von Mary Wollstonecrafts "Verteidigung der Frauenrechte" kann man hier nachlesen . Eine Spendeninitiative hat Geld für eine Statue von Mary Wollstonecraft gesammelt, die inzwischen in Newington Green aufgestellt wurde, wo Wollstonecraft einst mit ihrer Schwester und einer Freundin ein Mädcheninternat gründete: https://maryonthegreen.org/ Allerdings gibt es heftigen Streit um diese Statue, wie der Guardian schreibt. Wollstonecrafts Schwägerin Anne Kingsbury Wollstonecraft war Naturforscherin, Botanistin und Frauenrechtlerin. Kürzlich wurde ihr Manuskript über Pflanzen wiederentdeckt, mit wunderschönen Illustrationen. Den Lehrern eine Lehre … über das Vergessen Der Türrahmen-Effekt wurde u.a. von einer Studie im Quarterly Journal of Experimental Psychology untersucht. Er ist so stark, dass er sogar dann eintritt, wenn wir nur mental durch eine vorgestellte Tür laufen ( Memory: Lawrence/peterson, 2016 ). Der Kognitionspsychologe Robert Bjork hat in einer Festschrift die Ergebnisse der Forschung über das Vergessen zusammengefasst: On the symbiosis of remembering, forgetting, and learning (2011) . Die "Neue Theorie der Nichtnutzung" (1992) der Psychologen Bjork & Bjork hat die Forschung über das Vergessen revolutioniert. Einer der Beweise: Die Verbindungen zwischen Nervenzellen bleiben bestehen, auch wenn sie gerade nicht gebraucht werden. Das haben Forscher des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie in Martinsried herausgefunden. … über die Geschichte der Lehrer Die Geschichte der Lehrer ist weitestgehend in Bruchstücken notiert. Die Begebenheit in Datterode ist bei Arnold (2010) nachzulesen, in "Die Anfänge der Dorfschulen und des Elementarunterrichts in der Region Eschwege im 17. Jahrhundert". Roland Girtler hat in einem aktuellen Buch über die Geschichte der alten Klosterschulen geschrieben (2020). Über das 12. Jahrhundert und die freien Wanderlehrer hat Joachim Ehlers (1986) geschrieben. Das Schulmuseum Dortmund bietet umfangreiche Literatur und viele Original-Stücke aus vergangenen Zeiten. Das Hessische Kultusministerium hat eine informative Broschüre herausgebracht: "Eine kleine Geschichte des Lehrberufs". Ein eher populärwissenschaftliches und leichter verständliches Werk ist die Geschichte westeuropäischer Lehrerbildung ab dem Mittelalter von Olga Graumann (2014) . Einen Überblick liefert auch Peter Lundgreen in "Pädagogische Professionen. Ausbildung und Professionalität in historischer Perspektive" (2011). Die Bundeszentrale für politische Bildung hat die Einführung der Allgemeinen Schulpflicht dokumentiert. Die UNESCO hat für die Jahre 2000 bis 2015 einen internationalen Bericht über die Entwicklung der Bildung verfasst. ... über das Peer-Learning Zwei Review-Artikel bieten einen guten Überblick über Konzept und Geschichte des Peer-Learnings: - "Peer Teaching in Higher Education: a Review" Barbara Goldschmid und Marcel Goldschmid (1976) und - "Trends in Peer Learning" von Keith Topping (2005). In den neuen Makerspaces, in denen Maschinen wie 3D-Drucker für die Allgemeinheit zugänglich sind, wird viel mit Peer-Learning gearbeitet. US-Forscher haben 2014 anhand von drei Makerspaces verglichen , wie die Bastler und Tüftler dort voneinander lernen. Die Zumutung "Die Geschichte der Bibel" von John Barton ist bei Klett-Cotta erschienen . Es fasst den aktuellen Stand der Bibelforschung ausführlich zusammen. Lesenswert für Angehörige aller Glaubensrichtungen sowie für Atheisten gleichermaßen. Über Cut-and-Paste-Methoden schreibt Idan Dershowitz in seinem neuen Buch "The Dismembered Bible", das im Januar 2021 bei Mohr Siebeck erscheint. Archäologen haben die Geschichten der Bibel mit ihren Funden abgeglichen. Über die jüngsten Erkenntnisse schreibt Israel Finkelstein in "Das vergessene Königreich" und "Keine Posaunen vor Jericho". Ein guter Ausgangspunkt für die Forschung zum Stern von Bethlehem ist die englische Wikipedia-Seite. Kommt mit, Freunde! Von Fridtjof Nansen kann man online die illustrierte Auflage seines Grönland-Berichts " Eskimoleben " von 1891 nachlesen. Roald Amundsen beschreibt seine Expedition mit vielen Details in dem Buch "Die Eroberung des Südpols 1910-1912". Anschaulich geschrieben ist die Rekonstruktion des Wettlaufs zwischen Scott und Amundsen, die der Historiker Christian Jostmann in seinem Buch "Das Eis und der Tod" bei C.H.Beck veröffentlicht hat. Die Musherin Silvia Furtwängler erzählt in ihren Büchern offenherzig von ihrem Leben in Norwegen mit den Schlittenhunden. Zuletzt erschienen sind "Mein größtes Rennen" und "Nordwärts" . Furtwängler hat eine eigene Homepage , auf der sie ihre Hunde vorstellt. Der französische Musher Nicolas Vanier , der das härteste Schlittenhunderennen, das Iditarod , gefahren ist, hat eine Reihe von Büchern über seine Reisen und Rennen veröffentlicht, sie lohnen sich allesamt. "Mein sibirischer Winter" und "Die weiße Odyssee" sind zwei davon. Großartig und berührend ist sein Film "Iditarod" . Die Zoologin Nadine Gerth hat den außergewöhnlichen Stoffwechsel von Schlittenhunden untersucht. Sie hat herausgefunden, dass Hunde ihren Energiehaushalt auf das absolute Minimum reduzieren können. Die Universitäten von Kopenhagen und Grönland sowie das Naturhistorische Museum der dänischen Hauptstadt untersuchen in dem Forschungsprojekt Qimmeg unter anderem, warum es immer weniger Schlittenhunde gibt. Durch das Projekt wurde in Grönland ein Impfprogramm angestoßen, das die Zahl tödlicher Krankheiten reduzieren soll. Das Projekt hat bewirkt, dass Wurmkuren gratis angeboten werden. 2018 fanden Forscher um den Genetiker Kristopher Irizarry vom College of Veterinary Medicine der Western University of Health Sciences heraus, dass die blauen Augen bei Siberian Huskys durch eine Mutation des Gens ALX4 entstehen, das eine verringerte Pigmentproduktion im Auge ausbildet. Durch den Pigmentmangel wirkt das Auge blau (blaue Pigmente gibt es nicht).
|
ZEIT Wissen
|
Mit welchen Experten wir gesprochen, welche Internetseiten wir besucht, welche Studien wir benutzt haben, lesen Sie hier.
|
[
"Mariana Alessandri",
"Guillaume Duchenne",
"Kevin Laland",
"Patrick Savage",
"Robin Dunbar",
"Bronwyn Tarr",
"Jess Wade",
"David Höner",
"Mary Wollstonecraft",
"Robert Bjork"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2020-12-07T18:05:05+01:00
|
2020-12-07T18:05:05+01:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2021/01/quellen
|
ZEIT Wissen 2/2021: Hier haben wir recherchiert
|
Das aktuelle Heft finden Sie unter www.zeit.de/zw-aktuell . Dort können Sie auch ein Probeheft gratis bestellen. Am Anfang drei Fragen 1. Was ist wichtiger für die Liebe: Loslassen oder festhalten? Der Händedruck des Partners kann schmerzlindernd wirken, haben Forscher der Universität Haifa herausgefunden. Denn durch die liebevolle Berührung nähern sich die Herz- und Atemfrequenzen beider Personen an. Das Spüren dieses Gleichklangs aktiviert wiederum den vorderen cingulären Cortex – einen Teil des Belohnungssystems im Gehirn. Einen geliebten Menschen loszulassen bedeutet nicht, sich emotional zurückzuziehen. Vielmehr kann physische Distanz die Beziehung stärken, zeigt eine im Journal of Gerontology erschienene Studie. Die Philosophin Nora Kreft forscht an der Humboldt-Universität in Berlin zu Liebe und Autonomie. In ihrem Buch "Was ist Liebe, Sokrates?" lässt sie acht berühmte Denkerinnen und Philosophen auf einer fiktiven Dinnerparty über Liebe, Lust und Freundschaft diskutieren. 2. Welche Folgen haben Helikopter-Herrchen und -Frauchen für Hunde? Wer wissen möchte, welche Hunderassen vermehrt ihre Artgenossen und den Menschen angreifen, kann das in den Hundebiss-Statistiken der jeweiligen Bundesländer nachschauen. Die für Berlin finden Sie hier . Das Leben aus Sicht eines Hundes wurde schon lange vor unserer Zeit erforscht. Der Schriftsteller, Psychiater und Satiriker Oskar Panizza hat sich daran versucht. Sein "Aus dem Tagebuch eines Hundes" gibt es als gebundenes Buch im Hofenberg Verlag. Oder als Lesung hier . Empfehlenswert ist auch das Buch " Der Mensch im Tier " vom Professor für Zoologie Norbert Sachser, erschienen bei Rowohlt. 3. Kann Einkaufen auch unglücklich machen? Die Ursachen und Konsequenzen des pathologischen Kaufens (der Kaufsucht) können hier nachgelesen werden. Forschung zu Therapieansätzen stehen in diesem Artikel der Zeitschrift Verhaltenstherapie. Der TEDTalk von Brené Brown über die Macht der Verletzlichkeit kann hier angeschaut werden. In dieser niederländischen Panelstudie wurde erforscht, inwiefern Materialismus und Einsamkeit zusammenhängen. Der Optimist Auf der Website predictioncenter.org tummeln sich die Proteinfaltungs-Algorithmen und treten in einem Wettbewerb gegeneinander an. In diesem Artikel beschreibt der New Scientist die jüngsten Erfolge von AlphaFold. Die Geschichte der mRNA-Technik beschreibt das Portal STAT ausführlich in diesem Artikel . In dieser Reportage geht es um die ersten klinischen Studien des Tübinger mRNA-Unternehmens CureVac. Dieser Artikel aus dem Jahre 2019 beschreibt, wie sich die Wissenschaft schon seit Jahren auf die nächste Pandemie vorbereitet – unter anderem mit Impfstoffplattformen, wie sie nun tatsächlich zum Einsatz kommen. Mach es wie Goethe - lies im Buch der Natur Stefan Bollmanns Buch Der Atem der Welt. Johann Wolfgang Goethe und die Erfahrung der Natur erscheint am 20. März 2021 im Klett Cotta Verlag, 592 Seiten, 28 Euro. Als Lesung in gekürzter Fassung erscheint das Buch mit 2 CDs im mp3-Format am 18. März, Dauer: knapp 14 Stunden, gelesen von Bernt Hahn, Der Audio Verlag, 25 Euro. Hier gibt es eine Hörprobe. Heinrich Deterings Buch Menschen im Weltgarten. Die Entdeckung der Ökologie in der Literatur von Haller bis Humboldt ist 2020 im Wallstein Verlag erschienen, 457 Seiten, 36,90 Euro. Der Autor gibt einen fantastischen Überblick über die Entstehung ökologischen Denkens in den Texten der Aufklärung. Der Katalog Abenteuer der Vernunft. Goethe und die Naturwissenschaften um 1800 ist zur gleichnamigen Ausstellung der Klassik Stiftung Weimar erschienen, die zwischen August 2019 und Februar 2020 in Weimar gezeigt wurde. der Katalog bildet die umfangreiche naturwissenschaftliche Sammlung Goethes ab und diskutiert sie im Spannungsfeld zwischen Aufklärung und heute. Eine verhängnisvolle Verwandtschaft Der Bericht der schwedischen Polizei über die forensische DNA-Genealogie und den Doppelmord von Linköping ist hier zu finden . Dies ist die Facebookseite des DNA-Detektivs Peter Sjölund. Er war der Held in einem zweiteiligen Dokumentarfilm , der im Dezember 2020 gesendet wurde. In dieser Dokumentation ist die Aufklärung des Doppelmords von Linköping und der Anruf von Peter Sjölund bei Kommissar Staaf dokumentiert. In diesem Experiment beschreiben britische Forscher, wie sie Unbekannte mithilfe der DNA-Genealogie identifizieren. Das Webinar mit Barbara Rae-Venter ist hier zu finden. Diese Wikipedia-Seite dokumentiert Fälle, die mit Hilfe der Ahnensuchmaschine GEDmatch gelöst werden sollen oder gelöst wurden. In Schweden sind 88 Millionen Seiten aus historischen Kirchenbüchern und Steuerdokumenten online einsehbar. In Deutschland ist ein digitales Kirchenbuchregister im Aufbau . CeCe Moore ist die wohl bekannteste DNA-Detektivin der USA. Die BBC berichtet über einen cold case, den Moore mit DNA-Genealogie gelöst hat. Das Bundeskriminalamt hat DNA-Profile von 870.000 namentlich bekannten Straftätern gespeichert , das FBI mehr als 14 Millionen . Hier eine Beschreibung des klassischen DNA-Profilings, das das FBI benutzt. Wenn nur ein Prozent der Amerikaner mit europäischen Wurzeln ihre DNA offenlegt, finden sich für 90 Prozent dieser Gruppe mindestens ein Cousin oder eine Cousine dritten Grades in der Datenbank, schätzen Experten in diesem Science-Artikel . Ende 2019 erwirkte ein Ermittler vor einem Gericht in den USA eine Art digitalen Durchsuchungsbefehl für die Ahnensuchmaschine GEDmatch. Algorithmen sind auch nur Menschen Das Tübinger Paper "Shortcut Learning in Deep Neural Networks" (Robert Gheiros et al., Mai 2020, englisch) gibt einen guten Überblick über die gegenwärtigen Probleme, die Maschinenlern-Algorithmen und Tiefe Neuronale Netze plagen. Das Paper "Underspecification Presents Challenges for Credibility in Modern Machine Learning" (englisch) von rund 30 Google-Forschern löste nach seiner Veröffentlichung im November 2020 eine Debatte in KI-Fachkreisen über ein bisher unterschätztes Problem aus Joel Klinger, Juan Mateos-Garcia und Konstantinos Stathopoulos kritisieren in ihrem Paper "A narrowing of AI research" (September 2020, englisch), dass sich die KI-Forschung in den letzten Jahren zu stark auf das Maschinenlernen beschränkt hat und andere Ansätze vernachlässigt. Wie kontrafaktische Erklärungen die Entscheidungen von KI-Algorithmen verständlich machen, erläutert die Gruppe von Sandra Wachter in ihrem Paper "Counter-factual explanations without opening the black box" (2018, englisch). Das Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut HHI hat eine eigene Forschungsgruppe zu "Explainable AI" (erklärbare Künstliche Intelligenz), die von Wojciech Samek geleitet wird. Luftholen Das Zentrum für Krebsregisterdaten im Robert Koch-Institut in Berlin-Tempelhof hat aktuelle Zahlen zur Entwicklung von Lungenkrebserkrankungen in Deutschland. Lungenkrebs gehört zu den prognostisch ungünstigen Tumoren, die 5-Jahres-Überlebensrate liegt bei Frauen bei rund 21 Prozent und bei Männern bei bloß 15 Prozent. Das Problem: Lungenkrebs verursacht im frühen Stadium selten Beschwerden und bleibt deswegen oft unentdeckt. Auffällig ist, dass sich die Erkrankungs- und Sterberaten bei beiden Geschlechtern gegenläufig entwickeln. Seit Ende der 1990er Jahre stiegen sie bei den Frauen kontinuierlich an, die Raten der Männer gingen im gleichen Zeitraum zurück. Die Deutsche Lungenstiftung bietet in Kooperation mit dem Verband pneumologischer Kliniken auf der Seite Lungenärzte im Netz gut aufbereitete Informationen vor allem über Atemwegserkrankungen von A bis Z an. Das Buch "Breath. Atem. Neues Wissen über die vergessene Kunst des Atmens" von James Nestor ist Ende 2020 im Piper Verlag erschienen. Nestor hat ein leidenschaftliches Plädoyer dafür geschrieben, dass die moderne Gesellschaft das richtige Atmen erst wieder erlernen müsse – im Buch leitet er eine Reihe von Atemtechniken ausführlich an. Online bietet er Video- und Audio-Tutorials an. Jessica Brauns Buch "Atmen. Wie die einfachste Sache der Welt unser Leben verändern kann" ist 2019 im Verlag Kein&Aber erschienen und stand auf mehreren Bestsellerlisten, unter anderem bei Deutschlandradio Kultur . Der Amerikanistik-Professor Christoph Ribbat von der Universität Paderborn hat in seinem großartigen Buch Die Atemlehrerin die Biografie einer jungen Gymnastiklehrerin, Carola Spitz, verknüpft mit den Themen Emigration und Achtsamkeit. Erschienen ist das Buch bei Suhrkamp 2020. Die Zumutung Eine gute, kompakte Einführung bietet George Andersons Buch "Föderalismus" (UTB, 2008). Es zeigt auch die Vielfalt der föderalen Systeme in der heutigen Staatenwelt. Als Vertiefung empfiehlt sich Roland Sturms Buch "Föderalismus" (Nomos, 2020, 3. Auflage), das detailliert die Entwicklung des bundesdeutschen Föderalismus mit all seinen Kehrseiten darlegt. Zur Föderalismus-Kritik in der Corona-Pandemie haben Nathalie Behnke und Roland Sturm Stellung genommen. Welche Rolle Städte im Föderalismus spielen könnten, untersucht Daniel Weinstock in dem Aufsatz "Cities and Federalism" (englisch). Die Bedeutung der globalen Megastädte untersucht Saskia Sassen in "The Global City: Introducing a Concept" (2005, englisch). Die Bedeutung der Stadtstaaten analysiert Mogens Hansen in dem Text "The Impact of City-State Cultures on World History" (aus der Studie "A comparative study of thirty city-state cultures: an investigation", 2000), in dem er auch der Verbindung des föderalen Gedankens mit historischen Stadtstaaten nachgeht. Benjamin Barber hält in "If mayors ruled the world" ein Plädoyer für globale Städtebünde, die er für geeigneter hält, die drängenden Probleme der Gegenwart zu lösen. Eine Zusammenfassung seines Buches hat er hier geschrieben. Weltkultur von oben Zur Entwicklung des Welterbe-Gedanken seien das Paper "Shifting Tides of world-making in the UNESCO World Heritage Convention: cosmopolitans colliding" (englisch) von Christoph Brumann empfohlen. In Kürze erscheint sein Buch "The Best We Share: Nation, Culture and World-Making in the UNESCO World Heritage Arena" (Berghahn, New York). Die Organisation World Heritage Watch begleitet in ihrem jährlichen Report die Entwicklung verschiedener Welterbestätten. Der italienische Journalist Marco d’Eramo hat in seinem Buch "Die Welt im Selfie" (Suhrkamp), in dem es um die Geschichte des Tourismus geht, auch ein Kapital der durchaus zwiespältigen Rolle der Institution Welterbe gewidmet. Die Unesco listet alle Welterbestätten , die seit 1978 ausgezeichnet wurden, auf und gibt zu jeder Stätte eine Begründung. Der Verein Deutsche Unesco-Welterbestätten e.V. gibt einen Überblick, welche Orte und Landschaften in Deutschland ausgezeichnet wurden.
|
ZEIT Wissen
|
Mit welchen Experten wir gesprochen, welche Internetseiten wir besucht, welche Studien wir benutzt haben, lesen Sie hier.
|
[
"Nora Kreft",
"Oskar Panizza",
"Stefan Bollmann",
"Johann Wolfgang Goethe",
"Bernt Hahn",
"Heinrich Detering",
"Peter Sjölund",
"Sokrates",
"Berlin",
"Weimar"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2021-02-16T13:58:03+01:00
|
2021-02-16T13:58:03+01:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2021/02/quellen
|
Armee: Verformt die Armee den Charakter?
|
In Stanley Kubricks Antikriegsfilm Full Metal Jacket werden den Rekruten gleich zu Beginn die Köpfe kahl rasiert. Nicht nur ihre Locken müssen im Bootcamp der Marines fallen. Jeder Funke von Individualität und eigenem Willen wird ihnen ausgetrieben, um sie zu gehorsamen und brauchbaren Soldaten zu erziehen. Deutsche und US-amerikanische Forscher wollten herausfinden, wie ein solcher Militärdrill langfristig den Charakter der Soldaten prägt. Für ihre Studie von 2012 verglichen sie deutsche Abiturienten, die nach dem Abschluss ihren Wehrdienst antraten, mit jenen, die sich für den Zivildienst entschieden. "Die Entwicklung hin zu mehr sozialer Verträglichkeit, die sich bei den anderen jungen Männern zeigte, wurde durch die Zeit beim Militär ausgebremst", sagt Kathrin Jonkmann , eine der Autorinnen der Studie und heute Professorin für Psychologie an der Fernuniversität in Hagen. Und das nachhaltig – auch fünf Jahre nach dem Wehrdienst hatten die Rekruten in puncto Verträglichkeit nicht wieder aufgeholt. Verträglichkeit ist eins von fünf Merkmalen, mit denen Psychologen Charaktere beschreiben. Wer als verträglich gilt, ist mitfühlend, hilfsbereit, warmherzig und fasst schnell Vertrauen. Am anderen Ende des Spektrums bewegen sich eher kühle und misstrauische Zeitgenossen. Dass die Zeit in der Armee den Charakter beeinflussen könnte, hatten die Wissenschaftler um Jonkmann vermutet: "Wo muss man sich je wieder an ein so strenges Regelwerk halten wie bei der Bundeswehr? Dort gibt es ein ganz klares Belohnungssystem, das bestimmtes Verhalten fördert und Abweichungen sanktioniert", sagt Kathrin Jonkmann. Bis zur Jahrtausendwende hielten Experten die Persönlichkeit noch für unveränderlich. Egal, was passiert, wir bleiben doch im Grunde, wer wir sind. Inzwischen ist klar: Lebenserfahrungen formen den Charakter sehr wohl. Dabei wirken einzelne Ereignisse wie Heirat oder Jobverlust weniger, als man meinen könnte. Viel stärker formen offenbar gesellschaftliche Erwartungen die Persönlichkeit. Sozialer Druck – regelmäßig ausgeübt – kann mit der Zeit tiefe Rillen auf unserem Persönlichkeitsprofil hinterlassen. Mit den Jahren werden wir im Schnitt so, wie andere uns gerne hätten: gewissenhafter, emotional stabiler und teils verträglicher. "Dass die Verträglichkeit bei Soldatinnen und Soldaten nicht so wie bei vielen anderen jungen Menschen ansteigt, könnte Ausdruck eines Selbstschutzes sein. Wenn man sich an den Gedanken gewöhnen muss, dass Kameraden im Gefecht verletzt werden, kann es womöglich hilfreich sein, sich innerlich von ihnen zu distanzieren", sagt die Psychologin Naemi Brandt von der Universität Hamburg. Das kann langfristig auf Kosten des Mitgefühls gehen. Dass ein zugewandter Menschenfreund die Armee als schmallippiger Fiesling verlässt, heißt das aber nicht. "Wir suchen uns im Laufe des Lebens Umwelten aus, die zu unseren Eigenschaften passen. In der Studie von 2012 zog es gerade Menschen zum Militär, die schon im Voraus weniger verträglich waren als Personen, die den Zivildienst wählten", so Naemi Brandt. Durch die Erfahrungen in den verschiedenen Umwelten können sich Persönlichkeitsmerkmale dann mit der Zeit verstärken: Wer der Bundeswehr schon als weniger verträgliche Person beitritt, sammelt dort nicht unbedingt Erfahrungen, die ihn oder sie empathischer, freundlicher oder vertrauensvoller machen. Am Ende ist es wohl so: Das kahl rasierte Haar wächst schnell wieder nach, die Spuren im Inneren der Köpfe aber bleiben lange.
|
Corinna Hartmann
|
Achtung! Stillgestanden! Der Krieg verändert Menschen. Gilt das für den Militärdienst auch?
|
[
"Plomin",
"Bundeswehr",
"Militärdienst",
"Militär",
"Studie",
"Forschung",
"Psychologie",
"Psyche"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2021-06-07T10:46:27+02:00
|
2021-06-07T10:46:27+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2021/03/armee-charakter-persoenlichkeit-soldaten-forschung
|
Füllwörter: Ääääääääääääääh
|
Manche Forscherinnen lassen sich mit einem Schiff im Eis am Nordpol vorbeitreiben, um Daten für ihre Doktorarbeit zu erheben. Andere verfolgen Schimpansen durch den Urwald. Larssyn Staley hatte weniger Strapazen: Sie reiste von Zürich nach Los Angeles und ging dort mit Freunden in 23 Restaurants essen. Die harte Arbeit begann danach. Larssyn Staley, eine amerikanische Sprachforscherin, hatte es für die Promotion an die Universität Zürich verschlagen. Bei ihren Restaurantbesuchen interessierte sie nicht das Essen, sondern das Reden: Sie legte einen MP3-Rekorder auf den Tisch und zeichnete die Dialoge mit den Kellnern und Kellnerinnen auf. Begrüßung, Speisekarte vorstellen, Empfehlungen aussprechen, Bestellung aufnehmen, Essen servieren, Rechnung bringen, und tschüss. Zurück in der Schweiz, transkribierte sie 37 Stunden Tonmaterial. Jedes Wort, jede Unterbrechung, jedes Stottern. Staley interessierte sich vor allem für zwei Äußerungen: uh (äh) und um (ähm). In welchen Situationen wurden sie gebraucht? Wie oft? Zu welchem Zweck? Ihre Erkenntnisse publizierte sie Anfang des Jahres im Journal of Pragmatics: The use of uh and um in Los Angeles restaurant server talk. Das Thema klingt etwas abseitig, aber das ist es nicht. Die Äh-Forschung hat eine lange Tradition und reicht tief in den Alltag hinein. Wer häufig Äh oder Ähm sagt, gilt gemeinhin als unsicher, unseriös oder inkompetent. Hörfunkautoren schneiden die Ähs aus Zitaten heraus. Wikipedia beschreibt Äh als "Verzögerungslaut, Füll-Laut, Verlegenheitslaut, Pausenlaut, Flicklaut" – es klingt ein bisschen wie eine Krankheit. Die Wirtschaftswoche lobte den Virologen Christian Drosten dafür, dass er in einer Podcastfolge kein einziges Mal Äh sagt. Bodo Ramelow twitterte während der Ministerpräsidentenkonferenz 279 Äs , um witzig zu sein. Kommunikationstrainer schmähen die Ähms und Ähs als "Glaubwürdigkeitskiller". Doch wer die Erkenntnisse der Sprachforschung ernst nimmt, kommt zu einem ganz anderen Urteil. Die Forschenden haben mehr als tausend Stunden Alltagsgespräche und Telefondialoge analysiert, sie messen die Millisekunden zwischen Äh(m) und dem nächsten Wort und zeichnen Gehirnströme während des Sprechens auf. (Fast alle Forschungsarbeiten beziehen sich auf Uh und Um im Englischen, lassen sich aber aufs Deutsche übertragen.) Wer in diese Forschungsliteratur eintaucht, stellt schnell fest: Die Äh-Forschung kann es vielleicht bald mit der Komplexität von Klimaforschung und Teilchenphysik aufnehmen. Vor allem wird deutlich: Äh und Ähm sind besser als ihr Ruf. Ohne sie wäre die Menschheit dümmer. Dabei hatte der einflussreiche Linguist Noam Chomsky die Sprachschnipsel vor 50 Jahren noch als Systemfehler abgetan. Sie seien "Fehler in der Umsetzung des Sprachwissens in tatsächliches Sprechen", schrieb er. Unnötiges Rauschen also, Störfeuer. Etwas gnädiger waren Psychologen, die das Äh (und im Folgenden mitgedacht: Ähm) als Zeichen für kognitive Schwerstarbeit betrachteten. Ein Stottern des Sprechapparats, ungewollt, automatisch. Filled Pauses wurden die Ähs genannt, gefüllte Pausen. Dafür spricht, dass das Äh häufig vor abstrakten und überraschenden Begriffen auftaucht.
|
Max Rauner
|
Wer häufig Äh oder Ähm sagt, gilt oft als unsicher oder inkompetent. Stimmt das? Über die Erforschung eines Sprachschnipsels und warum er so viel besser ist als sein Ruf.
|
[
"Bodo Ramelow",
"Max Rauner",
"Hella von Sinnen",
"Füllwort",
"Sprachschnipsel",
"Diskurspartikel",
"Erforschung",
"Podcast",
"Sprachwissenschaft"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2021-04-28T14:49:42+02:00
|
2021-04-28T14:49:42+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2021/03/fuellwoerter-sprache-aehm-aeh-forschung-wortschnipsel/komplettansicht
|
Heimat: Wird man schneller heimisch mit wenig Gepäck?
|
Als die sechsjährige Sabine Schastok mit ihrer Familie nach dem Zweiten Weltkrieg aus Oberschlesien vertrieben wird, ist er ihr treuer Begleiter: ein hellbeiger Teddybär, gekleidet in einen blauen Mantel – ihr einziges Mitbringsel aus der alten Heimat. Am Mantelkragen trägt der Teddybär eine Anstecknadel – die US-Flagge. Die Vereinigten Staaten sollten im Laufe ihres Lebens ihr neues Zuhause werden. Mehr als fünfzig Jahre später sitzt der Teddybär von Sabine Schastok im Deutschen Auswandererhaus in Bremerhaven. Und nicht nur der: Mehr als 3000 weitere Familiengeschichten sind dort mit Dokumenten, Fotos, persönlichen Erinnerungsobjekten und Habseligkeiten ausgestellt. Die Hoffnung der Menschen auf eine neue Heimat liegt greifbar in der Luft. Heute weiß die Heimatforschung: Das Gefühl von Heimat lässt sich aktiv herstellen. Die Psychologin Beate Mitzscherlich nennt dieses Herstellen "Beheimatung": ein lebenslanger Prozess, bei dem sich der Mensch den Raum aneignet, ihn mit sich besetzt, mit seinen Gefühlen, Aktivitäten, seinen Geschichten und Erinnerungen. "Sich beheimaten heißt, Beziehungen zu Orten, vor allem aber zu den dort lebenden Menschen aufzubauen." Das bedeute, diese Beziehungen seinen Bedürfnissen entsprechend zu gestalten und damit Verantwortung für sich selbst, aber auch für den Ort und die Menschen zu übernehmen. Heimat sei keine Einbahnstraße, "Heimat ist etwas, was ich mache", sagt sie. Zwischenmenschliche Beziehungen – zu Freunden, Familie, Nachbarn – sind dafür unabdingbar, denn Heimat ist vor allem eins: ein sozial gefüllter Raum, den wir meist mit positiven Gefühlen und Erinnerungen belegen. Trotzdem können materielle Gegenstände und persönliche Erinnerungsstücke dabei helfen, uns schneller heimisch zu fühlen. "Die meisten Menschen beheimaten sich, indem sie ein Bild aufhängen, indem sie den Raum personalisieren", sagt Beate Mitzscherlich. Ganz ohne Gepäck geht es dann doch nicht. Auf die Frage, wie viel wir mithaben sollten, um uns schneller heimisch zu fühlen, antwortet der Wohnpsychologe Uwe Linke: "Man braucht nicht viel, sondern man braucht persönliche Gegenstände." Schließlich sei der Mensch kein reines Seelenwesen, er hänge seit je schon auch an Materiellem. Doch aufgepasst: Das Gepäck, das wir mitnehmen, bringt nicht nur Gewicht auf die Waage, sondern wiegt auch mental im Kopf. "Wenn ich zu viele Gegenstände habe, kommt keine Heimat raus, sondern eher Belastung und Schwere", sagt Linke. Der Koffer muss also nicht unbedingt voll sein, um reich zu sein an heimischen Gefühlen. Und weder die Vergangenheit noch die alte Heimat lässt sich gänzlich im Koffer verstauen. Daher sollten wir leichtes Gepäck auch als Chance betrachten, sagt Linke, "weil wir uns dadurch neu erfinden müssen und weil wir dadurch hinterfragen, ob die Dinge, die wir gewohnt sind, heute noch zu uns passen und für uns noch sinnvoll sind". Einfach ist das nicht, doch heilsam könnte so ein Experiment sein: einmal freiwillig alles über Bord werfen und neu anfangen. Denn wer Gewohnheit mit Sicherheit verwechselt, den kann diese Gewohnheit lähmen. Wenn Heimat der Ort ist, auf den wir unsere Identität beziehen, heißt ein Umzug nicht nur, sich eine neue Postleitzahl merken zu müssen. Ein neuer Ort bietet Raum für neue Möglichkeiten und vielleicht auch für ein neues Ich. Und wenn wir dann den Raum um uns mit unseren Ideen und neuen Erinnerungen belegen, kann sich ein heimisches Gefühl einstellen. So lässt sich die Heimat auch in der Ferne finden.
|
Shahrzad Golab
|
Ich packe meinen Koffer und nehme mit: fünf Paar Socken, einen Wollmantel, ein Sofa, den roten Lippenstift. Was noch? Was hilft, um an einem neuen Ort heimisch zu werden.
|
[
"Heimatforschung",
"Psychologie",
"Heimat",
"Gepäck",
"Familie"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2021-05-28T06:53:02+02:00
|
2021-05-28T06:53:02+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2021/03/heimat-reisen-umzug-heimatsforschung-familie-freunde-beheimatung
|
ZEIT Wissen 3/2021: Hier haben wir recherchiert
|
Das aktuelle ZEIT WISSEN-Magazin finden Sie unter www.zeit.de/zw-aktuell . Dort können Sie auch ein kostenloses Probeheft gratis bestellen. Am Anfang drei Fragen 1. Wird man schneller heimisch mit wenig Gepäck? Seit seiner Gründung im Jahr 2005 hat das Deutsche Auswandererhaus in Bremerhaven mehr als 3000 Familiengeschichten zusammengetragen. Die Psychologin Beate Mitzscherlich ist Professorin für Pflegeforschung an der Westsächsischen Hochschule Zwickau und beschäftigt sich in ihrer Forschung vor allem mit Identität und Beheimatung. Uwe Linke ist Wohnpsychologe und arbeitet seit rund 30 Jahren im Bereich Interior Design. 2. Gibt es Social Distancing auch in der Natur? In diesem Science-Artikel beschreiben Forschende, wie Ameisen infektiöse Artgenossen isolieren. 3. Verformt die Armee den Charakter? In dieser Studie verglichen deutsche und US-amerikanische Forschende die Persönlichkeitsentwicklung deutscher Männer, die Wehrdienst leisteten, mit jenen, die sich für den Zivildienst entschieden. Die Psychologie-Professorin Kathrin Jonkmann war damals an der Studie beteiligt. Die Psychologin Dr. Naemi Brandt erforscht an der Universität Hamburg die Persönlichkeitsentwicklung im Laufe des Lebens. Am anderen Ende der Leitung Das Bundesinstitut für Berufsbildung hat die Deutschen befragt, wie hoch sie rund 400 unterschiedliche Berufe ansehen. Hier die Ergebnisse. Hierzulande arbeiten laut Bundeswirtschaftsministerium rund 140.000 Angestellte bei 1500 externen Callcenter- Unternehmen. Die deutsche Wirtschaft hat ein Drittel des Callcenter-Volumens an sie ausgelagert, schätzt die Unternehmensberatung pwc . Die Hälfte der Angestellten externer Callcenter braucht einen Zweitjob, ein Viertel bezieht zusätzlich Sozialleistungen, schätzt die Gewerkschaft ver.di . Im Fehlzeitenreport der AOK belegen Callcenter-Agents den einsamen Spitzenplatz in der Diagnose "Psychische und Verhaltensstörungen". In Zukunft werden 80 Prozent der Anfragen von Chatbots und Voicebots beantwortet werden, prophezeit die Unternehmensberatung pwc . In diesem Dokument hat das Gesundheitsministerium die Details für den Vertrag zur Corona-Hotline veröffentlicht. Gebrauchsanweisung für ein Gefühl In den 1980er-Jahren veröffentlichten die Psychologinnen Pauline Clance und Suzanne Imes Psychologinnen die Studie The Impostor Phenomenon Among High Achieving Women . Bescheidenheit ist gut für die Karriere, belegt eine Studie der Universität Bonn . Simple Twist of Fate Dieses Video (auf Englisch) erklärt einfach und anschaulich, wie sich verschiedene Neigungen einer Planetenachse auf mögliche Jahreszeiten auswirken. Robin Smith hat 2011 eine einfache Simulation vorgestellt , wie sich eine Erde mit senkrechter und mit um 23 Grad geneigter Erdachse unterscheiden: https://www.bbc.co.uk/blogs/23degrees/2011/03/what_if_the_earth_had_no_tilt.html Sehr aufschlussreich dazu ist diese Grafik . Im Vergleich dazu zeigt dieses Bild die Klimazonen der Erde bei einer senkrechten Erdachse. Es gibt mehr Wüsten, mehr tropische Wälder und eine nur schmale gemäßigte Zone. Andrew May hat auf seinem Blog eine sehr schöne große Grafik , die den Verlauf der Durchschnittstemperatur der Erde – und damit des Klimas – über die letzten 18.000 Jahre zeigt. Dazu gestellt sind verschiedene historische Ereignisse der Menschheitsgeschichte. Hallo? Hallo! Einen guten Überblick gibt das Buchkapitel "Geschichte der Nachrichtentechnik" von Dirk Hoffmann von der Hochschule Karlsruhe (2014). Noch immer absolut lesenswert ist "Das viktorianische Internet" von Tom Standage (1999). Volker Aschoffs beschrieb 1989 die Entwicklung von der Schrift zum Morse-Code der Telegrafen . Laura Crombie stellte 2014 im BBC History Magazin eine kurze Geschichte der Kommunikation im Mittelalter vor. Über die Chaskis, die Läufer des Inka-Reichs, berichtet eine Broschüre des National Museum of the American Indian des Smithsonian Institute. Die Geschichtsabteilung des Devon County Council (UK) informiert über die mittelalterlichen Leuchtfeuer-Signaltürme an der südenglischen Küste. Wie die Erfindung der Zeitung das Weltgeschehen nicht nur neu darstellte, sondern auch veränderte, beschreibt Holger Böning in dem Buch "Für Glaubensfreiheit und gegen Absolutismus. Die Vorgeschichte des Dreißigjährigen Kriegs im Jahrgang 1609 der beiden ersten gedruckten periodischen Zeitungen der Welt" (2020). Die Zumutung: Twitter Die Rolle der neuen Medien im Arabischen Frühling hat Asiem El Difraoui für die Bundeszentrale für politische Bildung analysiert. Die Studie "Hate Speech on Twitter" untersucht, ob Hassrede auf Twitter mithilfe von Algorithmen erkannt werden kann. Sollen soziale Netzwerke reguliert werden? Diese Frage diskutieren Peter Biesenbach und Rolf Schwartmann in diesem FAZ-Artikel . Buchtipps: "Twitter" von Dhiraj Murthy. " Die soziale Logik des Likes " von Johannes Paßmann. Johannes Paßmann hat seine Doktorarbeit über "Mediengeschichte des Followers" geschrieben. Cyberwar: Die Gefahr aus dem Netz von Constanze Kurz und Frank Rieger Adolph Freiherr Knigge Eine Novellierung des Anstands im Geiste Knigges versucht der Essayist und Kolumnist Axel Hacke in seinem Buch "Über den Anstand in schwierigen Zeiten und die Frage, wie wir miteinander umgehen", erschienen 2017 im Kunstmann-Verlag. Viele heute erhältlichen Ausgaben von Knigges Werk sind weit entfernt vom Original. Die Herausgeber haben es zum Benimmratgeber verschlimmbessert. Die Erstausgabe des Knigge ist hier digital einsehbar . Ein Konzept der Alltagsmoral, das Knigge vielleicht gefallen hätte, entwirft der amerikanische Philosoph Todd May in seinem Buch "A Decent Life" (University of Chicago Press, 2019). Die dunkle Seite der Seele - Geschichte der Melancholie In seiner medizinischen Monographie "Über die Melancholie" verbindet der griechische Medicus Rufus von Ephesus medizinische und philosophische Aspekte: Schwarze Galle ist demnach Ursache von Wahnsinn und Depression, aber auch Zeichen des geistigen Genies.
|
ZEIT Wissen
|
Mit welchen Experten wir gesprochen, welche Internetseiten wir besucht, welche Studien wir benutzt haben.
|
[
"Beate Mitzscherlich",
"Uwe Linke",
"Kathrin Jonkmann",
"Naemi Brandt",
"Todd May",
"Bremerhaven",
"ZEIT",
"Hochschule Zwickau",
"Universität Hamburg",
"Bundeswirtschaftsministerium"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2021-04-20T09:54:34+02:00
|
2021-04-20T09:54:34+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2021/03/quellen
|
"Auf gutem Weg": ZEIT WISSEN-Wanderungen gegen den Stress des Lebens
|
Wandern ist nicht mit anderen Gangarten zu vergleichen. Der Wanderer geht nicht los, um unter Menschen zu kommen, schreibt Peter Kümmel im ZEIT WISSEN Magazin, sondern um Abstand zu ihnen zu gewinnen. Von dem, was dabei mit einem selbst geschehen kann, erzählen Schriftsteller und Schriftstellerinnen, die sich auf den Weg gemacht haben. In der Serie Auf gutem Weg folgen wir im ersten Teil Autoren und Autorinnen, die exklusiv für ZEIT WISSEN über ihre Wanderungen schreiben ( ZEIT Wissen-Ausgabe Mai/Juni 2021). Im zweiten Teil gehen wir auf den Pfaden literarischer Wanderungen von Franz Kafka bis Mark Twain ( ZEIT Wissen-Ausgabe Juli/August 2021). Die GPS-Tracks aller Wege finden Sie bei komoot in den Collectionen von ZEIT Wissen . Bei den literarischen Wanderungen haben wir die GPS-Tracks den Routen der Autoren nachempfunden – als Kafka lebte, gab es noch keine Ortungsdienste. Teil 1: Der Weg, der mein Leben verändert hat ( ZEIT WISSEN-Ausgabe 3, Mai/Juni 2021 ) Die GPS-Tracks finden Sie bei komoot . Alternativ stehen sie hier als zip-Archiv zum Download bereit. Wanderung 1: Zora del Buona trifft in den White Mountains in Kalifornien einen Hengst Wanderung 2: Michael Krüger läuft um den Schlachtensee in Berlin Wanderung 3: Claire Beermann steigt auf den heiligen Berg Arunachala in Indien Wanderung 4: Zsuzsa Bánk ist mit Freundinnen im Taubertal bei Rothenburg unterwegs Wanderung 5: Ilka Piepgras rettet auf dem Küstenweg an der C ô tes d’Azur einen Freund Wanderung 6: John von Düffel geht mit seinem Vater auf der langen Geraden im Bremer Blockland Wanderung 7: Henning Sußebach besteigt mit seiner Tochter den 167 Meter hohen Bungsberg Wanderung 8: Judith Hermann findet auf dem irischen Achill Island die richtigen Wörter Teil 2: Wer losgeht, verändert alles – auf den Pfaden berühmter Schriftsteller (ZEIT WISSEN-Ausgabe 4, Juli/August 2021) Die GPS-Tracks finden Sie bei komoot . Alternativ stehen sie hier als zip-Archiv zum Download bereit. Wanderung 1: Franz Kafka entkommt in den Gassen Prags der Enge seines Lebens Wanderung 2: Der Norweger Tomas Espedal sucht Heideggers Hütte im Schwarzwald Wanderung 3: Der Amerikaner Robert Moor traut sich den Appalachian Trail zu Wanderung 4: Virginia Woolf geht für einen Bleistift durch halb London Wanderung 5: Werner Herzog wandert in nur drei Wochen von München nach Paris Wanderung 6: Mark Twain wandert von Heidelberg nach Heilbronn Wanderung 7: 1933 macht sich Patrick Leigh Fermor in Hoek van Holland auf den Weg
|
ZEIT Wissen
|
Schriftstellerinnen und Schriftsteller erzählen für ZEIT WISSEN von Wanderungen, die ihr Leben verändert haben. Hier finden Sie die GPS-Tracks.
|
[
"Peter Kümmel",
"Franz Kafka",
"Mark Twain",
"ZEIT",
"Stress",
"Wanderung"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2021-04-20T08:24:33+02:00
|
2021-04-20T08:24:33+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2021/03/wanderungen
|
Schimpfwörter: Warum muss der Hintern für so viel herhalten?
|
Die Arschkarte ziehen. Am Arsch der Welt leben, den Arsch offen haben, oder einem geht der Arsch auf Grundeis – der Arsch, Popo oder Hintern muss sprichwörtlich für so einiges herhalten. Schon in der alten Sprichwörtersammlung von Martin Luther finden sich "Hummeln im Arsch", um jemanden zu beschreiben, der unmöglich ruhig sitzen kann und immer tätig ist. "Bis ins 18. Jahrhundert hinein wurde häufig und ganz normal über die Verdauung und den Arsch gesprochen", sagt der Sprachexperte Rolf-Bernhard Essig, der in einem Buch Redensarten über den Körper versammelt hat. Goethe oder Schiller etwa hätten das Wort Arsch regelmäßig in ihren Briefen benutzt. Es sei ein geläufiges deutsches Wort, kein Schimpfwort gewesen. Erst im 19. Jahrhundert, als das Bürgertum versuchte, die Etikette des Adels nachzuahmen, wurde der Arsch tabuisiert und zunehmend durch das Hinterteil oder – verkürzt – den Hintern ersetzt; populär wurde der lateinische podex, auch in seiner Kurzform Po sowie die aus der Kindersprache kommende Verdoppelung zu Popo. Womit wir bei den vier Buchstaben angelangt wären, die extrem verhüllend von dem anscheinend Unsagbaren sprechen, so Rolf-Bernhard Essig. In der deutschen Sprache sei die Nähe zum Analen größer als anderswo, schreibt der Linguist Hans Martin Gauger in Das Feuchte und das Schmutzige: Kleine Lin guistik der vulgären Sprache. Wenn die Deutschen schimpften, beleidigten, fluchten oder vulgär würden, verwendeten sie Ausdrücke, die sich auf Exkrementelles oder den Hintern beziehen, während die Nachbarsprachen zu diesem Zweck fast immer ins Sexuelle gingen. Eine eindeutige Erklärung dafür hat Gauger aber nicht. Am sogenannten analen Charakter der Deutschen wird es wohl nicht liegen. Obwohl man angesichts der Klopapierhamsterei zu Beginn der Corona-Pandemie auf die Idee hätte kommen können. Sigmund Freud machte sich 1908 in dem Text Charakter und Analerotik als Erster Gedanken über den Zusammenhang zwischen Sauberkeitserziehung und Persönlichkeitsentwicklung. Das Kind lerne, dass die analen Freuden – wie Freud es formuliert – "für sexuelle Zwecke unverwendbar" seien, also verpönt. Durch das Verbot kehrt das Kind seine Lust gewissermaßen um und wird ordentlich, sparsam und eigensinnig – die moderne Psychoanalyse hält Freuds Theorien jedoch für weitgehend überholt. Der Neurolinguist Horst M. Müller findet den Arsch als Schimpfwort der geringen Nebenwirkungen wegen gut. Es erfülle seinen Zweck, ohne misogyn, sexistisch oder rassistisch zu sein. Der Arsch ist zum Beispiel im Gegensatz zum Hurensohn moralisch nicht zu kritisieren. "Es ist ein drastisches Schimpfwort mit enormer Wirkung." Der Hintern sei etwas Besonderes, weil er einerseits zum Koten da sei, anderseits aber auch Objekt der sexuellen Begierde. "Schon die Römer oder Griechen der Antike verehrten die Liebesgöttin als die Prachthintrige", sagt der Sprachexperte Essig. Dank ihres Superpos hat es auch Kim Kardashian zum Superstar geschafft, und das ehemalige Supermodel Heidi Klum zeigte kürzlich ein Foto ihres nackten Hinterns auf Instagram. Dort folgen Millionen von Po-begeisterten Followern den rundesten Hintern. Der Po nimmt viel auf sich, das Ästhetische wie das Vulgäre, das Schöne wie das Hässliche. Er kann anziehend und abstoßend wirken. Wenn jemand blankzieht, ist das auf einen Aberglauben zurückzuführen – nämlich auf die angeblich fluchabwehrende Wirkung des Gesäßes. Eine ähnlich vehemente Abwehr steckt auch heute noch in dem derben "Leck mich am Arsch". Die Quellenangaben zum Artikel finden Sie hier.
|
Silke Weber
|
Schimpfwort, Abwehr von bösen Flüchen, Sexsymbol – sogar Goethe benutzte das Wort "Arsch". Dieser Körperteil kann alles.
|
[
"Schimpfwort",
"Arsch",
"Sprache",
"Hintern",
"Sprichwort"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2021-07-12T20:03:01+02:00
|
2021-07-12T20:03:01+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2021/04/arsch-schimpfwoerter-hintern-popo-vulgaere-sprache-geschichte
|
Beziehung zu Eltern: Müssen wir unsere Eltern enttäuschen, um glücklich zu werden?
|
Die Eltern enttäuschen? Geht das nicht gegen das vierte Gebot? Sollen, ja müssen wir etwa nicht Vater und Mutter durch unseren Gehorsam ehren? Aber: Wie viel Sinn macht dieser Gehorsam? Über diese Frage hat der österreichische Schriftsteller Ludwig Anzengruber 1878 sein von der Kritik gelobtes, von der Zensur erst einmal verbotenes Drama Das vierte Gebot geschrieben. Das Stück beginnt damit, dass Hedwig nicht den geliebten Klavierlehrer heiraten darf. Ihr Vater zwingt sie in die Ehe mit dem kalten, reichen Lebemann Stolzenthaler. Er sagt: "Eltern wissen allemal besser, was den Kindern taugt, und müßt’ ich dich zwingen, so würd’ ich dich auch zu dein Glück zwingen." Hedwig wendet sich in ihrer Not an einen Priester und gerät vom Regen in die Traufe. Dieser fordert, sich strikt an das vierte Gebot zu halten, das er als Aufforderung zum absoluten Gehorsam der Kinder gegenüber den Eltern deutet. Ich habe lange Jahre mit einem Kollegen, der vor seiner Therapie-Ausbildung katholischer Geistlicher war, Tür an Tür gearbeitet und über unsere Fälle mit ihm gesprochen. Er war Priester geworden, um seiner Mutter eine Freude zu machen, und hatte sich mit viel Kummer über den Schmerz der Eltern von dieser Rolle befreit. Er hatte in diesem ersten Berufsleben Hebräisch studiert und erklärte mir, in der Urfassung bedeute "ehren", die Eltern nicht hungern zu lassen, wenn sie sich nicht mehr selbst versorgen können. Autor und Psychoanalytiker, hat sich immer wieder mit Perfektionismus in Beziehungen beschäftigt. Zuletzt in dem Buch "Kaltes Denken – warmes Denken" Die Eltern haben das Kind gefüttert; jetzt soll das Kind die Eltern nicht hungern lassen – das hört sich auf jeden Fall symmetrischer an als Gehorsam, eine Art lebenslange Eltern-Bedrückung, bei der ich immer an eine Karikatur des Zeichners F. K. Waechter denken muss: Ein mickeriges Hähnchen fliegt mühsam dahin. Auf seinem Rücken thront eine dicke Henne. Unterschrift: "Denk immer daran, daß ich dich unter Schmerzen geboren habe." Die Szene hat etwas Unentrinnbares. Warum kann das arme Hähnchen die Henne nicht abwerfen? Was Eltern getan oder unterlassen haben, kann erwachsenen Kindern noch lange nachgehen. Seit Eltern von ihren Kindern erwarten, dass diese die unerfüllten Lebenswünsche der Eltern umsetzen, sind auch in den Kindern idealisierte Erwartungen an die Eltern entstanden. Ich erinnere mich an eine Psychologin, die in ihrer Therapie viel über ihre Mutter klagte, die ihr bei ihren Besuchen immer einen Geldschein zusteckte. "Ich will doch kein Geld von ihr, ich verdiene selbst genug, ich will, dass sie mich endlich versteht und sieht, was ich bin, was ich geleistet habe! Und sie fragt immer nur, wann ich endlich heirate und Kinder habe!" Die Mutter ist eine Hilfsarbeiterin aus bildungsfernem Milieu. Der Vater trennte sich während der Schwangerschaft von ihr. Die Tochter konnte die Fantasie nicht loslassen, dass die Mutter ihr Studium verstehen und würdigen könne, wenn sie das nur wolle. Sie wies empört das Geld zurück und reiste mit schlechtem Gewissen ab. Wenn Eltern und erwachsene Kinder in derart unterschiedlichen Welten leben, fällt es beiden Seiten schwer, sich mit dem Verlust der früheren Nähe abzufinden. Wir würden nachsichtiger mit enttäuschten Erwartungen umgehen – seien es die der Eltern an die Kinder oder die der (erwachsenen) Kinder an Einsicht und Verständnis der Eltern –, wenn wir bedenken, wie viel komplizierter das Leben geworden ist. Seit bei uns eigentlich niemand mehr hungern muss, erwarten Familienmitglieder voneinander narzisstische Bestätigung: du gutes Kind, ich gute Mutter oder guter Vater. Die bei Weitem überwiegende Zeit, in der Menschen auf der Erde lebten, waren die Erwartungen viel einfacher: Die Eltern sorgten für das hilflose Kind, es war aber auch klar, dass das Kind, sobald es für sich selbst sorgen kann, sich selbst verschafft, was es zum Überleben braucht. Wenn aber die Eltern Geld haben, wird das gleich viel komplizierter; die Generationen ringen nun mit einem Werkzeug – dem Geld – darum, einander zu manipulieren, das (wie der Konflikt der Tochter mit dem Geldgeschenk der Mutter zeigt) zu Missverständnissen führt. Vor 150 Jahren lebten in Mitteleuropa rund 80 Prozent der Menschen in Dörfern, die sie ihr Leben lang kaum verließen. Handwerk dominierte die Wirtschaft. Der Dreischritt von Lehrling, Geselle und Meister beherrschte fast alle Ausbildungen. Wo sollte der Sohn des Schreiners hingehen, wenn nicht in die Werkstatt seines Vater? Wie sah seine Lebensperspektive aus, wenn er sich nicht Mühe gab, ebenso gut zu hobeln, zu sägen und zu leimen wie der Meister? Die gesellschaftlichen Veränderungen durch die Industrialisierung lassen sich als Individualisierungsprozesse zusammenfassen. Heranwachsende Kinder dürfen, ja müssen Fantasien entwickeln, dass sie einmal etwas ganz anderes werden als ihre Eltern. Sie treffen auf Eltern, die es als ihre Pflicht sehen, ihre Kinder zu fördern und sie auf einen Weg zu bringen, der die Geltung der Eltern zu steigern vermag.
|
Wolfgang Schmidbauer
|
Wie reagieren Sie auf Ihre Eltern? Ihre Liebe, ihre Macht, ihre Gene – was es über Menschen sagt, wie sie von ihren Eltern reden, und welchen Einfluss das aufs Leben hat.
|
[
"Ludwig Anzengruber",
"F. K. Waechter",
"Thomas Mann",
"Mitteleuropa",
"Wien",
"Liebe",
"Autor",
"Kritik",
"Drama",
"Geld"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2021-08-16T12:06:49+02:00
|
2021-08-16T12:06:49+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2021/04/beziehung-eltern-kinder-erziehung-gene-familie/komplettansicht
|
Genetik: "Gene sind vor allem eins: Eine Sache des Glücks"
|
Sind wir Sklaven unserer Gene? Oder ist die Genforschung gar eine Chance für mehr Gerechtigkeit? Die Psychologieprofessorin und Verhaltensgenetikerin Kathryn Paige Harden erforscht in Texas, welchen Einfluss Gene auf soziale Unterschiede haben. Im Herbst erscheint ihr Buch The Genetic Lottery . ZEIT WISSEN: Frau Harden, ich plane gern Dinge im Voraus und hasse Einsamkeit. Liegt das alles in meinen Genen? Kathryn Paige Harden: Gene machen definitiv einen Unterschied. Die Frage ist eher: Welche Gene spielen eine Rolle – und wie ist ihr Einfluss? ZEIT WISSEN: Und was wissen wir bereits? Paige Harden: Am einfachsten ist es bei Krankheiten, die nur auf ein einziges Gen zurückzuführen sind: etwa die Sichelzellkrankheit. Doch bei Depressionen, Schizophrenie oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben viele Gene jeweils einen kleinen Einfluss. Wir wissen nur nicht, welche davon wie wirken. ZEIT WISSEN: Und beim Verhalten ist es das Gleiche? Paige Harden: Ja, Gene beeinflussen etwa, wie kontaktfreudig Sie sind. Sind Sie gewissenhaft, verantwortungsbewusst, vorausplanend? Wie anfällig sind Sie für negative Emotionen, wie offen für neue Erfahrungen? Menschen haben in diesen Punkten unterschiedlich stark ausgeprägte Charaktereigenschaften. Diese Differenzen kann man messen und zu 50 Prozent mit genetischen Unterschieden erklären. Der Rest ist sozial bedingt. ZEIT WISSEN: Lassen sich kulturelle Unterschiede auch mit Genen erklären? Paige Harden: Nein, denken Sie an all die Kulturen, in denen Menschen im Laufe der Geschichte schon gelebt haben. Wenn Sie nur weiße Menschen aus der britischen Mittelschicht untersuchen, also alle mit ähnlichem Umfeld, kann man davon ausgehen, dass die psychologischen Unterschiede, die dort zu beobachten sind, von den Genen beeinflusst sind. Würde allerdings jemand mit denselben Genen in einer ganz anderen Umgebung geboren, würden sich viele seiner Verhaltensweisen und auch seine Identität durch die Macht der Kultur ändern. ZEIT WISSEN: Meine Gene sind also nicht so wichtig. Paige Harden: Nicht ganz. Religiosität ist ein gutes Beispiel: In Ihrer DNA steht nicht, ob Sie Christin oder Muslimin werden – das hängt an Ihrem Umfeld. Ihre Genetik beeinflusst aber, wie intensiv Sie die Religion praktizieren – und auch Ihre kognitiven Leistungen zu bis zu 70 Prozent. ZEIT WISSEN: Wenn ich einen schlechten Studienabschluss mache, kann ich also meinen Eltern und ihrem Erbgut die Schuld geben? Paige Harden: Da machen Sie es sich zu einfach. Selbst wenn Sie eine geringere kognitive Leistung geerbt hätten, haben Ihre Gene nur einen wahrscheinlichen Einfluss, keinen deterministischen. Die Gene korrelieren mit der Umwelt. Das beste Beispiel ist die Brille. ZEIT WISSEN: Die Brille? Paige Harden: Wenn Sie eine geringe Sehkraft geerbt haben, können Sie sich eine Brille aufsetzen. Die Gene sind nur Veranlagung. Wir können intervenieren. Dasselbe gilt für genetisch bedingte Ungleichheiten in der Schulleistung. Wir können die Menschen mit geringeren kognitiven Fähigkeiten mit einem guten Bildungssystem auffangen. ZEIT WISSEN: Denken Sie, mehr Wissen über die DNA könnte die Gesellschaft gerechter machen? Paige Harden: In den USA sind Menschen, die glauben, dass der Erfolg im Leben auch auf Glück zurückzuführen ist, eher bereit, Umverteilungsprogramme zu unterstützen und Ressourcen und Reichtum gerecht zu verteilen. Gene sind genau das: eine Glücksfrage. ZEIT WISSEN: Wie meinen Sie das? Paige Harden: Ein Elternpaar kann hypothetisch 70 Billionen genetische Kombinationen hervorbringen. Und Sie sind eine dieser Kombinationen. Natürlich ist die Verteilung der Gene innerhalb der möglichen Kinder nicht so breit wie in der Bevölkerung. Aber es gibt immer noch viele Unterschiede. ZEIT WISSEN: Das heißt, ich werde nicht eines Tages wie meine Mutter oder mein Vater sein? Paige Harden: Viele Menschen vergessen, dass bei der Kombination der Eizelle und des Spermas die Gene ihrer Eltern rekombiniert wurden. Diese Kombination ist einzigartig, es wird sie nie wieder so geben. Sie sind mit Ihren Eltern oder Ihren Geschwistern eben nur zu durchschnittlich 50 Prozent genetisch gleich. ZEIT WISSEN: Wenn schon meine Eltern kein gutes Indiz für die Genetik meines Charakters sind – gibt es dann einen Gentest dafür? Paige Harden: Leider nein. In der Forschung nutzen wir Zwillingsstudien. Eineiige Zwillinge sind genetische Kopien, die sich in ihrer Aufgeschlossenheit und Extraversion sehr ähneln. Adoptiveltern gleichen ihren Kinder in dieser Hinsicht kaum. Das ist ein Zeichen, dass Gene eine Rolle spielen. Doch es gibt nicht das Gen für die eine Charaktereigenschaft. Die Voraussagen sind sehr ungenau. ZEIT WISSEN: Die Angst vor Designerbabys ist also nicht gerechtfertigt? Paige Harden: Genetik ist kein Diagnosewerkzeug für einzelne Menschen. Wir können nicht sagen, welches das bessere Baby ist. Sie ist eher ein Werkzeug, um etwas über soziale Umgebungen zu sagen. Wenn wir nachverfolgen, wie das genetische Glück mit sozialen Strukturen zusammenhängt, können wir mehr soziale Gerechtigkeit erreichen. —
|
Filipa Lessing
|
Egal, wie die Beziehung zu unseren Eltern ist: Ihre Gene behalten wir für immer. Ist das schlimm? Nicht unbedingt, sagt die Verhaltensgenetikerin Kathryn Paige Harden.
|
[
"Genetik",
"Verhaltensforschung",
"Eltern",
"DNA",
"Biologie",
"Psychologie",
"Vererbung",
"Verhaltensbiologie",
"Kathryn Paige Harden"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2021-08-10T20:25:07+02:00
|
2021-08-10T20:25:07+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2021/04/genetik-gene-eigenschaften-verhalten-eltern-kathryn-paige-harden
|
Kommunikation: Runter bis auf die Augenhöhe
|
Als der Gastgeber nach Rebecca Solnits Arbeit fragt, erzählt sie ihm von ihrem neuen Buch. Er, ein älterer, wohlhabender Mann, fällt der Autorin ins Wort: Ob sie wisse, dass genau zu ihrem Thema gerade ein äußerst wichtiges Buch erschienen sei, fragt er. Solnit wusste das. Es war ihr Buch, über das er redete. Solnits Begleitung erklärt ihm das. Mehrmals. Bis er schließlich verstummt. Er hatte das Buch nie gelesen, er kannte es nur aus einer Rezension. Aus der Begegnung macht Solnit einen Essay: "Wenn Männer mir die Welt erklären". Aus dem Essay macht sie eine Forderung: Männer, nehmt Frauen ernst und euch zurück. Gerichtet an selbsterklärte Fachmänner, die es gewohnt sind, ihre Meinung immer und überall sagen zu dürfen. Die andere auch dann belehren, wenn sie selbst nichts verstehen. Das Netz fand einen Begriff dafür: mansplaining . Ein Neologismus aus den englischen Wörtern für "Mann" und "erklären". Die New York Times kürte ihn 2010 zu einem der Wörter des Jahres. Etliche Frauen berichteten daraufhin von ihren Erfahrungen damit. People of Color berichteten von whitesplaining . Menschen mit Behinderung von ablesplaining . Die Botschaft an all die Erklärer ist immer dieselbe: Nur weil ich anders bin als die meisten Menschen in deiner Welt, verstehe ich sie nicht weniger gut. Der Abstieg vom hohen Ross auf Augenhöhe ist steil und rutschig. Denn die wenigsten von uns liegen gerne falsch. Dazu müssten wir aber bereit sein, sagt Ayça Polat. Sie forscht an der FH Kiel zu Diversität und Migration und war davor Integrationsbeauftragte in Oldenburg. Um aufeinander zugehen zu können, brauchen wir einen Sack voll Empathie, Neugier und Geduld. "Zuerst zuhören, nicht gleich Ratschläge geben", sagt Polat. Eine gemeinsame Basis zu schaffen hilft. Zum Beispiel so: "Hier sind meine Informationen. Wir könnten uns die zusammen anschauen und uns dazu austauschen." Manchmal ist es auch nötig, die Körperhaltung zu ändern. So wie ein Vater, der in die Knie geht, um mit seinem Sohn zu sprechen. Vor allem aber die innere Haltung ist wichtig. "Wir müssen unsere Gegenüber als Experten und Expertinnen der eigenen Lebenswelt sehen", sagt Ayça Polat. Trainieren könne man das gut mit Menschen, die man eher unsympathisch finde. Dem Gegenüber dann zu sagen: "Ich kann das nicht verstehen. Daher wäre es gut, wenn du mir noch mal erklärst, wie du’s gemeint hast", sei eine gute Übung – bedeute aber nicht, dass man vom eigenen Standpunkt abrücken müsse. "Offenheit darf auch Grenzen kennen." Gegenüber Verschwörungsmythen zum Beispiel. Zuhören allerdings falle in Krisenzeiten schwerer, sagt der Psychologe Peter Bak. Wer sich hilflos fühle, suche gern einfache Lösungen und Schuldige: China, Politikerinnen, Impfgegner – was natürlich kontraproduktiv ist, wenn man die Augenhöhe sucht. Krisen wie die Pandemie können uns aber auch zusammenbringen. "Wir gucken uns alle in die Wohnzimmer rein", sagt Bak. "Da sitzen wir nicht mit Schlips und Anzug vor der Videokamera." Mit der Chefin, bei der wir Kinderspielzeug und schmutziges Geschirr im Wohnzimmer entdecken, haben wir womöglich mehr gemein als mit derselben Frau im Büro mit Empfangspersonal. "Da entsteht Nähe zu Menschen, denen man diese Nähe normalerweise gar nicht gestattet hätte." Um die Perspektive zu wechseln, müssen wir – vor allem innerlich – in Bewegung kommen. Nachfragen, wo wir es sonst nicht tun. Uns von Antworten überraschen lassen. Mutig genug sein, unsere Welt auf den Kopf stellen zu lassen. Denn von der neuen Perspektive aus haben wir am Ende vielleicht den besseren Blick.
|
Anne-Lena Leidenberger
|
Der Abstieg vom hohen Ross ist steil und rutschig. Denn niemand liegt gern falsch. Um gut zu kommunizieren, muss der Mensch aber genau dazu bereit sein.
|
[
"New York Times",
"Kommunikation",
"Psychologie",
"Forschung",
"Gespräch",
"Körpersprache",
"Dialogbereitschaft"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2021-07-21T05:56:36+02:00
|
2021-07-21T05:56:36+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2021/04/kommunikation-auf-augenhoehe-mansplaining-respekt-hierarchie-gespraech
|
ZEIT Wissen 4/2021: Hier haben wir recherchiert
|
Das aktuelle Heft finden Sie unter www.zeit.de/zw-aktuell . Dort können Sie auch ein Probeheft gratis bestellen. Am Anfang drei Fragen 1. Was gibt’s Neues von der Sonne Die Korona ist der äußerste Teil der Sonnenatmosphäre und reicht Millionen Kilometer ins All hinaus, weiter als einen Sonnendurchmesser. Alle Informationen zur Parker Solar Probe gibt es auf dieser Website . Volkmer Bothmer verlinkt auf seiner Webseite zahlreiche Informationen zur Sonnenphysik. 2. Warum muss der Hintern für so viel herhalten? Es geht in dem Buch "Das Feuchte und das Schmutzige: kleine Linguistik der vulgären Sprache" um das grobe Sprechen. Der Linguist Hans-Martin Gauger schreibt: Wenn wir Deutschen schimpfen, beleidigen, fluchen oder vulgär werden, verwenden wir Ausdrücke, die sich auf den Hintern oder auf Exkrementelles beziehen, während unsere Nachbarsprachen zu diesem Zweck fast immer ins Sexuelle gehen. Der Sprachexperte Rolf-Bernhard Essig erforscht, was Redensarten über den Hintern verraten, woher sie stammen oder wie alt sie sind. In seinem Buch "Hand aufs Herz. Redensarten von Kopf bis Fuß und ihre wunderbaren Geschichten" findet er anhand von historischem Material interessante Ursprünge und Zusammenhänge. In seinem 1908 veröffentlichten Aufsatz " Charakter und Analerotik " prägte Sigmund Freud den Begriff vom analen Charakter: eine Person, die übermäßig ordentlich, sparsam und eigensinnig sei. Der Tunnel Zahlreiche Infos und Daten zum Brenner Basistunnel (BBT) findet man auf der Website des Bauherrn BBT-SE . Die Beschaffenheit des Gesteins wird im geologischen Erkundungsbericht zum BBT erklärt. Der Brenner Basistunnel ist Teil des transeuropäischen Schienen-Rückgrats von Oslo bis Sizilien . Weil Deutschland keine Eile damit hat, die Trasse nach Norden fortzuführen, wird sie wohl erst 2040 sinnvoll zu nutzen sein, rügte der Europäische Rechnungshof in einem Sonderbericht. Der Moment, in dem Elon Musk öffentlich in das Tunnelbusiness einsteigt, ist hier auf Youtube dokumentiert . The Boring Company heißt Elon Musks Firma, die neue Rekorde im Tunnelbohren ankündigt. Die Firma behauptet, sie könne eine Meile pro Woche bohren, 230 Meter pro Tag. Im April hat die Boring Company im Untergrund von Las Vegas einen fast drei Kilometer langen Autotunnel eingeweiht. 62 Teslas fahren hier Messebesucher hin und her . Mehr Infos zu Martin Herrenknecht auf seiner Webseite. Die Herrenknecht AG konkurriert mit chinesischen Staatskonglomeraten um den Titel des Weltmarktführers. Der Studierenden-Verein TUM Boring tritt beim Not-a-boring Competition gegen 11 andere Teams an. Hyperloop steht jetzt sogar im Programmentwurf der FDP für die Bundestagswahl. Die Tunnel-Baustelle auf Tiroler Seite steht seit Monaten still, weil die BBT-SE einem ausführenden Baukonsortium den Vertrag gekündigt hat. Beide Seiten hatten unter anderem über die Dicke der Tunnelwand gestritten . Ein Home im Office Die Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen e.V. hat im Dezember 2020 das Kurzgutachten "Bezahlbarer Wohnraum 2021" veröffentlicht. In Kapitel 3 geht es im Detail um den "Wohnungsbau 5.0", den Nutzen der Umwandlung von Büroflächen in Wohnungen. Etwas weiter gefasst ist die Studie "Umwandlung von Nichtwohngebäuden in Wohnimmobilien" des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung für die Jahre 2015, 2016 und 2017. Ada Lovelace Ein getreuer Nachbau von Babbages Rechenmaschine ist in diesem Youtube-Film zu sehen: https://www.youtube.com/watch?v=KBuJqUfO4-w Eine lesenswerte Darstellung von Ada Lovelaces Werdegang findet sich im neuen Buch von Stefan Klein: "Wie wir die Welt verändern" (Fischer, 2021). Die Originalarbeiten von Lovelace und Babbage sind hier verlinkt: https://writings.stephenwolfram.com/2015/12/untangling-the-tale-of-ada-lovelace/ Im Jahr 108 nach Henry Auke Hoekstra und Maarten Steinbuch von der TU Ilmenau haben den bislang aktuellsten Vergleich von Verbrennungs- und Elektromotoren im Lebenszyklus des Autos hinsichtlich CO2-Emissionen verfasst. Das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO untersucht in der Studie "ELAB 2.0" die "Wirkungen der Fahrzeugelektrifizierung auf die Beschäftigung am Standort Deutschland". Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie hat 2019 den Endbericht "Automobile Wertschöpfung 2030/2050" veröffentlicht. Annamaria Simonazzi von der Sapienza Università in Rom und Kolleginnen haben in dem Working Paper "The Future of the Automotive Industry: Dangerous Challenges or New Life for a Saturated Market?" im November 2020 die Zukunft der Autoindustrie untersucht. Die Zumutung: Männer In seinem - unter Sexualforscherinnen - sehr bekannten Buch " Making Sex: Body and Gender from the Greeks to Freud " beschreibt der Kulturhistoriker Thomas Laqueur die These, dass der Fokus auf die biologischen Unterschiede zwischen Mann und Frau erst im 18./19. Jahrhundert eingeführt wurde. Unter anderem durch Ärzte wie Jaques-Louis Moreau, der die Beziehung von Mann und Frau in seinem Buch " Histoire naturelle de la femme " (Paris 1803) als eine Serie von – sowohl körperlichen als auch moralischen – Gegensätzen und Kontrasten bezeichnete. Oder auch durch den Biologieprofessor, Autor und Städteplaner Patrick Geddes, der die grundsätzliche Andersartigkeit von Mann und Frau in dem Buch " The Evolution of Sex " (London 1889) mit unterschiedlichen Zelltypen begründete. Sehr detailliert und erstaunlich anschaulich berichtete der Neurologe Charles Édouard Brown-Séquard 1889 in einem Bericht im Fachmagazin Lancet von seinem Selbstversuch: "The effects produced on man by subcutaneous injection of a liquid obtained from the testicles of animals" . Seine Überlegungen zu Hoden und deren "Vitalflüssigkeit" beschreibt der russische Chirurg Serge Voronoff in seinem Buch "Life – a study of the means of restoring vital energy and proloning life" (New York 1920). Zu dem Testosteron-Mythos tragen auch Veröffentlichungen wie die Titelgeschichte im New York Times Magazine aus dem Jahr 2000 bei. Darin heißt es, das Hormon helfe besser als jeder andere Einzelfaktor, die Unterschiede zwischen Männern und Frauen zu erklären. Mit seiner Äußerung, auch sexuelle Übergriffe in der Armee könnten auf das Hormon zurückzuführen sein , wurde der damalige US-Senator Saxby Chambliss unter anderem bei CNN zitiert. Eine der Studien des Sozialpsychologen James Dabbs, die zeigen will, wie Bildung und Klasse auf die Wirkweise von Testosteron Einfluss nehmen, ist hier zu finden. Allan Mazur veröffentlicht bis heute seine Testosteronzuschreibungen entlang rassistischer Linien: https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fsoc.2016.00001/full Die Wirkweise von Testosteron ist sehr unterschiedlich und hängt an vielen Faktoren. Einer davon sind unsere Vorstellungen davon, wie Testosteron angeblich wirkt. Das hat eine Zürcher Studie gezeigt. Die Lebenserwartungen weltweit sind im World Factbook dokumentiert. Die American Psychological Association (APA) hat den Zusammenhang zwischen Männlichkeit und psychischer Gesundheit mit einer Meta-Analyse untersucht. Das Ergebnis: Menschen, die besonders konform mit männlichen Normen sind, haben mehr psychische Probleme. Eine andere Studie ergab, dass Männer, die traditioneller Männlichkeit sehr zustimmen, weniger Sozialkontakte haben als Männer, die traditioneller Männlichkeit weniger zustimmen. Vor einer Weile hat die APA einen Leitfaden zur psychologischen Behandlung von Jungen und Männern herausgegeben, er ist hier zu finden. Das neue Blatt Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina hat 2018 in einer Stellungnahme das Potenzial und die derzeitigen Hürden von Technologien für eine künstliche Photosynthese analysiert. In Nature Catalyis haben Forscher von Evonik und Siemens den Künstliche-Photosynthe-Ansatz der beiden Unternehmen vorgestellt. Das Marburger Max-Planck-Institut für terrestrische Mikrobiologie stellt das Molekül vor, das die Gruppe von Tobias Erb als Ersatz für das Enzym Rubisco entwickelt hat. Thomas Hannappel von der TU Ilmenau im Gespräch seinen Ansatz zur künstlichen Photosynthese und den Stand der Technik. In anderem Licht Die Studie mit den Infrarot-sehenden Mäusen erschien 2019 bei Cell . Auf der Website von science.orf gibt es dazu ein Erklärvideo. Wie der Stoff funktioniert, der Infrarotstrahlung durchlässt und damit die Körperwärme reguliert, erklärt diese Studie. Wie viele Sterne gibt es im Universum? Diese und andere Fragen können auch mit Hilfe von Infrarotlicht beantwortet werden. Diese Studie gibt einen Teil der Antwort. Das erste Molekül nach dem Urknall heißt HeH+ und wurde 2019 entdeckt. Diese Studie berichtet davon. Die Infrarot-Fotografie zeigt uns die Welt buchstäblich in anderem Licht. Paolo Pettigiani hat für die Geschichte im ZEIT WISSEN Magazin die Bilder geliefert – vom Traumort Malediven. Das aktuelle Heft finden Sie unter www.zeit.de/zw-aktuell . Dort können Sie auch ein Probeheft gratis bestellen.
|
ZEIT Wissen
|
Mit welchen Experten wir gesprochen, welche Internetseiten wir besucht, welche Studien wir benutzt haben, lesen Sie hier.
|
[
"Nora Kreft",
"Oskar Panizza",
"Stefan Bollmann",
"Johann Wolfgang Goethe",
"Bernt Hahn",
"Heinrich Detering",
"Peter Sjölund",
"Sokrates",
"Berlin",
"Weimar"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2021-06-15T09:00:03+02:00
|
2021-06-15T09:00:03+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2021/04/quellen
|
Reisen: Was suchen wir in der Ferne?
|
Der wohl erste überlieferte Reisebericht ist mehr als 2000 Jahre alt und wurde, in Stein gemeißelt, in einem Tempel in Karthago aufbewahrt. Der Seefahrer Hanno berichtet darin – etwas wortkarg – über seine Erkundungs- und Besiedlungsfahrt entlang der Küste Westafrikas. Später folgten ihm Entdeckungsreisende wie Kolumbus und Magellan auf den Weltmeeren, um neue Handelswege für Pfeffer und Zimt zu erschließen. Missionare brachten den christlichen Glauben und viel Unglück in die Welt, Schatzsucher und Konquistadoren gingen auf Raub- und Eroberungszüge. Der Bildung wegen zogen im 18. Jahrhundert vor allem junge Männer von Europa aus in die Weite. Und auch Goethe, der aus der Enge Weimars in die Wärme Italiens flüchtete, erlebte, wie er schrieb, erst im Land der Zitronen, was Glück bedeutet. Der Esslinger Philosoph Peter Vollbrecht ist der Auffassung, dass die Sehnsucht nach der Ferne Teil unserer DNA ist. "Unsere Vorfahren konnten nur überleben, wenn sie aufbrachen und auf die Jagd gingen. Auch später mussten sie immer wieder neuen Raum kultivieren. Erst der Ackerbau machte den Mensch ja sesshaft." Reisen sei immer der Versuch, unser Dasein einzuordnen. "Wir versuchen, die Vergangenheit zu verstehen", sagt Vollbrecht. In der vielversprechenden Fremde hoffen wir, den Sinn des Lebens zu finden. Darum bestaunen wir Schloss Neuschwanstein, das Kolosseum in Rom oder die Alhambra in Andalusien. In der Ferne weitet sich der Horizont, im Alltag hingegen ist die Welt überschaubar und ganz klein. Aber warum kehren wir dann von unseren Ausflügen in die Welt zurück, wenn doch das in der Ferne Liegende so viel reizvoller scheint? Peter Vollbrecht sagt: "Das liegt an zwei in uns liegenden und sich widersprechenden Kräften, unserer Doppelnatur. Auf der einen Seite streben wir geradezu körperlich nach Ruhe und Beständigkeit, wir lieben Gewohnheiten. Auf der anderen Seite sehnen wir uns nach Abenteuer und Freiheit. Wir wollen Abwechslung." Das ist wohl auch der Grund dafür, dass im Alter das Verlangen nach körperlich fordernden Fernreisen oft nachlässt, das Fernweh ist – im besten Fall – gestillt. Was genau Ferne bedeutet und ob die Sehnsucht auch vor der eigenen Haustür gestillt werden könnte, darüber hat Kurt Farasin nachgedacht. Als Künstlerischer Leiter der Schallaburg in Österreich hat er die Ausstellung Sehnsucht Ferne initiiert. Er sagt: "Wie weit die Ferne sein muss, kann nur jeder für sich ganz individuell klären." Der Philosoph Vollbrecht meint: "Das Maximum unserer Fernsehnsucht spiegelt sich in Religion oder Spiritualität wider, denn diese geben Antworten auf Fragen, die wir individuell nicht beantworten können." Seit der Antike löse der Blick in den Himmel Gefühle in uns aus: Heute setzen manche alles daran, bis zum Mars zu fliegen. Andere erfreuen sich einfach am Sonnenuntergang hinter ihrem Haus.
|
Alexandra Elena Kunde
|
Besonders der Sommer entfacht ein brennendes Fernweh. Reisen kann helfen, unser Dasein einzuordnen. In aller Kürze: Warum der Mensch immer wieder aufbricht.
|
[
"Menschheit",
"Abenteuer",
"Reisen",
"Fernweh",
"Sommer",
"Peter Vollbrecht"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2021-06-18T11:03:14+02:00
|
2021-06-18T11:03:14+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2021/04/reisen-fernweh-mensch-reiselust-menschheitsgeschichte-entdeckungsreisen-abenteuer
|
Sonnenwind: Ausflug in die Gluthölle
|
Die Sonne hat Korona. So nennt die Fachwelt die schwach leuchtende Atmosphäre der Sonne , ein heißes Gas aus elektrisch geladenen Teilchen. Während einer Sonnenfinsternis sieht man sie als helle Krone um die verdunkelte Sonnenscheibe. Auch diese Korona kann Kopfschmerzen verursachen, denn seit Generationen zermartern sich die Gelehrten das Hirn darüber. Neue Erkenntnisse erhofft sich die Wissenschaft nun von einer Nasa-Sonde, die seit drei Jahren im All unterwegs ist und auf einer elliptischen Bahn die Sonne umrundet. In diesem August wird sie die Sonne zum neunten Mal besuchen und dabei tief in die Korona eintauchen. Niemals zuvor hat eine Raumsonde die Atmosphäre eines Sterns durchflogen. Sie ist dann nur elf Millionen Kilometer von der Sonnenoberfläche entfernt, weniger als ein Zehntel der Distanz zwischen Erde und Sonne (150 Millionen Kilometer). Es ist ein Ausflug in die Hölle, denn dort ist es 1400 Grad Celsius heiß. Ein elf Zentimeter dicker Carbon-Schild schützt die Geräte vor der Gluthitze. Sie messen Magnetfelder, Lichtspektren, Atomsorten. Eine Kamera aus deutsch-amerikanischer Co-Produktion ist auch mit an Bord. Die Sonde soll ein Rätsel lösen, das schon Carl Friedrich Gauß umtrieb, als er im 19. Jahrhundert in Göttingen und anderswo das Magnetfeld der Erde beobachtete. Gauß hatte ein besonders genaues Magnetometer entwickelt und festgestellt, dass das Erdmagnetfeld sich im Laufe von Stunden bis Tagen veränderte, nämlich seine Richtung und seine Stärke um wenige Prozent. Gauß wunderte sich über die "rätselhafte Hieroglyphenschrift der Natur" und vermutete Kräfte außerhalb der Erde als Ursache. Heute wissen wir, dass der Sonnenwind die Magnetfeldschwankungen hervorruft. Das ist ein magnetisiertes Gas, das zum Großteil aus Elektronen und Protonen besteht. Die schnellsten Teilchen des Sonnenwinds legen in einer Sekunde etwa 800 Kilometer zurück. Zwei bis drei Tage nach ihrem Abflug sind sie bei uns angekommen. Auf der Nachtseite der Erde bilden sie eine Art himmlischen Teilchenbeschleuniger, der die Polarlichter hervorruft. Dabei werden in der Erdatmosphäre Ströme erzeugt, die wiederum selbst Magnetfelder verursachen. Diese stören das Erdmagnetfeld, wie Gauß mit seinen supergenauen Kompassen beobachten konnte. Der Sonnenwind ist allerdings ziemlich böig. Als es möglich war, mit Spezialkameras die Atmosphäre der Sonne zu beobachten, wurde auch klar, warum: Die Korona hat mitunter riesige Löcher, die bis zu ein Drittel der Sonnenscheibe bedecken. In diesen Regionen macht das Magnetfeld der Sonne verrückte Sachen. Die Magnetfeldlinien zeigen hier ins Weltall, sodass geladene Teilchen entkommen können wie Flugzeugpassagiere über eine Notrutsche. Die Korona-Löcher sind die Quelle des schnellen Sonnenwinds . Sie drehen sich mit der Sonne im Kreis und versprühen Teilchen wie ein Rasensprenger das Wasser. Wie aber wird der Sonnenwind auf beeindruckende 800 Kilometer pro Sekunde beschleunigt? Dafür gebe es in der Astrophysik ein gutes Dutzend konkurrierender Modelle, sagt Volker Bothmer von der Universität Göttingen. Er hat die Nasa-Sonde mit entworfen, die nun um die Sonne fliegt. Doch als die ersten Daten die Erde erreichten, erfasste Bothmer ein leichter Physikertaumel. "Das sieht aus, als würde man beim Walzertanzen einen Film drehen", sagt er. Die Magnetfelder in den Korona-Löchern waren chaotischer, als die Astronomen erwartet hatten. Bothmer sagt: "Wir brauchen Zeit, das zu verstehen." Die Quellenangaben zum ZEIT-Wissen-Artikel finden Sie hier .
|
Max Rauner
|
Eine Sonde der Nasa fliegt immer näher an die Sonne heran. Ihr Ziel: Verstehen, warum unser Mutterstern so chaotisch ist, und wann er der Erde gefährlich werden kann.
|
[
"Sonnensystem",
"Astronomie",
"Weltraum",
"Forschung",
"Nasa",
"Physik",
"Astrophysik",
"Parker Solar",
"Carl Friedrich Gauß",
"NASA"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2021-07-07T06:38:10+02:00
|
2021-07-07T06:38:10+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2021/04/sonnenwind-nasa-sonde-sonnen-forschung-astrophysik-korona
|
Bundeskanzler: So mächtig ist das machtvollste Amt Deutschlands
|
Manches Wissen wächst in verdammt hohen Gebieten. Trotzdem sollte man sich hin und wieder dorthin aufmachen, auch wenn es richtig anstrengend wird. In der Serie " Die Zumutung " erstürmt die ZEIT diese Gipfel. Willkommen auf dem schmalen Grat der Spitzenpolitik Basislager Gehen Sie erst los, wenn Sie die folgenden Grundlagen in Ihren Rucksack gepackt haben Wer hat das höchste Amt in Deutschland? Der Bundespräsident, er ist das Staatsoberhaupt. Und das machtvollste? Die Bundeskanzlerin, sie ist die Regierungschefin. Der Artikel 65 des Grundgesetzes (GG) legt fest: "Der Bundeskanzler bestimmt die Richtlinien der Politik und trägt dafür die Verantwortung." Wem gegenüber? Dem Parlament. Es ist der "Auftraggeber des Bundeskanzlers", wie Helmut Schmidt einmal bemerkte. Weshalb der Parlamentspräsident im ungeschriebenen Protokoll noch vor der Kanzlerin rangiert. Anders als in der Weimarer Reichsverfassung kann nur das Parlament den Kanzler wählen und absetzen, nicht etwa der Staatspräsident. Will der Bundestag den Regierungschef abwählen, muss er allerdings für Ersatz sorgen ("konstruktives Misstrauensvotum"), sonst geht es nicht. Man sieht: Vorrang des Parlaments und zugleich stabiles Regieren waren die Motive für die Grundgesetzartikel 62 bis 69, in denen die Rechtsstellung des Kanzlers und seiner Regierung festgelegt wird. Wie wird man Kanzler? Die Wahl in das Amt ist so wichtig, dass die Regeln keine Kleinigkeit sind. Sie sollen Chaos vermeiden und gesicherte Kanzlerschaften gewährleisten; schnüren wir die Bergschuhe fest. Nicht das Volk wählt den Kanzler, sondern der Bundestag. Zuerst schlägt der Bundespräsident dem Parlament jemanden vor; findet die genannte Person keine absolute Mehrheit, ist die Wahl gescheitert. In der zweiten und dritten Wahlphase kommen die Vorschläge aus dem Parlament. Die zweite Phase verlangt eine absolute Mehrheit, in der dritten genügt die relative. Wird nur sie erreicht, muss der Bundespräsident entscheiden: Entweder ernennt er die gewählte Person, oder er löst den Bundestag auf. Bisher klappte es stets im ersten Wahlgang. Denn vor der Kanzlerwahl wird über Koalitionen, Regierungsprogramme und Ämter verhandelt. Das sichert dann auch die nötige Mehrheit. Artikel 64 GG legt fest, dass der Bundeskanzlerin das alleinige Recht zukommt, die Zusammensetzung ihres Kabinetts zu bestimmen. Die Wirklichkeit sieht anders aus. Der krasseste Fall ereignete sich 2007 nach dem Rücktritt des Vizekanzlers Franz Müntefering (SPD): Seine Partei entschied souverän, den Posten mit Frank-Walter Steinmeier nachzubesetzen. Das "Kabinettsbildungsrecht" der Kanzlerin war ausgehebelt. Erster Anstieg Los geht's! Auf leichten Anhöhen begegnen Sie Erkenntnissen, die Sie ins Schwitzen bringen können Die Bundeskanzlerin hat die "Richtlinienkompetenz". Die umfasst das Recht, sich in wichtige Entscheidungen der Minister einzumischen. Aber nur dann. Ansonsten handeln die Minister eigenverantwortlich. Klingt einfach. Doch schnell wird der Anstieg schwierig. Was gilt als wichtiger Einzelfall? Im Grundgesetz steht zu alledem nichts. Konrad Adenauer (CDU) hatte da seine eigene Sichtweise. Am 5. Mai 1951 schrieb er an seinen Wirtschaftsminister: "Sehr geehrter Herr Erhard! Wie ich sehe, werden Sie im Fraktionsvorstand Erklärungen über Ihre Wirtschaftspolitik abgeben, und zwar am nächsten Montag abends 19 Uhr. Ich ersuche Sie, mir vorher mitzuteilen, welche Erklärungen Sie dort abgeben werden. Es ist unmöglich, (...) daß der Wirtschaftsminister allein solche Erklärungen abgibt. Ich bitte Sie, auch dessen eingedenk zu sein, daß die Richtlinien der Politik durch den Bundeskanzler bestimmt werden. Mit freundlichen Grüßen ..."
|
Gero von Randow
|
Wie regiert eine Bundeskanzlerin? Von der Wahl über das Handeln bis hin zur Vertrauensfrage: Ganz oben in der Politik wird die Luft dünn. Eine Expedition in die Todeszone
|
[
"Angela Merkel",
"Markus Flohr",
"Judith Scholter",
"Haika Hinze",
"Gerhard Schröder",
"Bundestag",
"Bundesregierung",
"Bundestagswahl",
"Vertrauensfrage",
"Misstrauensvotum"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2021-09-18T19:01:07+02:00
|
2021-09-18T19:01:07+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2021/05/bundeskanzler-politik-regierung-machtverhaeltnis-bundestagswahlen/komplettansicht
|
Psychologie: Warum macht der Klingelstreich Kindern so viel Freude?
|
Jeder kann auf die Klingel drücken, auch kleine Kinder, und die Erwachsenen springen lassen. Das ist eine so tiefgreifende Erfahrung der Freude, dass wir sie selbst als Erwachsene noch toll finden, solange wir nicht selbst die Gefoppten sind, sondern dem Spiel bloß zuschauen. Zum Beispiel in der Sketch-Show Ladykracher, in der Anke Engelke als Polizistin Klingelstreiche in einer Reihenhaussiedlung macht . Oder in der Serie The Bing Bang Theory, wo der Serienheld Sheldon gemeinsam mit der Darth-Vader-Stimme James Earl Jones Klingelstreiche bei Prinzessin Leia aka Carrie Fisher aus den Star Wars- Filmen macht. Sie brüllt: "Es ist überhaupt nicht mehr lustig!" Und aus der Dunkelheit brüllt es zurück: "Warum lache ich dann?" "Lachen kann man vergleichen mit einem Klingelstreich für den Verstand", schreibt Eckart von Hirschhausen, Arzt und Comedian, in dem Aufsatz Witz komm raus. Das Geheimnis des Lachens Kindern erklärt. "Beim Klingeln denken wir, da ist jemand vor der Tür", schreibt Hirschhausen, "wir haben ein klares Bild, was passiert, wenn wir die Tür aufmachen. Und wenn da keiner ist, schauen wir blöd aus der Wäsche. Und alle, die das hinter dem Gebüsch beobachten, finden das lustig. Nur wir selber nicht. Bis wir diejenigen sehen, die uns den Streich gespielt haben. Und so funktioniert auch ein Witz. Er lenkt die Erwartung in eine Richtung, plötzlich ist alles anders. Anspannung. Blödes Gesicht. Entspannung. Lachen." So gesehen stellt der Klingelstreich die Systemfrage im Kleinen: Er nutzt Automatismen der bürgerlichen Welt, um Verwirrung in Routinen zu stiften. Christoph Wulf, Professor für Anthropologie und Erziehung an der Freien Universität Berlin, nennt es "das Stören der bestehenden Ordnung". Die Ordnung der Erwachsenen, die ganz funktional sei, werde spielerisch gekippt, und das löse Freude aus. "Die Kinder übernehmen für einen Augenblick die Macht. Sie sind die Gewinner des sozialen Spiels. Sie necken und verführen die Erwachsenen, die normalerweise bestimmen, und lassen sie kurzzeitig Leere und Sinnlosigkeit erfahren." Der Soziologe Norbert Elias verstand Macht als "eine Struktureigentümlichkeit aller menschlichen Beziehungen", also als einen Beziehungsbegriff, der erst durch das Mitdenken der Gegenmächte verstehbar wird. So gesehen ist der Klingelstreich ein kindliches Ausprobieren von Macht, das sich auf einer Skala von Allmächtigkeit und Ohnmacht bewegt, den Polen jeder menschlichen Machterfahrung. Womit auch das Risiko ins Spiel kommt, der Adrenalinkick, weil man nie weiß, wie das Spiel enden wird. "Wird man erwischt oder nicht, wird man mit Schokolade bestochen, weil der Erwachsene hofft, man komme nicht wieder, oder wird man böse angebrüllt?", so Wulf. "Kinder wissen, dass es ein Spektrum an Reaktionen gibt." Er hat als Kind selbst Klingelstreiche gemacht, da war er acht oder neun Jahre alt, aber ein Einstiegsalter gebe es nicht. Sobald ein Kind groß genug ist, um an die Klingel zu reichen, kann es losgehen. Klingelstreiche sind universell, es gibt sie zu jeder Zeit, in jeder Generation, nur haben sie je nach Region unterschiedliche Namen, wie Blinde Mäuse, Glöckerlpartie, Klingelmäuschen, Klingelmännchen, Klingelputzen, Klingelrutschen, Klingelsturm, Klingelpost, Schellemännchen oder Schellebergerles. Zum Klingelstreich gehört aber nicht nur das Ausprobieren von Macht und das Aushalten von Risiko, er hat vor allem mit Mut zu tun. "Klingelstreiche macht man nie allein", sagt Christoph Wulf, "man braucht die anderen, die bezeugen, wie mutig man ist." Die Gruppe, die die neue Ordnung formt und sich einig ist, hockt kichernd und lachend im Versteck.
|
Silke Weber
|
Wer klingelt und wegrennt, übernimmt für einen Augenblick die Macht. Doch eigentlich geht es in diesem Spiel um etwas anderes.
|
[
"Psychologie",
"Emotion",
"Spielen",
"Klingelstreich",
"Kinder",
"Streiche"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2021-08-18T14:49:06+02:00
|
2021-08-18T14:49:06+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2021/05/kinder-psychologie-klingeltreich-lachen-freude-macht
|
Physik: Wie baut man eine Menschenpyramide?
|
Vor 300 Jahren wussten die Menschen im spanischen Katalonien wenig über Physik, aber die Technik, um bis zu zehn Stockwerke, knapp 15 Meter hohe Türme aus Menschen zu bauen, die beherrschten sie. Auch heute noch bauen die Katalonier ihre Castells, wie sie ihre Menschentürme nennen. Seit 2010 sind diese sogar immaterielles Weltkulturerbe. Wenn sich die Castellers alle zwei Jahre zur Meisterschaft treffen, gehe es aber weniger um Rekorde oder ums Gewinnen, erklärt Eduard Conesa, "sondern um Teambuilding und um unsere reiche katalanische Kultur". Castellers trainieren nicht, sie proben. Der 25-jährige Conesa leitet die Castellers de la Vila de Gràcia aus Barcelona und tritt in pandemiefreien Zeiten alle zwei Wochen auf – Social Distancing ist schwierig, wenn man ein Bauwerk aus 300 Menschen errichtet. Ein bisschen Magie ist dabei, aber eigentlich ist es reine Physik. Unten im Castell stehen schwere und kräftige, weiter oben dünne und leichtere Personen. Eduard Conesa schickt ein Video, das ihn mit seinen Castellers zeigt. Die stabile Grundlage heißt Pinya (Zapfen) und besteht hier aus zwei Schichten. In der unteren stehen viele dicht an dicht, kreisförmig angeordnet. Auf deren Schultern bilden weitere Castellers die zweite Basisschicht, zusammengesetzt aus 20 Athleten, eng umschlungen bilden sie einen Kreis: Das ist das Fundament, das den Turm verankert und verhindert, dass er umkippt. Und zwar so: Die Fundamentcastellers strecken ihre Arme diagonal in die Höhe und halten Gesäß und Oberschenkel der drei Männer, die den dritten Stock bilden. Diese drei verschränken ihre Arme wie Querstreben auf den Schultern der Nachbarn. "Die Arme wirken wie ein Ringanker", sagt Philipp Rosendahl vom Lehrstuhl für Statik und Konstruktion an der TU Darmstadt . Sie verhindern, dass der Turm sich weitet. "Der Ringanker schließt die Kräfte kurz, leitet sie im Kreis und bewirkt eine Lasteinleitung über die Wände nach unten." Das Gewicht der Menschen hält den Turm zusammen. Damit er nicht umstürzt, müsse das Eigengewicht, so Rosendahl, "größer sein als die Biegekräfte, die etwa durch Wind auf den Turm wirken". Rechnet man mit 80 Kilogramm pro Person, trägt bei einer dreistöckigen Konstruktion jeder Mensch in der ersten Basis ein Gewicht von 240 Kilogramm. "Die Leistung ist vergleichbar mit der beim Gewichtheben", sagt der Statiker Rosendahl. Bei neun Etagen trägt die Basis die Last zweier Elefanten. Möglich macht das "eine Mischung aus Kraft und Gleichgewicht, aber auch aus Mut und geistiger Klarheit", so Conesa. Der menschliche Turm im Video wackelt, drei weitere Männer klettern hinauf – Gürtel, Hosen und Schultern der anderen dienen als Trittstiegen – und gründen den vierten Stock. Auf deren Schultern bilden den fünften und sechsten Stock je drei Frauen, die den Tronc, den Stamm, vollenden. Im siebten machen zwei junge Mädchen eine Brücke, der zwei noch kleinere, helmtragende Mädchen den Pom de Dalt, die Kuppel, aufsetzen. Das Kind in der neunten Etage an der Spitze hebt den Arm und rutscht dann an den Körpern der anderen herab. Auf dieselbe Weise schmilzt dann der gesamte Turm zu Boden. "Natürlich ist das gefährlich", gibt Conesa zu, wichtig sei dabei, Ängste zu überwinden und sich gegenseitig zu vertrauen. In 200 Jahren seien nur drei Castellers tödlich verunglückt. "Statistisch gesehen sind wir seltener verletzt als Fußballer", so Conesa, der schon viele Stürze miterlebt hat und nur einmal mit einer kleineren Verletzung ins Krankenhaus musste. Wäre er aber aus dem zehnten Stock ungebremst auf den Boden gestürzt, hätte er wohl kaum überlebt.
|
Tobias Bug
|
Mit Physik und ein wenig Magie entstehen 15 Meter hohe Bauwerke aus 300 Menschen. Bitte bewundern, aber nicht nachmachen!
|
[
"Katalonien",
"Castell",
"Barcelona",
"Menschenpyramide",
"Bauwerk",
"Social Distancing",
"Spanien",
"Physik",
"Pyramide"
] |
zeitwissen
|
Article
|
2021-09-04T12:10:17+02:00
|
2021-09-04T12:10:17+02:00
|
https://www.zeit.de/zeit-wissen/2021/05/physik-menschenpyramide-castells-konstruktion-person
|
Subsets and Splits
No community queries yet
The top public SQL queries from the community will appear here once available.