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2025-07-23 00:00:00
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Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 4. Mai 2023.#T.A.C. gegen Agenția Națională de Integritate (ANI).#Vorabentscheidungsersuchen der Curtea de Apel Timişoara.#Vorlage zur Vorabentscheidung – Entscheidung 2006/928/EG – Verfahren für die Zusammenarbeit und die Überprüfung der Fortschritte Rumäniens bei der Erfüllung bestimmter Vorgaben in den Bereichen Justizreform und Korruptionsbekämpfung – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 15 Abs. 1 – Art. 47 – Art. 49 Abs. 3 – Öffentliches Wahlamt – Interessenkonflikt – Nationale Regelung, die ein Verbot der Bekleidung öffentlicher Wahlämter für eine vorbestimmte Dauer vorsieht – Sanktion, die zur Beendigung des Mandats hinzutritt – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.#Rechtssache C-40/21.
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62021CJ0040
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ECLI:EU:C:2023:367
| 2023-05-04T00:00:00 |
Emiliou, Gerichtshof
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Sammlung der Rechtsprechung – allgemein
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62021CJ0040
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)
4. Mai 2023 (*1)
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Entscheidung 2006/928/EG – Verfahren für die Zusammenarbeit und die Überprüfung der Fortschritte Rumäniens bei der Erfüllung bestimmter Vorgaben in den Bereichen Justizreform und Korruptionsbekämpfung – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 15 Abs. 1 – Art. 47 – Art. 49 Abs. 3 – Öffentliches Wahlamt – Interessenkonflikt – Nationale Regelung, die ein Verbot der Bekleidung öffentlicher Wahlämter für eine vorbestimmte Dauer vorsieht – Sanktion, die zur Beendigung des Mandats hinzutritt – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit“
In der Rechtssache C‑40/21
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Curtea de Apel Timişoara (Berufungsgericht Timişoara, Rumänien) mit Entscheidung vom 12. November 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 26. Januar 2021, in dem Verfahren
T. A. C.
gegen
Agenția Națională de Integritate (ANI)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Richter P. G. Xuereb, T. von Danwitz (Berichterstatter) und A. Kumin sowie der Richterin I. Ziemele,
Generalanwalt: N. Emiliou,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
–
von T. A. C., vertreten durch T. Chiuariu, Avocat,
–
der Agenția Națională de Integritate (ANI), vertreten durch D. Chiurtu, O. Iacob und F.‑I. Moise als Bevollmächtigte,
–
der rumänischen Regierung, vertreten durch E. Gane und L. Liţu als Bevollmächtigte,
–
der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
–
der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Nicolae, P. J. O. Van Nuffel und M. Wasmeier als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 10. November 2022
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Entscheidung 2006/928/EG der Kommission vom 13. Dezember 2006 zur Einrichtung eines Verfahrens für die Zusammenarbeit und die Überprüfung der Fortschritte Rumäniens bei der Erfüllung bestimmter Vorgaben in den Bereichen Justizreform und Korruptionsbekämpfung (ABl. 2006, L 354, S. 56) sowie von Art. 15 Abs. 1, Art. 47 und Art. 49 Abs. 3 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen T. A. C. und der Agenția Națională de Integritate (ANI) (Nationale Integritätsbehörde, Rumänien) wegen eines Berichts dieser Behörde, in dem festgestellt wird, dass T. A. C während seiner Amtszeit als Bürgermeister gegen die Vorschriften über Interessenkonflikte im Bereich der Verwaltung verstoßen habe.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
3 Die Entscheidung 2006/928 wurde im Zusammenhang mit dem für den 1. Januar 2007 vorgesehenen Beitritt Rumäniens zur Europäischen Union u. a. auf der Grundlage der Art. 37 und 38 der am 1. Januar 2007 in Kraft getretenen Akte über die Bedingungen des Beitritts der Republik Bulgarien und Rumäniens und die Anpassungen der Verträge, auf denen die Europäische Union beruht (ABl. 2005, L 157, S. 203, im Folgenden: Beitrittsakte) erlassen. Die Erwägungsgründe 1 bis 6 und 9 dieser Entscheidung lauten:
„(1)
Die Europäische Union gründet auf dem Rechtsstaatsprinzip, das allen Mitgliedstaaten gemeinsam ist.
(2) Der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts und der Binnenmarkt, die mit dem Vertrag über die Europäische Union bzw. dem Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft geschaffen wurden, beruhen auf dem gegenseitigen Vertrauen, dass die Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen und die Verwaltungs- und Gerichtspraxis aller Mitgliedstaaten in jeder Hinsicht mit dem Rechtsstaatsprinzip im Einklang stehen.
(3) Dies bedeutet, dass alle Mitgliedstaaten über ein unparteiisches, unabhängiges und effizientes Justiz- und Verwaltungssystem verfügen müssen, das ausreichend dafür ausgestattet ist, unter anderem Korruption zu bekämpfen.
(4) Am 1. Januar 2007 tritt Rumänien der Europäischen Union bei. Die [Europäische] Kommission nimmt zur Kenntnis, dass Rumänien erhebliche Anstrengungen unternimmt, um die Vorbereitungen auf die Mitgliedschaft zum Abschluss zu bringen, hat jedoch in ihrem Bericht vom 26. September 2006 noch unerledigte Fragen insbesondere im Zusammenhang mit Rechenschaftspflicht und Effizienz der Justiz und der Vollzugsbehörden ermittelt, bei denen es weiterer Fortschritte bedarf, um zu gewährleisten, dass sie die Maßnahmen zur Verwirklichung des Binnenmarkts und des Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts umsetzen und anwenden können.
(5) Nach Artikel 37 der Beitrittsakte kann die Kommission geeignete Maßnahmen erlassen, wenn die unmittelbare Gefahr besteht, dass Rumänien die eingegangenen Verpflichtungen nicht erfüllt und dadurch eine Beeinträchtigung des Funktionierens des Binnenmarkts hervorruft. Nach Artikel 38 der Beitrittsakte kann die Kommission geeignete Maßnahmen erlassen, wenn die unmittelbare Gefahr besteht, dass in Rumänien ernste Mängel bei der Umsetzung, der Durchführung oder der Anwendung von Rechtsakten auftreten, die auf der Grundlage des Titels VI des EU-Vertrags oder des Titels IV des EG-Vertrags erlassen wurden.
(6) Die noch unerledigten Fragen im Zusammenhang mit Rechenschaftspflicht und Effizienz der Justiz und der Vollzugsbehörden erfordern die Einrichtung eines Verfahrens für die Zusammenarbeit und die Überprüfung der Fortschritte Rumäniens bei der Erfüllung bestimmter Vorgaben in den Bereichen Justizreform und Bekämpfung der Korruption.
…
(9) Diese Entscheidung ist zu ändern, wenn die Bewertung durch die Kommission ergibt, dass die Vorgaben angepasst werden müssen. Diese Entscheidung ist aufzuheben, wenn alle Vorgaben zufriedenstellend erfüllt sind[.]“
4 Art. 1 der Entscheidung 2006/928 sieht vor:
„Bis zum 31. März jedes Jahres und zum ersten Mal bis zum 31. März 2007 erstattet Rumänien der Kommission Bericht über die Fortschritte bei der Erfüllung der im Anhang aufgeführten Vorgaben.
Die Kommission kann jederzeit mit verschiedenen Maßnahmen technische Hilfe leisten oder Informationen zu den Vorgaben sammeln und austauschen. Ferner kann die Kommission zu diesem Zweck jederzeit Fachleute nach Rumänien entsenden. Die rumänischen Behörden leisten in diesem Zusammenhang die erforderliche Unterstützung.“
5 Art. 2 dieser Entscheidung bestimmt:
„Die Kommission übermittelt dem Europäischen Parlament und dem Rat ihre Stellungnahme und ihre Feststellungen zum Bericht Rumäniens zum ersten Mal im Juni 2007.
Danach erstattet die Kommission nach Bedarf, mindestens jedoch alle sechs Monate erneut Bericht.“
6 Art. 4 der Entscheidung lautet:
„Diese Entscheidung ist an alle Mitgliedstaaten gerichtet.“
7 Der Anhang der Entscheidung hat folgenden Wortlaut:
„Vorgaben für Rumänien nach Artikel 1:
1. Gewährleistung transparenterer und leistungsfähigerer Gerichtsverfahren durch Stärkung der Kapazitäten und Rechenschaftspflicht des Obersten Richterrats, Berichterstattung und Kontrolle der Auswirkungen neuer Zivil- und Strafprozessordnungen,
2. Einrichtung einer Behörde für Integrität mit folgenden Zuständigkeiten: Überprüfung von Vermögensverhältnissen, Unvereinbarkeiten und möglichen Interessenskonflikten und Verabschiedung verbindlicher Beschlüsse als Grundlage für abschreckende Sanktionen,
3. Konsolidierung bereits erreichter Fortschritte bei der Durchführung fachmännischer und unparteiischer Untersuchungen bei Korruptionsverdacht auf höchster Ebene,
4. Ergreifung weiterer Maßnahmen zur Prävention und Bekämpfung von Korruption, insbesondere in den Kommunalverwaltungen.“
Rumänisches Recht
8 Art. 25 der Legea nr. 176/2010 privind integritatea în exercitarea funcțiilor și demnităților publice, pentru modificarea și completarea legii nr. 144/2007 privind înființarea, organizarea și funcționarea Agenției Naționale de Integritate, precum și pentru modificarea și completarea altor acte normative (Gesetz Nr. 176/2010 über die Integrität bei der Wahrnehmung öffentlicher Ämter und Würden, zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes Nr. 144/2007 über die Errichtung, Organisation und Arbeitsweise der Nationalen Integritätsbehörde sowie zur Änderung und Ergänzung weiterer Rechtsakte) vom 1. September 2010 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 621 vom 2. September 2010) bestimmt:
„(1) Die Handlung einer Person, bezüglich deren festgestellt wurde, dass sie unter Verstoß gegen die gesetzlichen Verpflichtungen betreffend den Interessenkonflikt oder die Unvereinbarkeit einen Verwaltungsakt erlassen, ein Rechtgeschäft abgeschlossen, eine Entscheidung erlassen oder am Erlass einer Entscheidung mitgewirkt hat, stellt ein Disziplinarvergehen dar und wird nach den für die betreffende Würde, das betreffende Amt oder die betreffende Tätigkeit geltenden Vorschriften geahndet, sofern die Bestimmungen dieses Gesetzes nichts anderes bestimmen und die Handlung nicht die Tatbestandsmerkmale einer Straftat erfüllt.
(2) Einer Person, die gemäß den Bestimmungen von Abs. 1 aus dem Amt entlassen oder ihres Amtes enthoben worden ist oder bei der ein Interessenkonflikt oder eine Unvereinbarkeit festgestellt worden ist, ist für einen Zeitraum von drei Jahren ab dem Tag der Entlassung oder der Entfernung aus dem betreffenden öffentlichen Amt oder der betreffenden öffentlichen Würde oder der Beendigung des Mandats das Recht verwehrt, ein öffentliches Amt oder eine öffentliche Würde, die den Bestimmungen dieses Gesetzes unterliegen, zu bekleiden, mit Ausnahme von Wahlämtern. Hat die Person ein wählbares Amt bekleidet, darf sie dasselbe Amt für einen Zeitraum von drei Jahren nach der Beendigung des Mandats nicht mehr ausüben. Bekleidet die Person zum Zeitpunkt der Feststellung der Unvereinbarkeit oder des Interessenkonflikts kein öffentliches Amt oder keine öffentliche Würde mehr, so gilt die dreijährige Sperre kraft Gesetzes ab dem Tag, an dem der Beurteilungsbericht endgültig wird oder das Urteil, mit dem das Vorliegen eines Interessenkonflikts oder eine Unvereinbarkeit bestätigt wird, endgültig und unwiderrufbar wird.
…“
9 Art. 66 Abs. 1 der Legea nr. 286/2009 privind Codul penal (Gesetz Nr. 286/2009 betreffend das Strafgesetzbuch) vom 17. Juli 2009 (Monitorul Oficial al României, Teil I, Nr. 510 vom 24. Juli 2009) in seiner für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Fassung (im Folgenden: Strafgesetzbuch) lautet:
„Die ergänzende Strafe des Verbots der Ausübung bestimmter Rechte besteht in dem Verbot, während eines Zeitraums von einem bis zu fünf Jahren eines oder mehrere der folgenden Rechte auszuüben:
a)
das passive Wahlrecht innerhalb von Behörden oder in Bezug auf sonstige öffentliche Ämter;
b)
das Recht, Aufgaben wahrzunehmen, die mit hoheitlichen Befugnissen verbunden sind.“
10 Art. 301 („Interessenkonflikt“) des Strafgesetzbuchs bestimmt in Abs. 1:
„Ein Amtsträger, der in Ausübung seines Amtes eine Handlung vornimmt oder am Erlass einer Entscheidung mitwirkt, durch die er für sich, seinen Ehegatten, einen Verwandten oder einen Verschwägerten bis einschließlich zweiten Grades unmittelbar oder mittelbar einen Vermögensvorteil erlangt, … wird mit Freiheitsstrafe von einem bis zu fünf Jahren und mit der ergänzenden Strafe des Verbots der Ausübung des Rechts, ein öffentliches Amt zu bekleiden, bestraft.“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
11 Am 22. Juni 2016 wurde der Kläger des Ausgangsverfahrens für den Zeitraum 2016‑2020 zum Bürgermeister der Gemeinde MN (Rumänien) gewählt.
12 In einem Beurteilungsbericht vom 25. November 2019 stellte die ANI fest, dass er die Vorschriften über Interessenkonflikte im Bereich der Verwaltung nicht eingehalten habe. Während seiner Amtszeit habe er nämlich mittels eines Nutzungsüberlassungsvertrags einem Verein, in dem seine Ehefrau Gründungsmitglied und stellvertretende Vorsitzende sei, das Recht eingeräumt, bestimmte der Gemeinde gehörende Räumlichkeiten für einen Zeitraum von fünf Jahren unentgeltlich für kulturelle Aktivitäten zu nutzen.
13 Sollte dieser Bericht, der als Feststellung eines Interessenkonflikts seitens des Klägers des Ausgangsverfahrens gilt, bestandskräftig werden – etwa mangels Anfechtung –, würde sein Mandat kraft Gesetzes enden, und ihm würde nach nationalem Recht außerdem für die Dauer von drei Jahren verboten, ein öffentliches Wahlamt zu bekleiden.
14 Mit Klageschrift vom 19. Dezember 2019 erhob der Kläger des Ausgangsverfahrens beim Tribunalul București (Regionalgericht Bukarest, Rumänien) Klage auf Nichtigerklärung dieses Berichts und machte u. a. geltend, dass das Unionsrecht einer nationalen Regelung entgegenstehe, wonach gegen eine Person, die den Feststellungen zufolge in einem Interessenkonflikt gehandelt habe, eine Sanktion wie das Verbot, für die Dauer von drei Jahren ein öffentliches Wahlamt zu bekleiden, automatisch verhängt werde, ohne dass dabei nach der Schwere des begangenen Verstoßes abgewogen werden könne.
15 Das Regionalgericht Bukarest verneinte seine Zuständigkeit für diese Klage und verwies die Sache an das vorlegende Gericht, die Curtea de Apel Timișoara (Berufungsgericht Timișoara, Rumänien).
16 Das vorlegende Gericht führt zunächst aus, dass das Ausgangsverfahren in den Anwendungsbereich des Unionsrechts falle, da das Gesetz Nr. 176/2010 die zweite im Anhang der Entscheidung 2006/928 genannte Vorgabe umsetze. Auch die Gründung der ANI sei erfolgt, um diese Vorgabe zu erfüllen.
17 Sodann weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass nach Art. 25 dieses Gesetzes, wenn in Bezug auf eine Person, die ein öffentliches Wahlamt bekleide, ein Interessenkonflikt bestandskräftig festgestellt werde, das Mandat dieser Person kraft Gesetzes ende. Außerdem greife dann automatisch das in Abs. 2 dieses Artikels vorgesehene zusätzliche Verbot der Bekleidung dieses Amtes für die Dauer von drei Jahren, ohne dass dieses Verbot auf seine Erforderlichkeit geprüft oder nach Maßgabe der Schwere des Verstoßes differenziert angewandt werde. Nach der Rechtsprechung der Curtea Constituțională (Verfassungsgerichtshof, Rumänien) betreffe dieses Verbot alle in Art. 1 des Gesetzes Nr. 176/2010 genannten öffentlichen Wahlämter, ungeachtet des in dieser Bestimmung verwendeten Ausdrucks „dasselbe Amt“. Im Übrigen könne weder die Beendigung des Mandats noch das Verbot der Bekleidung öffentlicher Wahlämter gerichtlich angefochten werden, da das mit der Rechtmäßigkeit eines Beurteilungsberichts der ANI befasste Gericht nur prüfen könne, ob die dem Betroffenen vorgeworfenen Handlungen einen Interessenkonflikt begründeten, und sich nicht zu den daraus folgenden Sanktionen äußern könne.
18 Das vorlegende Gericht führt weiter aus, dass im vorliegenden Fall zwar keine Straftat des Klägers des Ausgangsverfahrens festgestellt worden sei, Art. 301 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs aber einen Straftatbestand des Interessenkonflikts vorsehe, der ebenfalls mit der ergänzenden Strafe des Verbots der Bekleidung eines öffentlichen Amtes nach Art. 66 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs geahndet werden könne. Daher sei zu klären, ob das in Art. 25 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 176/2010 vorgesehene Verbot der Bekleidung öffentlicher Wahlämter ebenso wie diese ergänzende Strafe nach Maßgabe des in Art. 49 der Charta niedergelegten Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit von Strafen zu beurteilen sei und, wenn ja, ob dieser Grundsatz einer solchen Sanktion entgegenstehe.
19 Schließlich sei zu prüfen, ob Art. 15 Abs. 1 und Art. 47 der Charta einer nationalen Bestimmung entgegenstünden, nach der diese Sanktion für die vorbestimmte Dauer von drei Jahren automatisch verhängt werde, ohne dass es dem Gericht gestattet wäre, sich in Ansehung der konkreten Umstände des Einzelfalls mit ihrer Erforderlichkeit oder ihrem Ausmaß zu befassen.
20 Unter diesen Umständen hat die Curtea de Apel Timişoara (Berufungsgericht Timişoara) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist der in Art. 49 der Charta verankerte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von Strafen dahin auszulegen, dass er auch auf andere als die nach nationalem Recht formal als Straftaten definierten Handlungen Anwendung findet, die aber angesichts der von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte entwickelten Kriterien, insbesondere dem der Schwere der Sanktion, als „strafrechtliche Anklage“ im Sinne von Art. 6 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) angesehen werden können, wie dies im Ausgangsverfahren bei der Beurteilung von Interessenkonflikten der Fall ist, die zur Anwendung der ergänzenden Sanktion des Verbots der Bekleidung öffentlicher Wahlämter für die Dauer von drei Jahren führen kann?
2. Falls Frage 1 bejaht wird: Ist der in Art. 49 der Charta verankerte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von Strafen dahin auszulegen, dass er einer Durchführungsbestimmung des nationalen Rechts entgegensteht, mit der im Fall der Feststellung eines Interessenkonflikts einer Person, die ein öffentliches Wahlamt bekleidet, automatisch kraft Gesetzes die ergänzende Sanktion des Verbots der Bekleidung öffentlicher Wahlämter für den vorbestimmten Zeitraum von drei Jahren zur Anwendung gelangt, ohne dass die Möglichkeit bestünde, eine Sanktion festzulegen, die zu dem begangenen Verstoß in einem angemessenen Verhältnis steht?
3. Sind das durch Art. 15 Abs. 1 der Charta garantierte Recht zu arbeiten sowie das durch Art. 47 der Charta garantierte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht dahin auszulegen, dass sie einer Durchführungsbestimmung des nationalen Rechts entgegenstehen, mit der im Fall der Feststellung eines Interessenkonflikts einer Person, die ein öffentliches Wahlamt bekleidet, automatisch kraft Gesetzes die ergänzende Sanktion des Verbots der Bekleidung öffentlicher Wahlämter für den fest vorbestimmten Zeitraum von drei Jahren zur Anwendung gelangt, ohne dass die Möglichkeit bestünde, eine Sanktion festzulegen, die zu dem begangenen Verstoß in einem angemessenen Verhältnis steht?
Zu den Vorlagefragen
Zur Zulässigkeit
21 Die ANI und die rumänische Regierung halten die Vorlagefragen für unzulässig. Sie machen zum einen geltend, die Charta sei auf den Ausgangsrechtsstreit nicht anwendbar, da keine Durchführung des Unionsrechts im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta vorliege. Zum anderen tragen sie vor, die vorgelegten Fragen seien unerheblich und das aufgeworfene Problem sei rein hypothetisch, da es im Ausgangsrechtsstreit nur um die Nichtigerklärung eines Beurteilungsberichts gehe, in dem ein Interessenkonflikt des Klägers des Ausgangsverfahrens festgestellt worden sei, und nicht um die Frage der Sanktionen.
22 Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass der Anwendungsbereich der Charta, was das Handeln der Mitgliedstaaten betrifft, in ihrem Art. 51 Abs. 1 definiert ist, wonach die Charta für die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Rechts der Union gilt. Diese Bestimmung bestätigt die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs, nach der die in der Unionsrechtsordnung garantierten Grundrechte in allen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen, aber nicht außerhalb derselben Anwendung finden (Urteil vom 19. November 2019, A. K. u. a. [Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts], C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982, Rn. 78 und die dort angeführte Rechtsprechung).
23 Im vorliegenden Fall geht aus den Angaben des vorlegenden Gerichts sowie aus der Begründung des Gesetzes Nr. 176/2010 hervor, dass mit diesem Gesetz die zweite im Anhang der Entscheidung 2006/928 genannte Vorgabe umgesetzt wird, nämlich die Einrichtung einer Behörde für Integrität mit folgenden Zuständigkeiten: Überprüfung von Vermögensverhältnissen, Unvereinbarkeiten und möglichen Interessenskonflikten und Verabschiedung verbindlicher Beschlüsse als Grundlage für abschreckende Sanktionen.
24 Wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, sind die im Anhang dieser Entscheidung aufgeführten Vorgaben für Rumänien insofern verbindlich, als dieser Mitgliedstaat der besonderen Verpflichtung unterliegt, sie zu erreichen und die zu ihrer Erreichung geeigneten Maßnahmen zu ergreifen. Ebenso ist dieser Mitgliedstaat verpflichtet, von der Durchführung aller Maßnahmen abzusehen, die die Erreichung dieser Vorgaben gefährden könnten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Mai 2021, Asociația Forumul Judecătorilor din România u. a., C‑83/19, C‑127/19, C‑195/19, C‑291/19, C‑355/19 und C‑397/19, EU:C:2021:393, Rn. 172).
25 Ferner verpflichtet diese Entscheidung Rumänien dazu, Korruption, insbesondere Korruption auf höchster Ebene, wirksam und unabhängig von einer etwaigen Beeinträchtigung der finanziellen Interessen der Union zu bekämpfen sowie die Anwendung wirksamer und abschreckender Sanktionen im Fall von Korruptionsdelikten im Allgemeinen vorzusehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 189 und 190 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
26 In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof auch klargestellt, dass Rumänien die anwendbaren Sanktionen, bei denen es sich um verwaltungsrechtliche oder strafrechtliche Sanktionen oder um eine Kombination aus beiden handeln kann, frei wählen kann, wobei diese Befugnis durch die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Äquivalenz und der Effektivität beschränkt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2021, Euro Box Promotion u. a., C‑357/19, C‑379/19, C‑547/19, C‑811/19 und C‑840/19, EU:C:2021:1034, Rn. 191 und 192 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).
27 Aus diesen Erwägungen folgt, wie der Generalanwalt in Nr. 21 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, dass das Gesetz Nr. 176/2010, insbesondere sein Art. 25, eine Maßnahme zur Durchführung des Rechts der Union im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta darstellt, so dass die Charta im Rahmen des Ausgangsverfahrens anwendbar ist.
28 Was den Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits betrifft, so spricht nach ständiger Rechtsprechung eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen des nationalen Gerichts, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festgelegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Der Gerichtshof darf die Entscheidung über ein Ersuchen eines nationalen Gerichts nur dann verweigern, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder er nicht über die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 13. November 2018, Levola Hengelo, C‑310/17, EU:C:2018:899, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).
29 Im vorliegenden Fall hat das vorlegende Gericht im Vorabentscheidungsersuchen ausgeführt, dass dem Kläger des Ausgangsverfahrens, wenn die Rechtmäßigkeit des in Rn. 12 des vorliegenden Urteils erwähnten Beurteilungsberichts durch Abweisung der bei diesem Gericht anhängigen Klage bestätigt werden sollte, die Bekleidung öffentlicher Wahlämter für die Dauer von drei Jahren gemäß Art. 25 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 176/2010 automatisch verboten würde, ohne dass er dieses Verbot im Rahmen eines weiteren Gerichtsverfahrens anfechten könnte.
30 Es ist daher nicht offensichtlich, dass die Auslegung der Bestimmungen der Charta in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht oder dass das Problem hypothetischer Natur ist.
31 Folglich sind die Vorlagefragen zulässig.
Zur Beantwortung der Vorlagefragen
Zur ersten Frage
32 Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 49 Abs. 3 der Charta dahin auszulegen ist, dass er auf eine nationale Regelung anwendbar ist, die am Ende eines Verwaltungsverfahrens eine Maßnahme vorsieht, mit der für die vorbestimmte Dauer von drei Jahren ein Verbot der Bekleidung öffentlicher Wahlämter gegen eine Person verhängt wird, bei der ein Interessenkonflikt in der Ausübung eines solchen Amtes festgestellt wurde.
33 Art. 49 Abs. 3 der Charta, wonach das Strafmaß zur Straftat nicht unverhältnismäßig sein darf, betrifft Sanktionen strafrechtlicher Natur. Daher ist zu prüfen, ob ein Verbot wie das oben beschriebene strafrechtlichen Charakter hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Oktober 2021, ECOTEX BULGARIA, C‑544/19, EU:C:2021:803, Rn. 90).
34 Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Auslegung von Art. 50 der Charta, die auf deren Art. 49 Abs. 3 übertragen wurde, sind für die Beurteilung des strafrechtlichen Charakters einer Sanktion drei Kriterien maßgebend: erstens die rechtliche Einordnung der Zuwiderhandlung im innerstaatlichen Recht, zweitens die Art der Zuwiderhandlung und drittens der Schweregrad der dem Betroffenen drohenden Sanktion (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. Oktober 2021, ECOTEX BULGARIA, C‑544/19, EU:C:2021:803, Rn. 91, sowie vom 22. März 2022, bpost, C‑117/20, EU:C:2022:202, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).
35 Auch bei Zuwiderhandlungen, die im innerstaatlichen Recht nicht als „strafrechtlich“ eingestuft werden, kann sich ein solcher Charakter gleichwohl aus der Art der Zuwiderhandlung und dem Schweregrad der dem Betroffenen drohenden Sanktion ergeben (Urteil vom 22. Juni 2021, Latvijas Republikas Saeima [Strafpunkte], C‑439/19, EU:C:2021:504, Rn. 88 und die dort angeführte Rechtsprechung).
36 Zwar ist es Sache des vorlegenden Gerichts, anhand der genannten Kriterien zu beurteilen, ob die im Ausgangsverfahren fragliche Maßnahme im Sinne von Art. 49 Abs. 3 der Charta strafrechtlicher Natur ist, doch kann der Gerichtshof in seiner Vorabentscheidung Klarstellungen vornehmen, um diesem Gericht eine Richtschnur für seine Auslegung zu geben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Oktober 2021, ECOTEX BULGARIA, C‑544/19, EU:C:2021:803, Rn. 92 und die dort angeführte Rechtsprechung).
37 Was das erste Kriterium anbelangt, das die Einordnung der Zuwiderhandlung im innerstaatlichen Recht betrifft, ergibt sich sowohl aus dem Wortlaut von Art. 25 Abs. 1 des Gesetzes Nr. 176/2010, in dem von einem „Disziplinarvergehen“ die Rede ist, als auch aus der im Vorabentscheidungsersuchen angeführten nationalen Rechtsprechung, insbesondere derjenigen der Curtea Constituțională (Verfassungsgerichtshof), dass nach rumänischem Recht weder die kraft Gesetzes eintretende Beendigung des Mandats im Fall der Feststellung eines Interessenkonflikts noch das diese Beendigung ergänzende Verbot der Bekleidung öffentlicher Wahlämter als strafrechtliche Sanktionen angesehen werden. Außerdem geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervor, dass diese Maßnahmen auf der Grundlage eines Verwaltungsverfahrens ergehen. Zwar kennt das rumänische Recht auch den Straftatbestand des Interessenkonflikts, doch werden die insoweit drohenden Sanktionen, wie der Generalanwalt in Nr. 31 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, in einem gesonderten und eigenständigen Verfahren verhängt.
38 Das zweite Kriterium, das sich auf die Art der Zuwiderhandlung bezieht, erfordert die Prüfung, ob mit der fraglichen Maßnahme u. a. eine repressive Zielsetzung verfolgt wird, was für eine Sanktion strafrechtlicher Natur im Sinne von Art. 49 der Charta typisch ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 22. Juni 2021, Latvijas Republikas Saeima [Strafpunkte], C‑439/19, EU:C:2021:504, Rn. 89, sowie vom 6. Oktober 2021, ECOTEX BULGARIA, C‑544/19, EU:C:2021:803, Rn. 94 und die dort angeführte Rechtsprechung).
39 Im vorliegenden Fall geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen und den Erklärungen der Verfahrensbeteiligten vor dem Gerichtshof hervor, dass das Gesetz Nr. 176/2010 Integrität und Transparenz bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und Pflichten gewährleisten und institutioneller Korruption vorbeugen soll und dass das Verbot der Bekleidung öffentlicher Wahlämter, wie es im Ausgangsverfahren ausgesprochen werden könnte, zu einem größeren Komplex von Maßnahmen gehört, die allesamt ergänzend dieses Ziel verfolgen, so dass dieses Verbot zur Erfüllung der in der Entscheidung 2006/928 genannten Vorgaben beiträgt. Somit besteht der Zweck dieses Verbots, ebenso wie der Zweck der kraft Gesetzes eintretenden Beendigung des Mandats, darin, das ordnungsgemäße Funktionieren und die Transparenz des Staates zu wahren, indem Interessenkonflikte dauerhaft beendet werden.
40 Insoweit hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Bezug auf ein – einem entsprechenden Zweck dienendes und auf die freie Entscheidung der Wahlorgane abzielendes – Verbot, für Wahlen zu kandidieren und Wahlämter zu bekleiden, entschieden, dass dieses Verbot keinen Strafcharakter habe, selbst wenn es im Anschluss an eine strafrechtliche Verurteilung wegen Korruptionsdelikten ausgesprochen werde (vgl. in diesem Sinne EGMR, 18. Mai 2021, Galan/Italien, CE:ECHR:2021:0518DEC006377216, §§ 85 und 97, sowie EGMR, 17. Juni 2021, Miniscalco/Italien, CE:ECHR:2021:0617JUD005509313, §§ 64 und 73).
41 In Anbetracht der oben genannten Gesichtspunkte und nach Maßgabe der in der vorstehenden Randnummer angeführten Rechtsprechung liegt der Schluss nahe, dass eine Maßnahme wie die im Ausgangsverfahren im Raum stehende, mit der die Bekleidung öffentlicher Wahlämter für die Dauer von drei Jahren verboten wird, ein hauptsächlich präventives und nicht repressives Ziel verfolgt.
42 Zum dritten Kriterium betreffend den Schweregrad der Sanktion ist darauf hinzuweisen, dass eine solche Maßnahme, wie der Generalanwalt in Nr. 33 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, nicht darin besteht, eine Freiheits- oder Geldstrafe zu verhängen, sondern darin, die künftige Ausübung bestimmter Tätigkeiten, nämlich öffentlicher Wahlämter, zu verbieten, wobei diese Maßnahme auf eine begrenzte Gruppe von Personen mit einem besonderen Status abzielt. Das Verbot ist zudem befristet und betrifft nicht das aktive Wahlrecht.
43 Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Sanktionen, die der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Maßnahme ähneln, im Allgemeinen nicht als hinreichend schwer angesehen werden, um strafrechtlichen Charakter anzunehmen, zumal wenn das aktive Wahlrecht unberührt bleibt (vgl. in diesem Sinne Europäische Kommission für Menschenrechte, 13. Januar 1997, Tapie/Frankreich, CE:ECHR:1997:0113DEC003225896, S. 5, sowie EGMR, 18. Mai 2021, Galan/Italien, CE:ECHR:2021:0518DEC006377216, §§ 96 und 97).
44 Aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass keines der drei in Rn. 34 des vorliegenden Urteils genannten Kriterien erfüllt zu sein scheint und dass folglich das in der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung vorgesehene Verbot der Bekleidung öffentlicher Wahlämter nicht strafrechtlicher Natur zu sein scheint, was das vorlegende Gericht jedoch zu überprüfen haben wird.
45 Sollte diese Maßnahme nicht strafrechtlicher Natur sein, könnte sie nicht anhand von Art. 49 Abs. 3 der Charta beurteilt werden.
46 Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 49 Abs. 3 der Charta dahin auszulegen ist, dass er auf eine nationale Regelung, die am Ende eines Verwaltungsverfahrens eine Maßnahme vorsieht, mit der für die vorbestimmte Dauer von drei Jahren ein Verbot der Bekleidung öffentlicher Wahlämter gegen eine Person verhängt wird, bei der ein Interessenkonflikt in der Ausübung eines solchen Amtes festgestellt wurde, nicht anwendbar ist, sofern diese Maßnahme nicht strafrechtlicher Natur ist.
Zur zweiten Frage
47 Zunächst ist dem Vorabentscheidungsersuchen zu entnehmen, dass die zweite Frage für den Fall gestellt wird, dass das in Art. 25 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 176/2010 vorgesehene Verbot der Bekleidung öffentlicher Wahlämter strafrechtlicher Natur ist. Wie sich aus den Erwägungen in den Rn. 32 bis 46 des vorliegenden Urteils ergibt, scheint dies aber – vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Überprüfungen – nicht der Fall zu sein, so dass Art. 49 Abs. 3 der Charta wohl keine Anwendung findet.
48 Da mit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung, wie in Rn. 27 des vorliegenden Urteils festgestellt, Unionsrecht durchgeführt wird, muss sie jedoch ungeachtet dessen mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als allgemeinem Grundsatz des Unionsrechts im Einklang stehen.
49 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gehört nämlich nach ständiger Rechtsprechung zu den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts, mit denen eine nationale Regelung, die in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt oder dieses durchführt, vereinbar sein muss, auch wenn die Rechtsvorschriften der Union im Bereich der anwendbaren Sanktionen nicht harmonisiert sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. April 2019, Repsol Butano und DISA Gas, C‑473/17 und C‑546/17, EU:C:2019:308, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 8. März 2022, Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld [Unmittelbare Wirkung], C‑205/20, EU:C:2022:168, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).
50 Nach ständiger Rechtsprechung muss eine Maßnahme, um den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren, geeignet sein, die Erreichung des verfolgten legitimen Ziels in kohärenter und systematischer Weise zu gewährleisten, und darf nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich ist, wobei die durch sie verursachten Nachteile nicht außer Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen dürfen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 25. Januar 2018, F, C‑473/16, EU:C:2018:36, Rn. 56, sowie vom 7. September 2022, Cilevičs u. a., C‑391/20, EU:C:2022:638, Rn. 65 und die dort angeführte Rechtsprechung).
51 Administrative oder repressive Maßnahmen, die nach nationalen Rechtsvorschriften gestattet sind, dürfen nicht die Grenzen dessen überschreiten, was zur Erreichung der mit diesen Rechtsvorschriften zulässigerweise verfolgten Ziele geeignet und erforderlich ist (Urteil vom 24. Februar 2022, Agenzia delle dogane e dei monopoli und Ministero dell’Economia e delle Finanze, C‑452/20, EU:C:2022:111, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung). Insbesondere muss die Härte der verhängten Sanktion der Schwere des mit ihr geahndeten Verstoßes entsprechen (Urteil vom 12. September 2019, Maksimovic u. a., C‑64/18, C‑140/18, C‑146/18 und C‑148/18, EU:C:2019:723, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).
52 Unter diesen Umständen ist, um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, die zweite Frage dahin gehend umzuformulieren, dass mit ihr im Wesentlichen geklärt werden soll, ob der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit einer nationalen Regelung entgegensteht, die eine Maßnahme vorsieht, mit der für die vorbestimmte Dauer von drei Jahren ein Verbot der Bekleidung öffentlicher Wahlämter gegen eine Person verhängt wird, bei der ein Interessenkonflikt in der Ausübung eines solchen Amtes festgestellt wurde.
53 Im vorliegenden Fall ist zunächst daran zu erinnern, dass das Gesetz Nr. 176/2010, dessen Art. 25 Abs. 2 das Verbot der Bekleidung öffentlicher Wahlämter für die Dauer von drei Jahren vorsieht, darauf abzielt, Integrität und Transparenz bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und Pflichten zu gewährleisten und institutioneller Korruption vorzubeugen. Die Zwecke dieses Gesetzes, die zur Erfüllung der im Anhang der Entscheidung 2006/928 aufgeführten Vorgaben beitragen, stellen somit ein von der Union anerkanntes legitimes Ziel dar.
54 Es ist zwar Sache des vorlegenden Gerichts, das allein für die Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts zuständig ist, in dem Fall, dass es die Rechtmäßigkeit des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Beurteilungsberichts bestätigen sollte, abschließend zu beurteilen, ob die fragliche Sanktion in Bezug auf den in diesem Bericht festgestellten Interessenkonflikt zur Erreichung dieses legitimen Ziels geeignet und erforderlich sowie im Hinblick darauf angemessen ist. Gleichwohl kann der Gerichtshof Klarstellungen vornehmen, um dem vorlegenden Gericht eine Richtschnur für diese Beurteilung zu geben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Februar 2022, Agenzia delle dogane e dei monopoli und Ministero dell’Economia e delle Finanze, C‑452/20, EU:C:2022:111, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).
55 Was die Frage betrifft, ob die in Rede stehende Sanktion geeignet ist, die Erreichung der verfolgten legitimen Ziele in kohärenter und systematischer Weise zu gewährleisten, ist darauf hinzuweisen, dass sie zum Tragen kommt, nachdem die ANI bestandskräftig festgestellt hat, dass ein rechtswidriger Interessenkonflikt vorliegt, der einer Person, die ein öffentliches Wahlamt bekleidet – z. B. ein Amt als Bürgermeister, wie der Kläger des Ausgangsverfahrens –, während der Ausübung ihres Amtes zuzurechnen ist, wobei diese Sanktion zu der kraft Gesetzes eintretenden Beendigung des Mandats dieser Person hinzutritt.
56 Die automatische Verhängung dieser Sanktionen ermöglicht es, den festgestellten Interessenkonflikt dauerhaft zu beenden und auf diesem Wege das Funktionieren des Staates und der betreffenden Wahlorgane zu wahren. Außerdem erscheint der Umstand, dass sowohl die kraft Gesetzes eintretende Beendigung des Mandats als auch ein automatisches Verbot der Bekleidung öffentlicher Wahlämter für eine im Voraus bestimmte, hinreichend lange Dauer vorgesehen sind, geeignet, Inhaber eines Wahlamtes davon abzuhalten, sich auf einen Interessenkonflikt einzulassen, und sie dazu anzuhalten, ihren Verpflichtungen in diesem Bereich nachzukommen.
57 Daraus folgt, dass das in der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung vorgesehene Verbot der Bekleidung öffentlicher Wahlämter für die Dauer von drei Jahren geeignet erscheint, das mit dieser Regelung verfolgte legitime Ziel zu erreichen.
58 Was die Erforderlichkeit dieser Sanktion betrifft, geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervor, dass der rumänische Gesetzgeber dieses Verbot vorgesehen und seine Dauer auf drei Jahre festgesetzt hat, weil er davon ausging, dass ein Interessenkonflikt von Natur aus gravierende Folgen für das Funktionieren des Staates und für die Gesellschaft habe. Dementsprechend wird dieses Verbot als Folge einer Verfehlung verhängt, die vom Inhaber eines öffentlichen Wahlamtes – wie hier vom Kläger des Ausgangsverfahrens – begangen wurde und fraglos schwerwiegend ist.
59 Der rumänische Gesetzgeber hat in Art. 301 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs auch den Straftatbestand des Interessenkonflikts vorgesehen, der mit einer Freiheitsstrafe und einer ergänzenden Strafe des Verbots der Bekleidung von Wahlämtern für eine variable Dauer von einem bis zu fünf Jahren bedroht ist.
60 Zu ergänzen ist, dass das Ausmaß der Interessenkonflikte und der Grad der Korruption im nationalen öffentlichen Sektor bei der Frage zu berücksichtigen sind, ob eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende die Grenzen dessen überschreitet, was zur Erreichung des Ziels, Integrität und Transparenz bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und Pflichten zu gewährleisten sowie institutioneller Korruption vorzubeugen, erforderlich ist. Insoweit ist daran zu erinnern, dass mit dem Gesetz Nr. 176/2010 die zweite im Anhang der Entscheidung 2006/928 aufgeführte Vorgabe umgesetzt wird, die für Rumänien verbindlich ist und darauf abzielt, dass verbindliche Beschlüsse der ANI zu abschreckenden Sanktionen führen können. Die Entscheidung 2006/928 verpflichtet Rumänien auch, Korruption wirksam zu bekämpfen.
61 In Anbetracht der präventiven Komponente der fraglichen Maßnahme, die u. a. darauf abzielt, Inhaber öffentlicher Ämter von jeder Beeinträchtigung der Integrität ihres Amtes abzuhalten, ist die Festlegung einer vorbestimmten Dauer für diese Maßnahme in einem solchen nationalen Kontext erforderlich, um ihre Wirksamkeit zu gewährleisten.
62 Außerdem ist das in Art. 25 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 176/2010 vorgesehene Verbot der Bekleidung öffentlicher Wahlämter zeitlich begrenzt und gilt nur für bestimmte Kategorien von Personen, die besondere Aufgaben wahrnehmen. Insbesondere ist zu beachten, dass eine Person, die ein Wahlamt als Bürgermeister bekleidet, wie hier der Kläger des Ausgangsverfahrens, große Verantwortung trägt, mit erheblichen Befugnissen ausgestattet ist und die Aufgabe hat, ihre Mitbürger zu vertreten.
63 Das Verbot bezieht sich im Übrigen nur auf begrenzte Tätigkeiten, nämlich öffentliche Wahlämter, und hindert nicht an der Ausübung anderer beruflicher Tätigkeiten, etwa im privaten Sektor.
64 Daraus folgt, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung in Anbetracht des Kontexts, in den sie sich einfügt, nicht über die Grenzen dessen hinausgeht, was zur Erreichung des mit ihr verfolgten legitimen Ziels erforderlich ist, soweit sie eine Sanktion der Unwählbarkeit für die vorbestimmte Dauer von drei Jahren vorsieht.
65 Was die Angemessenheit der fraglichen Maßnahme und insbesondere das Verhältnis ihrer Härte zur Schwere des Verstoßes betrifft, ist auf die Bedeutung, die der Bekämpfung der Korruption im öffentlichen Sektor in einigen Mitgliedstaaten zukommt, und auf die – auch durch die Entscheidung 2006/928 angeordnete – Priorität hinzuweisen, die der rumänische Gesetzgeber diesem Ziel eingeräumt hat, bei dem es sich, wie in der Begründung des Gesetzes Nr. 176/2010 angegeben, um ein echtes Anliegen der rumänischen Gesellschaft handelt.
66 In Anbetracht dessen, wie schwer das öffentliche Interesse durch Korruption und selbst noch so geringfügige Interessenkonflikte seitens der gewählten Vertreter in einem von hoher Korruptionsgefahr geprägten nationalen Kontext beeinträchtigt wird, erscheint daher das in dieser nationalen Regelung vorgesehene Verbot der Bekleidung öffentlicher Wahlämter für eine vorbestimmte Dauer von drei Jahren grundsätzlich nicht außer Verhältnis zu dem Verstoß, der damit geahndet werden soll.
67 Da allerdings, wie die Rechtsprechung der Înalta Curte de Casație şi Justiție (Oberster Kassations- und Gerichtshof, Rumänien) offenbar bestätigt, die Dauer dieses Verbots in keinem Fall angepasst werden kann, ist nicht auszuschließen, dass sich diese Sanktion in bestimmten Ausnahmefällen als im Hinblick auf den mit ihr geahndeten Verstoß unverhältnismäßig erweisen kann.
68 Dies könnte nämlich dann der Fall sein, wenn das festgestellte rechtswidrige Verhalten in Ansehung des verfolgten Ziels ausnahmsweise keinen schwer ins Gewicht fallenden Aspekt aufweist, während sich die Auswirkungen der Sanktion auf die persönliche, berufliche und wirtschaftliche Situation der betroffenen Person als besonders schwerwiegend erweisen.
69 Somit ist es im vorliegenden Fall, falls die Rechtmäßigkeit des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Beurteilungsberichts bestätigt wird, Aufgabe des vorlegenden Gerichts, unter Würdigung aller maßgeblichen Umstände zu prüfen, ob die Härte der dem Kläger des Ausgangsverfahrens nach Art. 25 Abs. 2 des Gesetzes Nr. 176/2010 drohenden Sanktion unter Berücksichtigung des mit diesem Gesetz verfolgten Ziels in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere des in diesem Bericht festgestellten Interessenkonflikts steht.
70 Sollte dies nicht der Fall sein, müsste das vorlegende Gericht diese Regelung, soweit möglich, dahin auslegen, dass sie es erlaubt, eine verhältnismäßige, aber dennoch – im Einklang mit der Entscheidung 2006/928 – wirksame und abschreckende Sanktion zu verhängen.
71 Es ist nämlich darauf hinzuweisen, dass die nationalen Gerichte das nationale Recht so weit wie möglich unionsrechtskonform auszulegen haben und dass, auch wenn die Verpflichtung zur unionsrechtskonformen Auslegung nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen darf, die nationalen Gerichte, einschließlich der letztinstanzlichen Gerichte, gegebenenfalls eine gefestigte Rechtsprechung abändern müssen, wenn sie auf einer Auslegung des nationalen Rechts beruht, die mit dem Unionsrecht unvereinbar ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 8. Mai 2019, Związek Gmin Zagłębia Miedziowego, C‑566/17, EU:C:2019:390, Rn. 48 und 49, sowie vom 4. März 2020, Telecom Italia, C‑34/19, EU:C:2020:148, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).
72 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung, die eine Maßnahme vorsieht, mit der für die vorbestimmte Dauer von drei Jahren ein Verbot der Bekleidung öffentlicher Wahlämter gegen eine Person verhängt wird, bei der ein Interessenkonflikt in der Ausübung eines solchen Amtes festgestellt wurde, nicht entgegensteht, sofern die Anwendung dieser Regelung in Anbetracht aller maßgeblichen Umstände dazu führt, dass eine Sanktion verhängt wird, die unter Berücksichtigung des Ziels, Integrität und Transparenz bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und Pflichten zu gewährleisten sowie institutioneller Korruption vorzubeugen, in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere des mit ihr geahndeten Verstoßes steht. Dies ist nicht der Fall, wenn das festgestellte rechtswidrige Verhalten in Ansehung dieses Ziels ausnahmsweise keinen schwer ins Gewicht fallenden Aspekt aufweist, während sich die Auswirkungen der fraglichen Maßnahme auf die persönliche, berufliche und wirtschaftliche Situation der betroffenen Person als besonders schwerwiegend erweisen.
Zur dritten Frage
73 Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 15 Abs. 1 und Art. 47 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die eine Maßnahme vorsieht, mit der für die vorbestimmte Dauer von drei Jahren ein Verbot der Bekleidung öffentlicher Wahlämter gegen eine Person verhängt wird, bei der ein Interessenkonflikt in der Ausübung eines solchen Amtes festgestellt wurde.
74 In Art. 15 Abs. 1 der Charta ist das Recht verankert, zu arbeiten und einen frei gewählten oder angenommenen Beruf auszuüben. Außerdem gehört die freie Berufsausübung zu den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. März 2012, Interseroh Scrap and Metals Trading, C‑1/11, EU:C:2012:194, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).
75 Die ANI und die rumänische Regierung sind der Ansicht, dass das Recht, öffentliche Wahlämter zu bekleiden, nicht in den Anwendungsbereich von Art. 15 Abs. 1 der Charta falle, da das passive Wahlrecht zu den politischen Rechten gehöre, was durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bestätigt werde. Die Kommission trägt ebenfalls vor, dass das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Verbot der Bekleidung öffentlicher Wahlämter wohl nicht in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung falle, da das Wahlverfahren nicht bedeute, dass eine bestimmte Person das Recht hätte, ein solches Amt zu bekleiden.
76 Insoweit ist festzustellen, dass der Wortlaut von Art. 15 Abs. 1 der Charta zwar weit gefasst ist, wie die Verwendung der Worte „jede Person“, „arbeiten“ und „Beruf“ belegt.
77 Außerdem ist gemäß den Erläuterungen zur Charta der Grundrechte (ABl. 2007, C 303, S. 17) die in dieser Bestimmung festgeschriebene Berufsfreiheit in der Rechtsprechung des Gerichtshofs anerkannt, die sich u. a. aus den Urteilen vom 14. Mai 1974, Nold/Kommission (4/73, EU:C:1974:51, Rn. 12 bis 14), vom 13. Dezember 1979, Hauer (44/79, EU:C:1979:290, S. 3727), und vom 8. Oktober 1986, Keller (234/85, EU:C:1986:377, Rn. 8), ergibt. Art. 15 Abs. 1 der Charta lehnt sich ferner an Art. 1 Abs. 2 der am 18. Oktober 1961 in Turin unterzeichneten und am 3. Mai 1996 in Straßburg revidierten Europäischen Sozialcharta an, der einen wirksamen Schutz des Rechts des Arbeitnehmers verlangt, seinen Lebensunterhalt durch eine frei übernommene Tätigkeit zu verdienen, sowie an Nr. 4 der auf der Tagung des Europäischen Rates am 9. Dezember 1989 in Straßburg angenommenen Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer, die besagt, dass jeder nach den für den jeweiligen Beruf geltenden Vorschriften das Recht auf freie Wahl und Ausübung eines Berufes hat. Somit hat Art. 15 Abs. 1 der Charta, wie der Generalanwalt in Nr. 85 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, sowohl in persönlicher als auch in sachlicher Hinsicht einen weiten Anwendungsbereich.
78 Gleichwohl schließt dieser Anwendungsbereich, so weit er auch sein mag, nicht das Recht ein, ein nach einem demokratischen Wahlprozess erworbenes Wahlmandat wie ein Amt als Bürgermeister für eine bestimmte Dauer auszuüben.
79 Diese Auslegung wird dadurch bestätigt, dass Art. 15 der Charta zu deren Titel II („Freiheiten“) gehört, während spezifische Vorschriften über das passive Wahlrecht bei Wahlen, nämlich die Art. 39 und 40 der Charta, die das aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament bzw. bei den Kommunalwahlen betreffen, in einem anderen Titel stehen, nämlich Titel V („Bürgerrechte“).
80 Für eine solche Auslegung spricht auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, da dieser entschieden hat, dass das Recht auf Ausübung eines nach einem Wahlprozess erworbenen Wahlmandats ein politisches Recht und die entsprechende Vergütung lediglich eine Folge davon sei (vgl. in diesem Sinne EGMR, 8. November 2016, Savisaar/Estland, CE:ECHR:2016:1108DEC000836516, §§ 26 und 27).
81 Daraus folgt, dass das Recht, ein öffentliches Wahlamt, etwa ein Amt als Bürgermeister, zu bekleiden, nicht in den Anwendungsbereich von Art. 15 Abs. 1 der Charta fällt, so dass sich der Kläger des Ausgangsverfahrens im vorliegenden Fall nicht mit Erfolg auf diese Vorschrift berufen kann.
82 Wie sich aus Art. 53 der Charta ergibt, lässt diese Auslegung jedoch die Möglichkeit der Mitgliedstaaten unberührt, einen in ihren nationalen Verfassungen anerkannten höheren Schutzstandard für das Recht auf Arbeit und freie Berufsausübung anzuwenden, sofern das Schutzniveau der Charta, wie sie vom Gerichtshof ausgelegt wird, dadurch nicht beeinträchtigt wird.
83 Was Art. 47 der Charta anbelangt, so sieht dieser in Abs. 1 vor, dass jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht hat, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen. Art. 47 Abs. 2 der Charta bestimmt, dass jede Person ein Recht darauf hat, dass ihre Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird.
84 Die Anerkennung des in Art. 47 der Charta niedergelegten Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf in einem bestimmten Einzelfall setzt voraus, dass sich die Person, die es geltend macht, auf durch das Unionsrecht garantierte Rechte oder Freiheiten beruft oder dass diese Person von einem Verfahren betroffen ist, das eine Durchführung des Unionsrechts im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta darstellt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Februar 2022, RS [Wirkung der Urteile eines Verfassungsgerichts], C‑430/21, EU:C:2022:99, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).
85 Dies ist hier der Fall, da das dem Kläger des Ausgangsverfahrens für den Fall, dass die Rechtmäßigkeit des Beurteilungsberichts der ANI bestätigt wird, drohende, für die vorbestimmte Dauer von drei Jahren geltende Verbot der Bekleidung öffentlicher Wahlämter im Gesetz Nr. 176/2010 vorgesehen ist, mit dem, wie sich aus Rn. 27 des vorliegenden Urteils ergibt, Unionsrecht durchgeführt wird. Art. 47 der Charta ist daher auf das Ausgangsverfahren anwendbar.
86 Was den Inhalt dieser Bestimmung betrifft, so umfasst der darin verankerte Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes mehrere Elemente, zu denen u. a. der Grundsatz der Waffengleichheit und das Recht auf Zugang zu den Gerichten gehören (Urteil vom 30. Juni 2016, Toma und Biroul Executorului Judecătoresc Horațiu-Vasile Cruduleci, C‑205/15, EU:C:2016:499, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).
87 Das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf im Sinne von Art. 47 der Charta impliziert u. a., dass der Inhaber dieses Rechts Zugang zu einem Gericht erhalten kann, das über die Befugnis verfügt, die Achtung der ihm durch das Unionsrecht garantierten Rechte sicherzustellen und zu diesem Zweck alle für die bei ihm anhängige Streitigkeit relevanten Tatsachen- und Rechtsfragen zu prüfen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Oktober 2020, Luxemburgischer Staat [Rechtsbehelf gegen ein Auskunftsersuchen in Steuersachen], C‑245/19 und C‑246/19, EU:C:2020:795, Rn. 66 und die dort angeführte Rechtsprechung).
88 Im vorliegenden Fall setzt das in Art. 47 der Charta verankerte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf, wie der Generalanwalt in Nr. 100 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, voraus, dass das vorlegende Gericht die Rechtmäßigkeit des den Kläger des Ausgangsverfahrens belastenden Beurteilungsberichts der ANI überprüfen und gegebenenfalls diesen Bericht sowie die auf seiner Grundlage verhängten Sanktionen für nichtig erklären kann.
89 Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten geht aber hervor, dass Beurteilungsberichte der ANI jeweils die Beschreibung des Sachverhalts, den Standpunkt der betroffenen Person und die Würdigung der den festgestellten Interessenkonflikt begründenden Umstände enthalten. Außerdem ist das vorlegende Gericht im Rahmen der Kontrolle, die es in Bezug auf den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Beurteilungsbericht vorzunehmen hat, zur Prüfung aller maßgeblichen Rechts- und Tatsachenfragen befugt, so dass es am Ende dieser Kontrolle das Vorliegen eines Interessenkonflikts bejahen oder verneinen kann. Sollte das vorlegende Gericht zu dem Ergebnis gelangen, dass der Beurteilungsbericht rechtswidrig ist, wäre es zudem befugt, ihn für nichtig zu erklären und infolgedessen die auf seiner Grundlage ergangenen Maßnahmen (Beendigung des Mandats und Verbot der Bekleidung öffentlicher Wahlämter) für ungültig zu erklären.
90 Darüber hinaus ist es, wie sich aus den Rn. 69 und 72 des vorliegenden Urteils ergibt, Aufgabe des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob im vorliegenden Fall das aus dem Unionsrecht folgende Erfordernis der Verhängung einer verhältnismäßigen Sanktion erfüllt ist.
91 Im Übrigen enthalten die dem Gerichtshof vorliegenden Akten, wie auch der Generalanwalt in Nr. 102 seiner Schlussanträge festgestellt hat, keinen Anhaltspunkt, der Zweifel an der Wirksamkeit der im rumänischen Recht vorgesehenen Rechtsbehelfe oder an der Vereinbarkeit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung mit Art. 47 der Charta aufkommen lassen könnte.
92 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage wie folgt zu antworten:
–
Art. 15 Abs. 1 der Charta ist dahin auszulegen, dass das Recht auf Ausübung eines nach einem demokratischen Wahlprozess erlangten Wahlmandats, wie z. B. eines Amtes als Bürgermeister, nicht unter diese Bestimmung fällt;
–
Art. 47 der Charta ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung, die eine Maßnahme vorsieht, mit der für die vorbestimmte Dauer von drei Jahren ein Verbot der Bekleidung öffentlicher Wahlämter gegen eine Person verhängt wird, bei der ein Interessenkonflikt in der Ausübung eines solchen Amtes festgestellt wurde, nicht entgegensteht, sofern die betroffene Person tatsächlich die Möglichkeit hat, die Rechtswidrigkeit des Berichts, in dem diese Feststellung getroffen wurde, und der auf seiner Grundlage verhängten Sanktion geltend zu machen und dabei auch die Verhältnismäßigkeit der Sanktion in Frage zu stellen.
Kosten
93 Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:
1. Art. 49 Abs. 3 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ist dahin auszulegen, dass er auf eine nationale Regelung, die am Ende eines Verwaltungsverfahrens eine Maßnahme vorsieht, mit der für die vorbestimmte Dauer von drei Jahren ein Verbot der Bekleidung öffentlicher Wahlämter gegen eine Person verhängt wird, bei der ein Interessenkonflikt in der Ausübung eines solchen Amtes festgestellt wurde, nicht anwendbar ist, sofern diese Maßnahme nicht strafrechtlicher Natur ist.
2. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung, die eine Maßnahme vorsieht, mit der für die vorbestimmte Dauer von drei Jahren ein Verbot der Bekleidung öffentlicher Wahlämter gegen eine Person verhängt wird, bei der ein Interessenkonflikt in der Ausübung eines solchen Amtes festgestellt wurde, nicht entgegensteht, sofern die Anwendung dieser Regelung in Anbetracht aller maßgeblichen Umstände dazu führt, dass eine Sanktion verhängt wird, die unter Berücksichtigung des Ziels, Integrität und Transparenz bei der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und Pflichten zu gewährleisten sowie institutioneller Korruption vorzubeugen, in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere des mit ihr geahndeten Verstoßes steht. Dies ist nicht der Fall, wenn das festgestellte rechtswidrige Verhalten in Ansehung dieses Ziels ausnahmsweise keinen schwer ins Gewicht fallenden Aspekt aufweist, während sich die Auswirkungen der fraglichen Maßnahme auf die persönliche, berufliche und wirtschaftliche Situation der betroffenen Person als besonders schwerwiegend erweisen.
3. Art. 15 Abs. 1 der Charta der Grundrechte ist dahin auszulegen, dass das Recht auf Ausübung eines nach einem demokratischen Wahlprozess erlangten Wahlmandats, wie z. B. eines Amtes als Bürgermeister, nicht unter diese Bestimmung fällt.
4. Art. 47 der Charta der Grundrechte ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung, die eine Maßnahme vorsieht, mit der für die vorbestimmte Dauer von drei Jahren ein Verbot der Bekleidung öffentlicher Wahlämter gegen eine Person verhängt wird, bei der ein Interessenkonflikt in der Ausübung eines solchen Amtes festgestellt wurde, nicht entgegensteht, sofern die betroffene Person tatsächlich die Möglichkeit hat, die Rechtswidrigkeit des Berichts, in dem diese Feststellung getroffen wurde, und der auf seiner Grundlage verhängten Sanktion geltend zu machen und dabei auch die Verhältnismäßigkeit der Sanktion in Frage zu stellen.
Unterschriften
(*1) Verfahrenssprache: Rumänisch.
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Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 14. Dezember 2021.#V.М.А. gegen Stolichna obshtina, rayon „Pancharevo“.#Vorabentscheidungsersuchen des Administrativen sad Sofia-grad.#Vorlage zur Vorabentscheidung – Unionsbürgerschaft – Art. 20 und 21 AEUV – Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten – Im Aufnahmemitgliedstaat seiner Eltern geborenes Kind – Von diesem Mitgliedstaat ausgestellte Geburtsurkunde, in der zwei Mütter für dieses Kind genannt werden – Weigerung des Herkunftsmitgliedstaats einer dieser beiden Mütter, eine Geburtsurkunde des Kindes auszustellen, wenn keine Informationen über die Identität seiner leiblichen Mutter vorliegen – Besitz einer solchen Urkunde als Voraussetzung für die Ausstellung eines Personalausweises oder Reisepasses – Nationale Regelung dieses Herkunftsmitgliedstaats, die keine Elternschaft von Personen desselben Geschlechts zulässt.#Rechtssache C-490/20.
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62020CJ0490
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ECLI:EU:C:2021:1008
| 2021-12-14T00:00:00 |
Gerichtshof, Kokott
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62020CJ0490
URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)
14. Dezember 2021 (*1)
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Unionsbürgerschaft – Art. 20 und 21 AEUV – Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten – Im Aufnahmemitgliedstaat seiner Eltern geborenes Kind – Von diesem Mitgliedstaat ausgestellte Geburtsurkunde, in der zwei Mütter für dieses Kind genannt werden – Weigerung des Herkunftsmitgliedstaats einer dieser beiden Mütter, eine Geburtsurkunde des Kindes auszustellen, wenn keine Informationen über die Identität seiner leiblichen Mutter vorliegen – Besitz einer solchen Urkunde als Voraussetzung für die Ausstellung eines Personalausweises oder Reisepasses – Nationale Regelung dieses Herkunftsmitgliedstaats, die keine Elternschaft von Personen desselben Geschlechts zulässt“
In der Rechtssache C‑490/20
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Administrativen sad Sofia-grad (Verwaltungsgericht der Stadt Sofia, Bulgarien) mit Entscheidung vom 2. Oktober 2020, beim Gerichtshof eingegangen am selben Tag, in dem Verfahren
V.M.A.
gegen
Stolichna obshtina, rayon „Pancharevo“,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten L. Bay Larsen, des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Kammerpräsidentin K. Jürimäe, der Kammerpräsidenten C. Lycourgos, E. Regan und N. Jääskinen, der Kammerpräsidentin I. Ziemele, des Kammerpräsidenten J. Passer sowie der Richter M. Ilešič (Berichterstatter), J.‑C. Bonichot, T. von Danwitz und N. Wahl,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: M. Aleksejev, Referatsleiter,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. Februar 2021,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
–
von V.М.А., vertreten durch D. I. Lyubenova, advokat,
–
der bulgarischen Regierung, vertreten durch T. Mitova und L. Zaharieva als Bevollmächtigte,
–
der deutschen Regierung, zunächst vertreten durch J. Möller und S. Heimerl, dann durch J. Möller als Bevollmächtigte,
–
der spanischen Regierung, zunächst vertreten durch S. Centeno Huerta und M. J. Ruiz Sánchez, dann durch M. J. Ruiz Sánchez als Bevollmächtigte,
–
der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von W. Ferrante, avvocato dello Stato,
–
der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér und Z. Biró‑Tóth als Bevollmächtigte,
–
der niederländischen Regierung, vertreten durch C. S. Schillemans als Bevollmächtigte,
–
der polnischen Regierung, vertreten durch E. Borawska-Kędzierska, A. Siwek-Ślusarek und B. Majczyna als Bevollmächtigte,
–
der slowakischen Regierung, vertreten durch B. Ricziová als Bevollmächtigte,
–
der Europäischen Kommission, zunächst vertreten durch E. Montaguti, I. Zaloguin und M. Wilderspin, dann durch E. Montaguti und I. Zaloguin als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 15. April 2021
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 2 EUV, der Art. 20 und 21 AEUV sowie der Art. 7, 9, 24 und 45 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).
2 Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen V.M.A. und der Stolichna obshtina, rayon „Pancharevo“ (Gemeinde Sofia, Stadtbezirk Pancharevo, Bulgarien) (im Folgenden: Gemeinde Sofia) wegen deren Weigerung, für die Tochter von V.M.A. und ihrer Ehefrau eine Geburtsurkunde auszustellen.
Rechtlicher Rahmen
Internationales Recht
3 Art. 2 des am 20. November 1989 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommenen Übereinkommens über die Rechte des Kindes (United Nations Treaties Series, Bd. 1577, S. 3) bestimmt:
„(1) Die Vertragsstaaten achten die in diesem Übereinkommen festgelegten Rechte und gewährleisten sie jedem ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Kind ohne jede Diskriminierung unabhängig von der Rasse, der Hautfarbe, dem Geschlecht, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen, ethnischen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, einer Behinderung, der Geburt oder des sonstigen Status des Kindes, seiner Eltern oder seines Vormunds.
(2) Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen, um sicherzustellen, dass das Kind vor allen Formen der Diskriminierung oder Bestrafung wegen des Status, der Tätigkeiten, der Meinungsäußerungen oder der Weltanschauung seiner Eltern, seines Vormunds oder seiner Familienangehörigen geschützt wird.“
4 Art. 7 dieses Übereinkommens lautet:
„(1) Das Kind ist unverzüglich nach seiner Geburt in ein Register einzutragen und hat das Recht auf einen Namen von Geburt an, das Recht, eine Staatsangehörigkeit zu erwerben, und soweit möglich das Recht, seine Eltern zu kennen und von ihnen betreut zu werden.
(2) Die Vertragsstaaten stellen die Verwirklichung dieser Rechte im Einklang mit ihrem innerstaatlichen Recht und mit ihren Verpflichtungen aufgrund der einschlägigen internationalen Übereinkünfte in diesem Bereich sicher, insbesondere für den Fall, dass das Kind sonst staatenlos wäre.“
Unionsrecht
EU-Vertrag
5 Art. 4 Abs. 2 EUV bestimmt:
„Die Union achtet die Gleichheit der Mitgliedstaaten vor den Verträgen und ihre jeweilige nationale Identität, die in ihren grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen einschließlich der regionalen und lokalen Selbstverwaltung zum Ausdruck kommt. Sie achtet die grundlegenden Funktionen des Staates, insbesondere die Wahrung der territorialen Unversehrtheit, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der nationalen Sicherheit. Insbesondere die nationale Sicherheit fällt weiterhin in die alleinige Verantwortung der einzelnen Mitgliedstaaten.“
AEU-Vertrag
6 In Art. 20 AEUV heißt es:
„(1) Es wird eine Unionsbürgerschaft eingeführt. Unionsbürger ist, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt. Die Unionsbürgerschaft tritt zur nationalen Staatsbürgerschaft hinzu, ersetzt diese aber nicht.
(2) Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger haben die in den Verträgen vorgesehenen Rechte und Pflichten. Sie haben unter anderem
a)
das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten;
…
Diese Rechte werden unter den Bedingungen und innerhalb der Grenzen ausgeübt, die in den Verträgen und durch die in Anwendung der Verträge erlassenen Maßnahmen festgelegt sind.“
7 Art. 21 Abs. 1 AEUV lautet:
„Jeder Unionsbürger hat das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten.“
Charta
8 Art. 7 („Achtung des Privat- und Familienlebens“) der Charta bestimmt:
„Jede Person hat das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung sowie ihrer Kommunikation.“
9 Art. 9 („Recht, eine Ehe einzugehen und eine Familie zu gründen“) der Charta sieht vor:
„Das Recht, eine Ehe einzugehen, und das Recht, eine Familie zu gründen, werden nach den einzelstaatlichen Gesetzen gewährleistet, welche die Ausübung dieser Rechte regeln.“
10 Art. 24 („Rechte des Kindes“) der Charta hat folgenden Wortlaut:
„(1) Kinder haben Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die für ihr Wohlergehen notwendig sind. Sie können ihre Meinung frei äußern. Ihre Meinung wird in den Angelegenheiten, die sie betreffen, in einer ihrem Alter und ihrem Reifegrad entsprechenden Weise berücksichtigt.
(2) Bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher Stellen oder privater Einrichtungen muss das Wohl des Kindes eine vorrangige Erwägung sein.
(3) Jedes Kind hat Anspruch auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen, es sei denn, dies steht seinem Wohl entgegen.“
11 Art. 45 („Freizügigkeit und Aufenthaltsfreiheit“) der Charta lautet:
„(1) Die Unionsbürgerinnen und Unionsbürger haben das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten.
(2) Staatsangehörigen von Drittländern, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten, kann nach Maßgabe der Verträge Freizügigkeit und Aufenthaltsfreiheit gewährt werden.“
Richtlinie 2004/38/EG
12 Die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. 2004, L 158, S. 77, Berichtigung ABl. 2004, L 229, S. 35) bestimmt in ihrem Art. 2 („Begriffsbestimmungen“):
„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
1. ‚Unionsbürger‘ jede Person, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt;
2. ‚Familienangehöriger‘
a)
den Ehegatten;
b)
den Lebenspartner, mit dem der Unionsbürger auf der Grundlage der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats eine eingetragene Partnerschaft eingegangen ist, sofern nach den Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats die eingetragene Partnerschaft der Ehe gleichgestellt ist und die in den einschlägigen Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats vorgesehenen Bedingungen erfüllt sind;
c)
die Verwandten in gerader absteigender Linie des Unionsbürgers und des Ehegatten oder des Lebenspartners im Sinne von Buchstabe b), die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder denen von diesen Unterhalt gewährt wird;
d)
die Verwandten in gerader aufsteigender Linie des Unionsbürgers und des Ehegatten oder des Lebenspartners im Sinne von Buchstabe b), denen von diesen Unterhalt gewährt wird;
3. ‚Aufnahmemitgliedstaat‘ den Mitgliedstaat, in den sich der Unionsbürger begibt, um dort sein Recht auf Freizügigkeit oder Aufenthalt auszuüben.“
13 Art. 4 („Recht auf Ausreise“) dieser Richtlinie bestimmt:
„(1) Unbeschadet der für die Kontrollen von Reisedokumenten an den nationalen Grenzen geltenden Vorschriften haben alle Unionsbürger, die einen gültigen Personalausweis oder Reisepass mit sich führen, und ihre Familienangehörigen, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die einen gültigen Reisepass mit sich führen, das Recht, das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zu verlassen und sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben.
…
(3) Die Mitgliedstaaten stellen ihren Staatsangehörigen gemäß ihren Rechtsvorschriften einen Personalausweis oder einen Reisepass aus, der ihre Staatsangehörigkeit angibt, und verlängern diese Dokumente.
(4) Der Reisepass muss zumindest für alle Mitgliedstaaten und die unmittelbar zwischen den Mitgliedstaaten liegenden Durchreiseländer gelten. Sehen die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats keinen Personalausweis vor, so ist der Reisepass mit einer Gültigkeit von mindestens fünf Jahren auszustellen oder zu verlängern.“
14 In Art. 5 („Recht auf Einreise“) dieser Richtlinie heißt es:
„(1) Unbeschadet der für die Kontrollen von Reisedokumenten an den nationalen Grenzen geltenden Vorschriften gestatten die Mitgliedstaaten Unionsbürgern, die einen gültigen Personalausweis oder Reisepass mit sich führen, und ihren Familienangehörigen, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und die einen gültigen Reisepass mit sich führen, die Einreise.
…
(4) Verfügt ein Unionsbürger oder ein Familienangehöriger, der nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt, nicht über die erforderlichen Reisedokumente oder gegebenenfalls die erforderlichen Visa, so gewährt der betreffende Mitgliedstaat dieser Person jede angemessene Möglichkeit, sich die erforderlichen Dokumente in einer angemessenen Frist zu beschaffen oder übermitteln zu lassen oder sich mit anderen Mitteln bestätigen zu lassen oder nachzuweisen, dass sie das Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt genießt, bevor er eine Zurückweisung verfügt.
…“
Bulgarisches Recht
15 Art. 25 Abs. 1 der Konstitutsia na Republika Bulgaria (Verfassung der Republik Bulgarien) (im Folgenden: bulgarische Verfassung) lautet:
„Bulgarischer Staatsangehöriger ist jeder, der wenigstens einen Elternteil mit bulgarischer Staatsangehörigkeit hat oder der im bulgarischen Hoheitsgebiet geboren ist, wenn er nicht durch Abstammung eine andere Staatsangehörigkeit erwirbt. Die bulgarische Staatsangehörigkeit kann auch durch Einbürgerung erworben werden.“
16 Nach Art. 8 des Zakon za balgarskoto grazhdanstvo (Gesetz über die bulgarische Staatsangehörigkeit) vom 5. November 1998 (DV Nr. 136 vom 18. November 1998, S. 1) (im Folgenden: Staatsangehörigkeitsgesetz) „[besitzt j]ede Person, bei der wenigstens einer der Elternteile bulgarischer Staatsangehörigkeit ist, … die bulgarische Staatsangehörigkeit kraft Abstammung.“
17 Der Semeen kodeks (Familiengesetzbuch) vom 12. Juni 2009 (DV Nr. 47 vom 23. Juni 2009, S. 19) sieht in Art. 60 („Abstammung im Verhältnis zur Mutter“) vor:
„(1) Die Abstammung im Verhältnis zur Mutter wird durch die Geburt bestimmt.
(2) Mutter eines Kindes ist die Frau, die es geboren hat, einschließlich des Falles der künstlichen Fortpflanzung.
…“
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
18 V.M.A. ist bulgarische Staatsangehörige, K.D.K. ist Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs. K.D.K. wurde in Gibraltar geboren, wo die beiden Frauen 2018 die Ehe miteinander geschlossen haben. Sie wohnen seit 2015 in Spanien.
19 Im Dezember 2019 bekamen V.M.A. und K.D.K. eine Tochter, S.D.K.A., die in Spanien geboren wurde und mit ihren beiden Eltern dort wohnt. In der von den spanischen Behörden ausgestellten Geburtsurkunde dieser Tochter wird V.M.A. als deren „Mutter A“ und K.D.K. als deren „Mutter“ angegeben.
20 Am 29. Januar 2020 beantragte V.M.A. bei der Gemeinde Sofia die Ausstellung einer Geburtsurkunde für S.D.K.A., die u. a. für die Ausstellung eines bulgarischen Identitätsdokuments erforderlich ist. Zur Stützung ihres Antrags legte V.M.А. eine amtlich beglaubigte bulgarische Übersetzung des die Geburtsurkunde von S.D.K.A. betreffenden Auszugs aus dem Personenstandsregister von Barcelona (Spanien) vor.
21 Mit Schreiben vom 7. Februar 2020 gab die Gemeinde Sofia V.M.A. auf, binnen sieben Tagen Nachweise für die Abstammung von S.D.K.A. in Bezug auf ihre leibliche Mutter vorzulegen. Das Muster der Geburtsurkunde unter den auf nationaler Ebene geltenden Mustern von Personenstandsurkunden sehe nur ein Feld für die „Mutter“ und ein weiteres Feld für den „Vater“ vor, wobei in jedem dieser Felder nur ein einziger Name aufgeführt werden könne.
22 Am 18. Februar 2020 antwortete V.M.A. der Gemeinde Sofia, dass sie nach geltendem bulgarischen Recht nicht verpflichtet sei, die geforderte Information zu erteilen.
23 Mit Entscheidung vom 5. März 2020 lehnte die Gemeinde Sofia daraufhin den auf Ausstellung einer Geburtsurkunde für S.D.K.A. gerichteten Antrag von V.M.A. ab. Sie begründete dies damit, dass Informationen über die Identität der leiblichen Mutter des Kindes fehlten und dass die Angabe zweier Elternteile weiblichen Geschlechts in einer Geburtsurkunde der öffentlichen Ordnung der Republik Bulgarien zuwiderlaufe, nach der die Ehe zwischen zwei Personen gleichen Geschlechts nicht zulässig sei.
24 V.M.A. erhob gegen diese ablehnende Entscheidung Klage beim Administrativen sad Sofia-grad (Verwaltungsgericht der Stadt Sofia, Bulgarien), dem vorlegenden Gericht.
25 Dieses Gericht führt aus, dass S.D.K.A. gemäß Art. 25 Abs. 1 der bulgarischen Verfassung und Art. 8 des Staatsangehörigkeitsgesetzes die bulgarische Staatsangehörigkeit besitze, auch wenn bisher von den bulgarischen Behörden keine Geburtsurkunde für sie ausgestellt worden sei. Die Weigerung dieser Behörden, S.D.K.A. eine solche Urkunde auszustellen, bedeute nämlich nicht, dass ihr die bulgarische Staatsangehörigkeit verweigert werde.
26 Das vorlegende Gericht hat hingegen Zweifel, ob die Weigerung der bulgarischen Behörden, die Geburt eines bulgarischen Staatsangehörigen in ein Register einzutragen, die in einem anderen Mitgliedstaat stattgefunden habe und mit einer von den zuständigen Behörden dieses Mitgliedstaats ausgestellten Geburtsurkunde, in der zwei Mütter angegeben seien, bescheinigt worden sei, die diesem Staatsangehörigen in den Art. 20 und 21 AEUV sowie den Art. 7, 24 und 45 der Charta verliehenen Rechte beeinträchtige. Die Weigerung der bulgarischen Behörden, eine Geburtsurkunde auszustellen, könne – auch wenn sie keine rechtlichen Auswirkungen auf die bulgarische Staatsangehörigkeit des Kindes und in der Folge auf seine Unionsbürgerschaft habe – die Ausstellung eines bulgarischen Identitätsdokuments schwieriger machen und damit dem Kind die Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit und mithin die volle Inanspruchnahme seiner Rechte als Unionsbürger erschweren.
27 Zudem fragt sich das vorlegende Gericht, ob in Anbetracht dessen, dass die andere Mutter von S.D.K.A., K.D.K., Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs sei, die sich aus dem Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (ABl. 2020, L 29, S. 7, im Folgenden: Austrittsabkommen) ergebenden Rechtsfolgen und namentlich der Umstand, dass das Kind nicht mehr den durch die Staatsangehörigkeit von K.D.K. vermittelten Unionsbürgerstatus in Anspruch nehmen könne, für die Beurteilung dieser Frage erheblich sei.
28 Darüber hinaus stellt sich der Administrativen sad Sofia-grad (Verwaltungsgericht der Stadt Sofia) die Frage, ob eine etwaige Verpflichtung der bulgarischen Behörden, bei der Ausstellung einer Geburtsurkunde zwei Mütter als Eltern des Kindes in diese Urkunde einzutragen, möglicherweise die öffentliche Ordnung und die nationale Identität der Republik Bulgarien beeinträchtigen würde, da dieser Mitgliedstaat die Möglichkeit, in eine Geburtsurkunde zwei Elternteile gleichen Geschlechts für dieses Kind einzutragen, nicht vorgesehen habe. Den Bestimmungen über die Abstammung des Kindes komme in der bulgarischen Verfassungstradition sowie in der bulgarischen Familien- und Erbrechtslehre sowohl rein rechtlich gesehen als auch unter Wertegesichtspunkten beim gegenwärtigen Entwicklungsstand der bulgarischen Gesellschaft grundlegende Bedeutung zu.
29 Daher hält es der Administrativen sad Sofia-grad (Verwaltungsgericht der Stadt Sofia) für erforderlich, einen Ausgleich zu finden zwischen der verfassungsrechtlichen und nationalen Identität der Republik Bulgarien einerseits und den Interessen des Kindes, insbesondere seinem Recht auf Privatleben und seinem Recht auf Freizügigkeit, andererseits.
30 Das vorlegende Gericht fragt sich, ob im vorliegenden Fall ein solcher Ausgleich durch die Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit hergestellt werden könnte, und insbesondere, ob es einen geeigneten Ausgleich zwischen diesen verschiedenen legitimen Interessen darstellen würde, wenn der Name einer der beiden Mütter, die in der von den spanischen Behörden ausgestellten Geburtsurkunde genannt werden, unter der Rubrik „Mutter“ angegeben würde, wobei dies entweder die leibliche Mutter des Kindes oder diejenige sein könne, die auf andere Weise, z. B. durch Adoption, Mutter geworden sei, und die Rubrik „Vater“ nicht ausgefüllt würde. Zwar könnte diese Lösung wegen eventueller Unterschiede zwischen der von den bulgarischen Behörden und der von den spanischen Behörden ausgestellten Geburtsurkunde auch zu gewissen Schwierigkeiten führen, doch ermöglichte sie so die Ausstellung einer Geburtsurkunde durch die bulgarischen Behörden; etwaige Hindernisse für die Freizügigkeit des Kindes würden dadurch beseitigt oder zumindest vermindert. Gleichwohl sei fraglich, ob diese Lösung mit dem in Art. 7 der Charta verankerten Recht des Kindes auf Privat- und Familienleben vereinbar wäre.
31 Für den Fall schließlich, dass der Gerichtshof zu dem Ergebnis gelangen sollte, dass das Unionsrecht die Eintragung der beiden Mütter des Kindes in die von den bulgarischen Behörden ausgestellte Geburtsurkunde verlangt, möchte das vorlegende Gericht wissen, wie diese Anforderung umzusetzen wäre, da das Gericht das in den auf nationaler Ebene geltenden Mustern für Personenstandsurkunden enthaltene Muster für eine Geburtsurkunde nicht durch ein anderes ersetzen könne.
32 Unter diesen Umständen hat der Administrativen sad Sofia-grad (Verwaltungsgericht der Stadt Sofia) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Sind die Art. 20 und 21 AEUV sowie die Art. 7, 24 und 45 der Charta dahin auszulegen, dass sie den bulgarischen Verwaltungsbehörden, bei denen ein Antrag auf Bescheinigung der in einem anderen Mitgliedstaat der Union erfolgten Geburt eines Kindes mit bulgarischer Staatsangehörigkeit gestellt wurde, die mit einer spanischen Geburtsurkunde, in der zwei Personen weiblichen Geschlechts als Mütter eingetragen sind, ohne nähere Angaben, ob eine und wenn ja, welche von ihnen die leibliche Mutter des Kindes sei, bescheinigt worden war, nicht gestatten, die Ausfertigung einer bulgarischen Geburtsurkunde mit der Begründung abzulehnen, dass die Klägerin sich weigere anzugeben, welche die leibliche Mutter des Kindes sei?
2. Sind Art. 4 Abs. 2 EUV und Art. 9 der Charta dahin auszulegen, dass die Wahrung der nationalen Identität und der Verfassungsidentität der Mitgliedstaaten der Union bedeutet, dass Letztere in Bezug auf die Vorschriften für die Feststellung der Abstammung über ein weites Ermessen verfügen? Im Einzelnen:
Ist Art. 4 Abs. 2 EUV dahin auszulegen, dass er es den Mitgliedstaaten gestattet, Informationen über die biologische Abstammung des Kindes zu verlangen?
Ist Art. 4 Abs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 7 und Art. 24 Abs. 2 der Charta dahin auszulegen, dass es unabdingbar ist, die nationale Identität und die Verfassungsidentität eines Mitgliedstaats einerseits und das Wohl des Kindes andererseits im Bestreben eines Interessenausgleichs gegeneinander abzuwägen, wobei zu berücksichtigen ist, dass derzeit weder in Bezug auf die Werte noch in rechtlicher Hinsicht ein Konsens über die Möglichkeit besteht, als Eltern in einer Geburtsurkunde Personen gleichen Geschlechts, ohne nähere Angaben, ob und wenn ja, wer von ihnen leiblicher Elternteil des Kindes ist, eintragen zu lassen? Falls diese Frage zu bejahen ist, wie könnte dieser Interessenausgleich konkret erzielt werden?
3. Sind die Rechtsfolgen des Austrittsabkommens insoweit von Bedeutung für die Beantwortung der ersten Frage, als die eine Mutter, die in der in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Geburtsurkunde angegeben ist, Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs, die andere Mutter Staatsangehörige eines Mitgliedstaats der Union ist, wenn man insbesondere berücksichtigt, dass die Weigerung der Ausfertigung einer bulgarischen Geburtsurkunde des Kindes ein Hindernis für die Ausstellung eines Identitätsnachweises des Kindes durch einen Mitgliedstaat der Union darstellt und dadurch gegebenenfalls die uneingeschränkte Ausübung seiner Rechte als Unionsbürger erschwert?
4. Falls die erste Frage bejaht wird: Verpflichtet das Unionsrecht, insbesondere der Effektivitätsgrundsatz, die zuständigen nationalen Behörden, von dem Muster für die Abfassung einer Geburtsurkunde, das Bestandteil der auf nationaler Ebene geltenden Muster für Personenstandsurkunden ist, abzuweichen?
Verfahren vor dem Gerichtshof
33 In seinem Vorabentscheidungsersuchen beantragt das vorlegende Gericht die Behandlung der Rechtssache im beschleunigten Verfahren nach Art. 105 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs. Es führt insbesondere aus, dass die Weigerung der bulgarischen Behörden, für S.D.K.A., die bulgarische Staatsangehörige sei, eine Geburtsurkunde auszustellen, diesem Kind die Erlangung eines bulgarischen Identitätsdokuments und damit die Ausübung seines in Art. 21 AEUV gewährleisteten Rechts, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, ernsthaft erschweren könnte.
34 Nach Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung kann der Präsident des Gerichtshofs auf Antrag des vorlegenden Gerichts oder ausnahmsweise von Amts wegen, nach Anhörung des Berichterstatters und des Generalanwalts, entscheiden, eine Vorlage zur Vorabentscheidung einem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen, wenn die Art der Rechtssache ihre rasche Erledigung erfordert.
35 Im vorliegenden Fall hat der Präsident des Gerichtshofs am 19. Oktober 2020 nach Anhörung des Berichterstatters und der Generalanwältin beschlossen, dem in Rn. 33 des vorliegenden Urteils genannten Antrag auf Durchführung eines beschleunigten Verfahrens stattzugeben. Diese Entscheidung wurde damit begründet, dass S.D.K.A., ein Kleinkind, derzeit keinen Reisepass habe, obwohl sie in einem Mitgliedstaat wohne, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitze. Da mit den Vorlagefragen geklärt werden soll, ob die bulgarischen Behörden verpflichtet sind, für dieses Kind eine Geburtsurkunde auszustellen, und aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervorgeht, dass eine solche Urkunde nach nationalem Recht erforderlich ist, um einen bulgarischen Reisepass erhalten zu können, kann eine rasch erfolgende Antwort des Gerichtshofs dazu beitragen, dass das Kind schneller über einen Reisepass verfügt (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 3. Juli 2015, Gogova, C‑215/15, nicht veröffentlicht, EU:C:2015:466, Rn. 12 bis 14).
Zu den Vorlagefragen
36 Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob ein Mitgliedstaat nach dem Unionsrecht verpflichtet ist, im Hinblick auf die Erlangung eines Identitätsdokuments gemäß seinen Rechtsvorschriften eine Geburtsurkunde für ein Kind auszustellen, das Staatsangehöriger dieses Mitgliedstaats ist und dessen Geburt in einem anderen Mitgliedstaat durch eine von den Behörden dieses anderen Mitgliedstaats nach dessen nationalem Recht ausgestellte Geburtsurkunde bescheinigt wird, in der eine Staatsangehörige des erstgenannten Mitgliedstaats und ihre Ehefrau als Mütter dieses Kindes bezeichnet werden, ohne die konkrete Angabe, welche der beiden Frauen das Kind geboren hat. Für den Fall, dass dies zu bejahen ist, stellt sich das vorlegende Gericht die Frage, ob es nach dem Unionsrecht erforderlich ist, dass diese Urkunde wie diejenige Urkunde, die von den Behörden des Mitgliedstaats ausgestellt worden ist, in dem das Kind geboren wurde, die Namen dieser beiden Frauen als Mütter nennt.
37 Das vorlegende Gericht möchte ferner wissen, ob sich der Umstand, dass die andere Mutter des Kindes Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs ist, das jetzt nicht mehr zu den Mitgliedstaaten zählt, in irgendeiner Weise auf die Beantwortung dieser Frage auswirkt.
38 Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Festlegung der Voraussetzungen für den Erwerb und den Verlust der Staatsangehörigkeit nach dem Völkerrecht in die Zuständigkeit der einzelnen Mitgliedstaaten fällt und die betreffenden nationalen Vorschriften in Situationen, die unter das Unionsrecht fallen, dieses Recht beachten müssen (Urteile vom 2. März 2010, Rottmann, C‑135/08, EU:C:2010:104, Rn. 39 und 41, sowie vom 12. März 2019, Tjebbes u. a., C‑221/17, EU:C:2019:189, Rn. 30).
39 Nach den Feststellungen des vorlegenden Gerichts, das insoweit allein zuständig ist, besitzt S.D.K.A. gemäß Art. 25 Abs. 1 der bulgarischen Verfassung kraft Geburt die bulgarische Staatsangehörigkeit.
40 Nach Art. 20 Abs. 1 AEUV ist Unionsbürger, wer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt. Folglich hat S.D.K.A. als bulgarische Staatsangehörige nach dieser Bestimmung den Status eines Unionsbürgers.
41 Insoweit hat der Gerichtshof wiederholt ausgeführt, dass der Status eines Unionsbürgers dazu bestimmt ist, der grundlegende Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten zu sein (Urteile vom 20. September 2001, Grzelczyk, C‑184/99, EU:C:2001:458, Rn. 31, und vom 15. Juli 2021, A [Öffentliche Gesundheitsversorgung], C‑535/19, EU:C:2021:595, Rn. 41).
42 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs kann sich ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats, der in seiner Eigenschaft als Unionsbürger von seinem Recht, sich in einem anderen Mitgliedstaat als seinem Herkunftsmitgliedstaat frei zu bewegen und aufzuhalten, Gebrauch gemacht hat, auf die mit dieser Eigenschaft verbundenen Rechte, insbesondere die in Art. 21 Abs. 1 AEUV vorgesehenen, berufen, und zwar gegebenenfalls auch gegenüber seinem Herkunftsmitgliedstaat (Urteil vom 5. Juni 2018, Coman u. a., C‑673/16, EU:C:2018:385, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung). Auf diese Bestimmung und die zu ihrer Durchführung erlassenen Vorschriften können sich auch die Unionsbürger berufen, die im Aufnahmemitgliedstaat ihrer Eltern geboren wurden und nie von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben (Urteil vom 2. Oktober 2019, Bajratari, C‑93/18, EU:C:2019:809, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).
43 Nach Art. 21 Abs. 1 AEUV hat jeder Unionsbürger das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten. Um ihren Staatsangehörigen die Ausübung dieses Rechts zu ermöglichen, sind die Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 verpflichtet, ihren Staatsangehörigen gemäß ihren Rechtsvorschriften einen Personalausweis oder einen Reisepass auszustellen, der ihre Staatsangehörigkeit angibt.
44 Da S.D.K.A. bulgarische Staatsangehörige ist, sind die bulgarischen Behörden mithin verpflichtet, ihr einen Personalausweis oder Reisepass auszustellen, der ihre Staatsangehörigkeit und ihren Nachnamen angibt, wie er sich aus der von den spanischen Behörden ausgestellten Geburtsurkunde ergibt. Denn der Gerichtshof hat bereits festgestellt, dass Art. 21 AEUV dem entgegensteht, dass die Behörden eines Mitgliedstaats es unter Anwendung ihres nationalen Rechts ablehnen, den Nachnamen eines Kindes anzuerkennen, der in einem anderen Mitgliedstaat bestimmt und eingetragen wurde, in dem dieses Kind geboren wurde und seitdem wohnt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 14. Oktober 2008, Grunkin und Paul, C‑353/06, EU:C:2008:559, Rn. 39).
45 Ferner ist darauf hinzuweisen, dass Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 die bulgarischen Behörden verpflichtet, für S.D.K.A. einen Personalausweis oder Reisepass unabhängig davon auszustellen, ob für dieses Kind eine neue Geburtsurkunde erstellt wird. Soweit das bulgarische Recht die Ausstellung einer bulgarischen Geburtsurkunde vor Ausstellung eines bulgarischen Personalausweises oder Reisepasses verlangt, kann sich dieser Mitgliedstaat somit nicht auf sein nationales Recht berufen, um die Ausstellung eines solchen Personalausweises oder Reisepasses für S.D.K.A. zu verweigern.
46 Ein solches Dokument – für sich allein oder in Verbindung mit anderen Dokumenten, gegebenenfalls einem vom Aufnahmemitgliedstaat des Kindes ausgestellten Dokument – muss es einem Kind, das sich in einer Situation wie der von S.D.K.A. befindet, ermöglichen, sein in Art. 21 Abs. 1 AEUV gewährleistetes Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, mit jeder seiner beiden Mütter auszuüben, deren Status als Elternteil dieses Kindes während eines Aufenthalts im Einklang mit der Richtlinie 2004/38 durch ihren Aufnahmemitgliedstaat festgestellt wurde.
47 Es ist darauf hinzuweisen, dass zu den Rechten, die den Staatsangehörigen von Mitgliedstaaten in Art. 21 Abs. 1 AEUV gewährleistet werden, ihr Recht gehört, sowohl im Aufnahmemitgliedstaat als auch, wenn sie dorthin zurückkehren, in dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie besitzen, ein normales Familienleben zu führen, indem sie dort mit ihren Familienangehörigen zusammenleben (Urteil vom 5. Juni 2018, Coman u. a., C‑673/16, EU:C:2018:385, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).
48 Unstreitig haben im Ausgangsverfahren die spanischen Behörden ein biologisches oder rechtliches Abstammungsverhältnis zwischen S.D.K.A. und ihren beiden Elternteilen, V.M.A. und K.D.K., rechtmäßig festgestellt und dies in der für deren Kind ausgestellten Geburtsurkunde bescheinigt. V.M.A. und K.D.K. muss daher in Anwendung von Art. 21 AEUV und der Richtlinie 2004/38 als Eltern eines minderjährigen Unionsbürgers, für den sie tatsächlich sorgen, von allen Mitgliedstaaten das Recht zuerkannt werden, sich bei diesem aufzuhalten, wenn er sein Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, ausübt (vgl. entsprechend Urteil vom 13. September 2016, Rendón Marín, C‑165/14, EU:C:2016:675, Rn. 50 bis 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).
49 Daher sind die bulgarischen Behörden wie die Behörden jedes anderen Mitgliedstaats verpflichtet, dieses Abstammungsverhältnis anzuerkennen, um es S.D.K.A., da diese nach den Angaben des vorlegenden Gerichts die bulgarische Staatsbürgerschaft besitzt, zu ermöglichen, ihr in Art. 21 Abs. 1 AEUV gewährleistetes Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, ungehindert mit jedem ihrer beiden Elternteile auszuüben.
50 Damit S.D.K.A. ihr Recht, sich mit jedem ihrer beiden Elternteile im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, tatsächlich ausüben kann, ist es darüber hinaus erforderlich, dass V.M.A. und K.D.K. über ein Dokument verfügen können, in dem sie als zur Reise mit diesem Kind berechtigte Personen aufgeführt sind. Im vorliegenden Fall sind die Behörden des Aufnahmemitgliedstaats am besten in der Lage, ein solches Dokument auszustellen, das aus der Geburtsurkunde bestehen kann. Die übrigen Mitgliedstaaten sind zur Anerkennung dieses Dokuments verpflichtet.
51 Zwar sieht Art. 9 der Charta, wie das vorlegende Gericht ausgeführt hat, vor, dass das Recht, eine Ehe einzugehen, und das Recht, eine Familie zu gründen, nach den einzelstaatlichen Gesetzen gewährleistet werden, welche die Ausübung dieser Rechte regeln.
52 Beim derzeitigen Stand des Unionsrechts fällt das Personenstandsrecht, zu dem die Regelungen über die Ehe und die Abstammung gehören, in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, und das Unionsrecht lässt diese Zuständigkeit unberührt. Den Mitgliedstaaten steht es daher frei, in ihrem nationalen Recht für Personen gleichen Geschlechts die Ehe und die Elternschaft vorzusehen oder nicht vorzusehen. Bei der Ausübung dieser Zuständigkeit müssen die Mitgliedstaaten jedoch das Unionsrecht und insbesondere die Bestimmungen des AEU-Vertrags über die jedem Unionsbürger zuerkannte Freiheit, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zu bewegen und aufzuhalten, beachten und hierzu den in einem anderen Mitgliedstaat nach dessen Recht festgestellten Personenstand anerkennen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Juni 2018, Coman u. a., C‑673/16, EU:C:2018:385, Rn. 36 bis 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).
53 In diesem Zusammenhang möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof wissen, ob Art. 4 Abs. 2 EUV die Weigerung der bulgarischen Behörden rechtfertigen könnte, eine Geburtsurkunde für S.D.K.A. und mithin einen Personalausweis oder Reisepass für dieses Kind auszustellen. Das vorlegende Gericht führt u. a. aus, dass eine etwaige Verpflichtung der Behörden, eine Geburtsurkunde auszustellen, in der als Eltern dieses Kindes zwei Personen weiblichen Geschlechts genannt würden, die öffentliche Ordnung und die nationale Identität der Republik Bulgarien beeinträchtigen könnte, da die bulgarische Verfassung und das bulgarische Familienrecht die Elternschaft zweier Personen gleichen Geschlechts nicht vorsähen.
54 Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die Union nach Art. 4 Abs. 2 EUV die jeweilige nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten achtet, die in ihren grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen zum Ausdruck kommt.
55 Des Weiteren hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass der Begriff der „öffentlichen Ordnung“, wenn er eine Ausnahme von einer Grundfreiheit rechtfertigen soll, eng zu verstehen ist, so dass seine Tragweite nicht von jedem Mitgliedstaat einseitig ohne Nachprüfung durch die Unionsorgane bestimmt werden darf. Folglich ist eine Berufung auf die öffentliche Ordnung nur möglich, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (Urteil vom 5. Juni 2018, Coman u. a., C‑673/16, EU:C:2018:385, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).
56 Wie die Generalanwältin in den Nrn. 150 und 151 ihrer Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, widerspricht die Pflicht eines Mitgliedstaats, einem Kind mit der Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats, das in einem anderen Mitgliedstaat geboren wurde und dessen von den Behörden dieses anderen Mitgliedstaats ausgestellte Geburtsurkunde zwei Personen desselben Geschlechts als seine Eltern ausweist, einen Personalausweis oder einen Reisepass auszustellen und das Abstammungsverhältnis zwischen diesem Kind und jeder dieser beiden Personen im Rahmen der Ausübung seiner Rechte aus Art. 21 AEUV und den damit zusammenhängenden Sekundärrechtsakten anzuerkennen, weder der nationalen Identität noch der öffentlichen Ordnung dieses Mitgliedstaats.
57 Diese Pflicht bedeutet nämlich nicht, dass der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehöriger das Kind ist, in seinem nationalen Recht die Elternschaft von Personen gleichen Geschlechts vorsehen müsste oder das Abstammungsverhältnis zwischen dem Kind und den Personen, die in der von den Behörden des Aufnahmemitgliedstaats ausgestellten Geburtsurkunde als seine Eltern genannt sind, zu anderen Zwecken als der Ausübung der diesem Kind aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte anerkennen müsste (vgl. entsprechend Urteil vom 5. Juni 2018, Coman u. a., C‑673/16, EU:C:2018:385, Rn. 45 und 46).
58 Zu ergänzen ist, dass eine nationale Maßnahme, die geeignet ist, die Ausübung der Personenfreizügigkeit zu beschränken, nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn sie mit den durch die Charta verbürgten Grundrechten vereinbar ist, deren Beachtung der Gerichtshof sichert (Urteil vom 5. Juni 2018, Coman u. a., C‑673/16, EU:C:2018:385, Rn. 47).
59 In der Situation, die Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist, sind das in Art. 7 der Charta gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens sowie die in Art. 24 der Charta gewährleisteten Rechte des Kindes, insbesondere das Recht auf Berücksichtigung seines Wohls als eine vorrangige Erwägung bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen sowie der Anspruch auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen, von grundlegender Bedeutung.
60 Insoweit geht aus den Erläuterungen zur Charta der Grundrechte (ABl. 2007, C 303, S. 17) hervor, dass nach Art. 52 Abs. 3 der Charta die in deren Art. 7 verbürgten Rechte die gleiche Bedeutung und Tragweite haben wie die Rechte aus Art. 8 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten.
61 Aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte geht hervor, dass es sich bei der Frage, ob ein „Familienleben“ besteht, um die tatsächliche Frage handelt, ob enge persönliche Bindungen wirklich und tatsächlich vorhanden sind, und dass das Zusammenleben eines Elternteils mit seinem Kind ein wesentliches Element des Familienlebens ist (EGMR, 12. Juli 2001, K. und T./Finnland, CE:ECHR:2001:0712JUD002570294, §§ 150 und 151). Außerdem ergibt sich, wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, aus dieser Rechtsprechung, dass die von einem homosexuellen Paar geführte Beziehung genauso unter die Begriffe „Privatleben“ und „Familienleben“ fallen kann wie die Beziehung eines sich in derselben Situation befindlichen verschiedengeschlechtlichen Paares (Urteil vom 5. Juni 2018, Coman u. a., C‑673/16, EU:C:2018:385, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).
62 Daher steht, wie die Generalanwältin in Nr. 153 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, die Beziehung zwischen dem Kind und jeder der beiden Personen, mit denen es ein tatsächliches Familienleben im Aufnahmemitgliedstaat führt und die in der von dessen Behörden ausgestellten Geburtsurkunde als seine Eltern genannt sind, unter dem Schutz von Art. 7 der Charta.
63 Außerdem ist, wie in Rn. 59 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, das in Art. 7 der Charta verankerte Recht auf Achtung des Familienlebens in Verbindung mit der Pflicht zu verstehen, das in Art. 24 Abs. 2 der Charta anerkannte Wohl des Kindes zu berücksichtigen. Da Art. 24 der Charta ausweislich der Erläuterungen zur Charta der Grundrechte die wichtigsten Rechte des Kindes, die in dem von allen Mitgliedstaaten ratifizierten Übereinkommen über die Rechte des Kindes verankert sind, in das Unionsrecht integriert, ist bei der Auslegung dieses Artikels den Bestimmungen dieses Übereinkommens gebührend Rechnung zu tragen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. Februar 2008, Dynamic Medien, C‑244/06, EU:C:2008:85, Rn. 39, und vom 11. März 2021, État belge [Rückkehr des Elternteils eines Minderjährigen], C‑112/20, EU:C:2021:197, Rn. 37).
64 Insbesondere stellt Art. 2 dieses Übereinkommens für das Kind den Grundsatz der Nichtdiskriminierung auf, der verlangt, dass dem Kind die in diesem Übereinkommen genannten Rechte, zu denen das in Art. 7 des Übereinkommens verbürgte Recht gehört, nach seiner Geburt in ein Register eingetragen zu werden, einen Namen zu haben und eine Staatsangehörigkeit zu erwerben, gewährleistet werden, ohne dass es insoweit, auch nicht wegen der sexuellen Orientierung seiner Eltern, Diskriminierung erfährt.
65 Unter diesen Umständen verstieße es gegen die dem Kind in den Art. 7 und 24 der Charta gewährleisteten Grundrechte, ihm die Beziehung zu einem seiner Elternteile im Rahmen der Ausübung seines Rechts, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, vorzuenthalten oder ihm die Ausübung dieses Rechts faktisch unmöglich zu machen oder übermäßig zu erschweren, weil seine Eltern gleichen Geschlechts sind.
66 Schließlich ist der Umstand, dass einer der Elternteile des Kindes eine Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs ist, das jetzt nicht mehr zu den Mitgliedstaaten zählt, insoweit ohne Bedeutung.
67 Im Übrigen ist für den Fall, dass S.D.K.A. nach einer Überprüfung nicht die bulgarische Staatsangehörigkeit besitzen sollte, darauf hinzuweisen, dass K.D.K. und S.D.K.A. unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit und unabhängig davon, ob sie selbst Unionsbürger sind, von allen Mitgliedstaaten als Ehegatte bzw. Verwandte in gerader absteigender Linie im Sinne von Art. 2 Nr. 2 Buchst. a und c der Richtlinie 2004/38 und folglich als Familienangehörige von V.M.A. anzusehen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Juni 2018, Coman u. a., C‑673/16, EU:C:2018:385, Rn. 36 und 51).
68 Ein minderjähriges Kind, dessen Unionsbürgerschaft nicht festgestellt ist und dessen von den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats ausgestellte Geburtsurkunde als seine Eltern zwei Personen gleichen Geschlechts angibt, von denen eine Unionsbürgerin ist, ist nämlich für die Ausübung der in Art. 21 Abs. 1 AEUV und den damit zusammenhängenden Sekundärrechtsakten verliehenen Rechte von allen Mitgliedstaaten als Verwandter in gerader absteigender Linie dieser Unionsbürgerin im Sinne der Richtlinie 2004/38 anzusehen.
69 Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 4 Abs. 2 EUV, die Art. 20 und 21 AEUV sowie die Art. 7, 24 und 45 der Charta in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 dahin auszulegen sind, dass im Fall eines minderjährigen Kindes, das Unionsbürger ist und dessen von den zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats ausgestellte Geburtsurkunde zwei Personen gleichen Geschlechts als seine Eltern bezeichnet, der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehöriger dieses Kind ist, zum einen verpflichtet ist, ihm einen Personalausweis oder Reisepass auszustellen, ohne die vorherige Ausstellung einer Geburtsurkunde durch seine nationalen Behörden zu verlangen, sowie zum anderen ebenso wie jeder andere Mitgliedstaat das aus dem Aufnahmemitgliedstaat stammende Dokument anzuerkennen hat, das es diesem Kind ermöglicht, mit jeder dieser beiden Personen sein Recht auszuüben, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten.
Kosten
70 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:
Art. 4 Abs. 2 EUV, die Art. 20 und 21 AEUV sowie die Art. 7, 24 und 45 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG sind dahin auszulegen, dass im Fall eines minderjährigen Kindes, das Unionsbürger ist und dessen von den zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats ausgestellte Geburtsurkunde zwei Personen gleichen Geschlechts als seine Eltern bezeichnet, der Mitgliedstaat, dessen Staatsangehöriger dieses Kind ist, zum einen verpflichtet ist, ihm einen Personalausweis oder Reisepass auszustellen, ohne die vorherige Ausstellung einer Geburtsurkunde durch seine nationalen Behörden zu verlangen, sowie zum anderen ebenso wie jeder andere Mitgliedstaat das aus dem Aufnahmemitgliedstaat stammende Dokument anzuerkennen hat, das es diesem Kind ermöglicht, mit jeder dieser beiden Personen sein Recht auszuüben, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten.
Unterschriften
(*1) Verfahrenssprache: Bulgarisch.
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"Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 6. Oktober 2021.#Verfahren auf Betreiben von W.Ż.#Vora(...TRUNCATED) |
62019CJ0487
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ECLI:EU:C:2021:798
| 2021-10-06T00:00:00 |
Gerichtshof, Tanchev
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Sammlung der Rechtsprechung – allgemein
| "62019CJ0487\nURTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)\n6. Oktober 2021 (*1)\n„Vorlage zur Vorabe(...TRUNCATED) |
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"Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 20. März 2018.#Garlsson Real Estate SA u. a. gegen Com(...TRUNCATED) |
62016CJ0537
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ECLI:EU:C:2018:193
| 2018-03-20T00:00:00 |
Gerichtshof, Campos Sánchez-Bordona
| "Sammlung der Rechtsprechung – allgemein – Abschnitt „Informationen über nicht veröffentlich(...TRUNCATED) | "62016CJ0537\nURTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)\n20. März 2018 (*1)\n„Vorlage zur Voraben(...TRUNCATED) |
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"Beschluss des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 6. September 2017.#Peter Schotthöfer & Florian Stein(...TRUNCATED) |
62015CO0473
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ECLI:EU:C:2017:633
| 2017-09-06T00:00:00 |
Bot, Gerichtshof
| "62015CO0473\nBESCHLUSS DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)\n6. September 2017 (*1)\n„Vorlage zur Vo(...TRUNCATED) |
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"Urteil des Gerichtshofs (Zweite Kammer) vom 29. Juli 2024.#Belgian Association of Tax Lawyers u. a.(...TRUNCATED) |
62022CJ0623
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ECLI:EU:C:2024:639
| 2024-07-29T00:00:00 |
Emiliou, Gerichtshof
| "Sammlung der Rechtsprechung – allgemein – Abschnitt „Informationen über nicht veröffentlich(...TRUNCATED) | "62022CJ0623\nURTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)\n29. Juli 2024 (*1)\n„Vorlage zur Vorabent(...TRUNCATED) |
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"Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 15. Juli 2021.#CG gegen The Department for Communities (...TRUNCATED) |
62020CJ0709
|
ECLI:EU:C:2021:602
| 2021-07-15T00:00:00 |
Richard de la Tour, Gerichtshof
| "62020CJ0709\nURTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)\n15. Juli 2021 (*1)\n„Vorlage zur Vorabent(...TRUNCATED) |
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"Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 6. Oktober 2020.#État luxembourgeois gegen B und État(...TRUNCATED) |
62019CJ0245
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ECLI:EU:C:2020:795
| 2020-10-06T00:00:00 |
Gerichtshof, Kokott
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Sammlung der Rechtsprechung – allgemein
| "62019CJ0245\nURTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)\n6. Oktober 2020 (*1) (i\n)\n„Vorlage zur(...TRUNCATED) |
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"Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 20. März 2018.#Strafverfahren gegen Luca Menci.#Vorabe(...TRUNCATED) |
62015CJ0524
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ECLI:EU:C:2018:197
| 2018-03-20T00:00:00 |
Campos Sánchez-Bordona, Gerichtshof
| "Sammlung der Rechtsprechung – allgemein – Abschnitt „Informationen über nicht veröffentlich(...TRUNCATED) | "62015CJ0524\nURTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)\n20. März 2018 (*1)\n„Vorlage zur Voraben(...TRUNCATED) |
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"Urteil des Gerichtshofs (Siebte Kammer) vom 5. Juni 2025.#RL u. a. gegen Curtea de Apel Bucureşti.(...TRUNCATED) |
62023CJ0762
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ECLI:EU:C:2025:400
| 2025-06-05T00:00:00 |
Gerichtshof, Spielmann
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Sammlung der Rechtsprechung – allgemein
| "62023CJ0762\nURTEIL DES GERICHTSHOFS (Siebte Kammer)\n5. Juni 2025 (*1)\n„Vorlage zur Vorabents(...TRUNCATED) |
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