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Vermisst: Festnahme im Fall Adelina
Bremen - Der von der Bremer Polizei im Fall derverschwundenen Adelina festgenommene Mann ist 31 Jahre alt. Er gehöre zum unmittelbaren familiären Umfeld, teilte die Polizei mit. Seine Festnahme sei bereits amvergangenen Dienstag erfolgt, hieß es.Gegen den 31-Jährigen sei Haftbefehlerlassen worden. Die neue Situation bedeute jedoch nicht, dass einDurchbruch in der Aufklärung des Falles gelungen sei, betonte diePolizei. Es sei aber durchaus möglich, dass das Kind noch lebe. Die zehnjährige Tochter einer Deutschrussin wird seit dem 28. Juni vermisst. Nachunbestätigten Informationen handelt es sich bei dem Festgenommenenum den Stiefvater des Mädchens. Im Zuge der intensiven Ermittlungen haben sich dem Polizeiberichtzufolge zunehmend Verdachtsmomente gegen den Festgenommenen ergeben,die nun überprüft werden müssten. Weitere Informationen würden "ausakut ermittlungstaktischen Gründen" nicht gegeben, hieß es. Nach wievor würde auch in andere Richtungen ermittelt. Unter anderem werdegeprüft, ob die versuchte Entführung einer 13 Jahre alten Schülerinin Hatten bei Oldenburg am vergangenen Dienstag mit dem Verschwindenvon Adelina in einem Zusammenhang stehe. Näheres soll auf einerPressekonferenz an diesem Freitag mitgeteilt werden.
Seit Ende Juni ist die zehnjährige Adelina aus Bremen verschwunden. Nun besteht Hoffnung, dass das Mädchen noch lebt.
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Panorama
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2001-07-19T11:27:39+02:00
2001-07-19T11:27:39+02:00
https://www.spiegel.de/panorama/vermisst-festnahme-im-fall-adelina-a-145966.html
Alicudi bei Sizilien: Auf dieser italienischen Insel gibt es Ziegen zum Mitnehmen
Es sind einfach zu viele: Auf der kleinen italienischen Insel Alicudi ist der Platz begrenzt. Also buchstäblich. Rund 100 Menschen wohnen hier, mit ihnen in der Regel lange um die 100 Ziegen. Nur wurde offenbar der Fortpflanzungstrieb der Tiere unterschätzt. Inzwischen sollen rund 600 Ziegen auf der Insel leben. Zu viele, wie Bürgermeister Riccardo Gullo dem US-Sender CNN sagte . Sie dringen demnach in Häuser ein, fressen alles, was sie in öffentlichen Parks und privaten Gärten finden können. Die Ziegen sollen weg. Zumindest die meisten. Nur eine Idee zur Lösung des Problems hatten sie auf der Liparischen Insel lange nicht. Bis jetzt. Gullo hat zur Ziegenadoption aufgerufen. Jeder ist eingeladen, ein Exemplar oder sogar Exemplare abzuholen. Nachweise, dass man etwas über die Zucht oder die Haltung der Tiere weiß, brauche man nicht. Man benötige nur ein Boot, um die Tiere von der Insel zu bringen, sagte Gullo. Und im Zweifel etwas Geduld, denn die Tiere müssen selbst eingefangen werden. Auch andere Medien berichten darüber. Interessierte für bis zu 50 Ziegen können bis zum 10. April einen Antrag bei der Gemeinde stellen, per E-Mail an die Behörde senden und eine Stempelgebühr von 16 Euro zahlen. 15 Tage sollen sie dann Zeit haben, die Tiere einzufangen und von der Insel zu bringen. Ganz so einfach scheint das nicht, die felsige Insel hat nämlich einen großen Vulkankegel.Ein paar dürfen bleibenDer Bürgermeister kündigte schon an, dass man die Frist verlängern wolle, bis fast alle Ziegen ein neues Zuhause oder auch ihren Gnadenhof gefunden haben. Laut Gullo würde man es zwar begrüßen, wenn die Tiere nicht geschlachtet würden. Die Absichten der Abnehmer werde man aber nicht genau prüfen. Ein paar Ziegen sollen bleiben. Denn eigentlich gehören sie zur touristischen Attraktion der Vulkaninsel, sind eine Art Wahrzeichen geworden, seit sie vor etwa 20 Jahren von einem Landwirt auf die Insel gebracht wurden.Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels war das Foto einer Gämse zu sehen, dabei geht es um Ziegen. Wir haben das Bild getauscht.
hba
Auf der kleinen italienischen Insel Alicudi sind die Ziegen los. Die Population hat sich vervielfacht, inzwischen werden die Wahrzeichen zum Problem. Der Bürgermeister will es mit einer sehr speziellen Kampagne lösen.
[ "Italien" ]
Panorama
Gesellschaft
2024-04-05T11:27:00+02:00
2024-04-05T11:27:00+02:00
https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/italien-auf-alicudi-in-sizilien-gibt-es-ziegen-zum-mitnehmen-a-d0331f79-eada-4884-8a46-2128e2dd2cde
Game of Thrones: David Peterson lehrt Spracherfindung in Berkeley
Was willst du denn damit einmal anfangen? Die Frage kennen selbst Studenten von Fächern, die eine nennenswerte Rolle am Arbeitsmarkt spielen, etwa in den Sozialwissenschaften. Wer sich aber für einen Kurs in Spracherfindung einschreibt, sollte auf jeden Fall gewappnet sein: Wofür studierst du das? David J. Peterson wird im Sommersemester an der Uni von Berkeley den Kurs "The Language of Game of Thrones and the Art of Language Creation" anbieten . Das Interesse unter den Linguistik-Studenten dürfte groß sein, denn Peterson liefert die Antwort auf die Sinnfrage des Fachs mit seiner Person selbst. Der Linguist, der vor 16 Jahren selbst noch in Berkeley Linguistik studiert hat, hat gleich zwei Sprachen für die Fernsehserie "Game of Thrones" entwickelt. Immer, wenn in der Serie Dothraki gesprochen wird, dann hat Peterson sich die Vokabeln ausgedacht, die Grammatikregeln erstellt. Da wird nicht einfach Kauderwelsch gebrabbelt, sondern die Schauspieler müssen ihren Text in dieser neuen und voll funktionsfähigen Fremdsprache lernen. Vor drei Jahren bereits hat Peterson einen 128 Seiten starken Sprachführer samt einstündiger CD herausgegeben. Und dabei ist es nicht geblieben: Inzwischen ist er für die Macher verschiedener Serien erster Ansprechpartner, wenn es um neue Sprachen geht. Für "Defiance" vom Syfy Channel hat er vier Sprachen entwickelt sowie jeweils eine für die "Shannara Chronicles" von MTV, "Emerald City" von NBC und "Penny Dreadful" von Showtime. Seinen Kurs vergleicht er mit einem Kunstseminar. Eine neue Sprache stehe als Kunstwerk für sich, könne aber auch Grundlage für weitere künstlerische Schöpfungen sein. Außerdem lerne man in diesem Kurs viel darüber, wie Sprachen aufgebaut sind und welche Probleme die Sprecher bei der Sprachentwicklung meistern müssen. Peterson selbst spricht unter anderem Englisch, Spanisch, Französisch, Deutsch, Russisch, Esperanto und Arabisch. Dothraki beschreibt er als Mischung aus Arabisch und Spanisch.
mamk
David J. Peterson lebt davon, Sprachen zu erfinden - unter anderem Dothraki für "Game of Thrones". Demnächst wird er seine Kunst an der Eliteuni Berkeley unterrichten.
[ "Hochschullehrer" ]
Job & Karriere
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2017-04-27T17:51:00+02:00
2017-04-27T17:51:00+02:00
https://www.spiegel.de/karriere/game-of-thrones-david-peterson-lehrt-spracherfindung-in-berkeley-a-1145165.html
Simples Ende?
Wann genau Friedrich Georg Joachim Conrad aus Leipzig beschloß, Verleger zu werden, ist sein Geheimnis. Er war tätig in Antiquitäten- und Investmentgeschäften, handelte mit Lizenzen und Verlagsobjekten, war Orchesteragent und PR-Mann: Ein Tausendsassa mit wechselndem Glück und gelegentlich hohen Schulden -- ständig vermittelnd, gründend, kaufend und verkaufend. S.273 Noch heute unterhält er unter dem Signum »cct« ein Unternehmen in London, wohl mehr eine Briefkasten-Firma, neuerdings mit einer deutschen Dependance im Frankfurter Westend. Nach Kairo verlegte er sein Glanzstück: Er erfand Gedenkmedaillen für die Sängerin Umm Kultum (SPIEGEL 7/1975), die panarabische Piaf vom Nil (Nasser: »Meine Geheimwaffe"), und verhökerte davon angeblich 1,2 Millionen Stück. Slogan: »Umm has the golden voice, Conrad has the golden coins.« Der Nachweis steht aus. Auch von Conrads engen Kontakten zum saudi-arabischen Königshaus weiß jedenfalls der »Doyen« der deutschen Nahost-Korrespondenten, Heinrich Kaster, nichts: »Den Namen hab' ich nie gehört.« Deutsche Geschäftspartner raunen: »Conrad hat sich im Orient angewöhnt, seine Schneiderrechnung nicht zu bezahlen. Aber er ist ein faszinierender Mann. Sie müssen ihn kennenlernen.« Auch als Verleger reklamiert Conrad Meriten: Er will die Gattung des Postermagazins als neuartiges Medium erfunden haben. Unstrittig ist nur: Er vermittelte dem Grossisten Hans Bachmann aus Bad Vilbel die Rechte für die deutschsprachige »Playgirl«-Ausgabe. Ein Hallodri oder ein genialer Impresario? Sein Lebenswerk möchte der kosmopolitische Glücksritter nun ausgerechnet damit krönen, »dem deutschen Leser das Lachen wiederzugeben«, durch Wiederbelebung eines »prominenten S.274 Namens« der deutschen Satire -- des »Simplicissimus«. Zum Vergnügen der Branche steht er mit diesem Wunsch nicht allein. Seit 1967 nämlich vergeht kaum ein Jahr, da nicht aus irgendeiner Ecke der Republik Anspruch auf den traditionsreichen Zeitschriften-Namen erhoben wird. Die Sachlage gleicht einem Irrgarten. Zum illustren Kreis der Titelanwärter gehören oder gehörten: * das breitgefächerte Münchner Verlagsimperium des Herbert Fleissner (Langen-Müller, Herbig, Nymphenburger und andere); * die Süddeutsche Verlagsgruppe ("Süddeutsche Zeitung«, Südwest Verlag, List Verlag und andere); * der Münchner Zeitungs-Verlag ("Münchner Merkur«, »tz"); * der Hamburger Zeitschriftenplaner Wolfgang Bieler, neben Bachmann Mitinhaber der Frankfurter Condor Print & Verlags GmbH + Co. KG (rund 50 Periodika); * dessen Konkurrent Gerhard Sondermann, Inhaber des Hamburger Fachverlages und Mehrheitsgesellschafter bei »Titanic«; * die Wiesbadener Verlagsunion, eine Tochter des Hamburger Heinrich-Bauer-Konzerns (Vertrieb von 222 Periodika); * der Branchenberater und Informationshändler Bodo Harenberg ("Buch-report"). Seit 1976 wittern die Branchenfüchse wieder Morgenluft für Satire. Und einige haben inzwischen auch gehandelt. Sondermann riskierte die sicher spektakulärste Neugründung auf dem Satire-Markt, »Titanic«; Bachmann baute mit Geld und neuer Konzeption »Kaputt-Klimbim« aus, weshalb Kollegen ihm seine gegenwärtige »Simpl«-Enthaltsamkeit nicht abnehmen. Verleger Klaus Recht hat das rüde »Mad« zur erfolgreichen deutschen Jugendzeitschrift aufgemöbelt. Hans A. Nikel, Herausgeber des ergrauten »Pardon« (gegründet 1962), war dieser Nach-Apo-Satire-Generation nicht gewachsen: »Opa Nikel« hat sich in den melancholischen Höhenflug der »Transzendentalen Meditation« zurückgezogen. Den wackeren Neu-Verleger und »Simplicissimus«-Wiedertäufer Conrad dagegen kann die aufmarschierte Konkurrenz nicht schrecken. Er setzt auf Überrumpelung. Ohne sich länger um die prekäre »Simpl«-Rechtslage zu scheren, gründete er mit lächerlichen 20 000 Mark eine neue Simplicissimus Verlag GmbH, Sitz: Frankfurt am Main, Westend. Anzeigen in Fach- und Publikumspresse suchten: »die besten Journalisten, S.275 die besten Karikaturisten, die besten Illustratoren«. An Setzer, Drucker und einen Vertrieb ergingen Aufträge; zwei freiberufliche »Redaktionsleiter« aus dem Werbefach akquirierten Texte und Zeichnungen und entwarfen nach dem Vorbild des US-Intellektuellen-Magazins »The New Yorker« das Gesicht des neuen »Simplicissimus«. Doch gar so intellektuell wird das Unternehmen nicht angegangen, und auch nicht allzu professionell. Conrad arbeitet erst einmal mit Amateuren. Sein edel gedrucktes 100-Seiten-Heft wird von Kunst-Studenten und Hobby-Zeichnern zusammengetragen und hat in der ersten Nummer nur zwanzig unbezahlte »Nostalgie-Anzeigen, von Persil undsoweiter«. Die Mitarbeiter treffen sich mit Schülerzeitungs-Pathos in der noblen Bürgervilla zum Brainstorming und nehmen, nach des Verlegers Wunsch und Willen, »die Welt mal auf die leichte Schulter«. Denn mit Politik will Weltenbürger Conrad in seinem »Simplicissimus« »überhaupt nichts zu tun haben«. Der neue »Simpl« wird ein Schmunzelblatt. Ende dieses Monats erscheint die erste Nummer, in einer Auflage, so Conrad, von 100 000 Stück, zum Preis von sechs Mark, vorerst monatlich, ab Herbst -- wenn alles klappt -- wöchentlich. Der Spott der Zunft über diesen Parforce-Ritt wich schnell pragmatischen Erwägungen, nicht ohne Zynismus: Conrad, so spekulieren selbst seine Geschäftsfreunde, ist im Poker um den begehrten »Simpl« jedenfalls ein »Katalysator der Rechtslage«. Denn mancher der zahlreichen Titel-Stürmer ahnt, daß seine verbrieften Rechte und Ansprüche nicht mehr wert sind als das Papier, auf dem sie stehen; und daß er, schlimmer noch, allenfalls David ist vor einem wartenden Goliath S.276 -- der deutschen Industrie, verkörpert im Kölner Informedia-Verlag, Geschäftsführer: Klaus Kunkel. Die Kölner traten als »Simpl«-Aspiranten schon in einer »ranchendienst-Meldung vom 18. März 1976 in Erscheinung: Ein » » Industrie-Simpl scheint zu werden, was gegenwärtig zwischen » » Köln und München ausgebrütet wird. Die Titelrechte des alten » » »Simplicissimus« ... waren zum 1. 1. 76 frei, und es bediente » » sich Klaus Kunkel, ein vielbeschäftigter Mann: » » Verlagskoordinator des Instituts der deutschen Wirtschaft, » » Verlagsleiter des Deutschen Instituts-Verlags, » » Geschäftsführender Gesellschafter des Informedia-Verlags, » » alle in Köln. Kunkel gründete eine neue Simpl Verlag GmbH mit » » der Informedia Verlag GmbH als Gesellschafter. Es trifft » » sich, daß Maria Saare, letzte Geschäftsführerin des alten » » Münchner Simpl-Verlags, in der Informedia-Geschäftsleitung » » sitzt. Im Herbst soll an einer Simplicissimus-Ausgabe erprobt » » werden, ob sich der ehrwürdige Titel noch einmal zu einer » » Dauereinrichtung machen läßt. » Als Chefredakteur des angekündigten »Industrie-Simpl« wurde im Wahljahr 1976 der ehemalige stellvertretende »Quick«-Chefredakteur und zwischenzeitliche Springer-Mann Egon Fein genannt. Informedia-Chef Kunkel hatte schon einmal zur Bundestagswahl, 1972, eine Zeitschrift herausgebracht: »aktiv«. Sie sollte, so Kunkel, »langfristige Öffentlichkeitsarbeit für Unternehmer« betreiben. Kunkel befand: »Kein Kampfblatt«; ungefragt belieferte Arbeitnehmer: »Ein Arschwisch.« Das Haus des solchermaßen eingeführten Zeitschriftenaktivisten ist heute Inhaber des Warenzeichens »Simplicissimus«, eingetragen beim Deutschen Patentamt in München, Rolle Nr. 954 411. Kunkel wähnt sich damit als Titan gegenüber allen anderen »Simpl«-Interessenten. Bisher hat er von seinem Warenzeichen keinen Gebrauch gemacht. Aber immerhin: Ein Unternehmer-Ideologe als Halter jener berühmten roten Dogge, die die Macht, staatliche wie wirtschaftliche, eigentlich in ihre Schranken verweisen sollte? So überraschend das scheint, neu ist die Liaison von Industrie und »Simpl«-Satire nicht. 1896 von dem ehrgeizigen jungen Verleger Albert Langen gegründet, verdiente sich der »Simplicissimus« durch seine Kritik an Thron und Altar den Ruf eines kritischen, bissigen Bildungsbürger-Magazins. Seine scharfe Attacke gegen Kaiser Wilhelms Orient-Auftritt im Jahre 1898 brachte ihm Beschlagnahme und eine Verhaftung ein, schnell aber auch eine Verdoppelung der Auflage. Doch im Sommer 1914 heulte die rote Bulldogge mit den nationalistischen Kriegswölfen -- angeführt von dem längst berühmten jüdischen Chefzeichner Th. Th. Heine, der die neue Linie sogar gegen Chefredakteur Ludwig Thoma durchsetzte. Thoma, konsequent, wollte das Blatt in der Notstandssituation einstellen; nach 1918 zog er sich resigniert vom »Simpl« zurück. In der Inflationskrise versuchte der Philosoph Oswald Spengler ("Der Untergang des Abendlandes"), den »Simpl« an den Konzern-Krösus Stinnes zu vermitteln. Noch widerstand die Redaktion unter ihrem Chefdenker Hermann Sinsheimer: »Eine Politik der Mitte betreiben zu müssen ist für ein satirisches Blatt die einzige unmögliche Situation.« Sinsheimer hielt Balance, indem er unterschiedliche Geldgeber an das Blatt band. Als er 1929 ging, kaufte sich unter dem Druck der teilhabenden Redakteure allerdings doch schrittweise die Ruhrindustrie in das einzige bedeutende Satire-Magazin ein. 1933 gelang dem Nazi-Gauleiter Julius Streicher spielend die Gleichschaltung des finanziell weiterhin kränkelnden »Simpl«-Verlages mit der NS-Presse. Th. Th. Heine mußte ins Exil; damit wurde Olaf Gulbransson der Star der Redaktion. 1945 galt der »Simpl« infolge seiner Angliederung an den namhaften Knorr & Hirth Verlag, den später der NS-Propagandakonzern Eher ("Mein Kampf«, »Völkischer Beobachter") schluckte, als Feindvermögen. Dessen Betreuung und Abwicklung oblag der bayrischen Finanzverwaltung. Und noch heute erklärt der Freistaat Bayern, »alle Verlagsrechte, insbesondere das Urheberrecht am Sammelwerk und das Titelrecht« zu besitzen. Ein »Simpl« für Ministerpräsident Franz Josef Strauß? Von Bayerns Besitz-Ansprüchen unbeirrt, verstand es der Karikaturist Olaf Iversen, 1954 in München den »Simpl« neu zu begründen. In Finanznöte geraten, schlingerte sein »Simpl« jedoch 1957 erneut in die Fänge der Industrie S.277 -- diesmal in Gestalt eines »Förderkreises« vom »Industrie-Verband«, wie ehemalige Mitarbeiter erzählen. 1967 wurde das Unternehmen von der langjährigen Geschäftsführerin Maria Saare, heute in der Geschäftsführung von Kunkels Informedia-Verlag, liquidiert. Und bis heute behaupten sowohl der Zeitungs-Verlag des »Münchner Merkur« als auch der Verleger Herbert Fleissner, aus dieser Liquidation die Titelrechte erworben zu haben. Immerhin besteht jetzt die Chance, daß Newcomer Conrad durch seinen unbekümmerten Vorstoß eine Schneise in das Dickicht schlägt. Ob er dabei gegen den Mächtigsten der Runde der »Simpl«-Statthalter überleben kann, erscheint fraglich: Beim BDI-nahen Informedia-Verlag liegt auch schon eine »Simpl«-Nullnummer in der Schublade. S.276 Ein Industrie-Simpl scheint zu werden, was gegenwärtig zwischen Köln und München ausgebrütet wird. Die Titelrechte des alten »Simplicissimus« ... waren zum 1. 1. 76 frei, und es bediente sich Klaus Kunkel, ein vielbeschäftigter Mann: Verlagskoordinator des Instituts der deutschen Wirtschaft, Verlagsleiter des Deutschen Instituts-Verlags, Geschäftsführender Gesellschafter des Informedia-Verlags, alle in Köln. Kunkel gründete eine neue Simpl Verlag GmbH mit der Informedia Verlag GmbH als Gesellschafter. Es trifft sich, daß Maria Saare, letzte Geschäftsführerin des alten Münchner Simpl-Verlags, in der Informedia-Geschäftsleitung sitzt. Im Herbst soll an einer Simplicissimus-Ausgabe erprobt werden, ob sich der ehrwürdige Titel noch einmal zu einer Dauereinrichtung machen läßt. *
Ein Abenteurer will in Frankfurt den »Simplicissimus« wieder gründen. Sein unvermuteter Gegenspieler: ein industrienaher Kölner Verlag.
[ "Köln", "München" ]
Kultur
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1980-03-16T13:00:00+01:00
1980-03-16T13:00:00+01:00
https://www.spiegel.de/kultur/simples-ende-a-e929def2-0002-0001-0000-000014320242?context=issue
SPD-Politiker Sascha Binder wirft CDU Blockade bei EnBW-Aufklärung vor
SPIEGEL: Der Münchner Wirtschaftswissenschaftler Wolfgang Ballwieser hat in seinem Gutachten im Auftrag der Staatsanwaltschaft Stuttgart errechnet, dass der damalige CDU-Ministerpräsident Stefan Mappus 780 Millionen Euro zu viel für den Rückkauf von Anteilen am Energieriesen EnBW vom französischen Konzern EdF gezahlt hat. Hat das Gutachten Auswirkungen auf die Schiedsklage, die das Land gegen die EdF eingereicht hat? Binder: Es zeigt auf jeden Fall, dass wir mit unserer Rückforderung von rund 800 Millionen Euro richtig liegen. Die CDU muss jetzt endlich ihre Blockadehaltung in dieser Frage aufgeben. Im Untersuchungsausschuss sollten wir prüfen, ob wir erneut Zeugen befragen müssen. Weitere Akten, die bei der EdF beschlagnahmt wurden, sind angeblich schon seit zwei Wochen auf dem Weg nach Stuttgart. SPIEGEL: Stefan Mappus war nur 15 Monate lang im Amt, die Aufarbeitung seiner Amtszeit dauert nun schon zweieinhalb Jahre. Binder: Das ist in der Geschichte von Baden-Württemberg wirklich ein einmaliger Vorgang. Die CDU hat uns da ein teures Erbe hinterlassen. Der Wahlkampf-Gag von Mappus hat den Steuerzahler viel Geld gekostet: Für die von Ballwieser errechnete Summe könnte man gut 14.000 Lehrer ein Jahr lang beschäftigen. Die von Mappus so gern zitierte schwäbische Hausfrau wäre entsetzt über diesen unprofessionellen Deal. SPIEGEL: Das Gutachten war in der vergangenen Woche kaum veröffentlicht, da haben die Anwälte von Stefan Mappus und dem damaligen Morgan-Stanley-Banker Dirk Notheis es als parteiisch kritisiert. Binder: Diese Haltung überrascht mich nicht, man sieht daran, wie sehr die beiden mit dem Rücken zur Wand stehen. Einem Gutachten der Staatsanwaltschaft mangelnde Neutralität vorzuwerfen und selbst finanzierte Gegengutachten ins Feld zu führen ist geradezu lächerlich.
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Politik
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2013-11-24T07:55:20+01:00
2013-11-24T07:55:20+01:00
https://www.spiegel.de/spiegel/vorab/spd-politiker-sascha-binder-wirft-cdu-blockade-bei-enbw-aufklaerung-vor-a-935280.html
WLAN: Was Wi-Fi 6 und seine Nachfolger können
Vor einigen Jahren war Wi-Fi 6, wie die aktuelle IEEE-Norm 802.11ax üblicherweise genannt wird, noch Zukunftsmusik. Mittlerweile aber ist der neue WLAN-Standard definitiv bei den Kunden angekommen: Die ersten Geräte mit Wi-Fi 6 fanden schon im Frühling 2019 ihren Weg ins »c’t«-Testlabor. Und spätestens seit Herbst 2020 kann man die Technik bei WLAN-Routern, Repeatern und Mesh-Systemen als Standardausstattung ansehen. Die preisgünstigsten Wi-Fi-6-Router bekommt man gelegentlich schon für unter 40 Euro. USB-Sticks für Wi-Fi 6 zum Aufrüsten älterer Rechner, die unter Windows wie Linux funktionieren, sind inzwischen in kleiner Auswahl ebenfalls erhältlich . Der Standard bringt wenige große Verbesserungen gegenüber Wi-Fi 5: Eine feinstufigere Modulation (1024QAM statt 256QAM) treibt mit weiteren Optimierungen den Durchsatz im Bestfall um knapp 40 Prozent hoch . Wichtiger sind aber die Übertragungstechniken Orthogonal Frequency Division Multiple Access (OFDMA) und Spatial Reuse mit BSS Coloring. Letzteres könnte sich mit zunehmender Verbreitung von Wi-Fi-6-Geräten in den nächsten Jahren als Killerfeature für einen flotteren Datenfunk entpuppen. Mit OFDMA kann eine WLAN-Basis mehrere Endgeräte in verschiedenen Frequenzabschnitten ihres Sendesignals gleichzeitig mit unterschiedlichen Datenraten bedienen. Das steigert indirekt den Gesamtdurchsatz einer Wi-Fi-6-Funkzelle, weil die Basis ihre Daten schneller verteilt und so weniger Sendezeit belegen muss. Ausgabe 27/2022 Lesen: Testangebot von »c't« Weiterführende Links:Alarm per Meshtastic FAQ: Dateinamen unter Windows Anhand des früh im WLAN-Datenpaket gesendeten Merkmals BSS Color erkennen Wi-Fi-6-Stationen, zu welchem Funknetz Konkurrenten auf demselben Kanal gehören. Ist es ein fremdes Netz und ihr Signal vergleichsweise schwach, dann muss eine Station nicht warten, bis der Funkkanal wieder frei ist, sondern darf parallel senden. Von BSS Coloring profitieren besonders WLAN-Nutzer in dicht besiedelten Gegenden. Selbst wenn ein halbes Dutzend Nachbarnetze denselben Funkkanal nutzt, erkennt die eigene WLAN-Hardware das Spektrum häufiger als frei und lässt sich seltener ausbremsen.Schließlich hilft Wi-Fi 6 mit seiner Funktion Target Wake Time (TWT) mobilen Geräten, länger im stromsparenden Stand-by zu bleiben. Das verlängert die Akkustandzeit. Insgesamt bringt Wi-Fi 6 genügend Vorteile, die dafür sprechen, es veralteten Wi-Fi-5-Routern, -Repeatern und -Mesh-Systemen vorzuziehen.Wi-Fi 6E als ZwischenschrittIm Sommer 2021 hat die Bundesnetzagentur in Deutschland das 6-GHz-Band zwischen 5,945 und 6,425 Gigahertz für die Allgemeinheit freigegeben. Wi-Fi-6E-fähige Geräte dürfen es jetzt zusätzlich zu den angestammten Bereichen bei 2,4 und 5 GHz nutzen. WLAN-Basen brauchen folglich ein drittes Funkmodul, damit sie Clients in allen drei Bändern gleichzeitig bedienen können. Dadurch steigt die Leistungsaufnahme von Routern entgegen dem Trend zum Energiesparen im Idle-Betrieb leicht an. WLAN-Router beziehungsweise Mesh-Systeme mit einem Funkmodul für 6 GHz sind bereits im Handel, beispielsweise Asus’ GT-AXE11000  und Netgears Orbi RBK963 . Ebenso gibt es einige Smartphones und Notebooks, die WLAN auch bei 6 GHz nutzen können. In den ersten Tests funkte ein umgebautes älteres Notebook überraschenderweise bei 6,4 GHz auch über 20 Meter durch Wände kaum langsamer als im 5-GHz-Band, gelegentlich sogar etwas schneller. Wegen der nur bis 5,7 GHz ausgelegten Notebook-Antennen hatten wir erwartet, dass das Sendesignal aufgrund von Fehlanpassung schwächer wird und deshalb der Durchsatz auf höheren Frequenzen über größere Distanzen spürbar einbricht. Wi-Fi 6E hat das Potenzial, die älteren WLAN-Bänder zu entlasten, besonders in Mesh-WLAN-Systemen, die mehrere Basen über einen drahtlosen Backbone koppeln. Von manchen Herstellern war aber zu hören, dass sie den Zwischenschritt Wi-Fi 6E auslassen und fürs 6-GHz-Band auf den nächsten WLAN-Standard warten.Wi-Fi 7 kommtDie ersten Geräte, die gemäß dem nächsten WLAN-Standard Wi-Fi 7 alias IEEE 802.11be funken, werden wohl schon 2023 erscheinen – fünf Jahre nachdem das Normierungsprojekt den Arbeitstitel Extremely High Throughput (EHT) bekam. Laut aktuellem Stand der Spezifikation soll Wi-Fi 7 im Maximalausbau mit einem 320 MHz breiten Funksignal bei 6 Gigahertz mit der 4096QAM-Kodierung über acht Mimo-Streams brutto 23 Gigabit pro Sekunde transportieren. Die wichtigste weitere Neuerung wird Multi-Link Operation (MLO) sein. Mit MLO können eine WLAN-Basis und ein Client gleichzeitige Verbindungen über mehrere Funkbänder halten. So muss der Client nicht zwischen 2,4 und 5 und 6 GHz wechseln. Das steigert entweder den Durchsatz oder verbessert die Zuverlässigkeit (das gleiche Datenpaket wird in mehreren Bändern gesendet). Generell sollte es den Funkzellenwechsel erleichtern. Time Sensitive Networking (TSN) der IEEE-Gruppe 802.1. TSN soll Feldbusse in Industrieanlagen wie Modbus, Profinet oder CAN durch echtzeitfähiges Ethernet ersetzen. Mit r-TWT dürfen zu bestimmten Zeiten nur bestimmte Datendienste senden. Damit kann Wi-Fi 7 sicherstellen, dass Pakete zeitkritischer Dienste fristgerecht eintreffen. Das dürfte Firmennutzer interessieren , die für Echtzeitanwendungen bisher auf Mobilfunktechnik in Gestalt teurer Campusnetze setzen müssen. Beim Votum im Juli 2022 verfehlte der 11be-Entwurf 2.0 die erforderlichen 75 Prozent Zustimmung; die IEEE-Arbeitsgruppe musste eine weitere Runde drehen. Gleichwohl arbeitet die Herstellervereinigung Wi-Fi Alliance (WFA) Insidern zufolge bereits an einem Wi-Fi-7-Prüfprogramm, das vermutlich Anfang 2024 zur Fachmesse CES vorgestellt wird. Deshalb wird sich bis zum finalen Standard wohl nicht mehr viel ändern.So hat der Chipfabrikant Mediatek im Oktober 2022 schon zwei Bausteine für Wi-Fi-7-Basen angekündigt. Mitte November zog der Gerätehersteller TP-Link nach und hat gleich 16 Modelle in fünf Kategorien (WLAN-Router, 5G-Router, Mesh-Systeme, Firmen-APs, Providergeräte) mit Wi-Fi 7 angekündigt. Der fetteste WLAN-Router BE900 soll mit gleich vier Wi-Fi-7-Modulen in drei Bändern über jeweils vier Mimo-Streams gleichzeitig funken (2,4 und 2 × 5 und 6 GHz). Aus den maximalen Bruttoraten der einzelnen Blöcke von 1376, 2 mal 5760 und 11.520 Mbit/s summiert TP-Link stolze 24 Gbit/s. Diese WLAN-Wucht bringt der Router über zwei 10-Gbit/s-Ports und vier für 2,5 Gbit/s ins LAN. Billig wird der Spaß nicht: Der im ersten Quartal 2023 in den USA erscheinende Router soll satte 700 US-Dollar kosten.Wi-Fi 7++Und es geht noch weiter: Die Study Group Ultra High Reliability (SG UHR) soll den Normungsrahmen für den übernächsten WLAN-Standard Wi-Fi 8 festlegen. Beim ersten Treffen im September trudelten eine Menge Vorschläge ein. Der einst für Wi-Fi 7 Release 2 geplante Multi-AP-Betrieb – auf mehrere Basen verteiltes Mimo – gilt als gesetzt. Dabei entsteht eine große virtuelle Basis, deren Antennen gerichtet an einzelne Clients (Beamforming) oder separat an mehrere gleichzeitig (MU-Mimo) senden. Damit das Verfahren einen Vorteil bringt, muss ein nennenswerter Übertragungsgewinn entstehen, was hardwaremäßig aufwendig ist.Ferner kursiert die Idee, Wi-Fi 8 auch in dem in vielen Ländern lizenzfrei nutzbaren 60-GHz-Bereich funken zu lassen. Dort könnte es eine abermals auf 640 MHz verdoppelte Signalbreite nutzen. Manche sehen darin das indirekte Eingeständnis, dass die 60-GHz-Normen 802.11ad und 11ay – als WiGig von der WFA vermarktet – trotz Metas Engagement mit Terragraph  Misserfolge ohne Marktrelevanz sind. Ein Teil der UHR Study Group wandte sich gegen den Ausflug ins 60-GHz-Band, weil der Zimmerfunk schlicht nicht in der Lage sei, die Erwartungen der WLAN-Kundschaft zu erfüllen. Von allen Verbesserungen bisheriger WLAN-Generationen brachte stets nur mehr Signalbreite den Anwendern spürbar mehr Durchsatz, hieß es von der Gegenseite. Ob die 60-GHz-Superbreitspur in Wi-Fi 8 kommt, bleibt vorerst offen.Verschwiegenes WLANNeben der Beschleunigung hält die WLAN-Zukunft weitere Verbesserungen für einen reibungsärmeren Datenfunk bereit. Schon seit Längerem verwürfeln Windows, Android und iOS die MAC-Adresse ihrer WLAN-Schnittstelle (MAC Address Randomization), damit die Geräte und ihre Nutzer in verschiedenen Funknetzen nicht so leicht wiederzuerkennen sind. Bisher handelt es sich um proprietäre Methoden. Doch nun will die IEEE-Gruppe 802.11bh (Randomized and Changing MAC Addresses) einen übergreifenden Standard erarbeiten. Er soll auch klären, wie man Nachteile des Verfahrens vermeiden kann. Würde sich ein Gerät beispielsweise mit jedem Funkzellwechsel eine neue MAC-Adresse erwürfeln, müsste man sich beim Roaming in einem größeren WLAN-Hotspot mit mehreren Basen jedes Mal neu anmelden.Energieernte und KIEine neue Topic Interest Group (TIG) untersucht unter dem Titel Ambient Power for IoT (AMP), wie WLAN-Geräte Energie aus der Umgebung beziehen könnten, um abseits von Stromsteckdosen und ohne Batterien gelegentlich Daten zu senden. Sie könnten dem Funkfeld Energie entziehen oder mechanische Energie (Rütteln, Vibrationen) zu Strom wandeln. Eine weitere TIG hat das Hypethema Artificial Intelligence und Machine Learning (AIML) im Fokus. WLAN-Systeme für Unternehmen setzen schon heute auf künstliche Intelligenz. KI soll unter anderem die automatische Kanalwahl verbessern und die beste Kombination aus Signalbreite und Bruttodatenrate finden. Fraglich ist bislang, welche Aspekte normiert werden sollen, sodass künstliche Intelligenzen Informationen zum Funkbetrieb austauschen könnten.Ob neue Standards aus den TIG-Arbeiten entstehen, entscheidet die steuernde 802.11 Working Group, wenn die Abschlussberichte vorliegen. Diese Hürde hat eine andere Gruppe bereits genommen: Der kommende Standard 802.11bf soll regeln, wie WLAN-Basen aus Änderungen des Funkkanals auf Änderungen in der Umgebung schließen (Sensing). So könnte ein WLAN-System feststellen, wie viele Personen sich in einem Raum aufhalten, ob sie sitzen oder stehen, ob eine Person gestürzt ist oder sogar, wie viele Herzschläge und Atemzüge ein Schlafender macht. Derartiges Wi-Fi Sensing leisten heute schon Produkte der von Renesas übernommenen Firma Celeno. Sicherzustellen, dass WLAN-Nutzer unerwünschtes Ausspähen durch Wi-Fi Sensing vermeiden können, gehört auch zu den Aufgaben von 11bf.FazitWi-Fi 6 hat sich im Markt etabliert, doch seine Vorteile wird es erst bei steigender Verbreitung voll ausspielen können. Wer einen alten Router oder Repeater ersetzen will, sollte jetzt das veraltete Wi-Fi 5 links liegen lassen. Mit Wi-Fi 7 kommt schon ab 2023 nicht nur abermals mehr Speed. Der Nachfolger zu Wi-Fi 6 bringt auch schlaue neue Funktionen mit, die für stabilere WLAN-Verbindungen und echtzeitfähigen Datenfunk sorgen.
Ernst Ahlers, Jennifer Li
Die WLAN-Entwicklung läuft seit 25 Jahren, für viele ist die Nahfunktechnik inzwischen unverzichtbar. Und bis heute wird sie weiter verbessert: Wi-Fi 6 ist da, Wi-Fi 7 kommt. Was genau ändert sich?
[ "Smartphones", "Apple", "iOS-Apps", "YouTube", "Spotify", "Google" ]
Netzwelt
Gadgets
2023-01-09T10:23:20+01:00
2023-01-09T10:23:20+01:00
https://www.spiegel.de/netzwelt/gadgets/wlan-was-wi-fi-6-und-seine-nachfolger-koennen-a-173185fb-cd48-40ea-977d-a3e42e3100ff
Uta Glaubitz: Berufswahl als Geisteswissenschaftler
Einige Platituden wird man einfach nicht los. Zum Beispiel, dass man mit Geisteswissenschaften kein Geld verdient. Dabei muss man nur den Fernseher anmachen, um zu sehen, dass das nicht stimmt: Rolf Kleine, neuer Sprecher von Peer Steinbrück beispielsweise, hat Musikwissenschaft und Geschichte studiert. Kleine ist keine Ausnahme: Die Ministerpräsidentin des Saarlands ist Politikwissenschaftlerin, der Vorstandsvorsitzende des Springerkonzerns Musikwissenschaftler und der Chef der Arbeitsagentur Recklinghausen Theologe. Die deutsche Botschafterin in Neuseeland hat einen Doktor in Philosophie, im Gegensatz übrigens zu den beiden Fernsehphilosophen Peter Sloterdijk und Richard David Precht, die promovierte Germanisten sind. Auch einige Meinungsmacher der Republik sind Geisteswissenschaftler: "FAZ"-Herausgeber Frank Schirrmacher hat Germanistik studiert, ebenso "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann. Alice Schwarzer war für Soziologie und Psychologie eingeschrieben, und Brigitte Behrens, Geschäftsführerin von Greenpeace Deutschland, hat ein Diplom in Soziologie. Staatsbeglückung für AltphilologenIn den letzten Jahren lag die Arbeitslosigkeit von Akademikern unterhalb der Wahrnehmungsgrenze bei zwei Prozent. Und das, obwohl ein Viertel der Studenten Geisteswissenschaftler sind. Was natürlich niemanden davon abhält, großflächig staatliche Unterstützung für Altphilologen und Völkerkundler zu fordern: Orientierungskurse, Fördermaßnahmen, Umschulungen, Beratungsangebote und allerhand Staatsbeglückung, die von denen, die arbeiten, bezahlt wird. Beispiel Berlin: Vier gebührenfreie Universitäten produzieren jede Menge Studenten und also Unterstützungsbedarf von "Neu immatrikuliert - wie geht es weiter?" über "Überwindung von Rede- und Prüfungsängsten" bis hin zu "Verbesserung der Studienkompetenzen". Nicht fehlen darf eine spezielle Beratung für Studenten, die ihr Studium abbrechen wollen. Für das senatsgeförderte Programm wirbt eine Studentin der Neogeisteswissenschaft Gender Studies auf der Homepage: "Ohne die Beratung hätte ich nicht gewusst, dass es beim Studentenwerk eine Gruppe gibt zum Thema Motivation und Studienabschluss."Überflüssig zu erwähnen, dass auch das Studentenwerk mit der Motivationsgruppe Steuergelder erhält. Liebe arbeitende Bevölkerung: panta rhei, alles fließt, wie Heraklit sagte, und hier fließt euer Steuergeld. Zur Erinnerung: Berlin hat mehr als 60 Milliarden Euro Schulden. Zur Haushaltskonsolidierung der sexysten Stadt der Welt (so der Philosoph Klaus Wowereit) hier eine Anleitung, wie Sie mit geisteswissenschaftlicher Verve, aber ohne staatliche Beratungsbevormundung Karriere machen: Studieren Sie nicht irgendwas, um dann zu schauen, was man damit machen könnte. Besser, Sie legen zuerst fest, was aus ihnen werden soll. Denn nur daraus lässt sich ableiten, welches Studium, welche Praktika, Auslandsaufenthalte, Nebenjobs und Fremdsprachen dazu führen. Selbst das Thema Ihrer Masterarbeit können Sie nur sinnvoll festlegen, wenn Sie wissen, wohin Sie damit wollen.Machen Sie Theater, wenn Sie Theater machen wollen Entwickeln Sie keine Seifenblasen, wie "Ich mache was mit Medien" oder: "Ich mache was mit Kultur." Stellen Sie sich eben nicht möglichst breit auf, und verfolgen Sie nicht mehrere Ziele. Sie werden nur dann Botschafterin werden, wenn Sie Ihre Praktika danach wählen: eins bei der Botschaft, eins bei der Europäischen Kommission, eins bei der Weltgesundheitsorganisation, beispielsweise. Sie werden nur dann Theaterintendant werden, wenn Sie Ihre Praktika danach wählen: eins bei einem kleinen Theater, eins bei einem etwas größeren, das dritte an einer großen Bühne.Wenn Sie merken, dass Sie Hoteldirektorin werden wollen, aber bereits Germanistik studieren, gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder Sie brechen Ihr Studium ab, machen eine Ausbildung im Hotel und besuchen dann eine Hotelfachschule in der Schweiz. Oder Sie schreiben Ihre Bachelorarbeit über die literarische Verarbeitung des Adlonstoffs, suchen sich einen Nebenjob an der Bar und lernen Russisch. Danach machen Sie eine Hotelausbildung und gehen an eine Hotelfachschule in der Schweiz. "Du kannst doch PR machen"Ignorieren Sie dabei Hinweise wie "Mit Germanistik kannst du doch PR machen". Solche Vorschläge dienen nur dazu, Sie zum mäßig bezahlten Anhängsel der Betriebswirtschaft zu degradieren. Die Auseinandersetzung mit Geschichte und Metaphysik dient nicht dazu, Pressemeldungen zu verschicken und Hotels zu buchen (es sei denn, Sie wollen es). Hören Sie außerdem nicht auf das gönnerhafte Gerede, Geisteswissenschaftler hätten besondere Sekundärtugenden wie Organisieren und Kommunizieren. Meine Erfahrung am Philosophischen Institut der Freien Universität Berlin legt das Gegenteil nahe. Entscheiden Sie, was Sie werden wollen, machen Sie einen Plan, und setzen Sie ihn um. Damit suchen Sie nicht den Sinn des Lebens, sondern Sie legen den Sinn in Ihr Leben hinein. Wenn Geistwissenschaftler Probleme auf dem Arbeitsmarkt haben, heißen sie nicht Goethe oder Kant. Sie heißen Entscheidungsschwäche, Planlosigkeit und miesepetrige Berufsberichterstattung.
Geisteswissenschaften sind eine Notlösung für junges Gemüse ohne Peilung? Das Gerücht ist so hartnäckig wie falsch, findet Uta Glaubitz. Allerdings muss man hier stärker als in anderen Fächern auf ein sinnvolles Begleitprogramm achten.
[ "Erste Hilfe Karriere", "Politik als Beruf", "Geisteswissenschaften", "Berufe" ]
Job & Karriere
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2013-09-11T09:04:00+02:00
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https://www.spiegel.de/karriere/uta-glaubitz-berufswahl-als-geisteswissenschaftler-a-921468.html
Teures Glück
Zwei Euro pro Tipp, jeden Samstag mindestens zehn Millionen Euro: Das ist der neue »Eurojackpot«, den es voraussichtlich ab Oktober dieses Jahres in Deutschland und in acht weiteren europäischen Staaten geben wird - und alle zwei Jahre, so erwarten die Planer der staatlichen deutschen Lottogesellschaften, einen Hauptgewinn von 90 Millionen. Bereits im Herbst hat die auf deutscher Seite federführende nordrhein-westfälische Lotteriegesellschaft WestLotto beim Innenministerium in Düsseldorf eine Genehmigung für die Lotterie beantragt. Fachleute erwarten eine Zusage bis zum Frühsommer. Suchtexperten leisten Widerstand, der Fachbeirat Glücksspielsucht der Länder hat das Vorhaben in einem Beschluss bereits als »nicht vertretbar« abgelehnt. Das neue Produkt würde »deutlich mehr neue Spieler in den Glücksspielsektor ziehen«. Der Geschäftsführer von WestLotto, Winfried Wortmann, hält dagegen, das neue Angebot sei »hoch attraktiv, aber harmlos«. Kunden würden dadurch sogar von gefährlicheren Spielen, etwa im Internet, abgehalten.
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Panorama
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2009-01-11T13:00:00+01:00
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https://www.spiegel.de/panorama/teures-glueck-a-e95c1ca2-0002-0001-0000-000063546792?context=issue
Capri Sun will die Plastikstrohhalme zurück
Seit 2021 das erste Einwegplastikverbot der EU in Kraft getreten ist, mussten sich zahlreiche Lebensmittelproduzenten umstellen – und griffen fortan häufig zu Verpackungen aus Papier oder Karton. Besteck, Teller, Strohhalme und Wattestäbchen aus Einwegplastik sowie Styroporverpackungen dürfen schließlich nicht mehr verkauft werden. Davon betroffen ist auch Capri Sonne, die seit ein paar Jahren auch in Deutschland unter dem englischen Namen Capri Sun vermarktet wird. Außen am oft noch wenig umweltfreundlichen Aluminiumbeutel ist deshalb inzwischen ein dünner Strohhalm aus Papier angebracht. Zugegeben: Ihn durch die vorgesehene Beutelstelle zu stechen, ohne dass er abknickt, ist seitdem schon eine Herausforderung. Zumindest der rasch lätschig werdenden Pappe im Getränk kann man mit schnellen Schlucken begegnen. Dem Capri-Sun-Chef, dessen Firma auch mit Nachbesserungen an der Papiervariante  experimentierte, reicht es nun dennoch. In der Schweiz sollen die Kundinnen und Kunden bald wieder aus echtem Plastik schlürfen. »Ärgert viele Kunden«»Wir arbeiten darauf hin, zumindest in der Schweiz, wo im Gegensatz zur EU das Verbot nicht gilt, wieder ein recyclebares Plastikröhrchen zu verwenden«, sagte Roland Weening nun der Schweizer »Sonntagszeitung «. Der Papierstrohhalm, sagt er, »ärgert viele Kunden«. Bislang haben Schweizer und Deutsche die gleichen Strohhalme an den Verpackungen, das Getränk von Firmeneigentümer Hans-Peter Wild wird in Eppelheim nahe Heidelberg hergestellt. Seinen Vorstoß in der Schweiz begründet der Capri-Sun-Chef mit Konkurrenzdruck. Dort hätten die Supermarktketten Coop und Migros günstigere Eigenmarke-Produkte im Angebot, die noch mit Plastikstrohhalmen ausgestattet seien, sagte Weening der Zeitung.Zugleich will er aber auch Druck bei der EU-Kommission machen, damit es für das Plastikröhrchen an der Capri Sun auch in den europäischen Nachbarländern Deutschlands eine Sondergenehmigung gibt. »Das Plastikröhrli-Verbot ist zwar gut gemeint, doch in unserem Fall macht es überhaupt keinen Sinn«, sagte er.Allerdings will Weening sich andererseits auch dafür einsetzen, dass die Verpackungen in einem anderen Bereich umweltfreundlicher werden. Das Alu, das noch in so manchem Capri-Sun-Trinkbeutel steckt, soll verschwinden. In einigen europäischen Ländern wird das Getränk laut dem Bericht bereits in einem Polypropylen-Beutel vertrieben. So soll sich der Abfall leichter wiederverwerten lassen. Immerhin: Würde sich Capri Sun bei der EU-Kommission durchsetzen, wären perspektivisch Beutel und Strohhalm aus Plastik und gehörten in dieselbe Tonne.
apr
Der Chef von Capri Sun will seine Getränkebeutel wieder mit Strohhalmen aus Plastik verkaufen. In der Schweiz zeichnet sich das Comeback ab, in Brüssel muss er dafür gegen die Pappröhrchen-Pflicht kämpfen.
[ "Lebensmittel", "Plastikmüll", "Lebensmittelindustrie", "Recycling" ]
Wirtschaft
Verbraucher & Service
2024-08-27T15:09:00+02:00
2024-08-28T08:14:00+02:00
https://www.spiegel.de/wirtschaft/service/capri-sun-will-die-plastik-strohhalme-zurueck-a-55ec2bd3-d10e-4e46-a34a-26bfac57783d
Flüchtlinge in der Türkei: "Die Welt hat euch vergessen"
Hani Al Saleh wollte die Hoffnung nicht aufgeben. Wochenlang harrte er in einem Zelt an der türkisch-griechischen Grenze aus. Das Geld ging ihm aus. Aber wenn er nur lange genug durchhalten würde, das war seine Hoffnung, würden ihn die griechischen Grenzschützer irgendwann nach Europa ziehen lassen. Die griechische Regierung setzte das Asylrecht außer KraftNun sitzt Saleh, Flüchtling aus der irakischen Millionenmetropole Mossul, 24 Jahre alt, in einem Lager in Malatya, im Südosten der Türkei, fest. Er teile sich, so berichtet er es am Telefon, einen Container mit weiteren Migranten. Er bekomme nicht genug zu essen, dürfe das Camp nicht verlassen. "Es ist wie in einem Gefängnis", klagt er. Eine Zeit lang waren Migranten wie Saleh dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan nützlich. Er ließ sie im Februar zu Tausenden an die Grenze zu Griechenland karren, um so von der EU Geld für Geflüchtete in der Türkei und Unterstützung für seinen Krieg in Syrien zu erzwingen. Griechenland  riegelte seine Grenze ab. Über Wochen hinweg kam es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen griechischen Sicherheitskräften und Menschen, die verzweifelt versuchten, nach Europa zu gelangen. Die griechische Regierung setzte das Asylrecht außer Kraft, eine Entscheidung, die rechtswidrig war, wie deutsche Völkerrechtler gerade festgestellt haben. Griechische Grenzschützer sollen, das berichten Augenzeugen, auf Flüchtlinge geschossen haben. Migranten seien misshandelt worden, heißt es in einem aktuellen Bericht von Amnesty International . Erst Ende März ließ Erdogan die Lager an der türkisch-griechischen Grenze räumen. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte ihm in einer Videoschalte weitere Hilfsgelder in Aussicht gestellt. Saleh sagt, er habe geahnt, dass eine Operation bevor stünde, als sich am 26. März türkische Hilfsorganisationen und Medien aus dem Grenzgebiet zurückzogen. Kurz darauf seien türkische Sicherheitskräfte mit Tränengas angerückt. Sie hätten die Zelte in Brand gesetzt, ihn und die anderen Schutzsuchenden in Busse gezwungen. In mindestens acht Lagern sollen die Migranten nach Angaben von Helfern nun untergebracht sein, die Hälfte in dem Camp in Malatya. Die Bedingungen in dem Lager seien unerträglich, berichtet Ahmet, ein Syrer, der seinen echten Namen aus Angst vor Repressionen nicht nennen will. "Türkische Soldaten bewachen uns die ganze Zeit und an jedem Container hängt eine Videokamera. Wir sitzen hier und haben nichts zu tun." Nicht einmal ihre Handys durften die Menschen offenbar behalten. Nur wenige konnten ihre Telefone vor den türkischen Behörden verstecken, so wie Ahmet und Saleh. "Wir wollen nicht, dass die Flüchtlinge mit Journalisten Kontakt aufnehmen und dass berichtet wird, wie es im Camp aussieht", bestätigt ein türkischer Offizieller. Am 31. Dezember 2019 wandte sich China erstmals an die Weltgesundheitsorganisation (WHO). In der Millionenstadt Wuhan häuften sich Fälle einer rätselhaften Lungenentzündung. Mittlerweile sind mehr als 180 Millionen Menschen weltweit nachweislich erkrankt, die Situation ändert sich von Tag zu Tag. Auf dieser Seite finden Sie einen Überblick über alle SPIEGEL-Artikel zum Thema. Wenn sich Bewohner über die Zustände in dem Camp beschwerten, würden die Wärter mit Gewalt reagieren, sagt Ahmet am Telefon. "Die Welt hat euch vergessen, deswegen kann ich mit euch machen, was ich will!", soll ein Sicherheitsbeamter gebrüllt haben.Präsident Erdogan scheinen die Flüchtlinge mittlerweile lästig zu sein. Seine Regierung hat, wie der Rest der Welt, vor allem mit den Folgen der Corona-Pandemie zu kämpfen. Lange Zeit war Corona für die Türkei das Problem der anderen. Während in den Nachbarstaaten, in Iran, im Irak, in Griechenland, die Zahlen in die Höhe schossen, erweckte Erdogan noch im März den Eindruck, sein Land würde von der Seuche verschont bleiben. Die Regierung in Ankara kann das Ausmaß der Corona-Katastrophe nicht länger ignorierenNun aber kann auch die Regierung in Ankara das Ausmaß der Katastrophe nicht länger ignorieren. Türkische Behörden melden rund 27.000 Corona-Infizierte und mehr als 500 Tote, die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen. Und an kaum einem anderen Ort steigt die Kurve derzeit so steil an wie in der Türkei. Erdogan betrachtet die Migranten in der Coronakrise vor allem als Sicherheitsrisiko. Die Flüchtlinge müssten in Malatya zwei Wochen in Quarantäne verbringen, sagte ein Beamter, der für das Camp mitverantwortlich ist. Wer eine Aufenthaltsgenehmigung habe, könne danach gehen. "Den Rest schieben wir der Reihe nach ab." Der Beamte widerspricht Berichten, wonach die Schutzsuchenden in dem Lager misshandelt würden. "Sie bekommen ausreichend zu essen, sie haben Heizstrahler gegen die Kälte und es gibt auch eine Krankenstation", sagt er.Für Ahmet, den Flüchtling aus Syrien, klingen solche Beteuerungen wie Hohn. Wer in dem Camp in Malatya krank werde, sei sich trotz der Coronakrise selbst überlassen, sagt er. "Mein Kind isst seit drei Tagen kaum etwas und alles, was es hinunterschluckt, bricht es wieder aus. Aber der Arzt hat uns einfach weggeschickt." Mitarbeit: Antonis Repanas
Steffen Lüdke, Maximilian Popp, Marion Sendker
Der türkische Präsident Erdogan hat Tausende Flüchtlinge an die Grenze geschafft, um die EU unter Druck zu setzen. In der Coronakrise betrachtet er die Menschen als Sicherheitsrisiko - und sperrt sie in Internierungslager.
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Ausland
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2020-04-06T19:24:31+02:00
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https://www.spiegel.de/ausland/fluechtlinge-in-der-tuerkei-die-welt-hat-euch-vergessen-a-6645fb3c-e13b-49fa-94b7-5735d321bba6
Himmelssturz
Irgendwo hier, in den nebelverhangenen Bergen der Provinz Ost-Aserbaidschan im äußersten Nordwesten ihres Landes, kommen Irans Präsident Ebrahim Raisi und sieben weitere Insassen am 19. Mai bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben. Suchteams wie die auf diesem Foto, die in der abgelegenen Region nach dem Wrack suchen, bergen die Leichen erst am Tag danach. Als Absturzursache werden später schlechtes Wetter und Überladung der Maschine genannt. Raisis Tod trifft das Regime in einer gesellschaftlich und politisch turbulenten Phase. Der 63 Jahre alte Präsident ließ bereits 2022 die landesweiten Proteste niederschlagen, im April trat Iran erstmals in einen direkten militärischen Schlagabtausch mit Israel. Der Hardliner Raisi galt als möglicher Nachfolger von Ajatollah Ali Khamenei, der die Politik Irans bestimmt. Nun liegt die Zukunft des Landes umso mehr im Ungewissen.
20.05.2024
[ "Ebrahim Raisi", "Aserbaidschan", "Iran" ]
Ausland
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2024-12-06T13:00:00+01:00
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https://www.spiegel.de/ausland/himmelssturz-a-6016ed2c-d808-49a5-b370-6a52c8171d17
Nach Unfall in Grönland: US-Militär vermisst seit 40 Jahren Atombombe
Der radioaktive Tod hat die Seriennummer 78252. Das ist die Inventarnummer einer amerikanischen B28-Wasserstoffbombe mit 1,1 Megatonnen Sprengkraft, die vor gut 40 Jahren beim Unfall eines US-Bombers in der Nähe der grönländischen Basis Thule verlorenging. Neu aufgetauchte Dokumente helfen nun, die Geschichte der unglaublichen Vorgänge von damals besser nachzuvollziehen - und zu verstehen, wie durch Lüge und Verschleierung Menschen wissentlich in Gefahr gebracht wurden. Es ist der 21. Januar 1968, als eine atomar bewaffnete B-52 der U.S. Air Force ("B-52G HOBO 28") über der riesigen Eisinsel kreist. "Chrome Dome" hießen die Missionen, bei denen mit Atomwaffen bestückte Bomber regelmäßig über Grönland Patrouille flogen - um sich im Fall einer Zerstörung der dortigen US-Basen durch die Sowjets direkt auf den Weg Richtung Moskau zu machen. Vier Wasserstoffbomben hat die Maschine an Bord. Und es gibt ein Problem: Im Cockpit bricht ein Feuer aus. Nun, 40 Jahre später, sagen die Piloten John Haug und Joe D'Amario der BBC, ihnen sei damals innerhalb von fünf Minuten klar gewesen, dass sie den Brand nicht unter Kontrolle bekommen würden. Die Crew bemühte sich, so nahe wie möglich an die Basis in Thule zu gelangen. Rund elf Kilometer westlich des Flugfeldes war es dann zu spät: Die B-52 stürzt krachend aufs Eis der Polarsternbucht im Wolstenholme-Fjord. Die Besatzungsmitglieder hatten sich kurz zuvor mit dem Schleudersitz gerettet. Der Fall "Broken Arrow" war eingetreten.Mit diesem Code bezeichnet das US-Militär Unfälle, bei denen Atomwaffen eine Rolle spielen. In Windeseile wurden Einheimische, Dänen und US-Soldaten der Basis für eine gigantische Aufräumaktion rekrutiert. Der Name der Aktion: "Operation Crested Ice", Operation bekröntes Eis. Nun erstmals öffentlich gemachte Filmaufnahmen zeigen Aufräumtrupps in gelben Anzügen und schwarzen Daunenjacken, die fieberhaft Trümmer des zerstörten Flugzeugs vom Eis kratzen, sie auf Lkw verladen und zurück zur US-Basis schaffen. Was genau war geschehen? Der konventionelle Sprengstoff in den Bomben war beim Aufschlag des Bombers detoniert, als Tausende Liter Treibstoff brannten. Die Explosionen hatten das Flugzeug in Stücke gerissen. Immerhin: Die nukleare Kettenreaktion in den Atombomben wurde zum Glück nicht gestartet. Das lag daran, dass die Besatzung die Sprengköpfe zuvor nicht scharfgeschaltet hatte. Das Gebiet war großflächig kontaminiert, die Stärke der Radioaktivität vergleichbar mit der nach einem Anschlag mit einer sogenannten schmutzigen Bombe. Nach einemBericht des Lawrence Livermore National Laboratory  fanden sich pro Quadratmeter Eisfläche bis zu 380 Milligramm Plutonium. Rund 9000 Kubikmeter verseuchter Schnee wurden eingesammelt und später per Schiff auf Deponien in den USA gebracht."Niemand ist auf der Stelle tot umgefallen"Einer der dänischen Mitarbeiter von damals, Jens Zinglersen, berichtete nun im BBC-Interview, man habe ihnen erklärt, die Arbeit beim Aufsammeln der Überreste sei ungefährlich. Und weil "niemand auf der Stelle tot umgefallen" sei, habe man den Vorgesetzten geglaubt. Spezielle Schutzausrüstung? Gab es nicht - jedenfalls nicht für die Dänen. Die US-Soldaten allerdings bekamen sie. Bei den Aufräumarbeiten gelang es den Dänen und den Amerikanern, die Überreste von drei Wasserstoffbomben aus dem Eis zu bergen. Das vierte Exemplar blieb jedoch verschollen - offenbar bis heute, wie die neuen Dokumente belegen.Ein U-Boot des Typs Star III machte sich in den Monaten nach dem Unfall auf die Suche - erfolglos. Die Dänen wurden nicht darüber informiert, dass ein Sprengkopf fehlte. Das Pentagon teilte ihnen mit, man werde noch einmal den Unterwasserbereich an der Einschlagstelle untersuchen. Die Amerikaner waren nervös, nicht nur wegen der radioaktiven Bestandteile der Bombe, sondern auch, weil mögliche sowjetische Finder eine ganze Menge über die amerikanischen Fähigkeiten hinsichtlich des Baus solch tödlicher Waffen erfahren hätten. Die der BBC vorliegenden Dokumente belegen nun, dass nicht alle Bereiche von der U-Boot-Crew untersucht werden konnten, auf die Flugzeugtrümmer geregnet waren. Die US-Militärs hätten sich schließlich zufrieden gegeben: Wenn sie die Bombenreste nicht finden könnten, dann würde es gewiss auch niemand anderem gelingen. Die offizielle Linie des Pentagon hat sich seit den Vorfällen von 1968 nicht geändert: Alle vier Bomben seien bei dem Absturz zerstört worden.Doch das Einzige, was sich - ausweislich eines Berichts der US-Atomenergiekommission von 1968 - von der vierten Bombe fand, war deren Fallschirm. Die Dänen, die anderen Nato-Partner und die Aufräumarbeiter wurden über die Vorgänge bewusst im Unklaren gelassen. Zahlreiche der Arbeiter von Thule berichteten in den Jahren nach dem Unfall über schwere gesundheitliche Probleme. Eine Klage gegen die dänische Regierung hatte allerdings ebenso wenig Erfolg wie eine Petition beim Europäischen Parlament, das sich wegen des Austritts der Grönländer aus der EU im Jahr 1985 für unzuständig erklärte. Der dänische Staat zahlte den Überlebenden 1995 eine bescheidene Entschädigung: umgerechnet 5000 Euro pro Person. chs
Wo ist Wasserstoffbombe Nr. 78252? Vor 40 Jahren verlor das US-Militär nach einem Flugzeugabsturz im grönländischen Eis vier Atombomben. Das Pentagon behauptet bis heute, alle vier seien ohne atomare Explosion zerstört worden. Neue Dokumente belegen: Ein Sprengkopf wurde bis heute nicht gefunden.
[ "Flugzeugunglücke" ]
Wissenschaft
Mensch
2008-11-12T18:21:58+01:00
2008-11-12T18:21:58+01:00
https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/nach-unfall-in-groenland-us-militaer-vermisst-seit-40-jahren-atombombe-a-589958.html
Estland: Auto bricht auf zugefrorener Ostsee ein - drei Tote
Ein Auto ist beim Fahren auf der zugefrorenen Ostsee in Estland ins Eis eingebrochen. Drei Menschen in dem Fahrzeug ertranken, wie estnische Medien unter Berufung auf die Polizei berichten. Zwei weitere Menschen konnten in letzter Sekunde von den alarmierten Einsatzkräften aus dem eiskalten Wasser gerettet werden, eine Person wurde zunächst noch vermisst. Das Unglück ereignete sich vor der Küste des Hafen Munalaid, nur wenige Hundert Meter von der Fährroute zwischen den Ostseeinseln Kihnu und Manilaid entfernt. Das Eis sei dort lediglich fünf bis acht Zentimeter dick und löchrig, das Wasser etwa vier Meter tief. "Es ist ein sehr trauriger Tag. Dünnes Eis trägt bestenfalls eine leichtere Person, aber sicher kein Fahrzeug", sagte ein Polizeisprecher. Nach Angaben der Behörden blieb zunächst unklar, warum der Minibus vom Festland aufs Eis gefahren war. Eine offizielle Eisstraße gibt es an der Unglücksstelle nicht. In Estland gehören im Winter sieben Eisstraßen zum offiziellen Straßennetz. Sie können bei einer mindestens 24 Zentimeter dicken Eisdecke befahren werden. Bislang ist aber noch keine der Verbindungen über die zugefrorene Ostsee für den Verkehr freigegeben.
ans/dpa
In Estland gehören Eisstraßen zum offiziellen Straßennetz - bisher ist aber noch keine freigegeben. Ein Auto fuhr dennoch auf die Ostsee, mit tödlichem Ausgang.
[ "Ostsee", "Verkehrsunfälle", "Estland" ]
Panorama
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2018-02-07T00:15:00+01:00
2018-02-07T00:15:00+01:00
https://www.spiegel.de/panorama/estland-auto-bricht-auf-zugefrorener-ostsee-ein-drei-tote-a-1192134.html
Wetter: Was der Temperatur-Wechsel im Körper bewirkt
Dieses Jahr bringt der August Aprilwetter: Während am Wochenende noch der Gedanke aufkam, die Heizung anzustellen oder den Kamin zu befeuern, sind für die Wochenmitte Temperaturen um die 30 Grad Celsius angekündigt. Feinstes Freibadwetter.Wie wirkt sich so ein Wetterumschwung auf die Gesundheit aus? Wenn es heiß wird, muss der Körper gegensteuern, um seine Temperatur zu halten. Das passiert zum Teil über die Hautdurchblutung, die Gefäße weiten sich. Infolgedessen sinkt der Blutdruck. Für gesunde Menschen sei das aber überhaupt kein Problem, sagt Carsten Stick vom Institut für Medizinische Klimatologie der Uni Kiel. Wer ohnehin niedrigen Blutdruck habe, könne infolge des Wetterumschwungs eher unter Schwindel leiden, so Stick. Auch Menschen mit Herzbeschwerden müssen keine Angst vor Wetterumschwüngen haben, berichtet die Deutsche Herzstiftung  in einem Beitrag zu wechselhaftem Aprilwetter. Es sei zwar möglich, dass schnelle Wetteränderungen sich auf den Blutdruck oder die Herzfrequenz auswirkten, das seien in der Regel aber keine extremen Effekte. Auch Herzkranke müssten bei Wetterumschwüngen nicht generell auf körperliche Belastungen verzichten, so die Stiftung. Allerdings seien sehr hohe Temperaturen für Herzkranke durchaus belastend: In den heißen Sommermonaten litten sie unter anderem schneller an Herzrhythmusstörungen.Effizienter schwitzen"Grundsätzlich kommt der gesunde Mensch gut mit hohen Temperaturen klar", erklärt Klimamediziner Stick. Bei Hitze passen wir zum Beispiel das Schwitzen an: Mit kleineren Tropfen und verändertem Salzgehalt wird es effizienter. "Die Umstellung dauert allerdings ein paar Wochen", sagt Stick. Vieles machten wir unbewusst richtig, so der Mediziner. Ist jemandem zu heiß, sucht er sich ein Plätzchen im Schatten. Ist das Haupthaar licht, wird eben eine Mütze aufgesetzt. Und wer viel schwitzt, sollte auch viel trinken- logisch. Auch solche Verhaltensweisen tragen dazu bei, dass wir nicht überhitzen. Gibt es Verhaltensregeln für den ersten, sehr heißen Tag nach einer Kälteperiode? Stick: "Wer sich schlapp fühlt, sollte einfach ein bisschen kürzer treten."Die Hälfte sagt, sie sei wetterfühligAuch wenn ein Wetterumschwung aus Medizinersicht gut verkraftbar ist, reagieren viele Menschen empfindlich auf bestimmte Wetterlagen oder Wetterwechsel. In einer repräsentativen Umfrage, die der Deutsche Wetterdienst (DWD) 2013 durchführen ließ, gab die Hälfte der Befragen an, wetterfühlig zu sein. Die am häufigsten genannten Beschwerden: Kopfschmerzen, Migräne, Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Gelenkschmerzen und Schlafstörungen. Doch auch der DWD betont, dass generell gelte: "Wetterwechsel machen nicht krank."
Nina Weber
Erst kalt, dann heiß: Nach verregnet-kühlen Tagen sollen die Temperaturen fast überall in Deutschland auf gut 30 Grad steigen. Wie kommt man mit dem Wetterumschwung klar?
[ "Wetter" ]
Gesundheit
Diagnose
2016-08-23T15:17:00+02:00
2016-08-23T15:17:00+02:00
https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/wetter-was-der-temperatur-wechsel-im-koerper-bewirkt-a-1109019.html
Blutiger Zwischenfall in Nahost: Norwegische Uno-Beobachter getötet
Jerusalem/Hebron - Zwei norwegische Uno-Beobachter sind amDienstagabend bei einem palästinensischen Überfall nahe Hebrongetötet worden. Israelische Medien berichteten, die Männer seien imWestjordanland bei Chalchul im Auto unterwegs gewesen, als dieAngreifer bei einem Überholmanöver das Feuer auf sie eröffneten. Eindritter Insasse sei dabei leicht verletzt worden. Auchpalästinensische Kreise gingen davon aus, dass die Täter dieBeobachter irrtümlich für israelische Siedler hielten. Die unbewaffnete internationale Beobachtergruppe (TIPH), der dieGetöteten angehören, ist seit acht Jahren in der geteilten StadtHebron im Einsatz, um zum Schutz der Palästinenser vor militantenjüdischen Siedlern beizutragen. Sie wurden entsandt, nachdem derisraelische Arzt Baruch Goldstein im Februar 1994 in einer Moscheedas Feuer auf betende Palästinenser eröffnet und 29 von ihnen getötethatte. In Hebron leben etwa 450 radikale Siedler inmitten von 160.000Palästinensern. Die geteilte Stadt wird zu vier Fünfteln von denPalästinensern kontrolliert, der Rest untersteht israelischerOberhoheit. Während die Palästinenser immer wieder die Entsendungeiner internationalen Beobachtertruppe in die gesamtenPalästinensergebiete fordern, lehnt Israel dies grundsätzlich ab.
[ "Nahostkonflikt" ]
Ausland
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2002-03-26T20:54:49+01:00
2002-03-26T20:54:49+01:00
https://www.spiegel.de/politik/ausland/blutiger-zwischenfall-in-nahost-norwegische-uno-beobachter-getoetet-a-189162.html
Pleystein in Bayern: Polizei stellt 72 Hundewelpen in Kleintransporter sicher
Die Polizei in Bayern hat in einem Kleintransporter 72 Hundewelpen sichergestellt. Wie das Polizeipräsidium Oberpfalz mitteilte , sollten die Tiere von Männern aus der Slowakei bis nach Spanien und Portugal transportiert werden. Der Wagen mit den Tieren war demnach auf der A6 bei Pleystein aufgefallen. Im Laderaum stellten die Beamten eine völlig unzureichende Versorgung der Tiere fest. Sie seien zu jung zum Transport gewesen, ihre Käfige zu klein, auch habe ihnen Wasser gefehlt. Teilweise seien die Welpen bereits dehydriert und apathisch gewesen. Es sei fraglich, ob die Tiere den Weitertransport überstanden hätten. Das hinzugerufene Veterinäramt stellte der Mitteilung zufolge fest, dass die Transportweise der Hunde in den kleinen Käfigen nicht der gesetzlichen Regelung entsprochen habe. Der Polizei zufolge handelte es sich um verschiedene Rassen wie Dackel, Möpse, Huskys und Golden Retriever. Die Polizei holte den Tierschutzbund zur Hilfe, der die Tiere mit zehn Fahrzeugen auf sieben verschiedene Tierheime aufteilte. Den Verkaufswert der Welpen bezifferten die Ermittler auf über 100.000 Euro. Die Summe zeige, dass derartige Transporte für die Tierhändler äußerst lukrativ sein können und der Tod einiger Hunde wohl zumindest in Kauf genommen werde, hieß es. Auf die Transporteure kommen Anzeigen zu, sie müssen sich womöglich wegen Urkundenfälschung verantworten.
fek/AFP
Sie kamen aus der Slowakei und sollten wohl in Spanien und Portugal verkauft werden: Die Polizei in Bayern hat in einem Transporter Dutzende Welpen entdeckt – einige in »desolatem« Zustand.
[ "Bayern" ]
Panorama
Justiz & Kriminalität
2022-06-28T15:30:00+02:00
2022-06-28T15:30:00+02:00
https://www.spiegel.de/panorama/justiz/pleystein-in-bayern-polizei-stellt-72-hundewelpen-in-kleintransporter-sicher-a-52bbfe00-ad91-4274-bffe-11afcd9a249d
Sullo auf Visite
Der italienische Staatsbürger Angelo Marra, derzeit - wie 579 seiner Landsleute - in den Betrieben der Actien-Gesellschaft der Gerresheimer Glashüttenwerke in Düsseldorf-Gerresheim beschäftigt, bedankte sich dieser Tage »im Namen aller Italiener von Gerresheim« schriftlich bei dem Arbeits- und Sozialminister Fiorentino Sullo in Rom »für die schöne Blamage, die Sie uns verursacht haben«. Italiens Arbeitsminister Sullo war während der letzten Maiwoche zu Besuch in Gerresheim aufgekreuzt, und die Vorstandsmitglieder Walter Schröder und Leo Breuer hatten ihn bereitwillig durch die Hütte geführt. Sullo zeigte indes kaum Interesse für die Technik der modernen Glasfabrikation, sondern schoß bald auf einen der italienischen Arbeiter - er hieß Michele Jacobucio zu und verlangte: »Die Unterkunft von diesem Mann möchte ich sehen.« Die Direktoren Schröder und Breuer fuhren daraufhin mit dem Minister und Jacobucio zum Wohnblock II, in dem ein Teil der Italiener untergebracht ist. Dem Gesamtbild des modernen, mit hellen Klinkern verkleideten Wohnblocks und seiner aufwendigen Inneneinrichtung - das Haus wird durch Öl beheizt, hat mit Fernsehgeräten bestückte Aufenthaltsräume und ein Tischtenniszimmer - schenkte Inspizient Sullo keine Beachtung. Er sah nur das Zimmer 4a, in dem Landsmann Jacobucio mit fünf Arbeitskollegen seine Nachtruhe verbringt. Sullo registrierte sechs Schränke und sechs Betten, jeweils zwei Betten übereinander. Der Minister runzelte die Stirn und winkte die beiden Industriedirektoren »wie kleine Kadetten« (Schröder) herbei. Er sprach empört von »kongolesischen Zuständen«, in denen seine Schützlinge hausen müßten, und gab sein »tiefstes Mißfallen« kund. Sagte Sullo: »Ich kann meine Landsleute in Gerresheim nur bedauern.«Im Umgang mit ebenso feuriger wie zerbrechlicher Materie bewandert, bewahrten die Glas-Direktoren Schröder und Breuer Ruhe. Sie machten wortlos auf dem Absatz kehrt und ließen den Minister stehen.Fiorentino Sullo beziehungsweise seine Begleitung sorgten jedoch auch nach ihrer Heimkehr für Mißstimmung. Das Mailänder Blatt »Corriere della Sera« jedenfalls berichtete, der Minister habe die Wohnungen der Arbeiter nur »gegen Widerstand der Direktoren« besichtigen können. Er sei in eine Baracke geführt worden, die keinerlei sanitäre Einrichtungen enthalten habe. In jedem Raum dieser Baracke müßten jeweils sechs Landsleute in zwei dreistöckigen Betten schlafen. Minister Sullo habe schließlich seinen Besuch in Gerresheim abgebrochen. An diesem Bericht war so gut wie alles falsch. Kein Italiener wohnt in Gerresheim in einer Baracke: 160 der Arbeiter sind in Privatwohnungen untergebracht, 80 wohnen in einer großen Villa und 340 in den beiden vorbildlich ausgestatteten, massiven Wohnblocks; zwei weitere Wohnblocks sind im Bau. Die Monats-Miete beträgt 23 Mark.Fremdarbeiter-Wohnhaus der Glaswerke Gerresheim: Fernsehen und Tischtennis ...Italiens Arbeitsminister Sullo... für die bedauernswerten Landsleute
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Politik
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1961-06-20T13:00:00+01:00
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https://www.spiegel.de/politik/sullo-auf-visite-a-276c7f2c-0002-0001-0000-000043364737?context=issue
Plüschtier-Pauschalreise: Fabelhafte Welt des Teddybären
Treuere Freunde gibt es nicht: Sie warten den ganzen Tag im Bett auf ihren Besitzer, lassen sich ohne zu meckern mit Schokolade vollschmieren und sind immer zum Kuscheln aufgelegt. Vor die Tür kommen die Plüschtiere allerdings selten, höchstens bei einer Ausfahrt im Kinderwagen können sie einmal ein bisschen Luft schnappen. Reisefaule Teddy-Fans können ihren Spielzeugen jetzt eine Reise nach Prag schenken, ohne selbst das Haus zu verlassen. Sightseeing und Erinnerungsfotos sind inklusive, sogar Wellness-Angebote sind buchbar. Die neue Agentur Toy Traveling in Prag bietet Reiseerlebnisse speziell für Teddybären, Plüschelefanten oder andere flauschige Tierchen an. "Die Idee ist ganz sicher kein Scherz", sagt Firmeninhaber Tomio Okamura. Zusammen mit vier Kollegen verfolgt er ein gezieltes Businesskonzept.Seine Rechnung ist einfach. Auf 1,2 Milliarden schätzt er die weltweite Population von Stofftieren - "alles potentielle Gäste", sagt Okamura. Wenn nur 100 von ihnen im Monat auf Prag-Reise gehen, geht sein Plan schon auf. Dutzende Kunden konnte er schon gewinnen, seit einer Woche läuft sein Programm. Investiert hat die Agentur nach eigenen Angaben 700.000 Kronen (rund 27.000 Euro). "Wir haben den Geschäftsplan aus einem Ideenwettbewerb umgesetzt und uns von dem Film 'Die fabelhafte Welt der Amélie' inspirieren lassen, in dem ein Gartenzwerg auf Reisen geht", sagt Okamura. Aus deutschen Kinderzimmern ist die Buchserie "Briefe von Felix" kaum mehr wegzudenken, bei der ein Hase per Post Lebenszeichen von bekannten Touristenzielen sendet - vergleichbar mit den von Toy Traveling angebotenen Abenteuern. Aufpreis bei mehr als drei Kilo GewichtLos geht es mit der Reiseplanung auf derInternetseite von Toy Traveling . Für 90 Euro lässt sich das Standardpaket buchen, für 150 Euro auch ein Luxusprogramm inklusive "Aromatherapie" und Massage für das Plüschtier. Wie der Kunde überprüfen kann, ob sein Teddy tatsächlich beduftet und geknetet wird, schreiben die Anbieter nicht. Auch werden dicke Gäste benachteiligt: Wiegt der Schützling mehr als drei Kilogramm, wird ein Aufpreis fällig. Einmal eingeschickt, werden die Spielzeuge vor der berühmten Prager Burg, nahe der Karlsbrücke und an anderen Sehenswürdigkeiten abgelichtet. Tägliche E-Mail-Kommunikation mit den daheimgebliebenen Teddy-Fanatikern gehört stets zum Angebot, "damit sich niemand Sorgen machen muss", sagt Okamura. Mit fingiertem Reisepass und Fotobeweisen treten die Stofftiere dann den Heimweg zu ihrem Besitzer an. Die Internetseite ist bisher nur in Englisch verfügbar, schon in Kürze soll sie aber auch auf Deutsch, Französisch und Japanisch zur Verfügung stehen. Auch andere Reiseziele möchte die Prager Agentur bald anbieten: "Wir wollen noch in diesem Jahr Richtung München, Berlin, Budapest und Wien expandieren", sagt Okamura.In München hatte bereits 2004 ein deutscher Anbieter versucht, Kuscheltiere aus aller Welt nach Bayern zu locken. Auch in Berlin und Hamburg gibt es bereits Reisebüros, die mit Lieblingen aus Plüsch und Stoff Geld verdienen möchten. Party auf der Reeperbahn, Gruppenbild am Brandenburger Tor oder Aromatherapie in Prag - der Teddy-Liebhaber kann entscheiden, wohin sein Stofftier für ihn reisen soll.
som/dpa
Rund 1,2 Milliarden Kuscheltiere solle es auf der Welt geben: Ein Reisebüro in Prag hat deren Besitzer jetzt als potentielle Kunden entdeckt. Für rund 90 Euro können Plüschtier-Vernarrte ihre Lieblinge auf eine Stadtreise schicken - und selbst auf dem Sofa sitzen bleiben.
[ "Tschechien-Reisen", "Städtereisen", "Tschechien" ]
Reise
Städte
2010-02-24T13:18:54+01:00
2010-02-24T13:18:54+01:00
https://www.spiegel.de/reise/staedte/plueschtier-pauschalreise-fabelhafte-welt-des-teddybaeren-a-679944.html
Neue Google-Gadgets: Das Pixel 4 wird ein Radargerät
Zwei Kameralinsen müssen reichen. Auch beim Pixel 4 bleibt Google seiner Linie treu, gute Fotos lieber durch Software als Hardware ermöglichen zu wollen. Davon abgesehen macht Google bei der Neuauflage seiner Smartphones vieles anders als bisher, angefangen beim Äußeren. Die wichtigsten Funktionen und Neuerungen der am Dienstag in New York vorgestellten Geräte:Das Pixel 4 und das Pixel 4 XL wird es in Schwarz, Weiß und Orange geben, jeweils mit einem schwarzen Rahmen versehen. Kein Ohrläppchenrosa mehr wie bei der Vorgängergeneration, keine unschöne Farbabstufung mehr auf der Rückseite. Eine Notch für die Frontkamera (und die Gesichtserkennungssensoren) gibt es ebenfalls nicht mehr, stattdessen packt Google die Technik in den oberen Displayrand, der dafür etwas breiter ausfällt. Auch der Fingerabdrucksensor fällt weg, stattdessen wird das Pixel 4 per Gesichtserkennung entsperrt. Auch lassen sich Google-Pay-Zahlungen über 25 Euro, für die das Smartphone entsperrt werden muss, mit dieser Technik freigeben. Weil die Geräte schon registrieren, wenn sich ihnen eine Hand nähert, geht das Entsperren besonders schnell. Zu der Art und Weise, wie Google an Trainingsdaten für die Technik gelangt ist, gab es mehrere  wenig schmeichelhafte Berichte . Die Motion Sense genannte Technik erkennt aber nicht nur Annäherung, sondern soll eine neue Ebene der Bedienung einführen. Ein Radar-Chip im Smartphone erkennt Handgesten über dem Display, etwa wenn es auf einem Tisch liegt. So wird es möglich, zum nächsten oder vorherigen Song zu wechseln (und zwar nicht nur in Google-Apps, sondern auch bei Spotify), die Wiedergabelautstärke zu regeln, einen Timer zu stoppen, einen Alarm zu pausieren oder einen Telefonanruf abzulehnen. Eine erste Live-Vorführung machte deutlich, dass diese Gesten recht ausladend ausfallen müssen, damit sie erkannt werden. In früheren Berichten wurde noch spekuliert, Motion Sense könne auch durch Stoffe wie Hosentaschen oder die Rückseite des Smartphones funktionieren, doch beides ist nicht der Fall. Die Gestensteuerung klappt nur, wenn das Smartphone mit dem Display nach oben liegt. Fünf Jahre Arbeit stecken nach Googles Angaben bereits in der Technik, auf den ersten Blick wirkt sie insgesamt trotzdem wenig eindrucksvoll. Anders die Kamera. Die besteht aus einem 12-Megapixel-Objektiv und einem Teleobjektiv mit 16 Megapixeln. In Zeiten von Dreifach- oder sogar Vierfachkameras selbst in der Mittelklasse erscheint das spartanisch, aber die Pixel-Smartphones gehörten stets zu den allerbesten auf dem Markt, weil Google die Fotografie wie kein zweiter Hersteller zu einer Softwareaufgabe gemacht hat. Daran dürfte sich mit dem Pixel 4 nichts ändern. Dual Exposure etwa heißt eine neue Funktion, mit der man bestimmte Bereiche eines Motivs stärker belichten kann, während zum Beispiel der Hintergrund unverändert bleibt. Das soll insbesondere Porträtfotos noch besser machen, die im Pixel 3 ohnehin schon zu Googles Stärken gehörten. Wer nachts im Modus Night Sight den mondförmigen Button betätigt und das Smartphone nach oben richtet (am besten fixiert auf einem Stativ), soll für Smartphone-Verhältnisse spektakuläre Bilder vom Sternenhimmel machen können. In einer hell beleuchteten Stadt dürfte das allerdings kaum klappen.Die Beispielbilder, die Google vorab zeigte, haben mit durchschnittlich begabten Fotografen und alltäglichen Situationen denn auch wenig zu tun. Erst ein Test wird zeigen, wie realistisch Googles Beispiele sind. Bildschirm größer, Akku kleinerDer Bildschirm des Pixel 4 ist mit 5,7 Zoll etwas größer als der des Vorgängermodells, die XL-Variante kommt wie gehabt auf 6,3 Zoll. Eine Bildwiederholfrequenz von 90 Hertz soll eine besonders flüssige Darstellung, etwa von Games, garantieren. Der Akku des Pixel 4 fällt mit einer Kapazität von 2800 Milliamperestunden etwas kleiner aus als der des Vorgängers. Ob das spürbare Auswirkungen im Alltag hat, kann ebenfalls nur ein Test zeigen. Neue Chips und ein energiesparenderes Betriebssystem dürften aber dafür sorgen, dass man problemlos mit einer Akkuladung über den Tag kommt. Das Pixel 4 XL bekommt zudem einen etwas größeren Akku als sein Vorläufer. Beide Pixel-4-Versionen haben sechs Gigabyte Arbeitsspeicher und wahlweise 64 oder 128 Gigabyte Speicherplatz, aber keinen Steckplatz für Speicherkarten. Pixel-Käufer bekamen von Google früher unbegrenzten Cloud-Speicher für ihre Fotos und Videos im Originalformat, das ist jetzt aber nicht mehr der Fall . Der Prozessor kommt von Qualcomm, es handelt sich um den Snapdragon 855. 5G-fähig ist das Pixel 4 nicht. Das Betriebssystem ist das neue Android 10. Wie immer bekommen die Pixel-Modelle alle Sicherheitsupdates von Google zuerst. Das Unternehmen garantiert darüber hinaus Betriebssystem-Upgrades für mindestens drei Jahre, also bis einschließlich Android 13, oder wie auch immer die Version des Jahres 2022 heißen wird. Der Google Assistant wird smarter und soll Folgefragen besser verstehen. In der Audio-Aufzeichnungs-App Recorder ist Googles Software in der Lage, Gespräche in Echtzeit zu transkribieren, die Transkripte sind dann auch durchsuchbar. Das alles funktioniert ohne Internetverbindung, also komplett auf dem Gerät - allerdings vorerst nur auf Englisch. Die deutsche Version ist noch in Arbeit. Auf den Markt kommen das Pixel 4 und das Pixel 4 XL am 24. Oktober. Mit 749 und 849 Euro - je nach Speicherausstattung - wird das kleinere Pixel 4 jeweils hundert Euro billiger als das Pixel 3 bei dessen Verkaufsstart. Die XL-Variante wird mit 899 respektive 999 Euro immerhin noch 50 Euro billiger als der Vorgänger. Nest Mini und Nest WiFi: Neue Smart Speaker und RouterNeben den Pixel-Smartphones bringt Google am 22. Oktober für 59 Euro eine neue Version des Smart Speakers Nest Mini auf den Markt. Die soll vor allem in den Bässen besser klingen, das Aktivierungswort zuverlässiger verstehen und ähnlich klingende Geräusche besser aussortieren. Ob die Befehle der Nutzer aufgezeichnet - und potenziell von menschlichen Mitarbeitern analysiert - werden dürfen, können Nutzer beim Einrichten festlegen. Die Speicherung ist standardmäßig nicht aktiviert. Anfang Dezember dann bringt das Unternehmen die zweite Generation von Google WiFi auf den deutschen Markt, sie wird Nest WiFi heißen. Im Vergleich zur 2017 eingeführten ersten Version des Mesh-Routers sowie der dazugehörigen Access Points sind die neuen Geräte etwas größer und rundlicher. Das liegt zum einen daran, dass im Inneren doppelt so viele Antennen stecken. Zum anderen ist praktisch ein Nest Mini integriert. Router und Zugangspunkt, die das WLAN-Signal im Haus besser verteilen als klassische Verstärker, sind also gleichzeitig auch smarte Lautsprecher. Ihr Mikrofon lässt sich aber per Schalter deaktivieren - es soll ja Menschen geben, die nicht noch mehr Mikrofone in ihrer Wohnung haben wollen als ohnehin schon. Die Preise: 159 Euro nur für den Router, 139 nur für einen Zugangspunkt, 259 Euro für beides zusammen. Hinweis: In einer früheren Fassung dieses Artikels hieß es, Pixel-Käufer bekämen von Google unbegrenzten Cloud-Speicher für ihre Fotos und Videos. Das ist falsch, wir die Passage korrigiert.
Patrick Beuth
Die neuen Pixel-Smartphones haben einen Radarchip, der eine berührungslose Gestensteuerung ermöglicht. Eindrucksvoller aber dürfte die Kamera sein. Die Preise sinken sogar - und Google hat noch mehr zu bieten.
[ "Google", "Smartphones", "Android" ]
Netzwelt
Gadgets
2019-10-15T17:02:00+02:00
2019-10-15T17:02:00+02:00
https://www.spiegel.de/netzwelt/gadgets/google-pixel-4-und-pixel-xl-nest-mini-und-nest-wifi-vorgestellt-a-1291137.html
Studiengebühren: Von Trotha lässt nicht locker
Stuttgart - Trotz aller Widerstände dringt Klaus von Trotha, einer der dienstältesten deutschen Wissenschaftsminister, auf eine rascheEinführung allgemeiner Studiengebühren. "Studiengebühren sind vorallem notwendig, um ein effektives Studium zu erreichen - wer zahlt,studiert anders", sagte der scheidende Minister in einem dpa-Gespräch. Die Studierenden könnten Qualitätsanforderungen an dieHochschulen stellen. Zwar seien die Chancen, Studiengebührendurchzusetzen, derzeit außerordentlich gering. Doch alle Expertenrieten dazu, dieses Ziel weiterzuverfolgen, behauptet von Trotha. Tatsächlich sind Studiengebühren seit vielen Jahren umstritten, unter Bildungsexperten ebenso wie unter Politikern. Zuletzt startete das SPD-Präsidium eine Initiative, Gebühren bundesweit zu verbieten. Daran hat sich Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn seit ihrem Amtsantritt die Zähne ausgebissen. Ginge es jedoch allein nach von Trotha, müssten längst alle Studenten Gebühren zahlen. In Baden-Württemberg werden sie bereits zur Kasse gebeten - mit 2000 Mark jährlich, sofern sie länger als 13 Semester studieren. "An den Hochschulen wird über den Geldmangel geklagt, durch Studiengebühren könnten aber zusätzliche Mittel eingenommen werden", meint der CDU-Politiker, der sich nach mehr als zehn Jahren im Amt aus derRegierung zurückzieht. Sein Nachfolger soll Peter Frankenberg werden. Der 53-jährige Wissenschaftler ist bisher Rektor der Universität Mannheim. Bei bundesweit 1,8 Millionen Studenten rechnet von Trotha mit einem jährlichen Gebührenaufkommen von 3,6 Milliarden Mark. Als mögliches Modell nannte er die australische Lösung: Wer seineGebühren gleich bezahlt, erhält einen Rabatt. Wer dies nicht leistenkann, erhält ein zinsloses Darlehen mit der Verpflichtung, es nachErreichen einer bestimmten Einkommensgrenze nach dem Studiumzurückzuzahlen. "Damit ist sichergestellt, dass niemand wegenschlechter sozialer Ausgangsbedingungen an einem Studium gehindertwird", so von Trotha. Studiengebühren würden nach von Trothas Überzeugung auch nichtjunge Leute aus dem Ausland von der Aufnahme eines Studiums inDeutschland abschrecken. Bereits jetzt seien Hochschulen in den USA,Australien oder Großbritannien trotz der dort erhobenen Gebühren fürausländische Studierende attraktiver als die kostenfreien deutschen.
Baden-Württembergs Wissenschaftsminister Klaus von Trotha geht - und legt sich mit der Forderung nach Studiengebühren ein letztes Mal mit Studenten an. Sein Nachfolger soll Peter Frankenberg, bisher Rektor der Uni Mannheim, werden.
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Panorama
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2001-04-25T12:39:24+02:00
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https://www.spiegel.de/lebenundlernen/uni/studiengebuehren-von-trotha-laesst-nicht-locker-a-130157.html
Matt Damon: "Ich wollte fliegen wie Superman"
SPIEGEL ONLINE: Warum wollten Sie bei so einem gotteslästerlichen Film wie "Dogma" mitzuspielen?Damon: (Lacht) Zum einen ist der gar nicht so antireligiös, wie viele meinen. Er macht sich nur über die bigotte Art von Religionsausübung lustig. Und zum anderen ist "Dogma" einfach ein wunderbar cooler Film. SPIEGEL ONLINE: Dennoch sorgte "Dogma" in den USA für Zündstoff. Haben Sie keine Angst, sich damit Ihre Hollywood-Karriere zu beschädigen? Damon: In solchen Kategorien denke ich nicht. Ich wähle meine Rollen nach dem Bauchgefühl aus. Und mit Ben Affleck einen gefallenen Engel zu spielen - das ist doch etwas, oder?SPIEGEL ONLINE: Sie stehen wohl am liebsten mit Ihrem Freund Ben Affleck vor der Kamera? Damon: Ja, wir haben schon vier Filme zusammen gemacht. Nach "Der Außenseiter" und "Good Will Hunting" sind wir jetzt in "Dogma" und bald auch in "All The Pretty Horses" zu sehen. Und noch nie haben wir uns um eine Rolle gestritten, das können Sie mir glauben.SPIEGEL ONLINE: Für Ihren letzten Film, "Der talentierte Mr. Ripley", haben Sie eine Million Dollar bekommen - Tom Cruise hätte mindestens das Zwanzigfache verlangt... Damon: In Hollywood kursiert eine kleine Liste mit den Namen von Stars, die gerade für volle Kinokassen sorgen. Da stehen Tom Cruise, Leonardo DiCaprio und Brad Pitt ganz oben. Ich bin mir sicher, dass jedes Drehbuch, das ich angeboten bekomme, von diesen drei bereits abgelehnt wurde. Da mache ich mir nichts vor, aber ich bin sehr froh, überhaupt auf dieser Liste zu sein. SPIEGEL ONLINE: Sie haben vor kurzem immerhin Leonardo DiCaprio bei "All The Pretty Horses" ausgebootet...Damon: ...was wohl daran lag, dass sich die Dreharbeiten mit "The Beach" überschnitten haben. Da war plötzlich ich am Zug. Aber eigentlich ist es doch verrückt, dass man jahrelang mit Freuden die größten Opfer bringt, um dann schließlich festzustellen, dass man eigentlich null Chancen hat. Was um alles in der Welt treibt einen dazu, einen Beruf zu ergreifen, bei dem 95 Prozent - zumindest in Hollywood - arbeitslos sind? SPIEGEL ONLINE: Größenwahn?Damon: (Zuckt die Achseln) Vielleicht. Eine Portion Größenwahn gehört sicher dazu.SPIEGEL ONLINE: Im Ernst: Warum wollten Sie Schauspieler werden?Damon: (Überlegt) Es war die Sehnsucht, in einer anderen Persönlichkeit voll und ganz aufzugehen.SPIEGEL ONLINE: Hätten Sie tatsächlich Lust, ein völlig anderer Mensch zu sein?Damon: Nicht wirklich. Ich wollte immer ich selbst sein - nur eben besser. Zum Beispiel mit dem Talent eines Marlon Brando. Das letzte Mal, dass ich wirklich jemand anderes sein wollte, liegt lange zurück, da war ich gerade einmal drei. SPIEGEL ONLINE: Wer wollten Sie da sein?Damon: Superman. Ich wollte vor allem so fliegen können wie er. Also habe ich mir eines Tages ein rotes Cape umgebunden, bin auf das Garagendach gestiegen und gesprungen. Dabei habe ich mir dann den Fuß gebrochen. Zu meiner Überraschung war ich mehr darüber enttäuscht, nicht fliegen zu können, als über den gebrochenen Fuß.SPIEGEL ONLINE: Im neuen Robert Redford-Film "The Legend of Bagger Vance" spielen Sie Golf. Was ist Ihr Handicap?Damon: Das verrate ich nicht, dazu spiele ich noch zu schlecht (lacht).SPIEGEL ONLINE: Vertreiben Sie sich damit am liebsten die Zeit? Damon: Um ehrlich zu sein, hatte ich in den letzten vier Jahren nicht eine Woche Urlaub am Stück. Deshalb habe ich auch das dringende Bedürfnis, meine Batterien wieder aufzuladen. Sie müssen sich das so vorstellen: Ich bin irgendwann einmal mit einem klapprigen Ford von zu Hause losgefahren und komme jetzt mit einem roten Ferrari an die Boxen zurück. Das muss ich erst mental verarbeiten.SPIEGEL ONLINE: Angst davor, aus der nächsten Kurve zu fliegen?Damon: Und wie. Ich muss erst einmal ein paar Gänge herunterschalten. Ich will nämlich noch lange gut im Rennen bleiben.
Ulrich Lössl
In "Dogma" mimt Matt Damon an der Seite seines besten Kumpels Ben Affleck einen gefallenen Engel. Ein Gespräch über Männerfreundschaften, das Gefühl, in Hollywood zweite Wahl zu sein, und den Wechsel von Ford zu Ferrari.
[ "Matt Damon" ]
Kultur
Kino
2000-04-17T14:59:23+02:00
2000-04-17T14:59:23+02:00
https://www.spiegel.de/kultur/kino/matt-damon-ich-wollte-fliegen-wie-superman-a-73081.html
Guggenheim Helsinki: Entwürfe für geplantes Kunst-Museum
Ein Prachtbau für Helsinki: Sechs konkurrierende Entwürfe von Architekten für ein geplantes Guggenheim-Museum sind ab Samstag in der finnischen Hauptstadt zu sehen. Die Schau "Guggenheim Helsinki Now" zeigt die 3D-Modelle und Zeichnungen der Finalisten des Architekturwettstreits bis zum 16. Mai. Mehr als 1700 Büros hatten sich nach Angaben der amerikanischen Guggenheim-Stiftung beworben. Unter den Finalisten ist neben der Firma des britischen Architekten Asif Khan auch das Stuttgarter Büro Haas Cook Zemmrich Studio2050. Der Sieger, der am 23. Juni feststehen soll, erhält 100.000 Euro. Ob ein Ableger des berühmten New Yorker Mutterhauses in Helsinki wirklich entsteht, ist allerdings noch unklar. Im ersten Anlauf wurde das teure Prestigeprojekt 2012 von einer politischen Mehrheit abgelehnt. Gegen ein finnisches Guggenheim rebelliert vor allem die lokale Kunstszene, die einen Gegenwettbewerb gestartet hat. "Ich hoffe, dass die Ausstellung einen lebhaften Diskurs über das vorgeschlagene Museum und darüber, wie Guggenheim Helsinki  unserer Stadt und Finnland am besten dienen könnte, kreieren wird", erklärte die stellvertretende Bürgermeisterin und Kulturbeauftragte, Ritva Viljanen.
sto/dpa
Sechs Finalisten ergab der Architekten-Wettbewerb um ein Guggenheim-Museum in Helsinki. Nun werden sie der Öffentlichkeit präsentiert - obwohl lokale Künstler wenig von dem Prestigeprojekt halten.
[ "Finnland-Reisen", "Europa-Reisen", "Reiseziele", "Architektur" ]
Reise
Städte
2015-04-25T09:27:00+02:00
2015-04-25T09:27:00+02:00
https://www.spiegel.de/reise/staedte/guggenheim-helsinki-entwuerfe-fuer-geplantes-kunst-museum-a-1030567.html
Shakespeare-Sonette in DNA geschrieben
Im Erbgut sind alle überlebenswichtigen Informationen eines Organismuses gespeichert. Doch der Code des Lebens könnte zukünftig auch ganz andere Daten bereithalten: Wissenschaftler testen DNA-Moleküle, aus denen das Erbgut besteht, als Speichermedium für Bücher und Musik. Zur Probe haben sie verschiedene Dateiformate in DNA geschrieben und ausgelesen, berichten sie im Fachmagazin Nature . Der entscheidende Vorteil des Verfahrens sei die hohe Speicherdichte und große Genauigkeit bei der Entschlüsselung. In dem erzeugten DNA-Molekül gespeichert sind neben den 154 Shakespeare-Sonetten im TXT-Format auch ein Teil der Martin Luther King-Rede "I have a dream" von 1963 als Audiodatei. Zudem wandelten die Wissenschaftler um Nick Goldmann vom European Molecular Biology Laboratory  (EMBL) ein Foto im JPEG-Format sowie den ersten wissenschaftlichen Artikel über die DNA in Erbgutbausteine um. Alle Dateien zusammen waren anschließend 739 Kilobyte groß. Zum Vergleich: Ein typisches digitales Foto hat eine Größe von 2000 bis 5000 Kilobyte. Das grundlegende Speicherprinzip ist alt bewährt: Die DNA setzt sich aus vier Nukleotid-Bausteinen zusammen: A, C, G, T. Aus diesen Buchstaben erzeugten die Wissenschaftler einen digitalen Binärcode. A und C stehen für Null, die beiden anderen, G und T, für Eins. Bereits 2012 war es George Church von der Harvard Medical School auf diesem Weg gelungen, ein Buch in den DNA-Code zu schreiben.Im aktuellen Verfahren spalteten Experten die DNA in viele kleine, sich überlappende Abschnitte und versahen die Fragmente mit kurzen Anhängseln, aus denen die Position der Einzelteile im gesamten Code hervorgeht. Dadurch seien Fehler beim Herstellen der DNA sehr unwahrscheinlich, berichten die Forscher. Sie konnten die Daten zu 100 Prozent - also fehlerfrei - wieder herstellen. Unschlagbar ergiebig, ewig haltbar - aber zu teuerDas Speicherpotential der DNA ist riesig: In ihr gespeichert würden 100 Millionen Stunden hochauflösende Videodaten in eine kleine Teetasse passen, berichtet das EMBL. DNA könne im Gegensatz zur Festplattenspeicherung zudem tausende Jahre unbeschadet überdauern. Die ständig steigende Datenflut sei bereits jetzt ein Problem für Archivare, unter anderem auch in der Wissenschaft. Weltweit kursierten etwa drei Zettabyte an digitalen Daten - also 3000 Milliarden Giga-Bytes. Das größte Hindernis bei der Anwendung des Verfahrens sind derzeit die Kosten. Vor allem die Synthetisierung der DNA sei noch sehr teuer, so das EMBL. Interessant sei das Verfahren dennoch vor allem bei Daten, die nicht so oft abgerufen werden müssen. "DNA ist unglaublich klein, dicht und braucht keine Stromversorgung bei der Lagerung, so dass auch Transport und Aufbewahrung einfach sind", so Goldman. Er und sein Team schätzen die Kosten für die Speicherung auf derzeit rund 9.300 Euro pro Megabyte und etwa 170 Euro für die Decodierung. Sie vermuten, dass die Kosten innerhalb der nächsten zehn Jahre so weit sinken, dass sich die DNA-Speicherung schon bei Daten lohnt, wenn sie für weniger als 50 Jahre archiviert würden.
jme/dpa
Genforscher haben 154 Shakespeare-Sonette sowie Teile der Martin Luther King-Rede "I have a dream" auf DNA gespeichert. Die Daten ließen sich mit absoluter Genauigkeit auslesen. Einziger Nachteil: Noch ist die Methode viel zu teuer.
[ "Genforschung", "Biologie", "Synthetische Biologie" ]
Wissenschaft
Mensch
2013-01-24T14:35:00+01:00
2013-01-24T14:35:00+01:00
https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/shakespeare-sonette-in-dna-geschrieben-a-879406.html
Chinas dunkle Kanäle
Nach der »Operation Raw Deal«, einer weltweiten Razzia gegen Anabolika-Händler vor gut zwei Wochen, haben US-Behörden die chinesische Regierung jetzt um Hilfe gebeten. In den Vereinigten Staaten hatten Fahnder 56 illegale Doping-Labors ausgehoben und 242 Kilogramm Steroidpulver sichergestellt. Die Ermittler gehen davon aus, dass 99 Prozent aller Rohstoffe, aus denen in den USA Anabolika produziert werden, aus China kommen. 37 Firmen sollen die Substanzen verbotenerweise liefern, eine davon sei GeneScience Pharmaceutical, der größte Fabrikant von Wachstumshormon in China. Das Unternehmen dementiert, Peking soll nun die Vorwürfe überprüfen. Doch die Recherche ist schwierig. »Die meisten dieser Firmen stellen legal Arzneimittel her, die man anonym im Internet kaufen kann. Denen ist egal, ob der Kunde ein Arzt ist - oder ein Sportler, der dopen will«, sagt Hans Heid, Mitarbeiter des Heidelberger Doping-Experten Werner Franke. Die dunklen Kanäle wären besser aufzuspüren, wenn die Hersteller ihre Produkte markieren müssten, sagt Heid: »Dazu sind sie aber nicht bereit, weil dann ihr Gewinn einbrechen würde.« Selbst die Schließung verdächtiger Fabriken sei keine Garantie: »Sie ändern den Namen und die Telefonnummer, machen aber weiter wie zuvor.«
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Sport
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2007-10-07T13:00:00+02:00
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https://www.spiegel.de/sport/chinas-dunkle-kanaele-a-4ddb933f-0002-0001-0000-000053203480?context=issue
Sicherheitsrisiko Shuttle: Risse in Treibstoff-Leitungen
Houston - Alarmierende Zwischenfälle gab es in der Geschichte der Shuttle-Raumfahrt immer wieder. Zuletzt wurde im Juni die "Columbia" vorübergehend aus dem Verkehr gezogen, weil bei den Schwesterschiffen "Atlantis" und "Discovery" teilweise für das bloße Auge unsichtbare Risse an Leitungen im Treibstoffversorgungssystem entdeckt worden waren. Die betroffenen Leitungen dienten dem Transport von flüssigem Sauerstoff und Wasserstoff in die Triebwerke der Space Shuttles. Die "Columbia" war die erste Raumfähre, die ins All flog, der Prototyp für eine ganze Serie von Lastschiffen für die Weltraumfahrt. Der Deutsche Ulf Mehrbold flog im November 1983 mit der Columbia. Den gleichen Namen trug eines der ersten amerikanischen Schiffe,dem eine Weltumsegelung gelang, und die Kommandokapsel der Apollo 11,mit der Neil Armstrong und Edwin Aldrian im Juli 1969 als ersteMenschen auf dem Mond landeten. Am 12. April 1981 hob der Raumpendler vonCap Canaveral in Florida ab und eröffnete eine neue Stufe derweltweiten Raumfahrt. Erstmals flogen Menschen mit einer Technik ins All, diewiederverwendet werden konnte. Im Gegensatz zu Trägerraketen, derenStufen im All verglühen und von denen nur eine kleine Landekapsel zurErde zurückkehrt, landen die Space Shuttles wie Flugzeuge auf einerPiste.Das gut 37 Meter lange Space Shuttle bildet mit den RaumfährenAtlantis, Discovery und Endeavour das Rückgrat der bemanntenUS-Raumfahrt. Der Orbiter mit der offiziellen Bezeichnung OV-102trägt den Namen des amerikanischen Segelschiffs Columbia, das 1792von Boston auslief, um die Mündung des Flusses Columbia zu erkunden. Der Unglücks-Flug war die 28. Mission der "Columbia". Etliche der Flüge waren Pionier-Leistungen, etwa im Sommer diesen Jahres die Reparatur des Weltraumteleskops "Hubble". Hubble erhielt unter anderem effizientere Solarzellenflügel und die Advanced Camera for Surveys, mit der Astronomen noch tiefer in die Geschichte des Universums vordringen wollen. Die US-Raumfahrtbehörde Nasa hatte die Wartung als eine der schwierigsten und wichtigsten Missionen in der Geschichte der Shuttle-Einsätze bezeichnet.
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Wissenschaft
Weltall
2003-02-01T16:26:57+01:00
2003-02-01T16:26:57+01:00
https://www.spiegel.de/wissenschaft/weltall/sicherheitsrisiko-shuttle-risse-in-treibstoff-leitungen-a-233369.html
Kurzpässe: Del Horno verlässt Chelsea, Chapuisat wird Präsident
Hamburg - Linksverteidiger Asier Del Horno wechselt in die Primera División zum FC Valencia. Der FC Chelsea stimmte dem Transfer heute zu. Die Ablösesumme soll rund sieben Millionen Euro betragen. Der 25-Jährige war im Sommer 2005 für zwölf Millionen Euro von Athletic Bilbao zum englischen Meister gewechselt. Als Ersatz für Del Horno sind Ashley Cole (FC Arsenal) und Roberto Carlos (Real Madrid) im Gespräch. Borussia Dortmund startet mit einem Ausrufezeichen in die neue Saison - zumindest auf der Spielerbrust. Das Symbol ziert voraussichtlich bis Herbst die Trikots des Bundesligisten, dann wird es durch einen Schriftzug oder ein Logo des neuen Hauptsponsors RAG ersetzt. Hintergrund ist die Umbenennung und der geplante Börsengang des Konzerns im kommenden Jahr.Der ehemalige Star der Borussen, Stephane Chapuisat, ist zum Präsidenten des Schweizer Zweitligisten Lausanne Sport ernannt worden. Der 37-Jährige übernimmt zudem die Verantwortung für die Transfers und trainiert die Stürmer der verschiedenden Mannschaften von Lausanne. Am Ende der abgelaufenen Saison hatte Chapuisat seine Spielerkarriere in Lausanne beendet. Mit 16 Treffern war er in der abgelaufenen Saison bester Torschütze des Teams. Lukas Podolski hängt immer noch an seinem Ex-Verein 1. FC Köln. Der zum FC Bayern gewechselte Nationalspieler besuchte am Freitag das Kölner Geißbockheim, traf alte Vereinskameraden und lernte die Neuzugänge kennen. Nach Angaben der Vereinsführung habe es auch ein Gespräch mit FC-Trainer Hanspeter Latour gegeben. Podolski war in Köln zum Nationalspieler gereift und betonte immer wieder, dass sein Herz an dem Verein hängt. Regionalligist Dynamo Dresden bekommt ein neues Zuhause. Für rund 43 Millionen Euro entsteht eine neue, 32.000 Zuschauer fassende Arena, die in 15 Monaten fertig gestellt werden soll. Bereits im September beginnen die Arbeiten mit dem Abriss der ersten Tribüne. In der Vergangenheit hatten die Ostdeutschen für die Spiele im maroden Rudolf-Harbig-Stadion immer wieder Ausnahmegenehmigungen vom DFB erhalten. Schlechte Nachrichten kommen dagegen aus Südafrika, dem Gastgeberland der WM 2010. Nach Medienberichten ist in Kapstadt wegen eines Finanzlochs von 295 Millionen Euro der geplante Bau des WM-Stadions fraglich. "Nur wenn jeder seine Schulden bei der Stadt bezahlt, haben wir genug Geld und können für die Fertigstellung der Arena bis zum Ablauf der Fifa-Frist 2009 garantieren", erklärte Stadtkämmerer Ian Neilson. thr/sid/dpa
Nach nur einer Saison trennen sich die Wege von Asier Del Horno und dem FC Chelsea. Der Spanier kehrt zurück in die Heimat. Borussia Dortmund geht bei der Trikotwerbung neue Wege. Ein ehemaliger Spieler der Borussen wird Präsident eines Clubs in der Schweiz.
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Sport
Fußball-News
2006-07-21T20:57:00+02:00
2006-07-21T20:57:00+02:00
https://www.spiegel.de/sport/fussball/kurzpaesse-del-horno-verlaesst-chelsea-chapuisat-wird-praesident-a-427956.html
Bergfotografie vor 100 Jahren: Aber immer mit Hut
Seine Finger krallen sich in den dunklen Fels, der Blick ist starr nach oben gerichtet, die Füße suchen Halt auf winzigen Steinvorsprüngen: Ohne Seil und Klettergeschirr ist der Freeclimber in den Alpen unterwegs. Doch statt mit Gore-Tex und Gummischuhen ausgerüstet, ist der Kletterer in Anzug samt Schlips und weißen Kragen, in Lederschuhe und sorgsam geschnürte Gamaschen gekleidet – gekrönt von einem feschen Hut. "Lucio beim Klettern" heißt das Bild, fotografiert von Carl Schnell um 1900, und ist bis März 2007 in der Ausstellung "Berge im Kasten" im Alpinen Museum des Deutschen Alpenvereins (DAV) in München zu sehen. Überhaupt - so ein Hut, verziert mit Gamsbart und Edelweiß-Plakette, scheint unverzichtbarer Bestandteil einer Hochgebirgstour um die vorletzte Jahrhundertwende gewesen zu sein: Festgehalten auf den sepiabraunen und schwarzweißen Abzügen, präsentieren sich die Männer selbst nach schweißtreibendem Aufstieg auf einen Gipfel bedeckten Hauptes, die Frauen in langem Wollrock und Rüschenbluse klettern nur mit einem aufwendig gestalteten Kopfschmuck. Dagegen mussten die Bergsteiger nicht nur auf Soft-Shells und Coolmax-Kletterhosen verzichten, auch das Fotografieren war noch körperliche Schwerstarbeit. So schleppte 1870 der Fotograf Bernhard Johannes aus Partenkirchen unterstützt von Trägern seine Großbildkamera, das Dunkelkammerzelt, unzählige Glasplatten und chemische Hilfsmittel auf die Zugspitze – und erstellte in den nächsten drei Jahren die erste Fotoserie von Deutschlands höchstem Berg. Selbst aus diesen frühen Anfängen der Bergfotografie kann das Archiv des Vereins mit Fotos aufwarten und präsentiert aus seinem riesigen Bestand von rund 150.000 Fotos – von Glasplatten über Negative bis Farbdias – aus 130 Jahren Vereingeschichte erstmals eine Ausstellung in größerem Umfang. Touristischer Boom in den Ostalpen"1870 setzte ein touristischer Boom in den Ostalpen ein", sagt Friederike Kaiser, Leiterin des Alpinen Museums in ihrer Eröffnungsrede, "der auch eine Vielzahl von Hochgebirgsfotografen und –fotografien nach sich zog." Technische Neuerungen wie das Trockenverfahren ermöglichten es nach den Profis wie Bernhard Johannes, Vittorio Sella und Friedrich Würthle, deren großteils originale Fotoabzüge in "Berg im Kasten" zu sehen sind, auch Hobbyfotografen, ihre Gipfelsiege festzuhalten – von dem Münchner Ausstellungsteam liebevoll als "unbekannte Knipser" bezeichnet. Die Ausstellung endet mit dem Beginn des Ersten Weltkrieges 1914. Die Welt änderte sich, und auch der Alpenverein. Bergtouren wurden lange Jahre zur Nebensache, und das Bergsteigen wandelte sich von "einer exklusiven Beschäftigung des wohlhabenden Bürgertums zum Massensport für breite Bevölkerungsschichten", sagte Kaiser."Das Alpine Museum in München wurde erst 1996 wiedereröffnet", sagt Sebastian Lindmeyer, Mitarbeiter im Archiv, "nachdem es im Zweiten Weltkrieg zerstört worden war und die Bestände ausgelagert wurden." Die systematische Erfassung der Fotografien machte erst ein dreijähriges, unter anderem von der EU gefördertes Projekt ab 2005 möglich. Viele Schätze schlummern noch im Archiv, wie Farbdias der Indien-Expedition von Heinrich Harrer zur Erkundung des Nanga Parbats. Der nur schwer zu besteigende Himalaja-Gipfel war von Nationalsozialisten zum "Schicksalsberg der Deutschen" erklärt worden. Eine Vorführung der Expeditionsfilme von 1937/38, die erstmals digitalisiert und vollständig restauriert wurden, ist für den Herbst geplant, kündigt Lindmeyer an. Alpines Museum des Deutschen Alpenvereins : "Berge im Kasten". Die Ausstellung läuft noch bis 18. März 2007. Geöffnet dienstags bis freitags 13 bis 18 Uhr, samstags und sonntags 11 bis 18 Uhr. Praterinsel 5, 80538 München
Antje Blinda
Sepiabraun war die Bergwelt um 1900 herum – oder schwarzweiß, je nach Foto: Herren in Anzug und Krawatte und Damen mit Hut kraxelten vor schroffer Felskulisse und triumphierten auf Gipfeln. Das Alpine Museum des DAVs zeigt Fotos von 1870 bis 1914.
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Reise
Städte
2006-05-31T13:55:14+02:00
2006-05-31T13:55:14+02:00
https://www.spiegel.de/reise/staedte/bergfotografie-vor-100-jahren-aber-immer-mit-hut-a-418999.html
Strategie-Rede: Obama setzt auf globale Kooperation
Halb Berlin rätselt, wo Barack Obama am 24. Juli reden mag. Brandenburger Tor, Flughafen Tempelhof, Reichstagsgelände? Doch wenn es um den Inhalt der Ansprache geht, hätten die Berliner am Dienstag auch einfach CNN einschalten können. Wahrscheinlich hätten sie ziemlich genau gehört, was sie nächste Woche erwartet. Es ist kurz nach 11 Uhr Ortszeit in einem Konferenzzentrum in der amerikanischen Hauptstadt. Obama soll über den Irak sprechen. Doch der Senator, mit zwei riesigen US-Flaggen im Rücken und einer kleinen am Revers, hat mehr im Sinn - eine Art staatsmännische Standortbestimmung. "Ich werde eine entschlossene, smarte und prinzipienfeste Strategie für unsere nationale Sicherheit entwerfen", verspricht er. "Eine, die anerkennt, dass wir Interessen über Bagdad hinaus haben. In Kandahar und Karatschi, in Tokio und London, in Peking und Berlin." Es klingt ein bisschen wie der Auftakt zu einer Grundsatzrede zum transatlantischen Verhältnis, die Obamas Berater ja für den Berlin-Besuch angekündigt haben. Fünf große außenpolitische Ziele entwirft Obama und nimmt die Zuhörer dabei mit auf eine 38 Minuten lange Reise quer über den Globus und dessen Leiden. Der Irak-Krieg soll enden, al-Qaida und die Taliban sollen besiegt werden, Nuklearwaffen verschrottet und die Energiepolitik reformiert - und schließlich sollen sich die USA wieder zu einem beliebten Bündnispartner entwickeln. Es ist eine schöne neue Welt der globalen Kooperation - mit einer starken Uno und 50 Milliarden US-Entwicklungshilfe pro Jahr. Es zählen Irak und AfghanistanEs ist aber auch eine lange Liste ambitionierter Ziele, und sie wirkt ein bisschen ermüdend, weil - anders als bei Obamas Wahlkampfauftritten - niemand klatschen darf. Nicht einmal, als der demokratische Hoffnungsträger seine bekannten Sätze wie "Jetzt ist unsere Zeit" einbaut - oder beschwört, die USA könnten alle diese Ziele erreichen, wenn sie sich nur um den Rest der Welt kümmerten.So staatsmännisch klingt die Rede, dass man sich fast ein Brandenburger Tor im Hintergrund wünscht. Doch sie zielt natürlich auf die US-Wähler, genau wie seine geplante Ansprache kommende Woche in Deutschland. Und für die zählen in der Außenpolitik nun einmal nicht die Alliierten in Berlin oder Peking, nicht die Entwicklungshilfe. Es zählen die beiden Kriegsherde Irak und Afghanistan. Obama versucht, die Fronten zusammenzurücken. "Als Präsident werde ich meinen Militärs einen neuen Auftrag erteilen - den Krieg im Irak zu beenden", sagt er. Und folgert daraus: Das helfe der vernachlässigten Front am Hindukusch. "Afghanistan hat Probleme, weil wir durch den Irak-Krieg abgelenkt sind. Unsere Truppen und die Nato-Verbündeten kämpfen dort heroisch, aber wegen unseres Engagements im Irak fehlt es an Ressourcen." Der Krieg gegen Taliban und al-Qaida dort sei aber der Krieg, den die USA gewinnen müssten. Obama hatte bereits zuvor angekündigt, 10.000 Soldaten mehr nach Afghanistan schicken zu wollen. Der Demokrat löst sich so vom unpopulären Irak-Krieg. "Irgendwann muss man sich entscheiden", gibt er zu bedenken. "Irak wird kein perfektes Land werden, und die USA haben keine unbegrenzten Mittel, um es in eins zu verwandeln." Stattdessen lenkt Obama den Fokus auf die nach wie vor in den USA weit populärere Mission: den Afghanistan-Einsatz. Der Bezug des Krieges dort zu den Terroranschlägen vom 11. September ist den meisten Amerikanern leichter einsichtig - zumal ihnen mittlerweile dämmert, dass sich in den Hügeln Afghanistans und Pakistans weit mehr Terroristen verstecken als im Irak.McCain: "Ich weiß, wie man Kriege gewinnt" Den Irak verlassen, um Afghanistan zu retten, das ist dennoch eine heikle Strategie für Obama. Denn sein Abzugsplan wird immer vage bleiben müssen - und setzt ihm so zwei Vorwürfen aus: inhaltlich leichtgewichtig zu sein und den Irak-Krieg trotz erkennbarer Fortschritte aufzugeben. Obama kämpft seit Wochen mit der Frage, wie er auf diese Kritik reagieren soll. Gerade erst schien er in einer Pressekonferenz ein Abrücken von seinem Versprechen zu signalisieren, in den ersten 16 Monaten seiner Präsidentschaft die US-Soldaten aus dem Irak nach Hause zu holen - nur um das wenige Stunden später in einer hastig einberufenen zweiten Pressekonferenz wieder zurückzunehmen. Die Kommentare zu seiner Rede am Dienstag unterstreichen, wie die politischen Gegner dieses Zaudern ausnutzen wollen. Direkt vor Obamas Ansprache hielt Präsident George W. Bush eine seiner seltenen Pressekonferenzen. Er wurde auch nach Obamas Irak-Positionen gefragt - und dröhnte, für politische Spielchen sei bei dieser Frage kein Platz. Unmittelbar nach Obamas Rede höhnte dann dessen Konkurrent John McCain bei einem Wahlkampfauftritt, der Demokrat fälle Urteile, obwohl er seit Jahren nicht im Irak gewesen sei. In den kommenden Wochen will Obama dorthin reisen - zum ersten Mal seit knapp drei Jahren. "Ich weiß, wie man Kriege gewinnt", rief McCain. Seine Anhänger jubelten. Das ist die Herausforderung für Obama. Wenn er seine Position zum Irak zu sehr wandelt, stempeln ihn die Republikaner als einen jener Politiker ab, der seine Meinung ständig wechsle. Ändert er seine Einschätzung hingegen nicht, greifen sie ihn an, die Fortschritte im Zweistromland zu ignorieren. Zwar hat Obama der frühe Widerstand gegen den Irak-Krieg wahrscheinlich die Nominierung der Demokraten gesichert. Deren linke Basis begeisterte es, dass er einen klaren Zeitrahmen für den Abzug entwarf. Dabei geriet in Vergessenheit, dass seine Position eigentlich viel nuancierter war und immer Konsultationen mit den US-Militärs im Irak vorsah. "Wir müssen mehr tun, als nur zurückzublicken"Aber seither hat es Fortschritte im Irak gegeben. Es klingt nicht mehr völlig abwegig, wenn John McCain verkündet: "Wir gewinnen im Irak." Obamas Abzugspläne und der Verweis darauf, dass er früh gegen den Krieg gesprochen hat, wirken im Wahlkampf leicht wie Parolen von gestern. Der Senator aus Illinois erkannte das in seiner Rede am Dienstag indirekt an: "Wir müssen mehr tun, als nur zurückzublicken", sagt er.Doch klar äußern kann er sich zu seinen Plänen nur schwer. "Wir müssen beim Abzug so vorsichtig sein wie wir beim Einmarsch unvorsichtig waren", wiederholte der Demokrat in seiner Ansprache. Doch Details verriet er nicht. Obama konzentrierte sich stattdessen lieber auf eine strategische Perspektive: "Dieser Krieg lenkt uns ab von so vielen anderen Bedrohungen. Er ist keine sichere Strategie, um Amerika zu schützen." McCain antwortete mit einer Rede, in der er sein Durchhaltevermögen im Irak als entschlossene Führungsstärke pries. Aus den jüngsten Erfolgen im Irak ließen sich genau die richtigen Lehren für andere globale Krisenherde wie etwa Afghanistan ziehen. Es sind zwei Denkschulen. Vielleicht entscheiden sie das Duell dieses amerikanischen Wahlkampfes.
Gregor Peter Schmitz
Abzug aus dem Irak, Konzentration auf Afghanistan, mehr internationale Kooperation: In einer Strategie-Rede hat US-Präsidentschaftskandidat Barack Obama seine außenpolitischen Ziele konkretisiert. Sein Kontrahent John McCain wirft ihm Blauäugigkeit vor.
[ "US-Präsidentschaftswahl 2008", "Illinois" ]
Ausland
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2008-07-15T21:48:13+02:00
2008-07-15T21:48:13+02:00
https://www.spiegel.de/politik/ausland/strategie-rede-obama-setzt-auf-globale-kooperation-a-566096.html
»Ein Typ, von dem wir mehr haben müßten«
Wenn von dem Mainzer Diplom-Ingenieur Eberhard Kühl die Rede ist, dann flackern Bilder von der Film- und Fernseh-Schickeria aus der gepflegten Atmosphäre München-Grünwalds auf. Oder aus den Zielorten von Yellow-Press-Reportern an der Riviera. Denn Eberhard Kühl, 59 und Kettenraucher, erfüllte im Laufe seines Lebens fast jedes Klischee aus der Flimmerwelt von Glasbarock und Cote d'Azur. Hoch im 21. Stock eines Geschäftshauses gegenüber dem Mainzer Hauptbahnhof thront Kühl in einem taubenblauen Bürosaal und verströmt das Gefühl unbändiger Dynamik, hinter der sich allerdings noch kein deutlicher Geschäftszweck entschlüsseln läßt. Denn Kühl ist nicht mehr, was Kühl war. Im Augenblick wirkt Eberhard Kühl laut Handelsregister als Chef einer großspurig ECH European Capital Holding AG genannten Finanzierungsgesellschaft mit Hauptsitz in München. Dort hantiert er mit Millionen, die er in besseren Tagen bei und mit seinem früheren Arbeitgeber verdient hat: der Deutschen Anlagen-Leasing GmbH (DAL), deren Gesellschafter jetzt zwischen anderthalb und zwei Milliarden Mark in den Rauchfang schreiben müssen. Diese DAL hatte Kühl 1962 mit sicherem Instinkt für kommende Märkte gegründet und sie später als auf Lebenszeit unkündbarer Vorstandschef geleitet. Dabei hatte Kühl rasch zu einem Hollywood-Lebensstil gefunden, der auch den Großen aus Politik und Bankenwelt gefiel. Kühl zählt zu seinen Freunden so markante Bayern wie Franz Josef Strauß, Friedrich Zimmermann und den dank seines besonderen Interesses an der Geld-Schickeria gescheiterten einstigen Münchner Oberbürgermeister Erich Kiesl. Familiär abgesichert wurden die Bande nach Bayern durch die Firmpatenschaft seiner Ehefrau für die Tochter des bayrischen Finanzministers Max Streibl. Privat bewohnt Kühl eine Zwei-Millionen-Villa in Mainz, die vorher dem Chef der Schuhcreme-Fabrik Erdal gehört hatte. Zur Sommerzeit und an Wochenenden zog es Kühl gern auf seine Ferienresidenz bei Nizza, wo eine Motoryacht, ein Rolls-Royce und ein Lamborghini zur Wahl stehen. Gern führte Kühl den Würdentitel eines Honorarkonsuls der Republik Gambia. Natürlich hat der Mainzer auch eine junge, musterhaft gebaute Ehefrau. Sie heißt Dorle und ist seine dritte Ehegefährtin. Zusätzliche Kraft schöpfte Kühl unter anderem aus jährlichen Frischzellenkuren. Überflüssig zu sagen, daß ein so generöser Mann viele flüchtige Freunde und bewundernde Trabanten um sich wußte. Kühl sei, brachte Franz Josef Strauß die Sache auf den Punkt, »ein Unternehmertyp, von dem wir viel mehr haben müßten«. Kühls Deutsche Anlagen-Leasing nämlich war in nur wenigen Jahren zum größten Vermieter von Fabrikgebäuden und Hotels, von Bürohochhäusern und Kernkraftwerken gewachsen, den Europa je gesehen hatte. Daß Kühl nebenbei reichlich imperial lebte, erregte bei Freunden, Spezis und Kunden zunächst keinen Verdacht. Großkunden wie Bayer, Kaufhof oder Nixdorf priesen Kühl in seinen besten Jahren als einen Mann, der »ständig übersprudelt an Plänen und Projekten« (Nixdorf), die DAL-Aufsichtsräte aus fünf Banken lobten ihn als »einfallsreichsten Manager der Branche« (Heinrich Viefers von der Westdeutschen Landesbank). Zu spät kamen sie dahinter, daß Kühls Einfallsreichtum übermäßig eine Zielrichtung betraf: das eigene Banckonto. Schritt für Schritt und mit wachsender Raffinesse hatte Eberhard Kühl sich ein Netzwerk von Unternehmen zusammengebaut, dessen innere Beziehungen lange Zeit nur Kühl selber genau kannte und genau beherrschte. Um sein Leasing-Reich, dessen Kapital Kühl bald den Banken überschrieben hatte, baute er eigene Unternehmen, die mit der Leasing-Gruppe dicke Geschäfte und große Gewinne machten. So erfand Kühl steuersparende Fonds, über die er die Finanzierung seiner Leasingobjekte steuermüden Großverdienern zuschob. Nutznießer bis zum bitteren Ende blieb immer wieder Eberhard Kühl und eine Seilschaft von drei anderen, mit denen der Mainzer sich das Risiko, nicht aber die Führung teilte. Doch nach ziemlich genau zwanzig Jahren war Kühl mit seinem Leasing-Reich am Ende. Begonnen hatte alles in den fünfziger Jahren. Damals arbeitete Kühl in Venezuela für die Ölindustrie und entdeckte das schon damals in den USA aufkeimende Leasing-Geschäft: Kapitalschwache oder rasch wachsende Firmen verkaufen ihre Immobilien an eine Spezialfirma, die ihnen dann die gleichen Objekte zurückvermietet. Gebundenes Kapital wird dadurch flüssig, die laufenden Kosten allerdings erhöhen sich, doch sind sie steuerlich voll absetzbar. Mit 20 000 Mark Startkapital, die er von einem alten Freund geliehen hatte, und mit den aus Amerika importierten Ideen startete Kühl 1962 ins deutsche Leasing-Geschäft. Schon drei Jahre danach war Kühls Deutsche Anlagen-Leasing so groß, daß seine Geldgeber gierig wurden. Drei Viertel seiner Anteile mußte er an die Landesbank Rheinland-Pfalz abgeben. Andernfalls hätte ihm die Staatsbank die Finanzierung weiterer Großobjekte versagt. Verkaufsgenie Kühl sprengte aber auch bald den Kreditrahmen der Mainzer Landesbank. Die Pfälzer nahmen 1967 die Hessische und die Bayerische Landesbank als zusätzliche Gesellschafter auf. 1969 kam die Westdeutsche Landesbank (WestLB) dazu. 1971 kauften die vier Landesbanken gemeinsam mit der für Modernes immer zugänglichen Dresdner Bank von Kühl auch noch die restlichen 25 Prozent des Unternehmens und zahlten bare fünf Millionen Mark dafür. Durch dieses vergleichsweise bescheidene Geld war der DAL-Gründer schon ein gemachter Mann geworden. Aber Kühl wäre nicht Kühl gewesen, hätte er nicht mehr herausgeschlagen: Er erhielt einen unbefristeten und unkündbaren Vertrag als Vorstandschef und wurde mit zehn Prozent an den DAL-Gewinnen beteiligt. Als Vorsitzender des DAL-Aufsichtsrats übte Johannes Völling von der Westdeutschen Landesbank eine eher verständnisvolle Kontrolle über ihn aus. Der ehemalige WestLB-Chef Poullain erinnert sich: »Der Kollege Völling hat bei der DAL weniger die Risiken, sondern häufig nur die Finanzierungschancen gesehen.« Kühl, nach Meinung eines DAL-Aufsichtsrats in Gelddingen von moralischen Bedenken nicht geplagt, nutzte seine so gewonnene Position, um mit der DAL-Gruppe eigene Geschäfte zu machen. Zunächst wies Kühl, statt die sonst im Leasing-Geschäft üblichen hohen Risiko-Rückstellungen aufzubauen, bei der DAL Supergewinne aus, die er korrekt an die Gesellschafter verteilte. Darüber freuten sich die fünf Bankiers im Aufsichtsrat, denn es bestätigte sie in ihrer Entscheidung, sich an Kühls Leasing-Laden zu beteiligen. Kühl selbst aber verdiente über seine Zehn-Prozent-Tantieme fleißig mit - bis zu 1,8 Millionen Mark im Jahr. Denn die Firma wuchs weiter. Kühl verleaste die Hauptverwaltung des Krupp-Konzerns, finanzierte Einkaufszentren für den Kaufhof-Konzern und griff sich kühn das komplette Kernkraftwerk Gundremmingen B der RWE, ein Sieben-Milliarden-Objekt. Bei diesen Operationen erwies sich für Kühl bereits ein Mann als nützlich, den er von der Mainzer Steuerverwaltung abgeworben hatte: Herbert Paulus, wegen seiner Körperfülle »Kugelblitz« genannt, regelte für den Mainzer sämtliche Steuerprobleme geräuschlos und zu jedermanns Nutzen. Schon bald wurde Paulus, der Kühl als eine »Riesenpersönlichkeit, die uns alle beherrscht hat«, sieht, selber eine Art zweiter Kühl. Den Leasing-Kunden und den Gesellschaftern der DAL war Paulus bald so wichtig, daß sie seinem Büro in der Weinstadt Bingen mehr und mehr Mandate zuschanzten. WestLB-Chef Johannes Völling, dem Kühls DAL Aufsichtsratstantiemen bis zu 150 000 Mark im Jahr gewährte, erkor Paulus gar zum Verwalter von komplizierten WestLB-Engagements. Zwischen Kühl, Völling und Paulus bewegte sich bald ein gut geöltes Geldbeschaffungs- und Steuerspar-Karussell. Kühl und Paulus ersannen und gründeten 1977 die Genossenschaft für Vermittlung privater Geldanlagen Kapital & Wert, über die steuersparende Kapitalanlagen verkauft werden sollten. Manchmal waren es Objekte, bei der die DAL später in die roten Zahlen gedriftet wäre. »Kapital & Wert ist ein Interessenverband privater Kapitalanleger, eine Selbsthilfeorganisation, die in dieser Form in der Bundesrepublik Deutschland einmalig ist«, prahlte Kühls Kapital & Wert-Geschäftsführer Uwe Gabbert etwas doppelsinnig in seinen Prospekten. Die auf Kühls und Paulus' Geschäftsinteresse ausgerichtete Selbsthilfeorganisation sammelte bis 1982 rund 9000 steuerunwillige Deutsche auf und überholte damit binnen fünf Jahren alle anderen Steuerspar-Anstalten der Bundesrepublik. Rund 4,5 Milliarden Mark flossen in 140 von Kühl und seinen Freunden aufgelegte Beteiligungsfonds, die in Bürotürme, Lagerhallen und Hotelkomplexe investierten. Die Verbindung der Steuersparfonds mit den Geschäften der DAL blieb von Anfang an eng. Die DAL betrieb zuletzt 93 von Kühl erdachte Real-Wert-Fonds mit einer Investitionssumme von 1,9 Milliarden Mark. Mit diesen Einrichtungen hatten sich Kühl & Co. eine doppelt wirkende Geldquelle gesichert. Abgeschriebene DAL-Objekte wurden mit außerordentlichem Gewinn an die Fonds verkauft; Kühls DAL konnte weiter kräftig Erträge auszahlen. Die Fonds wiederum ließen sich auf andere Weise melken. Sie mußten branchenüblich 15 bis 20 Prozent ihres Volumens an Provisionen und Konzeptionshonoraren an Dritte bezahlen. Um selber diese Dritten zu sein, gründeten die pfälzischen Finanzzauberer die Firmen »Geld & Wert« und »RSB Vermögensanlage«. An ihnen waren Kühl mit 46, Freund Zöller mit 27, Paulus mit 18 und Gabbert mit 9 Prozent als Gesellschafter beteiligt. Von 1977 bis 1981 flossen fast 45 Millionen Mark an diese Sahnegesellschaften (Branchenjargon) ab. Um ihre üppigen Honorare - offiziell bezahlt für »betriebswirtschaftliche und steuerliche Konzeption«, »Beschaffung der Fremdfinanzierung« oder »Vermittlung des Mietvertrags« - möglichst unsichtbar zu machen, schalteten die vier bei der Firma Geld & Wert die Binger Allgemeine Anteils-Treuhand (AAT) als Inkasso-Laden dazwischen, im Fall RSB die zur schweizerischen Rothschild-Bank zählende Firma Sagitas. Herrscher über die AAT aber war wiederum der Kühl-Berater Paulus. Nicht zu klagen hatte der WestLB-Manager und DAL-Aufsichtsrat Johannes Völling. Ihn hatten Kühl & Co. mit vier Abschreibungsobjekten so glänzend ausgestattet, daß der Bankier trotz seines stattlichen Einkommens jahrelang fast keine Steuern mehr zahlen mußte. Der so verwöhnte Völling stattete Paulus noch zusätzlichen Dank ab. Er verkaufte ihm und seiner Ehefrau aus dem Besitz der WestLB und der übrigen DAL-Banken die Luxemburger Vielzweck-Holding »Eurogrund« zum Nominalwert; und der lag nach Schätzung von Kennern deutlich unter dem wirklichen Wert. Über diese Gesellschaft konnten die beiden 25 Leasing-Objektgesellschaften erwerben und betreuen. Über die Eurogrund-Tochter Ido verleaste das Finanz-Duo beispielsweise den Mönchengladbacher Allkauf-Markt, über die Eurogrund-Tochter Dalo die Hauptverwaltung der Stadtsparkasse Ludwigshafen. Dort im Pfälzischen bekamen Kühl und Paulus auch Zutritt zu den besseren Etagen der Politik. Für ihren Wertfonds Nr. 17 konnten sie das neue kommunale Mainz-Wiesbadener Großkraftwerk zum Preis von 268 Millionen Mark kaufen. Für 364 Millionen schlugen sie es an Fondskunden wieder los. Die Genehmigung zum Kauf hatten die beiden vom Mainzer Oberbürgermeister Jockel Fuchs, Aufsichtsratsmitglied der Kraftwerke Mainz-Wiesbaden AG, bekommen. Zur gleichen Zeit saß Jockel Fuchs für eine Weile im Aufsichtsrat der Kühl-Paulus-Vertriebsfirma Kapital & Wert, bald darauf im Aufsichtsrat der französischen DAL-Tochter Cogesat, weil er doch - so Paulus - »so gerne nach Paris« flog. Fuchs-Ehefrau Hannelore durfte sich gemeinsam mit Paulus-Gattin Christel an der Werbefirma DHC (Dorle, Hannelore, Christel) beteiligen, die Kühl zunächst für Ehefrau Dorle eingerichtet hatte. Die Firma verwaltete bald stattliche Werbebudgets von DAL und Kapital & Wert. Das alles lief prächtig, bis ein tragendes Element des Kühl-Systems wegbrach: Johannes Völling, inzwischen Chef der WestLB, mußte 1981 wegen mancherlei Mißmanagements die Bank verlassen und sich deshalb auch von seinem teuren DAL-Aufsichtsratsvorsitz trennen. Völlings Nachfolger als DAL-Oberaufseher wurde Kollege Heinrich Viefers aus dem Vorstand der WestLB. »Ich übergebe Ihnen«, schwärmte Völling, »einen hochrentablen Laden.« In Wahrheit war die DAL schon längst ein substantiell ausgeblutetes Unternehmen, das, so der amtierende DAL-Chef Hans Wielens, mit der Zahlungsunfähigkeit nur eines einzigen Großkunden hätte zum Einsturz gebracht werden können. Viefers ging deshalb bald auf Distanz zu Kühl: Der DAL-Vorstand mußte sich schriftlich zu seinen Privatgeschäften äußern. Außerdem kürzte Viefers sich und seinen Kontrolleurskollegen drastisch die Tantieme. Bald darauf, im Frühjahr 1982, war Kühl eine Begegnung mit dem bauernschlauen Friedel Neuber beschieden, Völlings Nachfolger als WestLB-Chef. Dabei fragte Neuber, ob Kühl wohl noch immer an einer Beraterfirma beteiligt sei, die hohe Honorare von der DAL kassiere. Kühl verneinte, mußte aber zugeben, aus diesen Verträgen »manchmal mehrere Millionen Mark pro Jahr« kassiert zu haben. Im Juni 1982 kündigte Kühl wegen des »gestörten Vertrauensverhältnisses« auf eigenen Wunsch seinen lebenslangen DAL-Geschäftsführungsvertrag. Nachfolger wurde Kühl-Kompagnon Günter Zöller, der seine neue Führungsposition zunächst dazu nutzte, die Initialen GZ in den Kühlerstern seines Dienst-Mercedes zu setzen. Mit DAL-Aufsichtsratschef Viefers vereinbarte Zöller, nicht ganz freiwillig, ein fünfjähriges Gesundschrumpfen der DAL. Die staatseigene Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Treuarbeit wurde beauftragt, die unterlassenen Risiko-Abschreibungen und die Risiko-Rückstellungen der DAL auszurechnen und auf mehrere Jahre zu verteilen. Der geräuschlose Sanierungsversuch aber schlug fehl. Zöller, Viefers und die Treuarbeit hatten zu dieser Zeit schon nicht mehr auf die Hilfe des langjährigen Chefbuchhalters Jürgen Jughard zurückgreifen können. Jughard, der angeblich 16 Millionen Mark für private Zwecke aus dem Geldkreislauf des Kühl-Systems abgesogen haben sollte, war im August 1982 mit seinem DAL-Mercedes gegen einen Autobahn-Brückenpfeiler bei Koblenz gekracht und dabei gestorben. Außerdem kam den Sanierern quer, daß die noch für DAL tätige Essener Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Karoli plötzlich sehr penibel wurde, als sie von der Einschaltung der Treuarbeit erfuhr. Die Karoli-Prüfer verdüsterten die DAL-Bilanz von 1982 durch nachträglich herabgesetzte Bewertungen des DAL-Vermögens dermaßen, daß die fünf Teilhaber-Banken unverzüglich Geld oder Garantien nachreichen mußten. Da erwachten einige Direktoren der an der DAL beteiligten Banken und wollten sich rasch von der heißen Ware DAL trennen. Denn nun gerieten sie selber unter Rechtfertigungszwang: Ihre eigenen Aufsichtsräte, die Landesfinanzminister und die regionalen Sparkassenpräsidenten stellten unangenehme Fragen. Eilig beschlossen die Aufpasser nun, die DAL dürfe keine neuen Steuersparfonds auflegen. Garantien für das Neugeschäft wurden von den Banken nicht mehr gegeben, und das riskante Auslandsgeschäft - allein beim Pariser Superhotel Nova-Park wackelten 100 Millionen Mark - mußte gestoppt werden. Entnervt zog Kühl-Nachfolger Zöller aus der Chefetage aus. Da schlug aus der Deckung WestLB-Chef Friedel Neuber zu. Der Düsseldorfer Oberbankier wollte als Hauptgesellschafter (30 Prozent) der DAL rasch alles selbst in die Hand bekommen und stellte seinen Bausparkassen-Manager Hans Wielens für »einen voraussichtlich halbjährigen Sondereinsatz« nach Mainz ab. Dresdner Bank (zehn Prozent Anteil) und Hessische Landesbank (Helaba) versuchten aus ihren Gesellschafterverträgen herauszukommen. Aber Wielens verlangte von den Gesellschaftern für 1982 sofort 300 Millionen Mark in Kasse, anderenfalls müsse er sofort Vergleich anmelden. Die Teilhaber zahlten verschreckt 224 Millionen. Helaba-Chef Heinz Sippel verzichtete auf den Ausstieg, die Dresdner Bank wurde ihren Anteil nicht los. Bauspar-Manager Wielens nahm sich nun die einzelnen Problemposten der DAL vor. Die noch ausstehenden Kredit- und Mietforderungen an Krupp schrieb er mit dem Vermerk, der Stahlwirtschaft gehe es schlecht, fast vollständig ab. Das Ausfallrisiko für das Leasing-Objekt Gotham - eine New Yorker Hotelruine - wurde auf 180 Millionen Mark beziffert und abgeschrieben. Für die eigene DAL-Hauptverwaltung setzte Wielens 20 Millionen Mark Risikorückstellung ein, weil das Gebäude halbleer stand. Die fünf DAL-Gesellschafter-Banken schrieben in ihren Bilanzen jetzt gleich 1,5 Milliarden Mark als DAL-Risiko ab. Erwin Sinnwell von der Mainzer Landesbank widerrief für sein Haus eine optimistische Dividendenprognose und flüchtete in den vorzeitigen Ruhestand. Die WestLB-Eigentümer bestimmten nicht Bankchef Friedel Neuber zum Opfer, sondern seinen Vorstandskollegen und DAL-Aufsichtsratschef Viefers. Viefers verließ den Bank-Vorstand, und Neuber übernahm den Vorsitz im DAL-Aufsichtsrat. Dresdner-Bank-Vorstand Wolfgang Leeb war den Krach mit den Landesbankern leid und legte sein DAL-Mandat Anfang 1984 nieder. Neuber und Wielens konnten nun ans Eingemachte gehen. Die »Viererbande« Kühl, Paulus, Zöller und Gabbert, so Wielens, habe auch 1984 noch versucht, die marode DAL »wie eine Milchkuh zu melken«. Steuerstratege Paulus habe sich geweigert, seine vertraulichen Akten herauszurücken. Nun, folgerte Wielens, sei es an der Zeit gewesen, »die juristische Auseinandersetzung brutal und konsequent in Angriff zu nehmen«. Sekundiert von Spezialisten des Bundeskriminalamts und von Fahndern der Landeskriminalämter Hessen und Rheinland-Pfalz, griff am 21. August 1984 eine Hundertschaft von Polizisten in 20 verschiedenen Orten gleichzeitig bei Kühl und Co. zu. Die Privatwohnungen und Büros der Viererbande gaben so viel Stoff, daß Oberstaatsanwalt Hans Seeliger »wahrscheinlich noch einige Monate« für die Auswertung braucht. Nebenher ließ Wielens, für den die Düsseldorfer Wirtschaftsprüferfirma Wollert & Elmendorff Forderungen der DAL gegen Kühl-Firmen über mehrere Millionen Mark errechnet hatte, die Konten des Finanzzauberers Kühl bei Zürcher, New Yorker und Mainzer Banken durch gerichtliche Arrestverfahren sperren. Für Kühl selber ist die ganze Aufregung unverständlich. Der Mainzer bestreitet hartnäckig alle Vorwürfe von Nachfolger Wielens. Mit den bestellten WP-Gutachten, sagt er, wollten ihn die Landesbanken doch nur »nachträglich zum Sündenbock« machen. Der in die Defensive geratene Kühl schlägt jetzt zurück: Er erstattete Anzeige gegen Wielens wegen »Prozeßbetruges«. Denn die Arreste gegen ihn habe Wielens nur mit falschen eidesstattlichen Versicherungen durchgesetzt. Schon droht Kühl: »Das kann für die DAL sehr teuer werden.« Unterdes schied ein weiterer Zeuge für künftige Prozesse aus dem Leben. Achim Heiles, Nachfolger des tödlich verunglückten DAL-Buchhaltungschefs Jughard, verbrannte Anfang Juni 1984 neben seinem Opel Ascona. Er hatte sich, so die Polizei, mit Benzin übergossen und angesteckt. Der Reservebenzinkanister des Heiles-Autos allerdings wurde randvoll aufgefunden, und auch sonst blieb einiges rätselhaft. So lag Heiles Brieftasche unversehrt auf dem Rücksitz. Belastende Schriftstücke über die Beziehungen der DAL zu Kapital & Wert allerdings, von Heiles sorgfältig für eine Krisensitzung zusammengestellt, waren aus dem Auto verschwunden.[Grafiktext] SORGEN-KIND Die DAL und ihre Gesellschafter Westdeutsche Landesbank Girozentrale, Düsseldorf Hessische Landesbank Girozentrale, Frankfurt Landesbank Rheinland-Pfalz Girozentrale, Mainz Dresdner Bank AG, Frankfurt Holdinggesellschaft Düsseldorf-Frankfurt mbH, Düsseldorf Bayerische Landesbank Girozentrale, München DAL Deutsche Anlagen-Leasing GmbH, Mainz; Stammkapital: 75 Millionen Mark mit mehreren hundert Beteiligungen, zumeist an Objektgesellschaften, die für einzelne Leasinggeschäfte zuständig sind. im März 1984 gekündigt: Kooperationsvertrag (ursprünglich bis 1994) mit der Anlagengenossenschaft Kapital & Wert e. G., Mainz (im Aufsichtsrat saßen bis 1983 die DAL-Vorstandsmitglieder Kühl und Zöller)[GrafiktextEnde]
Der ehemalige DAL-Chef Eberhard Kühl und seine Helfer zogen die Banken in ein milliardenschweres Desaster Die DAL, Europas größtes Leasing-Unternehmen, ist zum Milliardenrisiko der Banken geworden. Reichlich spät erkannten die Finanziers aus den Geldhäusern, daß die Firma das Opfer von schlauen Verkaufs- und Steuerfachleuten geworden ist. Sanierer und Staatsanwälte prüfen nun, wo das viele Geld geblieben ist. *
[ "Mainz", "München", "Rheinland-Pfalz", "Dresdner Bank", "WestLB" ]
Wirtschaft
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1984-11-11T13:00:00+01:00
1984-11-11T13:00:00+01:00
https://www.spiegel.de/wirtschaft/ein-typ-von-dem-wir-mehr-haben-muessten-a-582317b6-0002-0001-0000-000013511373?context=issue
Abhörskandal: Mutter von ermordetem Mädchen soll bespitzelt worden sein
London - Es war eine äußerst umstrittene und sehr emotionale Kampagne mit klarem Ziel: Die Adressen von Pädophilen sollten veröffentlicht werden. Hinter der Initiative standen die Britin Sara Payne und die Boulevardzeitung "News of the World". Paynes Tochter Sarah war 2000 im Alter von acht Jahren von einem Pädophilen ermordet worden. Laut einem Bericht des "Guardian" hat die britische Polizei Payne nun mitgeteilt, dass auch ihr Handy von einem Privatdetektiv im Dienste der Boulevardzeitung überwacht worden sein könnte.Rebekah Brooks, zurückgetretene Chefredakteurin des Blattes, hatte Payne dem Bericht zufolge das Gerät gegeben, um im Zuge der Kampagne leichter mit Unterstützern in Kontakt bleiben zu können.Das Blatt hatte nach dem Tod von Sarah Payne aggressiv dafür geworben, eine "Lex Sarah" einzuführen und die Anschriften von Pädophilen zu veröffentlichen. Eine Aktion brachte Hunderttausende Unterschriften für das Anliegen. Der Fall hatte für großes Aufsehen gesorgt und die britische Regierung schließlich dazu bewogen, zum Schutz von Kindern mehr Zugang zum Pädophilen-Register der Polizei zuzulassen. Die Mutter des Mädchens hatte in der letzten Ausgabe der "News of the World" eine Abschiedskolumne geschrieben und die Redaktion als "meine guten und vertrauenswürdigen Freunde" bezeichnet. Die Zeitung sei "eine Kraft für das Gute".Die Wohltätigkeitsorganisation Phoenix Foundation, von Sara Payne mitbegründet, teilte mit, man habe Informationen auf einer Liste gefunden, die von dem Detektiv Glenn Mulcaire stamme. Er hatte für "News of the World" gearbeitet. "Sara ist wegen dieser Nachricht absolut am Boden zerstört, wir sind alle tief enttäuscht und versuchen, ihr beizustehen", teilte die Phoenix Foundation mit. Brooks hatte im Medienskandal um "News of the World" stets auf den "Fall Sarah" verwiesen, um zu zeigen, dass die Zeitung viel Gutes bewirkt habe. Rupert Murdochs Medienimperium News Corp hatte die "News of the World" abgesetzt, nachdem dieRecherchemethoden des Blattes in die Kritik geraten waren. Unter anderem hatte die Zeitung die Mailbox eines anderen getöteten Mädchens abgehört und Nachrichten von ihr gelöscht. News Corp., seine britische Tochter News International und Scotland Yard wollten sich zu dem "Guardian"-Bericht nicht äußern.
ulz/Reuters
Ihre Tochter wurde von einem Pädophilen ermordet - daraufhin gründete Sara Payne eine Initiative, unterstützt von der inzwischen eingestellten "News of the World". Paynes Handy könnte von einem Detektiv in Diensten des Blattes überwacht worden sein.
[ "»News of the World«-Skandal", "Rebekah Brooks", "Rupert Murdoch", "Großbritannien", "News Corp" ]
Panorama
Justiz & Kriminalität
2011-07-28T19:20:00+02:00
2011-07-28T19:20:00+02:00
https://www.spiegel.de/panorama/justiz/abhoerskandal-mutter-von-ermordetem-maedchen-soll-bespitzelt-worden-sein-a-777227.html
Börse: Aufwind nach Schuldenpaket, Rüstungsaktien gefragt
Die Einigung zwischen Grünen, Union und SPD auf ein schuldenfinanziertes Finanzpaket wurde am Freitag an der Börse positiv aufgenommen: Der deutsche Leitindex Dax kletterte zwischenzeitlich über die Marke von 23.000 Punkten und lag am frühen Nachmittag mit 22.907 Zählern rund 1,7 Prozent im Plus. Spitzenreiter im Dax waren die Papiere des Rüstungsherstellers Rheinmetall, die bis zum frühen Nachmittag um rund 5,7 Prozent zulegten. Gefragt waren auch die Aktien des Baustoffherstellers Heidelberg Materials und des Energietechnikkonzerns Siemens Energy. Für den im MDax notierten Panzergetriebehersteller Renk ging es sogar um rund zehn Prozent bergauf. Stark gefragt waren auch die Papiere der Rüstungsfirma Hensoldt, die rund 5,5 Prozent zulegten. »Während in den USA die zunehmend als chaotisch und bedrohlich empfundene Wirtschaftspolitik von Donald Trump zu Konjunkturpessimismus geführt hat, sorgt in der Eurozone die deutsche Initiative zur Lockerung der Schuldenbremse für Wachstumsoptimismus«, fasste Helaba-Experte Ulf Krauss die Lage an den Märkten zusammen. Branchengewinner europaweit waren unterdessen die Bankentitel. Der Sektorindex zog um 2,2 Prozent an. Aktien der Commerzbank lagen drei Prozent im Plus. Die italienische Großbank UniCredit ist auf dem Weg zu einer möglichen Übernahme einen Schritt weiter. Die Europäische Zentralbank (EZB) genehmigte eine Aufstockung der direkten Commerzbank-Beteiligung auf bis zu 29,9 Prozent. Auch der Anleihemarkt reagierte auf die Einigung für das milliardenschwere Ausgabenpaket: Die Kurse von deutschen Bundesanleihen sind gefallen, während die Renditen im Gegenzug deutlich zugelegt haben. Die Rendite zehnjähriger Bundesanleihen stieg bis auf 2,93 Prozent. Seit der Ankündigung des Sondervermögens und der Ausnahme bei der Schuldenbremse haben die Bund-Renditen kräftig angezogen. Auch in anderen Ländern der Eurozone stiegen die Renditen deutlich – Schulden zu machen wird für die Staaten dadurch teurer.
mic/dpa/Reuters
Der Milliardendeal von Union, SPD und Grünen für ein Schuldenpaket hat einen Freudensprung an der Börse ausgelöst. Vor allem Rüstungs- und Infrastrukturaktien legen zu. Auch der Anleihemarkt reagiert.
[ "Börse", "SPD", "Commerzbank", "Siemens Energy", "Heidelberg", "UniCredit", "Europäische Zentralbank", "Wirtschaft in Deutschland" ]
Wirtschaft
Unternehmen
2025-03-14T14:50:00+01:00
2025-03-14T14:50:00+01:00
https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/boerse-aufwind-nach-schuldenpaket-ruestungsaktien-gefragt-a-c374e5f8-8853-4a5d-81fc-14b2f7cd025c
Medienzar Lebedew will weiter kämpfen
Der russische Medienmogul Alexander Lebedew will sich von einer Anklage wegen "Rowdytums aus politischem Hass" nicht einschüchtern lassen. "Ich werde meinen Kampf gegen Korruption und Diebstahl fortsetzen", sagte er dem Hamburger Nachrichten-Magazin DER SPIEGEL. "Russland werde ich nicht verlassen." Lebedew drohen bis zu fünf Jahren Gefängnis, weil er einen anderen Unternehmer im vergangenen Jahr während einer hitzigen Talkshow mit einem Fausthieb niedergestreckt hatte. Gegen Lebedew, dem in England der angesehene "Independent" und der "Evening Standard" gehören, ermittelt ein Vertrauter des russischen Präsidenten Wladimir Putin, Alexander Bastrykin. Bastrykin hatte im Juni dem stellvertretenden Chefredakteur der von Lebedew finanzierten, regierungskritischen Moskauer Zeitung "Nowaja gaseta" mit Mord gedroht.
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Politik
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2012-09-30T08:05:58+02:00
2012-09-30T08:05:58+02:00
https://www.spiegel.de/spiegel/vorab/medienzar-lebedew-will-weiter-kaempfen-a-858707.html
»WIR HABEN ES GEWOLLT«
Sechs Pfund vergoldeten Messings, von Oberhausener Künstlerhand zu einer unwirtlichen Trophäe verformt, sollen die Bundesregierung ehren für erfolgreiche Liebeshilfe.Die »Goldene Leinwand«, ein Ehrenpreis der Kinobranche, wird Filmschöpfungen verliehen, die binnen Jahresfrist drei Millionen Menschen ins Dunkel zerrten: »Helga«, das aufklärende Mädchen, hat in Deutschland fast fünf Millionen angelockt und bis letzte Woche 13 703 433 Mark eingespielt. In Japan drängten bislang sieben Millionen heran, um der naiven Leibes-Visitation beizuwohnen; in Italien brachte der Film an die sechs Millionen Mark ein; unbeschnitten lief er in Algerien, er lief in der ganzen Westblock-Welt, nur nicht in Südvietnam.40 Millionen Erdbewohner, schätzt die Branche, haben das Aufklärungswerk aus Deutschland schon gesehen. »Helga« ist der erfolgreichste deutsche Film aller Zeiten und ein Staats-Streich zugleich: Das Bonner Gesundheitsministerium hatte »Helga« drehen lassen. So nahm denn am letzten Dienstag im Bonner Glasgasthaus »Tulpenfeld« Frau Käte Strobel, Minister für Gesundheit, mild lächelnd den Messing-Preis hin; hätte sie vorausgesehen, wie »Helga« sich entwickelte, wäre ihr Ministerium jetzt Millionär.Denn vom Gelde, das die Neugierigen zu »Helga« trugen, strömt ein Gutteil nach Bonn zurück; leider in die große Bundeskasse. Das Gesundheitsministerium hatte versäumt, im Haushaltsplan einen Einnahmetitel für »Helga« anzulegen. Bis zum letzten Zähltag, dem 13. August 1968, lenkte die Dame mit dem Unterleib 1 520 243 Mark und 32 Pfennig nach Bonn. Investiert hatten die Auftraggeber sehr viel weniger: 234 037 Mark und 49 Pfennig.Aus dieser Summe waren zunächst zwei kurze Aufklärfilme entstanden ("Er-sie-es«, »Wir haben es gewollt"), die Schülern zeigten, wie man zeugt; um auch andere Lernende zu erreichen, koalierte die Staatsstelle mit der freien Wirtschaft.Die Münchner Rinco-Produktion erbot sich, die beiden Elementarkurse mit etwas Handlung zu beleben und abendfüllend zu verlängern; der Verbindung von Bonn und Busen entsprang »Helga«. An ihren Netto-Einkünften ist der Staat zu drei Fünfteln beteiligt. So hilft der Wechsel-Balg daheim mit den bislang verdienten anderthalb Millionen Mark dem Finanzminister Strauß; in der Fremde kündet er von einem Siechen: vom deutschen Film.Denn je heftiger der deutsche Film unter Besucher- und Qualitätsschwund kränkelt, desto fiebriger trachtet er, Besucher mit minderer Qualität zu ködern. Darin bestärkt ihn die seit diesem Jahre tätige »Filmförderungsanstalt«.Mit dem Bundesgesetz, nach dem sie angetreten, fördert sie Filmkunst nach Kassenrapports: Nur ein Produzent, der ein kassenkräftiges Kinostück ("Referenzfilm") vorweisen kann, bekommt Geld (mindestens 250 000 Mark) für seinen nächsten Streich. Just letzte Woche gab die Filmförderungsanstalt ihre erste Referenzfilm-Liste preis. Neben zwei, drei Jungfilmern ("Mahlzeiten«, »Tätowierung«, »Wilder Reiter GmbH") werden die Produzenten solcher Werke zum Weitermachen angeregt:»Das Rasthaus der grausamen Puppen«, »Wenn es Nacht wird auf der Reeperbahn«, »Heißes Pflaster Köln«, »Der Mörderclub von Brooklyn«, »Der Mönch mit der Peitsche«, »Agent 3 S 3 setzt alles auf eine Karte«, »Das älteste Gewerbe der Welt« und -- »Helga«.Ob Käte Strobel von der Fördersumme drei Fünftel für den Fiskus einstreichen kann, steht freilich noch dahin; die Rechtslage ist verwickelt. Die »Goldene Leinwand« für die goldene »Helga« jedenfalls nahm sie artig dankend an; sogar mehrmals, um dem Fernsehen eine möglichst schöne Übergabe vorzuspielen. Im Zimmer Nummer 521 des Bonner Regierungshauses, ihrer Residenz, stellte sie die Trophäe (Wert: 250 Mark) zur steten Ansicht auf den Schrank.* Mit »Goldene Leinwand«-Verleiher Wolfram Engelbrecht.
[ "Bonn" ]
Kultur
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1968-11-17T13:00:00+01:00
1968-11-17T13:00:00+01:00
https://www.spiegel.de/kultur/wir-haben-es-gewollt-a-d53f4921-0002-0001-0000-000045922164?context=issue
ADHS: Immer mehr Kinder bekommen die Diagnose
Der Anteil der Kinder, denen Ärzte Probleme mit der Aufmerksamkeit oder einen zu starken Bewegungsdrang attestieren, nimmt immer weiter zu. 2006 wurde noch bei 2,5 Prozent der 3- bis 17-Jährigen eine Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) diagnostiziert, 2014 waren es schon 4,4 Prozent. Dies geht aus einer am Montag veröffentlichten Auswertung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) hervor. Zuletzt ist der Anteil von ADHS-Kindern den Daten zufolge jedoch langsamer angestiegen, die Zunahme war nur noch leicht. ADHS sei die häufigste psychische Diagnose im Kindesalter, schreiben die Forscher. Zumindest bei den Versicherten der AOK sind deutlich mehr Jungen als Mädchen betroffen, wie aus einer Auswertung der Ärzteabrechnungen hervorgeht. Demnach wurde bei etwa 6,4 Prozent der AOK-versicherten Jungen ADHS dokumentiert - bei Mädchen lag der Anteil bei nur 2,2 Prozent. Mehr Diagnosen - aber weniger Medikamente Laut der Auswertung werden den betroffenen Kindern heute weitaus weniger Medikamente wie Ritalin verabreicht als noch vor fünf bis zehn Jahren. Ein Grund dafür ist, dass diese heute nur noch von Spezialisten verordnet werden dürfen. Durchgeführt wurde die Studie vom Leiter der Kinderpsychiatrie an der Uniklinik Köln, Manfred Döpfner.Die Wahrscheinlichkeit für eine ADHS-Diagnose hängt den Angaben zufolge auch vom Einschulungsalter ab. Mehrere internationale Studien hätten gezeigt, dass die ADHS-Häufigkeit bei den jüngsten Kindern eines Jahrgangs höher ist als bei den ältesten. In Deutschland handelt es sich dabei um die Septemberkinder oder Kann-Kinder: Sie werden in der Regel noch im Alter von fünf Jahren eingeschult, feiern aber noch vor dem 30. September ihren sechsten Geburtstag. Experten vermuten den Angaben zufolge als Ursache, dass das Verhalten jüngerer Kinder in einer Klasse mit dem der Älteren verglichen wird. Höhere Impulsivität der Jüngeren und geringere Aufmerksamkeit würden dann möglicherweise als ADHS interpretiert.Kinder mit ADHS zeigen weniger Ausdauer, sind leicht ablenkbar und haben einen ausgeprägten Bewegungsdrang. Sie neigen zudem zu impulsivem und unüberlegtem Verhalten und sind emotional instabil.ADHS kann bis ins Erwachsenenalter fortbestehen, die genauen Ursachen für die Störung sind noch weitgehend unbekannt. Die möglichen Behandlungen reichen von Medikamenten über Verhaltenstherapien bis hin zum Neurofeedback, bei dem Patienten am Computer lernen, sich besser zu konzentrieren und zu entspannen.
irb/dpa
Mehr ADHS-Diagnosen, aber weniger ADHS-Medikamente: So beschreibt eine AOK-Studie die aktuelle Situation bei Kindern in Deutschland. Demnach sind Jungen deutlich häufiger betroffen als Mädchen.
[ "ADHS", "Kindergesundheit", "Hyperaktivität" ]
Gesundheit
Diagnose
2016-08-15T11:47:00+02:00
2016-08-15T11:47:00+02:00
https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/adhs-immer-mehr-kinder-bekommen-die-diagnose-a-1107713.html
Mitglied in der falschen Kirche: Kindergarten darf Erzieherin rausschmeißen
KündigungEuropäische Gerichtshof für MenschenrechteStraßburg - Eine von der evangelischen Kirche aus religiösen Gründen ausgesprocheneeiner Erzieherin in Pforzheim ist rechtens. Derentschied Donnerstag in Straßburg, dass in dem Fall keine Verletzung der in der Menschenrechtskonvention verankerten Religionsfreiheit vorliege. Der Frau war fristlos gekündigt worden, nachdem die evangelische Kirche anonym über die Mitgliedschaft der Frau in einer anderen Religionsgemeinschaft - der "Universalen Kirche/Bruderschaft der Menschheit" - informiert worden war. Gegen diese Entscheidung war die heute 47-jährige Frau bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gezogen. Die Klägerin ist Katholikin und arbeitete in Pforzheim als Erzieherin in einem Kindergarten der evangelischen Kirche. Für die Kündigung mit entscheidend war auch die Tatsache, dass die Erzieherin für die Universale Kirche Einführungskurse in deren Lehre abhielt. Nach Auffassung der evangelischen Kirche sind die Lehren der Universalen Kirche mit wesentlichen christlichen Glaubensüberzeugungen unvereinbar. Die Klägerin argumentierte jedoch, ihre Mitgliedschaft bei der Universalen Kirche habe keine Auswirkungen auf die Arbeit im Kindergarten gehabt. Die deutschen Arbeitsgerichte bestätigten die Kündigung im Ergebnis. Das Bundesarbeitsgericht hatte schließlich 2001 entschieden, dass die evangelische Kirche einer Kindergärtnerin kündigen dürfe, die für eine sektenähnliche Gruppe aktiv sei.
yes/dapd
In der Kirche darf Ehrlichkeit besonders groß geschrieben werden: Eine Erzieherin hatte ihrem evangelischen Arbeitgeber ihre Tätigkeit für eine andere Religionsgemeinschaft verschwiegen und wurde entlassen. Die Gekündigte zog daraufhin bis vor den Europäischen Menschengerichtshof - und unterlag nun.
[ "Arbeitsrecht", "Personalführung", "Kündigungen", "EGMR" ]
Wirtschaft
Soziales
2011-02-03T14:50:00+01:00
2011-02-03T14:50:00+01:00
https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/mitglied-in-der-falschen-kirche-kindergarten-darf-erzieherin-rausschmeissen-a-743362.html
Spendenskandal: "Schwarze Kassen" bei der Kölner SPD
Berlin/Köln - Nach der Geschäftsstelle der Kölner SPD durchsuchten Polizei und Staatsanwaltschaft auch dieGeschäftsräume der Abfallentsorgungs- und Verwertungsgesellschaft(AVG). Es seien Unterlagen zum Bau derMüllverbrennungsanlage (MVA) beschlagnahmt worden, bestätigteOberstaatsanwältin Regine Appenrodt. Im Zusammenhang mit der Errichtung der MVA sollen in den neunziger Jahren nach Kölner SPD-Angaben rund 29 Millionen Mark über dieSchweiz an der Steuer vorbeigeflossen sein. Davon habe die Kölner SPDrund 511.000 Mark (261 000 Euro) erhalten. An der stadtnahen AVG istauch die Müllentsorgungsfirma Trienekens beteiligt. Der Verdachtrichte sich aber nicht konkret gegen die AVG, sondern gegenEinzelpersonen, betonte Appenrodt. Die Kölner SPD-Fraktion gab die Existenz einer schwarzen Kasse zu und bestätigte damit in Teilen einen Bericht der "Rheinischen Post".Vize-Fraktionschef Heinz Lüttgen sagte aber auf Anfrage, diese Kassehabe "definitiv nichts mit Korruption oder Schmiergeldzahlungen" zutun. Zur genauen Höhe der illegalen Gelder machte er keine Angaben.Ratsmitglieder hätten teilweise freiwillig und privat in die Kasseeingezahlt, es seien dort aber auch übrig gebliebene Personalkosten-Zuschüsse an die Stadt aufbewahrt worden. Die Folgen für die Bundestagswahl bereiten der Partei unterdessen immer größere Sorgen. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende MichaelMüller warnte, der SPD drohe eine Schlammschlacht: "Das ist einschreckliches Wahlkampfthema." Nach einer repräsentativen Umfrage des Nachrichtensender N24glauben 61 Prozent der Bürger, dass der Kölner Skandal auchBundeskanzler Gerhard Schröder im Bundestagswahlkampf schaden wird.Weniger als ein Drittel erwarten keine Auswirkungen. Generalsekretär FranzMüntefering kündigte eine energische Aufklärung derVorwürfe an. Die SPD werde gegen die eigenen Genossen "notfalls vorGericht ziehen''. Er drohte SPD-Mitgliedern in einem "Bild''-Interview beiVerfehlungen mit dem Parteiausschluss. Fraktionschef Peter Struck forderte eineEhrenerklärung von allen Kölner Funktionsträgern. Für denParteispendenausschuss des Bundestages will die SPD Sondersitzungenbeantragen. Der Düsseldorfer Ministerpräsident Wolfgang Clementmeinte zu den bundespolitischen Auswirkungen der Skandals, es gebein allen Regionen Menschen, die Fehler machten. In Köln sei darausein Fall für die Strafverfolger geworden. "Ich gehe davon aus, dassdas ausgemerzt und ausgeräumt wird.'' Entwarnung aus WuppertalEntlastung kam für die SPD immerhin aus Wuppertal. Die dortige Staatsanwaltschaft widersprach Berichten übereinen weiteren SPD-Spendenskandal. OberstaatsanwaltAlfons Grevener sagte, die Ermittler sähen entgegen einem Berichtder Tageszeitung "Die Welt" keinen sachlichen Zusammenhangzwischen einem millionenschweren Immobilien-Skandal rund um diegemeinnützige Wohnungsbaugesellschaft Wuppertal und zweiParteispenden an die SPD. Unions-Kanzlerkandidat Edmund Stoiber sagte in München, in Kölnhandele es sich um einen Korruptionsskandal und nicht nur um eineSpendenaffäre. Die nordrhein-westfälische CDU schloss abereine Verwicklung von Unionsmitgliedern in die Affäre nicht aus."Sie können nie sicher sein, in keiner Großorganisation, in keinemVerband, in keinem Unternehmen, dass nicht jemand auch die Regelnverletzt und sich kriminell verhält", sagte der nordrhein-westfälische CDU-Generalsekretär Herbert Reul im WDR.
In der Bundes-SPD wächst die Sorge vor den Auswirkungen des Spendenskandals auf die Bundestagswahl. Die Kölner Fraktion bestätigte die Existenz von schwarzen Kassen. Polizei und Staatsanwaltschaft starteten eine weitere Razzia.
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Politik
Deutschland
2002-03-08T17:17:29+01:00
2002-03-08T17:17:29+01:00
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/spendenskandal-schwarze-kassen-bei-der-koelner-spd-a-186112.html
Bremen: Staatsanwaltschaft fordert lange Haft für Raser "Alpi"
Mit seinem rasanten Fahrstil wollte ein junger Mann aus Bremen Geld verdienen. Der in der Szene unter dem Namen "Alpi" bekannte Mann stellte Mitschnitte seiner riskanten Fahrten ins Internet, um mit den YouTube-Videos Werbeeinnahmen zu erzielen. Doch im Juni 2016 war damit Schluss: Der Motorradfahrer überfuhr einen Fußgänger, der bei Rot die Straße überquert hatte. Der 75-Jährige starb bei dem Unfall. Im Prozess gegen den Motorradfahrer und YouTube-Filmer hat die Bremer Staatsanwaltschaft nun sieben Jahre und zwei Monate Haft wegen Totschlags für den Angeklagten gefordert. Zuvor hatten die Ankläger den Mordvorwurf gegen den 24-Jährigen fallen gelassen. In dem Verfahren vor dem Landgericht hatten zwei Gutachter Zweifel an den Mordmerkmalen Verdeckungsabsicht und niedere Beweggründe aufkommen lassen. Laut Anklage hatte "Alpi" kurz vor dem tödlichen Unfall ein Auto touchiert - und Fahrerflucht begangen. Er soll mit Tempo 100 unterwegs gewesen sein, obwohl auf der Straße nur 50 erlaubt waren. Bei anderen Gelegenheiten war "Alpi" zum Teil mit mehr als Tempo 170 in Bremen unterwegs, wie seine eigenen Videos belegen.
ala/mxw/dpa
Motorradfahrer "Alpi" raste mit Tempo 100 durch Bremen und tötete dabei einen Rentner. Nun hat die Staatsanwaltschaft den Mordvorwurf fallen lassen - und fordert etwa sieben Jahre Haft wegen Totschlags.
[ "Bremen", "Kriminalität", "Straßenverkehr", "YouTube" ]
Panorama
Justiz & Kriminalität
2017-01-31T11:32:00+01:00
2017-01-31T11:32:00+01:00
https://www.spiegel.de/panorama/justiz/bremen-staatsanwaltschaft-fordert-lange-haft-fuer-raser-alpi-a-1132461.html
Roderich Kiesewetter (CDU) fordert »selektive Waffenlieferungen« an Ukraine
Mit Truppenverlegungen nach Europa und Waffenlieferungen an die Ukraine machen die USA Druck auf Russland. Nach Ansicht des CDU-Politikers Roderich Kiesewetter sollte auch Deutschland in dem Konflikt in Osteuropa eine aktivere Rolle einnehmen und Waffen an die Regierung in Kiew liefern. »Selektive Waffenlieferungen an die Ukraine würden helfen, die Abschreckungswirkung zu erhöhen, um das Kalkül Putins und Russlands Eskalationsdominanz zu verändern«, sagte Kiesewetter der »Rheinischen Post« und dem Bonner »General-Anzeiger«. Es brauche eine »glaubwürdige Reaktion Deutschlands auf die Bedrohung der Ukraine durch Russland«. Konkret nannte der CDU-Politiker Lieferungen zur Fernmeldeaufklärung, Störsender gegen russische Kommunikation, Nachtsichtgeräte, Panzerabwehrtechnologie oder Flugabwehrraketen, »also eher defensiv angelegte Waffen«.Von ukrainischer Seite waren vehement und wiederholt Waffenlieferungen auch aus Deutschland eingefordert worden. In dieser Debatte hat die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Vertreter der Ukraine nun zur Mäßigung aufgefordert. »Ich habe allergrößtes Verständnis dafür, dass die Nerven der ukrainischen Vertreter in Kiew blank liegen angesichts der Bedrohung durch die russische Armee. Kein Verständnis aber habe ich für die steten verbalen Entgleisungen seitens manch ukrainischer Stimmen uns gegenüber«, sagte die FDP-Politikerin der Nachrichtenagentur dpa. »Deutschland hat in den letzten Jahren der Ukraine aus Verantwortung und Freundschaft heraus viel Hilfe zukommen lassen. Im Eifer des emotionalen Gefechts, sollten die ukrainischen Vertreter daher bitte nicht Freund und Feind verwechseln«, warnte Strack-Zimmermann. »Ein bisschen Mäßigung wäre angebracht.« Die Bundesregierung hat Waffenlieferungen an die Ukraine bisher ausgeschlossen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) erteilte einer solchen Maßnahme erst am Mittwochabend im ZDF-»heute journal« eine deutliche Absage. Von der Ukraine und östlichen Nato-Bündnispartnern wurde diese Haltung zuletzt deutlich kritisiert. Am Montag wird Scholz von US-Präsident Joe Biden im Weißen Haus empfangen. Am 15. Februar will Scholz sich mit Putin treffen. »Klare Ansage gegenüber Putin«Mit Blick auf diese geplanten Reisen forderte CDU-Politiker Kiesewetter den Kanzler auf, seine Position zu schärfen. »Bundeskanzler Scholz muss gegenüber Putin ein klares Bekenntnis für die europäische Sicherheitsordnung, das Einstehen für die Ukraine und die Position der Nato einnehmen«, sagte Kiesewetter. »Dazu gehört die klare Ansage gegenüber Präsident Putin, dass Deutschland bereit ist, keine Sanktionen auszuschließen und auch bereit ist, Nachteile und Kosten in Kauf zu nehmen.« Deshalb dürften weder die Gaspipeline Nord Stream 2 noch ein Ausschluss Russlands aus dem Zahlungssystem Swift als Sanktionen ausgeschlossen werden. US-Senator fordert Kursänderung von DeutschlandAuch aus den USA gibt es Druck auf Deutschland. Vor dem Antrittsbesuch von Kanzler Scholz in Washington hat US-Senator Jim Risch die Bundesregierung aufgefordert, ihren Kurs im Ukrainekonflikt zu überdenken. »Eine groß angelegte russische Invasion der Ukraine wird dramatische Auswirkungen auf ganz Europa haben – auch auf Deutschland«, sagte der hochrangigste Republikaner im Auswärtigen Ausschuss des Senats der Nachrichtenagentur dpa. »Ich bin mir zwar der langjährigen deutschen Politik in Bezug auf Waffenlieferungen bewusst, aber die Situation in der Ukraine, und darüber besteht Einstimmigkeit bei den Nato-Verbündeten, ist so einzigartig, dass Deutschland seine Haltung überdenken sollte.« Der Senator forderte zugleich Konsequenzen für die umstrittene Gaspipeline Nord Stream 2. »Wir haben sicherlich von der deutschen Regierung gehört, dass Nord Stream 2 ein Ziel von Sanktionen sein könnte«, sagte Risch. »Wenn das stimmt, ist das schön und gut. Aber mir reicht das nicht. Als Russland 2014 auf der Krim einmarschierte, haben wir ähnliche Beteuerungen gehört, aber einige Monate später hat Deutschland das Projekt wieder vorangetrieben.«US-Präsident Joe Biden hat immer wieder die Geschlossenheit der Nato-Verbündeten in der Ukrainekrise betont. Er sah sich in den vergangenen Wochen zunehmend kritischen Fragen zur Rolle Deutschlands ausgesetzt. Der republikanische Senator Risch sagte auf die Frage, ob er Deutschland noch für einen zuverlässigen Verbündeten der USA halte, das bilaterale Verhältnis gehe über den Ukrainekonflikt hinaus. »Aber ich denke, es kann sich auch verbessern.« Deutschland und die USA sollten bei den vielen gemeinsamen Bedrohungen durch Russland, China und Iran Wege der Zusammenarbeit finden.
mmq/dpa
Der CDU-Außenpolitiker Kiesewetter hat sich für die Lieferung »eher defensiv angelegter Waffen« aus Deutschland an die Ukraine ausgesprochen. Diese könnten »Abschreckungswirkung« haben.
[ "Nato", "Ukraine", "Russland" ]
Ausland
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2022-02-05T08:12:48+01:00
2022-02-05T10:22:00+01:00
https://www.spiegel.de/ausland/roderich-kiesewetter-cdu-fordert-selektive-waffenlieferungen-an-ukraine-a-c64415b3-043e-40ef-acc4-c2c01d4c174d
Afghanistan: Ermordeter Minister beigesetzt - Von Tätern fehlt jede Spur
Kabul - Am Sarg in der Eid-Gah-Moschee der Hauptstadt erwiesenunter anderem Präsident Hamid Karsai und sein VorgängerBurhanuddin Rabbani dem Toten die letzte Ehre.Für die Trauerfeier hatte die Regierung starkeSicherheitsvorkehrungen getroffen. Soldaten und Polizistensäumten den Weg des Sarges zur Moschee in einer der Gegenden derStadt, die vom Bürgerkrieg in den 80er und 90er Jahren besondersstark verwüstet wurde. Der Sarg war mit einem Tuch aus schwarzemSamt und Blumengebinden bedeckt. Rund 100 Soldaten der internationalen Friedenstruppe ISAFsicherten die Moschee. Geheime Trauergäste-ListeDrei Hubschrauber standen bereit, um die sterblichenÜberrest Kadirs und einige Trauergäste anschließend nach Dschalalabad zufliegen, wo Kadir beigesetzt wird.Einige Regierungsmitglieder sollen an der Beisetzung teilnehmen. EineNamensliste wurde aus Sicherheitsgründen nicht veröffentlicht. Derkommende Dienstag wurde zum nationalen Trauertag erklärt.Kadir war vor seinerBerufung als Vizepräsident und Bauminister dort Gouverneurgewesen. Er hatte sich vor dem Bürgerkrieg einen Namen imWiderstand gegen die sowjetischen Besatzer und später gegen dieIslamisten der Taliban-Bewegung gemacht. Weiterer Anschlag vereitelt?Am Sonntagmorgen wurde nach Medienberichten ein Mann, derangeblich eine Bombe bei sich trug, in Kadirs Wohnviertelfestgenommen. Der Festgenommene war nach Angaben der in Pakistanansässigen Nachrichtenagentur ein Afghane aus der Provinz Nangarhar.Weitere Einzelheiten wurden nicht mitgeteilt. Die Hintergründe des Anschlages sind weiterhin unklar. "Wirglauben, dass es ein vereinzelter Anschlag war, der darauf abzielte,die Übergangsregierung zu destabilisieren", sagte ein Sprecher dertürkischen Armee, Oberst Samet Oz. Die Türkei hat derzeit den Vorsitzder 5000 Mann starken ISAF-Friedenstruppen. Einige Leibwächter Kadirssind nach Berichten aus Kabul bereits von der Polizei vernommenworden. Anklagen hat es bisher nicht gegeben. Zu dem Attentat hatte sich bis zum Sonntagnachmittagauch noch keine Gruppe bekannt. Sicherheitsleute noch immer unter Verdacht Der Mord an Kadir geschah am Samstag, als der Vizepräsidentund Bauminister seinen Amtssitz verließ. Zwei unbekanntenAttentäter lauerten dem Fahrzeug auf. Dabei wurden mindestens 36 Schüsse auf das Fahrzeug abgegeben. Außer Kadir starb seinFahrer. Während die weißgekleideten Täter mit einem Taxi entkamen, verhaftetedie Polizei zehn Mitglieder der Wachmannschaft. Sie sollen demMord tatenlos zugesehen haben und sind deshalb in den Verdachtder Komplizenschaft geraten. Die Afghanische Regierung setzte eine Untersuchungskommission ein.Die Männerseien vom Vorgänger Kadirs im Amt des Bauministers, Abdul ChalikFasal, ausgesucht worden. "Ich binhundertprozentig sicher, dass diese Leute darin verwickelt sind,weil sie nur zwei oder drei Meter von dem Ort des Attentatsentfernt waren und nichts unternommen haben, um es zu stoppen",sagte der Sicherheitschef des Innenministeriums, General DeenMohammad Dschurat. Augenzeugen zufolge hatten sich die Attentäter alsSicherheitsleute getarnt. Nach den Schüssen seien sie in einemTaxi entkommen; niemand habe versucht, sie aufzuhalten. Es gabauch Spekulationen, dass die Taliban hinter dem Anschlag stecken. Siehatten im vergangenen Jahr Kadirs Bruder, Mudschahedin-Kommandeur Abdul Hak, hingerichtet.Beileid von Fischer und Thierse Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) reagierte bestürzt mit einer schriftlichen Erklärung auf den Mordfall. "Dieses Verbrechen ist auch ein Anschlag auf den gerade erst begonnenen Friedens- und Demokratisierungsprozess in Afghanistan", sagte Thierse. Er trauere mit dem afghanischen Volk und teile die Sorge um Frieden und Stabilität. Auch Außenminister Fischer zeigte sich bestürzt.Hergang und Hintergründe der Tat müssten aufgeklärt werden, forderteFischer am Sonntag in Berlin. Unabhängig davonvertraue die Bundesregierung darauf, dass die begonnene Entwicklung zueinem selbstbestimmten, demokratischen und friedlichen Afghanistanfortgesetzt werde.Bereits der zweite Mord an einem MinisterIm Februar war der afghanische Luftfahrtminister Abdul Rahman amKabuler Flughafen ermordet worden. Er fiel nach den Erkenntnissen derRegierung einem Komplott hoher Staatsbediensteter zum Opfer. Dagegenwar Verteidigungsminister Mohammed Fahim im April in Dschalalabadeinem Attentat entgangen. Fünf Menschen starben damals. Kadir gehörte wie Präsident Hamid Karsai dem paschtunischen Volk an. Der Bruder des legendären Oppositionsführers Abdul Hak, der im Oktober 2001 von den Taliban gefangengenommen und getötet wurde, spielte eine führende Rolle beim Sturz der Taliban im vergangenen Jahr. Er hatte als Paschtune das Bündnis mit der von Tadschiken und Uzbeken geprägten Nordallianz gesucht. Schon in den 80-ger Jahren hatte er eine führende Rolle im Kampf gegen die sowjetischen Besatzungstruppen gespielt.Vor der Berufung in die Regierung Afghanistans war Kadir Gouverneur der Provinz Dschalabad. Seine Leiche sollte noch am Samstag inseine Heimatstadt Kandahar gebracht werden. Bundespräsident Thierse Afghanistans Regierung ist seit Mitte Juni im Amt und soll bis zu denersten allgemeinen Wahlen Ende 2003 die Geschicke des Landes lenken. Ihreunter den Volksgruppen ausgewogene Zusammensetzung gilt alsentscheidende Voraussetzung für einen Erfolg der Bemühungen, dieehemaligen Kriegsparteien des Landes miteinander zu versöhnen. Zweiter Vize-Präsident ist Karim Chalili, der Anführer der Volksgruppe Hasara ausZentral-Afghanistan.
In Kabul nahm am Sonntag die politische Führung Afghanistans Abschied von Vizepräsident Hadschi Abdul Kadir, der am Samstag von zwei Attentätern förmlich hingerichtet worden war. Ein Bekenntnis der flüchtigen Täter fehlt noch immer. Ein weiteres Attentat wurde möglicherweise verhindert.
[ "Afghanistankrieg" ]
Ausland
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2002-07-07T09:40:10+02:00
2002-07-07T09:40:10+02:00
https://www.spiegel.de/politik/ausland/afghanistan-ermordeter-minister-beigesetzt-von-taetern-fehlt-jede-spur-a-204256.html
Erfolg mit Ernie
Als wahre Kursraketen haben sich jüngst die meisten Medienaktien erwiesen. So profitierte EM.TV ("Sesamstraße«, »Jim Knopf") von einem Deal mit der Kirch-Gruppe. Für 500 Millionen Mark übernimmt die Firma sämtliche Kinderprogramme von Leo Kirch. Die DG-Bank lobt vor allem die Internationalisierung von EM.TV, darunter ein Abkommen mit einem chinesischen TV-Sender, und den Vermarktungsvertrag mit der Expo. Die Firma gehöre »zu den am schnellsten wachsenden Unternehmen am Neuen Markt«. Auch Edel Music konnte seinen Kurs seit Mitte November um über 200 Prozent steigern. Das Hamburger Musik-Label ("Blümchen«, »Scooter") profitiert von einem Vermarktungsvertrag mit EM.TV. Nach einem schwachen Börsenstart hat auch die Deutsche Entertainment AG von Peter Schwenkow ihren Kurswert mehr als verdoppelt. Der Erfolg der Rolling-Stones-Tournee in diesem Sommer soll 1999 mit Marius Müller-Westernhagen wiederholt werden. Verlierer unter den Entertainment-Werten ist Pro Sieben. Selbst ein Gewinnplus um 25 Prozent in den ersten drei Quartalen, höhere Programminvestitionen und das Versprechen »üppiger Ausschüttungen« konnten nicht helfen - die Aktie stürzte seit ihrem Höchststand im März um 24 Prozent ab. [Grafiktext] Aktienkurse von Edel Music, Deutsche Entertainment, Pro Sieben, d EM. EM.TV[GrafiktextEnde][Grafiktext] Aktienkurse von Edel Music, Deutsche Entertainment, Pro Sieben, d EM. EM.TV[GrafiktextEnde]
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Wirtschaft
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1998-12-13T13:00:00+01:00
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https://www.spiegel.de/wirtschaft/erfolg-mit-ernie-a-cbec2781-0002-0001-0000-000008447895?context=issue
Gouverneurswahlkampf: Schwarzenegger holt sich Reagans Außenminister
San Francisco - Gestern gab der Hollywoodstar bekannt, dass der Republikaner Shultz in seinem Wahlkampfteam ein wichtiges Amt bekleiden werde. Erst am Mittwoch hatte Schwarzenegger den Milliardär und Investor Warren Buffett zu seinem Finanz- und Wirtschaftsberater ernannt. Die beiden Politik- und Wirtschaftsveteranen sollen einen"Rat zur wirtschaftlichen Erholung" leiten und einen Schlachtplan zur Bewältigung der Finanzkrise in Kalifornien aufstellen. Shultz war von 1982 bis 1989 unter Präsident Ronald Reagan Außenminister. Richard Nixon hatte ihn zuvor als Arbeits- und Finanzminister nach Washington geholt. "Warren und George werden mir dabei helfen, ein Weltklasse-Team aufzubauen", sagte Schwarzenegger. Buffett soll ihm als Chef-Wirtschaftsberater zur Seite stehen. Der nachBill Gates zweitreichste Mann der Welt soll mit Wirtschaftsexpertenund Führungskräften einen Schlachtplan zur Bewältigung derFinanzkrise in Kalifornien aufstellen. "Er ist in der Finanzwelt ein wirklicher Gigant", hatte Schwarzenegger am Mittwoch mitteilen lassen, "und er wird mir eine große Hilfe sein, wenn wir für die Stärkung der kalifornischenWirtschaft arbeiten." Buffett seinerseits hatte erklärt: "Ich kenne Arnold seit Jahren und weiß, dass er ein großartiger Gouverneur sein wird." Der weltweit zu den reichsten Menschen zählende Buffett fuhr fort: "Es ist fürden Rest der Nation wichtig, dass die Wirtschaftskrise in Kalifornien gelöst wird, und ich denke, Arnold wird seinen Job tun."Der Action-Star, ein gemäßigter Republikaner, ist einer von 135 Kandidaten, die bei vorgezogenen Wahlen am 7. Oktober um den Gouverneursposten kämpfen. Der amtierende demokratische Gouverneur Gray Davis muss sich zum ersten Mal in der Geschichte Kaliforniens gegen eine Absetzungskampagne wehren. Seine Gegner machen ihn für dieschwere Finanzkrise an der Westküste verantwortlich.
Hollywoodstar Arnold Schwarzenegger nimmt seinen Wahlkampf sichtlich ernst. Ein hochkarätiges Team soll ihm den Erfolg bei den Gouverneurswahlen bescheren. Dabei setzt der steirische Muskelmann offenbar vor allem auf Polit- und Wirtschaftsveteranen. Neuestes Mitglied: der ehemalige US-Außenminister George Shultz.
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Ausland
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2003-08-15T09:45:56+02:00
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https://www.spiegel.de/politik/ausland/gouverneurswahlkampf-schwarzenegger-holt-sich-reagans-aussenminister-a-261307.html
BMW Z4 M Coupé: Roadster mit Happy End
Es hat schon eine gewisse Tradition: Kaum geht der Roadster in die zweite Halbzeit, schickt BMW ein Coupé hinterher. Das war vor acht Jahren beim Z3 so, und das gleiche Spiel wiederholt sich nun auch beim Z4. Doch damit enden die Parallelen. Während das alte Coupé eher als ungehorsamer Akt der Ingenieure galt, das mit seiner polarisierenden Form nur wenige, dafür aber feste Freunde fand, ist die Neuauflage auf Konsens getrimmt. Ein knappes Jahr nachdem die Idee vom Coupé auf der IAA in Frankfurt wieder aufflackerte, stülpt BMW dem Z4 nun tatsächlich einen Stahlhelm über, der dem Wagen ausgesprochen gut steht. Das Blech wurde in sehr elegantem Schwung über den Wagen gelegt: Vorn bildet das Dach zwei kleine Höcker über den Passagieren, hinten gibt es statt einer gewöhnlichen Kante einen kessen Spoiler, und dazwischen spannt sich eine schmaler werdende Glasplatte, die oben an der Dachkante angeschlagen ist und sich mitsamt dem Bürzel öffnen lässt. Eingerahmt wird das riesige Heckfenster von den beiden breiten B-Säulen, die sich wie zwei starke Arme auf die weit ausgestellten Kotflügel stützen. So wird das Heck zur Schokoladenseite des Z4 Coupés. Und das aus gutem Grund: "weil ihn die meisten Menschen aus dieser Perspektive sehen werden", frohlockt Ulrich Bruhnke, der Chef der M GmbH, der "seinem" Coupé einen besonders sportlichen Look spendiert hat. Die Motorhaube der M-Version trägt zwei Powerdomes, die Schürzen sind breiter, die Schweller dicker, und aus dem hinteren Stoßfänger lugen gleich vier Endrohre hervor. Doch der Zweitürer ist nicht nur schön, sondern – zumindest in Maßen - sogar praktisch. Erstens sieht man beim Schulterblick mehr als im geschlossenen Open-Air-Modell, und zweitens kann man nun endlich ein bisschen Gepäck mitnehmen. Während der Roadster gerade einmal Platz für 260 Liter bietet, passen beim Coupé schon unter das serienmäßige Rollo immerhin 285 Liter. Und wer auf den Sichtschutz verzichtet, kann bis zu 345 Liter laden. Für die Warenausgabe bei Ikea ist das noch immer wenig. Doch mit den zwei obligatorischen Golfbags gibt es nun kein Problem mehr.Bruhnke allerdings zieht aus dem Kofferraum keine Golfsäcke, sondern ein halbes Dutzend Trophäen, die der Reihensechszylinder unter der Haube bereits gewonnen hat. Zwar ist der Motor aus dem M3 nicht mehr der neueste, doch erst vor wenigen Tagen bekam er wieder den Oscar der Fachjournalisten, weil er in ihren Augen einfach die beste Balance zwischen Antrieb und Leistung wahrt. Wie im M Roadster geht der hoch drehende Sechszylinder auch im Coupé mit 343 PS und bis zu 365 Nm zu Werke und komponiert dabei eine wundervolle Symphonie der Sportlichkeit.: "Grollend im Schub, bellend ab 4000 Touren, trompetend ab 5000 und heißer als ein Rennwagen jenseits der 7000", schwärmt der Chef wie ein Konzertkritiker. Wer das kurz gestufte Sechsgang-Getriebe behände bedient, sprintet in fünf Sekunden auf 100 km/h, hat den ersten Kilometer schon nach 23,7 Sekunden bewältigt und versteht bei 250 km/h die Welt nicht mehr. Denn rein subjektiv reicht die Kraft auch für 280 Sachen, nur die Vernunft der Entwickler schiebt dem wilden Treiben einen Riegel vor. Außerdem läuft dann auch der Verbrauch aus dem Ruder, der mit einem Normwert von 12,1 Litern ohnehin happig ist."Das Auto bremst nicht, es wirft Anker"Ebenso beeindruckend wie die Beschleunigung des M Coupés ist die Verzögerung: "Das Auto bremst nicht, es wirft Anker", sagt Bruhnke und verspricht bei Tempo 100 einen Bremsweg von 34 Metern. "Oder andersherum: Von 0 auf 100 schafft es der Z4 in fünf Sekunden, von 100 auf 0 dagegen braucht er nur 2,5 Sekunden." Weil sich insbesondere die M-Version als waschechter Sportwagen versteht und das feste Dach der Karosserie zusätzlichen Halt gibt, ist das nur zehn Kilo schwerere Coupé noch einen Tick straffer abgestimmt als der Roadster. Das steigert die Agilität in engen Kurven und macht schnelle Lastwechsel zum Vergnügen, stellt aber die Bandscheiben der Insassen auf eine harte Probe. Da sind die paar Sekunden Zeitgewinn auf der Nordschleife nur ein schwacher Trost. 55.900 Euro machen das M Coupé zu einem Traum, der für viele unerreichbar bleibt. "Weil nicht jeder so viel Geld investieren kann oder will, gibt es den Wagen auch in einer zivilen Version", sagt Bruhnke und rückt den Z4 3.0si ins Rampenlicht. Auch dieses Auto ist kein Spaßverderber. Schließlich kommt dort der größte und stärkste Sechszylinder aus der Serie zum Einsatz, so dass im Datenblatt 265 PS und ein Sprintwert von 5,7 Sekunden stehen. Auch mit diesem Motor erreicht das Coupé die 250 km/h, verbraucht aber im Mittel vertretbarere 8,9 Liter.Natürlich ist das neue Coupé alles andere als ein zurückhaltendes Auto. Und ein Schnäppchen ist der Wagen auch nicht. Doch entgegen ihrer sonstigen Art haben sich die Preisermittler in München diesmal zumindest eine gewisse Zurückhaltung auferlegt: Anders als etwa bei den konkurrierenden Porschegeschwistern Boxster und Cayman ist das Coupé bei BMW billiger als der Roadster.
Tom Grünweg
BMW gönnt dem Z4 ein Happy End: Wer empfindlich auf Zugluft reagiert und bislang mit dem knappen Stauraum haderte, bekommt den Roadster nun auch als Coupé. Allerdings will das Auto nicht nur Blickfang sein, sondern insbesondere als M-Version auch ein ernsthafter Sportwagen.
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Mobilität
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2006-05-22T09:37:57+02:00
2006-05-22T09:37:57+02:00
https://www.spiegel.de/auto/aktuell/bmw-z4-m-coupe-roadster-mit-happy-end-a-417059.html
Mit Gift und Galle
Sonntags ließen die Knaben die Sau raus. Frustriert vom Druck des Washingtoner Jesuiten-College Gonzaga und von den Anforderungen ihres autoritären irischstämmigen Vaters mußten die Buchanan-Brüder Dampf ablassen. Sie beluden Daddys Oldsmobile mit Getränken und flanierten auf der noblen Connecticut Avenue, stets auf der Suche nach feschen Mädchen oder einer derben Schlägerei. Sechs väterliche Karossen gingen im Laufe der Jahre bei solchen Ausflugsfahrten zu Bruch - und ungezählte Nasenbeine. Wie Pitbullterrier hatte der Buchhalter William B. Buchanan seine sieben Söhne auf Aggressivität getrimmt: Wöchentlich mußte jeder im Keller 400mal auf einen Sandsack eindreschen. _(* Vor dem Nationaldenkmal Mount ) _(Rushmore im US-Staat South Dakota. ) Heute, gut vier Jahrzehnte später, versetzt Patrick Buchanan, 57, mit verbaler Schlagkraft die Grand Old Party (GOP), seine eigene Republikanische Partei, in Angst und Schrecken. Seit der kampflustige Katholik am Dienstag vergangener Woche bei den Vorwahlen in New Hampshire den haushohen Favoriten Robert Dole, republikanischer Mehrheitsführer im Senat, knapp besiegt hat, fürchten viele Parteifreunde um die Zukunft der Republikaner. Sollte der knallharte Scharfmacher bei den Vorwahlen der kommenden Monate tatsächlich die knapp 1000 Delegierten hinter sich scharen können, die ihm beim republikanischen Parteitag im August in San Diego die Präsidentschaftskandidatur seiner Partei bescheren würden, wäre wohl auch die frisch gewonnene Vormacht im Washingtoner Kongreß gefährdet. Letztes Jahr hatten die Republikaner erstmals in mehr als 40 Jahren die Vorherrschaft in beiden Häusern des Kongresses erringen können. Sie drängten die Demokraten thematisch in die Ecke, ihre Rückkehr ins Weiße Haus galt fast schon als gesichert. Nun beschert ihnen der Präsidentschaftswahlkampf eine Zerreißprobe. Mit populistischen Appellen gegen die Finanzhyänen der Wall Street, gegen das Machtkartell in Washington, den Freihandel und die »Neue-Welt-Regierung« der Uno, gegen das Recht auf Abtreibung wie gegen jegliche Einschränkung des Waffenverkaufs hat Buchanan eine bunte Gefolgschaft aktiviert: Verängstigte Kleinbürger, religiöse Rechte, Waffennarren und militante Milizionäre jubeln dem bulligen Brandredner zu. Mit Abscheu registriert die Geschäftswelt klassenkämpferische Gesinnung in einer Partei, die sich bislang vor allem als Freund (und Spendenempfänger) von Big Business hervorgetan hat. Buchanans Credo heißt »Dritter Weg«, und sein erklärter Wirtschaftsguru ist ein Deutscher - Wilhelm Röpke, Sohn eines Landarztes und Ludwig-Erhard-Intimus. Röpke wollte »den Kapitalismus gegen die Kapitalisten verteidigen« und wetterte gegen »die Skrupellosigkeit« großer Konzerne. Eingriffe des Staates ins Wirtschaftsleben seien nötig, lehrte Röpke, menschenwürdige Lebensbedingungen sollten auch denen gesichert werden, die sich nicht am Leistungswettbewerb beteiligen könnten: Konservative, radikal christliche Kapitalismuskritik, die dem Jesuitenzögling Buchanan einleuchtet - aus der er freilich andere Schlußfolgerungen zieht als sein deutsches Vorbild, das vehement für den freien Welthandel eintrat. Der Amerikaner will Schutzzölle und »jeden Pedro nach Mexiko zurückschicken«. Selbst vielen Konservativen gilt Buchanan als Demagoge. Der Bewerber, dessen Vorstellungen sogar sein Mentor Richard Nixon einst mit »Rassentrennung auf ewig« geißelte, »flirte mit dem Faschismus«, warnte der konservative Ex-Minister William Bennet. Doch Buchanan nahm bislang keinen Schaden, obwohl er sich eine Latte verbaler Entgleisungen leistete: Er *___bewunderte die Diktatoren Francisco Franco und ____Augusto Pinochet als »Soldatenpatrioten«; *___rühmte Hitler als »ein außerordentlich mutiges ____Individuum und Vorbild eines Soldaten - ein von ____europäischer Geschichte durchtränkter Führer«; *___nannte den schwarzen US-Nationalhelden Martin ____Luther King einen »unmoralischen, üblen Demagogen«; *___verspottete den Uno-Generalsekretär als ____"Buh-Buh-Ghali«; *___warf Homosexuellen vor, sie führten »Krieg wider ____die Natur« und »einen Angriff auf die Ordnung Gottes«; *___behauptete, daß Frauen »einfach nicht ausgerüstet« ____seien für den Arbeitsplatz ("Mama Vogel baut das Nest, ____so war es, und so soll es für immer bleiben"). Die Konkurrenz wirkt wie erstarrt durch diese Wortgranaten. Der skurrile Multimillionär Steve Forbes, kurzzeitig als Senkrechtstarter unter den republikanischen Tieffliegern gehandelt, erlitt nach der Vorwahl in Iowa nun auch in New Hampshire eine Bauchlandung. Lamar Alexander, Nummer drei in New Hampshire und für manche denkbarer Kompromißkandidat, ist nahezu bankrott - noch ehe in den kommenden vier Wochen ein Wirbelwind von über 30 Vorwahlen losbricht. Parteifreunde, denen er bislang lediglich durch sein Markenzeichen, ein rot-schwarz-kariertes Holzfällerhemd, aufgefallen ist, verspotten ihn als »leeres Hemd«. Sollte der Ex-Gouverneur von Tennessee bei den nächsten Wahlgängen sieglos bleiben, wird der Druck der Parteiführung auf ihn wachsen, zugunsten des einzigen Kandidaten zu verzichten, der einen Grabenkrieg gegen Buchanan sowohl organisatorisch wie auch finanziell durchstehen könnte - zugunsten des 72jährigen Bob Dole. Unterstützt von der Mehrzahl lokaler und nationaler Parteiführer, verfügt der Senatsveteran über Wahlkampforganisationen in nahezu allen Bundesstaaten. Dole sitzt auf gut gefüllten Geldkoffern: Mindestens zwölf Millionen Dollar verschaffen ihm die Möglichkeit, gleichzeitig in mehreren wichtigen Bundesstaaten wie Florida und Texas, in denen Anfang März gut 350 Parteitagsdelegierte zur Wahl stehen, mit teuren Fernsehspots um Anhänger zu werben. Das Hauptproblem des Kriegsheroen Dole, der nach einer schweren Verwundung im Zweiten Weltkrieg nur noch die linke Hand benutzen kann: Bislang gelang es ihm nicht einmal, seinen Anhängern deutlich zu machen, warum sie ihn wählen sollten. Der alte Herr erweckt den Eindruck, als glaube er, nach über 25 Jahren im Senat und zwei vergeblichen Anläufen aufs Weiße Haus sei er im November ganz einfach an der Reihe für das höchste Staatsamt. Das aber ist nur Wasser auf Buchanans Mühlen, der lautstark gegen das Washingtoner Establishment dröhnt. Der selbsterklärte Außenseiter, als ehemaliger Redenschreiber der Präsidenten Nixon und Reagan in den Washingtoner Machtzirkeln wahrlich zu Hause, nutzt die Politikverdrossenheit im Lande geschickt, um Dole zu demontieren: Erfahrung in den Institutionen und politische Kompromißfähigkeit sind in den Augen der »mit Mistgabeln bewaffneten Leibeigenen«, die Buchanan gegen den Parteiapparat mobilisieren will, Anzeichen politischen Siechtums. Mit unverhohlener Genugtuung beobachten Präsident Clintons Getreue den republikanischen Bruderkampf. Jahrzehntelang hatten sich die Demokraten alle vier Jahre kräftezehrende Flügelkämpfe geliefert. Kandidaten wie George McGovern, Walter Mondale oder Michael Dukakis waren durch innerparteiliche Grabenkämpfe derart geschwächt, daß sie nahezu aussichtslos in den Endkampf gegen ihre republikanischen Widersacher marschierten. Auch Pat Buchanan betätigte sich parteiintern schon früher als Spalter. An seinen furiosen Attacken zerbrach 1992 die politische Glaubwürdigkeit des Golfkrieg-Siegers George Bush - ebenfalls bereits in New Hampshire. Auf dem Parteitag in Houston hatte der Gift und Galle spuckende Protestkandidat dann sogar zum »Kulturkrieg« aufgerufen und damit moderate Anhänger der GOP in Scharen zur oppositionellen Demokratischen Partei getrieben. Genau das, so glauben Analytiker in beiden Lagern, könnte 1996 wieder geschehen. Selbst wenn sie dem Dole-Apparat unterliegen, könnten Buchanans Brigaden, diesmal weitaus stärker als noch vor vier Jahren, die Partei so weit nach rechts drängen, daß Bill Clinton die ausschlaggebende Wählermitte nahezu kampflos zufällt. Dazu kann ein Lob, das Buchanan aus dem Ausland erhält, nur beitragen: Das »Endorsement«, er sei der beste Kandidat, kam aus Moskau - vom Rechtsradikalen Wladimir Schirinowski. Y* Vor dem Nationaldenkmal Mount Rushmore im US-Staat South Dakota.
Der Rechtsaußen Pat Buchanan wird zum ernsthaften Gegenspieler Bob Doles - und droht die Republikaner zu spalten.
[ "New Hampshire" ]
Politik
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1996-02-25T13:00:00+01:00
1996-02-25T13:00:00+01:00
https://www.spiegel.de/politik/mit-gift-und-galle-a-5174428f-0002-0001-0000-000008889419?context=issue
Pistolen-Affäre: Leverkusen will Gespräch mit Termin suchen
Hamburg - Fußballbundesligist Bayer Leverkusen sucht die Aussprache mit Fatih Terim, Sportchef Rudi Völler will die Pistolen-Affäre mit dem türkischen Nationaltrainer diskutieren. "Ich habe ihm am Montag eine Einladung geschickt. Es ist mein Wunsch, dass er nach Leverkusen kommt, damit wir uns zusammensetzen und die Sache gemeinsam ausräumen", sagte Völler dem "Express". Bayer-Mittelfeldspieler Hakan Calhanoglu hatte am vergangenen Samstag im "Aktuellen Sportstudio" dezidiert über einen Vorfall berichtet, bei dem er mit einer Pistole bedroht worden und an dem sein Nationalmannschaftkollege Gokhan Töre beteiligt gewesen war. Demnach sei es nach einem Länderspiel im Oktober 2013 in einem Hotel in Istanbul zu der Auseinandersetzung gekommen. Bei dem Streit sei es um einen Freund von Calhanoglus heutigem Bayer-Teamkollegen Ömer Toprak und die Ex-Freundin von Töre gegangen. Calhanoglu berichtete, Töre habe in Begleitung eines Mannes in besagter Nacht an die Tür von Topraks Zimmer geklopft, in dem sich auch Calhanoglu und der Freund von Toprak befanden. Der Begleiter Töres habe Toprak und ihn mit einer Waffe bedroht. "Ich lag in einer Ecke, er ist zu mir gekommen und hat zu mir gesagt: Beweg dich nicht, sonst erschieß ich dich", sagte Calhanoglu.
ham/sid
Zwei Nationalspieler der Türkei werden mit einer Pistole bedroht - weil ein Teamkollege dem Bewaffneten Zutritt verschaffte. Diesen Vorfall möchte Bayer Leverkusen, wo die Bedrohten spielen, nun klären. Der türkische Coach soll zum Gespräch anreisen.
[ "Fußball-Bundesliga", "Bayer Leverkusen", "Rudi Völler", "Hakan Calhanoglu" ]
Sport
Fußball-News
2014-10-21T10:11:00+02:00
2014-10-21T10:11:00+02:00
https://www.spiegel.de/sport/fussball/pistolen-affaere-leverkusen-will-gespraech-mit-termin-suchen-a-998318.html
Terror-Abwehr: Struck erwägt Abschuss entführter Flugzeuge
Frankfurt am Main/Berlin - Zur Frage, ob ein entführtes Flugzeug, das von Terroristen als Waffe eingesetzt würde, abzuschießen sei, sagte Verteidigungsminister Peter Struck: "Man darf eine solche Möglichkeit nicht ausschließen". Man müsse einen Abschuss gegen das abwägen, was passiere, wenn ein Flugzeug ungehindert in ein Hochhaus fliege. Auch mit dieser Frage solle sich eine Kommission der Bundesregierung befassen, die über Richtlinien für den Umgang mit entführten Flugzeugen berät. Nach Angaben eines Sprechers des Verteidigungsministeriums habe das Kleinflugzeug, das am Sonntag über der Frankfurter Innenstadt kreiste, offenbar keinen Sprengstoff an Bord gehabt und daher nur begrenzten Schaden anrichten können. Seinen Angaben zufolge hatten Struck, Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) das Vorgehen abgestimmt. Die Frage eines Abschusses wäre zwischen ihnen geklärt worden, sagte er, ließ aber offen, wer letztlich entschieden hätte. Wann die nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in New York und Washington zu diesen Fragen eingesetzte Arbeitsgruppe "Sicherheit im Luftraum" ein Ergebnis vorlegen werde, ist offen.In der Gruppe sitzen Experten des Verkehrs- und des Innenministeriums sowie hochrangige Bundeswehr-Offiziere. Geleitet wird sie vom stellvertretenden Inspekteur der Luftwaffe, Hans-Werner Jarosch. Im Dezember war ein erster Bericht der Arbeitsgruppe bekannt geworden, der die Einrichtung einer neuen Kommandozentrale vorsieht, in der Offiziere, Beamte des Verkehrsministeriums und Sicherheitsexperten rund um die Uhr gemeinsam Dienst tun sollen. Diese sollen die Regierung im Krisenfall beraten. Die Technik für einen finalen Rettungsschuss in der Luft steht längst bereit: Die Bundesluftwaffe unterhält zwei so genannte Alarmrotten aus Abfangjägern, die permanent startklar sind.
Was wäre, wenn der Frankfurter Flugzeugentführer ernst gemacht hätte? Was, wenn es ein voll besetzter Passagierjet gewesen wäre? Durch den offensichtlich verwirrten Mann, der seine Maschine in ein Hochhaus steuern wollte, ist die Diskussion um einen Abschuss von gekaperten Flugzeugen voll entbrannt.
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Panorama
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2003-01-06T16:34:48+01:00
2003-01-06T16:34:48+01:00
https://www.spiegel.de/panorama/terror-abwehr-struck-erwaegt-abschuss-entfuehrter-flugzeuge-a-229604.html
Über tausend Demonstranten in Berlin - wegen George Floyd
Deutlich mehr Menschen als erwartet sind am Sonntag in Berlin wegen des Todes des Afroamerikaners George Floyd auf die Straße gegangen. Floyd war am Montag nach einem brutalen Polizeieinsatz in Minneapolis gestorben. Gegen die "andauernde Polizeibrutalität" in den USA und die "globale Pandemie namens Rassismus" zogen am Mittag "in der Spitze rund 1500 Teilnehmer" durch Kreuzberg, wie ein Polizeisprecher mitteilte. Eine Privatperson hatte für die Demonstration demnach ursprünglich nur 100 Teilnehmer angemeldet. Der Protestzug ging vom Mehringdamm zum Hermannplatz. Am Südstern gab es eine Zwischenkundgebung. Unter den Demonstranten waren auch Familien und Kinder. Sie zeigten Plakate mit Slogans wie "I can't breathe", Justice for George Floyd" und "Being black is not a crime".Zuvor zog am Morgen ein "Gedenkmarsch gegen rassistische Polizeigewalt in den USA" zum Brandenburger Tor. Statt der angemeldeten 75 Menschen waren nach Polizeiangaben rund 200 Teilnehmer unterwegs, ebenfalls auf Initiative einer Privatperson. Beide Protestzüge seien friedlich verlaufen, sagte der Polizeisprecher am Nachmittag. Bereits am Samstag hatten etwa 2000 Menschen vor der US-Botschaft in Berlin protestiert. Auch in London ist es am Sonntag zu teilweise großen Demonstrationen wegen des gewaltsamen Tods des Afroamerikaners George Floyd gekommen. Ein Protestzug mit mehr als Tausend Menschen zog an der US-Botschaft in der britischen Hauptstadt vorbei, wie die Nachrichtenagentur PA berichtete. Auch auf dem Trafalgar Square versammelten sich laut BBC Hunderte Demonstranten. Sie hielten Schilder in die Höhe mit Slogans wie "Black lives matter" (Schwarze Leben zählen) und "Justice for George Floyd" (Gerechtigkeit für George Floyd). Vor der US-Botschaft kam es zu fünf Festnahmen, wie Scotland Yard am Abend mitteilte. Drei davon seien im Zusammenhang mit den Regeln zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie erfolgt, zwei wegen Angriffen auf Polizeibeamte.
feb/dpa
Auch in Deutschland ist die Empörung über den gewaltsamen Tod von George Floyd groß. In Berlin wurde am Samstagabend vor der US-Botschaft protestiert, am Sonntag gab es einen Demonstrationszug durch Kreuzberg.
[ "George Floyd" ]
Politik
Deutschland
2020-05-31T21:44:00+02:00
2020-05-31T21:44:00+02:00
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/ueber-tausend-demonstranten-in-berlin-wegen-george-floyd-a-b20e722d-4bdc-400c-9bed-31850e3c864e
Gabriel bei Beckmann: Das Kind im Kraftprotz
Der 27. September war für die SPD rabenschwarz. Bei der Bundestagswahl stürzte sie auf 23 Prozent. Die Macht war weg, die Partei verlor den Halt, Messer wurden gewetzt. Für die meisten Sozialdemokraten brach eine Welt zusammen.Einige wenige flüchteten sich in Zynismus: Wenigstens müsse Frank-Walter Steinmeier jetzt nicht mehr so häufig im Fernsehen auftreten, sagten sie. Das war ein bisschen gemein, denn immerhin hatte der Kanzlerkandidat das TV-Duell mit der Kanzlerin ziemlich ordentlich hinter sich gebracht. Aber es hatte auch einen wahren Kern, denn man kann nicht sagen, dass Steinmeiers sonstige TV-Auftritte seiner Partei sehr behilflich waren. Ob RTL-Bürgersprechstunde, Anne Will oder Reinhold Beckmann – richtig wohl schien er sich nirgends zu fühlen. Schon gar nicht in den Momenten, in denen er mal ein wenig menscheln sollte. Inzwischen hat die SPD einen neuen Hoffnungsträger. Er heißt Sigmar Gabriel, ist seit vergangenem Freitag Parteivorsitzender und offenbar ein Mann, der weniger damit fremdelt, im Spätabendprogramm mal ein bisschen über sich zu erzählen. Deshalb saß er am Montagabend gleich bei Beckmann. Der FormelbeterUm es gleich zu sagen: Der Auftritt war bei Weitem nicht so kurzweiligwie seine umjubelte Bewerbungsrede auf dem Parteitag. Das mag auch am Format liegen. Vor ihm saßen nicht 500 Delegierte, vor ihm saßen nicht einmal ein paar Dutzend Studiobesucher. Vor ihm saß allein Reinhold Beckmann, und der setzt bekanntlich eher auf seichtes Plaudern. Große Gesten und rhetorische Raffinesse helfen da nur bedingt weiter, ruhig sitzen und Hände falten sollte man beherrschen. Ein Beckmann-Termin erfordert große Selbstdisziplin - nicht unbedingt eine Stärke des Kraftwerks Gabriel. Der neue SPD-Chef begann mit einem Scherz. Beckmanns Feststellung, seinWahlergebnis von über 94 Prozent sei ja "honeckerähnlich", konterte der Niedersachse mit dem Satz, er finde diesen Vergleich nicht sonderlich gelungen: "Denn der hat mindestens schon mal schlechtere Reden gehalten." Ansonsten aber wirkte Gabriel in der ersten, politischen Phase der Sendung ein wenig lust- und kraftlos - vielleicht, weil ein Schnupfen ihn noch immer schwächt, vielleicht aber auch, weil er seit Wochen so ziemlich dasselbe erzählen muss. Zum Beispiel, dass in seiner Partei jetzt endlich wieder "mehr debattiert werden muss" nach all den Regierungsjahren, in denen die Basis Ideen der Parteispitze mit der Knarre vor dem Kopf abnicken musste. Oder, dass die Partei endlich wieder die "Nervenenden" in die Gesellschaft stärken müsse. Denn: "Sozialdemokraten müssen auch so was wie Kümmerer sein." Fehlen durfte natürlich auch nicht der Hinweis auf sein inzwischensehr gutes Verhältnis zur neuen Generalsekretärin Andrea Nahles und auf das nötige Selbstbewusstsein der Linkspartei gegenüber: "Wir müssen so stark werden, dass die sich ändern müssen, um mit uns koalieren zu dürfen!" Trainieren für die Kanzlerkandidatur?Lockerer wurde Gabriel dann bei den Einspielern. Die brachten zwar nichts Bahnbrechendes zu Tage, aber interessant war allein schon zu sehen, dass es dem SPD-Politiker keineswegs unangenehm war, dass da im Video Menschen aus seiner Heimatstadt Goslar private Dinge über ihn erzählten. Zum Beispiel sein ehemaliger Tanzlehrer, der berichtete, dass Gabriel sich früher beim Abschlussball Mädchen als Tanzpartner anbot, die keinen abgekriegt hatten. Oder sein Mathelehrer Schmidt, der darauf hinwies, dass Gabriel in der Schule um vieles bemüht gewesen sei, nur nicht um Ausgleich oder Moderation: "Diese Fähigkeiten habe ich bei ihm bisher nicht erlebt." Gabriel schien durchaus amüsiert und schob gleich noch ein paar Details hinterher. Weil es auch noch einen Biolehrer Schmidt gegeben habe, habe er den Mathelehrer immer Puma Schmidt genannt: "Pu für Pullover, den er immer trug, ma für Mathe." Sein Tanzlehrer habe ihm mal einen Stock auf den Rücken gespannt und ihn damit auf die Tanzfläche geschickt. Und dann habe er ja noch Akkordeon gespielt, Judo gemacht und einen Dackel bekommen. Er sei ein schwieriges Kind gewesen, so der 50-Jährige.Wirklich neu war davon nichts, die politischen Hauptstadt-Reporter haben in den vergangenen Wochen Gabriels Jugend weitgehend lückenlos rekonstruiert. Aber eine Erkenntnis brachte die Sendung dennoch: Menscheln kann er. Und will er wahrscheinlich auch. Denn eine rechtzeitige Menschwerdung kann ja nicht schaden, dann muss man das nicht irgendwann nachholen. Wenn man mal Kanzlerkandidat ist zum Beispiel.
Veit Medick
Pause? Später. Kaum ist Sigmar Gabriel zum neuen SPD-Chef gewählt worden, geht's schon zu ARD-Talker Reinhold Beckmann. Sein Auftritt geriet zwar längst nicht so kurzweilig wie seine Parteitagsrede - aber er bewies mit privaten Anekdoten, wie gut er menscheln kann.
[ "Televisionen", "SPD", "Beckmann (Talkshow)", "Rezensionen", "Fernsehen", "Sigmar Gabriel" ]
Kultur
TV
2009-11-17T09:29:22+01:00
2009-11-17T09:29:22+01:00
https://www.spiegel.de/kultur/tv/gabriel-bei-beckmann-das-kind-im-kraftprotz-a-661675.html
Ausblick 2008: Invasion der Freiheitsfresser
Ist sie wahr geworden, Don Siegels düstere Vision von der "Invasion der Körperfresser"? Könnte es sein, dass Aliens unsere Innen- und Justizminister weltweit gegen identische Kopien austauschten, die nun alle dieselben Forderungen stellen: zensieren, überwachen, regulieren? Dazu die Vorzüge der Teamarbeit entdecken, zumindest beim internationalen Austausch von Bürgerdaten? Man könnte den Eindruck haben: Begründet durch angebliche Notwendigkeiten zur Kriminalitäts- und Terrorprävention drängen Politiker der westlichen Welt auf immer mehr Befugnisse für Sicherheitsbehörden. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble gilt dem schwindenden Häufchen von Menschen, die sich hierzulande noch für Themen wie Privatsphäre, Datensicherheit und Freiheitsrechte interessieren, längst als eine Art Graf Dracula, der beständig an den letzten Schutzrechten saugt. Nachdem er erfolgreich Schutzrechte von Ärzten und Journalisten einschränken, Abhör-Befugnisse dagegen ausbauen ließ, wagte er Anfang Januarden nächsten Vorstoß. Bald sollen, wenn es nach ihm geht, sogar Priester abgehört werden können. Seine CSU-Kollegen preschen derweil mit einem eigenen Gesetz zur Onlinedurchsuchung vor, weil sie auf das Verfassungsgerichtnicht warten wollen. Schlag auf Schlag geht das so seit Jahren. Diese Prognose sei gewagt: 2008 wird es nicht besser - nirgendwo. Weltweiter Trend: ÜberwachungDenn ein Blick über die Grenzen sorgt fast für Erleichterung: Im Vergleich zu ihren Kollegen sind hiesige Innenminister geradezu bescheiden. Schon jetzt gelten laut einer aktuellen Studie von Privacy International neben China und Russland auch Großbritannien und die USA als Staaten, in denen die Überwachung der Bürger "endemisch" sei - was hier so viel wie heimisch, fest verwurzelt bedeuten soll. Deutschlands Datenschutz bekam 2007 das Prädikat "verfallend" verpasst - vom Überwachungsstaat trennen uns in dieser Systematik zum Glück noch zwei Stufen. Wirklich beruhigend ist dies jedoch nicht, denn bereits die nächst untere Stufe heißt "Systematisches Scheitern, die Sicherheitsmaßnahmen zu bewahren". Wenn esso läuft wie 2007, kriegen wir das 2008 wohl hin. Was China, Australien, Großbritannien, Russland und die USA angeht, müssten sich die Beobachter der weltweiten Zensur- und Überwachungstendenzen allerdings langsam überlegen, wie man die unterste aller Kategorien noch unterkellern könnte. Denn Vollüberwachung ist offenbar ein an den technologischen Fortschritt gebundener, dehnbarer Begriff.Das konnten die Leser des"New Yorker"  am Montag letzter Woche aus berufenem Munde erfahren: In einem ausführlichen Interview machte Amerikas oberster Geheimdienst-Koordinator Mike McConnell dort klar, was mit der seit September ventilierten "Cyberspace Security Initiative" gemeint war: eine totale Erfassung der elektronischen Kommunikation. Und das nicht nur im Sinne der in Deutschland seit 1. Januar 2008 praktiziertenVorratsdatenspeicherung, bei der Verbindungsdaten und -details archiviert werden. US-Geheimdienste, meint McConnell, müssten "alles lesen" dürfen, um Unheil zu verhindern. Bis hin zu den Suchanfragen bei Google.Daten aller Länder...Nur, um den Unterschied noch einmal klar zu machen: Dass Sie in diesem Augenblick von Ihrem Rechner aus SPIEGEL ONLINE lesen, soll bald für sechs Monate archiviert werden. Was Sie sonst im Web treiben, ebenfalls - inklusive (was Sie natürlich nicht tun) Zugriff auf illegale Inhalte, P2P, Musikdateien oder Pornografie. Dass Sie mit Person A einen E-Mail-Verkehr pflegen, wird ebenfalls erfasst - nicht aber, was in Ihren E-Mails steht. Selbst im Land der unbegrenzten Möglichkeiten erwartet McConnell in dieser Hinsicht kein leichtes Spiel. Wahrscheinlich, mutmaßt der oberste US-Geheimdienstler, werde man das erst durchsetzen können, wenn wieder "etwas Fürchterliches" passiere. Die Katastrophe als kalkulierter Hebel zur Durchsetzung missliebiger Gesetze? Schaurig.Im Zweifelsfall ist alles nur noch eine Frage derZusammenführung verschiedener Datenbestände. Das dürfte zu einem der Haupt-Trends des Jahres 2008 werden: Der zunehmend kollegiale Austausch von Know-how über alle Grenzen hinweg. Deutschland tauscht zwar keine DNA-Daten mit den USA, aber mit Österreich, die dann wieder mit den Amerikanern tauschen. Wer sich in ein Flugzeug setzt, dessen Daten werden zum Bestandteil des internationalen Bürgerdaten-P2P, wer international telefoniert, wird erfasst, national dagegen angeblich nur von den eigenen Lauschern. Zweiter Trend: Ich sehe zu, dass Du nichts siehstZweiter Trend: Ich sehe zu, dass Du nichts siehstZum frischen, die internationale Zusammenarbeit weiter befördernden Trend könnte auch der Austausch von Blocklists werden - Listen von Adressen und Medien im Web, die man lieber zensieren möchte. China hat daeine Menge Erfahrung, Russland arbeitet an einer eigenen Lösung: Die Putin-Regierung drängt auf Schaffung eines kyrillischen und somit vom Rest des Webs linguistisch wie typographisch abgesonderten Internets. Blase statt Free Flow of Information? Intra- statt Internet? Damit, warnt nicht nur der "Guardian", steige allerdings auch die Gefahr von Zensur und Überwachung - siehe China. Nein, Zensur findet niemand gut. Am vergangenen Mittwoch bewilligte der US-Kongress 15 Millionen Dollar für die Entwicklung von "Anti-Zensur-Werkzeugen und Diensten". Damit sollen dann die virtuellen Mauern um "geschlossene Gesellschaften" wie China und Iran eingerissen werden.Sehr gut, finden wir und regen an, diese Dienste dann auch anderenorts anzubieten: in Australien zum Beispiel. Dort drängt die neue Regierung darauf, Inhalte im Internet durch Blocklists zu zensieren. Serviceprovider und Telekommunikationsfirmen sollen Listen von Webseiten und IP-Adressen übermittelt bekommen, die dann in Australien nicht mehr gezeigt werden dürfen. So ließe sich zum Beispiel das Problem der Kinderpornografie lösen, wird argumentiert - noch so ein Argument, das wie das Stichwort Terrorprävention jeden mies aussehen lässt, der Widerspruch einlegt. Doch den gibt es: Medien und Datenschützer mahnen an, dass das, was die Regierung plant, auf eine weitgehend unkontrollierte staatliche Zensur hinauslaufe. Weil nicht klar sei, wer eigentlich die Listen zusammenstellt und prüft.Das große ReinemachenDabei wissen die Australier angeblich noch gar nicht, wie man die Blocklisten hinbekommen soll. Vielleicht sollten sie in Großbritannien nachfragen, wo Innenministerin Jacqui Smith schon sehr genau weiß, wie man das schafft.Denn bereits seit Mai 2007 arbeitet Großbritannien mit Listen, die ganz unbürokratisch von der Internet Watch Foundation erhoben und gesammelt und sodann an die Regierung durchgereicht werden. Die sorgt wiederum für die Verteilung an die Service Provider, die zwar zurzeit auf die Barrikaden gehen, ansonsten aber lieber nicht erwähnen, dass angeblich über 90 Prozent von ihnen bereits mitmachen: Schließlich ging es zunächst ja nur um die Blockierung von Kinderpornografie - und wer könnte dagegen etwas haben? Jetzt aber will Jacqui Smith die Blocklisten auf islamistische und andere politisch extreme Webseiten ausdehnen und möglicherweise mehr: "Wo auch immer illegales Material im Internet ist, will ich das entfernt haben!", forderte sie auf einer Anti-Terror-Konferenz vorletzte Woche eindeutig vieldeutig. Da schwant der britischen Presse langsam, dass dies auf einen Persilschein in Sachen Web-Zensur hinausläuft. Das, kommentierte Frank Fisher im Blog des "Guardian", sei "nicht die Art und Weise", wie eine Regierung mit einem so sensiblen Thema umgehen solle: Zwar sei es sinnvoll, Extremisten die Publikationsmöglichkeiten zu nehmen. Doch was im Einzelnen alles zensiert werde, müsse überprüft werden - beispielsweise durch ein parlamentarisches Aufsichtsgremium. Doch Großbritannien, uns in allen modischen Dingen ja immer ein wenig voraus, ist da nur Vorreiter eines Block-Trends, der auch uns bald schon erreichen dürfte. Dafür sorgt beispielsweise EU-Vizepräsident Franco Frattini, der andeutete, er wolle auf europäischer Ebene verhindern, dass Serviceprovider Europas Bürgern weiterhin Bombenbau-Anleitungen und andere Illegalitäten zugänglich machen könnten. Wie erfreulich für Europas Sicherheitspolitiker: Ob auf diese Ankündigung auch eine schöne EU-Direktive folgt, auf die man sich so fein berufen kann, wenn man höchst unpopuläre Gesetze durchzusetzen hat? In Deutschland klappt so etwas ja sogar, bevor die betreffende EU-Direktive wirklich durch ist, wie die Vorratsdatenspeicherung zeigt: Die ist hier längst Gesetz, während noch gar nicht klar ist, ob der Europäische Gerichtshof die EU-Verordnung nicht doch verklappt. Derweil verzögert das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung über deutsche Verfassungsbeschwerden (darunter die mit 30.000 Beschwerdeführern größte aller Zeiten), indem die Senate über ihre Kompetenzen streiten.Was bleibt, was kommt?Die Trends hin zu mehr Überwachung, mehr Kontrolle und Regulierung sind klar zu sehen und international. Kaum auszumachen ist dagegen eine gesellschaftliche Debatte darüber, die dem Thema gerecht würde. In einer Welt, in der Jugendliche bei Facebook bereitwillig ihren 20.000 Freunden erzählen, wie es um ihr Intimleben bestellt ist und im Fernsehen gescheiterte Möchtegern-Stars freimütig bekennen, dass man halt Kakerlaken fressen muss, um sein Publikum wieder zu erreichen, haben Konzepte wie Privatsphäre, Datenschutz oder informationelle Selbstbestimmung einen schweren Stand. 2008 dürfte aus allen diesen Gründen kein gutes Jahr für diese einst bitter erstrittenen Schutzrechte werden. Streit um diese Themen scheint aber nötig, denn natürlich muss die Debatte geführt werden: Hier stehen sich schließlich nicht etwa zwei Fraktionen gegenüber, von denen die eine schützen, die andere Schutz abbauen wollte. Auch den Verfechtern der zunehmenden Kontrolle geht es letztlich darum, Freiheit zu schützen - nur eben mit Methoden, die selbst diese Freiheiten in Frage stellen. Die Schäubles dieser Welt verstehen sich als Hirten, die auf zunehmend scharf abgerichtete Hütehunde setzen, um die Wölfe draußen zu halten. Was die Herde für sich entscheiden sollte, ist, wie oft und von wem sie sich lieber beißen lässt.
Frank Patalong
Zensieren, Überwachen, Regulieren: Was die Sicherheitspolitik angeht, ist Deutschland so trendy wie selten zuvor. Der bedenkliche Deal, Freiheitsrechte gegen mehr Sicherheit zu tauschen, wird überall in der westlichen Welt geschlossen. Und 2008 wird das nicht besser.
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Netzwelt
Web
2008-01-28T17:04:55+01:00
2008-01-28T17:04:55+01:00
https://www.spiegel.de/netzwelt/web/ausblick-2008-invasion-der-freiheitsfresser-a-529413.html
OPCW verabschiedet Zeitplan zur Vernichtung syrischer C-Waffen
Den Haag - Das Ziel ist klar: Die syrischen Chemiewaffen sollen außer Landes gebracht und vernichtet werden. Nur: Wohin soll man sie bringen? Wenige Stunden vor Ablauf einer entsprechenden Frist hat die Organisation für das Verbot von Chemiewaffen (OPCW) einen detaillierten Zeitplan für die Zerstörung der in Syrien lagernden Kampfmittel verabschiedet. Doch noch ist unklar, welche Staaten bereit sind, an der Vernichtung der Waffen mitzuwirken und diese umzusetzen. Nach einer mehrfach unterbrochenen Sitzung stand am Freitagabend das Ergebnis fest: "Der Plan ist angenommen", sagte ein Sprecher der OPCW. Die vereinbarten "Meilensteine" sehen laut OPCW-Generaldirektor Ahmed Üzümcü vor, dass die gefährlichsten Kampfstoffe wie Sarin und Senfgas bis Jahresende aus Syrien herausgeschafft werden undalle weiteren Kampfmittel und chemischen Substanzen, mit denen Waffen hergestellt werden können, bis zum 5. Februar abtransportiert werden.Die einzige Ausnahme gilt für Isopropanol, eine Flüssigkeit, mit deren Hilfe das Nervengas Sarin hergestellt werden kann.Je nach "Risikograd" müssen außerdem alle C-Waffen-Standorte zwischen Mitte Dezember und dem 15. März unschädlich gemacht werden.Die wichtigsten Kampfstoffe werden bis April vernichtet, alle anderen bis Ende Juni 2014. Der Umfang der syrischen Chemiewaffen wird auf mehr als tausend Tonnen geschätzt. Nach OPCW-Angaben sind von den 23 erklärten Chemiewaffenstandorten in dem Bürgerkriegsland alle bis auf einen fristgerecht überprüft worden. Gemäß der vom Uno-Sicherheitsrat im September verabschiedeten Resolution 2118 muss das Arsenal bis Mitte 2014 vollständig vernichtet werden. Nach Angaben der OPCW hat Syrien bisher über 60 Prozent seiner noch nicht gefüllten Munition wie Bomben und Sprengköpfe vernichtet. Albanien lehnt Vernichtung syrischer Waffen im eigenen Land abNoch ist aber unklar, wo die übrigen tödlichen Kampfstoffe zerstört werden sollen. Die US-Regierung soll an Albanien, Norwegen, Frankreich und Belgien die Bitte um Zerstörung der Kampfmittel herangetragen haben. Nur wenige Stunden vor Verabschiedung des Fahrplans der OPCW hatte Albanien aber überraschend das Gesuch der USA abgelehnt. Zuvor hatte es heftige Proteste im Land gegeben. Man sehe sich dazu nicht in der Lage, sagte Regierungschef Edi Rama am Freitag in Tirana. Albanien galt als Option, weil es 2007 seine C-Waffenbestände aus früheren, kommunistischen Zeiten zerstört hatte. Der Generaldirektor der OPCW, Ahmed Üzümcü, muss nun Partnerländer für den sicheren Transport aus dem Konfliktgebiet und die Vernichtung der Kampfstoffe finden. Norwegen hatte signalisiert, dass es einen Transport der Waffen unterstützen wolle. Aber kein Land hatte sich bereiterklärt, die Zerstörung zu übernehmen. "Die nächste Phase wird die bisher größte Herausforderung", sagte Üzümcü.Hintergrund der nun anstehenden Vernichtung der Waffen war ein Angriff mit Chemiewaffen auf Wohnviertel nahe Damaskus im August. Dabei waren Hunderte Menschen getötet worden. Die USA hatten Syrien daraufhin mit einem Militärschlag gedroht. Auf die gemeinsame Initiative von Russland und der USA hatte Damaskus der Vernichtung seiner Chemiewaffen unter der Kontrolle der OPCW zugestimmt.
han/AFP
Der Fahrplan steht, doch die Umsetzung ist noch immer unklar: Die Organisation für ein Verbot der Chemiewaffen (OPCW) hat den Ablauf der Zerstörung syrischer Kampfstoffe beschlossen. Nur findet sich kein Land, das bereit ist, die Aufgabe zu übernehmen.
[ "Albanien", "Organisation für das Verbot von Chemiewaffen", "Bürgerkrieg in Syrien", "Syrien", "Chemiewaffen" ]
Ausland
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2013-11-16T09:11:00+01:00
2013-11-16T09:11:00+01:00
https://www.spiegel.de/politik/ausland/opcw-verabschiedet-zeitplan-zur-vernichtung-syrischer-c-waffen-a-933933.html
Kulturtipp des Monats: Martina Gedeck plant ihren April
Ihr Traum vom Glück: Zeit zum Lesen. Die Schauspielerin hat gelernt, sich die Muße für die Lektüre zu nehmen. Dies funktioniert nur durch strikte Beschränkung des TV-Konsums. "Früher", sagt Gedeck, 37, "habe ich herumgezappt. Jetzt wähle ich gezielt aus. Meistens Filme, die in den Zeitungen empfohlen werden." Das kommt den Büchern zugute. Die Charakterdarstellerin liest manchmal bis zu sechs Stunden am Stück. Zurzeit nimmt sie sich theoretisch angehauchte Themen vor wie Eugen Drewermanns "Tiefenpsychologie und Exegese: Die Wahrheit der Formen", ein Werk, in dem es um die Unterschiede zwischen Märchen, Mythen, Sagen und Legenden geht. "Ich hatte das wohl mal in der Schule, aber das ist längst vergessen." Gedeck weiß inzwischen, wie wichtig diese Begriffe für den Film sind. Dazu passt Sten Nadolnys Buch "Das Erzählen und die guten Ideen", das die Schauspielerin liest. Gedeck arbeitet fast ausschließlich für Film und Fernsehen ­ ihr Film "Bella Martha" hat im April Premiere, in Köln dreht sie "Die Mutter" (Regie: Matti Geschonneck), der vom Verfall einer Familie handelt, nachdem die 15-jährige Tochter verschwunden ist. Dennoch gehört die Liebe der Darstellerin, die bis zu dessen Selbstmord mit Ulrich Wildgruber zusammenlebte, dem Theater. Die Peter-Zadek-Inszenierung "Bash ­ Stücke der letzten Tage" (Berliner Premiere: 17.4. am Deutschen Theater) will sie "unbedingt und gerne" sehen, hat sie noch Zadeks "Rosmersholm" noch in bester Erinnerung. Wenn Zeit wäre, würde sie sich anschauen, was ihr Filmpartner Bruno Cathomas in "Goldene Zeiten" (Premiere am 26.4. an der Schaubühne in Berlin) macht. Das Kino nimmt Gedeck "undogmatisch" wahr, soll heißen: Sie hetzt nicht den Premieren hinterher, sondern arbeitet nach. Soderberghs "Traffic" steht auf ihrem Programm. In Nick Cassavetes' "John Q." (18.4.) will sie gehen, denn Denzel Washington, gerade mit einem Oscar geehrt, sei ein großartiger Schauspieler. Schon gesehen hat sie auf der Berlinale Dominik Grafs "Der Felsen", der noch in die Kinos kommt. Als leidenschaftliche Chorsängerin liebt Gedeck Konzerte, zu denen sie allerdings viel zu selten gehe. Für die "Matthäuspassion" ("Mein jährlicher Gottesdienst") soll an Ostern Zeit sein. Und auch Bob Dylan (Berliner Konzert am 11.4.) würde sie gern wieder sehen. Sie ist ihm früher schon einmal begegnet. Damals allerdings war der 68er-Held, wie meistens, schlecht gelaunt. Egal. Gedeck sagt: "Der Mann ist immer ein Ereignis." Und die bildende Kunst? Eine Besichtigung der Neuen Nationalgalerie auf der Berliner Museumsinsel steht noch aus. Außerdem würde Gedeck sich gern im Martin-Gropius-Bau die Ausstellung "Die griechische Klassik ­ Idee oder Wirklichkeit" und im Haus der Kulturen der Welt "No Mad's Land ­ Zeitgenössische Kunst aus Zentralasien" ansehen. Von der Kultur allein wird niemand satt. Wie schön, dass Gedeck den Markt in der Nähe ihrer Zehlendorfer Wohnung entdeckt hat: Im April wird es bei der restaurantmüden Schauspielerin viel Salat und Fisch geben.Aufgezeichnet von Nikolaus von Festenberg
"Unbedingt und gerne" will die Schauspielerin die neue Zadek-Inszenierung "Bash" in Berlin sehen ­ und den ewig schlecht gelaunten Bob Dylan, der "immer ein Ereignis ist".
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Kultur
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2002-03-30T00:00:00+01:00
2002-03-30T00:00:00+01:00
https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/kulturtipp-des-monats-martina-gedeck-plant-ihren-april-a-189440.html
Freier mit Maus
Der Tester, der unter dem Pseudonym »Einsamer« seinen Erfahrungsbericht ins Internet-Portal stellte, war vom Erscheinungsbild der Prostituierten ("schwarzer BH und Slip, darüber ein schwarzes Fischernetz, halterlose Strümpfe") durchaus angetan. Doch am Ende der Geschäftsbeziehung mit Alexandra aus dem Hamburger Stadtteil Ohlsdorf war vom Enthusiasmus nichts geblieben. »Für 80 Tacken«, so der Mann, habe die Dame nicht viel geboten: französisch ohne »überbordenden Einsatz«, danach »Aufsitzen, kurzes Beckenkreisen: Das war's«. Offenbar nicht wirklich befriedigt, warnte der Einsame im Gästebuch der Internet-Seite potentielle Kunden vor der Schönheit: »Absolute Profihure, nicht billig, kennt alle notwendigen Kniffe.«Die Angst vor derartigen Hobbytestern sorgte lange Zeit mit dafür, dass sich das älteste Gewerbe der Welt mit der modernen Medienlandschaft schwer tat. Während der virtuelle Sex für Voyeure schon seit Jahren boomt, konnte sich der harte Kern der Rotlichtbranche bislang nicht so richtig mit dem World Wide Web anfreunden. Doch in jüngster Zeit explodiert auch das Geschäft mit der käuflichen Liebe im Internet. Seiten wie Modelle-Hamburg.de, wo laut Eigenwerbung die »Schärfsten im Norden« zu finden sind, verzeichnen rasante Zuwachsraten. Im vergangenen Monat klickten sich Männer über 408 000-mal in das Erotik-Portal ein - ein gigantischer virtueller Strich.Und mit der Maussuche der Freier beginnt sich die Szene zu ändern: Auf der einen Seite haben vor allem Frauen, die in Privatwohnungen ihrem Geschäft nachgehen, das Internet als Marketinginstrument entdeckt. Mit aufregenden Fotos erreichen Huren wie »Lulu, das heiße Luder« oder »Sarah, das freche Früchtchen« Kunden, die sie mit Kontaktanzeigen in Zeitungen nicht in Wallung zu bringen vermochten. Auf der anderen Seite sehen sich auch die Freier als Gewinner: Sie nutzen das Netz zu selbstorganisiertem Verbraucherschutz und haben so eine Art Stiftung Hurentest geschaffen: Männer tauschen sich über die vielversprechendsten Adressen aus. Sie berichten Intimes über Abzocke, Gesundheitsgefahren und Schmuddelbetten.Die Geschäftsidee hatten nicht einschlägig bekannte Größen aus dem Milieu, sondern etwa bei Modelle-Hamburg junge Leute aus der Computerbranche. »Für Anzeigen in den Tageszeitungen müssen die Frauen viel Geld bezahlen und bekommen dafür wenig geboten«, sagt Peter Pfeiffer von der Agentur Charly GmbH & Co. KG, »bei uns können sie mit vielen Infos und Fotos werben.« Für ein Drei-Monats-Abo bei Charly zahlen die Frauen 180 Euro. Über 500 Frauen hat die Firma in ihrer Kundenkartei, dazu Sexclubs und Pornokinos. Und weil täglich über 12 000 Besucher auf die Seite gehen, wird der Kundenstamm immer größer. Die inserierenden Damen, Herren, Transvestiten und Paare lassen ihre virtuellen Besucher durchs Schlüsselloch schauen: Die bisweilen professionellen Aufnahmen, die biografischen und physiognomischen Daten der Frauen sowie Informationen über das erotische Angebot vermitteln meist einen sinnlicheren Eindruck, als ihn die Koberfenster von Bordellen bieten.Puffgänger reizt aber auch das Gästebuch des Portals. Dort gibt es Freier wie »Lollipopp«, der kurz und direkt über die »Mörderhupen« von Natascha schwärmt. Pragmatiker geben eher nützliche Tipps ("Am Abend ist sie meist erschöpft"). Autoren wie »Laichzeit« haben sogar noch Augen für scheinbar Nebensächliches: »Ihr Zimmer war ein wenig klein und karg mit weißen Wänden und Jalousien vor den Fenstern.« Die Freier warnen auch vor Häusern, in denen Frauen ohne Schutz arbeiten, oder sie diskutieren die Höhe des Honorars: »War eben bei Michelle«, so ein Mann, »sie gehört zu denen, die glauben, unsere Kohle wächst auf den Bäumen. Bin sofort wieder gegangen.«Als etliche Freier daraufhin zum Boykott der vermeintlichen Preistreiberinnen aufriefen, klärte Eva, eine brünette Halbspanierin »mit kleinem Apfelpo«, die Geizkragen im Forum auf: »Ihr erwartet eine Frau, die einen super Service bietet und nicht auf die Uhr sieht. Dann finde ich 100 Euro angemessen. Wir sind immer noch Menschen aus Fleisch und Blut.« Das sei richtig, assistierte Detlef, »für einen Mercedes muss ich auch mehr ausgeben als für einen Seat«. Selbst Ausbeutung und Abhängigkeiten der Huren sowie der Missbrauch osteuropäischer Frauen werden debattiert. »Meine Bitte an alle Mitstreiter«, schrieb jemand politisch korrekt, »solltet ihr das ungute Gefühl haben, dass etwas nicht stimmt, so bitte ich euch, die Frauen auf die in Deutschland existierenden Hilfsorganisationen hinzuweisen.« Wenig später erklärte ein Frauenheld namens Olaf die Debatte freilich für überflüssig: »Können wir dieses sozialtherapeutische Gelaber einmal beenden? Wir Konsumenten sind nun wirklich die Falschen, die hier als barmherzige Samariter schlaue Reden halten sollten.« Und dann widmen sich die Herrschaften wieder den wahren Problemen des Freiers: Weil er »noch keine Erfahrung habe«, wandte sich ein Chris jüngst nachts um kurz vor halb eins hilfesuchend an seine Geschlechtsgenossen: »Mal angenommen, ich buche eine Stunde, bin aber zu Anfang schon so aufgeregt, dass er mir losgeht. Ist dann der Spaß vorbei?« UDO LUDWIG
Udo Ludwig
Jetzt setzt auch die Rotlichtbranche auf das Internet. Es bietet Huren neue Marketingchancen und ihren Kunden eine Art Verbraucherschutz.
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Politik
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2005-02-13T13:00:00+01:00
2005-02-13T13:00:00+01:00
https://www.spiegel.de/politik/freier-mit-maus-a-ffeeaa48-0002-0001-0000-000039367926?context=issue
Im Osten mehr Biß
Die deutsche Teilung hat auch die Schäferhundzüchter der Nation gespalten. Vier Jahre nach der Einheit, so klagen Züchter im Osten, herrschen republikweit über die Hunderasse noch immer gegensätzliche Schönheitsideale. Bei Wettbewerben hätten westliche Standards (lange Ohren, feines Fell, Farbe: Schäferhundbraun) den Osten überrollt, meistens räumten Westhunde Preise und Pokale ab. Die Osttiere hätten während der Teilung eine eigene Zuchtlinie entwickelt, berichtet Andreas Rudolph, ehemals oberster Zuchtwart der DDR; sie seien kleiner, bulliger und weniger elegant als ihre Westkonkurrenten, dafür aber »bei der Beißarbeit« aggressiver. Kleiner Trost: Schäferhundzüchter aus den USA suchen inzwischen gezielt nach den weniger hübschen, aber bißfreudigen Osthunden, um sie als Wachhunde einzusetzen.
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Politik
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1994-09-25T13:00:00+01:00
1994-09-25T13:00:00+01:00
https://www.spiegel.de/politik/im-osten-mehr-biss-a-0ac1d7a8-0002-0001-0000-000013692665?context=issue
Steine im Weg
Den Tag ihrer Ernennung zur Bundesgesundheitsministerin hatte sich Ulla Schmidt ganz anders vorgestellt. Statt zu feiern, wurde die Aachener Sozialdemokratin am vergangenen Freitag von angeblichen Jugendsünden eingeholt. Es geht um uralte Geschichten: Ulla Schmidt, 51, soll in der Aachener Bar »Barbarina« ihrer Schwester Doris Zöller jahrelang Kontakt zum Rotlichtmilieu und zur Zockerszene gepflegt haben und in die vermeintliche Falschgeldaffäre ihres Parteifreundes Dieter Schinzel verwickelt gewesen sein. Mal wurde die Story für 3000 Mark ausgewählten Journalisten angeboten, mal flatterte sie als Rundschreiben in diverse Redaktionsstuben. Vor bald sechs Jahren veröffentlichte der »Stern« die Vorwürfe unter der Schlagzeile »Geld, Gier und Genossen«. Seither beteuert Schmidt unverdrossen: »Alles erstunken und erlogen.« Doch in der vergangenen Woche, als sich der Aufstieg der Genossin zur Ressortchefin bei Gerhard Schröder abzeichnete, kochte die Sache wieder hoch. Begonnen hatte der Ärger der Sozialdemokratin über Gerüchte und angebliche Skandale schon bei Schmidts erster Kandidatur für den Bundestag im Jahr 1990. Ein mehrfach vorbestrafter Grieche mit Namen Dimitrios S., Ex-Freund und Geschäftspartner von Doris Zöller, wollte mit der Geschichte von angeblichen Rotlicht-Verwicklungen von Schmidts Schwester und dem damaligen SPD-Oberbürgermeister von Aachen, Jürgen Linden, 50 000 Mark erpressen. Der einstige Rechtsanwalt von S., der damals im Auftrag seines Mandanten handelte, wurde inzwischen wegen versuchter Nötigung rechtskräftig verurteilt. »Bei jedem Karriereschritt, den ich gemacht habe, versuchten mir Neider Steine in den Weg zu legen und Unsinnsgeschichten in der Presse zu lancieren«, klagt Schmidt. Zuletzt 1998, als sie stellvertretende Fraktionsvorsitzende wurde. Doch damals interessierte sich niemand dafür. Ulla Schmidt hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass ihre Schwester in Aachen jahrelang die »Barbarina«-Bar und ein Spielcasino betrieben hat - und dass sie in dem Lokal Anfang der siebziger Jahre jobbte. »Ich war Studentin und allein erziehende Mutter und musste Geld verdienen. Da war ich froh, dass ich einmal in der Woche bei meiner Schwester kellnern konnte«, sagt die Politikerin, die Sonderpädagogik studiert und bis zu ihrer Wahl in den Bundestag als Sonderschullehrerin gearbeitet hat. Es sei doch »nichts Ehrenrühriges«, Kind und Studium mit Arbeit zu finanzieren. Behauptungen, sie habe dort auch schon mal die Kasse abgerechnet oder die Buchführung erledigt, weist Schmidt ganz entschieden zurück: »Unsinn. Ich habe auch nie Geld zur Bank gebracht oder irgendetwas Geschäftliches für meine Schwester erledigt.« Als 1987 die Justiz die Schmidt-Schwester Doris Zöller des illegalen Glücksspiels verdächtigte und deren Wohnung durchsuchte, fand sich dort ein Sparbuch, das auf Ulla Schmidt ausgestellt war. Zöller gab zu Protokoll, das Buch gehöre ihr, sie habe es auf ihre Schwester Ulla überschrieben, um Geld vor ihrem Lebensgefährten in Sicherheit zu bringen. Der damalige Oberstaatsanwalt Lothar Karhausen erklärte dazu in der »Aachener Zeitung": »Es wurde nichts gefunden, was Frau Schmidt vorwerfbar gewesen wäre.« Und die Neu-Ministerin ergänzt: »Es liegt eine eidesstattliche Erklärung meiner Schwester vor, dass das Sparbuch immer ihr gehört hat. Ich habe es weder eröffnet noch Geld damit bewegt.« Anfangs war die »Barbarina«-Bar ein Varieté, später liefen dort auch weiche Porno-Filme. Gäste erinnern sich an »Zeichentrick- und andere Filmchen, wie sie heute in jedem Privatsender zu sehen sind«. Bei einer Razzia im »Barbarina« 1973 wurden einige dieser Streifen beschlagnahmt, denn Pornografie war damals noch generell strafbar. Die Beamten notierten die Namen des anwesenden Personals, Ulla Schmidt war darunter. Von der Polizei vernommen oder auch nur angehört wurde sie nie. Die Sache mit dem Genossen Dieter Schinzel, die ihr jetzt angehängt wird, datiert aus den neunziger Jahren. Schinzel, ein Bruder des Schlagersängers Christian Anders ("Es fährt ein Zug nach nirgendwo"), war damals Vorsitzender des SPD-Unterbezirks Aachen und Abgeordneter im Europa-Parlament. 1994 wurde Schinzel mit Falschgeld erwischt, das Verfahren wegen versuchter Hehlerei später jedoch eingestellt. Schmidt, die sich in der Aachener SPD-Zentrale ein Büro mit Schinzel teilte, sei in dessen Geschäfte, so das Gerücht, verwickelt gewesen. Doch auch da, beteuert Schmidt, sei nichts dran. Der einzige Deal, den sie je mit Schinzel gemacht habe, sei sie teuer zu stehen gekommen: »Ich habe für ihn in einer Notlage gebürgt, und dafür habe ich bezahlt.« Schinzel war damals durch Immobiliengeschäfte stark überschuldet. Die Justiz hat sich für Ulla Schmidt im Zusammenhang mit dem Europa-Abgeordneten nie interessiert. Der Kanzler, gestählt im Umgang mit Intrigen und Medien, tröstete seine neue Ministerin am vergangenen Freitag väterlich. Er nahm sie in den Arm und versicherte: »Ulla, das stehen wir durch.« BARBARA SCHMID* Am Freitag vergangener Woche mit Ernennungsurkunde.
Barbara Schmid
Des Kanzlers neue Gesundheitsministerin muss sich böser Gerüchte über angebliche Jugendsünden erwehren. Schröder steht in Treue fest zu ihr.
[ "Aachen" ]
Politik
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2001-01-14T13:00:00+01:00
2001-01-14T13:00:00+01:00
https://www.spiegel.de/politik/steine-im-weg-a-84a17f7a-0002-0001-0000-000018257332?context=issue
Rendezvous im All: Weltraumspäher soll Kometen besuchen
In wenigen Tagen soll die "Comet Nucleus Tour", abgekürzt "Contour", beginnen: Von Weltraumbahnhof Cape Canaveral in Florida aus wird eine Delta-II-Rakete die Kometensonde ins All befördern. Nachdem es Probleme mit den Solarzellen gab, hat die Nasa den ursprünglich für Montag geplanten Start auf frühestens Mittwoch verschoben. Die Rundreise durchs Sonnensystem soll den Späher der US-Raumfahrtbehörde in den Jahren 2003 und 2006 zu den beiden Schweifsternen Encke und Schwassmann-Wachmann 3 führen. Dabei wird "Contour" die Kometen jeweils in etwa hundert Kilometer Abstand passieren, um ihre Kerne genau zu untersuchen. Näher war noch nie ein Raumfahrzeug an den fliegenden Eisbrocken: Die europäische Sonde "Giotto", die erste Kometenmission überhaupt, raste im März 1986 noch in 600 Kilometer Entfernung an Halley vorbei. Kometen sind für die Astronomen vor allem deshalb interessant, weil sie vermutlich Materie enthalten, die sich seit der Entstehung des Sonnensystems vor etwa 4,6 Milliarden Jahren kaum verändert hat. Die meisten dieser Himmelsobjekte ziehen ihre Bahnen jedoch weit entfernt von der Sonne, weit jenseits der Umlaufbahnen von Neptun und Pluto, und bilden die so genannte Oortsche Wolke. Gelegentlich wird einer der eisigen Wanderer ins Innere des Sonnensystems geschleudert. Wenn er sich der Sonne nähert, beginnen die flüchtigen Stoffe auf seiner Oberfläche zu verdampfen und bilden den markanten Schweif. Manche dieser Besucher zwingt die Schwerkraft des Riesenplaneten Jupiter auf eine enge Umlaufbahn. Zu dieser so genannten Jupiter-Kometenfamilie zählen auch die beiden Zielobjekte der "Contour"-Mission. Encke ist der Komet mit der kürzesten bekannten Umlaufzeit: Er braucht nur 3,2 Jahre, um die Sonne einmal zu umkreisen. Das bedeutet auch, dass vermutlich schon ein verhältnismäßig großer Teil seiner flüchtigen Materie verdampft ist. Das zweite Ziel, Schwassmann-Wachmann 3, dürfte der Sonne dagegen erheblich seltener nahe gekommen sein.Im Jahr 1996 hatten Astronomen beobachtet, wie sich größere Brocken vom Kern dieses Kometen lösten. Die Verantwortlichen der "Contour"-Mission hoffen daher, beim Vorbeiflug im Jahr 2006 einen Blick auf die frischen Bruchstellen werfen zu können. Die Oberflächen sollten aus kaum veränderter Urmaterie bestehen, die die meiste Zeit geschützt im Kern gelegen hat. Von einem Vergleich der beiden Himmelskörper erwarten dieWissenschaftler zudem nähere Aufschlüsse über die Entwicklungsgeschichte von Kometen. "Kometen sind die kleinsten Himmelskörper des Sonnensystems, zählen aber zu seinen größten Geheimnissen", sagt Joseph Veverka, wissenschaftlicher Leiter der "Contour"-Mission an der Cornell University. "Wir glauben, dass sie die primitivste Materie des Sonnensystems enthalten und eine Rolle bei der Entstehung einiger Planeten spielten", so der Forscher. "Aber tatsächlich haben wir mehr Ideen als Fakten. 'Contour' wird das ändern durch die Sammlung detaillierter, vergleichbarer Daten."Kometenmission "Comet Nucleus Tour" (Contour) Rosetta-Website der Esa "Deep Impact"-Webseite der Nasa Mit etwas Glück könnte die mit einem speziellen Schutzpanzer ausgerüstete Raumsonde sogar einen Kometen auf seiner ersten Reise aus der Oortschen Wolke zur Sonne beobachten. In diesem Fall könnte "Contour" den Neuankömmling ansteuern: Die Mission ist so ausgelegt, dass sie verändert werden kann, wenn ein neuer Komet in Reichweite der Sonde entdeckt wird. Wissenschaftler nehmen an, dass Kometen womöglich an der Entwicklung des irdischen Lebens beteiligt waren. Zum Beispiel könnten Bausteine der ersten Organismen, die Aminosäuren, von Schweifsternen auf die Erde transportiert worden sein. Einige Forscher sind sogar überzeugt, dass Kometen mikroskopisches Leben beherbergen.Grund genug also, die exotischen Himmelskörper weiter im Auge zu behalten. Die europäische Sonde "Rosetta", deren Start für Januar 2003 geplant ist, soll den Kometen Wirtanen während seiner Annäherung an die Sonne begleiten und ein Landegerät auf seiner Oberfläche absetzen. Ein Jahr später will die Nasa ihren Späher "Deep Impact" auf den Weg zu Tempel 1 bringen. Das Raumfahrzeug soll ein Projektil auf den Kometen feuern, so dass die herausgeschleuderte Urmaterie analysiert werden kann.
Hans-Arthur Marsiske
Dichter hat sich noch kein Raumfahrzeug an einen Kometen gewagt: Die "Contour"-Sonde, deren Start für die nächsten Tage geplant ist, soll mindestens zwei Schweifsterne aus der Nähe beobachten.
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Wissenschaft
Weltall
2002-06-30T09:37:04+02:00
2002-06-30T09:37:04+02:00
https://www.spiegel.de/wissenschaft/weltall/rendezvous-im-all-weltraumspaeher-soll-kometen-besuchen-a-203109.html
Hilfe fürs Herz: Sex statt Infarkt
Sydney - Zu diesem Schluss kommt eine Studie, die Shah Ebrahim von der University of Bristol am Dienstag beim 4. Weltkongress zur Erforschung von Schlaganfällen in Melbourne vorgestellt hat. Im Rahmen der Untersuchung seien 2400 gesunde Männer über einen Zeitraum von zehn Jahren beobachtet und unter anderem zu ihrem Sexualleben befragt worden. Daraus habe sich ergeben, dass bei mindestens drei Mal Sex pro Woche das Infarktrisiko um die Hälfte niedriger sei. Das bedeute, das sich wahrscheinlich bereits leichte körperliche Anstrengung positiv auf das Herzkreislaufsystem auswirke, sagte Ebrahim. Früher sei davon ausgegangen worden,dass dafür schweißtreibende Tätigkeit von mindestens 20 Minuten nötig sei. Ob daraus folgernd der Geschlechtsverkehr weniger als 20 Minuten dauern darf, darüber schweigt sich die Studie allerdings aus.
Häufiger Geschlechtsverkehr kann bei Männern das Risiko eines Herzinfarktes oder Schlaganfalles um die Hälfte verringern. Dreimal Sex pro Woche sollte allerdings schon sein.
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Wissenschaft
Mensch
2000-11-28T14:43:01+01:00
2000-11-28T14:43:01+01:00
https://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/hilfe-fuers-herz-sex-statt-infarkt-a-105194.html
Ryan Gosling spielt Astronaut Neil A. Armstrong
Er war der erste Mensch auf dem Mond. Aber das Biopic "First Man" über Neil Armstrong soll nicht nur die Glanzstunden des Astronauten zeigen, sondern auch die Beschwerden und die Verluste, die dieser bis zur Mondlandung verkraften musste. Eine gute Rolle also für Ryan Gosling ("Only God Forgives"), der Helden stets mit einer gewissen Brüchigkeit verkörpert. Wie der "Hollywood Reporter" berichtet , wird der 36-Jährige für die Verfilmung des bereits 2005 erschienen Buches "First Man: A Life of Neil A. Armstrong" ein weiteres Mal mit dem Regisseur Damien Chazelle zusammenarbeiten. Chazelle inszenierte Gosling auch in dem Musical "La La Land", das unlängst bei den Nominierungen für die Golden Globes für Furore sorgte und bei uns im Januar startet.Außerdem ist Gosling im kommenden Jahr in der Science-Fiction-Fortsetzung "Blade Runner 2049" zu sehen. Zu einem ersten Trailer geht es hier.
cbu/dpa
Großer Schritt für die Menschheit, weiterer Karriereschritt für Ryan Gosling: Der US-Star wird den legendären Astronauten Neil Armstrong verkörpern.
[ "Kino", "Rezensionen", "Neil Armstrong", "Ryan Gosling" ]
Kultur
Kino
2016-12-30T09:59:00+01:00
2016-12-30T09:59:00+01:00
https://www.spiegel.de/kultur/kino/ryan-gosling-spielt-astronaut-neil-a-armstrong-a-1128003.html
Trotz Werbeflaute: RTL zahlt all seine Schulden zurück
Luxemburg - Vor Steuern, Zinsen und Abschreibungen sei der Ertrag um 56,9 Prozent auf 397 Millionen Euro geklettert, teilte das Unternehmen heute mit. Der Umsatz der gesamten Gruppe legte um elf Prozent auf rund 2,5 Milliarden Euro zu.Der Gewinn stieg um 25 Prozent auf 195 Millionen Euro. Dazu haben nach Angaben von Konzernchef Gerhard Zeiler vor allem Rekordergebnisse des RTL-Fernsehens in Deutschland und des britischen Senders five beigetragen. Der deutsche Markt ist mit einem Umsatz von 912 Millionen Euro weiterhin das wichtigste Standbein des Fernsehkonzerns. "RTL liegt mit einem durchschnittlichen Anteil von 17,1 Prozent bei den 14- bis 49-Jährigen in Deutschland weiterhin deutlich vor der Konkurrenz", sagte Zeiler.Vor allem die bei Medienwächtern umstrittene Dschungelshow "Ich bin ein Star - Holt mich hier raus" lockte viele Zuschauer vor den Fernseher. Zudem hätten sowohl VOX als auch RTL II ihre Reichweiten verbessert. Bei RTL II sei der Zuschaueranteil vor allem dank "Big Brother - the battle" von 6,9 auf 7,6 Prozent gestiegen. Im ersten Halbjahr sei der Anstieg in den Werbemärkten in Deutschland und den Niederlanden "bescheiden" gewesen, in Spanien und Frankreich dagegen "stark", so Zeiler. Momentan ist RTL an 26 Sendern in neun europäischen Ländern beteiligt. Die zu Bertelsmann gehörende Gruppe will in Zukunft noch mehr in andere Länder expandieren. Genaue Angaben zu den Plänen machte Zeiler allerdings nicht.
Die RTL-Gruppe hat ihren Gewinn im ersten Halbjahr deutlich gesteigert und ihre Schulden komplett abgebaut. Nun will der Fernsehkonzern in anderen Ländern expandieren.
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Wirtschaft
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2004-08-31T15:22:01+02:00
2004-08-31T15:22:01+02:00
https://www.spiegel.de/wirtschaft/trotz-werbeflaute-rtl-zahlt-all-seine-schulden-zurueck-a-315941.html
Schutz gegen Gletscherschmelze: Die Zugspitze bekommt einen Sommerhut
Vergangenen Winter hat es auf der Zugspitze nur wenig geschneit. In den Monaten Januar bis April fielen nur zwei Drittel des Niederschlags, der in dieser Zeit normalerweise auf dem Berg fällt. Und jetzt kommt das sommerliche Tauwetter - Deutschlands einziger Gletscher schrumpft rapide. Helfer greifen auch dieses Jahr wieder zu einem rustikalen Mittel, um das Eis zu bewahren: Die Bayerische Zugspitzbahn lässt den Schneeferner-Gletscher zum 18. Mal mit Matten und Lastwagenplanen abdecken. Der 2962 Meter hohen Zugspitze wird eine Art Sonnenhut aufgesetzt, der sie vor Sonne und Regen schützen soll.Nach Aussage der Helfer zeigten die Bemühungen bereits Erfolg: "Die Maßnahmen der letzten Jahre haben erreicht, dass der Gletscher nur in einem natürlichen Maße zurückgeht", erklärte Martin Hurm von der Bayerischen Zugspitzbahn. Abgedeckt würden dieses Jahr nur rund 500 Quadratmeter Gletscherfläche. Im vergangenen Jahr waren es 6000 Quadratmeter gewesen. Der Schneeferner hat eine Gesamtfläche von etwa 600.000 Quadratmetern. Das Abdecken mit heller Folie, die das Licht reflektiert, gilt unter Experten grundsätzlich als effektive Strategie - so lässt sich die SchmelzeSchätzungen zufolge um rund 80 Prozent reduzieren. Andere Methoden wie das Errichten von Windfängen sind dagegen umstritten. Manche Umweltschützer kritisieren allerdings auch das Abdecken mit Planen als "Feigenblatt". "Mich wundert, dass die Aktion so aufgeblasen wird", sagte Manfred Kristen, Leiter der Wetterwarte Garmisch-Partenkirchen, im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. "Das Abdecken mit Planen schützt den Gletscher zwar im Prinzip schon, aber die Fläche von 500 Quadratmetern ist zu klein, um eine deutliche Wirkung zu erreichen." Die Aktion sei zum Teil auch ein Marketingtrick, mit dem die Zugspitzbahn für ihr Skigebiet werbe. Zusätzlich hatten die Mitarbeiter der Zugspitzbahn in den vergangenen Wochen Tausende von Kubikmetern Schnee auf den Gletscher geschoben - als Schutzschild gegen Wärme. Mehr als 50.000 Quadratmeter Fläche des Schneeferners wurden auf diese Weise abgedeckt. Diese Strategie hält auch Kristen für sinnvoll. "Das Abschmelzen des Gletschers wird so verlangsamt", sagt er. Doch auch dies dürfe man nicht als Rettungsaktion verkaufen. "Es ist eher ein Anrennen gegen eine Entwicklung, die nicht aufzuhalten ist."
sus/dpa
Verzweifelter Kampf gegen schwindende Eismassen: Die Betreiber der Zugspitzbahn verhüllen Deutschlands einzigen Gletscher mit Lastwagenplanen. Sinnvolle Rettungsmaßnahme oder Werbetrick?
[ "Gletscher", "Alpen", "Erderwärmung", "Klimakrise" ]
Wissenschaft
Natur
2010-06-24T12:00:03+02:00
2010-06-24T12:00:03+02:00
https://www.spiegel.de/wissenschaft/natur/schutz-gegen-gletscherschmelze-die-zugspitze-bekommt-einen-sommerhut-a-702433.html
G20-Gipfel: Die wichtigsten Themen von Klimawandel bis WTO-Reform
Seit zehn Jahren gibt es die G20-Gipfel der Staats- und Regierungschefs führender Wirtschaftsmächte. Dies sind die wichtigsten Themen, die bei dem Spitzentreffen besprochen wurden:Reform der WTOVielleicht der größte Erfolg von Buenos Aires. Das internationale Handelssystem bleibe derzeit hinter seinen Zielsetzungen zurück, stellen die Staats- und Regierungschefs fest. "Wir unterstützen daher die notwendige Reform der WTO, um ihre Arbeitsweise zu verbessern." Die Fortschritte sollen bereits beim nächsten Gipfeltreffen im japanischen Osaka überprüft werden. Bei den anvisierten Reformen geht es unter anderem um bessere gemeinsame Spielregeln und eine Reform der Streitschlichtungsverfahren. Die USA, aber auch die EU werfen China fehlenden Marktzugang und regelwidrige Staatssubventionen vor. Kampf gegen den Klimawandel Steigen nach den USA weitere G20-Staaten aus dem Pariser Abkommen zur Begrenzung des globalen Temperaturanstiegs aus? Brasilien mit seinem künftigen Präsidenten Jair Bolsonaro hat das bereits angedroht - ein Schlüsselstaat für den Schutz des Regenwaldes. Er tritt im Januar sein Amt an. Mit Ausnahme der USA versichern in Buenos Aires noch alle anderen Staaten, an den 2015 eingegangenen Verpflichtungen festhalten zu wollen. Sie sehen vor, den Anstieg der globalen Temperatur auf weniger als zwei Grad und möglichst 1,5 Grad zu begrenzen. Vergleichsmaßstab ist die Zeit vor der Industrialisierung. Als Wackelkandidat beim Thema hatte zuletzt auch die Türkei gegolten. Der Streit um Sonderzölle Mit der Einführung von Sonderzöllen versucht US-Präsident Donald Trump seit einigen Monaten, heimische Unternehmen vor ausländischer Konkurrenz zu schützen - zur Empörung betroffener exportstarker Regionen wie der EU und China. Beim G20-Gipfel gab es keine Entspannung, aber immerhin auch keine neue Eskalation. Das dürfte vor allem die deutschen Autobauer freuen, die ebenfalls Sonderzölle fürchten müssen. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker betonte, zwischen der EU und den USA gelte im Handelsstreit weiter das im Juli ausgehandelte Stillhalteabkommen. Der Ukraine-Konflikt Die zuletzt wieder eskalierte Auseinandersetzung zwischen Russland und der Ukraine war beim G20-Gipfel nur am Rande Thema. Unter anderem versuchte Bundeskanzlerin Angela Merkel, in einem Gespräch mit Kremlchef Wladimir Putin zu vermitteln. Konkret schlug sie vor, ein Gespräch auf Ebene von außen- und sicherheitspolitischen Beratern zu organisieren, bei dem neben der Ukraine und Russland auch Deutschland und Frankreich vertreten wären. US-Präsident Donald Trump sagte ein geplantes Treffen mit Putin ab. Als Begründung gab er an, dass Russland am vergangenen Wochenende festgenommenen ukrainischen Seeleute noch nicht freigelassen habe. Das internationale Steuersystem und die Digitalsteuer Digitalkonzerne wie Amazon oder Apple verbuchen in Europa riesige Gewinne, müssen aber vergleichsweise wenig Steuern zahlen, da sie in den meisten Ländern keine versteuerbaren Firmensitze besitzen. Dass sich daran schnell etwas ändert, erscheint nach dem G20-Gipfel unwahrscheinlich. "Wir werden weiter gemeinsam daran arbeiten, eine Konsenslösung hinsichtlich der Auswirkungen der Digitalisierung der Wirtschaft auf das internationale Steuersystem zu finden", heißt es schwammig in der Abschlusserklärung. Den Europäern bleibt damit nur der Weg, alleine eine Digitalsteuer einzuführen - doch selbst unter den EU-Staaten ist man sich beim Thema bislang nicht wirklich einig. Steuerbetrug und Währungsfonds Hier bekennt sich die G20 zu mehr Datenaustausch, um Steuerbetrügern das Handwerk zu legen. "Wir begrüßen die Aufnahme des automatischen Informationsaustauschs über Finanzkonten". Zudem will man strengere Maßstäbe für die Erfassung von Staaten und Gebieten, "die die Standards zur Transparenz im Steuerbereich noch nicht zufriedenstellend umgesetzt haben". Zugleich will man weiter daran arbeiten, die Gewinnverkürzung und Gewinnverlagerung bei den Steuerzahlungen (BEPS) bekämpfen. Dieser Punkt ist der deutschen Seite wichtig, denn entgangene Steuern fehlen, um mehr in Straßen und Schulen zu investieren. Und man bekennt sich zur Bekämpfung neuer Finanzkrisen zur Stärkung des Internationalen Währungsfonds (IWF). Der Fall KhashoggiWie geht man mit einem Kollegen um, der verdächtigt wird, den Mord an einem missliebigen Journalisten in Auftrag gegeben zu haben? Auch mit dieser Frage mussten sich Merkel und Co. beschäftigen, da zu den Gipfelteilnehmern auch der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman gehörte. Ihm wird vorgeworfen, in die Tötung des kritischen Journalisten Jamal Khashoggi zumindest verwickelt gewesen zu sein. Eine einheitliche Antwort auf die Frage des Umgangs gab es beim Gipfel nicht. Russlands Präsident Putin klatschte den Kronprinzen zu Beginn lachend ab, die Europäer forderten ihn hingegen öffentlich auf, eine ausländische Begleitung der strafrechtlichen Ermittlungen in dem Fall zuzulassen. Und sonst?Eine bessere Frauenförderung, die sichere Versorgung aller Menschen auf der Welt mit Nahrungsmitteln oder eine bessere Unterstützung von Bürgern bei Veränderungen der Arbeitswelt durch neue Technologien - zumindest bei diesen Themen fiel den G20-Staaten eine Einigung leicht. Die aktuelle argentinische G20-Präsidentschaft freute sich darüber. Das waren nämlich ihre Schwerpunkte. Und wichtige am Rande: Es wurde zwar für eine bessere und gerechtere Welt demonstriert, aber friedlich, anders als noch 2017 in Hamburg.
tin/dpa
Die Streitpunkte waren groß, Differenzen werden bleiben - aber beim Spitzentreffen in Buenos Aires wurden auch Einigungen erzielt. Die wichtigsten Themen und Ergebnisse im Überblick.
[ "G20", "Buenos Aires" ]
Ausland
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2018-12-02T10:44:00+01:00
2018-12-02T10:44:00+01:00
https://www.spiegel.de/politik/ausland/g20-gipfel-die-wichtigsten-themen-von-klimawandel-bis-wto-reform-a-1241525.html
Brasilianischer Verband sperrt Masseur
Hamburg - Ein brasilianischer Fußballclub ist hart für die Rettungstat seines übereifrigen Masseurs bestraft worden und aus den Playoffs geflogen. Romildo Fonseca da Silva war vor einer Woche beim Spiel gegen Tupi in der 89. Minute beim Spielstand von 2:2 vor das Tor seines Viertliga-Clubs Aparecidense gelaufen und hatte einen Gegentreffer verhindert. Am Montagabend (Ortszeit) schloss ein Sportgericht den Verein vom Viertelfinale der Liga aus. Silva wurde zudem für 24 Partien suspendiert und muss umgerechnet rund 170 Euro Strafe bezahlen. Der Gegner Tupi nimmt nun den Platz von Aparecidense in den weiteren Playoffs ein. Der Anwalt des bestraften Clubs kündigte an, Berufung einlegen zu wollen.
buc/dpa
Wegen einer ungewöhnlichen Rettungstat hat der brasilianische Fußballverband den Masseur eines Viertliga-Clubs lange gesperrt. Außerdem wurde das Team aus dem Viertelfinale der Liga ausgeschlossen.
[ "Fußball allgemein international" ]
Sport
Fußball-News
2013-09-17T20:27:00+02:00
2013-09-17T20:27:00+02:00
https://www.spiegel.de/sport/fussball/brasilianischer-verband-sperrt-masseur-a-922888.html
Atom-Streit: Nordkorea droht erneut mit Krieg
Peking/Seoul - In der vergangenen Nacht telefonierte der chinesische Außenminister Li Zhaoxing mit seinem amerikanischen Amtskollegen Colin Powell. Beide hätten darüber beraten, wie mit der Nuklearfrage "angemessen" umgegangen werden könne, berichtete die amtliche chinesische Nachrichtenagentur Xinhua. Die Außenminister hätten die Gespräche in Peking als nützlich beschrieben. Nordkorea forderte unterdessen von den USA, sie sollten zu einem mutigen Wechsel in ihrer feindlichen Politik gegenüber der Volksrepublik bereit sein und dies in der Praxis beweisen. Dies sei der Hauptschlüssel für ergiebige Gespräche, meldete die amtliche nordkoreanische Nachrichtenagentur KCNA.Am Donnerstag warnte Nordkorea erneut vor einem Krieg auf der koreanischen Halbinsel. Der Irak-Krieg habe gezeigt, dass sich ein Land nur mit einer starken militärischen Abschreckung schützen könne, meldete KCNA aus Pjöngjang. Die Lage in Korea nach dem Irak-Krieg sei so angespannt, dass ein Krieg jederzeit aufGrund amerikanischer Schritte beginnen könnte, hieß es. Nach dem ersten Gesprächstag in Peking, an dem alle Seiten zunächst ihre Ansichten präsentiert hatten, unterrichtete die US-Delegation auch südkoreanische und japanische Diplomaten über den Verlauf, wie ein Sprecher der US-Botschaft berichtete. Südkorea und Japan sind auf Druck Nordkoreas nicht zu den Gesprächen eingeladen, verfolgen das Treffen aber aufmerksam. Die USA und China wollen Nordkorea bei den Verhandlungen zu einer Aufgabe seines Atomprogramms bewegen. Es sind die ersten direkten Gespräche zwischen den USA und Nordkorea seit Ausbruch der Krise um die atomaren Pläne des isolierten stalinistischen Staates vor einem halben Jahr.
Auch wenn in Peking verhandelt wird, Nordkorea rasselt im Atomstreit mit den USA weiter mit dem Säbel. Der Krieg könne jederzeit beginnen, wenn die Vereinigten Staaten ihre feindliche Politik gegen das Regime nicht ändere, warnten staatliche Medien.
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Ausland
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2003-04-24T10:29:46+02:00
2003-04-24T10:29:46+02:00
https://www.spiegel.de/politik/ausland/atom-streit-nordkorea-droht-erneut-mit-krieg-a-245939.html
Flannery O'Connor: »Das brennende Wort«.
Die 37jährige, in den US-Südstaaten lebende Autorin schwelgt in einer Geschichte von fast archaischer Grauslichkeit: Ein vom Großonkel zum »Propheten« erzogener Halbwüchsiger lebt mit der Zwangsvorstellung, ein schwachsinniges Kind aus der allernächsten Verwandtschaft taufen zu müssen. Beim Taufakt ertrinkt das Kind, und der halbverrückte »Prophet« illuminiert mit einem Waldbrand seinen Heimweg in die Stadt, »wo die Kinder Gottes im Schlaf lagen«. Sein weiterer Weg bleibt allerdings ebenso dunkel wie der Sinn dieses reichlich mit Bibelworten durchwirkten Romans. (Carl Hanser Verlag, München; 200 Seiten; 13,80 Mark.)
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Kultur
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1962-11-27T13:00:00+01:00
1962-11-27T13:00:00+01:00
https://www.spiegel.de/kultur/flannery-oconnor-das-brennende-wort-a-22063d20-0002-0001-0000-000045125073?context=issue
Steuererklärung 2019: Abgabefrist soll bis August verlängert werden
Die Große Koalition hat sich auf eine Fristverlängerung für die Abgabe der Jahressteuererklärung für 2019 geeinigt. Wie die finanzpolitischen Sprecher von Union und Sozialdemokraten, Antje Tillmann (CDU) und Lothar Binding (SPD), am Donnerstag mitteilten, soll die Abgabe bis zum 31. August 2021 möglich sein. Hintergrund ist, dass Steuerberater in der Coronakrise im Rahmen der sogenannten Überbrückungshilfen zusätzlich eingespannt sind. Denn der Antrag auf die Hilfen für von der Pandemie betroffene Unternehmen muss in den meisten Fällen über Steuerberater, Wirtschaftsprüfer oder andere Dritte erfolgen.Steuerberater in der Klemme»Die Steuerberaterinnen und Steuerberater leisten in der Coronakrise einen unverzichtbaren Beitrag dazu, dass die staatliche Hilfe bei den Corona-geschädigten Unternehmen und Selbstständigen ankommt«, erklärten Tillmann und Binding. »Dabei sollen sie nicht in die Situation kommen, zwischen Corona-Hilfsanträgen einerseits und der fristgerechten Abgabe von Steuererklärungen andererseits entscheiden zu müssen.« Deshalb schlagen die Koalitionsfraktionen vor, »im nächsten Steuergesetz die Verlängerung der Abgabefristen für Jahressteuererklärungen des Veranlagungszeitraums 2019 zu verlängern«, wie die beiden Finanzpolitiker erklärten. Diesen Vorschlag hätten die Koalitionsfraktionen am Donnerstag auch mit Finanzminister Olaf Scholz (SPD) abgestimmt.
caw/AFP
Weil Steuerberater für die Überbrückungshilfen so stark eingespannt sind, dürfen Steuererklärungen für 2019 später abgegeben werden. Darauf hat sich die Große Koaltion geeinigt.
[ "Steuererklärung", "Wirtschaftsprüfer" ]
Wirtschaft
Verbraucher & Service
2020-12-17T19:24:04+01:00
2020-12-17T19:24:04+01:00
https://www.spiegel.de/wirtschaft/service/grosse-koalition-abgabefrist-fuer-steuererklaerung-2019-soll-bis-august-verlaengert-werden-a-0da07fd1-4341-496c-90e9-c161f57ffdb8
Marco Buschmann zur Wahlrechtsreform: FDP fordert Frank-Walter Steinmeier als Vermittler
SPIEGEL: Die Parteien stehen sich mit ihren Vorschlägen, den Bundestag zu verkleinern, unversöhnlich gegenüber. Scheitert die Wahlrechtsreform?Buschmann: Das darf nicht passieren. Die Bürger erwarten zu Recht, dass wir einen kaum noch arbeitsfähigen Bundestag mit in Zukunft 800 Mitgliedern oder mehr verhindern. FDP, Grüne und Linkspartei haben einen Vorschlag gemacht, der auch nach Meinung von unabhängigen Experten alle rechtlichen Probleme löst. Der Gegenentwurf von CDU und CSU ist dagegen vom blanken Eigennutz getrieben. Marco Buschmann, Jahrgang 1977, ist seit Dezember 2021 Bundesjustizminister. Zuvor war er Parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion und bis 2017 Bundesgeschäftsführer der FDP. SPIEGEL: Die Union argumentiert, Ihr Vorschlag schaffe eine größere Distanz zwischen Bürgern und Abgeordneten, weil der die Zahl der direkt gewählten Abgeordneten vermindert.Buschmann: Alle Abgeordneten kümmern sich um die Bürgerinnen und Bürger, egal ob direkt oder über Liste gewählt. In unserem Wahlrecht gibt das Zweitstimmenergebnis vor, wie viele Mandate eine Partei im Parlament bekommt. Unsere Demokratie lebt von dem Prinzip "ein Mensch, eine Stimme". Und es gibt auch keine Abgeordneten erster und zweiter Güteklasse. SPIEGEL: Soll man die Parlamentarier für diese Abstimmung vom Koalitionszwang befreien?Buschmann: Wenn wir es sonst nicht schaffen, könnte das ein angemessener Weg sein. Denn es geht um eine grundsätzliche Frage unserer Demokratie. Es braucht nur eine einfache Mehrheit und die hätte unser Gesetzentwurf nach meiner Einschätzung vielleicht bereits jetzt. SPIEGEL: Bis zum Frühjahr müsste das Gesetz verabschiedet sein, weil dann die ersten Wahlkreiskandidaten aufgestellt werden. Wird das noch was? Buschmann: Viele Parlamentarier spüren wie ich die Verpflichtung, das zu regeln. Es ist gut, dass sich auch Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble eingeschaltet hat. Mit seinen Hinweisen auf angebliche Kompromisse will er aber wohl in erster Linie den Eindruck vermitteln, auch aus der Union kämen machbare Vorschläge. Deren Vorschläge enthalten aber einen Mandatsbonus für die Union und sind deshalb ungerecht.SPIEGEL: Wie löst man diese Blockade?Buschmann: Wenn Wolfgang Schäuble das nicht gelingt, sollte sich der Bundespräsident einschalten. Es geht ja nicht um Tagespolitik, sondern um die Akzeptanz und Arbeitsfähigkeit der Institution Bundestag. Als Staatsoberhaupt ist Frank-Walter Steinmeier dem Parteienstreit enthoben, das verleiht ihm die notwendige Neutralität für eine Moderatorenrolle. Wenn er einen Beitrag zur Lösung des Streits leisten könnte, wäre das ein großes Verdienst.
Christoph Schult
Die Union weigert sich bisher, den Oppositionsparteien bei der Wahlrechtsreform entgegenzukommen. FDP-Fraktionsmanager Buschmann bringt nun Bundespräsident Steinmeier als Vermittler ins Spiel.
[ "Wahlrechtsreform", "FDP", "Bundestag", "CDU", "CSU", "Bündnis 90/Die Grünen", "Die Linke", "Alternative für Deutschland (AfD)" ]
Politik
Deutschland
2020-01-24T10:59:00+01:00
2020-01-24T10:59:00+01:00
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/marco-buschmann-zur-wahlrechtsreform-fdp-fordert-frank-walter-steinmeier-als-vermittler-a-c293a8a3-8da1-4bd1-8984-4295f31f7e93
Kirchensanierung: Giftige Dämpfe töten Familienvater
Amberg - Die neben der Dorfkirche im nordbayerischen Ursensollen wohnenden Familien hätten offensichtlich Giftdämpfe eingeatmet, mit denen Holzwürmer im Kirchengestühl und in Heiligenfiguren vernichtet werden sollten, teilte die Polizei mit. Gegen die verantwortliche Firmawerde nun wegen fahrlässiger Tötung ermittelt. Der 39-jährige Familienvater sei mit Vergiftungserscheinungen indas Klinikum Amberg eingeliefert worden und wenige Stunden spätergestorben, erklärte ein Polizeisprecher. Die Ärzte seien zunächstratlos gewesen. Als wenig später wurden auch die 36-jährige Ehefrau, ihre Kinder im Alter von zehn, zwölf und 14 Jahren sowie ihre 21-jährige Nichte mit denselben Symptomen in dieIntensivstation eingeliefert wurden, geriet die Kirche als Ursache ins Visier. In ihr stellten die Behörden eine erhöhte Konzentrationen des Gifts fest. Die Familie war am Donnerstag außer Lebensgefahr, blieb aberzusammen mit einer Nachbarsfamilie zur Beobachtung im Krankenhaus. Die Ermittlungen der Kriminalpolizei erhärteten den Verdacht, dass der Mann durch Einatmen von Holzbegasungsmitteln gestorben sei. Die Familie wohnte unmittelbar an der Vitus-Kirche, wo eine Firma das Holz mit einem chemischen Mittel gegen Schädlinge begast hatte.Dämpfe seien offenbar über einen Verbindungstrakt in das Wohnhausgelangt und von den Bewohnern längere Zeit eingeatmet worden sein.Auch die Katze der Familie sei verendet.
Giftige Holzschutzmittel verbreiteten bei der Sanierung einer Kirche in Bayern tödliche Dämpfe. Ein dreifacher Familienvater starb, seine Frau und seine drei Kinder kamen ebenso wie zehn Nachbarn mit Vergiftungserscheinungen ins Krankenhaus.
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Panorama
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2002-10-17T16:33:00+02:00
2002-10-17T16:33:00+02:00
https://www.spiegel.de/panorama/kirchensanierung-giftige-daempfe-toeten-familienvater-a-218596.html
Richtiges Licht
Richtiges Licht (Nr. 26 bis 28/1973, SPIEGEL-Serie über die ITT)Mit seinem soeben erschienenen ITT-Buch hat Anthony Sampson ein Werk von fragwürdiger Wissenschaftlichkeit vorgelegt, das zum Teil auf grober Tatsachenverdrehung, Auslassung wichtigen Materials, falscher Interpretation von Informationen und ganz offenkundigen sachlichen Fehlern beruht. 1. Die empörende Anschuldigung zum Beispiel, ITT habe für die Nazis gearbeitet, ist nicht neu und war entgegen Sampsons Behauptung 1945 und 1946 bereits Gegenstand von Presseberichten von Journalisten und Kolumnisten wie Walter Winchell und Drew Pearson sowie der »New York Times« und anderer. Diese Anschuldigungen brachen in sich zusammen und wurden nie erhärtet (siehe auch SPIEGEL Nr. 27, Seite 89). 2. Es liegt kein eindeutiger Beweis vor, daß das Dita-Beard-Memorandum (SPIEGEL Nr. 28, Seite 83) authentisch war oder daß es von Dita Beard tatsächlich verfaßt wurde. Das von Jack Anderson erwähnte Papier war ursprünglich auf einer Schreibmaschine des Washingtoner Büros geschrieben worden. Es besteht jedoch keine Klarheit darüber, von wem oder wann es geschrieben wurde. Die in dem Memorandum gemachten Ausführungen sind absolut unkorrekt. 3. ITT bedient sich keiner anderen Buchführungsverfahren als andere US-Firmen (SPIEGEL Nr. 28, Seite 93). Im Gegenteil. Arthur Andersen & Co., das für ITT arbeitende unabhängige Buchprüfungsunternehmen, hat wesentlich zur Entwicklung der »accepted accounting standards« (der anerkannten Buchführungsnormen) beigetragen.4. Im Rahmen der beschränkten Kommentarmöglichkeiten angesichts des noch schwebenden Schlichtungsverfahrens zwischen ITT und der Overseas Private Investment Corporation (Opic) möchten wir auf folgenden Passus des am 21. Juni 1973 veröffentlichten offiziellen Berichts des amerikanischen Senatsausschusses für multinationale Unternehmen hinweisen (SPIEGEL Nr. 28, Seite 92): »Wir befürworten nicht die Entscheidung Staatspräsident Allendes, Unternehmen in US-Besitz ohne angemessene Entschädigung zu enteignen. Im Gegenteil, wir verurteilen sie. Niemand sollte daran zweifeln, daß dieser Ausschuß der Enteignung amerikanischen Eigentums ohne Zahlung einer angemessenen Entschädigung entschieden entgegentritt. Wir sind der Meinung, daß realistische und aufrichtige Verhandlungen über die Höhe der zu zahlenden Enteignungsentschädigung unerläßlich sind ...«Eine weitere Anschuldigung, die Sie in Ihrer Ausgabe vom 9. Juli erheben, die aber nicht dem Sampson-Buch entstammt, sondern auf einer in zahlreichen amerikanischen Zeitungen veröffentlichten Kolumne Jack Andersons basiert, betrifft den Zusammenhang zwischen dem angeblich von ITT gemachten Geschenk eines Golfplatzes für Präsident Nixons Amtssitz in San Clemente, Kalifornien, und der Beilegung eines Anti-Trust-Falles. Das ist nicht nur völlig falsch, sondern ganz einfach absurd. Die Anlage eines Drei-Loch-Golfplatzes in San Clemente war die Idee einer »Gruppe der Golf-Freunde des Präsidenten«, die Ende 1969 an den örtlichen Verein der Golfplatz-Verwalter mit dem Vorschlag herantrat, der Verein und seine Lieferanten sollten auf dem Gelände des Amtssitzes einen kleinen Golfplatz anlegen.Zusammen mit anderen Lieferanten stellte die Firma 0. M. Scott and Sons kostenlos Material zur Verfügung. Das geschah etwa 18 Monate, bevor Scott Mitglied des ITT-Konzerns wurde. Seit 1969 hat Scott Material im Endverkaufswert von 2762,50 Dollar gestiftet. Um das Ganze ins richtige Licht zu rücken: 1972 betrug ihr Umsatz an einschlägigen Produkten zur Rasenpflege nur von Golfplätzen und Parks in Süd-Kalifornien allein über 300 000 Dollar. Der Zeitpunkt des Anschlusses der Firma Scott an ITT war dem Anderson-Stab durchaus bekannt, als er seine Nachforschungen anstellte. Doch offenbar zog er es vor, diesen ziemlich wichtigen Zeitunterschied zu ignorieren. Anderson behauptete auch, »der kostenlose Golfplatz geht Hand in Hand mit den versprochenen 400 000 Dollar zur Finanzierung des Republikanischen Parteitags«. Wie bereits früher dargelegt, hat ITT niemals versprochen, den Republikanischen Parteitag zu finanzieren. Tatsache ist, daß Sheraton dem Fremdenverkehrsbüro in San Diego einen Beitrag von 100 000 Dollar zugesagt hat, um die Stadt »in ihrer Bewerbung um den Republikanischen Parteitag 1972 zu unterstützen. Diese 100 000-Dollar-Verpflichtung der ITT-Hotelkette Sheraton ist eine im Hotelgewerbe rechtmäßige und übliche Werbepraxis. Im Juli 1971 holte ITT in dieser Frage von unabhängigen Rechtsberatern (Gilbert, Segall and Young) ein Gutachten ein und erhielt die Bestätigung, daß der Sheraton-Beitrag legal sei. Dieser Standpunkt wurde später von kalifornischen Gerichten bestätigt. Brüssel DAVID BARKER Vicepresident ITT-Europe Director Public RelationsSie berichten: »Wenig später ging der Christdemokrat Frei aus den Wahlen als Sieger hervor -- auch ohne ITT-Geld.« Das ist zwar buchstäblich richtig, vermittelt aber im Zusammenhang den falschen Eindruck, als sei der Wahlsieg Freis nicht auch auf massive Intervention der USA zustande gekommen. Richtig ist aber, daß sowohl über Kanäle des US-Außenministeriums wie der CIA der Wahlkampf des christdemokratischen Kandidaten mit etwa 20 Millionen Dollar (damals über 80 Millionen Mark) unterstützt wurde (siehe Bericht in der »Washington Post« vom 5. 4. 1973, AP-Meldung vom 6. 4. 1973). Das Geschehen aus dem Wahlkampf von 1964 wiederholte »sich bei den Präsidentschaftswahlen von 1970. Nach zuverlässigen Schätzungen aus dem chilenischen Finanzministerium belief sich die US-offiziöse Finanzierung des Wahlkampfes der beiden Gegenkandidaten Allendes auf 30 bis 40. Millionen Dollar, wobei der Löwenanteil auf den Kandidaten der ultrarechten Nationalpartei Alessandri entfiel. Form und Umfang der massiven Wahlhilfe geht auch mittelbar aus der Analyse der ITT-Dokumente hervor (vergleiche »Chile, Die ITT-Dokumente, US-Imperialismus in Lateinamerika«, Five-Verlag, Frankfurt/Main, September 1972). Die Aussage von Broe (Seite 91): »Die Regierung denke nicht daran, sich in die chilenischen Wahlen einzumischen« ist eine schlichte Lüge. Ihre Darstellung der ITT-Aktivitäten im Verein mit US-Administration und US-Botschaft in Santiago nach dem Wahlsieg Allendes hätte dementsprechend dank der zahlreichen eindeutigen Belege durchaus materialreicher sein können. So wäre Ihre Schlußfolgerung (Seite 92): »Der CIA-Plan wurde nie verwirklicht« äußerst relativierungswürdig: Durchgeführt wurde er schon, wenn auch ohne den gewünschten Erfolg. Limburg JÜRGEN ECKLIn einer Teilauflage dieser SPIEGEL-Ausgabe ist eine Postkarte des VHG-Immobilienfonds, 8 München 22, Ludwigstraße 10, beigeklebt.Die Redaktion des SPIEGEL behält sich vor, Leserbriefe gekürzt zu veröffentlichen
Richtiges Licht
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Politik
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1973-07-22T13:00:00+01:00
1973-07-22T13:00:00+01:00
https://www.spiegel.de/politik/richtiges-licht-a-71b6c387-0002-0001-0000-000041955234?context=issue
Mike Pence verschiebt Israel-Reise wegen Abstimmung über Steuerrreform
Eigentlich sollte Mike Pence am Montag in der Knesset in Jerusalem eine mit Spannung erwartete Rede halten. Doch jetzt wurde der Auftritt des US-Vizepräsidenten verschoben. Grund ist offenbar die wichtige Abstimmung über Donald Trumps Steuerreform. Das berichtete unter anderem die israelische Zeitung "Haaretz". Seit Donald Trump Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkannt hat, wird spekuliert, was die nächsten Schritte in der Nahost-Politik des US-Präsidenten sein könnten. In der muslimischen Welt hatte die Entscheidung für heftige Proteste gesorgt.Der US-Senat stimmt kommende Woche über Trumps Prestigeprojekt ab, die umstrittene Steuerreform. Bei dem Votum braucht der US-Präsident jede Stimme, bei einem Patt im Senat ist das Votum des Vizepräsidenten das Zünglein an der Waage. Eine Verabschiedung wäre für Trump einer seiner größten Erfolge seit Amtsantritt. Ob das Vorhaben kommende Woche aber die notwendige Mehrheit bekommt, ist noch nicht ausgemacht. Die Republikaner stellen 52 der 100 Abgeordneten im Senat. Ihr Parteimitglied John McCain ist derzeit allerdings in einer Klinik und mindestens drei andere Republikaner schienen zuletzt noch unentschieden. Nach der verlorenen Nachwahl in Alabama stehen die Republikaner unter Zeitdruck: Vermutlich ab Januar schrumpft ihre Mehrheit im Senat auf einen Sitz. Trump will die Reform noch vor Jahresende unterzeichnen. Damit könnte sie im Februar 2018 in Kraft treten. Pence wird seine Nahost-Reise deshalb wohl erst Mitte der Woche starten. Bei den Palästinensern ist Pence aber ohnehin nicht willkommen. Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas werde sich nicht mit ihm treffen, hatte ein ranghohes Fatah-Mitglied bereits angekündigt. Auch Vertreter der Kopten und der Großimam der Al-Azhar in Kairo sagten Treffen mit Pence ab. Die Organisation für Islamische Zusammenarbeit (OIC) erkannte als Reaktion auf Trump demonstrativ Ost-Jerusalem als Hauptstadt eines Staates Palästina an. Der endgültige Status von Jerusalem ist einer der größten Streitpunkte im Nahostkonflikt. Die Palästinenser beanspruchen den 1967 von Israel besetzten und 1980 annektierten Ostteil Jerusalems als künftige Hauptstadt ihres angestrebten eigenen Staates. In der internationalen Gemeinschaft herrschte bislang Konsens, dass der Status der Stadt in Friedensgesprächen zwischen Israelis und Palästinensern geklärt werden muss.
als/dpa
Mike Pence sollte am Montag in Jerusalem eine mit Spannung erwartete Rede halten. Doch jetzt wurde der Auftritt des US-Vizepräsidenten verschoben - Donald Trump braucht ihn dringend im Senat.
[ "Mike Pence", "Recep Tayyip Erdoğan", "Donald Trump", "Türkei", "Jerusalem", "Israel" ]
Ausland
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2017-12-14T09:40:00+01:00
2017-12-14T09:40:00+01:00
https://www.spiegel.de/politik/ausland/mike-pence-verschiebt-israel-reise-wegen-abstimmung-ueber-steuerrreform-a-1183252.html
Bayern München gegen ZSKA: Rassismus in Moskau
Als Kevin Kuranyi nach Moskau zog, dachte er: "Okay, drei Jahre, so lange, wie mein Vertrag hier läuft, und dann war's das." 2010 war das und mittlerweile spielt Kuranyi, 32, in der fünften Saison bei Dynamo Moskau. Moskau sei eine "unglaublich lebendige Stadt", eine Metropole, in der mehr voranginge "als in westlichen Großstädten", sagte er kürzlich im Interview mit der "Welt am Sonntag". Ein großes Problem gebe es allerdings: den Rassismus in den Fußballstadien. Erst am vergangenen Wochenende wurden dunkelhäutige Mitspieler Kuranyis beim Stadtderby gegen Torpedo Moskau beleidigt, der frühere Hertha-Spieler Christopher Samba trat nicht zur zweiten Halbzeit an. "Das ist zum Verzweifeln", sagt Kuranyi, "diese dummen Leute kriegst du nicht los."Der europäische Fußballverband versucht, eben jene Menschen loszuwerden, indem er sie von Spielen aussperrt - und den Rest der Fans gleich mit. Geisterspiele sind eines der liebsten politischen Instrumente von Michel Platini, dem Präsidenten der Uefa. Gerne feiert er sich selbst dafür: "Ich würde niemals einem Team Punkte abziehen oder es aus dem Wettbewerb werfen", sagt Platini. Sein Pendant im Weltverband, Joseph Blatter, ist - natürlich - gegen Geisterspiele, auch, weil er sich so gegen Platini positionieren kann. Das eigentliche Problem verkommt in dieser machtpolitischen Posse einmal mehr zur Nebensache. Trotz aller Maßnahmen sind die Anfeindungen auf den Stadiontribünen mit erschütternder Zuverlässigkeit zu hören, die rechtsradikalen Spruchbanner und Zeichen zu sehen. Kuranyi: "Leute, die nix im Kopf haben"An diesem Dienstag trifft es den FC Bayern, der in der Champions League zu ZSKA Moskau (18 Uhr, Liveticker SPIEGEL ONLINE; TV: Sky) reist. Weil die Moskauer Anhänger im Dezember vergangenen Jahres im letzten Gruppenspiel bei Viktoria Pilsen nach dem wiederkehrenden Muster ausfällig geworden waren, bestrafte die Uefa ZSKA mit einer Platzsperre für das erste Europapokal-Heimspiel in dieser Saison. Schon im Vorjahr war der russische Klub für die Partie gegen Bayern München an 27. November mit einer Blocksperre belegt worden, damals hatten Anhänger den Ivorer Yaya Touré von Manchester City beleidigt. Und der nächste Fall ist bereits anhängig: Zum Auftakt der aktuellen Runde gab es am Rande des 1:5 Moskaus beim AS Rom hässliche Szenen, das Spiel musste für zwei Minuten unterbrochen werden.Der russische Verband und auch die Vereine versuchten, "schon viel zu tun", sagt Kuranyi, "doch das sind einfach Leute, die nix im Kopf haben". Damit mag der frühere Nationalspieler recht haben, doch an den entscheidenden Stellen fehlt es oft sogar an der Bereitschaft zu akzeptieren, dass es überhaupt ein Problem gibt. "Die Beobachter haben bislang noch nicht gelernt, in diesen Vorgängen etwas Verwerfliches zu sehen", schrieb das russische Magazin "Futbol" vor einiger Zeit. Roman Babajew, Sportchef von ZSKA Moskau, behauptete, Tourés Vorwürfe seien erfunden, die englische Presse wolle einen Skandal künstlich heraufbeschwören: "Die Briten suchen tatsächlich immer wieder einen Vorwand, um den russischen Fußball in den Dreck zu ziehen", sagte er. Auch der Präsident von Torpedo Moskau will in der vergangenen Woche keine Schmährufe gehört, dafür aber eine abfällige Geste Sambas in Richtung der Torpedo-Anhänger gesehen haben. Sowjetrussische Vergangenheit zieht Traditionalisten an"Es gibt etliche Russen, die ein sehr starkes Nationalgefühl haben und das in der vom Machismo bestimmten Fußballwelt ausleben", sagt einer, der die Moskauer Fanszene gut kennt. Es seien die gleichen Mechanismen, die auch in anderen Fußballstadien dieser Welt rassistische Auswüchse hervorbrächten: die Stärkung des Ichs durch das Ausgrenzen von Fremdem. "Die russische Fanwelt ist bunt", sagt der Experte. "Wir haben auch Ultragruppen, die sich gegen rechts engagieren. Doch gerade in so unsicheren Zeiten wie der Ukraine-Krise halten sich die Schwachen an Pseudotraditionen wie Ablehnung fest." Hinzu käme bei ZSKA, dem "Zentralen Sportklub der Armee", die historische Verbindung zur Roten Armee des früheren Sowjetrusslands. "Das zieht die Traditionalisten an", sagt er.Genau darauf beriefen sich vor zwei Jahren einige Anhänger von Zenit St. Petersburg, als sie ein "Manifest für einen traditionellen Fußball" veröffentlichen. Sie sprachen sich darin gegen dunkelhäutige und homosexuelle Spieler aus, weil sie befürchteten, dass der Verein sonst seine Identität verliere. "Der Fußball ist hier, wie so oft, nur Austragungsort für etwas, das in der Gesellschaft gewachsen ist", sagt der Experte. Hartnäckig halte sich das Gerücht, dass Polizisten gewaltbereite russische Hooligans dafür bezahlten, in ihrem Auftrag Jagd auf Oppositionelle zu machen. "Wie sollen sie so ein Unrechtbewusstsein entwickeln?"
Sara Peschke
ZSKA-Moskau-Fans stehen immer wieder wegen rassistischer Ausfälle in der Kritik. Die Uefa bestraft Bayerns Champions-League-Gegner deshalb mit Geisterspielen - gegen die Ursachen hilft das kaum.
[ "Champions League", "Uefa", "FC Bayern München", "Moskau", "PFK ZSKA Moskau" ]
Sport
Fußball-News
2014-09-29T17:47:00+02:00
2014-09-29T17:47:00+02:00
https://www.spiegel.de/sport/fussball/bayern-muenchen-gegen-zska-rassismus-in-moskau-a-994353.html
Söder erteilt möglicher schwarz-grüner Koalition scharfe Absage
Erst nennen die Grünen die Ampel eine »Übergangsregierung«, dann zeigen sie sich grundsätzlich offen für eine schwarz-grüne Koalition. Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Markus Söder hat nun einem Regierungsbündnis mit den Grünen nach den Bundestagswahlen 2025 eine Absage erteilt. Die Gesprächsangebote der Grünen bewertete er gegenüber der »Bild«-Zeitung als Anbiederei. »Für die CSU ist völlig klar: Kein Schwarz-Grün nach der nächsten Wahl«, so Söder. Der CSU-Chef reagierte damit auf Aussagen mehrerer Grünen-Spitzenpolitiker, die am Donnerstag ein Bündnis mit der Union nach der nächsten Bundestagswahl in Aussicht gestellt hatten. »Das Anbiedern der Grünen an die Union ist schlichtweg peinlich«, sagte Söder. »Die Ampel gehört dringend abgelöst – und die Grünen sind der ideologische Kern dieser Regierung. Deshalb darf es keine Fortsetzung für die Grünen in Regierungsverantwortung geben.« Scharfe Kritik an Habeck und BaerbockSöder kritisierte vor allem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), dessen »unseliges« Heizungsgesetz und das Festhalten am Abschalten der letzten Kernkraftwerke. Er sei der schlechteste Wirtschaftsminister in der Geschichte des Landes, Außenministerin Annalena Baerbock blockiere zudem »alle nötigen Lösungen bei der zentralen Aufgabe unserer Zeit, der Migration«, so Söder. Noch vor einigen Jahren war Söder ein großer Verfechter einer schwarz-grünen Koalition, sprach unter anderem von der »Versöhnung von Ökologie und Ökonomie«. (Lesen Sie das Doppelinterview mit Söder und Grünenchef Robert Habeck hier.) Doch seit einiger Zeit fährt die Union einen harten Kurs gegen Bündnis 90/Die Grünen. Die Partei wird, anders als die AfD, als »Hauptfeind« definiert.Wüst widersprichtNordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sieht das offenbar anders. »Bei uns in Nordrhein-Westfalen und andernorts zeigt sich, wie vertrauensvoll und politisch erfolgreich die Zusammenarbeit zwischen CDU und Grünen funktionieren kann«, sagte er der »Süddeutschen Zeitung«. Die Union sei »gut beraten, auf allen politischen Ebenen mit den demokratischen Parteien der Mitte gesprächs- und koalitionsfähig zu sein«. Das sei eine »demokratische Pflicht und muss das strategische Ziel einer staatstragenden Volkspartei sein«. Denn die Union habe »auch eine Verantwortung für die Stabilität der politischen Mitte in Deutschland und für eine an der konkreten Lösung von Problemen orientierten Politik«. Was mit wem gehe, müsse »nach den Wahlen sondiert und verhandelt werden«. Bei den Grünen schaute man zuletzt wohlwollend auf den politischen Gegner. »Wir werden sehr genau prüfen, welche Koalition wir nach der nächsten Bundestagswahl eingehen«, sagte Co-Fraktionschefin Katharina Dröge – und stellte schon einmal vier Forderungen an den Umgang mit einem künftigen Regierungspartner auf. Respektvoll, vertrauensvoll, verbindlich und kollegial solle dieser sein. Darüber hinaus würde nichts ausgeschlossen, kündigte Dröge an. »Das kann auch bei der FDP und SPD erfüllt sein. Aber es sind auch andere Konstellationen und Koalitionen denkbar – auch mit der CDU.«
mrc/mfh
Die Grünen wollen künftige Koalitionen ergebnisoffen ausloten, auch solche mit der Union. CSU-Chef Söder, einst selbst Fürsprecher schwarz-grüner Bündnisse, nennt die Offerte nun »peinlich«. Hendrik Wüst widerspricht.
[ "CSU", "Markus Söder", "Annalena Baerbock", "Robert Habeck", "Katharina Dröge", "Bündnis 90/Die Grünen" ]
Politik
Deutschland
2024-08-22T16:55:00+02:00
2024-08-22T21:05:00+02:00
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/markus-soeder-erteilt-moeglicher-schwarz-gruener-koalition-scharfe-absage-a-130cfe51-f095-4a98-bfe0-88b1051ee97a
»Vielleicht war's die Mafia«
SPIEGEL: Herr Präsident, Albanien steckt in der tiefsten Krise seit dem Ende des kommunistischen Regimes, Hunderttausende Bürger wurden um ihre Ersparnisse betrogen und gehen gegen Ihre Regierung auf die Straße. Die Albaner beschuldigen Sie, mit den kriminellen Anlageberatern unter einer Decke zu stecken. Fühlen Sie sich verantwortlich, ziehen Sie Konsequenzen? BERISHA: Alle Politiker tragen Verantwortung, auch ich. Und es ist wahr, daß wir zu spät reagierten. Aber lassen Sie mich erklären: Hier standen zwei Gesetze im Widerspruch. Das Zivilrecht erlaubte Geldgeschäfte dieser Art, das Bankengesetz verbot sie - aber ohne Sanktionen bei Zuwiderhandlungen. Also waren diese Unternehmen praktisch unserer Kontrolle entzogen. Im übrigen war das alles nicht so leicht zu durchschauen für uns. Es florieren doch manche Pyramidensysteme, in Großbritannien, der Schweiz, Deutschland ... SPIEGEL: ... aber allenfalls kurzfristig, bevor sie zwangsläufig in sich zusammenbrechen. Ihnen müssen doch die verheerenden Folgen dieser Schwindelsysteme aus Rumänien, Bulgarien und anderen Nachbarstaaten bekannt gewesen sein. Selbst der Internationale Währungsfonds warnte Sie rechtzeitig. BERISHA: Und was passierte? Als wir nach der Wahl 1996 Untersuchungen einleiteten, erhöhten diese Fonds ihre Zinsen ins Uferlose, noch mehr Leute liefen mit ihrem Geld zu diesen dubiosen Anlageberatern. SPIEGEL: Um so schlimmer, daß sie nicht gewarnt wurden. Die Studenten wollen jetzt den Rücktritt der Regierung mit Hungerstreiks und, ähnlich wie in Belgrad, mit Dauerdemonstrationen durchsetzen. 14 »Abtrünnige« aus Ihrer eigenen Partei fordern in einer Petition dasselbe. Premier Meksi droht im Gegenzug mit Enthüllungen - mit einem albanischen Watergate, das womöglich auch Ihnen schaden könnte. Lassen Sie ihn deshalb nicht fallen? BERISHA: Wir werden die Regierung nicht davonjagen, sondern intern über diese Frage entscheiden. Es wird ein Mehrheitsvotum darüber geben, um die Partei nicht zu spalten. Aber vorher muß die moralische Frage der Eigenverantwortung in der albanischen Bevölkerung geklärt sein. Wenn die Konsequenzen für eigene falsche Entscheidungen immer auf andere abgewälzt werden, dann können wir Demokratie und Marktwirtschaft vergessen. Soll die Regierung später auch haften, wenn die Aktienkurse fallen? SPIEGEL: Die »eigene Entscheidung«, von welcher Sie sprechen, setzt wirtschaftliche Grundkenntnisse voraus. Und viele haben den Investmentfirmen deshalb Vertrauen geschenkt, weil sie sahen, wie nahe die Anlageberater Ihrer Demokratischen Partei standen. Diese dubiosen Unternehmen haben Ihren Wahlkampf mitfinanziert. BERISHA: Sie haben alle Parteien finanziert, und das ist nach albanischem Gesetz legal. Es gibt keine ausländische oder albanische Investgesellschaft, welche die Demokratische Partei nicht unterstützte. Warum? Weil acht Monate vor der Wahl die ehemaligen Kommunisten, die sich jetzt Sozialisten nennen, gegen Reformgesetze stimmten. Alle Investoren waren deshalb erschrocken und fürchteten bei einem Sieg der Sozialisten um ihr Geld. SPIEGEL: Wie sollen die Betrogenen jetzt entschädigt werden - aus der Staatskasse? BERISHA: Keinen Pfennig werden wir zahlen. Niemals. Nur das noch vorhandene Kapital dieser Firmen wird verteilt werden. SPIEGEL: Mit diesem harten Kurs legen Sie sich mit Ihrem Parlament an, das versprach, wenigstens die Ärmsten würden ihre verlorenen Ersparnisse zurückbekommen. BERISHA: Die Mehrheit der Bevölkerung, die ihr Geld in diesen Firmen investierte, teilt unsere Meinung. Man redet immer von den Demonstrationen - aber allenfalls zehn Prozent der betrogenen Anleger protestieren! SPIEGEL: Das ist Ihre Zahl. Unabhängige Beobachter glauben, der Prozentsatz sei weit größer. Und es würden noch wesentlich mehr Demonstranten, wenn - wie erwartet - die nächsten Investmentfirmen wie Vefa oder Kamberi ihren Bankrott erklären. Wollen Sie dann den Ausnahmezustand verhängen oder das Militär einsetzen? BERISHA: Die von Ihnen genannten Firmen haben zahlreiche Produktionszweige, und ich glaube, daß sie zahlungsfähig bleiben. Sollte es dennoch zu einem Kollaps und zu verstärkten Straßenprotesten kommen, werden wir in jedem Fall mit politischen Methoden antworten. SPIEGEL: Und die wären? BERISHA: Sage ich, wenn es soweit ist. Die albanische Polizei hat sich bei den bisherigen Tumulten sehr korrekt verhalten. Nur ein Mann wurde erschossen, und wir haben genaue Untersuchungen eingeleitet, wer für seinen Tod verantwortlich ist. SPIEGEL: Sie nennen das brutale Verprügeln von Demonstranten »korrektes Verhalten«? BERISHA: Entschuldigen Sie, aber gestern habe ich im Fernsehen gesehen, wie die deutsche Polizei Demonstranten prügelte. Das geschieht doch in jedem Land der Welt. Die Demonstranten hier haben öffentliche Gebäude angezündet. SPIEGEL: Wären jetzt Neuwahlen nicht der geeignete Ausweg aus der Krise? BERISHA: Wir würden wieder eine überwältigende Mehrheit bekommen. Aber wir haben die Wahl im vergangenen Jahr mit großem Vorsprung gewonnen ... SPIEGEL: ... und wurden anschließend vom Europäischen Parlament zur Wiederholung des Urnengangs aufgefordert, weil nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sein soll. BERISHA: Unsinn. Die Sozialisten haben die Wahl boykottiert, weil sie wußten, daß sie verlieren würden. SPIEGEL: Die Opposition sprach von »massivem Wahlbetrug« schon im Vorfeld. Viele glauben jetzt, nur eine neue Regierung unter Einbeziehung aller Parteien könne die albanische Krise noch lösen. BERISHA: Eine Koalition mit den Sozialisten? Niemals! Niemals! Die Sozialisten nutzen die derzeitige Situation aus, um die Regierung zu stürzen. In der Führung der Sozialistischen Partei sitzen alle ehemaligen Minister des kommunistischen Präsidenten Ramiz Alia, der mein Vorgänger war. Sie ist außerdem noch von den ehemaligen Geheimdienstagenten aus der Zeit der Hodscha-Diktatur unterwandert. Rote Banden sind das! SPIEGEL: Auch Ihnen wird nicht gerade ein demokratischer Führungsstil nachgesagt. Gramosz Pashko, Ihr ehemaliger Freund und Mitbegründer der Demokratischen Partei, nannte Sie einen Diktator. Er sagte, in Albanien gäbe es kein Gesetz, nur einen Clan, der den Staat verwaltet. BERISHA: Pashko sollte nicht betrunken sein, wenn er Interviews gibt. Ich bin sehr wütend auf ihn. SPIEGEL: Der berühmte albanische Schriftsteller Ismail Kadare war sicher nicht betrunken, als er unlängst im US-Sender »Voice of America« sagte: Die überwiegende Mehrheit der albanischen Politiker ist blind, inkompetent und verdient es nicht, die Albaner zu repräsentieren. BERISHA: Wir haben in den letzten Jahren riesige Fortschritte gemacht, aber natürlich: Unsere Demokratie muß noch verbessert und gefestigt werden. SPIEGEL: Wichtig dafür sind freie Medien. Doch Journalisten werden in Albanien immer wieder vor Gericht gestellt und durch Drohungen eingeschüchtert. BERISHA: Zugegeben, Journalisten wurden verfolgt. Dies geschieht auf der ganzen Welt, einschließlich Deutschland. SPIEGEL: Wie kommen Sie denn darauf? BERISHA: Lesen Sie, was die Journalisten bei uns an Unwahrheiten und Desinformationen verbreiten. Und doch habe ich unseren Funktionären hundertmal gesagt: Zerrt die Schreiber nicht vor Gericht, zwingt sie bei Verleumdungen, wie dies im Westen üblich ist, zu einem Dementi. Aber ich kann sie einfach nicht überzeugen. SPIEGEL: Albanische Pyramidenfirmen seien vor allem Tarnung für internationale Geldwäsche, heißt es im Westen - sonst hätten sie kaum über einen so langen Zeitraum funktionieren können. Haben Sie Hinweise für diese - auch vom amerikanischen Geheimdienst gestützte - Theorie? BERISHA: Sicher ist, daß große Summen außer Landes gebracht wurden. Ob sie, wie das bei Geldwäsche üblich ist, auch ins Land hereingebracht wurden, dafür habe ich keinen Beweis. Ich schließe nicht aus, daß die italienische Mafia vielleicht in diese Geschäfte verwickelt ist - unsere Regierung ist es jedenfalls nicht. SPIEGEL: Albanien wird heute als Transitland im Drogenhandel eingestuft. Verwehrt Ihnen dies nicht den Zugang zur Europäischen Union, den Sie langfristig anstreben, und in die Nato, der Sie schon seit 1992 beitreten wollen? BERISHA: Solche Beschuldigungen sind absurd. Die Drogenrouten sind bekannt. Wir hatten einige kleinere Haschisch-Plantagen, die wurden zerstört. Was die Nato betrifft, so sind wir auch weiter bemüht, alle Aufnahmekriterien zu erfüllen. SPIEGEL: Die albanische Armee wird von den USA, auch von Deutschland und der Türkei unterstützt. Warum braucht ein so armes Land wie Albanien eine starke Armee, wo sehen Sie potentielle Feinde für Ihr Land? BERISHA: Ich glaube, daß die Idee eines Großserbien vorerst gebannt ist - zumindest solange die internationalen Sfor-Friedenstruppen in Bosnien stationiert sind. Sollten allerdings Unruhen in unserer Nachbarschaft, im Kosovo, ausbrechen, dann ist die Stabilität des Balkan erneut in akuter Gefahr. SPIEGEL: 90 Prozent der Bevölkerung im Kosovo sind Albaner. Aber der Westen akzeptiert, daß die Provinz, deren Autonomie Belgrads Präsident Milosevic 1989 beendete, heute direkt Serbien unterstellt ist. Raten Sie Ihren Landsleuten zum bewaffneten Widerstand, fördern Sie die dort entstandene militante Befreiungsbewegung? Oder sollten die Kosovo-Albaner sich mit größerer Autonomie innerhalb Serbiens zufriedengeben? BERISHA: Natürlich verstehe ich, daß die Kosovo-Albaner enttäuscht sind, daß sie nicht in die Abmachungen von Dayton einbezogen wurden*. Dennoch waren wir in unserer Aussage immer klar: Es muß eine friedliche Lösung - also ein Kompromiß - gefunden werden. Gewaltsame Grenzverletzungen sind nicht akzeptabel. Im übrigen glaube ich nicht, daß die angeblichen »Terrorgruppen« überhaupt Albaner sind. * In Dayton, Ohio, wurde am 21. November 1995 unter amerikanischer Schirmherrschaft ein Friedensabkommen zwischen Serbien, Kroatien und Bosnien abgeschlossen. Die Kosovo-Frage wurde ausgeklammert. SPIEGEL: Warum »angebliche« Gruppen? Die nennen sich doch Befreiungsbewegung, und serbische Funktionäre ermordet haben sie auch schon. BERISHA: Es gibt keinen Beweis, daß das Albaner waren; es könnten auch Agents provocateurs gewesen sein, möglicherweise angeführt vom berüchtigten serbischen Freischärlerführer »Arkan«. SPIEGEL: Lassen Sie uns einmal annehmen, daß Serbiens Präsident Milosevic im Kosovo in der Tat mit allen Mitteln einen Krieg gegen »Terroristen« und womöglich gegen die Zivilbevölkerung provoziert. Könnte Albaniens Armee dann tatenlos zuschauen? BERISHA: Nein. Denn in diesem Fall würden auch Albanien und sein Nachbarland Mazedonien destabilisiert. Wir müßten Widerstand leisten mit allen Mitteln. Wir würden ohne Zweifel als eine Nation handeln. SPIEGEL: Träumen Sie von einer Vereinigung aller Albaner in einem Staat? BERISHA: Ich habe unserem Volk klar gesagt, daß die Integration in Europa die einzige Lösung für uns ist. Wir müssen internationale Vereinbarungen, die wir unterzeichnet haben, respektieren. SPIEGEL: Wäre ein Machtwechsel in Belgrad der Schlüssel zu besseren Beziehungen? BERISHA: Ich habe die Koalition »Zajedno« offen unterstützt - nicht, weil sie sich in der Kosovo-Frage vom jetzigen Regime unterscheidet, sondern weil sie für einen demokratischen Kurs kämpft. SPIEGEL: Serbien versucht ausländische Investoren anzuziehen, Albanien ebenso. Viele Unternehmer verzweifeln aber an der albanischen Bürokratie, zahlreiche Fabriken mußten inzwischen schließen, Ihre Wirtschaft liegt am Boden. Wovon sollen die um ihre Ersparnisse gebrachten Bürger künftig leben, wenn es keine Arbeit gibt? BERISHA: Ich teile Ihren Pessimismus ganz und gar nicht; wir haben hohes Wirtschaftswachstum ... SPIEGEL: ... von gerade einmal 5,5 Prozent im Jahr 1996, nicht viel für das ärmste Land Europas ... BERISHA: ... wir werden Freihandelszonen errichten und das Land mit den niedrigsten Steuern in Europa sein. Das wird zu einem dynamischen Investitionsboom führen und auch Arbeitsplätze schaffen. SPIEGEL: Ihre Wiederwahl für eine weitere Fünf-Jahres-Periode als Präsident Albaniens durch das Parlament gilt als sicher - trotz der Proteste in der Bevölkerung. Haben Sie nie an Rücktritt gedacht? BERISHA: Wann immer meine Partei mich abwählt, werde ich meinen Hut nehmen und sagen: Good bye, thank you! Denn ich bin ein Mann mit Prinzipien. SPIEGEL: Herr Präsident, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.[Grafiktext] Albanischer Bevölkerungsanteil in Nachbarstaaten von Albanien[GrafiktextEnde][Grafiktext] Albanischer Bevölkerungsanteil in Nachbarstaaten von Albanien[GrafiktextEnde]Das Gespräch führte Redakteurin Renate Flottau in Tirana.* In Dayton, Ohio, wurde am 21. November 1995 unteramerikanischer Schirmherrschaft ein Friedensabkommen zwischenSerbien, Kroatien und Bosnien abgeschlossen. Die Kosovo-Frage wurdeausgeklammert.
Renate Flottau
Albaniens Präsident Sali Berisha über den Bankenskandal, die Demonstrationen gegen seine Regierung und einen möglichen Rücktritt
[ "Deutschland", "Kosovo", "Serbien", "Albanien" ]
Politik
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1997-03-02T13:00:00+01:00
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https://www.spiegel.de/politik/vielleicht-wars-die-mafia-a-e7fdc2bf-0002-0001-0000-000008672181?context=issue
"Denver-Clan"-Star: Christopher Cazenove erleidet schweren Zusammenbruch
Hamburg - Christopher Cazenove hat einen lebensbedrohlichen Zusammenbruch erlitten. Die Tageszeitung "The Mail On Sunday" berichtete, der 66-Jährige habe bei einem Rückflug aus Kalifornien einen Migräneanfall bekommen. Bei seiner Ankunft in London sei er kollabiert und ins Koma gefallen. Inzwischen habe der Brite das Bewusstsein wiedererlangt und die Ärzte im Londoner St. Thomas Hospital hätten seinen Zustand stabilisieren können. Cazenove hatte 1970 seine erste Fernsehrolle in einer Verfilmung des Lebens von Julius Caesar. Bekannt wurde er für seine Rolle des Ben Carrington in der US-Serie "Denver-Clan".
jjc
"Denver-Clan"-Star Christopher Cazenove ist nach einem Migräneanfall kollabiert und kurzzeitig ins Koma gefallen. Ärzten gelang es, den Zustand des 66-jährigen Schauspielers zu stabilisieren.
[ "Fernsehserien" ]
Panorama
Leute
2010-03-08T08:42:43+01:00
2010-03-08T08:42:43+01:00
https://www.spiegel.de/panorama/leute/denver-clan-star-christopher-cazenove-erleidet-schweren-zusammenbruch-a-682247.html
Neue Therapie: Was tun, wenn Shopping zur Sucht wird
Erlangen - Die Sucht von Anita K. kannte keinen Ladenschluss."Tagsüber war ich in Geschäften shoppen, nachts im Internet", sagtdie 35-jährige Frau aus Franken. Gekauft hat Anita K. "alles, vonLebensmitteln bis zu Autoersatzteilen". Gebraucht hat sie davon fastnichts - und doch hat sie die Kaufsucht in den finanziellen Ruingetrieben. "Ich habe 40.000 Euro Schulden, die mich und meineTochter in der Existenz bedrohen", sagt die 35-Jährige. Dass sie mittlerweile offen über ihre Probleme sprechen kann,verdankt die Selbstständige einer bundesweit einzigartigenTherapie-Einrichtung gegen Kaufsucht an der Erlanger Uni-Klinik. Inder ersten Jahreshälfte haben 21 kaufsüchtige Patientinnen aus ganzBayern in Erlangen eine Gruppentherapie absolviert. Mit gutenErfolgen, wie die Ärztin Astrid Müller versichert, die nun für ihreStudie über "Pathologisches Kaufen" neue Teilnehmer sucht. "Horten Dinge, die sie nicht ausgepackt haben" Die Erlanger Doktorin schätzt, dass in den altenBundesländern acht, im Osten Deutschlands rund sechs Prozent derBevölkerung stark kaufsuchtgefährdet sind - Tendenz starkansteigend. Allgemein werde das Problem belächelt, nach dem Motto:"Die braucht mal wieder neue Schuhe gegen ein Stimmungstief". ZuUnrecht, sagt Müller, "denn ihr pathologisches Kaufen hat manchenmeiner Patientinnen sogar Strafverfahren eingebracht." Der Zwanghabe aus ihnen Scheck- und Kreditkartenbetrügerinnen gemacht. Dafür, ob jemand wirklich krankhaft kaufsüchtig ist, gibt es lautder Psychologin klare Anzeichen: "Zwanghafte Käufer horten oftDinge, die sie nicht einmal ausgepackt haben", erklärt Müller. 80Sommerjacken oder 300 Paar Schuhe seien keine Seltenheit. EinePatientin sei in eine neue Wohnung gezogen, da der Platz für allihre Kleidung nicht mehr ausreichte, "eine andere konnte ihr Bettnicht mehr benutzen, da das ganze Schlafzimmer mit Kistenvollgestellt war"."Eine lebenslange Aufgabe"Um die überflüssigen Waren wieder loszuwerden, machen dieBetroffenen Freunden und Bekannten immer wieder unerwarteteGeschenke. Ein Alarmsignal ist laut Müller auch, wenn versucht wird,Kaufattacken zu vertuschen. "Betroffene versuchen oft, das niedrigeSelbstwertgefühl mit Frustkäufen zu heben." Der kurzen Euphorie desKaufrausches folge dann aber "ein Gefühl der Leere, der Scheue undder Scham". Damit werde der Auslöser der Kaufattacke verstärkt, einTeufelskreis beginne. Untersuchungen zufolge ist Kaufsucht ein erlerntes Verhalten.Genau dort versucht der Erlanger Therapieansatz einzuhaken: In90-minütigen Gruppensitzungen soll analysiert werden, wann und inwelchen Situationen sich die Kaufattacken zeigen. "Oft geht Kaufenauch mit sozialen Ängsten einher", sagt Astrid Müller. Derstrukturierte Ablauf gebe Kaufsüchtigen Sicherheit im Umgang mitanderen Menschen. Müller kennt aber auch das Beispiel der Ehefraueines Arztes, "die sich mit ausufernden Einkäufen unbewusst für diedauernde Abwesenheit ihres Mannes rächen wollte".Vom pathologischen Kaufen betroffen sind der Psychologin zufolgegrößtenteils Frauen, die häufig auch unter Depressionen oder anderenZwangsstörungen wie Magersucht litten. Auch Anita K. war nach einemsexuellen Missbrauch in der Kindheit mehrfach abhängig geworden, zumAlkoholproblem kam eine Magersucht. Als geheilt will sie sich trotzder Erlanger Therapie noch nicht bezeichnen. Sie könne jetztbewusster mit Kaufattacken umgehen, sagt die 35jährige: "DieKaufsucht zu besiegen - das ist für mich aber eine lebenslangeAufgabe." Lukas Grasberger, AP
Zwischen sechs und acht Prozent der Deutschen gelten als kaufsuchtgefährdet. Manche Patienten brocken sich Strafverfahren ein, andere häufen immense Schulden an. Eine Klinik bietet für die Opfer nun eine neue Form von Gruppentherapie an.
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Wirtschaft
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2004-08-27T07:37:17+02:00
2004-08-27T07:37:17+02:00
https://www.spiegel.de/wirtschaft/neue-therapie-was-tun-wenn-shopping-zur-sucht-wird-a-315290.html
Stimmungsmacher für Lehrer: Aufputschmittel ins Essen gemischt
Vielleicht wäre es mit einem Lächeln im Unterricht schon getan gewesen. Zwei japanische Schülerinnen fanden ihren Lehrer einfach nicht freundlich genug und wollten die Stimmung im Unterricht ein wenig aufhellen. Damit der Lehrer künftig besser drauf ist, mischten sie ihm heimlich Antidepressiva ins Pilzgericht. Als Folge musste der 39 Jahre alte Pädagoge wegen starker Schwindelanfälle im Krankenhaus behandelt werden, berichtete die japanische Tageszeitung "Yomiuri Shimbun" am Dienstag. Die beiden 14-jährigen Schülerinnen aus der nördlich von Tokio gelegenen Provinz Tochigi hatten die Tabletten von einer Klassenkameradin bekommen. Sie hatte die Medikamente über ihr Handy im Internet bestellt, hieß es weiter. Die Polizei gehe nun dem Verdacht eines Verstoßes gegen das Handelsgesetz nach.cpa/dpa
Zwei japanische Schülerinnen haben ihrem Lehrer ein ganz besonderes Süppchen vorgesetzt: Heimlich kippten sie Antidepressiva in seine Pilzsuppe - und beförderten ihn so ins Krankenhaus.
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Panorama
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2006-04-25T17:31:05+02:00
2006-04-25T17:31:05+02:00
https://www.spiegel.de/lebenundlernen/schule/stimmungsmacher-fuer-lehrer-aufputschmittel-ins-essen-gemischt-a-413022.html
Chester Bowles
Chester Bowles, 62, amerikanischer Botschafter in Indien, der bei seiner Amtsübernahme im letzten Sommer eine für zwei Millionen Mark neuerbaute Residenz bezogen hatte äußerte vor befreundeten Diplomaten den Wunsch, baldmöglichst in eine neue Botschafterwohnung umzuziehen, da ihn die schlechte Akustik der Marmorhallen in, seiner derzeitigen Botschafter-Villa erheblich störe.
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Politik
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1963-12-17T13:00:00+01:00
1963-12-17T13:00:00+01:00
https://www.spiegel.de/politik/chester-bowles-a-8fcd69a9-0002-0001-0000-000046173176?context=issue
Paßkontrolle in der Familie
Loriot war es eine Frage wert: »Wie konnte es geschehen, daß Heino Jaeger 25 Jahre ein Geheimtip blieb?«, und er lieferte die Antwort gleich mit: »Wir haben ihn wohl nicht verdient.« Beim Zürcher Label Kein & Aber Records ist man anderer Meinung, und deshalb ist nun eine CD mit Jaeger-Sketchen erschienen (Vertrieb: Kunstmann Verlag, München). Auf der erweist sich der Satiriker als würdiger Nachfolger Karl Valentins. In seinen zweistimmigen Kabarettnummern spielt er den »Herrn Doktor Jaeger« und dessen Kunden in der »Lebensberatungspraxis«. Die Klientel des Doktor Jaeger besteht aus Leuten, die ihr Taxi kacheln, die plötzlich anfangen zu bellen oder - besonders sinnvoll bei drohendem Schwiegermutterbesuch - Paßkontrollen für Familienmitglieder einführen. Seinen surrealen Witz entwickelte Jaeger, 1938 in Hamburg geboren, während seiner eigenartigen Berufslaufbahn: Er war Briefträger, Maler, Satiriker und Scherbenzeichner für Museen. Die nun veröffentlichte CD erscheint knapp ein Jahr nach Jaegers Tod.
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Kultur
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1998-05-10T13:00:00+02:00
1998-05-10T13:00:00+02:00
https://www.spiegel.de/kultur/passkontrolle-in-der-familie-a-095253b1-0002-0001-0000-000007743152?context=issue
2. Bundesliga: Hamburger SV wahrt mit Sieg gegen FC Erzgebirge Aue Aufstiegschance
Der Hamburger SV hat sein Nachholspiel in der Zweiten Fußball-Bundesliga gegen den Tabellenvorletzten FC Erzgebirge Aue 4:0 (2:0) gewonnen. Die Treffer erzielten Robert Glatzel (14. Minute), Sonny Kittel (45.+1), Moritz Heyer (75.) und Ludovit Reis (83.). Die ursprünglich im März angesetzte Partie hatte wegen eines Coronaausbruchs beim HSV verlegt werden müssen. Nach zuletzt fünf Partien ohne Sieg musste der HSV unbedingt gewinnen, um sich eine Restchance auf den Aufstieg zu bewahren. Dementsprechend forsch begannen die Gastgeber. Bakery Jatta vergab früh zwei gute Gelegenheiten (7. und 11.), doch aus der dritten Chance resultierte ein Treffer: Kittel hatte den Ball an den Fünfmeterraum gechippt, wo Glatzel per Kopf traf (14.).In der Nachspielzeit der ersten Hälfte erhöhte dann Kittel per Freistoß auf 2:0 (45.+1) – bei seinem zentral aufs Tor kommenden Schuss sah Aues Torhüter Martin Männel allerdings unglücklich aus. Der HSV ist durch diesen Sieg wieder bis auf sechs Punkte an die Aufstiegsplätze herangerückt und hat seinen »Aprilfluch« beendet: Erstmals seit dem Abstieg in die zweite Liga hat der HSV ein Spiel im Monat April gewonnen.Für Aue, das in den vergangenen neun Partien nur zweimal gewinnen konnte, wird der Klassenerhalt immer unrealistischer: Auf den Relegationsrang 16 beträgt der Rückstand sechs Spieltage vor Schluss bereits neun Punkte. Am Samstag empfängt man den Tabellen-14. aus Hannover (13.30 Uhr) zum nächsten »Endspiel« im Abstiegskampf. Die Hamburger müssen am Sonntag bei Holstein Kiel antreten (13.30 Uhr).
mfu
Der HSV bleibt nach dem 4:0-Sieg im Nachholspiel gegen Aue im Rennen um den Bundesligaaufstieg. Es war der erste Zweitligaerfolg des Klubs im Monat April seit dem Abstieg 2018. Für die Gäste rückt der Abstieg näher.
[ "2. Fußball-Bundesliga", "Hamburger SV" ]
Sport
Fußball-News
2022-04-05T20:23:30+02:00
2022-04-06T08:23:00+02:00
https://www.spiegel.de/sport/fussball/2-bundesliga-hamburger-sv-wahrt-mit-sieg-gegen-fc-erzgebirge-aue-kleine-aufstiegschance-a-bacecc38-1dd1-452d-9feb-6846af2fec3a
Formel 1: Webber triumphiert in Silverstone
Hamburg - Mark Webber hat den Großen Preis von Großbritannien gewonnen. Der Red-Bull-Pilot setzte sich am Sonntag in Silverstone vor dem WM-Führenden Lewis Hamilton (McLaren) und Nico Rosberg im Mercedes durch. Durch den zweiten Platz baute der 25-jährige Hamilton seine Führung in derWM-Wertung deutlich aus und liegt jetzt mit 145 Punkten zwölf Zähler vor seinem Landsmann und Teamkollegen Jenson Button (133), der von Startplatz 14 noch auf Rang vier nach vorne fuhr. Webber (128) ist wieder Dritter. Pech hatte Sebastian Vettel, der trotz einer beeindruckenden Aufholjagd vom Ende des Feldes als Siebter lediglich sechs Punkte holte, nachdem ihm McLaren-Pilot Lewis Hamilton unabsichtlich das rechte Hinterrad aufgeschlitzt hatte. Besonders ärgerlich: Noch im Qualifying war Vettel auf diePole-Position gefahren, vor seinem Teamkollegen Webber."Phantastisch Jungs, nicht schlecht für einen Nummer-2-Fahrer", sagte Webber nach der Zieldurchfahrt über Boxenfunk, und brachte noch einmal seinen Frust zum Ausdruck, dass er am Samstagfür die Qualifikation seinen neuen Frontflügel an Vettel abtreten musste und hinter ihm nur auf Startplatz zwei gelandet war. "Gut gemacht, Mark. Jetzt kannst du lächeln", antwortete Red-Bull-Teamchef Christian Horner. Auf der Pressekonferenz nach dem Rennen legte Webber dann nach: "Ganz ehrlich, ich hätte niemals einen Vertrag fürnächstes Jahr unterschrieben, wenn ich gewusst hätte, dass dies dieArt ist, wie sich die Dinge entwickeln", sagte er.In der 28. Runde musste das Safety-Car auf die StreckeDirekt hinter Vettel fuhren Adrian Sutil im Force-India (Mercedes), Rekordweltmeister Michael Schumacher im zweiten Mercedes und Williams-Pilot Nico Hülkenberg auf den Plätzen acht bis zehn in die Punkteränge. Timo Glock kam im Virgin auf Rang 18. Webber erwischte gegenüber Teamkollege Vettel den besseren Start und zog vor der ersten Kurve an ihm vorbei auf Platz eins. Hinter Vettel startete Hamilton ebenfalls stark, berührte aber mit seinem Frontflügel leicht das rechte Hinterrad des Red Bull, das daraufhin Luft verlor. "Das war Pech für Sebastian", sagte Horner. Vettel rutschte dadurch gleich zweimal von der Strecke, fing sein Auto jeweils mit viel Mühe ab und musste zum Reifenwechsel die Box ansteuern. Anschließend war er mit großem Abstand Letzter. Webber und Hamilton dagegen hatten an der Spitze freie Fahrt und setzten sich ab. Dahinter folgten Kubica und Rosberg, die beide an Alonso vorbeigegangen waren. "Ich hatte einen guten Start, aber dann hat mich Robert Kubica ein bisschen aufgehalten. Das war nicht einfach, weil Fernando Alonso hinter mir Druck gemacht hat", sagte Rosberg. "Der dritte Platz ist natürlich gigantisch für uns." Schumacher gewann in der ersten Runde drei Plätze und fuhr auf Rang sieben vor, Button verbesserte sich sogar um sechs Positionen auf den achten Platz. Schumacher eröffnete in Runde elf die geplanten Reifenwechsel, verlor im Anschluss allerdings einen Platz an Sauber-Pilot Kamui Kobayashi. Für Rosberg, der vier Runden später stoppte, lief es besser. Er schob sich an Kubica vorbei. Hamilton (Runde 16) und Webber (Runde 17) hielten ihre Positionen an der Spitze.Alonso kassiert DurchfahrtsstrafeDer komfortable Vorsprung der beiden Führenden ging verloren, als in der 28. Runde das Safety-Car auf die Strecke musste, weil der Sauber von Pedro de la Rosa Teile seines Heckflügels verloren hatte. Schumacher war zu diesem Zeitpunkt Achter, direkt vor Sutil und Hülkenberg, Vettel lag auf Rang 15. Auf dem vierten Platz lag Ferrari-Pilot Alonso, der erst nach dem Ende der Safety-Car-Phase in der 30. Runde eine Durchfahrtstrafe antreten konnte, weil er in einem harten Zweikampf mit Kubica eine Kurve abgekürzt hatte. Der Spanier fiel wie schonbei seinem Heimspiel in Valencia weit zurück. Während sich nach Freigabe des Rennens Webber und Hamilton schnell wieder absetzten, setzte Button Rosberg unter Druck. Schumacher verlor Platz sieben in einem harten Zweikampf mit Sutil. Vettel kämpfte sich Position um Position nach vorne und war in der 37. Runde als Zehnter erstmals wieder in den Punkterängen. Danach überholte er erst Hülkenberg und in der 41. Runde nach einem konsequenten Manöver auch Schumacher, der sich heftig gewehrt hatte. Danach hing Vettel aber lange hinter Sutil fest, den er erst in der vorletzten Runde überholen konnte."Wenn man gewinnen kann, dann ist das natürlich kein Trost", sagte Vettel über seine Aufholjagd und die damit verbundenen sechs WM-Punkte. Durch das schwache Abschneiden in England fiel er in der WM-Wertung vom dritten auf den vierten Platz zurück.
jar/dpa/sid
Gemischte Gefühle bei Red Bull: Während Sebastian Vettel nach einem Reifenschaden früh alle Chancen auf den Sieg eingebüßt hatte, gewann sein Teamkollege Mark Webber beim Großen Preis von Großbritannien. Platz zwei belegte Lewis Hamilton. Auch Nico Rosberg schaffte den Sprung aufs Podest.
[ "Formel 1", "Sebastian Vettel", "Red Bull Racing" ]
Sport
Formel 1
2010-07-11T15:52:09+02:00
2010-07-11T15:52:09+02:00
https://www.spiegel.de/sport/formel1/formel-1-webber-triumphiert-in-silverstone-a-705856.html
Fall ins Bodenlose
Brutaler ist kein Manager durchgereicht worden: VW-Personalvorstand Peter Hartz, dessen Name zum Synonym für die Reformen des Arbeitsmarktes wurde, hat es bis in die Gosse des Boulevards geschafft. Schon zu Beginn des Jahres hatte sein Name jeden reformerischen Glanz verloren: »Hartz IV«, die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, stand vor allem in Ostdeutschland nurmehr für kalten Sozialabbau. Statt Geld zu sparen, geriet die Reform zum Bürokratiemonster. Allein das Arbeitslosengeld II wird in diesem Jahr elf Milliarden Euro zusätzlich kosten. Dann geriet Peter Hartz auch noch in den Sog der VW-Affäre um Tarnfirmen und Sexreisen. Seine Mitarbeiter hatten für sich und wichtige Arbeitnehmervertreter Luxustouren in ferne Länder nebst Damenbegleitung organisiert, alles auf Firmenkosten. Hartz übernahm die Verantwortung und trat zurück, was beteiligte Prostituierte aber nicht daran hinderte, ihre Erlebnisse mit ihm und anderen VW-Vertretern detailgetreu der »Bild«-Zeitung zu schildern.
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Wirtschaft
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2005-12-22T13:00:00+01:00
2005-12-22T13:00:00+01:00
https://www.spiegel.de/wirtschaft/fall-ins-bodenlose-a-2ecb44ec-0002-0001-0000-000044943924?context=issue
Wie im Gefängnis
In den Schaufensterhöhlen halbverfallener Geschäftshäuser legen Schwarzmarkt-Händler ihre Waren aus. In den holprigen Gehsteigen klaffen mannstiefe Löcher. Überall fault der Abfall: das ist Burmas Hauptstadt Rangun.Die Stadt spiegelt den Zustand eines Landes wider, das am Ende ist. Vor kurzem mußte der burmesische General San Ju, Vorsitzender der Sozialistischen Programmpartei Burmas (BSPP), den Bankrott eingestehen. Burma, so der General, könne nur noch gerettet werden, wenn der kapitalistische Westen dem Lande zu Hilfe käme. Seit 1962, als der heute 66jährige General Ne Win die Macht übernahm, ist der Westen jedoch verpönt. Ne Win versuchte das Land aus eigener Kraft und in strikter Neutralität zu entwickeln. Die Folge: eine totale Abkapselung. Inder, Pakistani und Chinesen, die früher die Wirtschaft beherrschten, wurden enteignet, ausländische Privatinvestitionen peinlich vermieden.Burmesisch sollte das Leben sein, nur burmesisch -- so wollten es Ne Win und seine Militärs. Noch vergangene Weihnachten stürzte der General in Ranguns Inya-Lake-Hotel und verprügelte eigenhändig Musiker, die es gewagt hatten, dekadente westliche Popmusik zu spielen. »Es ist ein Leben wie in einem Gefängnis«, klagte ein Universitätsprofessor in Rangun. Doch für die 30 Millionen Burmesen gibt es kein Entrinnen. Auslandsreisen werden nicht gestattet, und die zu 90 Prozent verstaatlichte, von unerfahrenen Militärs geleitete Wirtschaft ging immer weiter bergab.Das Land, das zweieinhalbmal so groß ist wie die Bundesrepublik, war einst der größte Reis-Exporteur der Welt. Heute gibt es kaum genug für die eigene Bevölkerung. Die Produktion der Minen an Kupfer, Zink, Nickel, Wolfram und Zinn fiel sogar weit unter das Niveau von 1938139. Mißwirtschaft, Korruption und Schlamperei versuchte Ne Win lange Zeit auch durch militärische Erfolge seiner 153 000-Mann-Armee zu verdecken. Die hat genug zu tun. Denn Burmas zahlreiche Minoritäten wie die Schan, Mon, Karen, Katschin und Kajan kämpfen seit Jahren erbittert um die versprochene Autonomie. Auch operieren im unzugänglichen Hochland immer noch Reste der Kuomintang-Armee Tschiang Kai-scheks.Weil die verschiedenen Gruppen ihren Kampf zum Teil durch Opiumschmuggel finanzieren, lieferten sie der Regierung immer neue Vorwände zum Eingreifen.Von 1974 an trieben Rekordinflation und Arbeitslosigkeit die Bevölkerung zu Aktionen. Als Ne Win sich weigerte, dem verstorbenen Uno-Generalsekretär U Thant, dem bekanntesten Politiker des Landes, ein Staatsbegräbnis zu geben, kam es zur Revolte unter den Studenten. Später kriselte es in der Armee, die bis dahin Ne Wins Stütze war. Im Juli versuchten 14 Stabsoffiziere ein Attentat auf den Staatschef und auf den Parteivorsitzenden San Ju, Brigadegeneral Kyaw Zaw, ein alter Kampfgefährte Ne Wins, lief zu den kommunistischen Partisanen über. Verlassen von den alten Kameraden, angefeindet von den jungen Offizieren, ist Ne Win heute gescheitert wie sein System des »burmesischen Wegs zum Sozialismus«.Seit dem Sommer dieses Jahres gibt es eine neue Bedrohung. 13 bisher getrennt operierende aufständische Bergstämme beschlossen ihre Truppen zu vereinen. In einem gemeinsamen Kommuniqué erklärten sie: »Rote und Regierungssoldaten sind burmesische Chauvinisten, beide unterdrücken das Volk.« Ob Ne Win noch einmal davonkommt, hängt vom Verhalten eines Weltbank-Konsortiums ab, dem unter anderem die USA, Japan, Kanada, Australien, Frankreich und die Bundesrepublik angehören.Besonders Australier und Japaner plädieren für die Unterstützung Burmas. Wenn dem Land nicht geholfen werde, so argumentieren sie, drohe es in chinesisch-sowjetische Rivalitäten verstrickt zu werden -- mit unabsehbaren Konsequenzen für die ganze Region.
Der sozialistische, von Militärs regierte südostasiatische Staat, der sich bisher von aller Welt abkapselte, steht vor dem, wirtschaftlichen Ruin und bittet den Westen um Hilfe.
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Politik
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1976-11-14T13:00:00+01:00
1976-11-14T13:00:00+01:00
https://www.spiegel.de/politik/wie-im-gefaengnis-a-9ba3734d-0002-0001-0000-000041069506?context=issue
Anis Amri: Beamte warnten Berliner Attentäter vor Überwachung
Im Fall des Weihnachtsmarktattentäters Anis Amri hat es weitere schwere Behördenpannen gegeben. Wie der SPIEGEL in seiner aktuellen Ausgabe berichtet, ließen Beamte den Tunesier mehrfach wissen, dass er überwacht wird. Dadurch wurden weitere Islamisten aus Amris Umfeld gewarnt und Ermittlungen des Generalbundesanwalts gefährdet. Lesen Sie den ganzen Artikel hier auf SPIEGEL PLUS.
[ "Anschlag in Berlin" ]
Politik
Deutschland
2017-09-22T18:00:14+02:00
2017-09-22T18:00:14+02:00
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/anis-amri-beamte-warnten-berliner-attentaeter-vor-ueberwachung-a-1169418.html
Politikerinnen werfen Spahn nach Maskenplänen »Zynismus« vor
Im Frühjahr 2020 bestellte das Gesundheitsministerium Hunderte Millionen nutzlose Masken aus China. Nun versucht das Gesundheitsministerium von CDU-Mann Jens Spahn, die Ware im Wert von schätzungsweise einer Milliarde Euro loszuwerden . Das geht aus internen Papieren des Arbeits- und des Gesundheitsministeriums hervor, die dem SPIEGEL vorliegen. Die Pläne sorgen bei SPD und Grünen für Unmut. »Ich bin entsetzt und erschüttert über die Vorgänge im Bundesgesundheitsministerium«, sagt die SPD-Abgeordnete Angelika Glöckner, behindertenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, dem SPIEGEL. Spahn habe während der Pandemie viele Fehler gemacht, »aber anstatt das zuzugeben, versucht er nun, sie zu vertuschen«.»Menschen mit Behinderungen sind keine Versuchskaninchen«Glöckner empört sich unter anderem darüber, dass die unbrauchbaren Masken in Sonderaktionen an Menschen mit Behinderungen, Hartz-4-Empfänger und Obdachlose losgeschlagen werden sollten. »Damit gefährdet er willentlich die Gesundheit dieser besonders verwundbaren Gruppen. Das ist ein ungeheuerlicher Vorgang«, sagt Glöckner. »Menschen mit Behinderungen sind keine Versuchskaninchen, denen die Überbleibsel schlechter Entscheidungen hingeworfen werden dürfen«, so Glöckner. Das Vorhaben zeuge von Spahns Verständnis gegenüber Menschen mit Behinderungen. Auch in der Impfpriorisierung seien Menschen mit Behinderung sträflich vernachlässigt worden, sagt Glöckner. »Die CDU/CSU muss sich überlegen, welche Konsequenzen sie im Gesundheitsministerium und für Herrn Spahn zieht. So wie jetzt kann es nicht weitergehen.« SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil äußerte sich bei Twitter  über die Enthüllung und schrieb: »Das ist wirklich dreist und ohne Anstand.« Auch Maria Klein-Schmeink, stellvertretende Fraktionsvorsitzende und Sprecherin für Gesundheitspolitik der Grünen-Bundestagsfraktion, zeigte sich entsetzt. Sollten die Pläne über die Weitergabe mangelhafter Masken an behinderte und sozial benachteiligte Menschen stimmen, sei das »unverzeihlich«: »Es hieße, dass die Schwächsten in der Gesellschaft durch das Gesundheitsministerium dazu benutzt werden sollten, eigene Fehler bei der Maskenbeschaffung zu vertuschen.« »Zynische Haltung« SpahnsSpahn müsse dafür die Verantwortung übernehmen, so Klein-Schmeink: Die Aktion offenbarte nicht nur »eine zynische Haltung, sondern wäre auch mit dem Amt des Gesundheitsministers nicht vereinbar«. Mit Blick auf die neuen Pläne zur Vernichtung der Masken sieht die Abgeordnete eine mögliche Täuschung von Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern. Der Plan aus dem Gesundheitsministerium beinhaltet, die nutzlosen Masken in der Nationalen Reserve Gesundheitsschutz einzulagern. Von dort sollen sie nur in einem Katastrophenfall ausgegeben werden dürfen. Um sie verschwinden zu lassen, sollen sie nach Erreichen der Verfallszeit vernichtet werden. Eine Abgabe an Bürgerinnen und Bürger komme laut einem internen Vermerk des Arbeitsministeriums »nur im Ausnahmefall infrage«.
mrc/cte/mjm
Jens Spahns Ministerium wollte nutzlose Corona-Masken unter anderem an Obdachlose und Menschen mit Behinderung verteilen. Nachdem der SPIEGEL dies enthüllt hatte, fordern Politikerinnen Konsequenzen.
[ "Bundesgesundheitsministerium", "SPD", "Jens Spahn", "Coronavirus", "CDU" ]
Politik
Deutschland
2021-06-04T18:20:13+02:00
2021-06-04T18:20:13+02:00
https://www.spiegel.de/politik/deutschland/jens-spahn-nach-planen-zur-maskenvernichtung-in-der-kritik-a-78e50c40-a6e8-49b0-8d10-606605544fb0
Meinung: Klimakrise: Das Gejammer um Benzinpreiserhöhungen ist verlogen
Mal Hand aufs Herz: Als Sie Ihr letztes Auto gekauft oder den neuen Dienstwagen ausgesucht haben - wie sind Sie da vorgegangen? Welche Motorisierung haben sie ausgewählt: Die sparsame oder die mit der meisten Leistung fürs Geld? Haben Sie sich für ein möglichst kleines und leichtes Fahrzeug entschieden, oder doch für ein SUV, weil der einfach mehr hermacht? Und spartanische Buchhalterausstattung oder mit Komfortextras ausstaffiert? Und, letzte Frage: Schmale Leichtlaufreifen oder die schicken Alufelgen mit breiten Schlappen, damit der Wagen mit seinen schmalen Pneus nicht dasteht wie der Storch im Salat? Ich frage deshalb, weil gerade mal wieder ein Schmerzensschrei durch Deutschland gellt. Es gibt Überlegungen des Umweltbundesamtes, die Steuervorteile für Diesel zu streichen und Benzin grundsätzlich teurer zu machen. Grund für diese Überlegungen ist die unverrückbare Tatsache, dass der Verkehrssektor ein massives Problem darstellt bei allen Bemühungen, die Klimakrise doch noch irgendwie abzuwenden. Während in vielen anderen Bereichen der CO2-Ausstoß sinkt, steigt er im Verkehrssektor beharrlich an. Trotzdem führen alle Denkspiele für Gegenmaßnahmen verlässlich zum Sturm der Entrüstung. ADAC-Chef Gerhard Hillebrand, sozusagen Vereinsvorstand der deutschen Autofahrerseelen, beschwört in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung"  soziale Unruhen herauf, ignoriert dabei aber das eigentliche Problem: "Auch der ADAC will Fortschritte beim Klimaschutz. Aber Mobilität muss bezahlbar bleiben…", sagt er. Es ist eine Basisregel der Konfliktkommunikation, dass alles, was vor einem "aber" gesagt wird, nicht ernst gemeint ist. Der ADAC steht also, könnte man sagen, mit seiner Position, die den Ernst der Lage verkennt, in bedenklicher Nähe zu Klimaleugnern. Hauptsache sportlichJa, es ist richtig: Es gibt viele Regionen in Deutschland, in denen das Auto als Verkehrsmittel bislang schwer ersetzbar ist. Viele der neuen Mobilitätsangebote, die gerade in aller Munde sind, existieren nur in urbanen Gebieten und Ballungsräumen. Vielerorts ist noch nicht mal ein nennenswerter ÖPNV vorhanden. Trotzdem ist die Annahme, dass ein hoher Spritpreis ungerecht wäre, oder, wie Hillebrand fabuliert, "jenseits von Gut und Böse", falsch. Denn in Wahrheit ist den Menschen der Spritpreis egal. Oder wie haben Sie, der oder die sich gerade über einen möglichen Aufschlag von 70 Cent aufregt, die Fragen am Anfang des Textes beantwortet? Fakt ist: Wäre der Spritpreis eine kritische Größe und von derart existenzbedrohender Bedeutung, wie es Hillebrand und Gesinnungsgenossen beschwören, würden die Deutschen andere Autos kaufen. Es würde nicht Quartal für Quartal steigende Absatzzahlen für SUV geben. Der Lupo 3L, das erste echte Dreiliterauto von Volkswagen, wäre nicht als kompletter Flop in die Automobilhistorie eingegangen. Das Angebot der Hersteller wäre ein vollkommen anderes. Man kann angesichts der inzwischen breit diskutierten und wissenschaftlich validierten Bedrohungen durch die Klimakrise die Hybris kaum fassen, wenn man sich mit der Modellpolitik auch und vor allem der deutschen Hersteller beschäftigt. Am unteren Ende des Portfolios wird auch das letzte Massenmodell noch zum Haustuner geschickt, auf dass es dort sportlich verbrämt werde. Am oberen Ende der Produktskala wird mit Mega-SUV wie X7, Audi-Q8 oder Mercedes GLS eskaliert. Doch die Hersteller sind nur ein Teil des Problems. Denn diese Autos sind eben keine Ladenhüter wie die Spritsparmodelle, die sie - verschämt zwar, aber meist trotzdem - im Angebot haben. Die, verzeihen Sie mir bitte an dieser Stelle den Kampfbegriff, Spritschlucker werden den Herstellern aus den Händen gerissen. Und das ist unsere Verantwortung. Wir versagen, Tag für TagAngesichts dessen, wie schlampig wir mit dieser Verantwortung umgehen, ist der Widerstand gegen jede Form von Regulierung unverständlich. Die Lenkungswirkung der Kunden, das kann man nach den vergangenen Jahren getrost bilanzieren, ist allerhöchstens null, in Wahrheit wohl eher negativ. Wer vor diesem Hintergrund von einer Einschränkung der Freiheit und einem Faible für eine Verbotskultur schwadroniert, ist schlicht naiv.Ohne die mühsam verhandelten strengeren CO2-Grenzwerte der EU, ohne das straffere Verbrauchsmessverfahren WLTP, ohne verpflichtende Emissionsmessungen auf der Straße, statt im Labor, würde es überhaupt keine Entwicklung in Richtung Nachhaltigkeit geben. Die Hauptmotivation der Hersteller zur Schubumkehr in Richtung nachhaltiger Mobilität - und das geben sie auch relativ offen zu - ist die Aussicht, mit Elektroautos die CO2-Vorgaben einhalten und Strafzahlungen vermeiden zu können. Ohne diese Regulierung würden wir wohl weiter mit Vollgas in Richtung Abgrund fahren. Wenn der Staat sich endlich zur Streichung von Steuervorteilen für bestimmte fossile Brennstoffe durchringen würde, sodass über den Spritpreis eine Lenkungswirkung entstehen würde, wäre das im Übrigen noch lange kein Verbot. Und es wäre auch kein "Kreuzzug gegen das Auto", wie Hillebrand kreischt. Es wäre so etwas wie eine Gehhilfe auf dem Weg zu ökologisch vernünftigen Autos und wir, die Kunden, hätten trotzdem immer noch die volle Freiheit. Also, zurück zum Anfang dieses Artikels. Wenn Sie demnächst ein Auto kaufen oder einen Dienstwagen auswählen, wie werden Sie sich entscheiden?
Michail Hengstenberg
Müssen für das Klima die Spritpreise erhöht werden? Die Auto-Traditionalisten sehen soziale Unruhen heraufziehen. Dabei ist den Deutschen der Benzinpreis egal. Sonst würden sie andere Wagen kaufen.
[ "Meinung", "Kraftstoffe", "Benzin", "Diesel", "Klimapolitik", "Umweltministerium", "Verkehrspolitik Deutschlands", "Deutschland" ]
Mobilität
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2019-12-06T18:07:00+01:00
2019-12-06T18:07:00+01:00
https://www.spiegel.de/auto/aktuell/klimakrise-debatte-ueber-spriterhoehung-autoland-ist-wutentbrannt-a-1300105.html
Die falsche Fahne
Die Signalhörner des Bonner Bundestages tuteten minutenlang und riefen die parlamentarische Herde zum Hammelsprung. Es war am Donnerstag vergangener Woche, in der ersten Sitzung des Bundestages nach den Sommerferien. Die Abgeordneten sollten über den deutsch-jugoslawischen Vertrag vom 10. März 1956 abstimmen. Um 16.16 Uhr konnte der neue FDP-Vizepräsident, Max Becker, der zu seiner ersten Amtshandlung eine protokollwidrige Fliege zum vorgeschriebenen Cut angelegt hatte, das Ergebnis verkünden: 236 Abgeordnete hatten mit Ja, 96 mit Nein gestimmt; vierzehn hatten sich ihrer Stimme enthalten. Zur gleichen Stunde saß eine dreizehnköpfige Delegation der jugoslawischenVolksvertretung unter Führung ihres Parlamentspräsidenten Moscha Pijade im Kölner Funkhaus bei Kaffee und Kuchen. Daß die Jugoslawen an dem bedeutsamen Akt im Bonner Bundeshaus nicht teilnahmen, war kein Zufall, sondern Symbol jener pikanten Schwierigkeiten, die sich um dieses Abkommen ranken. Die jugoslawische Regierung hatte schon vor Jahren in Bonn Forderungen aus alten großdeutschen Verpflichtungen in Höhe von 700 Millionen Mark geltend gemacht. Die Bundesrepublik war aus politischen und moralischen Gründen bereit, einen Teil der Ansprüche Marschall Titos zu befriedigen: Es galt dabei eine Form zu finden, die weder Deutschland zu ähnlichen Zahlungen an andere Kriegsgegner verpflichtete* noch den legendären Stolz der Jugoslawen verletzte, die keine Geschenke annehmen wollten. Die Verhandlungen darüber begannen nach Marschall Titos Bruch mit Moskau im Januar 1954. Im November desselben Jahres waren sie in eine Sackgasse geraten. Bundeswirtschaftsminister Erhard versicherte zwar bei einem Besuch in Belgrad: »Ich werde sofort in Bonn eingreifen«, aber drei Wochen nach diesem kühnen Versprechen wurden die Verhandlungen gänzlich abgebrochen.Diese mißliche Situation wurde Im Mai 1955 einer deutschen Bundestags-Delegation vor Augen gehalten; die auf Einladung des jugoslawischen Parlaments Belgrad besuchte. In ehrlicher Entrüstung telegraphierten die westdeutschen Volksvertreter, an ihrer Spitze Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier und der jetzige deutsche Botschafter in Belgrad, Karl Georg Pfleiderer, sofort an Konrad Adenauer. Das Antworttelegramm ließ sie ahnen, wie sehr den Bundeskanzler das deutschjugoslawische Verhältnis interessierte. Die Depesche war von einem Oberregierungsrat aus dem Bundeskanzleramt unterzeichnet, der eine wohlwollende Prüfung zusagte.Im August desselben Jahres wurde Karl Georg Pfleiderer deutscher Botschafter in Belgrad. Seinem Einsatz ist es vor allem zuzuschreiben, daß nach einigen weiteren Komplikationen endlich am 10. März 1956 in Bonn der »Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der föderativen Volksrepublik Jugoslawien über wirtschaftliche Zusammenarbeit« unterschrieben werden konnte. Die Vereinbarung sieht vor: - Zur Regelung jugoslawischer Forderungen aus Kriegszeiten an das Deutsche Reich zahlt die Bundesrepublik an Belgrad insgesamt 45,5 Millionen Mark.- Die Bundesrepublik gibt den Jugoslawen auf 99 Jahre ein Darlehen von 240 Millionen Mark.- Die jugoslawischen Nachkriegsschulden an Westdeutschland in Höhe von 175 Millionen Mark brauchen erst bis 1968 getilgt und nur mit drei Prozent verzinst zu werden.- Alte jugoslawische Umstellungsguthaben bei deutschen Banken in Höhe von 14,5 Millionen Mark werden freigegeben.Obgleich den jugoslawischen Unterhändlern bei Abschluß des Vertrages in Aussicht gestellt worden war, der deutsche Bundestag werde das Abkommen noch vor den parlamentarischen Sommerferien im Juli ratifizieren, wurde dieser Termin nicht eingehalten. Als Grund wurde offiziell angegeben, wegen der Wehrgesetze sei das Bonner Parlament in Zeitnot geraten. Tatsächlich hatte diese Vertagung jedoch andere Ursachen. Mit einigem Argwohn hatte nämlich die Bundesregierung beobachtet, wie Marschall Tito sich mit Moskau aussöhnte und Jugoslawiens Haltung in der Deutschlandfrage sich der sowjetischen - »Es bestehen zwei deutsche Staaten nebeneinander« - annäherte. Die Anerkennung Pankows durch Belgrad schien näherzurücken, zumal Tito am 19. Juni in Moskau von der Realität zweier deutscher Staaten sprach.Angst vor PankowNeben dieser Furcht, mit Pankow international gleichgesetzt zu werden, die manche Handlungen der Bundesregierung bestimmt, sprach noch ein zweiter Grund gegen die schnelle Ratifizierung des Jugoslawien-Abkommens: die Proteste deutscher Flüchtlingsorganisationen, nach deren Ansicht auch deutsche Ansprüche gegen Jugoslawien bestehen, die sich aus der Vertreibung der Volksdeutschen aus Jugoslawien ergeben. Zu den beiden Einwänden gegen den Vertrag mit Jugoslawien - Titos Liebäugeln mit Pankow und der Vertreibung der Volksdeutschen - nahm Außenamts -Staatssekretär Walter Hallstein in der letzten Woche vor dem Bundestag Stellung. Trotz Titos Äußerungen über »die Realität zweier deutscher Staaten«, trotz eines Wirtschaftsabkommens zwischen Jugoslawien, der Sowjet-Union und der Sowjetzone, trotz der Errichtung mitteldeutschjugoslawischer Handelskammern in Ostberlin und Belgrad glaubt die Bundesregierung, daß eine Anerkennung der »DDR« durch Belgrad nicht zu erwarten ist.Hallstein: »Die Absicht der jugoslawischen Regierung, an ihrer bisherigen Politik (der Nichtanerkennung) festzuhalten, ist das, was Juristen die Geschäftsgrundlage eines Vertrages nennen.« Damit hatte Hallstein angedeutet, daß der Vertrag Bonn-Belgrad hinfällig wird, wenn Jugoslawien Pankow anerkennt. Die Rechtsansprüche der vertriebenen Deutschen, erklärte Hallstein weiter, werden durch das Abkommen nicht berührt. Daß die Delegation der jugoslawischen Volksvertretung, die Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier bei seinem Besuch in Belgrad nach Bonn eingeladen hatte, diese Erläuterungen des Staatssekretärs nicht mit anhören konnte, hatte seine besonderen Gründe. Auf deutscher Seite wollte man den Eindruck vermeiden, daß der Vertrag sozusagen unter jugoslawischem Druck angenommen wird, Moscha Pijade und seine Genossen hingegen wollten sich nicht der peinlichen Situation aussetzen, die Anklagen deutscher Flüchtlingsabgeordneter gegen ihre Austreibungspolitik mit anhören zu müssen. So erschienen die Jugoslawen auf der Diplomatenbühne des Bundestages erst am Freitagmorgen, zur Fragestunde, als alles vorüber war. Nicht immer war Moscha Pijade bei seinem Deutschlandbesuch auf soviel protokollarisches Geschick gestoßen. Die republikanische Prominenz am Rhein, die bei monarchistischem Staatsbesuch jedesmal vor Entzücken Purzelbaum schlägt, entwickelte bei dem Besuch der titoistischen Volksvertreter einen Stil, der unübersehbar die Gleichgültigkeit gegenüber dem Balkanstaat demonstrierte. Es begann schon am Dienstag letzter Woche bei der Ankunft der Jugoslawen auf dem Flugplatz Wahn. Bundestagspräsident Gerstenmaier war verhindert. In Bad Honnef diskutierte die CDU/CSU -Fraktion sein Grundsatzreferat, das seine führende Position unter den Christdemokraten festigen sollte. An seiner Stelle standen Vizepräsident Professor Carlo Schmid und der Direktor beim Bundestag Troßmann auf dem zugigen Flugfeld.Obgleich Eugen Gerstenmaier erst wenige Tage zuvor eigens für solche Anlässe die Geschäftsführerin der »Deutschen Parlamentarischen Gesellschaft«, Gräfin Werthern, zur Protokollchefin des deutschen Bundestages erhoben hatte, fehlte in Wahn die jugoslawische Fahne. So kam es, daß Carlo Schmid seine Begrüßung mit einer Entschuldigung beginnen mußte. Das Auswärtige Amt war dieser Peinlichkeit enthoben, weil es überhaupt keinen Vertreter nach Wahn geschickt hatte. Am Tage darauf, als die jugoslawischen Gäste den Bundestag besuchten, grüßte vor dem Bundestagsportal die Flagge des Libanon, die noch zu Ehren eines politischen Besuchers aus der Levante aufgezogen war, den man zuvor mit den jugoslawischen Farben empfangen hatte.Erinnerungen an DalmatienAuch an diesem Mittwoch konnten die Jugoslawen über allzu aufdringliche Aufmerksamkeit nicht klagen. Sie sahen zwar den Bundespräsidenten Theodor Heuss, der über seine Erinnerungen an Dalmatien plauderte, und auch den Außenminister von Brentano; Bundeskanzler Konrad Adenauer gewährte ihnen jedoch keine Audienz. Und als Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier sie zum Mittagessen bewirtete, zogen sich die wichtigsten Gastgeber aus den Reihen des Bundestages vorzeitig zurück, um im Ältestenrat über ihre Reise nach Moskau zu reden. Der Deutsche Gewerkschaftsbund schließlich ließ wissen, daß die jugoslawischen Genossen leider nicht einmal an der Eröffnungssitzung seines Bundeskongresses in Hamburg teilnehmen könnten, es seien keine Plätze mehr frei.Erst auf der Kegelbahn einer Braunkohlenzeche bei Köln tauten die Jugoslawen richtig auf. Dort beschlossen sie auch, deutsche Abbaumaschinen zu kaufen. Die Maschinen sollen mit einem Teil der Anleihe bezahlt werden, die Jugoslawien von Moskau bekommen hat.Wie in diesem Fall, in dem deutsche Firmen mit sowjetischen Devisen bezahlt werden sollen, wurde auch in einer anderen Episode die der Bundesregierung so unangenehme jugoslawische Stellung zwischen Ost und West augenscheinlich: Moscha Pijade hatte bei seinem Abflug in Belgrad geäußert, man solle sich eigentlich Berlin ansehen. Der Gedanke war von deutscher Seite freudig aufgenommen worden: Man wollte den Jugoslawen gern Gelegenheit geben, den Unterschied zwischen der Bundesrepublik und der »DDR« an Ort und Stelle zu studieren. Da schaltete sich der jugoslawische Geschäftsträger in Bonn ein. Er verhinderte den Berlinflug, um Pankow nicht zu verletzten.* Das Londoner Schuldenabkommen von 1953zwischen der Bundesrepublik und zwanzig anderen Staaten - darunter Jugoslawien - sieht vor, daß »eine Prüfung der aus dem zweiten Weltkriege herrührenden Forderungen ... gegen das Reich ... bis zur endgültigen Regelung der Reparationsfrage zurückgestellt« wird.Belgrader Parlamentspräsident Pijade, Gastgeber: Schwankende Geschäftsgrundlage
[ "Jugoslawien", "Bonn", "Moskau", "Bundesrepublik", "Bundestag" ]
Politik
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1956-10-02T13:00:00+01:00
1956-10-02T13:00:00+01:00
https://www.spiegel.de/politik/die-falsche-fahne-a-926869f2-0002-0001-0000-000043064213?context=issue
Nach Wahlschlappe: Obama umgarnt Gesundheitsreform-Gegner
Washington - Von der Gesundheitsreform will die Demokratische Partei nicht abrücken. "Wir werden weitermachen", kündigte die Präsidentin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, nach der Wahlschlappe in Massachusetts an. Einen Tag später musste sie jedoch einräumen, es gebe nicht genug Stimmen für das Prestigeprojekt von Präsident Barack Obama - auch nicht im Repräsentantenhaus. Ohne Änderungen an dem Gesetzentwurf wollten derzeit nicht genügend Abgeordnete dafür stimmen, sagte Pelosi am Donnerstag. Etliche Demokraten fordern nach der verlorenen Nachwahl in Massachusetts eine Abschwächung des Gesetzentwurfs.Ein neues Problem für Präsident Obama, doch der gibt sich zuversichtlich.Die Demokraten hatten am Dienstag die Nachwahl zum Senat in Massachusetts verloren, so dass ihnen jetzt die entscheidende Stimme für eine schnelle Durchsetzung der Gesundheitsreform fehlt. 60 Stimmen sind im US-Senat nötig, um die Blockade oder Verzögerung von Gesetzesvorhaben zu verhindern. Der Republikaner Scott Brown, ein Gegner der Reform, hatte sich klar den Senatssitz des verstorbenen Edward Kennedy erkämpft. Theoretisch könnten die Demokraten versuchen, die Reform durch den Kongress zu bringen, noch bevor der Nachrücker vereidigt ist. Doch Obama rief seine Parteifreunde dazu auf, das umstrittene Projekt nicht "durchzudrücken", bevor Wahlsieger Brown seinen Sitz im Senat eingenommen hat. "Die Wähler in Massachusetts haben gesprochen, jetzt muss Brown Teil dieses Prozesses sein", sagte Obama. Er plädierte dafür, sich gemeinsam an einen Tisch zu setzen und sich zu einigen. "Wir haben das Gefühl für das verloren, was Amerika bewegt" Obama zeigte sich nicht nur kompromissbereit gegenüber der Opposition, er versuchte, sich auch den Bürgern wieder stärker anzunähern. Er räumte ein, dass die Politiker in Washington sich besser mit der breiten Öffentlichkeit verständigen müssten. "Die Menschen sind wütend und sie sind frustriert, nicht nur aufgrund dessen, was in den vergangenen ein, zwei Jahren passiert ist, sondern in den letzten acht Jahren."Die Stimme des Wählers sei ihm vor lauter Geschäftigkeit um die politische Agenda ein wenig aus dem Ohr geraten, gestand der sich schuldbewusst gebende Präsident in einem Interview mit dem Fernsehsender ABC. "Wir waren so beschäftigt damit, unsere Aufgaben zu erledigen und die vor uns liegende Krise zu bewältigen, dass wir das Gefühl dafür verloren haben, das anzusprechen, was die Amerikaner bewegt." Aus dem enttäuschenden Wahlergebnis spreche "die Wut und die Frustration in diesem Land darüber, wo wir wirtschaftlich stehen", erklärte der Sprecher des Weißen Hauses, Robert Gibbs, am Mittwoch vor Journalisten in Washington. Obama sei selbst einer von diesen Frustrierten. Erklärungsversuche, nach denen die umstrittene Gesundheitsreform der Grund für die Ohrfeige der Wähler war, wies Gibbs zurück. "Die Gesundheitsreform hat weiterhin Priorität für Präsident Obama", sagte er. Dieser werde sich aber ebenso für Wirtschaft und Arbeitsplätze einsetzen. Künftig werde er die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit wieder zur obersten Priorität machen, kündigte Obama an. Darüber waren sich auch Regierungsbeamte in Washington Stunden nach dem Wahldesaster einig.
kgp/dpa/apn
Barack Obamas Gesundheitsreform wankt nach der Wahlschlappe in Massachusetts, die Demokraten wirken entmutigt. Mit einer Charme-Offensive versucht der US-Präsident, die Opposition und Bürger für sein Projekt zu gewinnen. Er gibt sich reuig - und kompromissbereit.
[ "Gesundheitssystem der USA", "US-Kongress", "Wirtschaft in den USA", "Barack Obama", "USA", "Gesundheitsreform" ]
Ausland
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2010-01-21T21:16:21+01:00
2010-01-21T21:16:21+01:00
https://www.spiegel.de/politik/ausland/nach-wahlschlappe-obama-umgarnt-gesundheitsreform-gegner-a-673302.html
Kanzler-Rüffel für Riester
Bundeskanzler Gerhard Schröder hat den neuerlichen Schwenk der rot-grünen Koalition in der Rentenfrage - vorbei am eigentlich zuständigen Arbeitsminister Walter Riester - persönlich vorangetrieben. Beim Weihnachtsessen der Koalitionsspitze Anfang der Woche in seinem Berliner Gästehaus rüffelte Schröder den Minister in Abwesenheit mit scharfen Worten. Der habe während einer entscheidenden Verhandlungswoche eine Australien-Reise angetreten, anstatt die Sache in Berlin zu Ende zu bringen. Bei Fisch und reichlich Wein verständigten sich die Koalitionäre abermals auf weit reichende Korrekturen an ihrem Rentenkonzept. Anders als geplant soll von 2011 an auch die ältere Generation an den Rentenkürzungen beteiligt werden. Nach dem neuen Konzept müssten sich dann alle Ruheständler langfristig mit einem Rentenniveau von 67 Prozent des Nettolohns begnügen. Die Grünen beharrten darauf, dass der Beitragssatz nicht über 22 Prozent steigen darf. Die Spitzen von CDU und CSU wollen Mitte kommender Woche in Berlin ihren parteiinternen Streit um die Haltung zur Rentenreform schlichten. Während CDU-Chefin Angela Merkel auf einen Kompromiss mit der Bundesregierung drängt, verfolgt CSU-Vize Horst Seehofer weiter eine harte Linie. Die geplante Korrektur der Rentenformel, auf die sich die Koalition nach massiver Kritik von Sachverständigen und Verbänden verständigt hat, sei zwar »ein richtiger Schritt«, so Seehofer. Die Vorstellungen von Regierung und Opposition seien aber »Welten voneinander entfernt«. Ohne weitere Annäherungen der Regierung sei eine »Zustimmung nicht möglich«. Merkel dagegen hält die wiederholten Zugeständnisse der Bundesregierung an die Union für ausreichend und will sie als Erfolg der Opposition darstellen. Die Gründe für eine Ablehnung der Rentenreform müssten den Bürgern einleuchten, warnt die CDU-Chefin. Keinesfalls dürfe die Union als fundamentalistische Reformgegnerin erscheinen. Auch die Einigungsbereitschaft von CSU-Chef Edmund Stoiber ist deutlich gestiegen. Wirtschaftsbosse kündigten ihm in einem vertraulichen Gespräch an, sie würden die Rentenreform der Bundesregierung unterstützen, wenn dadurch die Lohnnebenkosten stabil blieben. Stoiber möchte keinesfalls in den Ruch der Wirtschaftsferne geraten. Seehofer und Merkel hatten sich zuletzt im November in einer Sitzung der CDU/CSU-Fraktionsspitze einen heftigen Schlagabtausch um die Strategie bei der Rentenreform geliefert. Nachdem Finanzminister Hans Eichel und Riester den Beginn der privaten Altersvorsorge auf 2002 verschoben hatten, wollte der CSU-Vize die Konsenssuche schon endgültig für beendet erklären, wurde aber von Merkel daran gehindert.
[ "CDU", "CSU" ]
Politik
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2000-12-17T13:00:00+01:00
2000-12-17T13:00:00+01:00
https://www.spiegel.de/politik/kanzler-rueffel-fuer-riester-a-bcb4478c-0002-0001-0000-000018073993?context=issue
Spektakulärer Kunstfund: Aus Müll mach Geld
So ähnlich kennen das viele Großstädter, oder? Man schlendert durch die Straßen, entdeckt ein nettes, irgendwie alt und hübsch aussehendes Stück zwischen allerhand Müll, beschließt es mitzunehmen und fragt sich dann: "Warum nimmst du das eigentlich in deine voll gestellte Wohnung mit?" Diese Frage habe sie sich auch gestellt, sagte Elizabeth Gibson der "New York Times". Aber ihr Fund - ein Bild - habe eben eine "seltsame Macht" auf sie ausgeübt. Wie auch immer man zu höheren Mächten stehen mag, ihr Instinkt trog Gibson nicht: Bei dem Bild handelte es sich um "Three People"; ein Werk des Mexikaners Rufino Tamayo von 1970, das 20 Jahre zuvor gestohlen worden war.Am 20. November wird "Three People" jetzt vom Auktionshaus Sotheby's versteigert, berichtet die "New York Times" in ihrer Ausgabe vom heutigen Dienstag. Der Schätzpreis des Müllfunds: eine Million Dollar (rund 700. 000 Euro). Google kam zur Hilfe Das Bild war einem Ehepaar gestohlen worden, dessen Identität das Auktionshaus nicht preisgeben will. Der Geschäftsmann aus Houston hatte "Three People" in einer Auktion bei Sotheby's 1977 erworben - für 55.000 Dollar, als Geburtstagsgeschenk für seine Ehefrau. Dann verschwand es unter ungeklärten Umständen, das FBI ermittelt bis heute.Rund zwei Jahrzehnte nach diesem Diebstahl hängte Elizabeth Gibson, die Finderin, ihr Müll-Bild zunächst in ihr Wohnzimmer. Nach einigen Monaten machte sie einen Freund auf den Fund aufmerksam, der bei einem Auktionshaus arbeitet. Der fragte sie nach einer Signatur. Das Bild wies aus: "Tamayo 0-70". Doch der Freund sprang darauf nicht an. Gibson recherchierte auf eigene Faust weiter. Als sich die Anzeichen verdichteten, dass es sich um ein wertvolles Werk handeln könne, wurde sie nervös und baute eigens eine Scheinwand in ihre Wohnung, um das Bild vor potenziellen Dieben zu verbergen. Im Mai dieses Jahres stieß sie schließlich per Google auf eine Folge der Fernsehreihe "Antiques Roadshow", in der verloren gegangene Kunstwerke vorgestellt wurden; darunter auch ihr Tamayo-Bild."Eine echte New-York-Story"Gibson kontaktierte den Ermittler von Sotheby's, der das Bild in der Fernsehserie vorgestellte hatte. Das Auktionshaus wiederum informierte das FBI - und das Bild ging zurück zu den rechtmäßigen Eigentümern. Der Geschäftsmann aus Houston ist mittlerweile verstorben, seine Witwe hat das Bild nun zur Auktion freigegeben. Elizabeth Gibson, die glückliche Finderin des Tamayo-Bildes, wird sich - gemessen an dem Wert des Werkes - mit einem eher bescheidenen Finderlohn zufrieden geben müssen: 15.000 Dollar (rund 10.600 Euro). Dazu erhält sie noch eine Belohnung von Sotheby's in nicht genannter Höhe. Aber offenbar kann sich Gibson genug an der skurrilen Geschichte selbst erfreuen. Der "New York Times" sagte sie: "Es ist eine echte New-York-Story."tdo mit Material von dpa
Kunst auf Halde: Eine New Yorkerin fand ein Bild im Müll, das sich schließlich als gestohlenes Werk eines renommierten Malers herausstellte. Jetzt darf die Finderin Kasse machen.
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Kultur
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2007-10-23T17:09:16+02:00
2007-10-23T17:09:16+02:00
https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/spektakulaerer-kunstfund-aus-muell-mach-geld-a-513096.html
Kein Sänger der Schweiz-AG
Auffallend unbehülflich«, so beschreibt Richard Wagner meinen liebsten Landsmann, und das bekannte Porträt, gemalt von Karl Stauffer, gibt ihm recht; es zeigt den Dichter sitzend, ein zerknülltes Taschentuch in der rechten Hand. Was macht er eigentlich damit? Sein Kopf mit Bart und dünner Brille, leicht gesenkt, wirkt übergroß, sobald man nicht bloß das Brustbild sieht, sondern den Körper dazu. Verdeckt er mit dem Taschentuch unbehülflich die Kürze seiner Oberschenkel? Nur auf den allerersten Blick ist das eine gemütliche Erscheinung. Sollte dieser Mann aufstehen von seinem Stuhl, ich glaube, man wäre verlegen, wie wenn man einem Zwerg die Hand zu geben hat. Gottfried Keller maß vom Scheitel bis zur Sohle nicht mehr als 140 Zentimeter. Alle Frauen, denen er seine Liebe erklärte, waren größer als er; keine von ihnen wurde seine Gefährtin. Es ist denkbar, daß es in diesem Leben zu keiner Erfüllung der geschlechtlichen Liebe gekommen ist, auch wenn es 1873 im Salzkammergut einen glücklichen Spätsommer mit der Altersliebe Marie Exner gab, die später als verheiratete Marie v. Frisch-Exner ein Kind erwartet; dazu schreibt Keller: »Auf Ihr Kindchen freue ich mich: Das wird gewiß ein allerliebstes Tierehen! Wenn es ordentlich genährt ist, so wollen wir"s braten und essen ... mit einem schönen Kartoffelsalat und kleinen Zwiebeln und Gewürznägelein. Auch eine halbe Zitrone tut man dran!« Man weiß, daß er gern getrunken hat und oft etwas wankend auf seinen kurzen Beinen nach Hause ging, und auf einer seiner Schreibunterlagen, die er, heimlich mit sich selbst, bekritzelt hat mit allerlei Fratzen und Chiffren des Unbewußten und mit dem einen und anderen »Tödlein«, findet sich am Rand die bewußte Meldung: »Resignatio ist keine schöne Gegend.« Sie ist, so meint der Verfasser dieses Keller-Buches, seine Motivation als Dichter. Daß Adolf Muschg mit Psychoanalyse vertraut ist, wissen die Leser seiner Erzählungen und Romane. Einer davon, »Albissers Grund«, hat die Psychoanalyse selbst zum Thema. Mehr als andere Germanisten befaßt er sich schon mit dem kleinen Gottfried, dem Fünfjährigen, der den Vater verloren hat. »Muß dann nicht der Verdacht, sich diesen Verlust gewünscht zu haben, an ihm also mystisch schuldig zu sein, durch eine Entrückung des Vater-Bildes ins unerreichbar Hohe entkräftet und gesühnt werden?« Tatsache ist, daß die Mutter bald den Gesellen des verstorbenen Drechslermeisters heiratete. »Wie aber, wenn sie diesen stillen Vertrag mit dem Kind bricht und wieder einen Mann nimmt?« so fragt Muschg und antwortet: »Der ist dreifach verworfen, noch ehe er ein Gesicht hat: als Vatermörder, als Mutterräuber und als Dieb am Kind, an Vertrauen und Selbstvertrauen des Kindes -- er braucht gar nicht mehr, wie in diesem Fall, auch noch sozial unterklassig zu sein. Der Siebenjährige bekam zu fühlen daß die Mutter den Vater verriet; daß er, der Kleine, nicht Manns genug war, die Stelle des Liebsten zu besetzen; daß sie jetzt erst wurde, was sie, wenn er genügen sollte, nicht ganz sein durfte: ein geschlechtliches Wesen.« Und: »Der Wunsch, die Mutter allein zu besitzen, ist einer der frühesten und prägendsten jeder männlichen Biographie ...«Also: Gottfried Keller auf der Couch. Dichtung als Trauerarbeit. Und sein Engagement als demokratischer Revolutionär, als Freischärler, als Patriot: Trauerarbeit auch das? Das paßt nicht zu dem Keller-Bild, das als gesichert gilt, und schon gar nicht zu dem Denkmal, das eine helvetische Versicherungsgesellschaft großherzig aufgestellt hat.Unser Gottfried Keller! Ich habe Italiener getroffen, Russen, Japaner als verzückte Kenner des »Grünen Heinrich« und der »Leute von Seldwyla«. Was will Muschg, der Zürcher, mit seinem Buch? Es tönt nicht nach Habilitation, sondern nach Betroffenheit. »Es ist aus persönlicher Begegnung entstanden«, gesteht das Vorwort, »es möchte den Leser zu einer gleichen Begegnung ermutigen.« Ob es den Mann durch sein Werk zu erhellen sucht oder das Werk durch Nachrichten über den Mann -- ein Buch voll Sachkenntnis, und dennoch gewinnt es keine Gelassenheit, nie die Allüre dessen, der"s weiß. Sondern der Verfasser möchte es wissen. Was eigentlich? Hier schreibt nicht der Professor für deutsche Literatur an der Eidgenössischen Technischen Hochschule, sondern der Schriftsteller, der über sich ins Klare kommen will -- ohne je zu vergessen, daß er über Gottfried Keller schreibt, das heißt: Auch wenn er sich Mutmaßungen leistet, und dazu treibt es ihn immer wieder, wenn er das Keller-Monument umschreitet, so bleibt er sorgsam bei der historischen Situation, in der Keller gelebt und produziert hat, und bringt sie in Erinnerung: die Schweiz als jungen und progressiven Bürgerstaat im Frühkapitalismus, eine Gesellschaft im Umbau durch Industrialisierung und Verstädterung. (Hat man, wie ich, seit längerer Zeit nicht mehr Gottfried Keller gelesen, so sind die Zitate, die das Buch vorlegt, schon irritierend: Dieser Keller, in Leder gebunden, als Klassiker der bürgerlichen Besonnenheit mit Gemüt, ist ja unheimlich -- auch wo er so gern das Diminutiv verwendet, diese Form der schamhaften Not -- und im politischen Denken radikal unter dem Zwang seiner Intelligenz; ich weiß nicht, ob er heute in einer zürcherischen Gemeinde mit seiner Wiederwahl als Lehrer rechnen dürfte.)Keller-Kenner werden in diesem unorthodoxen Buch kaum Dokumente und Texte finden, die sie noch nie gelesen haben; nur erscheinen sie hier in einer Persönlichkeitsanalyse, die -- auch wenn die eine und andere Spekulation sich allzugut auf die Schemata der Psychoanalyse reimt -- neugierig macht auf das dichterische Werk, dieses vermeintlich so vertraute. Was nämlich die Großmeister der werk-immanenten Interpretation nicht erwähnenswert finden, zum Beispiel was Keller von Ökonomie weiß, wenn er von Menschen erzählt, und was er dem frühen Kapitalismus als ernste Warnung zu sagen hat, was es auf sich hat mit Geld und Freiheit usw., das alles steht, wie die Zitate zeigen, in seinem dichterischen Werk, das Nietzsche zu dem Wenigen in der deutschen Prosaliteratur rechnete, das es verdiene, wieder und wieder gelesen zu werden.Muschg braucht nichts zu unterstellen; er liest nur mit einem politischen Bewußtsein, das an unseren Mittelschulen und Universitäten kaum verbreitet ist, weil den Machtinhabern im Lande nicht gefällig. Insofern ein Buch des Widerstandes, höflich im Ton, als gäbe es noch eine Hoffnung zu schonen, die Hoffnung auf eine Liberalität im Sinn von Keller. Wie weit die persönliche Konstitution (was der Literatur-Jargon unsrer Tage als das Private bezeichnet) sich nicht nur in der Fiktion saniert, sondern auch manifestiert in der politischen Biographie, das zu zeigen ist vielleicht nicht die Aufgabe, die der Verfasser dieses unakademischen Keller-Buches sich gestellt hat; er erfüllt sie aber. Dichter und Staatsschreiber -- wir Schweizer sind ja so glücklich über dieses Wunder einer Symbiose von Literatur und Staat in einer Person. Auch in Zeiten, als die deutsche Literatur sich über Politik erhaben gesehen hat, ist sie uns als Vorbild erschienen, verpflichtend. Bis heute.Auch Adolf Muschg, der Schriftsteller, leistet seinen Staatsdienst: zurzeit in einer Kommission für die Totalrevision der Bundesverfassung. »Schuldigkeit: Der Staat des Schreibers«, spätestens in diesem Kapitel zahlt es sich aus, was als Einstieg durch die Psychoanalyse stutzig gemacht hat. Zum Vorschein kommt ein Konflikt von tragischem Format. Was da zum Staatsdienst eines Dichters führt, hat viel mit seiner Person zu tun und wenig mit Staatsgläubigkeit; es zeigt sich als ein Akt der Buße -- aus einem Schuldbewußtsein, das den Staat nichts angeht -, und von einem wackeren Behagen in staatsbürgerlicher Loyalität kann nicht die Rede sein. Staatsschreiber war übrigens ein hochwürdiges Amt. Daß Gottfried Keller am ersten Morgen seines Amtsantritts sich verschlafen hatte (in der Nacht hat er getrunken, heißt es, in Gesellschaft brummig-schweigsam und zum Schluß den wortlustigen Lassalle als Halunken beschimpft) und wie ein Toter auf dem Bett gefunden wurde, ist mehr als eine drollige Anekdote. »Alle Dichtung, die wir bedeutend nennen, zieht ihre wahre Bedeutung aus dem Widerstand, den sie der Zeit, als ihr Genosse, geboten hat«, so Muschg, »und ihre Wahrhaftigkeit ist als der genaue Abstand zu beschreiben, den sie bewahrt zu allen Sprachen der Herrschaft und der Verfügbarkeit.« Die ihn zum National-Kopf auf Banknoten und Briefmarken gemacht haben, müßten nur lesen können, um zu sehen, daß Gottfried Keller nicht ihr Wortführer ist -- ein Demokrat, ja, und ein Patriot, der sich die Menschheit durchaus ohne sein Vaterland vorstellen kann, wenn dieses in der Geschichte versagt. Kein Sänger also der Schweiz-AG. Ein Dichter, ein großer, einer zum Erschrecken.Ein Bild-Anhang mit Porträts von Keller und von den Frauen, denen seine resignative Verehrung galt, und von namhaften Zeitgenossen, die ihn beschäftigten (den jungen Nietzsche in Basel hielt er für einen »Erz- und Kardinalphilister"), ist nicht nur reizvoll als Galerie von Trachten und Ideen; er hält den Leser an, historisch zu denken auch da, wo Keller-Worte uns zur Zuversicht verleiten -- das Bürgertum von heute ist nicht das Bürgertum von Gottfried Keller, das eine Utopie besessen hat.
Max Frisch, 66, veröffentlichte 1971 eine kritische Studie über den Schweizer Nationalhelden Wilhelm Tell - im SPIEGEL besprochen von Adolf Muschg. Muschg, 43, lebt als Schriftsteller und Literaturprofessor in Zürich.
[ "Adolf Muschg", "Schweiz" ]
Kultur
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1977-07-31T13:00:00+01:00
1977-07-31T13:00:00+01:00
https://www.spiegel.de/kultur/kein-saenger-der-schweiz-ag-a-b47d17d2-0002-0001-0000-000040859384?context=issue
Adlai Stevenson
Adlai Stevenson, 56, früherer Gouverneur des amerikanischen Bundesstaates Illinois, der bei den amerikanischen Präsidentschaftswahlen 1952 als Kandidat der Demokratischen Partei von Dwight D. Eisenhower (Republikanische Partei) geschlagen wurde, hatte bei der Kandidaten-Vorwahl des Staates Minnesota für die nächsten Präsidentschaftswahlen (Herbst 1956) so fest mit einem Sieg über seinen Mitbewerber und Parteikameraden Estes Kefauver gerechnet, daß er seine engsten Freunde vorher für den Abend der Minnesota-Vorwahl zu einer Siegesfeier mit Smokingzwang eingeladen hatte. Stevensons Kommentar, als für ihn und seine Gäste feststand, daß Kefauver gesiegt hatte: »Es ist einfach furchtbar!«
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Politik
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1956-04-10T13:00:00+01:00
1956-04-10T13:00:00+01:00
https://www.spiegel.de/politik/adlai-stevenson-a-a4fe76eb-0002-0001-0000-000043061946?context=issue
Kinder- und Jugendbücher über Mathematik: Alles, was zählt
Dieser Text enthält sogenannte Affiliate-Links, über die der Verlag, aber nie der Autor individuell, bei Verkäufen eine geringe Provision vom Händler erhält. Obwohl unser Leben ohne Zahlen und mathematische Erkenntnisse nicht möglich wäre, bleibt die Mathematik vielen Menschen fremd. Das fängt schon in der Schule an – Mathe ist vermutlich das unbeliebteste Schulfach. Zu Unrecht, sagen jene, die den »Zauber der Zahlen« sehen und versuchen, diese Wissenschaft durch neue Blickwinkel interessanter zu machen.So gibt es etwa Autorinnen, die über die Geschichte der Mathematik eine Tür öffnen, andere durch Illustrationen oder auch ganz pragmatisch über Alltäglichkeiten, die auch Kindern schon verständlich sind.In den folgenden fünf Büchern dreht sich alles um Zahlen von der Eins bis zu mehr als einer Million. Natürlich wird auch der übrige Kosmos der Mathematik behandelt. Es geht ums Rechnen oder darum, wie Formeln gefunden wurden, aber auch um Zeit und den Sternenhimmel – und wie man ganz einfach genug Geld für ein Kuscheltier verdient. Agnes Sonntag wurde in eine Familie geboren, deren Mitglieder von Büchern magisch angezogen werden. Ihr Großvater arbeitete bei der Büchergilde Gutenberg und brachte ihr gern Fehldrucke mit, sodass sie bis heute das Ende vieler James-Krüss-Geschichten nicht kennt. Später studierte die gelernte Arzthelferin in Schweden Publizistik und Schwedisch. Sie arbeitete als Schwedischlehrerin, Übersetzerin und freie Mitarbeiterin des schwedischen Schulfunks. Seit einigen Jahren betreut sie beim Kinder-Nachrichtenmagazin »Dein SPIEGEL« die Buchtipps und rezensiert auf SPIEGEL.de Kinder- und Jugendbücher. ZählerhaftVom »exponentiellen Wachstum« haben wir während der Pandemie viel gehört. Dieses sagenhafte Bilderbuch des Grafikers und Künstlers Sven Völker visualisiert eindrücklich, was damit gemeint ist. In einem für Erwachsene kurzweiligen YouTube-Video erzählt Völker, dass er ein Buch über große Zahlen und das Prinzip des Verdoppelns machen wollte. Ein überraschendes Werk, dessen bildnerische Qualitäten mir eine Freude sind. Man könnte sagen: Mathe-Zauberei mit Punkten.Was ist hier los? Das Buch hat keine Handlung, sondern ist ein Zahlenerlebnis, das sich Seite für Seite entblättert. Bei eins angefangen, verdoppeln sich die Punkte, bis das Papier am Ende ausgeklappt werden muss, damit mehr als eine Million Punkte Platz haben. Vom Baum bis zu einer Skyline verstecken diese sich in stilisierten Bildern, die auch für kleine Kinder toll anzuschauen sind.Beste Lesezeit: Überrasche mich! Empfohlenes Alter: Ab drei Jahren und für alle anderen, die bis zwei zählen können. VerzähltLustige Geschichte mit vielen Tieren und einer strengen Oma, die am Ende doch nicht so streng ist, wie sie tut. Die Illustrationen sind schräg, aber nicht zu schräg, die Handlung hält einige schlaue Wendungen bereit, sodass den Erwachsenen auch das Vorlesen Spaß macht.Was ist hier los? Anna möchte ein Kuscheltier haben, das 50 Kronen kostet (die Autorin lebt in Norwegen, deshalb wird in Kronen bezahlt). »Klar«, sagt Oma. »Hast du Geld? Nein? Dann musst du wohl arbeiten.« Anna: »Oh. Äh. Kein Problem.« Und dann macht sie Omas Job und passt auf die Tiere der Nachbarn auf, die auf Reisen sind: eine Schlange in Haus 1, zwei Kaninchen in Haus Nummer 2, drei Vögel und so weiter. Hm, das hatte Anna sich doch etwas einfacher vorgestellt. Ob es wirklich schlau war, die vielen Tiere mit zur Oma zu nehmen, damit es nicht so ein Gelaufe ist?Beste Lesezeit: Wenn Wünsche aufkommenEmpfohlenes Alter: Ab fünf Jahren. Am Anfang war die ZahlEinst schrieb Ernst Gombrich den Klassiker »Weltgeschichte für Kinder«. Dieses Buch zweier Mathematiker über die Geschichte der Mathematik könnte einen ähnlichen Status erlangen. Das liegt zum einen an der Optik: Die mathematischen Illustrationen der in New York lebenden russischen Illustratorin Natalja Jaskina sind verständlich und das Layout übersichtlich. Zudem bringt Jaskina Humor in die Darstellungen, und alle Figuren haben einen persönlichen Ausdruck. Und dann die Texte: Wie es sich für ein modernes Sachbuch gehört, berücksichtigt das russisch-israelische Autorenteam Erkenntnisse aus der ganzen Welt und hat diese in vernünftige Textportionen gepackt, die anspruchsvoll, aber verständlich formuliert sind.Was ist hier los? Bevor jemand die ersten Zähltricks ausheckte, begann menschliches Leben in einer Welt ohne Zahlen. Das Buch handelt zum Beispiel von Zeitmessung, Arithmetik im alten Ägypten, den Griechen mit ihrem Satz des Pythagoras, Astronomie, Planetenbewegungen und der chinesischen Zahl Fu. Eine schöne Übersicht sind außerdem die Zeitleisten von der Alten Welt bis zum 21. Jahrhundert.Die Chronologie dieses Buches macht deutlich, welch enorme Bedeutung mathematische Erkenntnisse für die Menschheit hatten. Je länger ich darin blättere, desto besser verstehe ich, dass erst aus der geschichtlichen Perspektive viele (nicht alle) mathematische Schlussfolgerungen und Ergebnisse verständlich werden und einen Sinn bekommen. Beste Lesezeit: Zum Warmmachen vor den Matheaufgaben.Empfohlenes Alter: Für alle Menschen ab zehn Jahren. Zahlen, bitte! Lesen üben und nebenbei erste Rechenschritte tun, das ist das Ziel dieses Buches für Erstleser. Die Geschichten sind kurzweilig, aber unnötige Aussagen wie »Zahlen können doch lustig sein!«, wirken verkrampft.Was ist hier los? Dieses Mitmachbuch für Grundschüler beginnt mit einer nützlichen Bedienungsanleitung in großen Buchstaben und vielen Absätzen, die man tatsächlich lesen sollte. Dann übernehmen die Mathematierchen: Die sechs putzigen Tiere haben Namen wie Meerdreinchen, Kaneunchen oder Minusmuschel, was etwas über ihre mathematischen Vorlieben sagt. Sie führen durch fünf einfach erzählte Geschichten, die mit Rechen- und Kombinationsaufgaben vollgestopft sind.Beste Lesezeit: Statt HausaufgabenEmpfohlenes Alter: Ab sechs Jahren. ZahlreichDer »Was ist was«-Reihe haftet ein biederes Image an, möglicherweise, weil die Bände eine recht stereotype Bildsprache haben und so gar nicht mit Humor arbeiten. Das hat sich zum Glück etwas geändert, und die Bücher sind solider recherchiert als manch spektakulär aufgemachtes Sachbuch, das mit eigenwilligen Illustrationen auffallen möchte. Anders als das vorherige Buch liefert dieses Definitionen und Erklärungen über die Königin der Wissenschaften, wobei auch hier das Layout angenehm luftig und übersichtlich ist.Was ist hier los? Nach einem kleinen geschichtlichen Exkurs geht es direkt in die Praxis, also der großen Frage jeder Mathestunde: »Wozu brauchen wir das?«. Alle Bereiche der Mathematik, wie Algebra, Analysis, Spieltheorie und Geometrie, werden in einem kurzen Überblick erklärt, bevor in einzelnen Kapiteln auf jedes Thema ausführlicher eingegangen wird. So ergibt es ein gutes Nachschlagewerk.Beste Lesezeit: Am WochenendeEmpfohlenes Alter: Ab elf Jahren.
Agnes Sonntag
Keinen Bock auf Mathe? Dann könnte etwas Literatur helfen: Fünf Bücher für Kinder ab drei Jahren im Test. Sie erzählen die Geschichte der Disziplin, berichten über ihren Nutzen und ein Leben ohne Zahlen.
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Tests
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2023-08-21T15:48:43+02:00
2023-08-21T15:48:43+02:00
https://www.spiegel.de/tests/kinder-und-jugendbuecher-ueber-mathematik-alles-was-zaehlt-a-329fd8d9-02bc-4f00-9f1a-848add5f41f9
Cannes: Gus van Sant, Sea of Trees, Nanni Moretti, Mia Madre
In unserem digitalen Zeitalter ist fast alles messbar und berechenbar, nur eines nicht: Wann Gus Van Sant mal wieder einen guten Film macht. Über acht Jahre sind seit dem grandiosen "Paranoid Park" vergangen, danach rückten seine Filme zusehends an den Kitschabgrund. Dass sein neuestes Werk, das Suiziddrama "The Sea of Trees" mit Matthew McConaughey in der Hauptrolle, für den Wettbewerb von Cannes ausgewählt wurde, ließ hoffen, dass Van Sant wieder zu alter, palmenwürdiger Form gefunden hätte. Doch mit "The Sea of Trees" rückt er nicht weiter an den Kitschabgrund heran, er stürzt ihn regelrecht hinunter. "A perfect place to die" googelt Arthur (Matthew McConaughey), als er mit der Planung seines Suizids beginnt. Gleich das erste Suchergebnis überzeugt ihn: Der Aokigahara-Wald in Japan soll es sein. Kaum in dem für seine hohe Suizidrate berüchtigten Wald am Fuße des Fuji-Berges angekommen, legt Arthur einen Umschlag für seine Frau Joan ab und nimmt eine erste Pille. Doch bevor er eine tödliche Dosis schlucken kann, stört ihn ein anderer Lebensmüder. Takumi (Ken Watanabe) hat sich nur halbherzig die Pulsadern aufgeschnitten, jetzt will er doch leben und braucht dafür Arthurs Hilfe. Mit für einen Suizidwilligen erstaunlicher Energie nimmt sich Arthur, anpackender Amerikaner, der er ist, der Aufgabe an. Wohin es mit den beiden Männern im Folgenden geht, wird gleich in der nächsten Szene geklärt: Im Zwiegespräch darüber, warum sie sich töten wollen, äußert Arthur Zweifel an der Existenz Gottes - und stürzt daraufhin eine tiefe Böschung hinunter. Zum Glück hat er einen Asiaten an seiner Seite, der sich nicht nur medizinisch, sondern auch spirituell um ihn kümmern kann. Denn in der Sinnkrise lohnt es sich für einen Westler immer, sich gen fernöstliche Lebensweisheit zu orientieren. Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll mit der Aufzählung der schrecklichen Fehlgriffe und Misstöne in "The Sea of Trees", von seinem miesen Orientalismus bis zu seiner grauenhaft süßlichen Musik. Grotesk unlogische und irrsinnig kitschige Drehbucheinfälle reihen sich hier aneinander, das einzig Fantasievolle an ihnen ist ihre schiere Masse. Vielleicht hat Drehbuchautor Chris Sparling "awesome plot points" gegoogelt? Wenn ja, hat er sich wie seine Hauptfigur Arthur mit den erstbesten Suchergebnissen zufriedengegeben. Selbst Matthew McConaughey kann hier nichts mehr ausrichten. Er bietet nur eine lasche Variante der körperlich wie seelisch aufs Härteste geprüften Heldenfigur, die ihn in den vergangenen Jahren zum Superstar und Oscar-Gewinner gemacht hat. Eine rundum genervte Kritikerschaft begleitet die letzten Bilder von "The Sea of Trees" mit lauten Buhrufen. Subtileres Pathos fährt Nanni Moretti im anschließenden Wettbewerbsfilm "Mia Madre" (Meine Mutter) auf. Im Mittelpunkt steht die Filmregisseurin Margherita (Margherita Buy), die gerade einen Film über einen Arbeitskampf in einer Fabrik dreht, als ihre Mutter (Giulia Lazzarini) schwer erkrankt. Fortan versucht Margherita, die aufreibenden Dreharbeiten mit regelmäßigen Besuchen im Krankenhaus zu verbinden. Als ihr amerikanischer Hauptdarsteller Barry (John Turturro) auf dem Set eintrifft, sie erst für seine Chauffeurin hält und dann seinen Text vergisst, ist es jedoch vorbei mit Margheritas prekärer seelischer Balance. Sie fängt an zu zweifeln, an ihren Beziehungen und an ihrer Arbeit. Nur dass ihre Mutter weiterleben wird - davon ist sie trotz aller gegenteiligen ärztlichen Befunde überzeugt. Mit großer Geduld und in würdevollen Bildern erzählt Moretti vom langsamen Siechtum der Mutter. Bei ihr findet "Mia Madre" zu seinen zärtlichsten Momenten. Für seine Hauptfigur Margherita hat Moretti dagegen deutlich weniger Mitgefühl. Er scheint zwar auf ihrer Seite zu sein, wenn er sich mit ihr durch den Irrsinn von Dreharbeiten kämpft. Doch das dröge Sozialdrama, das sie dreht, möchte man auf keinen Fall in echt sehen. Mehr noch: Man weiß nicht, ob sie als Regisseurin überhaupt etwas taugt. Ihre einzige Regieanweisung an die Darsteller, dass sie immer auch sich selbst neben der Rolle spielen sollen, verstehen diese nicht. Und sie selber eigentlich auch nicht. Bei einer kreativen Schaffenskrise will es Moretti aber nicht belassen, er setzt Margherita auch auf persönlicher Ebene zu. Ihre pubertierende Tochter hat ihr nicht von ihrer ersten Liebe erzählt, ein ehemaliger Liebhaber wirft ihr emotionale Kälte vor, und kochen - das macht der Film gleich zwei Mal deutlich - kann sie auch nicht. Weil das als Demontage aber immer noch nicht reicht, setzen Moretti und seine Co-Autoren Francesco Piccolo und Valia Santella Margherita gleich zwei Gegenentwürfe entgegen. In einer äußerst eitlen Nebenrolle spielt Moretti ihren Bruder Giovanni, der seine Work-Life-Balance bestens im Griff hat und der kranken Mutter frisch gekochte Pasta und sorgfältig filetierten Fisch ans Krankenbett bringt. Die Mutter selbst ist wiederum eine tolle Lehrerin gewesen, deren Schüler sie noch nach Jahrzehnten besuchen und von ihr als Ersatzmutter schwärmen. Von solchen Liebes-, ja sogar einfachen Respektbekundungen ist Margherita indes weit entfernt. Warum? Weil sie sich für den Beruf der Regisseurin und gegen die Fürsorglichkeit entschieden hat, legt "Mia Madre" als Deutung nahe. Cannes und die Regisseurinnen - das scheint sogar auf der Leinwand ein schwieriges Verhältnis zu sein.
Hannah Pilarczyk
Gus Van Sants Suizid-Schmonzette "The Sea of Trees" mit Matthew McConaughey wird als erster Film des Festivals herzhaft ausgebuht. Nanni Moretti huldigt in "Mia Madre" den fürsorglichen Frauen - und stichelt gegen Kolleginnen.
[ "Filmfestspiele Cannes", "Gus Van Sant", "Matthew McConaughey", "Kino", "Neue Filme und Serien", "Cannes" ]
Kultur
Kino
2015-05-16T14:04:00+02:00
2015-05-16T14:04:00+02:00
https://www.spiegel.de/kultur/kino/cannes-gus-van-sant-sea-of-trees-nanni-moretti-mia-madre-a-1034046.html
Hundeattacke an Neujahr: Mädchen wurde von verbotenem Kampfhund zerfleischt
London - Der Pitbull-Mischling "Reuben" griff die fünfjährige Ellie Lawrenson am frühen Morgen des 1. Januar in einem Haus in Ecclestone in der Nähe von Liverpool an. Das Mädchen hatte die Silvesternacht bei ihrer Großmutter Jackie Simpson, 46, verbracht. Sie verblutete am Unfallort. Der Mischling, der noch am Tatort erschossen wurde, gehörte dem Onkel des Mädchens, der zum Zeitpunkt des Angriffs nicht da war. Die Haltung solcher Hunde ist in Großbritannien allerdings schon seit 1991 untersagt, jedoch wird nicht bei jedem einzelnen Kampfhund-Mischling die DNA überprüft. Bei "Reuben" benötigten Experten mehr als 24 Stunden, um herauszufinden, dass es sich um einen verbotenen Mischling handelte. Der "Daily Mail" zufolge hat der Hundebesitzer Kiel Simpson, 23, von den städtischen Behörden bereits zwei offizielle Warnungen erhalten. Im Mai 2006 griff sein damals sechs Monate alter Welpe den Nachbarshund an, nur acht Wochen später gingen Beschwerden über lautes Hundegebell bei der Behörde ein. Nachbarn erzählten der Zeitung außerdem, dass Kiel Simpson seinen Hund auf Angriffe "trainiere". Der junge Mann war der Polizei bereits wegen Drogenbesitz bekannt: Im August 2003 wurde er zu 21 Monaten in einer Jungendvollzugsanstalt verurteilt, weil er Cannabis im Wert von etwa 36.000 Euro in seinem Auto schmuggelte. Schon seit 1991 ist in Großbritannien die Haltung von Pitbull-Terriern, Japanese Tosa, Dogo Argentino, Fila Brazileiro sowie bestimmten Mischlingen dieser Rassen verboten. Mit welcher Strafe Kiel Simpson zu rechnen hat, ist noch unklar, denn bisher können Hundehalter in Großbritannien nur dann verurteilt werden, wenn die Hundeattacke an einem öffentlichen Ort stattfindet. Die lückenhafte Gesetzgebung soll nun überarbeitet werden. Derzeit kann alleine die Haltung einer der verbotenen Hunderassen bis zu 7500 Euro kosten oder bis zu sechs Monaten Haft bedeuten. sne
Schock in Großbritannien: Ein Hund hat am Neujahrstag ein fünfjähriges Mädchen getötet. Jetzt fanden die Ermittler heraus, dass das Tier ein Kampfhund war, wie er auf der Insel schon seit 1991 verboten ist.
[ "Angriffe von Hunden" ]
Panorama
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2007-01-03T18:49:47+01:00
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https://www.spiegel.de/panorama/hundeattacke-an-neujahr-maedchen-wurde-von-verbotenem-kampfhund-zerfleischt-a-457587.html
Letzter Versuch
Wahrscheinlich waren sie einmal eine Familie gewesen, so wie die Ruinen um sie eine Stadt. Jetzt waren beide, die Familie und ihre Stadt Hué, nur nocH Reste, die nicht wußten, ob sie überleben würden.Über den brüchigen Brettersteg, der das Stahlgewirr überspannte, das einst eine Brücke war und nun im Fluß lag, krochen zwei alte Leute, blutüberströmt vom Kopf bis zur Hüfte, aneinandergeklammert und von einem Halbwüchsigen gestützt. Hinter ihnen kam ein junger Mann, unverletzt. Er trug ein kleines Mädchen, sechs vielleicht und tot. Sie waren nur eine Familie von Tausenden, die mit ihrer Stadt, dem alten Kaisersitz im annamitischen Hochland, litten oder starben.3000 Opfer, so verkündete die Regierung in Saigon am selben Tag, habe die Neujahrs-Offensive der Vietcong unter der Zivilbevölkerung in ganz Vietnam (außerhalb von Saigon) gefordert -- eine Wunsch-Ziffer wie viele andere Zahlen auch: Insgeheim schätzten die Amerikaner in Saigon die Zahl der zivilen Opfer auf 21 000, und mindestens 3000 gab es allein in Hué. Aber vielleicht zählt diese Stadt nicht für Saigon, obwohl es die drittgrößte des Landes ist: Denn Hué, die Metropole von Glorie und Geist Vietnams, wo einst Präsident Ho Tschiminh und sein Premier Pham Van Dong zur Schule gingen, ist auch Zentrum seiner rebellischen Jugend.Vor mehr als anderthalb Jahrhunderten hatte Kaiser Gia Long von Hué aus erstmals ein vereintes Vietnam regiert. Seither war die Stadt zwischen dem »Fluß der Wohlgerüche« und den Königsbergen immer ein Symbol .für das Land gewesen. In Hué wuchs der Widerstand gegen die französischen Kolonial-Herren -- und die Stadt büßte dafür im ersten Indochina-Krieg.In Hué putschten 1966 Buddhisten und Intellektuelle gegen den Amerikahörigen Fliegermarschall Ky und zündeten das amerikanische Generalkonsulat an. Es war ein letzter Versuch, von der alten Metropole aus -- die nicht nur geographisch mitten zwischen Saigon und Hanoi liegt -- eine dritte, nationalistische Kraft zwischen Kommunisten und Korruptionisten zu schaffen.Der Versuch scheiterte, und fortan waren die Bürger von Hué mehr gegen die Amerikaner als gegen die Kommunisten. So konnten die roten Soldaten und Guerillas, drei Regimenter stark, die Stadt als Hauptziel ihrer Tet-Offensive kampflos nehmen. Sie erkoren Hué zu ihrem Alkazar. Als in anderen gestürmten Städten nur noch rote Scharfschützen und Sabotage-Trupps übrig waren, wehte über dem Kaiserpalast der Zitadelle von Hué noch immer die kommunistische Flagge.Südvietnamesische Infanteristen, Fallschirmjäger und Ranger schafften nicht, was ihre Generale befahlen: Hué zu nehmen, und zwar schnell. Amerikas Ledernacken eroberten im Nahkampf die Vorstadt südlich des Flusses, scheiterten aber an den fast vier Meter dicken Mauern der Zitadelle.Das war das Todesurteil für die Stadt. Sie blutete schon vorher aus vielen Wunden. Die Universität und die mit deutscher Hilfe erbaute Neurologische Klinik waren verwüstet, der Markt war eingeäschert, in den Ruinen zwischen den Fronten starben Hunderte von Menschen, ohne Wasser, ohne Nahrung, ohne medizinische Hilfe. (Die deutschen Ärzte der Klinik waren in die Hände der Vietcong geraten und mußten rote Verwundete versorgen.) 30 000 Menschen flüchteten, zu Fuß in die Dörfer und Berge um die Stadt, auf Sampans den Fluß hinunter, oder sie verkrochen sich unter den Trümmern der Vorstädte. Im Stadtzentrum aber hielten sich, verstärkt durch Studenten und Buddhisten, die roten Soldaten und Guerillas unter dem Kommando eines Generals aus Hanoi.Doch die heimliche Hauptstadt des Landes durfte nicht in der Hand des Feindes bleiben. US-Oberbefehlshaber General Westmoreland schickte seinen Stabschef, General Abrams, nach Hué. Erstmals seit Amerikas nun schon legendärem Pazifik- und Korea-General MacArthur übernahm ein Armeegeneral das Kommando über Marine-Infanteristen. Abrams entschied: Wenn Hué nicht genommen werden könne, solle es zerstört werden.SPIEGEL-Redakteur Siegfried Kogelfranz sah, wie die Amerikaner begannen, das Todesurteil für Hué zu vollstrecken. Am letzten Mittwoch um 12.14 Uhr -- dem 16. Tag der Schlacht -- stieß der erste F-8-Crusader-Jet der Mannes aus Richtung der Königsberge, die Hué vor stürmischen Südwinden schützen, auf die Dächer der Zitadelle nieder. Dunkle Feuerbälle blitzten auf und formten sich zu schwarzen Rauchpilzen.Skyraider der südvietnamesischen Luftwaffe versuchten, die Zitadellen-Mauern mit Sprengbomben zu brechen, Hubschrauber-Gunships schossen mit Raketen und Gasgranaten, vor der Küste ankerten US-Kriegsschiffe und eröffneten das Feuer aus ihren 152-Millimeter-Geschützen. Es war das größte kombinierte Luft-, See- und Landbombardement einer südvietnamesischen Stadt. Doch über den Fluß kamen nur neue Flüchtlinge und Verwundete -- wie immer in Vietnam Kinder, Frauen, Greise.
[ "Vietnam" ]
Politik
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1968-02-18T13:00:00+01:00
1968-02-18T13:00:00+01:00
https://www.spiegel.de/politik/letzter-versuch-a-a177d9ac-0002-0001-0000-000046122812?context=issue
Schätze im Hafen des Herodes
Die wohl ungewöhnlichsten Hafenanlagen des Altertums legen derzeit Taucher und Archäologen im israelischen Caesarea frei. Der von Herodes dem Großen im Jahre 10 vor Christus vollendete Hafen galt als Handelsknotenpunkt für das gesamte Mittelmeer. Für die Konstruktion bot der jüdische König die besten Ingenieure seines Reiches auf, denn Hafenanlagen (wie etwa die Mole) mußten unter Wasser gebaut werden, da Caesarea über keine geschützte Bucht verfügte. Der westliche Teil der nach Cäsar Augustus benannten Hafenstadt war im vierten Jahrhundert abgesunken. An Land haben Ausgrabungsteams aus den USA, Kanada, Europa und Israel bereits Schätze geborgen, die von der Bedeutung des Hafens zeugen: 15 000 Münzen, 20 Tonnen Töpferwaren, vor allem aber fünf große Blocks von Lagerhäusern. Jetzt arbeiten die Archäologen an der Freilegung der Hauptstraße mit einem von Säulen flankierten Gehweg aus Mosaiken.
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Wissenschaft
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1980-08-24T13:00:00+02:00
1980-08-24T13:00:00+02:00
https://www.spiegel.de/wissenschaft/schaetze-im-hafen-des-herodes-a-d9f8ce0a-0002-0001-0000-000014324871?context=issue
Hopi-Masken trotz US-Intervention unter dem Hammer in Paris
Paris - Kein Aufschub im Streit um den Verkauf wertvoller Hopi-Masken: Das in Paris ansässige Auktionshaus EVE hat eine Bitte der US-Botschaft abgelehnt, die Versteigerung der 25 Masken zu verschieben. Den Indianern vom Stamme der Hopi sowie den San-Carlos-Apachen sollte die Möglichkeit gegeben werden, die Herkunft der Objekte zu prüfen, hieß es in der am Samstag schriftlich übermittelten Bitte. Die Stammesvertreter wollten herausfinden, ob sie die Masken gemäß einer Unesco-Konvention über den illegalen Handel mit Kulturgütern zurückfordern können. Die Organisation Survival International  hatte versucht, die Versteigerung der Masken gerichtlich zu verhindern. Das Auktionshaus argumentierte nun, dass die Hopi bereits die Möglichkeit gehabt hätten, ihre Argumente vor Gericht vorzutragen. Die Einwände seien aber von der Justiz zurückgewiesen worden. Außerdem habe es einen Briefwechsel mit den San-Carlos-Apachen gegeben. Jetzt soll die Auktion wie geplant um 14 Uhr stattfinden. Die Masken, die von den Hopi "Katsinam" genannt werden, stellen Geister dar und werden bei religiösen Zeremonien und Tänzen getragen. Schon die Abbildung der Objekte ist laut Survival International für die Indianer eine Beleidigung ihrer Tradition. Zwar könne die Auktion die Würde des Indianerstammes verletzen, hatten Vertreter des Auktionshauses vor Gericht zugegeben. Diese "moralische und philosophische Betrachtung" rechtfertige aber keine einstweilige Verfügung gegen die in Frankreich nicht verbotene Versteigerung der Masken, erklärte das Gericht. In den Vereinigten Staaten ist der Verkauf indianischer Kultobjekte verboten. Bereits im April waren Dutzende Kultgegenstände der Hopi in Frankreich versteigert worden - für mehr als 900.000 Euro. In den Streit über diese Auktion hatte sich unter anderem Hollywood-Star Robert Redford eingeschaltet, der den Verkauf als "Sakrileg" und "kriminellen Akt" bezeichnete.
ala/AFP
Selbst eine Bitte der US-Botschaft hatte keinen Erfolg: Trotz Protesten sollen in Paris wie geplant kostbare Masken zweier Indianerstämme versteigert werden. Für die Ureinwohner ist es ein schwerer Schlag.
[ "Indianer" ]
Panorama
Gesellschaft
2013-12-09T13:12:00+01:00
2013-12-09T13:12:00+01:00
https://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/hopi-masken-trotz-us-intervention-unter-dem-hammer-in-paris-a-937976.html
Wetter am Wochenende: Schnee in Bayern - Lawinengefahr in den Alpen
Der Winter hat lange auf sich warten lassen, aber nun erwartet der Deutsche Wetterdienst (DWD) zumindest in den Alpen und in den östlichen Mittelgebirgen viel Schneefall. Die Schneefallgrenze liege bei etwa 700 bis 1000 Metern, sagte ein Sprecher.Bis Montag rechnen die Meteorologen im Alpenvorland mit zehn bis 30 Zentimeter Neuschnee. Deutlich mehr soll es in den Nordstaulagen schneien. Dort staut sich die Luft vor Gebirgen oder Hügelketten und kann nicht einfach weiterziehen. Stattdessen steigt sie in die Höhe, kühlt ab, und es kommt zu verstärkter Wolkenbildung mit Niederschlag. In den Chiemgauer Alpen und dem Berchtesgadener Land werden selbst bis zu 100 Zentimeter Neuschnee nicht ausgeschlossen. Es muss auch mit Glätte gerechnet werden. Mit Blick auf den Schneefall in Bayern warnen die Bergwacht und der Deutsche Alpenverein vor Ski- oder Wandertouren in unsicheren Gebieten. Die Einsatzkräfte der Bergwacht sind nach eigenen Angaben in Alarmbereitschaft, rechnen aber nicht mit mehr Rettungseinsätzen. "Wenn die Lawinengefahr bei vier oder fünf auf der Skala liegt, sind wesentlich weniger Leute unterwegs", sagte David Pichler von der Bergwacht Chiemgau. Verkehrsbehinderungen erwartetLaut Thomas Bucher vom Deutschen Alpenverein wird sich die Lawinengefahr in den nächsten Tagen noch verschärfen. Deswegen sollte man vor geplanten Touren unbedingt den Lawinenlagebericht der Warnzentrale checken. Auf den gesicherten Pisten müsse aber niemand Angst haben.Schnee dürfte am Wochenende auch in den Hochlagen von Schwarzwald, Schwäbischer Alb, Bayerischem Wald und Erzgebirge zu sehen sein. Der Nachteil: Von der Nacht zu Samstag an dürfte der Schnee zu massiven Behinderungen auf Straßen und Schienen führen. Zudem sei der recht nasse Schnee in Kombination mit teilweise stark böigem Wind eine Gefahr für Bäume, aber auch für Ober- und Stromleitungen, warnte der DWD-Experte Sebastian Schappert. Unter der massiven Schneelast können sie im schlimmsten Fall sogar zusammenbrechen.In der Norddeutschen Tiefebene dagegen bleibt es am Wochenende wohl frostfrei - an der Nordsee können die Temperaturen sogar bis acht Grad betragen. In höheren Berglagen dagegen dürfte leichter Frost herrschen.
wit/dpa
Am Wochenende startet der Winter richtig durch - zumindest in den östlichen Mittelgebirgen und den Alpen. Meteorologen erwarten bis zu einem Meter Neuschnee. Doch auch die Lawinengefahr steigt.
[ "Wetter", "Bayern", "Alpen" ]
Panorama
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2019-01-04T14:03:00+01:00
2019-01-04T14:03:00+01:00
https://www.spiegel.de/panorama/wetter-am-wochenende-schnee-in-bayern-lawinengefahr-in-den-alpen-a-1246458.html
Sanktionen gegen Russland: EU-Außenminister einigen sich auf achtes Sanktionspaket
Der Westen quittierte Russlands Überfall der Ukraine mit mehreren Sanktionspaketen, Russlands Präsident Wladimir Putin bezeichnete diese mehrfach als »wirtschaftlichen Blitzkrieg« des Westens gegen Russland. Der geht nun in die nächste Runde.Die Außenminister der Europäischen Union haben bei einem Sondertreffen am Mittwoch die Verhängung neuer Sanktionen gegen Russland als Reaktion auf dessen Teilmobilisierung für den Krieg in der Ukraine erörtert. »Wir werden neue restriktive Maßnahmen prüfen, wir werden sie verabschieden«, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell Journalisten nach dem Treffen am Rande der Uno-Vollversammlung in New York . Eine endgültige Entscheidung müsse jedoch bei einer formellen Sitzung getroffen werden, fügte er hinzu. Borrell deutete an, dass neue Sanktionen sich sowohl gegen Einzelpersonen als auch auf bestimmte Branchen beziehen würden. Putin hatte am Mittwochmorgen in einer Fernsehansprache die Teilmobilmachung der Russen im wehrfähigen Alter angekündigt. Nach Angaben von Verteidigungsminister Sergej Schoigu sollen 300.000 Reservisten die russischen und separatistischen Kräfte im Süden und Osten der Ukraine verstärken. Die Teilmobilmachung wurde von westlichen Staaten scharf kritisiert. Borrell und Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) werden heute an einer Sitzung des Uno-Sicherheitsrats zum Ukrainekrieg teilnehmen.
muk/AFP
Bislang vermochten die über Russland verhängten Sanktionen den Krieg in der Ukraine nicht zu stoppen. Mit der Teilmobilisierung hat der Kreml eine neue Eskalationsstufe erreicht – und die EU reagiert.
[ "Sanktionen gegen Russland", "Ukraine", "Russland", "Wladimir Putin" ]
Ausland
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2022-09-22T06:55:57+02:00
2022-09-22T10:06:00+02:00
https://www.spiegel.de/ausland/sanktionen-gegen-russland-eu-aussenminister-einigen-sich-auf-achtes-sanktionspaket-a-100e1b51-391b-42bf-aef7-3a28d739824e
Frankfurt: Schmuggler versteckte 25 Kilo Kokain in Deorollern
Frankfurt/Main - Zollfahnder haben am Frankfurter Flughafen 25 Kilogramm Kokain entdeckt, das in Deorollern versteckt war. Ein 41-jähriger Nigerianer habe das Kokain aus Venezuela in seinem Reisegepäck einschmuggeln wollen, teilte das Hauptzollamt am Donnerstag in Frankfurt mit. Der Mann hatte jeweils 30 Gramm des Rauschgifts in 801 Deorollern deponiert und auf fünf Koffer verteilt, die er aufgab. Die beiden Spürhunde am Frankfurter Flughafen ließen sich von der stark parfümierten Substanz jedoch nicht in die Irre führen und schlugen an. Wie das Zollamt mitteilte, waren die Deoroller funktionstüchtig und die in Plastik eingewickelten Kokainkugeln erst nach Entfernen des Rollkopfes und der Flüssigkeit zu erkennen.Den Wert des reinen Rauschgifts schätzt das Hauptzollamt auf rund 1,25 Millionen Euro. Der Schmuggler kam in Untersuchungshaft. Am Frankfurter Flughafen wurde im vergangenen Jahr rund eine Tonne Rauschgift sichergestellt, darunter 400 Kilogramm Kokain.
siu/apn
Den Zollfahndern am Frankfurter Flughafen ist ein großer Coup gelungen: Sie haben einen Drogenschmuggler mit Kokain im Wert von rund 1,25 Millionen Euro erwischt. Die Nasen der Spürhunde hatten sich von ablenkendem Parfümgeruch nicht täuschen lassen.
[ "Für zwischendurch", "Frankfurt am Main" ]
Panorama
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2010-09-09T13:01:00+02:00
2010-09-09T13:01:00+02:00
https://www.spiegel.de/panorama/frankfurt-schmuggler-versteckte-25-kilo-kokain-in-deorollern-a-716580.html
Titel: Marktplatz der Natur
Der Emissär aus Europa kommt aus dem Staunen nicht heraus. Handtellergroße Schmetterlinge flattern um seine Nase. Orchideen hängen in Kaskaden von den turmhohen Bäumen herab. Nashornvögel gleiten über die Wipfel. Der satte Geruch von Werden, Wachsen und Wuchern liegt in der Tropenluft. Mehr als 10 000 Pflanzen- und 400 Säugetierarten haben Biologen im gesamten Kongobecken schon aufgespürt. Die Lebewesen halten den zweitgrößten zusammenhängenden Regenwald der Welt am Laufen, einen der gewaltigsten Kohlenstoffspeicher des Planeten. Genau aus diesem Grund stapft Hans Schipulle, 63, an diesem schwülen Vormittag durch die Wildnis der Zentralafrikanischen Republik in der Nähe des Sangha-Flusses. "Dieser Wald speichert Kohlendioxid und bremst so die Erderwärmung, er reguliert die globale Wasserversorgung und birgt wertvolle Pharma-Wirkstoffe", doziert Schipulle, ein Umweltveteran im Dienst der Bundesregierung. "Dies sind Dienstleistungen, die uns endlich etwas wert sein müssen." Schipulle ist in brisanter politischer Mission unterwegs. Seit Dezember führt er die von US-Amerikanern, Europäern und den Fluss-Anrainern gegründete Kongobecken-Waldpartnerschaft an. Die Allianz will verhindern, dass das Kongobecken bis zur Jahrhundertmitte ausgeplündert, der Wald verhökert, umgegraben, mit Ölpalmen und Kaffee überpflanzt wird. Noch ist der Kongowald weitgehend erhalten. Investoren aus aller Welt wittern hier nun aber das große Geschäft. Es geht um Erze, Diamanten, Plantagen und Holz. Doch Schipulle und seine Partner haben andere Pläne: Sie wollen, dass internationale Finanzinstitute oder die Staatengemeinschaft Geld für den Regenwald hergeben - damit er bleibt, wie er ist. Denn der drohende Kahlschlag birgt eine doppelte Gefahr: Der Kongowald entfiele als eine kühlende Klimaanlage des Planeten. Kohlendioxid (CO2) aus Brandrodung würde zudem die Erderwärmung weiter anheizen. Der traditionelle Konflikt zwischen Naturschutz und Kampf gegen die Armut ist im nahen Dorf Bayanga wie unter der Lupe zu beobachten. Die Bewohner profitierten bisher noch vom Ausverkauf des Waldes. Ein Sägewerk brachte 370 Menschen in Lohn und Brot. Seit einiger Zeit aber liegt die Anlage still. Mit einem Brandbrief seiner Kongo-Allianz an die Regierung in Bangui hat Schipulle verhindert, dass 4520 Quadratkilometer Wald einer dubiosen Holzgesellschaft zum Raubbau zugeschanzt wurden. Ein kleiner Sieg für die Natur - doch die Dorfbewohner wollen Arbeit und Einkommen. Ein Öko-Tourismus-Projekt des World Wide Fund for Nature (WWF) und der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit bietet bisher nur 94 Menschen Arbeit. Es bringt der Kommune rund 10 000 Euro im Jahr - zu wenig, um die Armut zu lindern. Wie soll Schipulle den Menschen von Bayanga erklären, was ihr Wald für die Welt bedeutet? Ist es wirklich möglich, dass schon bald Ökotourismus, naturnahe Forstwirtschaft und Ökokaffeeplantagen am Rand der künftigen Waldschutzgebiete die Männer, Frauen und Kinder des Dorfs werden ernähren können? Schipulle glaubt fest an diese Vision. Schon plant die Weltbank, das ganze Kongobecken in ihr "Forest Carbon Partnership"-Programm einzubeziehen. Die Banker aus Washington wollen mit dem vom Kongowald gebundenen CO2 in den Emissionshandel einsteigen. Rund 20 Prozent des Klimawandels entstehen aus Entwaldung in Tropenregionen. Waldschutz ist daher auch Klimaschutz. Und dafür ist die Weltgemeinschaft zunehmend bereit, viel Geld zu bezahlen. Die mögliche Rettung des Kongowalds ist nur ein Beispiel von vielen. Ein neues Zeitalter des Naturschutzes bricht an: Wälder, Kräuter und Korallenriffe erhalten erstmals einen Wert und werden damit gleichzeitig schützenswert - ein Paradigmenwechsel für die Ökobewegung. Jenseits aller Naturromantik treiben Regierungen, Naturschützer und Wissenschaftler neue Fragen um, deren Antworten die Zukunft des Menschen bestimmen werden: Was kostet die Erde? Lässt sich der Wert ihrer Vielfalt bemessen? Wie viel muss uns das Inventar des Planeten wert sein? Und schließlich: Wer soll die Zeche jahrzehntelanger Misswirtschaft auf Kosten der Natur bezahlen? Um all diese Fragen von betäubender Wucht geht es ab diesem Montag auf der Uno-Naturschutzkonferenz in Bonn. Unter deutschem Vorsitz werden die Vertreter von 191 Staaten und rund 250 Umwelt-, Naturschutz- und Entwicklungshilfeorganisationen beraten, wie der Schwund an Arten und natürlichen Lebensräumen gebremst werden kann. Dutzende Beschlussvorlagen, gespickt mit vielen strittigen Passagen, liegen bereit, geschrieben in der Bürokratensprache des internationalen Verhandlungswesens. Sperrig und nüchtern ist auch der offizielle Name der Welttagung: die 9. Vertragsstaatenkonferenz des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (Convention on Biological Diversity, kurz CBD). Dabei geht es um nichts Geringeres als die Zukunft des Planeten: um das dramatische Versagen des Menschen, seinen Kindern eine lebenswerte Erde zu hinterlassen; um den Sieg der Unvernunft und des Egoismus über die dauerhafte Sicherung der Lebensressourcen; um die Missachtung der Natur und des biologischen Erbes in seiner ganzen Mannigfaltigkeit. Wildnis, Arten, Lebensräume und Ökosysteme verschwinden in nie dagewesenem Tempo. Tag für Tag radieren Menschen (je nach Schätzung) zwischen 3 und 130 Arten aus. Alljährlich fallen den Sägen der Holzarbeiter Urwälder von der anderthalbfachen Fläche der Schweiz zum Opfer. Moore verschwinden, Flüsse werden in Beton gezwängt, Berghänge erodieren zur Ödnis. Immer größer werden die Agrarwüsten der Erde, weil auf den Feldern inzwischen nicht nur Pflanzen für die Ernährung wachsen, sondern auch Zuckerrohr oder Palmöl für die Biospritproduktion. Just vergangene Woche unterzeichnete Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Brasilia ein Energieabkommen mit Brasiliens Präsidenten Lula da Silva. Das Land soll weiter Biosprit nach Deutschland liefern dürfen, wenn es bestimmte Umweltstandards einhält. Für viele Naturschutzorganisationen ist der Deal dennoch ein Sargnagel für den Amazonaswald. Zudem verstärken sich Naturzerstörung und Erderwärmung gegenseitig. Wenn der Meeresspiegel steigt und gleichzeitig Mangrovenwälder verschwinden, liegen die Küsten schutzloser da denn je. Wenn Kohlendioxid das Meer weiter versauert, werden die Kalkstrukturen von Korallen, Schnecken und Muscheln brüchig. Es geht um das Überleben von Exoten wie Kahlkopfgeier und Banggai-Kardinalbarsch, Golftümmler, Santa-Catalina-Klapperschlange und Gangesgavial. Doch es geht auch um das Überleben des Menschen selbst: Mangrovenwälder schützen die Küsten vor Überflutungen. Auch in Burma hätten intakte Mangroven die Überschwemmung möglicherweise lindern können. Ohne Korallen gäbe es viele Fische nicht, weil die Flossentiere im Schutz der Riffe aufwachsen. Das Leben in den Meeren birgt potentielle Krebsmedikamente, die Ökonomen mit bis zu einer Milliarde Dollar pro Jahr veranschlagen. Auch was dem Menschen lieb und teuer ist, gehört zur Biodiversität: Filets vom Steinbutt etwa, Gartenmöbel aus Teakholz, Kaviar von russischen Stören, aber auch der Gesang der Nachtigall, der Duft des Flieders, der Blick auf wilde Berge, lichte Auen und dichten Dschungel. Die CBD-Vertragsstaaten wissen um diesen Reichtum. "Signifikant" wollen sie daher den Verlust an Ökosystemen und Arten bis zum Jahr 2010 bremsen. Doch was genau bedeutet dieses "hinreichend unscharfe Ziel", fragt Jochen Flasbarth, Abteilungsleiter Naturschutz des Bundesumweltministeriums (BMU), sarkastisch? Rund 6000 Experten werden in Bonn um derlei Begriffe ringen. Im besten Fall füllen sie die Worthülsen mit Sinn. Im schlechtesten Fall kommt es zu faden Absichtserklärungen. Beschlüsse treffen die Vertragsstaaten nur im Konsens. Daumenschrauben für Verhinderer gibt es nicht. Immerhin, die Denkansätze sind vielversprechend: * Ein weltweites Netz von Schutzgebieten mit repräsentativen Lebensräumen ist ein Ziel. * Nach Vorbild des Weltklimarats wollen die Delegierten ein wissenschaftliches Beratergremium für die Biodiversitätskonvention schaffen, das Forschung und Politik verzahnt. * Der faire Interessenausgleich zwischen den Entwicklungsländern mit ihrer überbordenden Vielfalt und den Industrieländern, die diese Ressourcen nutzen wollen, steht auf der Agenda. * Nach neuen Finanzierungsmechanismen für den Schutz der Vielfalt wollen die Experten fahnden. Ohne neue Geldquellen ist alles Verhandeln Geschwätz. "Es geht auf dieser Konferenz um beinharte ökonomische Interessen", sagt Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD). Es sei unerlässlich, "dem Verlust einen messbaren Preis" zu geben, andernfalls drohe die Gefahr, "die Daten von der Festplatte der Natur zu löschen". Pünktlich zur Konferenz will Bundeskanzlerin Merkel deutlich höhere Mittel für den globalen Waldschutz ankündigen. Norwegen, das 500 Millionen Dollar jährlich investiert, ist ihre Messlatte. Mit einer Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt prescht die Bundesregierung voran. Das Papier legt den für Naturschutzfragen zuständigen Bundesländern beispielsweise nahe, bald zehn Prozent der Staats- und Kommunalforste zum Urwald wuchern zu lassen. Vor allem aber will Umweltminister Gabriel erste Ergebnisse einer zusammen mit der EU initiierten Studie zu den globalen Kosten des Arten- und Lebensraumverlusts präsentieren. Das Papier mit dem Titel "The Economics of Ecosystems and Biodiversity" liegt dem SPIEGEL in Auszügen vor: Sechs Prozent des globalen Bruttosozialprodukts - umgerechnet rund zwei Billionen Euro - kostet demnach der Verlust der Biodiversität pro Jahr. Die armen Länder trifft es am härtesten. Naturwerte in Höhe der Hälfte ihrer bescheidenen Wirtschaftskraft gehen bei ihnen jährlich verloren. "Die Vielfalt zu schützen ist deutlich billiger, als ihre Zerstörung zuzulassen", sagt der indische Ökonom Pavan Sukhdev, den Gabriel und EU-Kommissar Stavros Dimas als Leiter für die Studie gewonnen haben. Tatsächlich könnte die Biodiversität künftig sogar ein Riesengeschäft werden. Die neuen Naturschützer wollen intakte Wälder verkaufen, weil sie das Treibhausgas Kohlendioxid speichern. Viel Geld versprechen sie sich von Wirksubstanzen etwa aus Kegelschnecken oder Korallen. Die letzten Oasen der Vielfalt sollen immer mehr zahlungskräftige Ökotouristen anlocken. "Bonn muss den Durchbruch bringen", fordert Achim Steiner, Chef des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (Unep). Die Versprechen des Erdgipfels von Rio de Janeiro, wo vor 16 Jahren neben der Klimarahmenkonvention auch die Biodiversitätskonvention geboren wurde, würden bis heute "nicht eingehalten oder systematisch gebrochen". Biodiversität ist nicht nur die Vielfalt an Pflanzen- und Tierarten. Sie umfasst zudem das ganze Panoptikum an Lebensräumen sowie die genetischen Informationen, die als biologischer Schatz in den zumeist unerforschten Organismen verborgen liegt. Auf 10 bis 20 Millionen Tier-, Pflanzen-, Pilz- und Mikrobenarten schätzen Experten das Inventar des Planeten. Gleichmäßig verteilt ist die Vielfalt nicht: Das Leben ballt sich an sogenannten Hot Spots, zu denen etwa die Mittelmeerküste, die tropischen Anden oder auch die Philippinen gehören (siehe Grafik Seite 138). Doch die Zukunft der Vielfalt sieht düster aus. Beispiel Deutschland: Nach dem im April veröffentlichten Bericht "Daten zur Natur 2008" des Bundesamts für Naturschutz (BfN) sind 36 Prozent aller untersuchten Tierarten Deutschlands bedroht. Mehr als zwei Drittel der hiesigen Lebensräume gelten als gefährdet. Nur 3,3 Prozent der Landesfläche sind Naturschutzgebiete. Tag für Tag verschwinden 113 Hektar Land unter Asphalt und Beton. Auch global gesehen ist die Situation alarmierend. Im vergangenen Jahr standen weltweit 16 297 bedrohte Tier- und Pflanzenarten auf der Roten Liste der International Union for Conservation of Nature (IUCN), darunter fast ein Drittel aller Amphibien, jede achte Vogelart und fast jede vierte Säugetierart. Für ihre Berechnung hat die IUCN mehr als 41 000 Arten evaluiert. Demnach liegt der Anteil der gefährdeten Arten bei knapp 40 Prozent. Und das Tempo des Niedergangs ist enorm: Eine aktuelle Unep-Schätzung kommt zu dem Ergebnis, dass die Arten heute 100-mal schneller aussterben, als es die Evolution normalerweise vorgibt. "Ein sechstes globales Massensterben hat begonnen", sagt Unep-Chef Steiner. Fünfmal stand die Artenvielfalt schon am Abgrund, weil Riesenmeteoriten mit der Erde kollidierten, Vulkane Feuer spien oder die Meere anschwollen. Heute aber sind es die mehr als 6,6 Milliarden Menschen, welche die Natur in nie dagewesenem Tempo zerstören. Sie jagen und fischen unkontrolliert. Sie verwandeln immer mehr Land in Agrarwüsten, um ihre Mägen zu füllen. Sie hacken die letzten Urwälder ab, um Biosprit für ihre Autos zu produzieren. Sie verschmutzen mit Giftstoffen das Wasser, den Boden und die Luft. Und sie schleppen Arten von einem Ende der Erde an das andere - mit teils verheerenden Folgen. Der Fußabdruck des Menschen auf diesem Globus wächst unaufhaltsam. Und Homo sapiens, der einsichtige Mensch, hat auf ganzer Linie versagt, die biologische Vielfalt der Erde zu sichern. Doch nun bahnt sich eine Revolution im Denken an. Ökologen und Ökonomen entdecken den Marktplatz der Natur. Sie schließen sich zusammen, um die Leistun- gen von Mangroven und Tollkirschen, von Walen, Mooren und Regenwäldern in geldwerten Vorteil zu übersetzen. Naturzerstörung soll nicht länger profitabel sein - Naturschutz dagegen schon. Pavan Sukhdev, Leiter der Studie zum Wert der Vielfalt, hält das für die Patentlösung schlechthin. Jetzt oder nie müsse "die Waffe Wirtschaft in die richtige Richtung schießen". Der 48-jährige Inder weist an diesem Frühlingsvormittag auf die Betonwüste des Berliner Alexanderplatzes. "So öde wird die ganze Erde, wenn wir keinen Erfolg haben", sagt Sukhdev, Leiter der Abteilung Globale Märkte der Deutschen Bank Indien mit Sitz in Mumbai. Vor zehn Jahren habe ihn eine Freundin gefragt: "Du bist doch ein Banker, warum sind manche Dinge etwas wert und andere nicht?" Auf der Suche nach einer Antwort kam er auf die Idee, Preise für Wälder, Sümpfe und Flussläufe zu berechnen. Anfangs wurden Sukhdevs Kalkulationen nur belächelt. Inzwischen ist sein Prinzip die treibende Kraft in der Naturschutz-Revolution. Ökonomen kalkulieren im Detail, was die Vielfalt für den Menschen leistet. Bienen beispielsweise sind zwei bis acht Milliarden Dollar pro Jahr wert, weil sie weltweit wichtige Agrarpflanzen bestäuben. An den Ufern von Gewässern wachsendes Schilfrohr spart allein an der mittleren Elbe 7,7 Millionen Euro jährlich ein: Die Pflanzen filtern das Wasser und machen so den Bau weiterer Kläranlagen überflüssig. An der Küste der pakistanischen Provinz Belutschistan erwirtschaftet ein Hektar intakter Mangrovenwald rund 2200 Dollar pro Jahr. Das Ökosystem ist Kinderstube für wirtschaftlich interessante Fischarten und bietet einen Schutzwall vor Fluten. Salzmarschen in Schottland sind für die Muschelindustrie der Region etwa 1000 Euro pro Hektar wert. Im deutschen Müritz-Nationalpark wiederum spülen Touristen 13 Millionen Euro jährlich in die Kassen. Die Besucher kommen, um Seeadler, Fischadler, Kraniche und Rotwild zu bestaunen. Ein globales Netz aus Schutzgebieten könnte jährlich gar rund fünf Billionen Dollar erwirtschaften, haben Forscher um den Briten Andrew Balmford errechnet. Der wirtschaftliche Nutzen der Reservate etwa für Tourismus, Klimaschutz, Nährstoffkreisläufe und Wasserhaushalt ging in die Kalkulation mit ein. Selbst der Schlüssel zur künftigen Energieversorgung der Erde könnte unentdeckt untergehen, sollte die Naturzerstörung unvermindert voranschreiten. Der US-Genforscher Craig Venter sammelte während der Reisen mit seiner Yacht "Sorcerer II" Tausende Proben von im Meerwasser lebenden Mikroorganismen. Venter hofft, in ihnen genetische Sequenzen zu finden, mit deren Hilfe künftig Treibstoffe für Autos und Flugzeuge hergestellt werden könnten. Eine Forschergruppe um den Umweltwissenschaftler Robert Costanza bezifferte 1997 den jährlichen Nutzen der Natur für den Menschen auf 33 Billionen Dollar - 1,8-mal höher als das damalige globale Bruttosozialprodukt. Die Zahlen sind gewaltig. Und doch nutzen sie den Arten und Ökosystemen wenig, denn bislang ist kaum jemand bereit, Geld für derlei Naturwerte zu bezahlen. Immer noch werden Tiere, Pflanzen, Wälder, Flüsse und Moore von den mächtigen Konzernen als kostenlose Ressource verramscht. Doch in einigen Branchen kündigt sich eine Zeitenwende an. Unternehmen setzen heute beispielsweise schon 43 Milliarden Dollar jährlich mit pflanzlichen Naturheilmitteln um. Die Wirkstoffe von 10 der 25 weltweit erfolgreichsten Medikamente stammen ursprünglich aus wildlebenden Pilzen, Bakterien, Pflanzen und Tieren. Vorläufer des Wirkstoffs in Aspirin wurden aus Weidenrinde und Mädesüß gewonnen. Das Herzmittel Digitoxin verdankt seinen Wirkstoff dem Roten Fingerhut. Mit Millionenbeträgen wird nach den neuen Megasellern der Vielfalt gefahndet. Doch nützt die Sause auch der Natur? Erste Beispiele gibt es. Im mittelamerikanischen Costa Rica beispielsweise hat die Suche nach den Wundermitteln aus dem Dschungel bereits Tradition. Schon 1989 gründete sich in der Hauptstadt San José das Instituto Nacional de Biodiversidad (Inbio). Vier Millionen Dollar investierte der Pharmakonzern Merck in den neunziger Jahren in die inzwischen weltberühmte Forschungsstätte. Zehn Prozent der Gewinne aus möglichen Entdeckungen versprachen die Manager dem Land, ein Teil sollte in den Naturschutz fließen. Bergen die Schmetterlinge, Urwaldkräuter und Schleimpilze Costa Ricas neue Arzneien gegen Malaria und Krebs oder auch nur Wirksubstanzen für Feuchtigkeitscremes und Schuppenshampoos? Bis heute fahnden bei Inbio Forscher von Weltruf nach nützlichen Naturstoffen. An diesem Morgen etwa beugt sich der Pilzspezialist Jorge Blanco über die Blätter der lorbeerartigen Monimiaceae siparuna. Mit einem Skalpell zerteilt er die grünen Pretiosen, legt sie in kleinen Stücken auf Nährplatten. Bald werden hier Pilze sprießen, die ihr bisheriges Leben im Innern der Blätter fristeten. Am Tag zuvor hat Inbio-Biologe Diego Vargas die Pflanze aus dem Regenwald geholt. Zwei Stunden ist er mit dem Geländewagen über kantige Straßen in den Parque Nacional Braulio Carrillo an den Flanken des Vulkans Barva gefahren. Vargas, Baseballkappe, weißes T-Shirt, blaue Gummihandschuhe, macht Fotos von den Urwaldpflanzen, knipst dann die Fruchtstände verschiedener Gewächse mit einer Gartenschere ab und tütet sie fein säuberlich ein. Auch Monimiaceae siparuna erspäht er im Unterholz, eine Pflanze mit winzigen gelblichen Blüten. Vargas lässt die Gartenschere wirbeln wie ein Cowboy den Colt. Klack, ein kleiner Schnitt für ihn, ein großer Schnitt für die Menschheit? "Viele der Pilze, die in den Blättern dieser Pflanze leben, wurden noch nie untersucht, weil sie so schwer zu isolieren sind", sagt Vargas. "Möglicherweise produzieren sie viele interessante Stoffe, die wir noch gar nicht kennen." Tausende Insekten haben die Inbio-Forscher seit Gründung des Instituts auf nützliche Naturstoffe gescannt. Derzeit geraten vor allem Pflanzenextrakte, Mikroben und Pilze in die Hightech-Geräte des Speziallabors in San Josés Vorort Heredia. Zwar blieb der große Bioboom bislang aus. Merck und einige andere große Geldgeber haben sich zurückgezogen. "Die Pharmaunternehmen wollen nicht mehr den langen Prozess bezahlen, der notwendig ist, um vielversprechende Substanzen in der Natur zu finden", sagt Giselle Tamayo, wissenschaftliche Leiterin der Inbio-Abteilung für Bioprospektion. Doch die Forschungsstätte, die nun vor allem mit Universitäten zusammenarbeitet, bleibe auch so "ein Erfolgsmodell", beharrt Tamayo. Das Institut zeige exemplarisch, wie sich Entwicklungsländer an den Segnungen der Biotechnologie beteiligen und gleichzeitig die heimische Vielfalt schützen könnten. Ein Teil der Lizenzgebühren, die Inbio erhält, fließen in den Schutz der costa-ricanischen Wälder. Ohnehin gilt Costa Rica als Musterland des internationalen Naturschutzes. Der Ökotourismus boomt. Rund 1,5 Millionen Touristen zahlen jährlich fast anderthalb Milliarden Dollar, um die Naturwunder der Regen- und Bergwälder zu besuchen. Und Waldschutz gilt in Costa Rica inzwischen sogar als Staatsdoktrin. In den siebziger und achtziger Jahren hatten Holzfäller fast 80 Prozent des costa-ricanischen Regenwalds gerodet. Heute jedoch ist wieder über die Hälfte des Landes von Wald bedeckt. Mit dem Flugzeug geht es von San José aus hinunter in den Süden des Landes. Unten schillert der Pazifik, dann fällt der Schatten der kleinen Maschine auf den dichten Regenwald der Osa-Halbinsel. Die Propellermaschine landet im Dörfchen Golfito, weiter geht es in die Berge. Dort wacht Jorge Marin Picado über 46 Hektar Urwald. Eine Schar Hellroter Aras zieht über den Flecken, es riecht modrig. Lianen winden sich an den Baumriesen empor. Picado, die landestypische Machete am Gürtel, ist Verwalter der Finca am Hang der Küstenkordilleren. Der Besitzer der Farm hat einen Vertrag mit der costa-ricanischen Forstbehörde abgeschlossen. 350 Dollar pro Hektar und Jahr zahlt der Staat dafür, dass der Wald ungestört bleibt, niemand Pflanzen stiehlt oder illegal Holz schlägt. "Environmental Services"-Programm nennt die Regierung das System - und Naturschützer halten es für vorbildlich. Der Staat belohnt Landbesitzer dafür, dass sie aufforsten oder bestehenden Wald nicht antasten. "Wir wollen die Waldfläche vergrößern und den Bauern eine Alternative bieten", sagt Katia Alegria von der Forstbehörde. So wird Grünland, auf dem bisher Rinder grasten, wieder zu Wald. Statt Ölpalmen und Bananenstauden wachsen Bäume wie Teak und heimischer Ron-ron. Das Programm finanziert sich aus Steuern auf Benzin sowie aus Mitteln der Weltbank und des Globalen Umweltfonds, in den die CBD-Staaten einzahlen. Doch Costa Rica hofft, künftig auch aus dem in Bäumen gebundenen Kohlendioxid Profit zu schlagen. Denn das ist der unglaubliche Glücksfall des Natur- und Artenschutzes: In Zeiten der Erwärmung werden Methoden verzweifelt gesucht, die helfen, das Treibhausgas CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen und langfristig zu speichern. Genau das aber ist die Fähigkeit, die alle Bäume und andere Pflanzen seit Jahrmillionen in ihrem Erbgut tragen. Wälder speichern enorme Mengen von Kohlendioxid, weil sie aus dem Kohlenstoff im Treibhausgas ihr Holz aufbauen. Auch Moore können erhebliche Tonnagen des Klimagases binden. Sie zu renaturieren und zu erhalten "bietet eine kostengünstige Möglichkeit, den Klimawandel zu dämpfen und die Vielfalt zu sichern", sagt Unep-Chef Steiner - eine Chance auch für Deutschland: Wer bei uns einen Hektar Niedermoor renaturiert und den typischen Erlenwald wachsen lässt, bindet 30 Tonnen CO2 pro Jahr, haben Forscher der Universität Greifswald errechnet. Vor allem aber trommeln nun die Regierungen von Tropenwaldländern wie Guyana, Indonesien, Brasilien oder Papua-Neuguinea für die revolutionäre Idee. Sie wollen ihre Wälder als Treibhausgas-Speicher verkaufen. Geht die Rechnung auf, winken Milliardengewinne, die wiederum in den Schutz der Wälder fließen könnten (siehe Grafik Seite 135). "Waldwertschein" heißt die Währung im neuen Ökozeitalter. Einen möglichen Markt für das grüne Geld gibt es schon. Beim EU-Emissionshandel etwa bekommen Industrieunternehmen und Energieversorger Kohlendioxid-Verschmutzungsrechte zugeteilt, sogenannte CO2-Zertifikate. Sie legen fest, wie viel Kohlendioxid die Fabriken jeweils in die Luft blasen dürfen. Belasten die Industrieanlagen die Atmosphäre stärker als vorgegeben, müssen die Firmen Zertifikate nachkaufen. Ungenutzte Verschmutzungsrechte wiederum können verkauft werden. Folglich haben die Zertifikate einen realen Geldwert: Er liegt momentan bei 25 Euro pro Tonne CO2, könnte aber in Zukunft auf 60 Euro steigen. Exakt in diesen aufstrebenden Markt wollen die Tropenwaldländer gern einsteigen. Bei der nächsten Klimaschutzkonferenz in Kopenhagen im Jahr 2009 könnten die Weichen für den Handel mit Waldwertscheinen gestellt werden. Auch Stromgiganten wie etwa die Essener RWE stehen bereits in den Startlöchern: "Wälder als Teil eines globalen Emissionshandels wären für uns sehr interessant", sagt Michael Fübi, der Klimaschutzmanager des Unternehmens. Der Vorteil für das Unternehmen: So ließen sich Klimaauflagen schneller und billiger erfüllen als durch teure neue Technologien. Mittelfristig sei dies jedoch kein Ersatz für einen modernisierten Kraftwerkspark, so Fübi. Wie viel Geld am Ende mit Hilfe dieses Wald-Wertschein-Systems fließen wird, steht in den Sternen. Um dem Wald wirklich zu helfen, wären jährlich zehn Milliarden Dollar nötig, schätzen Experten. Andernfalls bleibt es für die Tropenländer weit profitabler, die Wälder abzuholzen. "Der Holzeinschlag bringt Papua-Neuguinea jährlich zwischen 100 und 500 Millionen Dollar ein", erläutert Kevin Conrad, Sonderbeauftragter Papua-Neuguineas für Klima- und Naturschutz, das Dilemma. Diese Summe müsse überboten werden, um dem Land den Waldschutz schmackhaft zu machen: "Andernfalls ist der Wald weg - und zwar sehr bald." Auch in Brasilien regiert weiterhin die Kettensäge. Knapp 20 Prozent des 3,65 Millionen Quadratkilometer großen Amazonaswaldes sind bereits abgeholzt, in Viehweiden oder Sojaäcker verwandelt. Von Süden her frisst sich ein "Feuerbogen" immer tiefer in die grüne Schatzkammer des Planeten hinein. Umweltministerin Marina Silva konnte nach ihrem Amtsantritt 2003 die Entwaldung zwar von 28 000 Quadratkilometer pro Jahr auf 12 000 Quadratkilometer drücken. Sie schrieb vor, dass Waldbesitzer maximal 20 Prozent ihres Grunds abholzen dürfen, und belegte Umweltsünder mit einer Kreditsperre. Doch in der vorigen Woche trat Silva, eine Ikone der weltweiten Waldschutzbewegung, überraschend zurück. Sie sei es leid, für Präsident Lula da Silva weiterhin "das grüne Feigenblatt zu spielen". Auf den globalen Märkten sind eben tote Wälder noch immer wertvoller als lebende; nur mit viel Geld lässt sich dies umkehren. Immerhin gibt es erste Erfolge. Die Weltbank etwa versucht, mit einer "Forest Carbon Partnership" voranzugehen und auf einen Schlag Klima- und Naturschutz zu betreiben. Eines der Vorzeigeprojekte könnte bald das des deutschen Hans Schipulle sein, der den Kongowald in eine Geldmaschine verwandeln will. In Erwartung eines wachsenden Marktes für Waldwertscheine hat kürzlich die US-Investmentbank Merrill Lynch der indonesischen Provinz Aceh zugesagt, über vier Jahre hinweg neun Millionen Dollar zu überweisen, wenn der Regenwald des dortigen Ulu-Masen-Naturschutzgebiets unangetastet bleibt. Das Londoner Unternehmen Canopy Capital wiederum sicherte sich für einen Millionenbetrag jene Werte, die der Iwokrama-Regenwald von Guyana bald für die Menschheit haben könnte. "Im Moment würde zwar niemand etwas für den intakten Wald bezahlen", erläutert Firmenchef Hylton Murray-Philipson das Konzept, "ich halte es jedoch für äußerst wahrscheinlich, dass die Märkte bald anders über den Wert der Natur entscheiden werden." Zehn Milliarden Dollar Umsatz versprechen sich Experten schon 2010 vom Handel mit Naturwerten von Wäldern, Mooren oder Riffen. Können derlei globale Finanztransfers die Dinge wirklich ändern? "Wenn man einmal viel Geld aus dem CO2-Handel erzielt, stellt sich automatisch die Frage, wem der Wald am Ende eigentlich gehört", sagt Tom Griffiths, der sich für die Menschenrechtsorganisation Forest Peoples Programme engagiert. "Sind es die Geldgeber oder die Leute, die im Wald leben?" Griffiths befürchtet Machtkämpfe um lohnende CO2-Reservoirs, mehr Korruption, Spekulation, Landnahme und Konflikte, wenn mit dem Waldschutz viel Geld zu verdienen ist. Tatsächlich bahnen sich die ersten fragwürdigen Deals bereits an. Das Holzunternehmen Asia Pacific Resources International beispielsweise rodet in Indonesien Wälder und entwässert Torfmoore, um neue Baumplantagen anzulegen. Nun auf einmal hat das Unternehmen auch ein CO2-Pilotprojekt aufgelegt und will einige Moore renaturieren. Der Ökoschmu daran: Die Gewinne aus dem CO2-Handel wird die Firma nur einstreichen können, weil sie die Ökosysteme zuvor großflächig zerstört hat. Um die biologische Vielfalt langfristig zu sichern, setzen die Vertragsstaaten der Biodiversitätskonvention daher zusätzlich auf eher klassische Methoden des Naturschutzes. Rund 100 000 Naturreservate gibt es auf der Erde. Zwischen 6,5 und 10 Milliarden Dollar jährlich gebe die Weltgemeinschaft für Schutzgebiete aus, heißt es in einer aktuellen Studie des WWF. Das klingt gewaltig - und doch reicht es bei weitem nicht. Schätzungen gehen davon aus, dass mindestens der doppelte Betrag nötig ist, um die Natur langfristig zu sichern. Professionelle Ökopolizisten müssen die Reservate überwachen. Bildung tut not, um den Einheimischen neue Wege zu weisen, im Einklang mit der Natur zu leben. Kleinkredite sind vonnöten, damit die Menschen neue, naturverträgliche Geschäftsmodelle auch tatsächlich verwirklichen können. Vordringlich jedoch gilt es, weitere Reservate insbesondere an den Hot Spots der Artenvielfalt einzurichten. BMU-Naturschutzstratege Flasbarth hofft auf die deutsche Initiative LifeWeb. Das Programm soll Länder mit großer biologischer Vielfalt und solche mit viel Geld zusammenführen. "Jedes Land kann dort anbieten, welche Flächen es zu welchem Preis schützen würde - und dann überbieten sich hoffentlich die Interessenten", sagt Flasbarth. Die Demokratische Republik Kongo beispielsweise reist mit dem Angebot nach Bonn, 140 000 Quadratkilometer Regenwald unter Schutz zu stellen. Werden sich Geldgeber für das Projekt finden? Zehn Prozent aller Landökosysteme der Erde wollen die CBD-Vertragsstaaten bis 2010 unter Schutz stellen, bis 2012 auch zehn Prozent der Meeresfläche. Ein kühnes Vorhaben: Auf dem Land ist das Ziel mit großen Anstrengungen vielleicht noch zu erreichen. In den Ozeanen jedoch ist es reine Illusion. Weniger als ein Prozent der Weltmeere ist bislang streng geschützt. Hier liegt das größte Versagen des internationalen Natur- und Artenschutzes: Alle Bemühungen, die Vielfalt in den Ozeanen zu erhalten, sind gescheitert. Ab 2050 soll beim gegenwärtigen Trend der Überfischung kommerzielle Meeresfischerei kaum mehr möglich sein, schätzen manche Experten. Gleichzeitig zahlen die Staaten jährlich mehr als 20 Milliarden Euro Fischereisubventionen - und finanzieren so jeden fünften Fisch, der auf dieser Welt gefangen wird. Rund vier Millionen Fischerboote machen weltweit Jagd auf Meeresbewohner aller Art. Nur halb so groß dürfte die Fangflotte nach Expertenmeinung sein, um die Vernichtung der Bestände zu verhindern. Ganze Ökosysteme drohen mit den Fischen unterzugehen. Die Uno-Studie Millennium Ecosystem Assessment bestätigte, dass weltweit bereits 20 Prozent der Korallenriffe zerstört und weitere 20 Prozent stark beeinträchtigt sind. Korallenbänke im Nordostatlantik fallen dem schweren Geschirr der Trawler zum Opfer. Tiefseefischer schrabbeln die einzigartigen Naturwunder unterseeischer Berge ab. "Stellen Sie sich vor, Jäger würden ganze Wälder abholzen, nur um ein paar Rehe zu fangen", sagt Carl Gustaf Lundin, Chef der IUCN-Ozeanabteilung, "die Leute würden aufschreien." Genau dieses Unheil richteten jedoch Grundschleppnetze an: "Viele Menschen machen sich kein Bild von der Zerstörung der Meere." Zoologen fordern schärfere Kontrollen an Bord der Trawler, um die illegale Fischerei einzuschränken. Vor allem aber hoffen sie auf Gebiete, in denen die Fischerei komplett verboten wird. Mosaikartig sollen sich Zonen intensiven Fischfangs mit solchen Regionen abwechseln, in denen Jungfische ungestört heranwachsen können und sich die Bestände erholen. Noch zögert die Staatengemeinschaft bei der Einrichtung mariner Reservate. Auf der Hochsee geht es oftmals zu wie im Wilden Westen. Was die nationalen Hoheitszonen angeht, findet jedoch langsam ein Umdenken statt. In der Karibik beispielsweise formt sich derzeit eine Initiative, deren Ziel es ist, bis 2020 repräsentative 20 Prozent aller Ökosysteme des Karibischen Meeres unter Schutz zu stellen. Es geht um fünf Millionen Hektar Gewässer mit schillernden Korallenriffen, dichten Mangrovenwäldern und sogenannten Blue Holes, oftmals kreisrunden Einbrüchen der Küstensaumriffe, die bis zu 200 Meter tief sein können. Caribbean Challenge Marine Initiative nennt sich das ehrgeizige Programm. Details sollen in der kommenden Woche in Bonn vorgestellt werden. Dabei sind bislang die Bahamas, Grenada, die Dominikanische Republik sowie St. Vincent und die Grenadinen. Auch Naturschutzorganisationen wie die US-amerikanische The Nature Conservancy (TNC) machen mit. Kernpunkt sind Naturschutzfonds, deren Ertrag Ranger, Patrouillenboote, Forschung und Umweltbildung bezahlen soll. "Die Finanzierung muss langfristig gesichert sein - sonst scheitert die ganze Idee nach wenigen Jahren am Geld", sagt TNC-Mitarbeiterin Eleanor Phillips. In Nassau, der Hauptstadt der Bahamas, hält sie die Fäden des Projekts in der Hand. Die Stadt liegt auf New Providence, einer der Inseln des Archipels. Dort verdichten sich die Naturschutzprobleme auf wenigen Quadratkilometern. Touristen vor allem aus den USA überrennen den Ort. Sie hausen in betonierten Bettenburgen oder in umzäunten Wohnvierteln. Für die Häuser der Reichen werden ganze Mangrovenwälder gerodet, berichtet Phillips. Sie sind Kinderstube vieler Karibikfische. Im Hafen von Nassau landen Fischerboote täglich Tonnen von Zackenbarschen und Riesenflügelschnecken an, die jede Imbissbude als Spezialität verramscht. Früher war die Anzahl der beiden Meeresbewohner gewaltig. In riesigen Laichschwärmen zog der Nassau-Zackenbarsch einst durch die tropischen Gewässer. Hunderte der bis zu 25 Kilo schweren Kaventsmänner holten die Fischer in wenigen Stunden aus dem Meer. Die Riesenflügelschnecken wiederum, vor Ort "Conch" genannt, waren so zahlreich, dass die Insulaner nur ein paar Minuten im azurblauen Ozean schnorcheln mussten - und schon hatten sie ein ganzes Abendmahl beisammen. Im Hafen von Nassau sitzt Fischer Eudie Rolle am Kai, vor sich einen Tisch mit den schmackhaften Meeresschnecken, deren rosafarbenen Schalenöffnungen wie riesenhafte Orchideenblüten aussehen. 57 Jahre fährt Rolle schon zur See: "Früher konnten wir die Conch im hüfthohen Wasser einfach aufsammeln", sagt der sonnengegerbte Seemann, "inzwischen müssen meine Söhne 150 Meilen hinausfahren, um noch welche zu finden." "Wir sind sehr besorgt", sagt auch Michael Braynen vom Department of Marine Resources. "Langfristig brauchen wir weniger Fischer auf den Bahamas - aber dann müssen wir ihnen Alternativen bieten." Das ist das Grundproblem: Wer Natur effektiv schützen will, wer Meeresgebiete sperren und Wälder ruhen lassen will, der muss dafür sorgen, dass die Menschen, die bislang von dieser Natur lebten, eine neue Chance bekommen. Die Lösung auf den Bahamas heißt Ökotourismus. Kaum 15 Flugminuten von Nassau entfernt liegt Andros. Rund 8000 Menschen leben auf der etwa 170 Kilometer langen Insel. Vor ihrer Ostküste liegt das drittgrößte Barriereriff der Welt. Insulaner wie Peter Douglas zeigen hier den wenigen Touristen die leuchtend bunten Korallenbänke und unterseeischen Steilhänge. Effektvoll wirft sich der bärtige Naturschützer zum Speerfischen in die Fluten. Symbolisch jagt er dem aus dem Pazifik eingeschleppten Feuerfisch seine Harpune durch den Körper. Im Buschland hinter der Küste haben clevere Insulaner Ökolodges aufgebaut. Bei Prescott Smith etwa können betuchte Manager das Fliegenfischen lernen. 1600 Dollar pro Tag zahlt, wer in den Mangrovensümpfen mit elegantem Schwung Grätenfisch oder Atlantischem Tarpun nachstellen will. "Catch and let go" heißt hier die Devise: Nach erfolgreicher Jagd werden die Fische einfach wieder ins Wasser entlassen. Die Insulaner verteidigen ihr kleines Paradies gegen die Investoren des Massentourismus. Sie haben Wege gefunden, von der Natur zu profitieren, ohne sie zu zerstören. "Die Wissenschaftler, die Regierungen und die großen Naturschutzorganisationen bekämpfen die Einheimischen", schimpft Prescott Smith, "sie kommen und sagen: Ihr seid das Problem." Wahrer Naturschutz jedoch müsse die Menschen vor Ort mit einbeziehen: "Nur wenn die Leute hier wirklich das Gefühl bekommen, dass es um ihre Interessen geht, werden sie das Land auch schützen." Was hat das alles mit der CBD zu tun? Viele kleine Schritte können die Welt retten. Und: Naturschutz muss von unten kommen. Vor allem dort, wo die Menschen arm sind, gilt dieser Graswurzelansatz. Denn wer arm ist, hat keine andere Wahl, als von den Ressourcen der Natur zu leben und sie dadurch im Zweifelsfall zu zerstören. Auch darum wird es in den nächsten Tagen auf der Weltkonferenz in Bonn gehen. Vor allem aber müssen die CBD-Partner versuchen, die grobe Marschrichtung für die kommenden zwei Jahre festzuklopfen. 2010 findet die zehnte Vertragsstaatenkonferenz statt, vermutlich in Japan. Bis dahin sollen schon viele der ehrgeizigen Ökoziele umgesetzt sein. "Es kommt jetzt in Bonn besonders darauf an, dass sich die Vertragspartner in den großen Fragen nicht gegenseitig blockieren", sagt BMU-Naturschutzchef Flasbarth. Die Streitpunkte sind absehbar. Schon als die Uno-Biodiversitätskonvention entstand, forderten beispielsweise viele Vertragsstaaten, Mechanismen für einen gerechten Vorteilsausgleich zwischen Industrie- und Entwicklungsländern zu schaffen. Die Idee: Jeder soll die genetischen Schätze des Planeten nutzen dürfen. Gleichzeitig müssen jene Menschen, aus deren Heimat die profitablen Arten stammen, am Gewinn teilhaben. Einvernehmliche Regeln für dieses Problem jedoch gibt es auch im 16. Jahr nach dem Erdgipfel in Rio de Janeiro nicht. Die Entwicklungsländer sind misstrauisch, weil Biopiraten bereits Teile ihres biologischen Schatzes gekapert haben. Erst Anfang Mai etwa wurde bekannt, dass die Einwohner des südafrikanischen Dorfs Alice zwei Patente der deutschen Firma Dr. Willmar Schwabe Arzneimittel für die Herstellung des Medikaments Umckaloabo anfechten. Umckaloabo wird aus den Wurzeln der Kapland-Pelargonie gewonnen. Die Einheimischen machen geltend, schon seit Jahrhunderten Tinkturen aus dem Gewächs angerührt und damit Erkältungen behandelt zu haben. Basierend auf diesem Wissen stelle die Firma Spitzner, eine Tochter von Schwabe, nun Umckaloabo her. "Die Patente sind illegal und müssen zurückgezogen werden", sagt Mariam Mayet vom African Centre for Biosafety. Zudem schulde die Firma den Leuten von Alice einen Gewinnanteil. Ein weiterer Streitpunkt ist der Boom beim Biosprit: Kanzlerin Merkel hat kaum mehr als die Wogen geglättet, wenn sie jetzt ein Energieabkommen mit Brasiliens Präsident Lula da Silva abgeschlossen hat. Die Kritik aus Deutschland, der Biosprit aus Brasilien könnte weiteren Amazonas-Wald vernichten, deuten die Brasilianer als Versuch, die Märkte abzuschotten. Ein Gebiet von annähernd der Größe Großbritanniens wollen die Brasilianer bis 2025 mit Zuckerrohr bepflanzen, um Bioethanol herzustellen. "Wenn wir den Brasilianern sagen, dass wir das boykottieren, sind die Verhandlungen über den Regenwaldschutz sofort zu Ende", warnt Gabriel. Schon der Versuch, das Thema Bioenergie auf die Tagesordnung der Bonner Konferenz zu setzen, löste in Brasília Empörung aus. In Bonn ist also höchstes diplomatisches Geschick notwendig, um zur Kernfrage vordringen zu können: Wer bezahlt wie viel und für was? Allein die Kosten, den Artenschwund bis 2010 einzudämmen, werden auf 30 Milliarden Euro jährlich geschätzt. Die EU-Staatschefs wollen den Verlust der Vielfalt in Europa bis dahin sogar ganz stoppen. Der WWF indes glaubt, dass dieses Ziel "nur mit erheblichem Mehraufwand" zu erreichen sei. Nur ein bunter Strauß an Finanzierungsmodellen kann die Krise vermutlich meistern. Das Geschäft mit der Vielfalt als Quelle neuer Medikamente oder Kosmetika ist eine Möglichkeit, der Handel mit CO2-Zertifikaten eine weitere. Auch private Sponsoren können viel bewirken: So verwaltet die Naturschutzorganisation TNC einen Schatz von 5,4 Milliarden Dollar, unter anderem gespendet von vermögenden Mäzenen. Allein 2007 kaufte TNC Land für 566 Millionen Dollar, um es für die Nachwelt zu sichern. Andere beschließen in einer Art von kolonialem Größenwahn, die Geschicke der Natur gleich persönlich zu lenken. Patagonien beispielsweise scheint fest in der Hand der Milliardäre. Mehrere tausend Quadratkilometer unberührte Wildnis gehören schon seit Jahren den Mitgründern der Textilfirmen North Face und Patagonia, Douglas und Kris Tompkins. Einige ihrer Nachbarn sind der Spekulant George Soros, die Modemacher Luciano und Carlo Benetton, die Schauspieler Sharon Stone und Christopher Lambert sowie CNN-Gründer Ted Turner. Wer es nicht so dicke hat, kann Tropeninseln oder Wildtierkorridore für Elefanten über Organisationen wie TNC oder World Land Trust auch hektarweise erhalten. Der Ökonom Pavan Sukhdev empfiehlt zudem, in den reichen Ländern zusätzlich zur Mehrwertsteuer eine "Minderwertsteuer" zu erheben, eine pauschale Abgeltung für all jene kleinen und größeren Umweltschäden, die etwa mit der Produktion eines Autos oder eines Kühlschranks einhergehen. Die Einnahmen sollten dann direkt in Naturschutzgroßprojekte fließen. Auch will Sukhdev Unternehmen und Verbraucher noch mehr in die Pflicht nehmen: "Ein Kaffeeunternehmen könnte einen kleinen Preisaufschlag ausweisen und das Geld für den Regenwald neben den Plantagen investieren." Bei Biolebensmitteln seien die Verbraucher schon heute bereit, mehr zu zahlen. "Warum nicht das Label Öko-Plus schaffen und testen, ob sie obendrein Naturschutzprojekte mitfinanzieren?" Klimaneutral kann bereits heute jeder reisen, der die Emissionen von Flugzeug oder Mietauto über Unternehmen wie die deutsche Firma global-woods abgelten lässt. Das Unternehmen unterstützt mit den Einnahmen Aufforstungen in Argentinien, Paraguay und Uganda. Oder die Hotelkette Marriott: Zwei Millionen Dollar hat das Unternehmen an den brasilianischen Bundesstaat Amazonas gezahlt, damit der das 589 000 Hektar große Juma-Schutzgebiet vor den Holzfällern bewahrt. Dafür erhält Marriott CO2-Gutscheine, die wiederum von Hotelgästen gekauft werden können, damit diese fortan mit gutem Gewissen beispielsweise in der Hotelsauna schwitzen können. Fischereiexperten dagegen empfehlen, nur noch Fische mit dem Ökolabel des Marine Stewardship Council zu kaufen. Wer Meeresgetier ökologisch korrekt genießen will, muss künftig beispielsweise auf geschmorten Heilbutt mit Thymian oder Scholle Finkenwerder Art verzichten. Bei Holz ist die Zertifizierung des Forest Stewardship Council von den meisten Naturschützern anerkannt. Schätzungen zufolge könnten Verbraucher weltweit bereits in zwei Jahren bis zu 75 Milliarden Dollar für Fische, Hölzer, Heilkräuter und Lebensmittel ausgeben, die ökologisch verträglich produziert worden sind. Und längst sind die Menschen auch bereit, direkt für Naturschutz zu bezahlen. Laut BfN würde jeder Haushalt in Deutschland für den Erhalt der Vielfalt im Schnitt 100 Euro jährlich ausgeben. In der Summe wären das 3,5 Milliarden Euro. "Das ist dreimal so viel Geld, wie bei uns bislang für Arten- und Lebensraumschutz zur Verfügung steht", sagt Burkhard Schweppe-Kraft, Ökonom beim BfN. Wenn Naturräume zunehmend einen Wert bekämen, könnten sie die Rolle als "kostenfreier Müllplatz der Erde" verlieren, wie es Gordon Shepherd vom WWF ausdrückt. Doch Shepherd warnt auch: Natur wertvoll zu machen sei "kein Allheilmittel". Denn viele Fragen bleiben offen: Die Entwicklungsländer müssen beweisen, dass sie nicht nur Gelder abschöpfen wollen, sondern es ernst meinen mit dem Schutz der Vielfalt. Den Industrieländern wiederum schlägt der Vorwurf entgegen, sie planten nur eine gigantische Grünfärberei einer verfehlten Industriepolitik, die die Natur jahrzehntelang als billigen Selbstbedienungsladen betrachtete. Sind die Mechanismen der globalen Wirtschaft wirklich geeignet, die Vielfalt zu sichern? Wer die Kräfte des Markts entfesselt, wer Preisschilder fürs Leben verteilt, muss sich nicht wundern, wenn am Ende die Ladenhüter auf dem Müll landen. "Naturschutz, der sich nur am Profit orientiert, könnte dort versagen, wo es beispielsweise um Tiere geht, die mit unseren Interessen kollidieren", warnt etwa Douglas McCauley von der Stanford University in Kalifornien im Fachblatt "Nature". Auch Natur, die Menschen zwar nicht schade, ihnen allerdings auch nicht nütze, falle durch das Ökonomie-Raster. Wenn Wölfe Schafe reißen oder Kormorane in Fischteichen räubern, ist die reine Natur am Werk. Menschen würden dafür jedoch wohl kaum bezahlen, wenn der Naturschutz nur auf Nutzen ausgerichtet wäre. Häufig widersprechen sich Ökonomie und der Erhalt der Vielfalt sogar auf eklatante Weise. Vor rund 50 Jahren beispielsweise wurde der Nilbarsch gezielt in Afrikas Victoriasee angesiedelt. Die Fischer der Seeanrainer Uganda, Tansania und Kenia preisen die Ankunft des properen Speisefischs bis heute, weil er ihnen ein saftiges Wirtschaftswachstum bescherte. Für die weltweit einzigartige Vielfalt der Buntbarsche des Sees indes bedeutete der Neuankömmling ein ökologisches Desaster, das der Soziobiologe Edward Wilson einmal "die katastrophalste Aussterbewelle der jüngsten Geschichte" nannte. Den ökonomischen Wert von Ökosystemen zur alleinigen Basis von Naturschutz zu machen habe zur Folge, dass "Natur nur wert ist, geschützt zu werden, wenn sie auch profitabel ist", warnt Biologe McCauley - die Gefahr des plötzlichen Werteverfalls inklusive. Denn was geschieht mit dem Regenwald, der jetzt als CO2-Speicher fungieren soll, wenn sich am Ende eine billigere ingenieurstechnische Lösung für die Entsorgung der Treibhausgase findet? Wird der Wald dann - um in der Wirtschaftssprache zu bleiben - liquidiert? Natur habe einen nicht abschätzbaren Wert, seine Schönheit, seine kulturelle und evolutionäre Bedeutung, sagt McCauley: "Langfristig werden wir mehr Fortschritte erzielen, wenn wir an die Herzen der Menschen appellieren und nicht an ihre Geldbörsen." Die Menschheit muss sich also vor allem entscheiden, in welcher Welt sie leben will. Wer Wildnis kennt, weiß noch, was verlorengeht, wenn die Umweltzerstörung unvermindert weitergeht. Bis sich die Weltgemeinschaft auf ein Geschäftsmodell für die Rettung der Vielfalt geeinigt hat, könnte es längst zu spät sein. Der Mensch ist Natur - ohne Natur ist er nichts. Geht das in die Köpfe und Herzen? Es gehe auch darum, "Rückzugsräume für die Seele" zu erhalten, sagt Beate Jessel, Präsidentin des BfN. Auch das sollten die CBD-Partner beherzigen, wenn sie sich in Bonn nicht im Dschungel internationaler Abkommen und bilateraler Empfindlichkeiten verlieren wollen. Verhandeln wir uns zu Tode? Auf Worte müssen bald Taten folgen. Der Inder Pavan Sukhdev jedenfalls hält die Lage für todernst. Es gehe um eine Entscheidung darüber, ob unsere Zivilisation überlebe oder nicht, sagt der Ökonom. Sukhdev muss weiter, zum Krisentermin bei Bundesumweltminister Gabriel. Das Ministerium liegt gleich gegenüber der Alexanderplatz-Ödnis, hinter grauer Betonwüste. "Ein idealer Ort für ein Umweltministerium", sagt Sukhdev, "da sieht man jeden Tag, was man verhindern will." PHILIP BETHGE, RAFAELA VON BREDOW, CHRISTIAN SCHWÄGERL
Wie viel ist uns die Erde wert? Auf einer Weltkonferenz in Bonn beraten Vertreter aus 191 Staaten über eine Revolution im Naturschutz. Die Rettung von Wäldern, Walen und Korallen soll zum neuen Milliardengeschäft werden - und so das dramatische Artensterben stoppen.
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Politik
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2008-05-19T00:00:00+02:00
2008-05-19T00:00:00+02:00
https://www.spiegel.de/spiegel/a-553866.html
Klage gegen Spargesetz
Nach den Bundesländern Saarland und Baden-Württemberg versucht nun auch die Deutsche Krankenversicherung AG (DKV), das jüngste Spargesetz von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt zu kippen. Am vergangenen Freitag reichte die mit drei Millionen Versicherten marktführende Privatkasse eine Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein. Begründung: Die zu Jahresbeginn beschlossene Anhebung der Versicherungspflichtgrenze würde in das Recht auf Berufsfreiheit und das Eigentum der DKV eingreifen. Deren Geschäft sei gefährdet, weil nur noch Arbeitnehmer mit einem Monatsbrutto von 3825 Euro (vorher: 3375 Euro) in die private Krankenversicherung wechseln dürfen.
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Wirtschaft
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2003-06-01T13:00:00+02:00
2003-06-01T13:00:00+02:00
https://www.spiegel.de/wirtschaft/klage-gegen-spargesetz-a-2dbd591e-0002-0001-0000-000027286868?context=issue
Grüne Hoffnung
Auch der linke Flügel der Grünen hat schon konkrete Pläne für eine Regierungsbeteiligung nach den Bundestagswahlen 1994. Die Mitglieder des am vorletzten Wochenende gegründeten »Babelsberger Kreises« stellten fest, es sei weder der Partei noch den Wählern zu vermitteln, wenn die Grünen an der Oppositionsrolle festhielten. In einem Thesenpapier verlangen die Initiatoren der Gruppe um Bundesvorstandssprecher Ludger Volmer, daß die Partei gegebenenfalls »genügend gestaltungskräftige Ministerien mit entsprechend starken nachgeordneten Behörden übernehmen« müsse. So reklamieren die Grünen »maßgeblichen Einfluß« auf mindestens zwölf Ministerien - eine Umschreibung für die Forderung nach Minister- oder Staatssekretärsposten. Ihre Wunschliste reicht vom Auswärtigen Amt über das Umweltministerium bis zur Zuständigkeit für die Entwicklungshilfe.
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Politik
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1993-05-02T13:00:00+02:00
1993-05-02T13:00:00+02:00
https://www.spiegel.de/politik/gruene-hoffnung-a-6bc13f78-0002-0001-0000-000013689199?context=issue