title
stringlengths
3
181
content
stringlengths
1
142k
author
stringlengths
0
126
keywords
listlengths
0
92
category
stringclasses
21 values
datePublished
stringdate
2004-11-01 12:00:00
2024-03-28 09:19:09
dateModified
stringdate
2024-07-30 13:08:02
2025-03-11 12:39:42
url
stringlengths
35
228
Kaffeekränzchen mit Auspeitschen – zu Besuch im Fetisch Hof
Der Fetisch Hof liegt etwas versteckt im zweiten Hinterhof eines Berliner Altbauhauses in Neuköln. Wäre nicht ein riesiges Transparent mit der Aufschrift „Peitschenhandel” zwischen den Häusern gespannt, könnte man denken, hier wollte jemand seinen Traum vom Haus verwirklichen, doch dann ist das Geld ausgegangen: Unverputzte graue Wände, schwere Stahltüren und verwitterte Gartenparty-Vorzelte. Ich frage mich, ob das mit Fifty Shades of Grey gemeint war. Marco Simmat, der Geschäftsführer, begrüßt mich. Früher war der Hof mal eine Autowerkstatt. Jetzt sei es der einzige Ort seiner Art, an dem man alles rund ums Thema Fetisch bekäme: „Wir haben hier selbstgemachte Peitschen, Paddles und sonstiges Spielzeug, das man auch gleich nebenan in der BDSM-Lounge oder in einem der BDSM-Apartments ausprobieren kann. Das gibt’s sonst nicht.” In den letzten Jahren kämen vor allem skandinavische Touristen. „Die steigen in den Flieger und kommen extra zu uns. Die kaufen hier ihre Spielzeuge und mieten sich übers Wochenende in die Apartments ein”, sagt der ehemalige Beamte, der eher zufällig zum Fetisch Hof kam. Privat habe Simmat auch nichts mit der BDSM-Szene zu tun, fügt er hinzu. „Das ist wichtig, wenn man so ein Geschäft führt. Man braucht Distanz”, meint er. Alle Fotos von Hanna Halfon Gerade ist nicht viel los auf dem Hof. Nur ab und zu verlaufen sich ein paar Neugierige in den Laden und schauen sich zwischen Handfesseln, Nippelzwingen und Gag-Balls nach etwas Passendem fürs heimische Schlafzimmer um. Auch die BDSM-Lounge, in der es ein Spielzimmer und eine Bar gibt, ist leer. Nur Hans steht hinter dem rot erleuchteten, gefliesten Bartresen. Der 55-jährige EDV-Sachverständige ist hier der Barmann. Hans trägt ein schwarzes Kunstlederhemd über einem schwarzen T-Shirt und dazu einen langen schwarzen Wickelrock. Er soll mich herumführen. Um den Hals und an seiner rechten Hand trägt er den Ring des O. Ein Zeichen dafür, dass er auf BDSM steht und der passive Part im Spiel ist, der Sklave. Hans mag es, wenn die Domina, er nennt sie „Domse”, ihm Schmerzen zufügt. Als aktiver Part gebe es von ihm höchstens mal einen Klaps auf den Po, aber das habe mit BDSM eigentlich nur wenig zu tun. In der Lounge und auf dem Fetisch Hof finden regelmäßig BDSM-Veranstaltungen statt. Es gibt Spieleabende, BDSM-Treffen am Nachmittag und zum Wechsel der Jahreszeiten auch ganze Hoffeste, bei denen sich das Hinterhaus in eine große Fetisch-Party verwandelt. Dresscodes gibt es dann auch keine. Da könne jeder so kommen, wie er will. Der Vermieter des Hauses habe damit keine Probleme, meint der Geschäftsführer, und die Nachbarn auch nicht. Seit die Autowerkstatt weg ist, sei es ja viel ruhiger geworden. Marco Simmat vermietet auf dem Hof neben den Fetisch-Apartments auch normale Ferienwohnungen. Vielleicht ja was für gestresste Dorfbewohner: Ferien auf dem Fetisch Hof. Auf dem Fetisch Hof scheint alles recht entspannt abzulaufen. BDSM-Freunde, die nichts gegen Kaffeetische und Spitzendeckchen haben, lädt Hans am Sonntagnachmittag auch zu „Kaffee und Kuchen” ein. Das mag sich spießig anhören, aber ein Stück Kuchen und einen Kaffee später kämen anstatt der neuesten Urlaubsfotos eben Peitsche und Schlagstock raus. Das Stichwort. Meine Tour beginnt. Hans zeigt mir den Spielbereich in der Lounge: Pranger, Käfige, ein Arztzimmer mit Gynäkologenstuhl und einer Toilettenbrille ohne Schüssel für spezielle Spiele mit Natursekt und Kaviar. Weitere Nachfragen erübrigen sich in dem Moment für mich. Für ihn persönlich seien solche Spielarten allerdings ein Tabu, sagt Hans. Er stehe auf Schmerzen, nicht auf Erniedrigung. Mein Abend beim Fetisch-Speed-Dating. Viele Paare, die in die BDSM-Lounge kommen, sind schon lange in der Szene aktiv und haben sich gemeinsam in ihrem Fetisch gesteigert. Gegenseitige Beschimpfungen, Anspucken, sich gegenseitig die Haut einzukerben oder mit heißen Eisen zu versengen, käme auch schon vor. Bei einigen passiert es auch schon mal, dass der Sklave vor Schmerzen in Ohnmacht fällt oder die Peitschenhiebe so heftig sind, dass die Haut aufplatzt und Blut spritzt. Doch wichtig sei es in dem Moment, Ruhe zu bewahren. Jeder, der hier seine Spiele ausübt, tue dies im gegenseitigen Einverständnis, betont Hans. Und für ihn sei die Ohnmachtserfahrung das Beste, was ihm jemals passiert sei, fügt er lächelnd hinzu. Gefährlich werde es erst, wenn einer der Partner die Kontrolle verliere, wenn Drogen oder Alkohol im Spiel sind. Als Barmann achtet Hans sehr darauf, dass seine Kunden nicht mehr trinken, als sie vertragen. Die meisten würden sich zwar von alleine daran halten und ausschließlich Softgetränke bestellen, nur bei Skandinaviern oder Briten sei es nicht so einfach, erzählt er. „Wenn die ein Wochenende bei uns in einem der Fetisch-Apartments verbracht haben, dann müssen wir da erstmal eine Batterie an Flaschen rausholen”, fügt der Geschäftsführer, Marco Simmat, hinzu. Ich stelle mir eine Horde halbnackter, betrunkener Feier-Briten vor, die Fifty Shades of Grey gesehen haben und sich jetzt mal so richtig ausleben wollen. Ich kann die Besorgnis von Hans und Simmat verstehen. Aber bisher sei wohl alles gut gegangen. Ich frage Hans, wie er eigentlich zum BDSM gekommen ist. „Die Fantasien hatte ich schon immer. Seit meiner Jugend”, antwortet er, „Bei mir hat es nur lange gedauert, bis ich das auch ausgelebt habe.” Ursprünglich kommt Hans aus Schöningen, einer Kleinstadt in Niedersachsen. Vor vier Jahren kam er nach Berlin und begann zum ersten Mal—mit 51 Jahren—seinen Fetisch auszuleben. In seiner 20-jährigen Ehe war das nie möglich. Seine Frau hielt BDSM schon immer für pervers und er wusste das. Ihr zuliebe hat er nie was gesagt. Doch irgendwann kam es raus. Hans beichtete seiner Frau alles: Seit 2012 besuchte er regelmäßig eine Domina in Berlin, die ihm endlich das erfüllte, wovon er schon sein Leben lang geträumt hatte. Bei ihr konnte er sich fallen lassen und verliebte sich in sie. Für sie kam er nach Berlin, nahm ab und gab das Rauchen auf. Doch das half nichts. Als er ihr seine Liebe gestand, wollte sie ihn nicht. Und seine Ehefrau hoffe immer noch, dass er bald „gesund” werde und zurück nach Schöningen komme, sagt er in einem bitteren Tonfall. „Sie glaubt, was ich habe, ist eine Krankheit, die man heilen kann. Doch das wird nicht passieren und das habe ich ihr auch gesagt”. Wir gehen weiter über den Fetisch Hof in den angeschlossenen Peitschenhandel. Neben einer riesigen Auswahl an Gummi-, Leder- und Rosshaarpeitschen, die sich hauptsächlich in ihrem Schmerzfaktor unterscheiden, findet man hier auch spezielles Zubehör für Maskenspiele, Petplays oder Branding. Hans empfiehlt mir Tense-Geräte, die Stromstöße durch den Körper schießen, Nervenräder auf der Haut und an verschiedenen Körperstellen oder Tunnelspiele mit Ingwerzäpchen oder stark brennender Rheuma-Salbe, deren Wirkung man über sechs Stunden spüren würde. Ich lehne dankend ab. Hans erzählt intimste Dinge auch ohne gezielte Nachfrage. Dinge, die man nicht eben jemandem erzählt, den man gerade erst kennengelernt hat. „Das hat vielleicht was mit dem Alter zu tun”, meint er, als ich ihn nach seiner Offenheit gegenüber seinem Fetisch und seinem Liebesleben frage. In seinem Alter gehe man lockerer mit sich und den Vorstellungen anderer um. „Ich bereue es, dass ich nicht früher zu meinem Fetisch gestanden habe”, erzählt Hans. „Ich habe 20 Jahre meines Lebens verschwendet und das meiner Frau, weil ich Angst davor hatte, was andere von mir denken.” Mittlerweile sei ihm das aber egal—auch mir gegenüber, oder wenn er in Lack- und Lederklamotten zur Arbeit geht. „Am liebsten würde ich die ganze Zeit so rumlaufen. Natürlich krieg ich mal einen komischen Blick. Aber es gibt auch viele Frauen, die das gut finden.” Wenn ein syrischer Flüchtling in einen Berliner Fetisch-Club geht … Irgendeine Frau reiche Hans aber nicht. Er könne sich beim Spiel dann nicht fallen lassen, sagt der 55-Jährige. Deswegen sucht er die Gespielin fürs Leben. „Entweder lebe ich das mit meiner Partnerin aus oder gar nicht. Du würdest ja auch nicht mit jemandem Sex haben, den du nicht liebst”, sagt er, während ein junges Pärchen in den Laden kommt. „Die machen es richtig”, sagt Hans, „keine Geheimnisse.” Das Durchschnittsalter bei Veranstaltungen auf dem Fetisch Hof liegt bei 40 Jahren. Seit Seit Fifty Shades of Grey kämen aber mehr junge Leute, erklärt er. Das sei aber auch das einzige, was Hans der BDSM-Schmonzette abgewinnen könne. Viele, die deswegen auf den Fetisch Hof zu Veranstaltungen kommen, seien so schockiert, dass sie den Hof sofort wieder verlassen würden. „Viele denken wohl, dass sie hier hinter irgendeiner Maske einen gut aussehenden Milliardär finden. Aber das ist nicht so. Es kommt auch keiner zur nächsten Baumarktangestellten und nimmt die da vom Fleck weg mit. Das ist doch Blödsinn”, sagt Hans und verabschiedet sich, um sich um die neuen Kunden zu kümmern.
Hanna Halfon
[ "BDSM", "Berlin", "Beziehung", "Deutschland", "Fetisch", "fifty shades of grey", "gesellschaft", "neukölln", "NSFW", "Sex", "Vice Blog" ]
Sex
2016-01-20T05:00:00+00:00
2024-07-30T21:46:14+00:00
https://www.vice.com/de/read/in-diesem-hinterhof-trifft-sich-die-berliner-fetisch-szene-neukoellner-fetisch-hof-254
Eine Frau beschreibt, wie sie Menschen in den Tod begleitet
Jasmin Schreiber möchte Sterbeamme werden und lässt sich gleichzeitig zum psychologischen Coach für Trauerarbeit ausbilden. Sie lebt in Berlin und arbeitet unter anderem als Journalistin und freie Autorin. Auf ihrem Blog sterbenueben.de schreibt sie über das Leben, Sterben und Trauern und teilt Erfahrungen aus ihrer ehrenamtlichen Arbeit und Ausbildung. Dort ist ihr Text über Gerda zuerst erschienen. Schreiber fotografiert ehrenamtlich auch Sternenkinder. Das sind Kinder, die noch im Bauch der Mutter, bei oder kurz nach der Geburt sterben. Auf Gofundme.com könnt ihr ihre Arbeit unterstützen. “Wissen Sie, wann mich vor Ihnen zuletzt jemand mit Vornamen angesprochen hat?” – “Wann?” – “Das war vor sechs Wochen. Als ich beim Röntgen war. Die Schwester dort hat mich ‘Gerda’ genannt, das war sehr nett.” Ihre Augen sehen aus wie das Meer an einem stürmischen Tag, an dem die Wellen weiß verwaschene Schaumkronen auf ihren Spitzen balancieren. Nass sehen diese Augen aus, und müde. Immer ist Gerda so unendlich müde. Auch von VICE: Das Leben innerhalb der alternden Biker-Gangs von Japan “Aber Ihre Familie spricht doch mit Ihnen”, erwidere ich. Ich sitze an ihrem Bett und wir spielen Karten, zumindest versuchen wir es. Sie kann die Karten kaum erkennen und ich verstehe die Regeln nicht. Wir könnten auch zwei Protagonistinnen in einem Loriot-Sketch sein. “Ja, ja, schon. Die nennen mich jedoch immer Oma oder Mama, aber Gerda … von den Leuten, die mich so nannten, ist niemand mehr da. Ich bin ein Dinosaurier”, sagt sie und korrigiert meinen Spielzug: “Sie hätten jetzt melden müssen.” “Schauen Sie mir bitte beim Sterben zu.” Gerda stirbt, deshalb bin ich hier. Ihre Familie hat mich kontaktiert. Sie hatten Gerda einen Artikel von mir vorgelesen und die alte Frau bat sie, mir zu schreiben und mich einzuladen. “Schauen Sie mir bitte beim Sterben zu”, sagte sie mir direkt am Anfang, “da können Sie was lernen.” Und jetzt sitze ich hier und wir spielen Canasta. Ihre Finger sind dünn und knotig, die Haut hängt wie Seidenpapier an den Knochen. “Fassen Sie mal an”, sagt sie mir. Ich nehme ihre Hand in meine und streiche über die Haut, die sich tatsächlich anfühlt wie dünnes Papier. Ihre Gelenke sind geschwollen, meist hält sie die Hände wie die Klauen eines Greifvogels. Als wolle sie jeden Moment etwas packen, meine Nase, mein Hirn, mein Herz, vielleicht alles zusammen, aber das gehört so. Gerda packt mich von innen und ich lasse es geschehen. “Wenn ich tot bin, wird meine Tochter mich waschen. Das habe ich schon bei meiner Mutter so gemacht. Sie wird mich waschen und anziehen und dann werde ich eine Nacht hier im Haus liegen. Macht heutzutage kaum noch jemand, wir aber schon. Ich bin schließlich immer noch ihre Mutter, auch, wenn ich tot bin. Und um seine Mutter kümmert man sich. Außerdem müssen wir voneinander Abschied nehmen, das Haus und ich. Das Haus muss sich dran gewöhnen, dass ich nicht mehr da bin und mein Körper muss ebenfalls Lebwohl zum Haus sagen. Das braucht alles Zeit, wissen Sie.” Nein, das weiß ich nicht. Ich weiß wenig von alldem, hatte bislang kaum Todesfälle in meinem engeren Umfeld. Überhaupt komme ich mir neben Gerda vor, als wäre ich fünf und hätte noch nie irgendwas von Belang erlebt. Sie hingegen hat zwei Kriege hinter sich, ein geteiltes Deutschland, sie hat zwei Ehemänner überlebt, drei Kinder bekommen, zwei davon leben noch. Sie hat vier Enkelkinder und während ihres gesamten Lebens hatte sie dreiundzwanzig Haustiere, hauptsächlich Katzen. Fast 100 Schläge pro Minute Ruhepuls. “Das Herz beeilt sich, es sprintet zum Ziel”, lacht sie. “Herzen zählen runter”, sage ich. “Fühlen Sie mal meinen Puls.” Ich wende ihre Hand, die immer noch in meiner liegt und lege Zeige- und Mittelfinger an ihre Pulsschlagader. Fast 100 Schläge pro Minute Ruhepuls. “Das Herz beeilt sich, es sprintet zum Ziel”, lacht sie. “Herzen zählen runter”, sage ich. – “Oh, das ist schön, das merke ich mir!” “Wenn man stirbt”, sagt sie, greift nach meinen Karten, schaut sie an und sortiert sie neu, “dann bremst alles irgendwie ab. Ich bin ein welker Baum. Ich habe keinen Hunger mehr, weil ich nichts mehr schmecke. Nur salzig, das schmecke ich noch. Ist aber kein spannender Geschmack, ehrlich gesagt, also wenn es der einzige ist. Und ich pinkel nur noch wenig, darf ich Ihnen das sagen? Das mit dem Pinkeln? Ich finde das normal, wir pinkeln alle, aber manche Leute reden nicht so gern darüber. Ich schlafe viel, fast so, als wolle sich der Körper nicht mehr die Mühe machen mit der ganzen Aufwachensache. Wenn man gar nicht erst richtig aufwacht, hat man weniger Arbeit, wieder schlafen zu gehen.” Zwischen den Worten macht sie lange Pause, sie ist erschöpft. Trotzdem hat sie schon wieder gewonnen und ich habe keine Ahnung, wie das passiert ist oder welche Kriterien überhaupt erfüllt sein müssen, um Canasta zu gewinnen. “Schreiben Sie dann einen Text über mich?”, fragt sie. Wir hören auf zu spielen, sie ist zu müde und ich nicht schlau genug, wie es scheint. “Nein”, sage ich. “Aber wieso denn nicht?” – sie klingt ernsthaft gekränkt. “Ist Ihnen das nicht zu persönlich, das Sterben?” – “Ach, Sie können ja meinen Namen ändern. Nennen Sie mich Gerda, der hat mir immer sehr gefallen. Und schließlich machen wir das ja deshalb hier.” – “Das Sterben?” – “Na, ich sterbe ja wohl kaum für Sie. Aber das Treffen. Schauen sie ein bisschen zu und dann schreiben Sie darüber. Und dann druckt meine Tochter den Text aus und kann ihn anfassen. Dann kann sie das Sterben anfassen und weiß, dass ich gestorben bin.” “Vorm Sterben hab ich Angst, hoffentlich tut es nicht weh.” Plötzlich springt etwas auf meinen Schoß, eine rotgetigerte Katze erklimmt mich. “Das ist Felix”, sagt sie, “der Name ist nicht sehr einfallsreich, aber mir gingen einfach die Ideen aus und ein Name ist so gut wie der andere.” Ich streiche dem Tier über den Rücken, wir betrachten uns misstrauisch. Katzen und ich haben ein seltsames Verhältnis zueinander, man weiß nie, wer sich unwohler fühlt, das Tier oder ich. “Haben Sie einen Mann?”, fragt Gerda. “Nein”, sage ich. – “Einen Freund?” – “Nicht mehr, der ist mir kürzlich abhanden gekommen.” – “Das ist ja seltsam. Eine Frau, die keine Angst vorm Tod hat, sollte man unbedingt heiraten.” – “Aber ich habe Angst vorm Tod, sehr.” – “Und doch stellen Sie sich dieser Angst. Das erfordert Schneid. Menschen, die nie Angst haben, leben nicht richtig. Die sparen die spannenden Dinge aus, es könnte ja was passieren.” Gerda lehnt sich zurück, schließt die Augen und wir schweigen lange. Ihr Atem rasselt, ab und zu versucht sie, kraftlos zu husten, doch es fällt ihr schwer. “Nehmen Sie noch einmal meine Hand, so wie eben? Das war schön. Sie sind ganz warm.” Ich nehme ihre zarten Papierhände wieder in meine. “Haben Sie Angst vorm Tod?”, frage ich. “Nicht so sehr wie vorm Sterben. Vorm Sterben habe ich Angst, hoffentlich tut es nicht weh. Auf den Tod freue ich mich eigentlich, dann habe ich endlich meine Ruhe.” – “Glauben Sie an ein Leben danach?” – “Das ändert sich mehrmals am Tag, manchmal ja, manchmal nein. Ich weiß nicht und irgendwie ist es mir nicht so wichtig.” – “Nicht so wichtig?” – “Na ja, wenn es keins gibt, merke ich es ja nicht und wenn es eins gibt, dann werde ich es ja merken, oder nicht?” “Ich wäre jetzt wirklich gerne für Sie gestorben.” Wieder schweigen wir. “Ich glaube, heute sterbe ich nicht.” – “Nein.” – “Sind Sie enttäuscht, dass ich nicht gestorben bin?” – “Was? Nein!” – “Ich bin schon ein bisschen enttäuscht. Ich wäre jetzt wirklich gerne für Sie gestorben, das hätte mir nichts ausgemacht, ehrlich.” – “Das ist ein seltsamer Satz.” – “Na, da wäre ich Ihre erste richtige Tote gewesen, also jetzt außer den kleinen Kindern, die sie fotografieren. Das hätte mich schon ein bisschen stolz gemacht.” – “Wollen Sie etwa um die Wette sterben?” – “Na klar, früher bin ich Pferderennen geritten! Ich muss mich immer messen. Dann wäre ich ihre erste Tote gewesen und vielleicht sogar die Hübscheste, wer weiß!” Ich bin nicht sicher, ob sie sich über mich lustig macht. Sie verzieht keine Miene, das perfekte Pokerface. “Gerda?” – “Ja?” – “Sind Sie zufrieden mit ihrem Leben gewesen?” – “Ja. Ich habe wirklich alles gemacht, was man so machen kann. Jetzt kommt das Ende. Ich habe ausgelebt, fiesta, Le fin, das war es jetzt. Alles ist gut so, wie es ist.” – “Das freut mich.” – “Ja. Kommen Sie bald noch einmal bei mir vorbei? Dann versuchen wir es nochmal mit dem Sterben.” – “OK.” – “OK.” Zum zweiten Treffen kam es nicht mehr. Gerda ist am 07. März 2018 gestorben. Sie ist meine erste Tote. Und ja, auch die Hübscheste. Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.
[ "Alter", "Entertainment", "familie", "Features", "Gesundheit", "Krankheit", "Psychologie", "sterben", "Tod", "trauer" ]
Popkultur
2018-03-19T11:28:35+00:00
2024-08-12T08:13:03+00:00
https://www.vice.com/de/article/eine-sterbeamme-beschreibt-wie-sie-menschen-in-den-tod-begleitet/
Die hohe Kunst der (Nicht-) Album-Promotion
Es war einmal eine Zeit, da funktionierte eine Album-Veröffentlichung so: Eine Band gab einen Termin bekannt, zumeist in Interviews beim Musikmagazin ihres Vertrauens oder im Rahmen eines Videos bei MTV. Je näher der Termin rückte, desto mehr Interviews gaben sie in Print, Radio und Fernsehen, streuten hier und da mal einen Live-Auftritt ein und verschickten Plakate an Plättenläden. Dann kam das Internet. Und wir wissen ja, dass das noch immer #Neuland für uns alle ist …, nein, im Ernst: Was die Promotion eines neuen Albums angeht, scheinen Labels, Agenturen und Musiker noch auf der Suche nach dem besten Weg zu sein. Die klassischen Wege mit Interviews, Vorabshows und Videopremieren sind noch immer angesagt (allerdings nicht mehr primär bei MTV), aber es gibt da ein paar Erweiterungen und Alternativen, die man durchaus mal analysieren kann. Die Über-Kampagne: Daft Punk – Random Access Memories Daft Punk haben dieses Jahr ein Album veröffentlicht, bei dem die ganze Welt dachte, dass es alles verändern würde: Columbia und Daft Punk haben uns durch ihre Kampagne erfolgreich glauben lassen, dass Random Access Memories die Geschichte der Menschheit umschreiben würde, mindestens. Dann kam das Album tatsächlich raus und die allgemeine Meinung revidierte sich schlagartig. Aber von vorn: Die Promo von RAM war hochprofessionell. Im Grunde haben Daft Punk das klassische Promo-Konzept gewählt, aber sie haben es bis zum Ende ausformuliert und alles rausgeholt, was möglich ist und so neue Maßstäbe gesetzt. Es begann damit, dass Ewigkeiten vor dem Release die News gelauncht wurde, dass Daft Punk einen Vertrag bei Columbia / Sony Music unterzeichnet hätten. Eigentlich ist so ein Plattendeal keine besonders wichtige News, aber DAFT PUNK! SONY! Ich weiß bis heute nicht, was so verrückt daran ist, aber als die Nachricht rauskam, sprach jeder davon. Vermutlich lag es in erster Linie daran, dass mit dieser News auch die eigentlich Nachricht die Runde machte: Daft Punk bringen nach fast acht Jahren ein neues Album raus. Nach acht Jahren! DAFT PUNK! SONY! Aber danach ging es ja überhaupt erst los. In einer nahezu genialen Mischung aus Restriktion und totaler Offenheit wurden ständig News gelauncht (wann das Album kommt, wie es heißen wird, wer drauf ist!) und gleichzeitig wusste niemand wirklich, wie es klingen wird. Irgendwann durften dann ein paar handverlesene Journalisten in ein paar handverlesenen Städten das komplette Album genau ein Mal durchhören. Davor mussten sie einen Vertrag unterschreiben, in dem stand, dass sie bis zu einem festen Datum nicht über den Inhalt schreiben, ja, noch nicht einmal reden durften. Und natürlich sickerte genau dadurch doch durch, wie das Album klingt: Nämlich nicht nach Human After All beziehungsweise eben doch gerade menschlich. Daft Punk machen echte Musik. Verrückt. Befeuert wurde das geschickt durch Soundsnippets und die Interviewreihe mit diversen Kollaborateuren. Zuletzt gipfelte die daraus entstehende Vorfreude regelrecht in einem Wahn, ausgelöst von der Veröffentlichung der Single „Get Lucky“. Kein Wunder, dass das Album überall auf eins ging, bevor die Menschheit realisierte, dass es gar nicht so gut war. Aber da hatte die Menschheit es ja schon gekauft. Ergebnis: Nummer eins in 23 Ländern, inklusive USA, United Kingdom und Deutschland. Die Ich-mach-was-ich-will-und-scheiß-auf-euch-Kampagne: Kanye West – Yeezus Die Yeezus-Promotion bestand aus einem Tweet, den Kanye am 2. Mai höchstpersönlich verschickte und bei dem er weit unter den 140 möglichen Zeichen blieb: June Eighteen. Der Rest der Promo war in etwa so aufschlussreich wie da Albumcover. Also gar nicht. Keine Interviews, keine Videos, keine Behind-the-Scenes. Noch nicht mal aktuelle Pressebilder (die letzten offiziellen Fotos stammen von 2010). Die einzige wirkliche Aktion war das Screening seines Videos zu „New Slave“ an weltweit 66 Häuserwänden. Wie viele Leute er damit erreicht hat, weiß ich nicht, aber ich gehörte nicht dazu. Am gleichen Abend gab Kanye dann den Titel der Albums bekannt, was so ziemlich die größte News der ganzen Kampagne war, aber im Grunde vor allem deshalb funktionierte, weil alle dachten, dass er jetzt völlig durchdreht. Irgendwann sickerte dann noch durch, dass es kein Albumcover geben würde, aber erst als Yeezus bei Amazon gelistet wurde, setze sich die Überzeugung durch, dass es Kanyes neues Album wirklich geben würde. Dann veröffentlichte Kanye einen völlig wirren Trailer bei Youtube, der allerdings die Aufmerksamkeit kaum erhöht haben dürfte, denn bis heute hat er gerade mal 3.900 Views gesammelt und allein drei davon stammen von mir. In der Woche des Release spielte Kanye dann noch bei SNL, das war‘s. Ergebnis: Nummer eins in den USA, United Kingdom und vier weiteren Ländern, Platz 15 in Deutschland. Die Ich-lass-meine-Promo-von-einem-riesigen-Unternehmen-finanzieren-Kampagne: Jay-Z – Magna Carta Holy Grail Jay-Z braucht keine Promo. Denn Jay-Z hat schon vor der Veröffentlichung 1 Million Kopien seines neuen Albums verkauft—für 5 Dollar das Stück an Samsung. Genauer gesagt, hat Jay-Z 1 Million Kopien verkauft, bevor überhaupt irgendjemand wusste, dass es ein neues Album geben wird. Bis auf die Geschäftsführung von Samsung eben. Kein schlechter Move. Ob Magna Carta Holy Grail jemals Verkaufsrekorde brechen wird, ist fraglich, aber Jay-Z ist schon vor der Veröffentlichung auf der sicheren Seite. Noch wird eifrig diskutiert, ob die Gratis-Downloads von Millionen Samsung-Nutzern in offizielle Chart-Wertung gezählt wird, falls ja, dürfte das Album zumindest den Rekord des am schnellsten auf eins schießenden Albums inne haben—1 Million Verkäufe am ersten Tag. Und wenn dann noch ein paar richtige Albumverkäufe dazukommen, für die Minderheit der Menschen, die kein Samsung Smartphone besitzen, dürfte Jigga zumindest sein Jahreseinkommen schon mal auf ein stabiles Niveau heben. Abgesehen davon passiert dank der Marketingabteilung von Samsung seit der Ankündigung vor zwei Wochen sehr viel. Es läuft ein wenig nach dem Motto: Wie viel Promo können wir in zwei Wochen quetschen? Die Antwort: Viel. Zumindest versorgen uns Samsung und Jay-Z massenhaft mit hübschen Teaservideos und (semi-) emotionalem Blahblah, sowohl über Youtube als auch über die MCHG-App. Und im Gegensatz zu Kanyes Trailer, werden Jiggas Videos auch geguckt—der erste dreiminütige Trailer hat mehr als 23,5 Millionen Views. Interviews, Vorab-Videos und Live-Gigs gibt es natürlich trotzdem nicht. Ergebnis: Wahrscheinlich in 400 Ländern auf Nummer eins, vor allem in Südkorea. ** Folgt YNTHT bei Twitter und Facebook für tägliche Updates über eure Lieblingsmusiker: @YNTHT_DE folgen MEHR VON YOU NEED TO HEAR THIS
Ayke Süthoff and Ayke Süthoff
[ "Album", "Daft Punk", "daft punk album", "Features", "Jay Z", "jayz", "kanye west", "Magna Carta Holy Grail", "Music", "Noisey", "promo", "Random Access Memories", "Yeezus", "You Need to Hear This" ]
2013-07-02T09:00:00+00:00
2024-07-31T04:55:32+00:00
https://www.vice.com/de/article/die-hohe-kunst-der-nicht-album-promotion/
Eine Dating-Seite will Menschen durch die richtigen Memes zusammenbringen
Seit etwa 15 Minuten klicke ich mich durch Memes: Gifs von Typen, denen Surfbretter in den Schritt und Schubkarren auf den Kopf fallen, Klimawandelbesserwissertum illustriert mit dem Murmeltier aus dem Film “Und täglich grüßt das Murmeltier”, kurze Phrasen in der Schriftart Impact, bedröppelte Katzen mit Einhornhüten. Ich habe kein einziges Mal gelacht, aber ich bringe dieses Opfer im Namen der Liebe: Denn indem ich die Memes bewerte (nicht lustig – extrem lustig) will die Dating-Seite eHarmony herausfinden, welchen Humor seine Nutzer haben und so den Matchmaking-Algorithmus verbessern. Wie das im Detail funktioniert, hat Steve Carter, der Wissenschaftler hinter dem eHarmony-Algorithmus in Chips With Everything, dem Tech-Podcast des Guardian, erklärt. …weiterlesen auf Motherboard Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.
Dennis Kogel
[ "Dating", "Liebe", "Memes", "Motherboard" ]
Sex
2017-05-25T16:00:00+00:00
2024-07-30T20:05:48+00:00
https://www.vice.com/de/article/dating-seite-will-menschen-durch-die-richtigen-memes-zusammenbringen/
Photo Issue 2014: Self-Portrait as Pennywise the Clown
Self-portrait as Pennywise the Clown with the Blob, Jason, Freddy, Chucky, Leprechaun, and Basketcase in re-creation of the Nativity scene from the Vyššì Brod Altarpiece (1350), 2014 Besonderen Dank an Sofia Dixon, Juan Forero, Megan Nielson, Peter Fankhauser, Megan Goddard, Joseph Keckler, Molly Ryan und Emily Adamo
Jaimie Warren
[ "DIE PHOTO ISSUE 2014", "Fotografie", "Fotos", "HORROR", "Jahrgang 10 Ausgabe 6", "Jahrgang 8 Ausgabe 7", "Photo", "photo issue 2014", "Serienmörder", "superstars", "VICE Magazine" ]
2014-09-30T12:00:00+00:00
2024-07-31T03:45:45+00:00
https://www.vice.com/de/article/self-portrait-as-pennywise-the-clown-0000762-v10n6/
Werner Herzog hat viel Zeit für Wrestling
Werner Herzog bei sich zu Hause in Los Angeles. Fotos: Jamie Lee Curtis Taete Erst nach der Veröffentlichung von Grizzly Man und Tod in Texas wurde Werner Herzog zum Gesprächsthema von dir und deinen Freunden. Davor war er einfach nur der mit Preisen ausgezeichnete und von Kritikern gelobte Vater des modernen europäischen Kinos—der Mann, der im peruanischen Regenwald ein 320 Tonnen schweres Schiff über einen Hügel schleppt und der für eine Kurzdokumentation seinen eigenen Schuh kochte und dann aß. Diesen Monat hat der Verlag Faber & Faber das Buch A Guide for the Perplexed veröffentlicht, ein Auszug aus den Unterhaltungen zwischen Herzog und dem Autor Paul Cronin. Als Dokument von einem der produktivsten Filmemacher der Welt liest es sich fast wie eine Selbsthilfe. „Gewöhnt euch lieber an den Bären hinter euch“, erzählt er uns und bezieht sich dabei anscheinend auf die Ambition und den Willen, etwas zu erschaffen. Gleichzeitig ruft er einem damit aber auch Bilder von Timothy Treadwell aka Grizzly Man ins Gedächtnis. Ich lehne mich jetzt mal etwas aus dem Fenster und behaupte, dass es das beste Buch des Jahres ist. Letzte Woche rief ich Herzog an und wir sprachen über Filme, Football, WrestleMania und den abscheulichen Trend des Kinder-Yogas.  Werner Herzog in seinem Haus in Los Angeles. VICE: Ich bin gerade mit A Guide for the Perplexed fertig geworden. Bist du schon dazu gekommen, das Buch zu lesen? Werner Herzog: Ja, als wir den ganzen Text nochmals gegengelesen haben. Dabei haben wir keinen Stein auf dem anderen gelassen. Ist das nicht komisch, seine eigenen Worte noch mal zu lesen? Ich habe ganz professionell eine gewisse Distanz dazu bewahrt, denn ich glaube, es ist unklug, sein eigenes Werk zu lange zu betrachten. Jetzt ist es ja für die Leser verfügbar. Ich habe viele weitere Projekte am Laufen, mach dir also um mich keine Sorgen. An welchen Projekten arbeitest du gerade? Ich stelle gerade Queen of the Desert fertig, ich bereite drei Spielfilme vor und am Ende der Woche kümmere ich mich um meine Rogue Film School. Kannst du mir etwas mehr über die Rogue Film School erzählen? Aber natürlich. Seit 20 oder 25 Jahren gibt es einen stetigen Fluss von jungen Filmemachern, die mich mit dem Wunsch kontaktierten, mein Assistent zu sein, etwas von mir zu lernen oder zu meinem Team zu gehören. Das wurden immer mehr. Ich kann dir ein Beispiel nennen: Vor ein paar Jahren nahm ich in der Royal Albert Hall—dort haben knapp 3000 Leute Platz—an einer Bühnendiskussion teil. Die Veranstaltung war innerhalb von Minuten ausverkauft und von den 3000 Anwesenden wollten mindestens 2000 gerne mit mir arbeiten. Ich versuchte also, diesen Ansturm systematisch anzugehen. Die Rogue Film School kann jährlich 50 Mal oder auch nur einmal stattfinden. Alles was ich brauche, ist ein Projektor. Ich könnte das Ganze auch mitten in der Wüste durchführen. Was hältst du von dieser jungen Generation von Filmemachern? Die Leute, die mich kontaktieren, sind oft nicht älter als 15,16 oder 17 Jahre. Ich habe keine Ahnung, wie man diese Generation nennt und das ist mir auch egal. Ich vermisse allerdings die Lesekultur, also von richtigen Büchern. Das ist auch eine Sache, die ich von den Schülern der Rogue Film School verlange—es gibt eine verbindliche Lektüreliste. Über die Theorie des Films? Nein, nein. Das ist das Letzte, was ich will. Die Theorie des Films wird sofort über Bord geworfen. Nein, ich rede hier von römischer Dichtkunst aus der Antike, von isländischer Poesie, von einer Kurzgeschichte Hemingways oder vom Bericht der Warren-Kommission über die Ermordung Kennedys—lauter ziemlich wildes Zeug. Kannst du mir beschreiben, wie es war, beim Dreh von Die Höhle der vergessenen Träume die Chauvet-Höhle zu betreten—der Fundort der ältesten Zeichnungen der Welt? Zu allererst muss ich sagen, dass man weiß, welches seltene Privileg man da hat. Jeden Tag besteigen mehr und mehr Leute den Gipfel des Mount Everest. Die Höhlen werden wohl bald für immer geschlossen. Wenn du an einem wissenschaftlichen Projekt arbeitest oder einen wirklich überzeugenden Grund hast, dann bekommst du vielleicht die Erlaubnis, da reinzugehen. Allerdings wurde auch schon Staatsoberhäuptern anderer Länder der Zugang verweigert. Wir müssen die Zeichnungen natürlich mit den Augen der altsteinzeitlichen Maler betrachten. Die hatten nur flackerndes Licht und so entsteht eine Art Dynamik, eine Art Bewegung. Vor der Hauptwand gibt es mehrere Lichtquellen—eine Reihe an Feuern—, die sich allerdings hinter den Leuten befinden. So wurden also auch deren eigene Schatten an die Wand geworfen. Wir wissen nicht, was hinter all dem steckt; wir können nur sagen, dass da ein filmisches Element vorhanden war, ein Spiel von Licht und Schatten. Du scheinst der akademischen Welt gegenüber eine zynische Haltung einzunehmen. Nun, die akademische Welt war der Tod der Poesie—oder zumindest fast. Jetzt ist so langsam auch das Kino davon betroffen und die akademische Welt will die Flamme löschen. Das wird allerdings nicht passieren. Immer wenn jemand versucht, das Kino mit einer Theorie des Films anzugehen, will ich damit nichts zu tun haben. Ich nehme an, dass du dich nicht wirklich mit der Popkultur auseinander setzt? Nein, nicht besonders. OK, solche Phänomene wie WrestleMania interessieren mich doch sehr. Ich hab mir auch die Anna Nicole Smith Show angeschaut, weil man da eine sehr komische kulturelle Veränderung sehen konnte. Ich gehe auch zu Football-Spielen, das ist ebenfalls eine Form der Popkultur. Fliegst du oft zurück in deine Heimat in Bayern? Ja, so oft es geht. Mir fehlt der bayrische Dialekt. Wenn ich auf der ganzen Welt unterwegs bin, dann vermisse ich aus meinem Heimatland am meisten den Dialekt. Dort sind deiner Fantasie bestimmt keine Grenzen gesetzt. Hast du dich von Menschen wie König Ludwig II. inspirieren lassen? Natürlich. Für die Menschen in Bayern ist er ein kultureller Held und für das Verständnis der dortigen Kultur sehr wichtig. Die Träume, die er verwirklicht, und die Schlösser, die er gebaut hat, sind jetzt sogar in Disneyland zu finden. Die Bauten von König Ludwig II. waren die Vorlage für das Disney-Schloss. Schloß Neuschwanstein, Bayern. Foto: Wikimedia | Public Domain Viele deiner Werke zeigen Leute in extremen Situationen. Findest du das tägliche Leben nicht interessant? Nun, doch. Meine Familie ist wundervoll und ich gehöre zu den wirklich wenigen Männern, die glücklich verheiratet sind. Das finde ich am tollsten und aufregendsten. Und ich bin nach Los Angeles gezogen, weil mich vor 20 Jahren verliebt habe. Findest du es schwierig, abzuschalten und mit der Beobachtung von Leuten aufzuhören? Hat deine Familie dir schon mal gesagt, dass sie einfach nur in Ruhe frühstücken wollen? [lacht] Nein. Ich bin ans Filme machen gewöhnt. Natürlich weiß ich auch, wie ich mich meiner Familie gegenüber zu verhalten habe—ich muss da nichts an- und abschalten. OK, ich war nur neugierig. Findest du dich selbst witzig? Nun, meiner Meinung nach sind alle meine Filme voller Humor. Als mich Paul Cronin in A Guide for the Perplexed fragt, ob ich der Welt und den zukünftigen Generationen etwas mitteilen will, wurde ich daran erinnert, was der Hotelmagnat Conrad Hilton mal sagte: „Wenn du duschst, dann lass den Duschvorhang nicht aus der Dusche raushängen.“  Cool, das merke ich mir. In Begegnungen am Ende der Welt scheinst du wegen den verrückt gewordenen Pinguinen sehr besorgt zu sein. War das wirklich so? Schau, das ist schwarzer Humor. Wenn du Filme wie Bad Lieutenant – Cop ohne Gewissen hernimmst, dann lachen die Leute da mehr als bei einer Komödie von Eddie Murphy. In einigen meiner Filme gibt es auch herkömmlichen Humor. Die Leute scheinen den lustigen Charakter meiner Werke erst jetzt zu entdecken.    Wie bekommst du die Leute in deinen Dokumentationen dazu, sich zu öffnen? Ich gebe meinen Gesprächspartnern immer viel Freiraum. Ich hake auch sehr schnell sehr tief nach. Aber so etwas kann man jemandem nur schwer beibringen. Tod in Texas beginnt zum Beispiel mit dem Geistlichen, der 30 Minuten später bei der Hinrichtung dabei ist. Als ich zum ersten Mal mit ihm sprach, antwortete er immer wie ein Fernsehprediger, total gekünstelt und oberflächlich. Er erwähnte, dass er kurz vorher Golf gespielt hat und dass ihn dabei die Pferde, die Eichhörnchen und das Wild angeschaut hätten. Da unterbrach ich ihn und sagte: „Erzähl mir von der Begegnung mit einem Eichhörnchen.“ Da zerbröckelte seine Fassade und er öffnete sich—wir konnten ganz tief in seine Seele blicken. Tod in Texas wurde oft mit Truman Capotes Kaltblütig verglichen. Warst du dir beim Dreh dieser Ähnlichkeiten bewusst? Man muss hier sehr vorsichtig sein, denn Truman Capote hat die zum Thema gemachten Personen irgendwie ausgenutzt. Ich war Truman Capote gegenüber schon immer misstrauisch, denn er hielt die Veröffentlichung des Buches jahrelang zurück und behauptete, dass es noch nicht fertig sei. Er hat einfach nur gewartet, bis beide wirklich hingerichtet wurden, war bei der Exekution dabei und schrieb darüber ein finales Kapitel. Ich finde das irgendwie verdächtig. Das Buch ist sehr gut geschrieben, aber darf ich etwas anmerken? Mein Film ist tiefgreifender und besser.  Der Trailer von Tod in Texas (Into the Abyss) Du hast dich dazu entschieden, aus Respekt vor Timothy Treadwell die Tonaufnahme nicht abzuspielen, auf der zu hören ist, wie er in Grizzly Man von einem Bären getötet wird … Ja. Hast du während deiner Karriere jemals bereut, eine bestimmte Grenze überschritten zu haben? Nicht wirklich. Ich finde alle meine Filme gut, sogar die, in denen ich selber mitspiele—zum Beispiel war ich in Jack Reacher der Bösewicht. Ich habe Spaß bei dem, was ich tue. Und übrigens, ich bin in dem Film der Einzige, der irgendwie angsteinflößend wirkt. Du warst in dem Film in der Tat sehr angsteinflößend. Ja. Ich wurde gut bezahlt und war auch jeden Cent wert. Wie war es, mit Tom Cruise zusammenzuarbeiten? Interessant. Ich mag seine unermüdliche Professionalität. Er ist ein sehr großzügiger und freundlicher Mensch. Du hältst dich nicht für so viele Jahrzehnte an der Spitze, wenn du nicht etwas Besonderes an dir hast. Gibt es Schauspieler, mit denen du gerne noch zusammenarbeiten würdest? Ja. Humphrey Bogart, Edward G. Robinson, Lillian Gish … Das könnte schwierig werden. [lacht] Marilyn Monroe! Nein, ich hatte das Privileg, mit den Besten der Besten zu arbeiten. Das aktuellste Beispiel ist Nicole Kidman, sie ist sensationell. Kannst du mir noch schnell erklären, warum du Fitnessstudios, Yogakurse und öffentlich trainierende Leute verachtest? Ich verachte auch Yogakurse für Kinder, such dir was aus. Das lasse ich jetzt mal so stehen. Schreib einfach, dass ich absolut kein Verständnis für Kinder-Yogakurse, Yogastudios und solche Sachen habe. Aber du bist doch mit David Lynch befreundet, der sich viel mit der Transzendentalen Meditation beschäftigt. Wäre das denn überhaupt nichts für dich? Nein. Punkt. Danke, Werner. 
Nathalie Olah, Fotos: Jamie Lee Curtis Taete
[ "Bayern", "Film", "Hollwood", "Interview", "Kino", "Klaus Kinski", "Stuff", "truman-capote", "Vice Blog", "Werner Herzog", "WRESTLING", "yoga" ]
Popkultur
2014-09-01T07:20:00+00:00
2024-07-31T03:40:01+00:00
https://www.vice.com/de/article/fuer-wrestling-hat-werner-herzog-viel-zeit-917/
Love As neues Video zeigt: Punk kann auch Schlager
Foto: Screenshot von Facebook aus dem Video “LOVE A – Die Anderen (official Video)” von Love A Die Post-Punker Love A haben jetzt also Bock auf Retro-Schlager. Zumindest kommt das neue Video zu “Die Anderen” im angestaubten Schlagerlook daher und wir sehen, wie sich Claus Lüer – bekannt unter anderem durch seine Punkband Knochenfabrik – tänzelnd durch eine vernebelte Diskokugel-Welt bewegt. Inhaltlich geht es glücklicherweise nicht um Kitsch: “Fühlen wir uns nicht verraten, wenn sie mögen, was wir machen, während wir uns selber so sehr dafür hassen? Wahrscheinlich klingt das ziemlich schräg und das ist es sicher auch – im Zweifel für die anderen.” Für uns klingt nicht nur der Song mitreißend gut, sondern sieht das konträre Video auch glamourös-gut aus.  Nichts ist neu erscheint am 12. Mai via Rookie Records. Folge Noisey auf Facebook, Instagram und Snapchat. Aus dem VICE-Netzwerk: Disco-Ikone Danny Krivit über das Paradise Garage, Jimi Hendrix und 45 Jahre Deejaying
Noisey Staff
[ "Features", "love a", "Music", "Neue Musik", "Nichts ist neu", "Noisey" ]
2017-04-26T12:26:27+00:00
2024-07-30T19:43:54+00:00
https://www.vice.com/de/article/love-as-neues-video-zeigt-punk-kann-auch-schlager-und-bleibt-punk/
Wie ich als 14-jähriger Jude aus Israel in eine NPD-Hochburg zog
Shahak Shapira ist Israeli, Berliner und hat einen durchschnittlich großen Penis. Seine Hobbys sind Hummus, Death Metal und keinen Diabetes haben. Mit 14 Jahren verließ er Israel gemeinsam mit seiner Mutter und seinem jüngerem Bruder und landete in einer gottverlassenen NPD-Hochburg in Deutschland. 2015 wurde Shahak für 2,5 Minuten bekannt, nachdem er in der Berliner U-Bahn antisemitische Gesänge filmte und dafür von einer Horde junger Männer angegriffen wurde. Ein Mediengewitter war die Folge, PEGIDA solidarisierte sich, aus Israel kam die Empfehlung, in die Heimat zurückzukehren. Dann bot ihm ein skrupelloser Verlag an, für lächerlich viel Geld ein Buch zu schreiben. Er stimmte aus purer … ähm … “Leidenschaft” … zu. Nun schreibt er über seine Jugend als einziger Jude im tiefsten Sachsen-Anhalt und über seine Familie. Seine Botschaft: Jeder entscheidet selbst, ob er ein rassistisches Arschloch ist oder nicht. Umleitung. Das ist mein erstes deutsches Wort. Obwohl Hitler damals angeblich so klasse Autobahnen gebaut hat, ist der Weg vom Leipziger Flughafen voll davon. Eigentlich hat Konrad Adenauer die Autobahn erfunden, schon in den zwanziger Jahren, aber die Burschen, die in ihren tiefergelegten Nissan Micras mit hundertsechzig Stundenkilometern zu harten Böhse-Onkelz-Platten über jene Asphaltwunder germanischer Ingenieurkunst fahren, sind in der Regel keine Geschichtsexperten. Es ist der 4. Juli 2002. In unserem Auto, einem hochwertigen Geländewagen von Mitsubishi, läuft “Mensch” von Herbert Grönemeyer—die erste Strafe, die ich als Jude in Deutschland erdulden muss. Es tut gleichmäßig weh. Olaf, der neue Freund meiner Mutter, erzählt uns, wie Grönemeyer sich nach dem Tod seines Bruders und seiner Frau zurückgezogen hat und nun mit einem neuen Album in die Musikszene zurückgekehrt ist. Noch ahnen wir nicht, dass dies das meistverkaufte Album der deutschen Musikgeschichte werden wird. Olaf und meine Mutter haben sich durch ihr gemeinsames Engagement für die deutsch-israelischen Beziehungen im Sportbereich kennengelernt. Sie sprechen einen exotischen Mix aus Deutsch, Englisch und Hebräisch—er nennt sie Baby, sie nennt ihn Nudnik, was auf Jiddisch so viel wie “Nervensäge” bedeutet. Wir fahren von der A9 in eine weitere Umleitung ab, die idyllische Landschaft der sachsen-anhaltinischen Provinz entfaltet sich vor unseren Augen. Burgenlandkreis, so nennt sich diese Gegend. Die von der Saale abfließende Unstrut schlängelt sich zwischen üppigen Weinbergen, mittelalterliche Schlösser flüstern alte Geschichten, und majestätische Sonnenblumen bedecken die Felder wie ein frisch bezogenes Bett. Es ist so beschissen. Laucha | Foto: Wikimedia | L102212 | Copyleft Die “Toskana des Nordens”—so wird das Unstrut-Tal von skrupellosen Tourismuswerbern tatsächlich genannt. Mitten in dieser Mischung aus mittelmäßiger Natur und sparsam gestreuter Kultur befindet sich unser zukünftiger Wohnort: Laucha. Der Name “Laucha” kommt aus dem Slawischen und bedeutet so viel wie sumpfiges Gelände oder morastige Wiese. Eine Kleinstadt mit etwa 3.000 Einwohnern, einer Kirche und einen Kebabstand, der der wahrscheinlich einzigen vietnamesischen Familie im Radius von fünfzig Kilometern gehört. Dementsprechend kann man im kleinen Bistro am Marktplatz nicht nur die feinste Selektion von saftigen Scheiben aus dem rotierenden Fleisch-Klumpen bestellen, sondern auch ein authentisches Bami Goreng. Ist zwar ein indonesisches und kein vietnamesisches Gericht, aber Hauptsache aus Tokio. Oft leiden Restaurants, die gleich mehrere Küchenstile mit Kebabspieß und Wok kulinarisch vergewaltigen, unter einem schlechten Ruf. Zu Recht! Man kann nicht in allen Nationalgerichten dieser Welt brillieren. Für einen Vogel ist das Fliegen Arbeit genug, er muss nicht auch noch Schwimmen lernen. Was gibt es allerdings für ein schöneres Zeichen der Integrationsbereitschaft, als wenn der einzige Kebab einer Stadt in Sachsen-Anhalt von Vietnamesen am Spieß gedreht wird? Ein weiteres Highlight ist das Gymnasium Laucha, das stolz den Titel “Schule gegen Rassismus – Schule mit Courage” trägt. Es ist ein modernes Gebäude aus Glas und Metall. Als einzige Schule in der gesamten Bundesrepublik bietet das Gymnasium Luft- und Raumfahrt als Unterrichtsfach an, und es besitzt einen eigenen Weinberg, der von den Schülern der Weinbau AG bewirtschaftet wird. Es war ja nicht alles schlecht in Laucha. Mein persönliches Nonplusultra am Gymnasium war allerdings die Tatsache, dass das Schulgebäude, anders als meine Schule in Israel, nicht von einem fünf Meter hohen Zaun umgeben war. Keine Security am Eingang, kein Metalldetektor, keine Taschenkontrolle—die Kinder konnten die Schule nach Lust und Laune betreten und verlassen. Donnerwetter! Eine Welt ohne Terrorgefahr lächelte mich fröhlich an, und ich lächelte nicht zurück. Ich war ein pessimistisches Kind. Was gibt es für ein schöneres Zeichen der Integrationsbereitschaft, als wenn der einzige Kebabstand einer Stadt in Sachsen-Anhalt von Vietnamesen betrieben wird? Unser Mitsubishi-Jeep rollt durch die Hauptstraße am Rathaus vorbei, wo sich die Dorfjugend von Welt so trifft. Als der Wagen vor der Bahnschranke stehen bleibt, sehe ich einen glatzköpfigen Mann auf einem kleinen Fahrrad am Straßenrand. Sein Gesicht ist gepierct, die Haut von Tätowierungen bedeckt. Es ist ein sonniger Tag mitten im Juli, und die kurze Hose bedeckt nicht mal ansatzweise das riesige Hakenkreuz auf seinem Bein. Willkommen in Laucha. Gehen drei Juden nach Sachsen-Anhalt …—klingt wie ein schlechter Witz. Ich werde oft gefragt, wie ein vierzehnjähriger Israeli ausgerechnet in diesem Kaff landen konnte. Es ist ja auch absurd, aber welcher Israeli weiß schon, wie es in der ostdeutschen Provinz zugeht? Die Defizite in den ostdeutschen Bundesländern aufgrund der Teilung waren uns fremd, unsere Mauer in Israel steht ja noch, und genau wie Tel Aviv von weitem wie das Miami des Nahen Ostens funkelt, sieht Laucha auf den ersten Blick nicht viel anders aus als jedes andere langweilige Drecksloch in der Pampa. Wer hätte gedacht, dass die NPD bei der Kommunalwahl von 2009 mit stolzen 13,5 Prozent in Laucha das höchste Ergebnis in Sachsen-Anhalt einfuhr? Oder, dass sich die rechtsextreme Szene hier ungestört austoben darf, angeführt vom örtlichen Bezirksschornsteinfeger, der wirklich exakt wie eine Mischung aus Adolf Hitler und Wolfgang Petry aussieht (Lutz Battke heißt der Mann—let me google it for you)? Ich hätte es nicht geahnt. Aber ich kannte bis dato in Deutschland auch nur Herbert Grönemeyer. Und Hitler. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wann genau meine Mutter mich und meinen jüngeren Bruder fragte, ob wir nach Deutschland ziehen wollten. Ich fand die Idee aufregend, denn Israel zeichnet sich nicht gerade durch eine hohe Lebensqualität aus. Ein paar Jahre vorher, 2000, nach mehreren gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Juden und Arabern, führte die zweite Intifada zum Lynchmord an zwei israelischen Reservisten, die sich nach Ramallah verirrt hatten. Ein Mob von über tausend Palästinensern überfiel sie. Sie schlugen sie zu Tode, stachen ihnen die Augen aus, rissen die Innereien auseinander. Militärische Angriffe folgten, Selbstmordattentate, Autobomben, Hass erzeugte Hass. Insgesamt verloren über 3.000 Palästinenser und mehr als 1.000 Israelis ihr Leben während der zweiten Intifada. Mein letztes Jahr in Israel war eines der blutrünstigsten überhaupt. Allein im März 2002, vier Monate vor unserem Umzug, starben über 130 israelische Zivilisten durch Selbstmordattentate. Einen Monat später kamen etwa 500 Palästinenser in einem Flüchtlingslager in Jenin zu Tode. Zwanzig Tage bevor wir Israel verließen, begann der Bau einer 759 Kilometer langen Absperrung, einer Mauer zwischen Israel und dem Westjordanland, und die Angst, die in Israel damals zur Tagesordnung gehörte, war vorerst in Vergessenheit geraten. Ganz offiziell wohnte ich von nun an also in der Eckartsbergaer Straße. Eck-arts-fucking-bergaer Straße. Meine Mutter beschrieb unsere Auswanderung als eine Art diplomatische Mission, die lediglich ein Jahr dauern sollte. Doch ich wusste schon damals, dass ich nicht zurückkommen würde. Wahrscheinlich war es ihrerseits ein Versuch, die Tatsache zu rechtfertigen, dass ausgerechnet sie, die Tochter eines Holocaust-Überlebenden, in das Land zurückkehrte, in dem man vor nicht allzu langer Zeit Juden in Dünger für Sauerkraut verarbeitet hatte. In nachdenklichen Momenten stelle ich mir vor, was aus mir geworden wäre, wäre ich 50 Jahre früher auf die Welt gekommen. Ein Stück Seife? Eine Lampe? Arische Turnschuhe? Es gab so viele Möglichkeiten! Ganz offiziell wohnte ich von nun an also in der Eckartsbergaer Straße. Eck-arts-fucking-bergaer Straße. Stellen Sie sich vor, Sie wandern nach Deutschland ein, als kleiner Junge, lange vor den Zeiten von Smartphone und Google Maps, sprechen kein Wort Deutsch und landen in einer Straße mit so einem Namen. Zwanzig Buchstaben! Welche Straße in dieser Kleinstadt braucht denn bitte schon zwanzig Buchstaben? Vielleicht haben ja Nazis die Straße kurz vor unserer Ankunft umbenannt (“Wenn die grenzdebilen Ausländer es nicht schaffen, sich zu merken, wo sie überhaupt wohnen, werden sie sich auf ihrem fliegenden Teppich zurück ins Judenland verpissen”)? Jede ultraorthodoxe Familie in Jerusalem hat mehr Kinder als Laucha Straßen, und keins von ihnen heißt Eckartsbergaer. Doch wir ließen uns nicht beirren. Und so haben die drei Israelis von der Eckartsbergaer Straße ihre Koffer ausgepackt, in dieser isolierten Oase mitten im braunsten Ort Sachsen-Anhalts, um sich dem Bofrost-Katalog zu widmen, völlig begeistert von der zivilisatorischen Errungenschaft, dass ein Mann mit einem Lkw auf Bestellung tiefgekühlte Pizzen ins Haus bringt. Dies ist ein Auszug aus dem Kapitel “Die Ödyssee” aus Shahaks Buch DAS WIRD MAN JA WOHL NOCH SCHREIBEN DÜRFEN!
Shahak Shapira
[ "Deutschland", "israel", "NPD", "sachsen-anhalt", "Shahak Shapira", "Stuff", "Vice Blog" ]
2016-07-21T04:00:00+00:00
2024-07-30T22:07:30+00:00
https://www.vice.com/de/article/wie-ich-mit-14-jahren-aus-israel-in-eine-npd-hochburg-in-sachsen-anhalt-einwanderte/
In Nordkorea nehmen reiche Frauen anscheinend Meth, um abzunehmen
Ein erschreckender neuer Diäthelfer wird in den Reihen der Ehefrauen nordkoreanischer Führungspersönlichkeiten anscheinend immer beliebter: Methamphetamin. Während große Teile der isolierten Landes mit Unterernährung zu kämpfen haben, konsumieren diese Frauen laut einem Artikel des Online-Nachrichtenportals Daily NK immer mehr Crystal Meth, um Gewicht zu verlieren. Außerdem fühlen sie sich so (zumindest im Rausch) ziemlich gut. Experten haben bereits dokumentiert, wie Nordkorea in den vergangenen Jahrzehnten zu einem Großproduzenten von Meth zum Export avancierte, weil man so viel Hartwährung ins Land holen wollte. Da die Droge den Appetit unterdrückt und gleichzeitig für einen Energieschub sorgt, hat der chronische Hunger im Land vielleicht dabei geholfen, den Privatkonsum anzukurbeln. Auch wenn es schwerfällt, das komplette Ausmaß des nordkoreanischen Drogenkonsums zu erfassen, so haben Studien doch schon nahegelegt, dass das Ganze bereits „epidemische” Züge angenommen hat, und Überläufer haben davon berichtet, dass Meth in weiten Teilen des Landes ganz ungeniert genommen wird. Eine anonyme Quelle meinte gegenüber Daily NK, dass immer mehr Ehefrauen von nordkoreanischen Amtsträgern und Händlern die Droge kaufen. „Vor Kurzem hat es einen Anstieg der Zahl derer gegeben, die den Stoff zu Diätzwecken nehmen”, meinte die Quelle. „Meth-Konsum ist im Norden überhaupt nichts Schockierendes und die Beamten tolerieren diese Vorgehensweise, weil sie eben gerne schlanke Frauen haben.” Nordkoreas Drogenproblem hat schon zu Spannungen mit China geführt, wo ein Krieg gegen Rauschgifte gestartet wurde, der vor allem auf synthetische Drogen wie Methamphetamin abzielt—denn genau diese Drogen werden aus dem Einsiedlerkönigreich ins Land geschmuggelt. Nordkorea greift an den Grenzen derweilen selbst hart durch, um Überläufer sowie Schmuggelware abzufangen. Das Land bestreitet schon lange, die Meth-Produktion zu fördern und in den vom Staat betriebenen Laboren ist die Produktion in den vergangenen Jahren wohl zurückgegangen. Die Zahl der privaten Hersteller ist hingegen gestiegen. Viele Experten vermuten, dass diese Privatlabore mit der taktischen Erlaubnis der nordkoreanischen Regierung arbeiten, die sich um des guten Rufes willen von jeglicher direkter Beteiligung distanziert. „Wenn man erst einmal involviert ist, dann lässt einen der Handel nie wieder los”, meinte Raphael Perl, der Autor eines detaillierten US-Kongressberichts über die illegalen Aktivitäten Nordkoreas, letztes Jahr gegenüber VICE News. „Hier hat eine ganze militärische Hierarchie die Finger im Spiel—sowohl in der Verbreitung als auch in der Herstellung von Methamphetamin. Da steckt eine richtig große Industrie dahinter. Warum sollte man eine solche Industrie denn aufgeben, wenn man doch damit durchkommt?” Motherboard: Verherrlichung 2.0: Die Hardcore-Crystal-Meth-Szene auf Tumblr Die Kombination aus zurückgehenden Produktionsraten und dem Durchgreifen an der chinesischen Grenze—was sowohl die Ein- als auch die Ausfuhr von illegalem Meth verhindert—lässt allerdings auch das Angebot schrumpfen. Die Quelle von Daily NK erzählte zum Beispiel davon, dass eine Ehefrau aus den politischen Kreisen schon bei ihrem Dealer eingezogen ist, um den Zugang zu der Droge nicht zu verlieren. „Das harte Durchgreifen beim Thema Meth wurde noch weiter verschärft. Aus diesem Grund passiert so etwas quasi ständig”, meinte die Quelle. Man muss allerdings auch betonen, dass die „Meth-Diät” (wenn sie so überhaupt wirklich existiert) nur für wenige privilegierte Nordkoreaner eine reale Option ist. Zwar sagt man, dass die Sucht nach der Droge im ganzen Land grassiert, aber trotzdem wird ein Großteil der Bevölkerung auch zu harter körperlicher Arbeit gezwungen und steht wohl auch kurz vorm Verhungern. „Der Durchschnittsnordkoreaner hat weder die Zeit noch die Möglichkeit, zwischen der vorgeschriebenen Arbeit und der Nahrungsmittelknappheit überhaupt erst an Gewicht zuzulegen”, sagte die Quelle gegenüber Daily NK. „Wenn die Ehefrauen, die so auf ihre Figur bedacht sind, das Essen, das sie und die anderen Mitglieder der Elite ansammeln, einfach mir der Bevölkerung teilen würden, dann hätten sie gar nicht die Gelegenheit, alles alleine zu essen und fett zu werden.”
Olivia Becker
[ "abnehmen", "Appetite", "china", "crystal", "dealer", "Diät", "Drogen", "hunger", "METH", "Meth-Labor", "METHAMPHETAMINE", "News", "Nordkorea", "Schmuggel", "Verbrechen", "Vice Blog" ]
2015-08-04T12:30:00+00:00
2024-07-31T01:00:07+00:00
https://www.vice.com/de/article/in-nordkorea-nehmen-privilegierte-ehefrauen-anscheinend-meth-um-gewicht-zu-verlieren-462/
Ecstasy ist zurück – Wegen hoher Dosierung und “kreativen Marketings”
Die kleinen bunten Pillen sind zurück, und sie sind stärker denn je. Das ist eine Erkenntnis aus dem am Dienstag veröffentlichten Europäischen Drogenbericht der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA). Dabei war der Handel und Konsum mit Ecstasy-Tabletten in ganz Europa jahrelang immer weiter abgefallen: Während 2002 zum Beispiel europaweit noch an die 22 Millionen Pillen beschlagnahmt worden waren, fiel diese Zahl in den nächsten Jahren drastisch ab und erreichte 2009 mit knapp 2 Millionen einen absoluten Tiefpunkt. Die Zeit von Ecstasy schien abgelaufen. Seitdem hat der Konsum allerdings langsam wieder angezogen: 2014 waren es schon wieder 6,1 Millionen beschlagnahmte Pillen, und der Trend geht nach oben. Wenn man dem europäischen Drogenbericht glauben kann, liegt das zum einen an der höheren MDMA-Dosierung der neuen Pillen—und weil die Produzenten zunehmend auf “ausgefeiltes, gezieltes” Marketing setzen. “Es sind hoch dosierte Pulver, Kristalle und Tabletten mit einer Vielzahl von Logos in den unterschiedlichsten Farben und Formen verfügbar, wobei Herstellungsnachweise angefordert werden können”, heißt es in dem Bericht. “Möglicherweise verfolgen die Hersteller damit bewusst eine Strategie, um die Wahrnehmung dieser Droge zu verbessern, nachdem sie lange Zeit in dem Ruf stand, von schlechter Qualität und Gegenstand von Fälschungen zu sein.” Sehr viel konkreter wird es in dem aktuellen Bericht nicht, so dass man leider nicht erfährt, wie dieses Marketing in der Praxis aussieht. Immerhin können auch die dreistesten niederländischen Pillenfabrikanten nicht einfach Plakate aufstellen, auf denen “Ecstasy ist jetzt wieder richtig gut, ehrlich!” steht. Mehr darüber erfährt man in einem im April erschienenen Bericht derselben europäischen Beobachtungsstelle, in dem es ausschließlich um Trends auf dem EU-weiten Markt für MDMA und Ecstasy geht. “Ein wichtiges Merkmal des aktuellen MDMA-Marktes ist das kreative und manchmal aggressive Marketing für die Produkte, vor allem wenn es um ‘Marken’ von MDMA-Tabletten geht”, heißt es dort. Im Zuge dieser “Branding”-Initiativen setzen die Hersteller deshalb auf Differenzierung: größere Pillen, schwerer Pillen, Pillen mit Logos (Superman, UPS, MasterCard), in ausgefallenen Formen oder hellen und leuchtenden Farben. Während die niederländische Polizei 2012 noch 50 neue Pillen-Designs zählte, waren es zwei Jahre später schon 174. Ein Grund, warum die Hersteller immer neue Pillen-“Marken” auf den Markt werfen, sind die Nachmacher: “Wenn ein neuer Typ MDMA-Tabletten hoher Qualität auf den Markt kommt, wird er meist mit einem bestimmten niederländischen Produzenten verbunden”, schreiben die EU-Drogenexperten. “Sie erwerben sich dann Ansehen bei den Konsumenten, werden aber schnell von anderen Produzenten kopiert, so dass schwächere Versionen desselben Produktes auf den Markt kommen.” Wirklich “ausgefeiltes” Marketing ist das noch nicht. Was aber schon eher in die Richtung geht, sind die “Festival-Pillen”: Ecstasy-Pillen, die speziell für ein bestimmtes Festival hergestellt und mit dem Logo der Veranstaltung gepresst werden—das berühmteste Beispiel ist zum Beispiel die lila “Tomorrowland-Pille“. Dass diese Bemühungen von den Konsumenten durchaus bemerkt und gewürdigt werden, zeigen die regen Diskussionen und zahlreichen Erfahrungsberichte, die Nutzer in Rave -und Drogen-Foren austauschen. Welchen Anteil solche Gimmicks aber wirklich an der Renaissance des MDMA-Konsums in Europa haben, ist natürlich schwer festzustellen. Andere machen eher die elektronische Musikkultur oder eben die neue Wirkungskraft der Teile dafür verantwortlich. Trotzdem ist nicht zu leugnen, dass Ecstasy-Produzenten sich mehr Mühe geben, ihre Kunden anzusprechen und zufriedenzustellen. Den Zahlen nach zu urteilen, haben sie damit Erfolg.
VICE Staff
[ "Drogen", "ecstasy", "marketing", "MDMA", "News", "rave", "Vice Blog" ]
2016-06-02T07:25:00+00:00
2024-07-30T21:58:54+00:00
https://www.vice.com/de/read/ecstasy-ist-zurueck-wegen-hoher-dosierung-und-kreativem-marketing
Kedr Livanskiy ist das neue Gesicht der russischen Underground-Eletcro-Szene
Wenn es um boomende Electro-Szenen geht, ist Moskau nicht unbedingt die erste Stadt, die einem in den Sinn kommt. Kedr Livanskiy ist jedoch auf der Mission, dies zu ändern. Die Produzentin und Sängerin—deren richtiger Name Yana Kedrina ist—wurde 1990 während des Zerfalls der Sowjetunion geboren. Der sich seit damals vollziehende nationalistische Wandel hat die ehemalige Punkmusikerin nachhaltig geprägt. Sie fand Trost in der isolierten Electro-Szene von Moskau. Gleichzeitig griff sie auf westliche Einflüsse zurück. Yana ist Mitglied bei dem DIY-Kollektiv Johns’ Kingdom, welches eine neue Garde russischer Künstler repräsentiert. Sie bauen gerade eine offene Community auf und nutzen das Internet, um internationale Beziehungen zu etablieren. Das beste Beispiel für Letzteres ist vielleicht die von den meisten Kritikern bislang gefeierte Debüt-EP, January Sun, die auf dem neuen Label von Mike Simonetti und Mike Sniper, 2MR, erschien. Die beiden hatten Kedr Livanskiy auf Soundcloud entdeckt. Obwohl die EP in einem der härtesten Klima der Welt komponiert wurde, hat Yanas minimalistische Musik eine gewisse Wärme und erinnert an ähnlich gesonnene Außenseiter wie Hype Williams, Laurel Halo und Grimes vor Art Angels. Vor dem Hintergrund ihrer ersten Shows in Europa diesen Frühling haben wir mit der aufstrebenden Künstlerin gesprochen (übersetzt wurde das Ganze von 2MR-Labelmanager Adam Gerrad). Dabei ging es um Moskaus kulturelle Landschaft, wie Yana durch russische David-Bowie- und Ian-Curtis-Parodien gelernt hat, Musik zu lieben, und mehr. THUMP: Du hast an der Moscow School of New Cinema studiert. Was hat dich dazu bewogen, eine Karriere in der elektronischen Musik zu verfolgen?Kedr Livanskiy: Ich habe mich lange bevor ich zur Filmschule gegangen bin, mit Musik auseinandergesetzt. Im Alter von 19 oder 20 war ich Sängerin einer Punkband. Davor habe ich ein paar Mal Schlagzeug in einer Sludge-Band gespielt. Ich habe viel Musik gehört, auch vor der Filmschule. Ich habe fünf Jahre an der Universität Literatur studiert. Dieser Background hat mir geholfen, Musik zu verstehen und mich ihr aus einer anderen Perspektive zu nähern. [Die] literarische Ausbildung hat mir geholfen, tiefer in die Sprache vorzudringen. Das alles fand in der Musik von Kedr Livanskiy zusammen.Musik ist für mich das Gleiche wie Film—der Ausdruck der Welt. Die Suche nach der narrativen Form ist präsent, aber Instrumente nehmen sie in Besitz und es ist eine andere Sprache. Hier mache ich alles selbst und ich finde es einfacher zu arbeiten, da Musik für mich immer noch die geeignetste und natürlichste Form des Ausdrucks ist. Wie kamst du zum Produzieren?Während der letzten sechs Jahre war ich Mitglied einer Crew aus Musikern und Regisseuren—meinem Freundeskreis—Johns’ Kingdom. Irgendwann haben wir alle ein großes Interesse für elektronische Musik entwickelt und fingen an, überall zu jammen—in der Natur, auf dem Land, bei einer Party. Wir haben einfach eine Menge Alkohol gekauft, irgendwelche Instrumente mitgebracht und stundenlang gejammt. Dann haben wir uns alle unseren eigenen Projekten gewidmet und individuell losgelegt. Es ist nicht einfach bloß ein Label sondern eine Community aus Leuten mit gemeinsamen Interessen und Visionen. Es erlaubt dir, dich selbst von der Scheiße zu isolieren. Kannst du die Verbindung zwischen dem Titel der EP und den Songnamen erklären („Winds Of May”, „January Sun”, „April”)?Am Anfang hatte ich nicht die Absicht, das alles mit den Jahreszeiten zu verbinden, erst später habe ich realisiert, dass es natürlich geschah. Viele dieser Songs wurden im Winter geschrieben und im Winter gibt es ein besonders deprimiertes Gefühl mit vermehrter Reflexion. Der Winter hier in Russland ist nicht so sehr ein Naturphänomen sondern eher ein Gemütszustand. Er ist viel mehr gefühlsbedingt. January Sun bewegt sich zwischen Experiment und Pop. Zu welcher dieser beiden Seiten neigst du eher?Ich höre nicht viel Popmusik. Ich habe bloß einen 90er-Fetisch. Da klang Pop cool, hauptsächlich weil er von elektronischer Tanzmusik beeinflusst war. Ich höre viele elektronische Produzenten und alten Industrial, EBM, Electro, Breakbeat, Neofolk und Shoegaze.Die EP ist eine Mischung aus meinen Teenager-Jahren, in denen ich MTV geschaut habe, und dem, was ich im letzten Jahr gehört habe. Ich denke, meine Musik wird Formen und Klänge verändern, aber eine gewisse Popkomponente wird bleiben. Wie sehr beeinflusst russische Musik die Musik, die du machst?Ich höre viel russische Musik. Ich bin damit aufgewachsen. Als Kind habe ich viele russische Kopien amerikanischer und europäischer Rockmusik gehört. Ob es nun The Cure, David Bowie oder Joy Division war, es gab ein russisches Gegenstück.Es waren größtenteils schamlose Parodien, aber sehr einzigartig und lebhaft. Wir hatten auch eine große Punk- und Noise-Szene mit Anarcho-Ausrichtung und wirklich heroischen Texten. Die Texte haben den Zuhörer immer ermutigt, ein anderes Leben zu führen, aber auch egoistische Bilder gezeichnet. Das stammt alles von der Russischen Revolution. Dieser Einfluss ist in der Literatur und Musik sehr stark. Als Kind habe ich mehr Punk- und Rockmusik gehört, später dann elektronische und experimentellere Musikstile geliebt. Wie sind 2MR dazu gekommen, die EP zu veröffentlichen?Adam [Gerrard] von 2MR sagte mir, dass er sich die EP eines finnischen Musikers bei Soundcloud angehört hatte, die ihm von einem Freund empfohlen worden war. Als sie zu Ende war, wurde mein Track „Sgoraet” zufällig gespielt und es hat ihn „sofort umgehauen” (seine Worte, nicht meine). Also schrieb er mir und wir einigten uns, die Platte zusammen zu veröffentlichen. Beschreib die russische Electro-Szene für die, die sich nicht auskennen.Vor ein paar Jahren war sie recht beschränkt und sehr lokal. Zunächst war es nötig, die Umgebung zu erschaffen, sodass die Musik physisch wird und Leute zu Partys gehen, um irgendwo zusammen Musik hören zu können. In den letzten vier Jahren haben sich die Dinge allmählich verändert, in vielerlei Hinsicht dank Johns’ Kingdom. Es ist eine Community, die durch diese ästhetische Vision in sich geschlossen ist und die Leute werden davon angezogen. Ich denke, sobald wir hier mit der Vinyl-Produktion beginnen, erreichen wir ein neues Level.Wir haben nicht wirklich einen Markt oder eine Musikproduktion und sowieso keine Erfahrung, Electro-Labels zu erschaffen. Es gibt allgemein keine Musikindustrie. Also sind die Leute in der Community zusammengekommen, für die es interessant war, und haben sich gegenseitig unterstützt. All das hat natürlich kein Geld gebracht, aber mittlerweile können wir unsere Kosten decken, weil die Leute kommen. Was würdest du sagen, wie sich Moskau von anderen großen Musikstädten wie Berlin, Paris oder London unterscheidet?In diesen Städten gibt es eine Kultur des Austauschs—eine offene Grenze. Russland ist seit Langem abgeriegelt. Wir hatten die Sowjetunion, während überall anders Musikrevolutionen stattfanden; nichts davon hat uns erreicht. Musik ist fast nie durchgedrungen, außer in einzelnen Fällen. Erst in den 90ern hatte sie ein vollständiges Leben. Es gab hier keine Kontinuität in der Musik. Die Tradition ging verloren und es wurde etwas Eigenes, entwickelt in einem geschlossenen Zustand, anders als überall auf der Welt.Die ganze progressive Musik ist jetzt durchgedrungen, aber nur in sehr kleinen und verzerrten Mengen. Die Menge an Leuten, die zur Zeit des eisernen Vorhangs Zugang dazu hatten, kannst du an einer Hand abzählen. Im Zeitalter des Internets hat sich das natürlich jetzt geändert. Der russische Staat hat sich geöffnet. In der modernen Welt des Internets können Musiker überall leben und auf einem Label in einem ganz anderen Land veröffentlichen und sich wohlfühlen. In dieser Hinsicht ist Musik international. Kedr Livanskiy ist bei Facebook // SoundCloud ** Folgt THUMP auf Facebook und Twitter.
Cam Lindsay
[ "2mr", "Electro-pop", "Features", "january sun", "johns' kingdom", "kedr livanskiy", "mike simonetti", "mike sniper", "Moskau", "Russland", "Sowjetunion" ]
Music
2016-04-04T16:29:11+00:00
2024-07-30T23:19:13+00:00
https://www.vice.com/de/article/kedr-livanskiy-ist-das-neue-gesicht-der-russischen-underground-eletcro-szene-882/
Kunst weiss alles besser
Foto von FaceMePLS Vergangenen Samstag kam die Hiobsbotschaft: Wetten, dass..? geht vom Sender. Bestürzung und Fassungslosigkeit ergreifen den deutschsprachigen Raum. Auch die bissigsten Kommentatoren auf Twitter und Facebook erstarren plötzlich zu Häme- und Spottsalzsäulen. Doch es gibt gibt auch noch die anderen. Die, die es ja immer schon gesagt haben. Die, die diese Dauerwerbesendung und dieses surreal anmutende lanzsche Moderationsgemurkse schon immer zum Teufel wünschten. Ich selbst gehöre zu Letzteren. Das interessiert zwar niemanden, muss aber gesagt sein. Auch mir gehen Rechtfertigungsdruck und die eigene Reputation nicht komplett am Arsch vorbei. Foto reblogged von ruhr Die relevante Frage aber lautet: Was passiert, wenn nun auch noch Germany’s Next Topmodel, das Dschungelcamp, DSDS, The Voice und die Champions League von unseren Mattscheiben verschwinden? Bricht dann die grosse Panik aus oder werden diese Formate einfach flugs durch einen noch grösseren, noch unangenehmeren Medienausfluss ersetzt? Oder geschieht gar ein Wunder und die Menschen widmen sich wieder anderen Dingen? Sagen wir mal … der Kunst! Warum auch nicht? Wir sind doch alle irgendwie auf der Suche nach Wahrheit, und Achtung, nach Au-then-ti-zi-tät. Ganz wichtig. Wir wollen soviel Wahrheit und Authentizität mitnehmen wie es nur geht. Im Job und vor allem in der Liebe. Genau da könnte doch eine Rückbesinnung auf die gute alte Kunst nicht schaden. Unserem orientierungslosen Multiple Choice-Herumgeeiere sind wir doch schon lange irgendwie überdrüssig. Foto von Michael Pollak Ganz ehrlich. Wann warst du das letzte Mal in der Oper? Im Theater? Wann das letzte Mal in einer grossartigen Ausstellung und wann hattest du die letzte bewusstseinserweiternde Literatur in der Hand? Da steht doch alles drin, Herrgott nochmal. Wahrheit, jede Menge Wahrheit. Stell dir einmal vor, wie Samstagabende aussehen könnten, wenn plötzlich alle lesen würden, alte Filme schauten oder auf Premieren oder Vernissagen gingen. Und das nicht, weil man sich bloss vom Glanz der Kultiviertheit umgeben will, um damit das eigene Profil zu schärfen. Die Leute täten es, weil sie sich ernsthaft für die Sache interessierten. Sich Für Tschechow, Dostojweski, Rirkrit Tiravanija, Bach, Elfriede Jelinek, Virginia Woolf und alle anderen, die nicht so superpopulär oder auf Spaziergängen im Schnee erfroren sind. Robert Walser. Wenn wir aufhören würden Kunst ausschliesslich als Ventil unserer Komplexe zu missbrauchen. Wenn wir wieder oder erstmals richtig hinschauen würden. Denn sie sind da: Edvard Munch, Hans Bellmer, Pipilotti Rist, Egon Schiele, Man Ray. Tauchen wir ein, erleben unseren Konsum wieder, erfahren Neues und trauen uns auf einer Vernissage auch einmal das „Falsche” zu sagen. Foto von See-ming Lee Zwingen wir uns und diesen traumquotenbessenen Junkiesendern doch einfach neue Sehbedürfnisse auf. Lernen wir wieder anders zu sehen. Weg vom Gaffen—hin zum Schauen. Das Verschwinden von Wetten, dass..? zeigt nämlich sehr schön, dass man nicht mehr einfach so zwanzig Millionen Menschen zusammenbekommt, die sich an einem Samstagabend das Gehirn leersaugen lassen wollen. Vielleicht gibt es tatsächlich noch Hoffnung. Falls die Sender aber weiterhin auf Schrott setzen werden, und davon gehe ich aus, bleibt uns ja Gott sei Dank immer noch die Kunst. Denn die wird immer da sein und uns Halt und Orientierung geben, in einer immer verworreneren Welt. Das zu wissen, ist doch irgendwie schön. Ganz viel Kunst, aber bei weitem nicht nur, gibt es natürlich auch wieder dieses Wochenende: Am Donnerstag gibts für dich, du kultivierter, kleiner Nimmersatt ein kleines Kunstbonbon in der Photobastei. Keine Ahnung, was du dir von all den dutzenden, sehenswerten Dingen, so reinziehst, aber wir finden, dont even think about that, wir lieben Vergnügungsparks und Abseits und alles, was diese irgendwie auf irgendeine Art abstrus, poetisch oder wie auch immer ablichtet. Wenn wir damit fertig sind, unsere brunftwütigen Geschmackspleonasmen auszuweiden, geben wirs uns etwas toxischer: Biohazard im Salzhaus. Und bevor wir komplett schmelzen, durch den musikalischen Kugelhagel ab ins Gonzo, an die Wrong Cops Afterparty. Wem das alles zu absurd, verkokst oder anstrengend ist, geniesst am besten die warme, flauschige Musik von Drenge im Fri Son. Freitags kultivieren wir uns mühsamer, anstrengender, impulsiver, involvierter, direkter, roher, nackter mit den sogenannten darstellenden Künsten. Und für alle, die bei diesem Begriff auch den Würger kriegen, und wissen, wie sexy Theater sein kann, gibt es The Deconstruction of Death in der Gessnerallee oder das Leben als Asthma quasi im Sud. R57 zeigt eine etwas andere Seite afrikanischer Flüchtlingsströme und in der Dampfzentrale zelebrieren sie das Ungesagte. Einen superschönen musikalischen Sonnenuntergang gibt es mit Flieder im Bad Bonn. Und wenn das alles nicht hilft, swing doch mal vorbei in der Kiste. Am Samstag heisst es: My Child! Ja, es geht um Homosexualität, Ja es geht um Familien in der Türkei, Nein, es wird nicht harmlos, Ja, im Kino Reitschule. Grenzüberschreitend performativ wirds auch im Südpol, allerdings, weitaus musikalischer. Und sonst gibts ganz ganz ganz viel Party. Mashugge im Merkker, Rocknroll Trash im Bundeshaus, Nothing but Metal im Sedel und für alles, was uns noch bevor steht, Futura Clubnacht in der Zukunft und Futurebass in der Tankstell. Sonntag ist Kater-aber-noch-lange-nicht-tot-und-fähig-mich-zu-bilden-muss-leben-geiler-krasser-Scheiss-diese-Stories-Kinotag. Von Inzest und Kannibalen im Hinterlandburgfrieden; we are what we are im Gaswerk, von Kunst als Waffe im arabischen Frühling; Art War im Xenix und der erste Film über die Schweizer Surfelite; I wanna Surf im Riffraff. Und weil der Sonntag so lang und schön ist und alle Regeln ihre Ausnahme haben, nutzen wir natürlich die letzte Gelegenheit für einen Abstecher ans internationale Comixfestival Fumetto. Montage sind lang. Scheinbar unendlich lang. Die wöchentliche Wiederkunft, der (nicht-)wandelnde Anachronismus einer aufgehobenen Zeit, die Ewigkeit, hochdestilliert im Tropfen eines längst vorbeigezogenen Moments. Into Eternity. Ist nicht nur Gelaber, um euch zu nerven. Ist ein Film über die bitterschwarze Realität des Endlagerungsproblems, vergegenständlichte Transzendenz als politisches, philosophisches und ökologisches Debakel. In der Grabenhalle. Am Dienstag wollen wir, nein fordern wir, gar; zwingen dich, irgendwohin zu gehen, wo etwas läuft (nein, deine Matratze zählt nicht), das aber bei keinem dir bekannten Textartikel, Supergau-Eventhitliste oder Tagelöhnertratsch als Veranstaltung gepriesen worden ist. Und am Mittwoch stürzen wir uns ins Kairo ans Chloe Charles Konzert oder wir waten durch die Semioseleere aller Sozialsümpfe abseits alles Geschehens bei Thomas Kneubühler im Centre Pasquart.
Oliver Daume
[ "bildung", "Bis so guet", "bissoguet", "Kultur", "Kunst", "Schweiz", "Stuff" ]
2014-04-10T08:02:00+00:00
2024-07-31T03:16:54+00:00
https://www.vice.com/de/article/die-kunst-weiss-alles-besser/
Rausch mal anders: Meine drogenfreie Suche nach dem perfekten Trip
Die Autorin vor der Traummaschine Als passionierter Marihuana-Fan ist mir in letzter Zeit aufgefallen, dass die wundersamen und mystischen Wellenlängen, die in meinem Gehirn wie Luftblasen in einem Getränk aufsteigen, immer seltener vorkommen. Aber das ist wohl der Lauf der Dinge, wenn deine Gras-Toleranz steigt und deine Dopamin– und Cannabinoid-Rezeptoren irgendwann „Ja, alles klar, mehr können wir hier auch nicht machen” sagen. Ich wollte mich davon jedoch nicht unterkriegen lassen und entschied mich deswegen dazu, diese Veränderung meiner Biochemie als Herausforderung anzusehen, andere Sphären zu erfahren … und zwar komplett ohne Drogen. Also habe ich das vergangene Jahr damit zugebracht, mit Hilfe von alternativen Erfahrungen in einen Rauschzustand versetzt zu werden. Es folgen nun meine Erfahrungsberichte. Vergangenen Juli war ich bei einer Wissenschaftsmesse in einem Museum. Neben der Trage-dein-Gewicht-in-Wasser-Jacke und einem Experiment zur Nachstellung der mysteriösen grünen Blitzes war dort auch ein Nachbau von Brion Gysins Traummaschine zu begutachten. 1961 hat Gysin das Original als „das erste Kunstobjekt, das man auch mit geschlossenen Augen sehen kann” beworben. Die Vorrichtung besteht im Grunde aus einem großen Lampenschirm mit ausgeschnittenen Schlitzen, der innen von einer Glühbirne beleuchtet wird und sich auf einem Plattenteller dreht. Um die Wirkung zu spüren, musste ich mich mit geschlossenen Augen direkt vor die Glühbirne setzen und eine Weile entspannen, während im Hintergrund Brian Eno aus den Lautsprechern dröhnte. Kaum hatte ich meine Augen zugemacht, sah ich auch schon ein Kaleidoskop an bunten Mustern und Formen, die hinter meinen Augenlidern miteinander verschmolzen. Es fühlte sich an, als würde man meine Gedankenwelt in eine LSD-getränkte Kuscheldecke einpacken und sie dann in ein superschnelles Karussell setzen. Die Visionen waren so flink, dass sie sofort mein ganzes Gehirn ausfüllten. Es bestand kein Zweifel daran, dass ich da wirklich Visionen hatte—es war halt bloß nichts Konkretes wie etwa ein Krafttier oder eine Oase. Stattdessen war es unmöglich, die Formen und Farben zu unterscheiden, die so schnell herumwirbelten, dass ich einfach nur still dasitzen und alles aufsaugen konnte. Die Erfahrung war komplett visuell und im Hintergrund konnte ich immer noch die Musik und die Gespräche der anderen Leute hören. Für einen kurzen Moment stand die Zeit jedoch still. Leider warteten schon andere Messebesucher darauf, ebenfalls den stroboskopischen Gedankentrip erleben zu können. Deshalb konnte ich nicht ewig weitermachen, bin allerdings noch ein paar Mal zurückgekommen. Wenn dich die Traummaschine jetzt neugierig gemacht hat, dann kann ich dir die Dokumentation Flicker ans Herz legen—im Trailer ist sogar Iggy Pop zu sehen, wie er mit ausgebreiteten Armen vor der Maschine herumtanzt. Mein Fazit: Obwohl einem die Traummaschine eine Erfahrung mit einer intensiven visuellen Stimulation bietet, fühlte sich das Ganze nicht sonderlich spirituell an und glich eher einem neuartigen, kurzzeitigen und holistischen LSD-Trip. Wenn man zu Anfällen neigt, sollte man außerdem lieber einen Bogen um die Traummaschine machen. Ein Floating-Tank. Foto: Clarence Risher | Flickr | CC BY-SA 2.0 Vor Kurzem hatte ich meine erste Floating-Session: Dabei liegt man für 90 Minuten in einem kleinen U-Boot-ähnlichen Tank voller salzhaltigem Wasser. Da ich täglich meditiere, freute ich mich sehr darauf, einen neuen Weg auszuprobieren, eine andere (drogenfreie) Wellenlänge zu erreichen. Als ich in den Tank stieg, hatte ich erst einmal Probleme damit, mich komplett zu entspannen, denn mein Hals fühlte sich nicht gerade und gestützt an. Nach mehreren erfolglosen Versuchen mit einer Schwimmnudel legte ich meinen Kopf einfach zurück und fand schließlich eine entspannende Liegeposition. Dabei streckte ich abwechselnd meine Arme über meinen Kopf oder ließ sie einfach neben meinem Körper ruhen. Im Tank war es so dunkel, dass ich wirklich nichts mehr sehen konnte und das Gefühl hatte, mit offenen Augen zu meditieren. Ich spürte meinen Atem und hörte mein Herz laut und deutlich schlagen. Meine Gedanken wurden immer langsamer und ich musste mich dafür nichtmal wirklich anstrengen. Es war wie in einem Traum. Die Konsistenz des salzhaltigen Wassers erinnerte mich ein wenig an diese Nuru-Massage-Videos. Es war angenehm (und irgendwie erregend), meinen Körper mit der Flüssigkeit zu benetzen. Obwohl in der Beschreibung stand, dass im Tank Körpertemperatur herrsche, fröstelte ich ein bisschen. Als ich jedoch meine Brüste berührte, waren meine Nippel nicht steif. Wahrscheinlich bedeutet das einfach nur, dass ich eine kaltblütige Bitch bin. Keine Ahnung. Eineinhalb Stunden hören sich erstmal sehr lang an, wenn man diesen Zeitraum alleine und und ohne die meisten seiner Sinne verbringen muss. Langeweile und Probleme kamen jedoch zu keinem Zeitpunkt auf. Ich fühlte mich eher heiter und wie in einer anderen Welt—irgendwo zwischen einem Nickerchen oder einer Meditation mit offenen Augen und dem Treiben im Toten Meer. Leider hatte ich nicht die erhofften Visionen. Mein Fazit: Ich bin mit einem Gefühl aus dem Tank gestiegen, als wäre ich gerade ausgebrütet worden. Ich war aber auch total dehydriert. Ich trinke keinen Alkohol mehr und deshalb war ich in meiner Jugend zum letzten Mal so verkatert. Allerdings habe ich noch nie zuvor so eine Erfahrung gemacht und mir wurde gesagt, dass jede Session komplett anders sei. Ich werde das Ganze definitiv noch mal ausprobieren. Das Zentrum eines schamanischen Reisezirkels. Foto: ECP | Flickr | CC BY 2.0 Auf Anraten des Naturheilkundlers meines Vertrauens nahm ich Ende Dezember an einem schamanischen Reisezirkel teil. Ich hatte gehört, dass eine solche Zeremonie ein guter Einstieg in die schamanische Welt sei, und deshalb war meine Neugier schon lange geweckt. Als ich dort ankam, begrüßte mich eine nette, grauhaarige Dame ganz herzlich und ich gesellte mich zu den anderen 40 Leuten, die schon einen Kreis gebildet hatten. Vorher war ich angewiesen worden, eine Matte, eine Decke, Wasser sowie Stift und Papier zum Dokumentieren meiner Erfahrung mitzubringen. Bevor wir anfingen, unterrichtete uns die Schamanin Jeannette—eine ältere Frau mit leuchtenden Augen—über die obere und die untere Sphäre. Wenn man sich in der unteren Sphäre aufhalten will, dann muss man sich einen Ort vorstellen, der weit unten liegt—zum Beispiel eine Höhle oder eine Schlucht. Wenn man die obere Sphäre bevorzugt, dann muss man sich einen hoch gelegenen Ort vor das geistige Auge rufen—etwa einen Berggipfel oder einen Regenbogen. Die Sphäre kann dabei frei gewählt werden, aber wir wurden auch gewarnt, dass die untere Sphäre wahrscheinlich keine so gute Idee sei, wenn man mit negativen Vorstellungen von der Hölle großgeworden ist. Nachdem wir uns für einen Ort entschieden hatten, sollten wir mit einer bestimmten Frage auf unseren Geistesführer warten. Jeannette wies die Neulinge an, die allgemeine Frage „Welche Botschaft überbringst du mir heute?” zu stellen. Es waren zwei Reise-Sessions geplant, die von sanftem Getrommel begleitet und von einer Diskussionsrunde beendet wurden. Das Licht wurde gedimmt und die meisten Anwesenden lagen auf ihren Matten, aber manche saßen auch auf Stühlen. Jeannette fing an zu trommeln und wir sollten uns entspannen. Während der ersten Session spürte ich nichts. Ich entschied mich für die untere Sphäre und stellte mir meinen Lieblingsstrand vor. Ich bildete mir ein, eine kurze Vision eines Adlers zu haben, aber es reichte nicht, um mich vollends zu überzeugen. Am Ende fingen die Anwesenden an, sich gegenseitig von ihren Reisen zu erzählen und ich war erstaunt und gleichzeitig frustriert: Fast jeder hatte richtig intensive und bedeutsame Visionen und Botschaften erlebt. Als ich von meiner Frustration berichtete, meinte die Frau neben mir, dass ich mich auf meine vorhandenen Gedanken und nicht auf meine nicht vorhandenen Gedanken konzentrieren sollte. Bei der zweiten Session wählte ich dann die obere Sphäre und stellte mir einen Berg vor, den ich in der Vergangenheit erklommen hatte. Ich formulierte wieder meine Frage und dieses Mal hatte ich eine Vision von mir selbst, wie ich unter einem Adlerflügel durch den Himmel fliege. Dann konnte ich klar und deutlich folgende Worte hören: „Sei du selbst. Denk über dich nach.” Das Ganze war emotional total überwältigend und tiefgreifend. Als ich in dieser Nacht nach Hause ging, machte ich mir über die Helligkeit des Mondes Gedanken und mir schossen Tränen in die Augen. Mein Fazit: Das hier ist genau mein Ding. Mir wurde geholfen, an die Möglichkeit von verschiedenen Sphären zu glauben und einen Leitfaden in mir selbst zu finden. Ich habe vor, von jetzt regelmäßig an schamanischen Reisezirkeln teilzunehmen.
Elianna Lev
[ "Drogen", "drogenfrei", "Floating", "legal", "Marihuana", "Meditation", "Rausch", "Rauschzustand", "Schamanen", "Schamanismus", "Stuff", "THC", "Traummaschine", "Vice Blog" ]
2015-03-12T12:26:00+00:00
2024-07-31T00:44:13+00:00
https://www.vice.com/de/article/der-natuerliche-rausch-meine-drogenfreie-suche-nach-anderen-sphaeren-432/
Was von StudiVZ übrig geblieben ist
Wir schauen auf ein fast vergessenes StudiVZ-Profil. Fünf Jahre sind seit dem letzten Besuch auf der Seite vergangen. Auf der Pinnwand stehen fünf einsame Geburtstagswünsche der StudiVZ-Moderatorin Lea—”echte” StudiVZ-Freunde gratulieren schon seit Jahren nicht mehr. Eine verlassene Plattform also? Nicht ganz, ein alter Studienfreund spielt noch immer das Spiel Frohe Ernte, bei dem es darum geht, eine eigene Farm aufzubauen. Im Chat ist aber—natürlich—keiner online. Dafür führt ein Regler auf der linken Seite von der alten StudiVZ-Version zu einer neuen, die aber eigentlich fast identisch aussieht. Ein Ergebnis des “Relaunchs” 2011. Er konnte StudiVZ nicht retten. Die Tris­tesse der Startseite lässt es erahnen: Die Geschichte von StudiVZ ist eine Odyssee. Erst der Aufstieg zu Deutschlands größtem sozialen Netzwerk (früher: 17 Millionen Nutzer), dann der tiefe Fall (heute: 600.000 aktive Nutzer). Und der war für eine Reihe von Investoren schmerzhaft und teuer—und ist es immer noch. Dazu später mehr. Aber von Anfang an. Ehssan Dariani und Dennis Bemmann gründeten StudiVZ im Oktober 2005. Anfang 2007 kaufte der Holtzbrinck-Verlag die VZ-Netzwerke für geschätzt 85 Millionen Euro. Es war eine Summe, die nach Silicon Valley klang. Die Gründer von StudiVZ sind heute reich und fein raus. Als sie StudiVZ verkauften, war die Plattform eine große Nummer, der Marktführer in Deutschland. Die Hochphase von StudiVZ erlebte mein Kollege Philipp. Er meldete sich 2006 an und schaut noch immer einmal im Jahr rein, einfach um zu sehen, was los ist. “Das ist eine Zeitkapsel, und das Lustige ist: Du weißt schon, wie es ausgeht”, sagt er, während wir durch alte Party-Fotos scrollen. Bei jedem Pärchen weiß er, wie lange die Beziehung gehalten hat. 2.458 Nachrichten hat er auf StudiVZ bekommen. Bestimmt 80 Prozent der Leute haben sich allerdings mittlerweile gelöscht, anstatt ihrer Profilbilder sind nur noch animierte Köpfe mit Fragezeichen zu sehen. Philipp hat sein Profil zuletzt 2010 aktualisiert. Dann ging er nach England, eröffnete seinen Facebook-Account und kam nie wieder wirklich auf StudiVZ zurück—wie fast alle anderen Nutzer auch. So schnell wie Facebook seit 2010 den deutschen Markt einnahm, stürzten die StudiVZ-Nutzerzahlen ab. Facebook selbst hat StudiVZ erst ignoriert, den Machern dann viel Geld geboten und sie später erfolglos verklagt. Heute ignoriert Facebook-Chef Zuckerberg StudiVZ wieder. Denn Facebook konnte StudiVZ zwar nicht schlucken, hat die Plattform aber erfolgreich ins Nirvana gedrängt. Auf der Seite “wannstirbtstudivz” wurde theatralisch mit einem Countdown dem Moment entgegengefiebert, an dem die Nutzerzahl bei null angelangt ist. Laut “wannstirbtstudivz”: Januar 2013. Doch noch gibt es StudiVZ. Mit demselben schnöden rot-blauen Logo und der Banner-Werbung, die fast den ganzen Bildschirm einnimmt. Dafür, dass es noch immer weiterläuft, sorgt ein 15-köpfiges Team um Agneta Binninger, das Nutzeranfragen persönlich beantwortet. 600.000 aktive im Nutzer im Monat hätten sie, sagt Binninger, und 70 Millionen Werbe-Einblendungen, die Geld bringen. Jedes mal, wenn ich die Banner-Werbung wegklicke, trage ich also dazu bei, StudiVZ am Leben zu halten. Einnahmen brächten außerdem der Newsletterversand und die Social Games—wie der Studienfreund meines Kollegen, der immer noch Frohe Ernte spielt. “Überlegungen, offline zu gehen, gibt es nicht”, sagt Binninger. Noch kann man alte Freunde also “gruscheln”. Eine Funktion auf StudiVZ, die wiederzuentdecken sich so wohlig warm anfühlt, als würde einem jemand den Bauch streicheln: gruscheln, ein Wort zwischen grüßen und kuscheln. Es ist die Knopfdruck-Variante der Nachricht “Hi”. Die Frage ist immer: Was genau willst du mir damit jetzt sagen? Hast du zehn Minuten lang vor dem Computer gesessen und dich gefragt: Gruscheln oder Nichtgruscheln? Ist es auch einfach eine Laune, ein Schrei nach Aufmerksamkeit: HALLOOOO ICH BIN DA, aber zu faul, dich anzuschreiben? Wer bei StudiVZ vor der Frage “Gruscheln oder Nichtgruscheln” steht, und sich im letzten Moment umentscheidet, findet die tolle Option: “doch nicht”. Bis auf die deutschen Begriffe ist die Funktion aber eins zu eins vom “Anstupsen” auf Facebook kopiert. StudiVZ war von Anfang an abgekupfert von Facebook. Heute reich und fein raus: StudiVZ-Gründer Ehssan Dariani, Michael Brehm und Dennis Bemmann | Foto: imago | Christian Schroth In einem Podcast auf onlinemarketingrockstars erzählt StudiVZ-Gründer Ehssan Dariani, Zuckerberg selbst habe ihm 2006 fünf bis sechs Prozent der Facebook-Anteile für StudiVZ geboten. Nicht schlecht, für eine gestohlene Idee. Diese Anteile—wenn die Geschichte so stimmt—wären heute Milliarden wert. Die Entscheidung fiel dann auf den deutschen Holtzbrinck-Verlag als Käufer, sagt Dariani im Podcast, weil andere Investoren von StudiVZ das bevorzugten. Auch vom Holtzbrinck-Verlag wollte Facebook StudiVZ kaufen. Doch auch der Verlag lehnte ab. Der Deal sei an datenschutzrechtlichen Auflagen gescheitert, sagte der damalige Betreiber später der sagte der damalige Betreiber später der Welt. Eine sehr diplomatische Formulierung für: Mist. Statt Geld kam von Facebook 2009 eine Klage gegen StudiVZ, in der Anklageschrift heißt es: StudiVZ hat nicht nur Facebooks Features gestohlen, sondern auch das Look and Feel, das Design, große Teile der Websitefunktionalitäten und andere Eigentumsrechte wie Style Sheets. StudiVZ war offensichtlich eine Facebook-Kopie. Bis Anfang Oktober 2006 hieß ein Stylesheet von StudiVZ sogar “myfb.css”, also “myFaceBook”. Das Kölner Landgericht entschied allerdings: Trotz offensichtlicher Übereinstimmungen liegt keine unlautere Nachahmung vor. StudiVZ war noch mal davongekommen. Vorerst. Der aktuelle Betreiber von StudiVZ—die Firma Poolworks—hat heute ein Problem in Höhe von drei Millionen Euro. So viel Geld will Holtzbrinck von Poolworks, einer Firma, die der Verlag 2012 selbst gegründet hatte. Es sind—vereinfacht gesagt—finanzielle Verpflichtungen, die Holtzbrinck für den Betrieb von StudiVZ früher eingegangen ist, die die heutigen Besitzer von Poolworks aber nicht übernehmen wollen. Müssen sie aber, entschied das Berliner Landgericht im Juli diesen Jahres. Das Urteil liegt VICE vor. Es klingt, als wolle Holtzbrinck aus einer miesen Investition noch wenigstens irgendetwas wieder zurückhaben. Der Holzbrinck-Verlag, der 2007 Millionen in StudiVZ investierte, hatte die Firma Poolworks 2012 gegründet, damit sie sich StudiVZ annimmt. Das war zu einer Zeit, in der schon absehbar war, dass StudiVZ massiv an Wert verlieren würde. Holtzbrinck wollte Poolworks dann auch schnell wieder loswerden und verkaufte die Firma an eine US-Investmentfirma weiter. Die wiederum holte 2014 Agneta Binninger als deutsche Managerin. Ihr Job erinnert etwas an den armen Kerl von der FDP, der damals die Bundestagsfraktion abwickeln musste und allen Ernstes die Bezeichnung “Liquidator” trug. Binninger möchte das Beste aus dem machen, was noch da sei, sagt sie. Wegen der drei Millionen, die Poolworks zahlen soll, gebe es noch Gespräche zwischen der Geschäftsführung von Poolworks in den USA und Holtzbrinck, sagt Binninger. Dazu wolle sie sich nicht weiter äußern, sondern nach vorne schauen: Die Firma schreibe schwarze Zahlen, neben Holtzbrinck gäbe es keine weiteren Gläubiger. Dafür gebe es ja noch immer Nutzer, 600.000 aktive im Monat. Wir haben uns auf die Suche nach ihnen gemacht: Während auf Facebook die Klarnamenpflicht herrscht, sind auf StudVZ “Fake_Account” und “♫★ҳ̸Ҳ̸̸ҳ̸̸ҳ̸̸ҳ★♫kAtInKa♫★ҳ̸Ҳ̸̸ҳ̸̸ҳ̸̸ҳ★♫” unterwegs. (Alle Nutzernamen in diesem Text sind um wenige Zeichen geändert, um die Privatsphäre nicht zu verletzen.) Miss Achtelnoten-und-Sternchen-Katinka schreibt über sich: >>ïçH BïÑ ÑïçHT ãûF ÐëR Wë£T ûM šØ Žû šEïÑ WïÈ< …•» ãÑÐë Rë MïçH GëRÑ HãTTë N«•… …° * * ★ ★ ★ * ★ * ★ * ★ Hier stark gekürzt, es geht noch sehr lange so weiter. kAtInKa erinnert mich mit ihrer Großkleinschreibtechnik an meine ersten Jahren mit Internetzugang. Ich gruschel sie. Eine ihrer Gruppen: “Flirten ist kein Fremdgehen”, dazu ein gemaltes Bild einer Frau, das auf Pinterest als “fire elemental phoenix rising from the ashes kinda girl” klassifiziert wird und auch genau so—halb esoterisch halb pornomäßig—aussieht, wie dieser Spruch klingt. Gruppenbeschreibung: Die Baggerthreads ;) sind gewollt ,auch um etwas Leben in dir Gruppe zu bringen . Wer sie nicht mag braucht sich ja nicht beteiligen . (…) UND AN DIE NEULINGE DER GRUPPE … LASST EUCH NICHT DADURCH ABSCHRECKEN ,DAS SICH EINIGE HIER SO GUT KENNEN ;O) DIE SIND AUCH ALLE IRGENDWANN MAL NEU HIER GEWESEN !!! Die Gruppen waren immer das, was StudiVZ ausgemacht hat, sagt Agneta Binninger. “So wie die Plattform jetzt ist, würde ich sie heute nicht mehr bauen. Es macht keinen Sinn, dass die Plattform nach wie vor profilzentriert und timeline-basiert ist, obwohl die Gruppen immer der der Hauptaktivitätstreiber waren und sind.” Das waren Entscheidungen, die unter Holtzbrinck getroffen beziehungsweise nicht getroffen wurden. Den großen StudiVZ-Relaunch plant Binninger aber nicht. Auf Seite drei der Gruppen: “Adlkofen – Das geilste Kuhkaff der Welt!”. Auf Seite sieben: “Frisör,Kosmetik,Nagelstudio und Solarium – das gönn ich mir!!”. Außerdem schon zwei Gruppen, die Klamotten von Esprit bewerben. Wahrscheinlich hat sich ein PR-Mensch von Esprit 2010 gedacht, er könnte so den ganz große Coup landen. Seit 2015 nicht mehr aktiv: “TU Darmstadt – Bauingenieurwesen – Erstsemester”. Wahrscheinlich ist auch unter Darmstädter Bauingenieur-Erstsemestern 2015 Facebook angekommen. Noch immer aktiv auf StudiVZ und weit oben gelistet hingegen: HSV-Fans. Über 9.000 Mitglieder hat ihre Gruppe. Ich bin jetzt mit allen Menschen befreundet, die mir eine Anfrage geschickt haben, unter anderem mit einem mittelalten Mann, der aussieht wie ein Büroangestellter und oberkörperfrei posiert. Er lädt ein in die Gruppe “Willst du mit mir gehen? Ja, nein, ich fahre lieber Fahrrad.” Ich bestätige, er schreibt mich an: “Hey sweety”. Was man so findet: ein Bekannter meines Kollegen auf StudiVZ | Foto: Screenshot StudiVZ Unter “Leuten, die du kennen könntest” wird mir eine Domina vorgeschlagen. Die freundliche StudiVZ-Moderatorin Lea hat auch ihr pflichtbewusst zum Geburtstag gratuliert so wie meinem Kollegen seit Jahren. Lea hält die Stellung! Es ist 19 Uhr. Neue Nachricht von Denis, dessen Foto aussieht wie mit einer Handy-Kamera aufgenommen, die schon für das Jahr 2006 schlecht war: “???”. Und immer noch kein Gruschler von ♫★ҳ̸Ҳ̸̸ҳ̸̸ҳ̸̸ҳ★♫kAtInKa♫★ҳ̸Ҳ̸̸ҳ̸̸ҳ̸̸ҳ★♫. Ich klappe den Laptop zu. Auf meinem Handy sind in der Zwischenzeit die WhatsApp-Gruppen eskaliert; Facebook erinnert mich an eine Veranstaltung; auf Instagram gefällt meinem 12-jährigen Bruder ein Snowboard. All diese Apps gehören zu Facebook. Es scheint fast unmöglich, dass es dem Konzern einmal ergeht wie StudiVZ. Zurückgeblieben sind zwei reiche StudiVZ-Gründer; ein deutscher Großverlag, der sehr viel Geld an eine sterbende Plattform verloren hat und immer noch drei Millionen Euro zurück will; und 15 Menschen in Berlin, die die Reste von StudiVZ pflegen. Die Überbleibsel auf der Seite, die das Team verwaltet, sind: nicht gelöschte Bilder eines Muskelmann-Freundes meines Kollegen; eine StudiVZ-Moderatorin, die einer Domina zum Geburtstag gratuliert; ♫★ҳ̸Ҳ̸̸ҳ̸̸ҳ̸̸ҳ★♫kAtInKa♫★ҳ̸Ҳ̸̸ҳ̸̸ҳ̸̸ҳ★♫ und ein einsamer Denis.
Sofia Faltenbacher
[ "amerika", "Deutschland", "Facebook", "investors", "netzwerk", "Social Media", "start-up", "Studium", "studivz", "Tech", "Vice Blog" ]
2016-10-13T06:00:00+00:00
2024-07-30T22:23:32+00:00
https://www.vice.com/de/article/gqnxa4/mit-studi-vz-ist-mehr-passiert-als-du-denkst
So sehen die Touristen aus, die trotz Warnung weiterhin nach Ägypten reisen
Innerhalb eines Jahres nach dem durch den IS verursachten Absturz des russischen Passagierflugzeugs Metrojet 9268 verwandelte sich der einstmals beliebte ägyptische Küstenort Sharm el-Sheikh in eine Geisterstadt. Fast alle europäischen Fluglinien strichen ihre Verbindungen dorthin. Als Folge blieben Hotels und Strände leer und viele Souvenirläden gingen pleite. Mehr als ein Jahr nach der Tragödie vom 31. Oktober 2015 warnen die meisten europäischen Regierungen immer noch von einer Reise nach Sharm el-Sheikh. Immerhin wurde der Flugverkehr in die Region wieder aufgenommen—nur in Großbritannien und Russland weigert man sich noch, die Flugfreigabe zu geben. Die Fotografin Sanne Zurné ist nach Sharm el-Sheikh geflogen, um herauszufinden, welche Touristen den Weg zurück in die dortigen Resorts gefunden haben. Die wenigen Menschen, die Sanne antraf, waren alle ziemlich glücklich darüber, keine Probleme bei der Strandliegesuche zu haben. Das Auftragen von ausreichend Sonnencreme breitete ihnen fast am meisten Sorgen. Lena: Ich mache jetzt schon seit Jahren zusammen mit meiner Tochter hier Urlaub, aber jetzt ist alles anders. Unser Hotel ist leer. Gestern Abend hatten wir das Buffet—abgesehen von drei anderen Gästen—für uns alleine. Das Ganze ist zwar etwas langweilig, hat aber auch Vorteile: Wir müssen uns nicht mit anderen Urlaubern rumschlagen und zahlen außerdem nur die Hälfte. Wir kommen aus der Ukraine, wo tatsächlich Krieg herrscht. Das ist hier definitiv nicht der Fall. Ich genieße die außergewöhnliche Situation jetzt noch so lange wie möglich, denn irgendwann werden die Touristen zurückkommen. Entweder das, oder die ganze Stadt geht pleite. Dann müssen wir uns ein neues Urlaubsziel suchen. Susi: Mein Freund ist Ägypter und deswegen komme ich dreimal pro Jahr nach Sharm el-Sheikh, um ihn zu besuchen. Ein abgestürztes Flugzeug kann mich da nicht aufhalten. Natürlich besteht ein gewisses Risiko, aber das ist in Europa oder in der Türkei doch genauso. Jedes Mal, wenn ich wieder hierher komme, ist die Lage in der Stadt schlimmer geworden. Es gibt kein Geld mehr. Mein Freund besitzt einen Souvenirladen und hofft deswegen, dass bald wieder alles normal ist. Und ich versuche, ihm in der Zwischenzeit so gut es geht zu helfen: Bei mir zu Hause liegen schon gut 200 Sonnenbrillen rum, die ich hier gekauft habe. Jan: Eigentlich wollen wir nach Malta, aber das war dann zu teuer. Kevin: Wir haben auch überlegt, in die Türkei zu fliegen, hielten das dann aber für noch gefährlicher. Jan: Unsere Eltern machen sich Sorgen und wollen, dass wir uns bei der Botschaft melden. Das finden wir aber übertrieben. Eigentlich ist es eher nervig, dass keine anderen Touristen hier sind, weil die Verkäufer dann nur uns ihren Scheiß andrehen wollen. Paula: Wir verbringen jeden Winter hier in unserer Wohnung im Stadtzentrum. Ab und an verbringen wir aber auch mal eine Woche in einem Hotel, um die Annehmlichkeiten und den Luxus zu genießen. Derzeit wohnen wir zum Beispiel in einem wunderschönen Resort direkt am Meer. Und da quasi keine anderen Touristen unterwegs sind, haben wir den ganzen Strand für uns allein. Giorgo: Wir kommen schon seit Jahren hierher und sind uns deshalb auch der derzeitigen Situation bewusst. Wir wissen, dass hier alles OK ist—die Presse hat eben nur sehr negativ über alles berichtet. Meiner Meinung nach ist es keine Frage der Sicherheit, sondern der politischen Ansichten, wenn man nicht hierher kommen will. Christine: Die Leute zu Hause halten uns für verrückt, aber wir haben keine Angst. Das Risiko, dass wirklich etwas passiert, ist sehr gering. Alan: Es ist derzeit halt bloß schwierig, nach Sharm el-Sheikh zu kommen. Keine britische Fluglinie fliegt mehr direkt hierhin. Deswegen müssen wir in Kairo umsteigen. Zum Glück sind wir schon im Ruhestand und haben alle Zeit der Welt. Wir machen hier schon seit 14 Jahren Urlaub und sind immer wieder total glücklich. Auch als wir damals während der Revolution hier waren, hatten wir keine Probleme—obwohl wir immer das öffentliche Busnetz nutzen. Das macht nämlich richtig viel Spaß. Christine: Darin liegt meiner Meinung nach auch die viel größere Gefahr. In Ägypten gibt es nämlich viele Verkehrsunfälle. Alan: Und das Wetter. Man muss hier immer viel trinken, um nicht zu dehydrieren. Morenyta: Terroristen? Wo? In Italien haben wir die Mafia und ich sehe da keine großen Unterschiede. Ich komme jetzt schon seit sechs Jahren immer wieder hierher und bin immer alleine unterwegs. Passiert ist mir noch nichts. Ich gehe einfach jeden Tag um 9 Uhr an den Strand, öle mich ein und lege mich in die Sonne. OK, das könnte ich zwar auch in Italien machen, aber hier habe ich eine Sonnen-Garantie. Außerdem bin ich auf der Suche nach einem ägyptischen Beziehungspartner. Und damit meine ich jetzt keinen Toy Boy, der nur auf mein Geld aus ist. Nein, ich rede hier von wahrer Liebe. Als Frau aus dem Westen habe ich es hier natürlich schwer, aber ich gebe nicht auf. Bintou: Es ist schon immer mein Traum gewesen, die Pyramiden zu sehen. Ich feiere heute meinen 20. Geburtstag und die Reise ist quasi mein Geschenk an mich selbst. Beim Buchen habe ich mir noch keine Sorgen gemacht, aber dann fing mein soziales Umfeld damit, mich zu warnen und über mögliche Gefahren zu sprechen. Irgendwann habe ich das aber einfach ausgeblendet und jetzt weiß ich, dass ich hier vor nichts Angst haben muss. Meine Eltern muss ich aber trotzdem noch zweimal täglich anrufen, damit sie wissen, dass es mir gut geht. Igor: Für Russen ist dieser Ort das Paradies: Hier ist es warm, exotisch und günstig. Ich bin mit einem Kollegen unterwegs und wir haben unseren Urlaub sogar spontan um eine Woche verlängert. Meine Familie macht sich schon ein wenig Sorgen, denn der Flugzeugabsturz hat in Russland natürlich für große Bestürzung gesorgt. Die Politik spielt hier aber auch eine große Rolle. Ich glaube, Putin will seine Landsleute in Russland halten, weil viel Geld in Touristenorte wie etwa die Halbinsel Krim oder Sotschi investiert wurde. Aufgrund dieser wirtschaftlichen Interessen wird es meiner Meinung nach wohl noch eine Weile dauern, bis russische Fluglinien Sharm el-Sheikh wieder ansteuern. Ich werde hier jedoch so schnell wie möglich wieder Urlaub machen. Katrina: Mein Freund und ich wollten unbedingt einen Strandurlaub machen. Sharm el-Sheikh hat und direkt angesprochen und hier ist es derzeit auch richtig günstig. Ich arbeite in einem Reisebüro und konnte die Situation deswegen ganz gut einschätzen. Der Flugzeugabsturz ist jetzt schon über ein Jahr her und seitdem ist hier nichts Ähnliches mehr passiert. Von der Ukraine aus gibt es immer noch Direktflüge nach Sharm el-Sheikh. Wo liegt also das Problem? Ich habe keine Angst, schließlich komme ich selbst aus einem Kriegsgebiet. Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.
Sanne Zurné
[ "Ägypten", "Fotos", "Reisen", "Sharm El-Sheikh", "strand", "terror", "Terrorismus", "tourismus", "Urlaub", "Vice Blog" ]
2016-12-07T05:00:00+00:00
2024-07-30T21:43:01+00:00
https://www.vice.com/de/article/so-sehen-die-touristen-aus-die-trotz-warnung-weiterhin-nach-aegypten-reisen
Wald, Beton, Stacheldraht – Zu Besuch in einem Abschiebegefängnis
Über 10.000 Menschen müssen jedes Jahr Deutschland verlassen, die meisten werden aus der Freiheit abgeschoben. Wer sich der erzwungenen Ausreise widersetzt, weil er kein Asyl bekommen hat, oder wer ohne Papiere erwischt wird, landet vielleicht in Büren, in Westfalen. Hier steht eines der größten Abschiebegefängnisse in Deutschland. Bald könnte es hier wieder voll werden. Sie sind zu dritt. Unterwegs in einem alten Skoda-Kombi. Auf der Rückbank sitzen eine Studentin und ein junger Mann mit verfilzten Haaren und Ringen in den Unterlippen. Den Wagen lenkt ein großer Mann in schwarzem Shirt, er hat eine Halbglatze und grinst fröhlich. Sein Name ist Frank Gockel, studierter Physiker, doch seit er sich mit anderen Gesetzen als denen der Natur beschäftigt, ist er in besonderer Mission unterwegs. Hinter Paderborn sind er und seine beiden Begleiter nach Büren abgebogen. Nun führt der Weg durch den Wald. Zehn Kilometer links und rechts Bäume. Dann eine Lichtung, ein Parkplatz, dahinter Beton: sechs Meter hohe Mauern, eingefasst von einem grünen Zaun, der gespickt ist mit Stacheldraht, Scheinwerfern, Kameras. Auf einem Schild steht „Unterbringungseinrichtung für Ausreisepflichtige”. Die Drei sind am Ziel. Sie werden bereits erwartet. Am Eingang zu dem Betonkomplex hat sich eine Reihe älterer Herrschaften eingefunden, mit rosafarbenen Schals und Baskenmützen, Typ Religionslehrer. Sie bilden den Verein „Hilfe für Menschen in Abschiebehaft Büren” (HFMIA). Eine Gruppe von Aktivisten, die aus humanitären Gründen oder politisch motiviert Abschiebehäftlinge unterstützt. Ein Dutzend von ihnen kommt mehrmals pro Woche nachmittags für zwei Stunden nach Büren. Sie nehmen sich Haftbeschlüsse vor, übersetzen den Abschiebehäftlingen—von denen viele nicht verstehen nicht, was gerade vor sich geht—die Dokumente. Sie vermitteln Anwälte und schauen, ob sich eine Haftbeschwerde lohnt. Für viele der Menschen, die hier darauf warten, in ihre Heimat zurücktransportiert zu werden, sind die Hafthelfer der letzte Ausweg. Frank Gockel, der große Mann in Schwarz, ist Vorsitzender des Vereins. Für den 37-Jährigen ist der Abschiebeknast das zu Beton gewordene Symbol eines Unrechtsstaates. Aber er nutzt auch die juristischen Mittel dieses Staates, um möglichst viele Menschen aus dessen Fängen zu befreien. Er will helfen, dass jene nicht verschwinden, denen ein Papier sagt, dass sie „illegal” sind. Einer, der das Gefängnis in den 90er Jahren mit aufgebaut hat, ist Udo Wehrmeier. Er weiß von den Hungerstreiks während des Balkankrieges zu berichten, als bis zu 500 Jugoslawen in Büren festsaßen. „Nach dem Krieg wurde es ruhiger und hatmandas Gefängnis auch für Eierdiebe und Schwarzfahrer genutzt”, sagt der 66-Jährige und wartet am geöffneten Fenster seines Büros in der obersten Etage des Verwaltungstrakts auf ein Lachen. Draußen regnet es. Eigentlich sollte Wehrmeier gar nicht hier sein. Er war in Ruhestand gegangen und sein Gefängnis nach Urteilen des Europäischen Gerichtshofes geschlossen worden. Die Richter in Straßburg hatten die gemeinsame Unterbringung von normalen Sträflingen und Abzuschiebenden 2014 untersagt. Die Einrichtung musste umgebaut werden. Als sie im Mai dieses Jahres wieder in Betrieb genommen wurde, rief die Bezirksregierung Detmold bei Wehrmeier an. Glatt rasiert, in schwarzem Polohemd und alter Jeans ist er der Antipode Gockels, des Aktivisten, dem er doch ähnelt. „Seit Mai bis Ende August”, sagt er in die kalte Luft hinein, „wurden von hier 66 Menschen abgeschoben, 25 durften wieder raus. Aktuell ist Platz für 50 Ausreisepflichtige. Maximal 100 Menschen können insgesamt aufgenommen werden. Wenn mehr Personal bereit steht. Im Schnitt sitzen die Ausreisepflichtigen 11,5 Tage hier.” Das sind die Fakten. Wehrmeier reiht sie langsam und mit Bedacht aneinander. Büren und anderen Abschiebegefängnissen könnte schon bald eine größere Bedeutung zukommen. Die Merkel-Regierung signalisiert in der gegenwärtigen Flüchtlingsdebatte, härter gegen Menschen ohne Bleiberecht und ohne Aussicht auf einen erfolgreichen Asylantrag vorzugehen. Nur 33 Prozent der abgelehnten Asylbewerber würden abgeschoben. „Da sind wir noch nicht gut genug”, sagte die Kanzlerin am 15. Oktober. Schon im Sommer verschärfte das Kabinett die Gesetze. Nun kann theoretisch jeder, der Geld an Schlepper gezahlt oder seinen Pass vernichtet hat, in Abschiebehaft kommen. Zudem wurden Anfang September über 150 Flüchtlinge in Büren neben den Abschiebehäftlingen untergebracht. Motherboard: Wirrer deutscher Forscher verbietet Asylstaaten die Nutzung seiner Software Die schweren Hydrauliktüren öffnen sich surrend. Besucher müssen an dieser Sicherheitsschleuse alles abgeben, sogar Stift und Papier. Nur einige genau abgezählte Münzen dürfen Röntgengerät und Metalldetektor passieren—für den Kaffeeautomaten. Im Erdgeschoss eines Verwaltungsgebäudes befindet sich der Besucherraum, der eingerichtet ist wie die Kantine eines Schullandheims mit dem Unterschied, dass sich hier Gitter vor den Fenstern befinden. Und uniformierte Wärter sitzen hinter Sicherheitsglas zurückgelehnt in ihren Schreibtischstühlen und trinken gähnend Kaffee, während jeweils ein Hafthelfer einen der Tische besetzt. Sie fragen einander: „Ist deiner noch da?” In einem Schwung schieben sich etwa 30 Ausreisepflichtige an die Tische. Sie kommen vom Balkan, aus der Ukraine oder Georgien, aus arabischen und afrikanischen Ländern. Die Hafthelfer arbeiten schnell und routiniert. Ab und zu kopiert jemand Papiere, über ihre Handys stellen sie die Verbindung zu Übersetzern her, falls Sprachprobleme die Verständigung verhindern. Eigentlich ist ihre Arbeit einfach. Sie suchen Formfehler in den Haftbeschlüssen. Etwa solche, die Amtsrichter machen, indem sie den Wortlaut der Ausländerbehörde in der ersten Person übernehmen. „Weil die vielleicht einmal im Jahr so einen Beschluss verfassen müssen, sich nicht auskennen oder sich keine Mühe geben”, wie Gockel sagt. Oder weil die Abschiebehäftlinge ein paar Tage zu Unrecht in einem normalen Knast eingesessen haben. Oder weil Dokumente fehlen. Oder weil die Haft nicht ausreichend begründet ist. „Das ist stupide Fließbandarbeit”, sagt Gockel. „Dieselben Richter machen immer dieselben Fehler. Da muss ich nur kurz draufschauen.” An einem der Tische sitzt Nelson B. Der kompakte Mann trägt einen bleichen, blauen Pulli, Badehose und Badelatschen. Warum er in Deutschland sei? „I am gay”, sagt der Ghanaer zaghaft und fragend. Fast unter Tränen erzählt der 31-Jährige, dass er 2011 geflohen sei, weil ihn seine eigene Familie habe töten wollen. Er überreicht einen Brief, in dem er beschreibt, wie er von seinem Vater geschlagen wurde, wie der ihm schließlich Gift in das Essen gerührt habe. Seine Homosexualität sei eine Schande für die Familie. Er erzählt von vier Männern, die ihn verprügelt hätten, einer habe ihn mit einem Messer attackiert. Er lässt drei Finger an der rechten Hand gefühllos nach hinten schnappen. Nelson B. | Foto mit freundlicher Genehmigung von Nelson Nelson spricht mit hoher und leiser Stimme, um den Hals hängt eine Lederkette mit Haizahn—den er zwischen den Fingern der rechten Hand reibt, wenn er spricht. Im Februar 2012 hat er einen Asylantrag gestellt, nach anderthalb Jahren folgte die Ablehnung. B. tauchte daraufhin ab, so steht es in seinem Haftbeschluss. Bis er am 13. Juni 2015 frühmorgens in einem Büro für Fußballwetten in Köln von einer Zivilstreife festgenommen und vier Tage später im blauen VW-Bus der Ausländerbehörde durch die Pforte von Büren gefahren wurde. In einigen Tagen soll er ausgeflogen werden. Auf „Mr. Frank” ruhen nun alle seine Hoffnungen. Frank Gockel sagt, es gebe keine fünf Menschen in Deutschland, die das Chaos der Gesetze im Abschiebehaftrecht durchblicken. „Man kann da relativ schnell aufsteigen in dieser kleinen Gilde.” Jetzt hat er eine volle Stelle beim Flüchtlingsrat. Über seine Klientel sagt er: „Wer in Büren sitzt, hat oft ein schlechtes Netzwerk gehabt oder es selbst vermasselt. Oder beides. Dann helfen wir.” Es sind Menschen wie der Marokkaner einige Tische neben Nelson B. Er trägt eine Panzerkette um den Hals, eine weiße Basecap mit gebogenem Schirm, und er hat zwischen Zeigefinger und Daumen drei Punkte tätowiert, den international gültigen Knacki-Code. In seinem Haftbefehl steht, er habe unter sieben verschiedenen Namen Asyl beantragt. Der Mann presst seine Kiefer aufeinander. Er wird in einigen Tagen zurück nach Spanien überstellt gemäß dem Dublin-Abkommen, in Spanien war sein erstes Asylverfahren. Dort wird er wieder auf freien Fuß gesetzt, aber er will wiederkehren. Vielleicht wird er wieder in Büren landen. So wie Mohamed C. aus Guinea, in Westafrika, auf dessen Kopf sich Brandnarben abzeichnen, Foltermale von ausgedrückten Zigaretten. Er sitzt nach 2001 zum zweiten Mal in seiner „alten Bude”, wie er sie nennt. Nicht alle suchen die Hilfe von Gockel und seinen Mitstreitern. Neben Mohamed C. sitzt ein Mann aus Ghana, der die Hände hinter dem Kopf verschränkt und in dem Getümmel leise schnarcht. „Die Leute hier haben es verdient, sich einigermaßen wohl zu fühlen”, sagt Udo Wehrmeier. So angenehm wie möglich möchte der Haftleiter den Aufenthalt in Büren gestaltet sehen. Auf seinem runden Konferenztisch breitet er stolz die „umfangreiche” Speisekarte der Abschiebeeinrichtung aus. Es sei „für alle was dabei, auch mohammedanisch”, sagt er und betont, wie freizügig die Einrichtung sei: die offenen Zimmer, in denen Handys erlaubt seien, und Skype möchte er im Mediencenter installieren—für kostenlose Anrufe nach Hause. Einige Schicksale täten ihm in der Seele weh, sagt Wehrmeier. Er hegt sogar eine gewisse Sympathie für die „Fuck Frontex”- und „Kein Mensch ist illegal”-Graffiti, die ihm die Demonstranten einst vor die Pforte sprühten. Aber sein Motto ist: „Ein Gefängnis ist ein gutes, wenn man nichts darüber hört.” Frank Gockel und Wehrmeier sind seit Jahren Widersacher. Gockel sagt, er und Wehrmeier waren nie die besten Freunde. Der jüngste Streit zwischen den beiden: Die Handy-Nutzung. Wehrmeier hat Handys in der Einrichtung erlaubt. Woraufhin Gockel Geräte unter den Häftlingen verteilte. Wehrmeier hat sie wieder einkassieren lassen—weil die Handys eine Kamera hatten. Kameras sind nicht erlaubt. Als Frank Gockel nach der Beratungsstunde an seinem Kombi vor der Anstalt lehnt, seufzt er: „Jetzt kommt der Papierkram.” Seit Oktober 2013 habe er 66 abgeschlossene Verfahren begleitet, 57 Urteile fielen zu Gunsten der Betroffenen aus, 20 davon sogar am Bundesgerichtshof. Wie viele Menschen er aus der Haft geholt hat, kann er gar nicht genau sagen. Und wenn seine Klienten während des Prozesses abgeschoben wurden, erstreitet er Schadenersatz und lässt diesen den Abgeschobenen in die Heimat überweisen. Das könnte die Schulden der Abgeschobenen beim deutschen Staat tilgen, die die Kosten der Abschiebung samt Flug mit möglichem Begleitpersonal selber tragen. Zwei Wochen vor seinem angesetzten Abschiebetermin wird Nelson B. nervös. In einer langen SMS gesteht er: Er sei gar nicht schwul, er habe die ganze Geschichte nur erfunden, um Asyl zu bekommen. Jetzt hat er Angst, dass die ghanaische Gemeinde, die ihn wieder aufnehmen soll, dieses „falsche Geheimnis” glaubt und herumerzählt. Nelson B. ist wütend auf seinen Anwalt: Der habe nichts für ihn getan, sei nicht erreichbar gewesen, Geld habe er aber kassiert. Tatsächlich hat der Anwalt die Haftbeschwerde ohne Rücksprache zurückgezogen, anstatt den formal offenbar tatsächlich ungültigen Haftbeschluss anzufechten. Gockel kennt den Anwalt. „Der hat es versaut, vielleicht weil er in diesen Tagen überlaufen ist.” Das ärgert ihn zwar, weil wertvolle Zeit vertan wird. Aber: „Die Geschichte der Leute ist eigentlich zweitrangig.” Es gehe ja um Formalitäten. Am Abend vor der Abschiebung klingt Nelson B.s Stimme aufgekratzt. „Morgen früh um sechs holt der Bus mich ab und fährt zum Flughafen Düsseldorf”, flüstert er. „Die Abschiebung ist mir sehr peinlich. Mein Dorf wird denken, ich sei ein Verbrecher, wenn sie erfahren, dass ich aus einem Gefängnis heraus abgeschoben wurde.” Am 15. September 2015 um 16.15 Uhr Ortszeit betritt er in der Hauptstadt Accra ghanaischen Boden. Ohne Geld, aber mit 1.850 Euro Schulden, die er beim deutschen Staat für dessen Auslagen hat. Die ersten Tage will er bei einem Landsmann verbringen, den er in Büren kennen gelernt hat. Dann fährt er in sein Dorf. Dieser Artikel ist entstanden in Zusammenarbeit mit CORRECT!V, dem ersten gemeinnützigen Recherchezentrum im deutschsprachigen Raum. CORRECT!V finanziert seine Recherchen aus Zuwendungen von Stiftungen und Bürgern. Hier kannst Du CORRECT!V unterstützen.
Benedict Wermter, Correctiv.org and Benedict Wermter, CORRECT!V
[ "Abschiebehaft", "Abschiebung", "Asyl", "Büren", "Correctiv", "Deutschland", "flüchtlinge", "LGBT+", "Politik", "Stuff", "Vice Blog" ]
2015-11-20T05:00:00+00:00
2024-07-31T01:27:14+00:00
https://www.vice.com/de/article/wald-beton-stacheldrahtzu-besuch-im-abschiebeknast-887/
Wie mir ein kleines Tütchen Gras eine Nacht im polnischen Polizei-Gewahrsam bescherte
Die folgenden Erlebnissen erstrecken sich über einen Zeitraum von 18 Stunden. Die Autorin hat sie anhand eines Gedächtnisprotokolls und von Polizeidokumenten aufgeschrieben. Sie veröffentlicht hier unter einem Pseudonym – aus Gründen. Im Nachhinein bin ich über zwei Sachen erstaunt: Wie ich so sorglos sein konnte, mein Gras einfach in der Bauchtasche zu verstauen. Und wie ich so ruhig bleiben konnte, als die Polizisten uns an der Grenze rausgewunken haben. Vielleicht war es einfach die Vorfreude: Ende Juli, gut eine Woche vor offiziellem Beginn des Garbicz-Festivals, sitzen wir zu viert in einem Kleinbus, ein Fläschchen Cremant auf der Rückbank, ein schönes Set in den Boxen – Leben, wie es sein sollte. Wir passieren die deutsche Grenzkontrolle ohne Probleme. Erst auf der polnischen Seite winkt uns ein Polizist an die Seite. Ein deutscher und ein polnischer Beamter gehen zum Fahrer, sammeln unsere Ausweise ein. Plötzlich fällt mir ein, dass ich vor 10 Jahren mal in Bayern mit einem Joint erwischt wurde – aber das müsste doch längst aus meiner Akte gelöscht sein, denke ich. Mit einer Kontrolle hat keiner von uns gerechnet. Denn der deutsche Zoll filzt jedes Jahr entlang der A12 in Schwerpunktkontrollen die Autos von Hunderten Raverinnen und Ravern, aber erst zu Festivalbeginn. Im letzten Jahr hat die Aktion fast 132.000 Euro gekostet. Dabei wurden hauptsächlich nur kleine Drogenmengen von Konsumierenden gefunden, aber eher keine Dealer. Für die Anreisenden sind diese Kontrollen vor allem nervig. Was mir mit der polnischen Polizei passiert ist, bewegt sich aber noch mal auf einem anderen Level. Die Polizisten kommen zurück. Steuern auf mich zu. “Toni Chique? Aussteigen!” Schock. Mit zittrigen Händen versuche ich, den Sitz umzulegen, um an meine Taschen zu kommen. Ich wuchte sie aus dem Kleinbus, versuche noch möglichst unauffällig, meine Bauchtasche in den Wagen zu dem anderen Gepäck zu werfen. Keine Chance. Der polnische Polizist packt sie sich sofort. Mir rutscht das Herz in die Hose. Er öffnet seelenruhig einen Reißverschluss nach dem anderen und bringt Dinge zutage, an die ich gar nicht mehr gedacht habe: ein uraltes Papierröllchen mit eindeutigem Nasenaufdruck, zerknüllte private Notizen, Kleingeld, Kaugummi … Irgendwann ist er beim letzten Reißverschluss angekommen, zieht ihn genüsslich auf, jetzt wird’s spannend. Stolz hält er das Tütchen mit den 1,3 Gramm Gras nach oben. Im selben Moment zieht er seine Handschellen aus dem Gürtel. Handschellen!? Ab jetzt Filmmodus: Hände hinter den Rücken, Schubsen Richtung Polizeiauto, meine Freundin sagt noch verzweifelt, dass das doch total übertrieben sei. “Ist es nicht, es besteht Fluchtgefahr”, fährt sie der deutsche Polizist an, “in Polen sind schon 0,1 Gramm Marihuana verboten, ihre Freundin hat gerade versucht, sehr viel mehr reinzuschmuggeln.” Das werde Konsequenzen haben. Welche, will er mir nicht sagen, aber er deutet an, dass es eine erhebliche Geldstrafe oder sogar Gefängnis werden könnte. Meine Freundin darf mich nicht mehr umarmen, es treffen sich nur noch unsere entsetzten Blicke. Abführen! Wir fahren zu der Polizeidienstelle am Grenzübergang, dort werde ich in einen Raum geführt, mein trauriges neues Zuhause, wie sich herausstellen wird. Grelles Neonlicht, Plastikbänke, Gitterstäbe vor den Fenstern, Kameraüberwachung. Vorne ein Schreibtisch vor einer Scheibe, durch die ich die Polizisten bei der Computerarbeit sehen kann, auf der anderen Seite ein durch eine Art Salontür abgetrenntes Stahl-Klo und ein Waschbecken. Ich zittere, setze mich in eine Ecke, gucke auf die Tür und versuche, mich zu beruhigen. Da, wo normalerweise der Türknauf ist, ist nur eine silberne Scheibe, gruselig, wie der Umriss eines Gesichts, nur ohne Nase, Mund, Augen. Hier kann man nur rein, nicht raus. Auch bei VICE: Der Grasschmuggel in den Sümpfen Floridas Ich habe keine Ahnung, was jetzt passiert. In Deutschland hätte ich gewusst, wie ich mich zu verhalten habe: nichts sagen, nichts unterschreiben. Vermutlich hätten sich die Beamten bei dieser Menge nicht mal die Mühe gemacht, ein Protokoll aufzusetzen. Aber jetzt bin ich auf polnischer Seite. Ich habe keine Ahnung, wie die Strafen in Polen auf Marihuana stehen, ich habe keine Ahnung, welche Rechte ich habe. Die Tür geht auf, der Polizist wuchtet mein Gepäck rein. Ich muss alles abgeben: Uhr, Ketten, Armband, Schnürsenkel. Mein rechtes Handgelenk umfasst ein altes Garbicz-Band, auf dem steht “Alles ist gut”. Deadline, Liebeskummer oder Panikattacke: Seit Jahren ist das Band in schwierigen Zeiten meine Erinnerung, nicht aufzugeben. Ich hänge wirklich daran und bedeute dem Polizisten, dass ich es nicht abziehen kann. Er zückt die Schere und schneidet es durch. Alles ist gut? Mir steigen die Tränen in die Augen. Als Nächstes durchsucht er meinen Rucksack, meine Sport- und Laptoptaschen genauer, als es ein Drogenspürhund jemals könnte. Als er meinen Geldbeutel öffnet, fällt es mir ein. Da hat er das Röhrchen schon in der Hand, in dem klebt noch weißes Überbleibsel-Pulver. Wieder dieser stolze “Na sieh mal einer an”-Blick. Der ist international. “What‘s this?” Jetzt fange ich wirklich an zu heulen. “I don‘t know, it‘s empty! I didn‘t even know that I have it with me.” Ganz andere Liga. Der Polizist lässt mich wieder alleine mit meinem Mindfuck. Ich werde panisch. Tigere durch den Raum, auf und ab, verstecke mich im Klo und kriege einen Weinkrampf. Ich frage nach einem Glas Wasser. Gibt es nicht. Ich soll das aus dem Waschbecken trinken. Das tue ich auch, gefühlt literweise, aber es ist lauwarm und milchig. Angstwasser. Ich frage, was jetzt passieren wird. Der Polizist erklärt mir in gebrochenem Englisch, dass gleich eine Kollegin kommt, die mich durchsuchen wird. Dass das mit dem Protokoll noch lange dauern wird. Dass ich dann auf ein Polizeirevier gefahren werde, wo ich die Nacht verbringen werde. Und dass morgen eine Art Anhörung stattfinden wird. Morgen? Ich werde in einer Zelle schlafen? Das hier wird noch ewig weitergehen? Eben habe ich unterschrieben, dass ich über meine Rechte belehrt wurde, aber als ich nach einem Anwalt frage, wird mir erklärt, dass ich nur einen polnischen anrufen darf. Und sonst niemanden. Ich wähle keine Nummer. Dafür hat der Polizist jetzt Interesse an meinem Handy. Er baut sich vor mir auf, hält mir das Gerät vors Gesicht und sagt, dass ich meinen Code eingeben soll. Ich frage, ob ich das muss. Er antwortet mit sehr ernstem Gesicht: “It would be better for you.” Ich entsperre mein Handy – etwas, das ich in Deutschland nie getan hätte – und spätestens jetzt wird mir klar: Ich bin ausgeliefert. Was würde ich jetzt dafür geben, auf einer bayerischen Wache zu sitzen. Rauchen darf ich. Jedes Mal wenn ich eine Kippe will, klopfe ich an die Scheibe und er bringt mir eine. Ich soll sie auf dem Klo rauchen, hinter der Saloontür. Die Zigarettenstummel traue ich mich nicht in die Toilettenschüssel zu werfen, keine Ahnung warum. Ich habe einfach permanent Angst, etwas falsch zu machen. Während ich auf einer der Plastikbänke sitze und panisch im Kopf durchgehe, was sich alles in meinem Handy befindet, ob ich damit irgendjemanden gefährde und was das wieder auf mich schließen lässt, lachen vor der Tür mit dem Nichtknauf-Geistergesicht die Beamten. Für sie ist das Alltag. In meinem Kopf dreht sich die Worst-Case-Spirale: Was, wenn die Geldstrafe wirklich so hoch ist wie angekündigt? Was, wenn ich wirklich in den Knast muss? Was, wenn ich nie wieder nach Polen darf? Nie wieder zum Garbicz? Die Tür öffnet sich und rein kommt die polnische Lara Croft. Outfit all black, Basecap, Lidstrich, Flechtzopf. Sie führt mich in einen anderen Raum, sagt, dass ich mich ausziehen soll. Sie tastet jedes Kleidungsstück genau ab. Als ich nackt vor ihr stehe, bittet sie mich, mit gespreizten Beinen in die Hocke zu gehen. Sie beugt sich noch ein bisschen tiefer, um auch wirklich alles zu sehen. Einmal von vorne, einmal von hinten. Ich kann mich kaum auf den Füßen halten, so sehr zittere ich. Danach wieder in die Zelle. Ich nehme meinen Mut zusammen und frage den polnischen Polizisten, ob ich bitte mit dem deutschen Polizisten sprechen darf. Seine Antwort: “He is gone. Now it’s only you and me.” Kurz darauf sitzt er wieder auf der anderen Seite der Scheibe. Er hat mein Handy in der Hand, ich glaube, er gleicht es mit dem Computer ab. Ich frage mich, was er gerade über mich sieht und rausbekommt. Auch bei VICE: Hinter den Kulissen des gewinnorientierten Kautionssystems der USA Dass mein ganzer Mindfuck gar nicht so unberechtigt ist, wird mir erst im Nachhinein klar: In der Süddeutschen lese ich Tage später, dass das UN-Menschenrechtskomitee, der Europarat und Menschenrechtsorganisationen seit Jahren versuchen, gegen Folter und Misshandlungen auf polnischen Polizeirevieren vorzugehen. Ich bin heilfroh, dass ich davon in meinen 18 Stunden Aufenthalt noch nichts wusste. Meine Zellengenossen sind ein paar Motten, die sich immer wieder in der Neonröhre in den Tod zu stürzen versuchen. Immer wieder soll ich Protokolle unterschreiben, die ich nicht verstehe, weil sie auf Polnisch sind. Einmal weigere ich mich, er schüttelt den Kopf und geht wieder. Ich bin ein bisschen stolz, weiß aber nicht, ob das jetzt wirklich klug war. Die Tür geht auf, ein Polizist bringt ein junges Mädchen mit asiatischen Gesichtszügen herein. Ich freue mich, endlich wieder einen menschlichen Menschen zu sehen. Ich versuche, mit ihr zu reden, aber sie sagt kein Wort. Ich weiß nicht, ob sie mich nicht versteht oder ob es eine Taktik für die Polizei ist. Die Beamten kriegen nicht mal ihren Namen aus ihr raus, sind schwer genervt. Wir reden mit Blicken: “Scheiße”, “Was passiert hier?” und “Warum waren wir so dumm?”. Einmal versucht sie, mit den Fingern Buchstaben nachzuzeichnen, da kommt ein Polizist reingestürmt: “Kann sie doch reden?” “Nein, ich versuche es nur, aber sie versteht kein Wort.” Stunden später. Ich habe kein Zeitgefühl mehr, schrecklichen Durst und seit über 24 Stunden nichts gegessen. Die Tür geht auf, wir sollen auf den Gang treten. Wieder Handschellen, ein Reif für mich, einen für einen stämmigen Polen. Die Asiatin wird an ihren herbeigeführten Freund gekettet, nie war ich eifersüchtiger auf menschliche Nähe. Jetzt geht es zu einer Polizeistation irgendwo in Polen, wo wir schlafen sollen. Wir fahren und fahren, kommen an, werden wieder in eine Zelle geschafft. Keine Ahnung, was als Nächstes passiert. Da kommt ein Beamter mit Latexhandschuhen um die Ecke. Auch Lara Croft ist wieder da, mittlerweile kenne ich das Prozedere – ausziehen, in die Hocke, einmal von vorne, einmal von hinten. Bis heute weiß ich nicht, ob diese zweite Durchsuchung rechtens war. Keine fünf Minuten später ziehe ich mich wieder an, zwei Männer belehren mich auf Englisch: Meine Zelle wird die ganze Nacht videoüberwacht und das Licht bleibt an. Ich kriege ein Kissen, Wolldecke, Überzug und ein Laken – und auf Nachfrage endlich einen kleinen Becher Wasser. Ich werde durch drei Gitterabsperrungen in meine Zelle geführt. Sie ist klein, zwei Pritschen, ein Betonfenster, penetranter Uringeruch. Ich versuche, mir mein Top über die Augen zu ziehen, um dem grellen Neonlicht zu entkommen. Ich bin so erschöpft, aber in meinem Kopf geht es weiter. Ich liege die Nacht über wach, mein Wärme- und Kälteempfinden spielt verrückt, im einen Moment transpiriert mein ganzer Körper, im nächsten zittere ich überall. Ich will einen Arzt rufen lassen, aber ich trau mich nicht. Wann hört das endlich auf? Und wie geht es aus? Werde ich morgen darüber lachen oder droht wirklich Schlimmes? Das Mädchen wird reingeführt. Irgendwie bin ich froh, auch wenn ich weiß, dass wir kein Wort reden werden. Dann wird es hell vor dem Nicht-Fenster. Der Schlüssel dreht sich im Schloss, raustreten. Wieder das Auto mit der Knastzelle, wieder in den Knastwarteraum, in dem ich die langen Stunden verbracht habe, immer noch keine Idee, wie lange das hier alles schon geht und noch gehen soll. Aber immerhin passiert etwas. Mir werden Fingerabdrücke genommen und es werden Mugshots geschossen. Ich sage: “Danke.” Warum zur Hölle bedanke ich mich? Dann wieder Zelle. Einerseits bin ich guter Hoffnung, dass die Entlassung, die Erlösung nicht mehr weit ist. Andererseits Panik-Karussell: Was haben sie in der Zwischenzeit auf meinem Handy gefunden? Was ist mit dem Röhrchen? Ich glaube, ich sitze noch zwei Stunden da. Wieder das schweigende Mädchen. Langsam wird das hier alles vertraut. Dann bring mich ein Polizist ein Stockwerk höher – mal was Neues. Aussage machen! Ich hab mir seit Stunden überlegt, was ich erzählen soll. Lieber nichts, das wird einem ja immer empfohlen. Doch jetzt sitzt erstmals ein Beamter vor mir, der hervorragend Deutsch spricht. Er erklärt mir, was ich die ganze Zeit wissen wollte: Ich war nur so lange festgenommen, weil ich abends erwischt wurde, quasi nach Feierabend. Es sei aber alles nicht so dramatisch. Wenn ich mich schuldig bekenne und eine Erklärung abgebe, segnet der Staatsanwalt das mit einer Geldstrafe von umgerechnet 100 Euro ab. Und das Röhrchen? Wurscht, Inhalt nicht messbar. “Kunststoff-Fläschchen mit weißem Pulver” steht später im Protokoll. Auch bei VICE: Young Reoffenders Ich weine, vor Erleichterung. Er habe ja vollstes Verständnis. Wir seien hier doch in einem zivilisierten Land, sagt er noch. Aha. Ich erkläre, dass ich nicht süchtig bin, dass ich das Zeug auf einem Festival gefunden habe, die 100 Euro ziehen sie gleich von meinem konfiszierten Geld ab. Ich bekomme eine Quittung, ungefragt, 20 Złoty Restgeld und die Sache ist erledigt. Letztendlich musste unser Fahrer, der seinen Pass vergessen hatte, sogar mehr Strafe zahlen als ich. In meinem Geldbeutel, da, wo vorher das vergessene Röhrchen lag, finde ich jetzt mein zerschnittenes “Alles ist gut”-Band. Der Polizist bringt mich nach draußen, ohne Schubsen, ohne Handschellen. Er sagt nett “Goodbye” und dann stehe ich da. Am Grenzübergang auf der Autobahn, in Sichtweite von Deutschland und im strahlenden Sonnenschein, 13 Uhr. Ich darf nach rechts, nach links, geradeaus – und fliege nach oben. Nie war mir bewusster, was Freiheit bedeutet. Ich lache und ich weine wieder. Auf meinem Handy tausend Nachrichten meiner besorgten Freunde, die sich sofort auf den Weg machen, um mich abzuholen. Ich laufe die Autobahn Richtung Osten entlang, bis sie mich aufgabeln, meiner Freundin direkt in die Arme. Die Endorphine gehen mit mir durch, alles fällt ab. Als wir auf das Festival-Gelände abbiegen, kommt mir die Realität vor wie der unglaublichste Disney-Film. Ich fahre mitten hinein in die größte Freiheit, die man sich vorstellen kann. Nie habe ich das mehr verstanden, nie habe ich das mehr gefühlt. Als es dunkel wird, steigt der Mond blutrot über dem Horizont auf, ich sitze auf einem Floß unter Sternenhimmel. Meine Freundin sagt, dass wir jetzt alle einen Wunsch frei haben. Ich wünsche mir, dass ich dieses Bewusstsein von Freiheit und die Dankbarkeit dafür nie wieder vergessen werde. Dieses Gefühl ist intensiver als jeder Joint, den ich jemals irgendwo auf einem Festival hätte finden können. Doch bei der Rückfahrt knapp zwei Wochen später werden wir wieder an der Grenze herausgezogen, diesmal vom deutsche Zoll. Obwohl ich mein Gepäck davor mehrmals akribisch durchsucht habe, um ganz sicher zu sein, dass sich keinesfalls irgendwo ein Krümel versteckt, werde ich plötzlich hypernervös, fange bei 35 Grad an zu zittern und habe Angstschweiß auf der Stirn. Unauffälliges Verhalten sieht anders aus, was mich gleich noch nervöser macht. Als ich das Wort “Hunde” aufschnappe, befinde ich mich gefühlt schon wieder in einer Zelle und will am liebsten wegrennen. Erst jetzt wird mir klar, dass die Erfahrung von 18 Stunden Freiheitsberaubung und Ausgeliefertsein wohl doch traumatischer war, als ich mir in den traumhaften letzten 10 Tagen eingestehen wollte. So ruhig und sorglos wie noch vor drei Wochen werde ich nie wieder bleiben, wenn ich einem Polizisten gegenüberstehe. Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.
Toni Chique
[ "Drogen", "Durchsuchung", "garbicz festival", "gras", "Grenzkontrolle", "Polen", "polizei" ]
2018-08-15T11:05:00+00:00
2024-07-30T18:48:45+00:00
https://www.vice.com/de/article/wegen-gras-eine-nacht-in-polnischem-polizei-gewahrsam-auf-dem-weg-zum-garbicz-festival/
Die große Ticket-Tombola mit keinemusik, Oneida, Oneirogen und The Men
Zeit mit einem weit verbreiteten DJ-Klischee aufzuräumen. Dem der soziophoben Egomanen, die lediglich in Gesellschaft ihrer USB-Sticks oder, sofern sie noch ein bisschen Stolz im Leib haben, ihren Platten um die Welt reisen. Eine DJ-Tour kann unter Umständen ganz anderen Klischees gerecht werden, Rock’n’Roll-Klischees nämlich. Wir sind uns sicher, die keinemusik-Mannschaft, bestehend aus Adam Port, &ME, Rampa und David Mayer wird in dieser Hinsicht ihr Bestes geben, wenn sie auf ihrer „The Party is Over“die Clubs der Republik heimsucht. Sämtliche Stationen dieser Tour findet ihr unten. Wir verlosen insgesamt 3×2 Tickets. Schickt eine Mail mit dem Betreff „keinemusik“ und der Wunschstadt an , wenn ihr gewinnen wollt. 31.03. – Distillery – Leipzig06.04. – Time Warp – Mannheim12.04. – Rocker33 – Stuttgart17.04. – Watergate – Berlin19.04. – Baalsaal – Hamburg20.04. – Weidendamm – Hannover26.04. – Gewölbe – Köln27.04. – Mayday – Dortmund30.04. – Rakete – Nürnberg03.05. – Rote Sonne – München04.05. – Schmitz Katze – Freiburg05.05. – The Source Bar – MaidstoneSaved VS Keinemusik – UK08.05. – Hinterhof – Basel Oneida sind die Extremsportler unter den tourenden Bands. Oneida ist die Band, in deren Wörterbuch der Begriff ‚Curfew’ nicht verzeichnet ist. Dafür sind so Wörter wie ‚Improwahnsinn’, ‚Jamobsession’ oder ‚anythinggoes’ megafett gedruckt und groß geschrieben. Du weißt nicht, was dich bei einer ihrer Shows erwartet und genau deswegen kannst du nicht anders, als dir das anzugucken. 15 Jahre lang betreiben diese Typen aus Brooklyn ihren Irrsinn schon und anlässlich dieses Jubiläums spielen sie endlich auch wieder in Berlin. Wir präsentieren die Show am 18.03. im Comet Club und verlosen 2×2 Tickets. Schick eine Mail mit dem Betreff „Oneida“ an oder sicher dir ein Ticket im Vorverkauf. Unter oneirogen verstehen Experten der Pharmakologie die Traum erzeugende Wirkung von Substanzen. Experten der Drone- und Experimental-Metalkunst kennen den Begriff als Alias des Mario Diaz de Leon und als Versprechen für ebenfalls Traum-like Performances irgendwo zwischen Feedback-Exzess und fragilem Sounddesign. Nach seiner fulminanten Show im Rahmen des Club Transmediale-Festivals kommt Oneirogen am 21.03. wieder in die Stadt, um das West Germany mit seinen zum Greifen dichten Sound zu tapezieren. Wir verlosen für den Abend 2×2 Tickets. Mail mit „Oneirogen“ an , wenn du dein Glück versuchen willst. The Men werden zu Recht überall abgefeiert als das Multifunktionswerkzeug des subkulturellen Kreuz- und Quergebretters. Sie komplettieren das Brooklyn-Triumvirat dieser Kolumne und wir sind uns sicher, dass Kreativprozesse im The Men-Camp in etwa so ablaufen: Sie füllen ein Einweckglas mit kleinen beschrifteten Zettelchen, auf denen von PostPunk über Indierock bis Black Metal sämtliche abseitigen Variationen Gitarren-basierter Musikproduktion katalogisiert sind. Dann darf jeder mal ziehen und je nachdem, was sie in den Händen halten, schreiben sie ihr nächstes Album. Das neue und mittlerweile vierte heißt New Moon und ist gerade auf Sacred Bones erschienen. Am 22.03. bringen sie die neuen Songs auf die Bühne des Festsaal Kreuzberg und wir verlosen für diese übrigens einzige Show in Deutschland 2×2 Tickets. Schreib mit dem Betreff „The Men“ an oder besuch den Vorverkauf. ** Folgt Noisey bei Twitter und Facebook für tägliche Updates über eure Lieblingsmusiker. MEHR VON NOISEY
Noisey Staff
[ "Keinemusik", "Music", "Noisey", "Noisey Präsentiert", "Oneida", "Oneirogen", "the men", "Ticket Tombola", "verlosung" ]
2013-03-13T11:00:00+00:00
2024-07-31T04:47:03+00:00
https://www.vice.com/de/article/die-groe-ticket-tombola-mit-keinemusik-oneida-oneirogen-und-the-men/
Franzosen begehren Daunenjacken und ihre Mütter
Jeder, der schon einmal eine Daunenjacke getragen (oder auch nur gesehen) hat, weiß, wie grässlich diese Dinger sind. Sie lassen Frauen wie Puppen aussehen und verwandeln Männern von Mr. Universe in den Michelin-Mann. Sie repräsentieren nasse Wochenenden in irgendeinem Kaff, sind extrem gefährlich in der Nähe einer offenen Flamme und selbst die trendigsten Jacken sind ein Minenfeld, aber das auch nur, weil wir keine Franzosen sind. Für unsere gallischen Freunde sind Daunenjacken der Inbegriff von Stil und Raffinesse. Mit einer Jacke kann dort vieles ausgedrückt werden, wie zum Beispiel: „J’aime faire du sport“ und „Je suis chic“, während man selber gleichzeitig vollkommen gleichgültig mit den Schultern zuckt. Sie sind nicht nur bei den Glamour-Proleten beliebt, sondern auch bei Straßenkindern und vollkommen unverständlicherweise überall in der ansonsten so stilsicheren Nation vertreten. Für die Benutzer eines Forums wurde ihre sexuelle Anziehungskraft sogar extrem schwer zu handhaben. „Alle die Daunenjacken aus Nylon mögen, postet eure Fotos.“ Dieser bescheidenen Aufforderungen folgten dann auch gleich 12.000 Antworten. Natürlich kamen auch sofort Kommentare wie „Ich will mein Sperma an euren Jacken herunterlaufen sehen…“ von einem sexuell artikulierten Gentlemen namens TonyJizz. Es ist und bleibt schließlich immer noch das Internet, die Überraschung hält sich also in Grenzen. Was man jedoch nicht hätte erwarten können ist, dass darauf psychologisches Kauderwelsch folgt, dass jemand anscheinend direkt von der Wikipediaseite von Sigmund Freud gecopy-pasted hat. Natürlich während er einen Ständer hatte und an Daunenjacken dachte. Wie immer ist alles [sic]: „Ich mag Daunenjacken in grellen Farben, doch besonders mag ich die meiner Mutter, denn ich weiß, dass diese Jacke von einer Frau in der Öffentlichkeit getragen wurde und deshalb den Geruch einer Frau verströmt. Manchmal läuft sie sogar in dieser Jacke mit ihrem Freund umher! Ich weiß also, dass sie bereits im Auto ihres Freundes herumgemacht haben und manchmal wohl auch ohne die Jacke.“ „Seit ich ein Kind war, liebte ich es einen Anorak in grellen Farben zu tragen, ich trug die meiner Mutter oder die ihrer Freundinnen oder meiner Freunde und dafür gab ich vor eine Erkältung zu haben! Doch als ich erwachsen wurde stellte ich fest, dass das sehr seltsam war, also begann ich mich mit den Jacken zu verstecken, damit ich mich befriedigen konnte! Meine erste Jacke musste durch meine Hände einiges durchmachen.“ Beide von fil751 „Ich liebte es mich nackt auszuziehen und die Daunenjacke meiner Mutter zu tragen, während ich mir einen runterholte und gleichzeitig am Anorak leckte. Ich kam in die Kapuze, leckte es ab und spuckte es auf den Boden! Was für eine Sache! Und was für eine denwkwürdige Zeit, die dich da zwischen meinem elften und dreiundzwanzigstem Lebensjahr hatte. Ich hörte erst damit auf, als ich alleine in meiner eigenen Wohnung wohnte. sylvie5580 Wir sind uns nicht ganz sicher, warum Steppjacken und Inzest so eine aufreizende Kombination ergeben. Warum haben Menschen wie sylvie5580, fil75 und TonyJizz den Drang ihre Liebe zu gefütterten Leichensäcken mit ödipalen Tiraden zu verknüpfen? In der Realität geht wahrscheinlich gar nicht soviel intellektueller Scheiß ab, sondern es wichsen nur ein paar Wichser in maßgeschneiderte Schlafsäcke. Tausende gelangweilte Menschen mittleren Alter, die sich bereits durch soviel Pornographie gewühlt haben, dass das einzige, das ihnen noch neu erscheint und sie anturnt Bilder wie diese sind: oder dieses: oder dieses:
Vic Touche
[ "Mode", "Vice Blog" ]
2011-01-20T14:20:00+00:00
2024-07-31T07:24:00+00:00
https://www.vice.com/de/article/franzosen-begehren-daunenjacken-und-ihre-mutter/
Russische Ferienlager–militärische Kampfkunst und Waffentraining
Vergangenes Jahr wurde es dem Fotografen Philipp Jeske gestattet, eines der russischen Ferienlager, in denen Kinder militärische Kampfkunst, Waffentraining und Zusammenhalt beigebracht wird, zu besuchen. Für zwei Wochen lebte er mit diesen Kindern und begleitete sie auf ihrem wilden Abenteuer. Das Camp in Tomsk soll eins der harmloseren seiner Art sein. VICE: Wie bist du auf das Thema der russischen Ferienlager gekommen? Philipp Jeske: 2012 war ich mit meinem Kurs aus Hannover in Tomsk. Es gibt da so ein Austauschprogramm für Studierende. Ich traf dort jemanden, der schon Fotos für das Camp gemacht hatte, und wir freundeten uns an. Das Jahr darauf konnte er dort nicht arbeiten und sagte mir, dass ich für ihn einspringen könne. Zuerst waren die Leute vom Camp ziemlich skeptisch, weil sie wussten, dass ich aus Deutschland komme. Sprichst du Russisch? Ja, ich komme ursprünglich aus Russland, habe aber einen deutschen Pass und lebe seit 18 Jahren in Deutschland. Es war also OK für sie. Erst nachdem sie die Reaktionen auf meine Fotoserie in Deutschland mitbekommen hatten, war ich bei ihnen nicht mehr erwünscht. Ich wollte dieses Jahr wieder dorthin, aber ich bekomme von ihnen keine Rückmeldung mehr. Mein Professor, der vor Kurzem aus Russland zurückgekehrt ist, hat mir erzählt, dass sie wirklich nicht erfreut waren. Wie haben sie von den Reaktionen in Deutschland erfahren? Ich habe hier in Hannover dafür den VGH Fotopreis gewonnen und dazu gab es auch eine Ausstellung. Außerdem habe ich noch ein Podcast-Interview gegeben, das sie sich vielleicht angehört haben. Wer leitet diese Camps? Wladimirovich Wasiliev ist der Kopf hinter diesem Camp. Er ist Abgeordneter der örtlichen Duma von Tomsk und hat eine Militärlaufbahn hinter sich. Er ist Abgesandter für „patriotische Erziehung“ und Mitglied des Komitees für „Jugendangelegenheiten“. Er ist gut in Russland sehr vernetzt, und ich schätze, dass ihn auch viele Eltern der Kinder kennen. In den Camps kommen aber nicht alle aus dem Militär. Einer der anderen Leiter, den du auf einigen der Bilder tanzen sehen kannst, hat sonst ein Reenactment-Camp für das Russland des 17. Jahrhunderts. Wie lange warst du in dem Camp und in welchem Alter sind die Kinder? Um eine Urkunde zu bekommen, musst du zwei Wochen bleiben und alle Aktivitäten mitmachen. Ich blieb auch für diesen Zeitraum. Die Teilnehmer sind zwischen 7 und 16 Jahre alt. Eine andere Sache, über die sie auch verärgert waren, war die, dass ich erwähnte, dass ein Kind erst 5 Jahre alt war. Das stimmte auch, aber er war der Sohn von einem der Lehrer. Die Kinder kommen aus den unterschiedlichsten Schichten, was auch mitunter der Sinn des Camps ist. Das Ferienlager finanziert sich über Spenden und es gibt sehr reiche Familien, die viel Geld spenden, aber eben auch sehr arme, die nur symbolische Beträge abgeben können. Die Kinder gehen also dorthin, um eine Urkunde zu bekommen. Wollen sie das selber oder ist es Teil der Schulbildung oder werden sie von ihren Eltern dahin geschickt? Die Eltern schicken sie dorthin, aber wie ich das mitbekommen habe, wollen die Kinder auch selber dorthin. Viele kleine Jungs stehen auf Waffen und Militär, und viele der Kinder dort wollen später zur Armee gehen und träumen schon von einer Karriere bei einer Spezialeinheit. Und die Mädchen? Zum Training der Mädchen gehören Reiten, Malen und Nähen—es gibt also auch ein reichhaltiges Angebot, das nur auf sie zugeschnitten ist. Viele von ihnen wollen aber auch mit Pistolen schießen und haben vor, später bei einer Spezialeinheit als Scharfschützin unterzukommen. Sie waren auch ziemlich angetan von den Messern dort. Macht es allen Kindern dort Spaß? Ja. Es gibt zwar schon immer Momente, an denen es für sie hart ist. Nach ein paar Tagen wurden einige Kinder von anderen gemobbt und viele von ihnen versuchen, ihre Eltern dazu zu überreden, sie wieder abzuholen. Aber die Lehrer schritten immer ein und brachten die Kinder dazu, das Programm durchzuziehen. Es gab ein paar Fälle, in denen die Eltern ihre Kinder wieder abholten, aber das waren vor allem die Jüngeren im Alter von 7 oder 8. Kannst du etwas über die Übungen sagen, die sie dort absolvieren müssen? Es gibt viel Waffentraining: Saubermachen, Auseinandernehmen und Zusammensetzen, Schießübungen. Die Waffen sind aber nicht geladen oder einsatzbereit. Entweder verwenden sie Lasertag oder Luftgewehre. Auf dem Lehrplan stehen außerdem russische Geschichte und Religion. Ich habe versucht, diese interessante Kombination aus militärischem Training und Religion in meiner Arbeit unterzubringen. Sie lernen, wie man ein guter Soldat wird und dann, wie man russisch-orthodox lebt. Jeder gute Russe muss gläubig sein. Ist das schon eine Art Vorstufe zur einer späteren militärischen Ausbildung? In erster Linie wurde allen Teamwork beigebracht, aber es gab einige ältere Jungs, die mit 15, 16 Jahren schon extrem schnell und stark waren. Zusammenhalt und Teamgeist nehmen dort viel mehr Platz ein als das Herausstellen Einzelner. Dieses eine Mädchen mit dem Union-Jack-Pullover war wirklich scharf darauf, die ganzen Waffen auszuprobieren. Sie sagte, dass sie plant, nach der Schule zu einer Spezialeinheit zu gehen, und sie war auch fasziniert von den ganzen Messern auf dem Tisch. Diese gehörten einer Spezialeinheit der Polizei in Tomsk, die gegen organisiertes Verbrechen kämpft. Wie viele Camps dieser Art gibt es in Russland? Ich habe ein paar Reportagen gesehen, die ähnlich waren. Eine ging um ein Camp in der Gegend von Rostow am Don, wo die ganzen traditionellen Kämpfer des russischen Südwestens herkommen. Dieses Camp war allerdings keineswegs religiös. Ich hörte von einem weiteren in Novosibirsk und bin mir sicher, dass es noch mehr gibt, aber das sind alle, von denen ich gehört habe. Was sagt dieses Camp in deinen Augen über die Situation auf der Krim aus? Als ich dort fotografierte, hatte die Krise noch gar nicht begonnen. Ich war aber auch so schon von der Idee hinter den Sommercamps fasziniert und wollte sie mir unbedingt anschauen. Als Russe war ich mir schon bewusst, dass so etwas in Europa eher unüblich ist, aber die Leute verstehen, warum die Kinder dorthin wollen. Für die Eltern ist es ein harmloses Ferienlager und sie sehen gar nicht die dunkle Seite davon. Sie sind überhaupt nicht kritisch. Die Kinder spielen in der freien Natur und das ist es für die Eltern dann auch. Diese Camps gibt es auch schon lange in Russland. Wie wir aber gerade mitbekommen, kann so etwas auch schnell in die Realität umschlagen—Menschen werden Soldaten und verhalten sich aggressiv. Erst jetzt sehe ich selber den ganzen Kontext etwas besser. Außerhalb von Russland ist es schockierend und jetzt, da wir die Vorkommnisse auf der Krim erleben, erkennt man das Potenzial, das dort schlummert, und sieht, wie viel weiter sie sogar noch gehen könnten. Russland will wieder Weltmacht sein, und der Weg dorthin beginnt bei der Erziehung der Kinder. Fotos: Philipp Jeske
[ "Fotos", "Jugend", "Russland", "Vice Blog" ]
2014-05-12T08:22:00+00:00
2024-08-12T08:48:40+00:00
https://www.vice.com/de/article/ferienlager-auf-russischmilitrische-kampfkunst-waffentraining-und-aggressives-verhalten/
Wir waren beim &#8220;patriotischen Frühling&#8221; mit Strache und Le Pen in der Pyramide Vösendorf
Alle Fotos von François Weinert Ernst hat seine Leberkäsesemmel noch nicht angerührt. Immer wieder springt er von seiner Bierbank auf, klatscht und nickt zustimmend. Er habe sich für den heutigen Abend ein eigenes T-Shirt drucken lassen, erzählt er stolz. “Zehntausende IS-Terroristen können über unsere ungeschützte Grenze kommen” steht darauf. Neben ihm sitzt seine Frau Anna und blickt gelangweilt in das Fahnenmeer vor ihr. Ernst ist Wiener, Anna ist Tschechin. Sie wirkt, als wäre sie nur ihm zuliebe mitgekommen. Er wirkt, als wäre das der Abend, auf den er sehr lange gewartet hat. Vösendorf liegt im Bezirk Mödling an der Grenze zu Wien. Dort steht ein pyramidenförmiges Gebäude aus Glas und Stahl, das ein bisschen wie ein notgelandetes UFO aussieht. Im Inneren wachsen meterhohe Palmen und üppige Büsche. Die Luft ist stickig und feucht, das Licht fällt gebrochen in den Raum. Der Saal erinnert an ein Stück Regenwald, über das man eine Glaskuppel gestülpt hat. Nur die Volksmusik, Lederhosen und Käsekrainer holen einen zurück nach Österreich. Am Freitag haben die Freiheitlichen in Vösendorf den „patriotischen Frühling” veranstaltet. Die FPÖ vernetzt sich zusehend mit rechtspopulistischen Parteien in Europa. Kürzlich hat Bundesparteiobmann Heinz-Christian Strache mit der AfD-Vorsitzenden Frauke Petry ein Gipfeltreffen auf Deutschlands höchstem Berg, der Zugspitze, abgehalten. Auf Einladung von Strache und EU-Abgeordneten Harald Vilimsky sind jetzt Politiker aus England, Italien, Rumänien, Polen, Deutschland, Belgien und Tschechien nach Wien gekommen, um das einjährige Jubiläum von etwas zu feiern, das sich wie ein Widerspruch anhören mag: eine patriotische Internationale. Gemeint ist die im Juni 2015 gegründete Fraktion “Europa der Nationen und der Freiheit” (ENF). Mit 39 Mitgliedern aus neun Ländern ist die ENF derzeit die kleinste Fraktion im EU-Parlament. Den Großteil der Mandatare (20) stellt der französische Front National unter Marine Le Pen. Weitere Parteien sind die belgische Vlaams Belang, die italienische Lega Nord, die niederländische Partei für die Freiheit, die Alternative für Deutschland, die österreichische FPÖ und der polnische “Kongress der neuen Rechten”. Was sie eint, sind EU-Skepsis, Patriotismus, Nationalismus und angesichts der Biografien einzelner Akteure wie Geert Wilders oder Marcus Pretzell—der Flüchtlinge an der Grenze “notfalls mit Waffengewalt abhalten möchte”—ohne Frage auch Rechtsextremismus. “Erlaubt nicht, dass die Einwanderer euer Blut aussaugen!” Unter den Palmen funkelt ein Meer aus Rotweißrot. Es gibt kaum jemanden, der keine Flagge in der Hand hält. Als die Abgeordneten in den Saal marschieren, erklingt epische Musik, als würden Gladiatoren einen Ring betreten. Die Menge jubelt, als auf der Bühne vom “Europa der Vaterländer” und der “Völkerfamilie” die Rede ist. Auf Fragen, ob man einmal die Minderheit im eigenen Land sein möchte, antwortet die Menge mit Grölen. “Ich jedenfalls”, sagt Ilse in der ersten Reihe trotzig, “möchte nicht irgendwann Kopftuch tragen.” Auf der Bühne steht Nordrhein-Westfalen-Landesparteichef Marcus Pretzell von der AfD und fragt, ob das Publikum wisse, wie viele Türken die Scharia einführen würden, wenn sie könnten. Ilse wartet. “50 Prozent!”, donnert Pretzell los. Woher diese Zahlen kommen oder ob sie ansatzweise stimmen, ist unwichtig. Es ist der Abend, an dem man ganz offen und befreit etwas bejubeln darf, das von der “Lügenpresse” sonst tagtäglich verdreht wird. Die wenigsten hier im Raum glauben, dass es in Österreich auch nur einen Journalisten oder eine Journalistin gibt, die keine Lügen erzählen. Die meisten sind skeptisch, wenn man sie fragt, ob man sich zu ihnen setzen darf. Die Gründe sind immer dieselben. Journalisten erfinden, dramatisieren und schnüffeln. “Hör jetzt auf, mit der zu reden, die verdreht dir jeden Satz”, sagt ein Mann neben mir und blickt wieder zur Bühne, wo Strache gerade erklärt, warum Frauke Petry “seinen ganzen Respekt verdiene.” Auch Ernst, der Mann mit dem selbstgedruckten T-Shirt, ist auf Kriegsfuß mit dem etablierten Journalismus. Seit der umstrittene Zeitungsverleger Axel Springer tot ist, liest er nur noch Militärfachmagazine. Er beugt sich über den Tisch: “Weißt du, was offene Grenzen wirklich bedeuten? Islamisten könnten jederzeit radioaktives Material nach Österreich schmuggeln und damit unsere Flüsse und Seen vergiften.” Für eine Europaveranstaltungen wird hier auffallend wenig über Europa diskutiert. Was will die ENF eigentlich ändern? Le Pen hat bei einer Pressekonferenz am Vormittag Volksabstimmungen über den Verbleib in der Union gefordert. 2017 finden in Frankreich die nächsten Präsidentschaftswahlen statt und der Französin und Tochter des rechtsextremen Gründungsvaters Jean-Marie Le Pen werden laut Umfragen gute Chancen eingerechnet. Sie verspricht dem eigenen Volk mehr direkte Demokratie und Mitentscheidungsrecht. Auf der Bühne in Vösendorf einigen sich die Abgeordneten auf “so wenig gemeinsame europäische Politik wie möglich” und “eine Reform von innen”. Unten auf den Bierbänken haben aber viele genau darauf keine Lust mehr. Sie wollen ihren eigenen Brexit. Sie wollen aus der Diktatur des zentralistischen Brüssels befreit werden. Und deswegen wird nicht diskutiert, was man auf EU-Ebene besser machen könnte, sondern gewettert, was schief läuft. Solidarisch zeigt man sich mit jenen osteuropäischen Ländern die, wie Vilimsky sagt, “vorbildlich wenig Flüchtlinge” aufgenommen hätten. Strache erntet tosenden Applaus, als das Thema auf die Kürzung der Mindestsicherung für Asylwerber in Oberösterreich gelenkt wird. Der polnische Abgeordnete Michal Marusik versucht sich in bestärkenden Worten: „Erlaubt nicht, dass die Einwanderer euer Blut aussaugen.” Es ist bizarr, zu sehen, wie die FPÖ Abgeordneten aus Ost- und Südosteuropa auf die Schulter klopft. Haben sie eben diesen Ländern im vergangenen Herbst nicht vorgeworfen, Österreich, Deutschland und Schweden in der Flüchtlingskrise alleine zu lassen? Heute Abend ist das vergessen. Man zeigt sich solidarisch, wenn es um die nationalstaatlichen Egoismen geht. “Ein deutscher Patriot liebt, was Deutschland einmal war.” Der deutsche AfD-Politiker Marcus Pretzell macht inzwischen klar, dass es ein Leben nach der EU geben kann. In Norwegen und der Schweiz funktioniere das hervorragend, warum also nicht in Deutschland? Im Publikum sitzt sein Kollege Alexander Gauland und hört zu. Er ist Bundesparteichef der AfD und hat sich vor der EM mit rassistischen Äußerungen über den Nationalspieler Jérôme Boeteng unbeliebt gemacht. Pretzell ist kein Redner, der poltert und Galle spuckt wie Strache. Er steht am Pult und sieht aus wie der nette Nachbar von nebenan, der einem zum Grillen auf die Veranda einlädt. Dann sagt er Sätze wie diese: “Es hat schon mal den Versuch einer Neuordnung Europas in Wien gegeben. Ich hoffe, dass wir die Fehler unserer Vorväter nicht wiederholen.” Das ist eine Anspielung auf den Wiener Kongress, der vor über 200 Jahren nach dem Sturz Napoleons in der Hofburg abgehalten wurde. Warum Pretzell im Jahr 2016 auf eine Zeit Bezug nimmt, in der es einen russischen Zar, einen Fürst Metternich und ein Heiliges Römisches Reich gegeben hat, bleibt offen. Historischen Anspielungen wie diese lassen ein mulmiges Gefühl zurück: “Ein deutscher Patriot liebt, was Deutschland einmal war. Aber er weint um den Zustand, in dem sich sein Land befindet.” Es sind Sätze, in die jeder hinein interpretieren kann, was er möchte. Vermisst Pretzell das Deutschland, in dem Merkel noch nicht “Wir schaffen das!” gesagt hat? Oder doch das vor 70 Jahren? Mein Blick bleibt am T-Shirt einer jungen Frau hängen. Darauf prangert etwas, das dem Eisernen Kreuz sehr ähnlich sieht. Unter Hitler wurde es als nationalsozialistische Auszeichnung vergeben. “Heute ist das Tragen in der Heavy-Metal- und Biker-Szene erlaubt und weit verbreitet,” erklärt mir die Frau. Sie heißt Simone, hat tätowierte Arme, eine Kurzhaarfrisur und Piercings. Sie würde morgen gerne auf die Regenbogenparade gehen, grinst sie, aber sie muss leider arbeiten. Simone ist Sozialarbeiterin, lesbisch und bei der FPÖ. Sie sieht darin keinen Widerspruch. Auch nicht im Parteiprogramm, in dem steht, dass nur Männer und Frauen eine richtige Familie gründen könnten. “Ich bin eine Kämpferin”, sagt Simone, “aber vielleicht ist die Welt einfach noch nicht bereit für eine solche Gleichberechtigung?” Man trifft hier viele Menschen wie Simone, die auf den ersten Blick nicht in das Bild der FPÖ passen. Claudia, die früher Grün gewählt hat und sich für Umwelt- und Denkmalschutz einsetzt. Birgit, deren Schwiegertochter halb Rumänin, halb Türkin ist. Gert, dessen Vater glühender Kreisky Anhänger war. Heute sagt Gert: “Als ich noch bei der SPÖ war, habe ich mitbekommen, wie Sozialisten bei der Volksabstimmung über den EU-Betritt im Hinterhof Wahlkarten verbrannt haben.” Vielen haben Schicksalsschläge erlitten oder Angst, fallengelassen zu werden, wenn ihnen etwas passiert, wenn sie krank, beeinträchtigt, arbeitslos oder einfach nur alt werden. Es sind die, die wegen der Reden gekommen sind. Die heute etwas mit nach Hause nehmen wollen. Der Rest tanzt ausgelassen zu “Immer wieder Österreich” oder holt sich am Ende der Veranstaltung ein Selfie mit ihrem “Präsident der Herzen” Norbert Hofer. Als die Veranstaltung vorbei und ein Feuerwerk explodiert ist, frage ich mich, um welches Europa es hier eigentlich geht. Der Saal leert sich. Es riecht nach Schwefel. Soviel steht fest: Es ist kein Europa der Reformen, sondern eines der Ablehnung. Man möchte zurück zum eigenständigen Nationalstaat und lose mit anderen kooperieren und Handel betreiben. Am Ende bleibt eine Frage, die als Paradoxon über dieser Veranstaltung schwebt, wie die Rauchschwaden nach dem Feuerwerk. Ist es nicht paradox von einem “Europa der Vielfalt” zu sprechen, wenn darin gleichzeitig Pluralismus und Multikulturalismus keinen Platz zu haben scheinen? Franziska auf Twitter: @franziska_tsch Mehr Fotos von François Weinert findet ihr hier
Franziska Tschinderle
[ "FPÖ", "Front National", "Heinz-Christian Strache", "Marine Le Pen", "Österreich", "Rechtsextremismus", "Stuff", "Vice Blog", "wien" ]
2016-06-18T13:55:00+00:00
2024-07-30T22:30:47+00:00
https://www.vice.com/de/article/pyramide-voesendorf-patriotische-internationale/
Der Aufstieg der Virtuellen Realität könnte die Kunst der Pantomime für immer verändern
In einer Welt selbstfahrender Autos, tierfreien Fleischs, Robotern, die wie Scarlett Johansson aussehen und Stühlen, die sich selbst aufbauen, sollte man annehmen, dass auch die Kunst der Pantomime irgendwann mit der Zeit geht. Die Art Directors und Designer Pablo Rochat und Fabio Benedetto haben sich der Aufgabe angenommen, die verstaubte Welt der Pantomimen ins 21. Jahrhundert zu befördern. Vor kurzem haben die beiden das neueste Projekt ihrer VR-basierten Mime Academy vorgestellt. Nun braucht es keine besondere Fantasie mehr; endlich hat man das Gefühl, als würde man tatsächlich an einem Seil ziehen oder die Hände gegen echte Wände drücken, während man in Fußgängerzonen Menschen behelligt und kleine Kinder erschreckt. Auf der offiziellen Webseite wird man über die vier notwendigen Schritte informiert, die man vornehmen muss, um zum perfekten Modell des modernen Pantomimen zu werden: 1. Besorg’ dir die Mime Academy Beta Version für Oculus 2. Hol’ dir das VR-Headset Oculus Rift 3. Hol’ dir die Leap Motion für VR 4. Kauf’ dir ein Pantomime-Kostüm „VR ist auf der Überholspur, und doch hat bisher niemand die witzigen Handbewegungen, die die Menschen machen, wenn sie ein VR-Headset aufhaben, genutzt“, erzählte Rochat The Creators Project. „Wir machen von diesen Armen Gebrauch und zeigen, wie man dadurch zum Pantomime-Darsteller wird!“ Zusammen mit Benedetto hat Rochat im vergangenen Jahr unter anderem ein Projekt durchgeführt, in dem sie sich mit einer eigenen Version der bekannten Apple-Fotos-Werbung über ebendiese lustig machten, außerdem organisierten sie das erste jährliche Netflix and Chill Festival an der University of Philadelphia. Und jetzt sind sie bereit, die überholte Welt der Pantomime mit modernster Technik zu erobern. Wenn wir es bisher also noch nicht geschafft haben, euch durch unsere Berichte über die Live-Übertragung von OPs per VR oder über 360°-Einblicke in das vom Krieg zerstörte Aleppo von der Macht und dem Einfluss dieses neuen Mediums zu überzeugen, könnt ihr spätestens jetzt eure Skepsis über Bord werfen—die Zukunft wird nämlich supercool.   Mehr über Pablo Rochats und Fabio Benedettos Arbeiten könnt ihr auf ihren Webseiten erfahren. 
Beckett Mufson
[ "Creators", "Fabio Benedetto", "mime academy", "Pablo Rochat", "virtual reality", "virtuelle-Realität", "vr" ]
2016-04-15T14:36:00+00:00
2024-07-30T23:03:52+00:00
https://www.vice.com/de/article/knnte-die-welt-der-pantomimen-durch-virtuelle-realitt-wieder-auferstehen/
Eine Tiefenanalyse des Lunch-Dates von Veronica Ferres, Carsten Maschmeyer und den Kaulitz-Zwillingen
Als die Kaulitz-Brüder sich mit Tokio Hotel vor 13 Jahren erstmals auf die Tapeten deutscher Teenie-Zimmer musizierten, bereiteten Veronica Ferres und Carsten Maschmeyer – damals noch kein Paar – vermutlich gerade ihre nächsten Karriere-Moves vor. Während die damals 40-jährige Schauspielerin Ende 2005 ihren zweiten Bambi entgegennehmen durfte, hatte der Unternehmer Maschmeyer den gerade arbeitslos gewordenen Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder zum Finanz-Plausch in seine marmorierte Riesenvilla eingeladen. Der Ex-Kanzler hat heute in Putin den noch einflussreicheren Buddy gefunden. Doch der heute 58-jährige Maschmeyer lässt sich davon nicht beirren und setzt sich gemeinsam mit seiner Ehefrau Ferres zum nächsten ungewöhnlichen Date an einen Tisch – mit Bill und Tom Kaulitz. Würde man einer Person, die noch nie beim Friseur in der Bunten geblättert hat, die neuesten Bilder von Veronica Ferres’ Instagram-Account zeigen, sähe der erste Eindruck womöglich so aus: Erfolgreiches weißes Paar empfängt seine etwas verlebten Söhne in den Semesterferien zum Sonntagsessen. Doch auch bei den etablierten Vox-Zuschauern und Tokio-Hotel-Fans wirft die merkwürdige Konstellation (Zitat Ferres: “lovely Lunch-Date”) Fragen auf: Benutzt Maschmeyer die 28-jährigen Zwillinge, um sein bei der jungen Zielgruppe gescheitertes Start-up-Format attraktiver zu machen? Wie zum Teufel unterscheidet man eineiige Zwillinge? Und wo ist eigentlich Heidi Klum? Wir haben das Lunch-Date höchstwissenschaftlich analysiert. A post shared by Veronica Ferres (@veronicaferres) Nicht nur passionierte Tinder-Swiper wissen: Es gibt gute Dates – und es gibt solche, bei denen man plötzlich einen “sehr wichtigen” Notfall-Anruf der besten Freundin bekommt. Schaut man sich die Gesichtsausdrücke der vier Lunch-Date-Teilnehmer Maschmeyer, Ferres und Brüder Kaulitz an, wird klar: Alle elf Minuten findet sich ein Single in einer gestelzten Date-Situation wieder – und mindestens ein Viertel unserer Bild-Protagonisten findet halbherzige Hand-auf-Schulter-Umarmungen eher semigeil. Während Tom die Schwiegervater-Pose von Maschmeyer scheinbar tapfer über sich ergehen lässt (treue Fans wollen das breite Lachen als Fake entlarvt haben), lässt Bills Mimik erahnen, dass ihn Ferres’ Annäherungsversuch mit latentem Unbehagen erfüllen. Vielleicht ist das aber auch nur sein Insta-Face. So oder so: Die Eheleute Maschmeyer-Ferres lassen sich dadurch nicht stören. Lässig breiten sie ihre unnatürlich lang wirkenden, von kuriosen Gründer-Erfindungen und Schauspiel-Awards trainierten Arme über den Kaulitz-Twins aus und demonstrieren den besorgten Instagram-Usern ein Grinsen, das sich irgendwo zwischen elterlicher Zuneigung und Euphorie über die “coolen” neuen Freunde einordnen lässt. Auch bei VICE: Lasagne zum Flachlegen Wer in kürzester Zeit besonders viel über einen fremden Menschen herausfinden will, kann sich in mühsamen Recherchen durch dessen Facebook-Likes scrollen – oder führt ihn zum Essen aus. Ein Blick auf die Teller unserer vier Lunch-Lovelys zerlegt gleich zwei weit verbreitete Irrtümer über den westlichen Teil der Menschheit. Erstens: Es gibt tatsächlich Erwachsene, die ihre Nahrung konsequent mit einem Löffel zu sich nehmen. Zweitens: Nudeln sind – OMG – nicht jedermanns Lieblingsessen. Bill und Tom mögen sich die Kohlenhydrate vielleicht mit einem silbernen Löffel in den Mund geschaufelt haben, das anwesende Ehepaar teilte die Pasta-Wertschätzung aber offensichtlich nicht. Während auf Maschmeyers Teller lediglich ein trauriger Mitleids-Saucenfleck prangt, ist der von Ferres so weiß, als hätte sie ihn nach dem Essen saubergeleckt – eher unwahrscheinlich. A post shared by Veronica Ferres (@veronicaferres) Leider geht aus Veronica Ferres’ Instagram-Posts nicht hervor, wer für das Pasta-Lunch-Date den Induktionsherd angeworfen hat. Allerdings lässt die fehlende Größe des Balkons darauf schließen, dass es sich dabei wohl eher nicht um das Gäste-Sonnendeck einer mehrstöckigen Villa handelt. Genau wie der zum liebevollen Teilen mittig platzierte Nudel-Servierteller sagt auch die recht unscheinbare Brüstung eher Magdeburg als Münchner Villenviertel. Im vergangenen Jahr zog Maschmeyer zu Ferres und ihrer Tochter nach München, die Schauspielerin besitzt zudem eine Villa in Los Angeles. Auch Tom und Bill Kaulitz hatten das deutsche Provinzleben 2014 gegen das wetter- und balkontechnisch zweifellos attraktivere Los Angeles eingetauscht. Doch auch wenn sich der Gastgeber bislang in Anonymität wägt, wirft der mit Teakholz-Möbeln und berühmten Menschen zugestellte Balkon eine ganz andere, viel wichtigere Frage auf: Wie schlug sich die ohnehin etwas awkward aussehende Gruppe eigentlich, wenn Tom und Bill jedes Mal mühsam von der ungepolsterten Sitzbank rutschen mussten, damit Ferres und Maschmeyer ihre Toilettengänge erledigen konnten? Glaubt man den emoji-verhangenen Instagram-Captions von Veronica Ferres und den Smiley-Faces von immerhin zwei Dritteln der männlichen Teilnehmer, stehen die Chancen für eine Lunch-Date-Reunion gar nicht mal so schlecht. Und auch der neueste Instagram-Post von Bill Kaulitz lässt hoffen: Dort kommentiert er ein oberkörperfreies Analog-Selfie mit “disposable”, zu Deutsch “verfügbar” oder “wegwerfbar”. Vielleicht will er damit sagen, dass er für ein erneutes Nudel-Date offen sei. Vielleicht passt die Caption aber auch nur gut zur geheimnisvollen Melancholie des Selbstporträts – und vielleicht findet schon sehr bald ein Boulevard-Journalist heraus, was das alles nun wirklich für den Freundschaftsstatus der Gruppe zu bedeuten hat. Bild-Investigativ-Team, wir bauen auf euch. A post shared by Bill Kaulitz (@billkaulitz) Folge Rebecca auf Twitter und VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.
Rebecca Baden
[ "Analyse", "Date", "Instagram", "Promis", "tokio hotel" ]
2018-04-12T13:22:21+00:00
2024-07-30T18:30:48+00:00
https://www.vice.com/de/article/eine-tiefenanalyse-des-lunch-dates-von-veronica-ferres-carsten-maschmeyer-und-den-kaulitz-zwillingen/
&#8220;Warum liegt hier Stroh?&#8221;: Die Geschichte des Maskenmanns aus dem legendären Porno-Clip
Es ist der berühmteste Porno-Clip Deutschlands: Ein weiß gefliester Raum, eine brünette Frau im Nachthemd, ein breit gebauter Mann mit Maske, Stroh. Die Frage, die der Maskenmann stellt: “Warum liegt hier überhaupt Stroh?”, es folgt: Sex. Der Sex ist Nebensache, doch der Satz schreibt Geschichte. Die dadaistische Sex-Szene ist eines der bekanntesten deutschen Memes. “Und warum liegt hier überhaupt Stroh?”, ist der Satz, den Menschen sagen, wenn sie sich in absurden Situationen ohne mögliche Erklärung wiederfinden. Dabei fehlt bis heute vor allem eine Erklärung: Wer ist überhaupt der Mann, der den legendären Satz sagte? Auf der Suche nach dem Mann hinter der Maske landen wir in den Hinterzimmern von Berliner Erotikshops und bei YouTubern, die die Porno-Szene begleiten. Dabei wird klar: Den Fame für die legendäre Porno-Szene wollte der Maskenmann nie haben. Er ist eine Zufallsentdeckung, ein Mann aus der Swinger-Szene, der Hunderttausende Menschen im Netz unfreiwillig begeistert hat. “23,6 Zentimeter!”, an die Penislänge kann sich Klaus Goldberg genau erinnern als wir ihn nach dem Mann mit der Maske fragen. Goldberg steht wie kaum ein anderer Mensch für den deutschen Pornofilm. Über 30 Jahre lang war der jetzt 61-Jährige als Produzent aktiv. In den 90ern erklärte er als Dauergast in Sendungen wie “Wa(h)re Liebe” den Deutschen die Swingerszene. Er erfand auch die Porno-Meme-Figur “Sachsen-Paule” und produzierte Hunderte Filme. Heute leitet er einen Erotik-Shop in Berlin, in dem wir ihn treffen. “Ich war mit meiner damaligen Frau im Kit Kat Club”, erzählt Goldberg über die Zeit um die Jahrtausendwende. “‘Klaus, schau dir diesen Riesenschwanz an’, sagte sie zu mir.” Es ist ein schicksalhafter Moment, denn der imposante Penis gehört zu dem Mann, der nur kurze Zeit später Internetgeschichte schreiben sollte. Der Produzent und der Swinger kommen ins Gespräch. Goldberg sucht nach Schauspielern für eine Swinger-Filmreihe. Amateure, gewöhnliche Menschen, sollen in seine Studios kommen. Doch er merkt: Der Mann ist kein Amateur, er ist Profi. Er hat in zahlreichen Gangbang-Filmen einer Berliner Produktionsfirma mitgemacht. Das Porno-Geschäft ist hart, viele Männer machen schlapp, wenn Kameras laufen und Studiolicht brennt – oder können einfach nicht lange genug. Für den Mann im Club ist das alles kein Problem. Er ist ein Naturtalent, ein Einhorn der Berliner Nacht. Nicht nur Goldbergs damalige Frau ist beeindruckt, auch Goldberg will ihn haben. Doch der Mann hat eine Bedingung: Er macht’s nur mit. Genau wie in den Gangbang-Videos holt er beim Dreh mit Goldberg die Maske nicht runter vom Kopf. Er hätte einen bürgerlichen Beruf, sagt er. Welcher das ist, das will uns Goldberg nicht sagen. Er ist schließlich diskret. Goldberg und der Maskenmann kommen zusammen. Es ist inzwischen 2002 und die beiden Männer machen einen Termin aus für einen Dreh in Brandenburg. Der Film, der hier entsteht, ist nicht irgendein Sexstreifen, sondern einer der erfolgreichsten Porno-Filme der deutschen Geschichte: “Die megageile Küken-Farm”. Der Plot ist selbst für Porno-Standards bizarr: Ein verrückter Professor züchtet in seinem Brandenburger Labor eine neue Art Küken. Sie haben keine Federn und sie sehen aus wie nackte Pornodarstellerinnen. “Und die vögelt er dann!”, sagt Goldberg. Er hat das Drehbuch geschrieben. “Immer nachts habe ich geschrieben, bei einem Glas Rotwein.” Goldbergs “Dr. Professor Hirsel” schläft nicht nur selbst mit den Küken, er verkauft sie auch an andere Männer. Irgendwann kommt ihm eine “Veterinärmedizinerin von der FU” auf die Spur. Die Frau mit der schmalen Brille hätte gehört, er würde “Genmanipulation” betreiben. Doch der Professor entkommt dem großen Wissenschaftsskandal. Die Medizinerin verspricht Stillschweigen, wenn sie sich mit seinem “großen Hahn”, einem breit gebauten Engländer, vergnügen darf. “Die Idee dazu hatte ich, nachdem ich das Set gesehen habe: Eine Fischfarm in Brandenburg”, sagt Goldberg. Damit Zuschauern aber nicht sofort klar wird, dass am Filmset in Wirklichkeit Fische und nicht Hühner gezüchtet werden, müssen die Becken irgendwie maskiert werden. Und Brandenburg wäre nicht Brandenburg, wenn da nicht irgendwo Stroh liegen würde. So kam das Stroh aufs Set und Goldberg auf die zündende Idee. “Über jedes Mädchen gießen wir eine Flasche mit Gel aus, das auch für künstliches Sperma benutzt wird und wickeln sie dann in Frischhaltefolie – und dann schlüpfen sie sozusagen aus dem Heu. Mit ganz viel Glibber.” Sechs Schauspielerinnen kommen in den Genuss dieser technischen Kreativleistung. Der Regisseur, der diese Vision für die Produktionsfirma “Magma Film” festhalten soll, ist Nils Molitor, ein erfahrener Porno-Filmer und der Sohn des Magma-Film-Chefs, Walter Molitor. Doch der Maskenmann darf nicht auf die Küken-Farm, so “megageil” sie auch sein mag. Denn er trägt eine Maske. Und das würde Fragen aufwerfen, die weder Dr. Professor Hirsel noch die Veterinärmedizinerin beantworten könnten. Doch Goldberg hat Glück. “Wir waren besser ausgestattet als RTL!”, erzählt er heute. Bei den Drehs der verantwortlichen Produktionsfirma Magma kam nicht nur ein ganzes Team von Profis ans Set, sondern auch zwei Kameras zum Einsatz und nicht jeder Darsteller war voll ausgelastet. Während die eine Kamera also eine bizarre Geschichte irgendwo zwischen Alien und Westworld einfing, konnte das Team um Klaus Goldberg weitere Szenen auf der Fischfarm drehen. Laut Goldberg waren diese Zusatzszenen damals in der Porno-Branche Normalität, um die Zeit, die Darsteller und die Technik am Set effizient zu nutzen. “Für Nils musste immer alles einen Sinn ergeben, wenn er was dreht.” So entstand “Achtzehneinhalb 18”, eine Sammlung aus unzusammenhängenden Sex-Szenen. Für die Clips brauchte es keine Drehbücher, über denen Goldberg grübeln musste. Hier konnte der Maskenmann auch mit Maske erscheinen. Hinter der Kamera steht allerdings nicht Regisseur Nils Molitor, sondern Freddy Dalton. “Hätte Nils die Szene mit der Maske gedreht, wäre das wohl eine Einbrecherszene geworden. Spannend und schummriges Licht”, schreibt uns der Kameramann via Facebook. “Für Nils musste immer alles einen Sinn ergeben, wenn er was dreht.” Heute erzählt Dalton auf seinem YouTube-Kanal “Deep Inside TV” von der alten Zeit und interviewt Menschen aus der deutschen Pornobranche. In einem Video mit dem Titel “Warum liegt hier Stroh? Die Wahrheit !!!!!” spricht er auch über den legendären Porno-Clip. Er sei für die Nebenszenen verantwortlich gewesen, während Molitor den Hauptfilm gemacht hat. Er musste auch auf der Fischfarm drehen, allerdings so weit wie möglich entfernt vom Haupt-Set. Also landet Freddy Dalton zusammen mit dem Mann, den Goldberg in einem Berliner Club entdeckte, irgendwo beim Stromkasten. “Du hast diesen weiß gefliesten Raum, du hast den Strohhaufen, und einen Stromkasten, und einen Typen mit Maske und eine hübsche Frau in Dessous. Und jetzt kommst du? Welche Story fällt dir da ein!?”, fragt Dalton im Video einen Freund. Für ihn ist das, was später Internetgeschichte schreiben sollte, alternativlos. Alles andere außer “Warum liegt hier überhaupt Stroh?”, und “warum hast du eine Maske auf?” taugt nicht als Dialog. Sie drehen die Szene. Ob vielleicht Freddy Dalton den Mann ohne Maske gesehen hätte? Ja. Hat er. “Ohne Maske eher schüchtern. Mit kam da schon ein bisschen mehr. Da war die Schamgrenze weg und er fühlte sich unbeobachtet”, so Dalton im Facebook-Chat mit Motherboard. Doch an ein Gesicht kann oder will er sich nicht erinnern. “Das ist über 16 Jahre her und so wichtig war er in diesem Moment nicht für mich. Darum kann ich mich nicht mehr so viel daran erinnern.” Für Dalton hat die Identität des Darstellers keine Rolle gespielt. Für Goldberg umso mehr. Er hat versprochen, dass er keine Infos über ihn rausgibt. Und daran hält sich der legendäre Porno-Produzent bis heute. Denn der Mann hinter der Maske möchte seinen Namen auf keinen Fall in der Zeitung lesen. Er würde den Maskenmann noch ab und zu in Berliner Swinger-Clubs sehen (ohne Maske). “Er macht sein Ding”, sagt Klaus Goldberg über den Mann, der mit einem einzigen Satz Internetgeschichte schrieb. Kennt ihr Geschichten zu Memes und den Menschen, die dahinter stecken? Kontaktiert hier den Autor dieser Story Und zu diesem Ding gehört es eben, für immer ein Phantom der Berliner Nacht bleiben zu wollen. Das erzählt uns Klaus Goldberg. Jeder Versuch von uns, einen Kontakt herzustellen, wird von ihm abgeblockt. “Die Geschichte klebt mir wie Scheiße an den Hacken”, zitiert Goldberg den Maskenmann in einer Textnachricht. Als der Maskenmann den weiß gefliesten Raum betrat, konnte niemand ahnen, welche Folgen der Dreh haben würde. Auch an den Karrieren der Macher klebt die Geschichte. Für Regisseur Nils Molitor sollte der Clip den Rest seiner Karriere überschatten. Er sei eigentlich bekannt für andere Filme, Filme mit Handlung und echten Stars der Szene, erzählte Molitor. Doch er wird vor allem mit einem dadaistischen Sex-Clip in Verbindung gebracht. Für Kameramann Freddy Dalton hingegen steht der Clip für etwas anderes: Für einen geschätzten Kollegen, der seine eigene Kreativ-Leistung für sich beansprucht. Für Klaus Goldberg ist der Grund dafür klar: “Neid.” Molitor wäre neidisch geworden auf den Erfolg von Goldberg, der als großer Porno-Produzent im Fernsehen sitzen durfte. Molitor hingegen erfuhr diesen Ruhm nicht. Laut Goldberg sei das verständlich. Molitor sei eben vor allem ein technisch versierter Filmemacher, aber nicht das kreative Genie, als das er sich gerne selbst darstellt. Goldberg hätte nie nötig gehabt, Molitors Behauptungen richtigzustellen, doch die einstige Freundschaft der beiden Porno-Männer habe einen Knacks bekommen, der bis heute andauert. Freddy Dalton sieht die Sache etwas anders. Er versteht nicht, warum Nils Molitor den Ruhm für die Stroh-Szene beansprucht, schätzt ihn aber trotzdem: “Für mich war er ein Künstler!”, schreibt Dalton im Facebook-Chat. “Alles, was ich gelernt habe über Kamera und Licht, habe ich von Nils! Aber pornografisch war da sicherlich noch Luft nach oben. Das war immer unser Streitpunkt. Kamera super, Licht Weltklasse, aber der Sex war langweilig.” Trotz der Aussagen seiner ehemaligen Kollegen bleibt Nils Molitor bei seiner Version der Geschichte: “Wer die Kamera gehalten hat, weiß ich nicht mehr. Sicher ist nur, dass ich gesagt habe, was wir drehen. Das war immer so. Die ‘Regie’ kam von mir.”, schreibt er in einer E-Mail an Motherboard. Er könne sich nicht erklären, warum Dalton und Goldberg etwas anderes sagen. Bei Motherboard: Geheimnisse einer Sex-Autorin Seine Version der Geschichte erzählte Molitor Motherboard schon vor einigen Monaten im Interview. Er hätte sich auf einen Darsteller mit einem angeblich legendären Penis gefreut, erinnerte sich der Regisseur an die Szene. Doch dann sei der Darsteller überraschend mit Maske aufgetaucht. “Dann machen wir eben richtig Trash“, habe er in dieser Situation gesagt, sagte er Motherboard im Oktober 2017: “Du kommst jetzt rein und sagst ‘warum liegt denn hier Stroh?’”. Die ganze Wahrheit darüber, wer hinter den Kulissen welchen Anteil an dem legendären Stroh-Clip hatte, werden wir wohl nie erfahren. Genauso wie eine persönliche Antwort auf die wohl legendärste Frage der deutschen Meme-Geschichte: “Warum trägst du eine Maske?” Folgt Dennis auf Twitter
Dennis Kogel
[ "Meme History", "Porno" ]
Tech
2018-07-03T10:53:51+00:00
2024-07-30T18:42:41+00:00
https://www.vice.com/de/article/mbk8zn/warum-trug-der-mann-eine-maske-warum-liegt-hier-stroh
Ein Hoch auf Blumenkohl!
Koch Lee Westcott hat mit Unterstützung von Gastro-Mogul Jason Atherton vor Kurzem im Londoner Town Hall Hotel sein großartiges Restaurant Typing Room eröffnet. Ausgebucht für die nächsten drei Monate und mit einer Reihe von großartigen Kritiken im Rücken, gilt Westcott dank seiner raffinierten und oft auch überraschenden Küche als kulinarischer Pionier. So schrieb auch schon die berüchtigte Gastro-Kritkerin Fay Maschler, seine Gerichte haben „einen Ton von kulinarischer Munterkeit, Lebendigkeit und Angriffsfreude.” Wir haben uns mit Westcott, der zuvor schon im Per Se, noma und Tom Aitkens Restaurant gearbeitet hat, am Ende eines besonders stressigen Tages getroffen (das Gas im Gebäude hatte gestreikt, weswegen das Sieben-Gänge-Degustationsmenü in der Fertigungsküche serviert werden musste) und mit ihm über eine seiner größten Leidenschaften gesprochen—Gemüse. Und zwar über den guten alten Blumenkohl. Blumenkohl in Hefeteig, Rosinen, Kapern und Minze. Foto: Eleanor Morgan. „Die Leute sind oft überrascht, wenn wir ihnen unser Blumenkohl-Gericht servieren, da sie auf ihrem Teller nicht viel mehr erblicken als eben Blumenkohl. Der große Genuss, den ihnen dieses Gericht dann meistens beschert, kommt in vielen Fällen sehr unerwartet, und manchmal bedarf es auch ein wenig Erklärungsarbeit, bis sie sich mit Gusto auf das Gericht einlassen. Keiner würde denken, dass du so viel Geschmack aus Kohl gewinnen kannst. Wir servieren den Blumenkohl auf ganz unterschiedliche Weise und mithilfe verschiedener Techniken, um eine breite Texturpalette anbieten zu können. Die Knallerkomponente ist aber auf jeden Fall unser Püree in Hefeteig. Wir kochen die Röschen in schaumig geschlagener brauner Butter und geben frische Backhefe zu. Die Hefe wird dann deaktiviert und zurück bleibt ein süßes, malziges und nussiges Aroma. Es schmeckt wirklich vorzüglich. Ich bin ein großer Fan von malzigem Geschmack. Danach geben wir unsere eingelegten Rosinen zu, um den reichen Geschmack des Blumenkohls zu kontrastieren (ja, auch Blumenkohl, wenn richtig zubereitet, kann ein überraschend reiches Aroma haben). Dann noch ein paar Kapern für eine bittere Note, und zu guter Letzt noch ein bisschen Minze. Es gibt keinen speziellen Grund dafür, warum ich den Blumenkohl so auseinandergenommen habe—schließlich benutzen wir jedes noch so kleine Stück von Blumenkohl für unsere Gerichte, auch seine Blätter. Ich liebe Blumenkohl einfach. Als ich vor ein paar Jahren noch im Tom Aitkens als Küchenchef arbeitete, haben wir über den Sommer das Restaurant wegen Umbauarbeiten schließen müssen, weswegen ich für kurze Zeit im noma anheuerte. Zu der Zeit stand ein köstliches Gericht, nämlich Blumenkohl mit Pinienkernen, auf der Speisekarte—ein großes Stück Blumenkohl wurde in viel Butter gebraten und mit Pinienkernen und Molke serviert. Es hat sensationell geschmeckt. Ich finde, es gehört schon Mut dazu, ein Gericht anzubieten, bei dem auf dem Teller fast nichts als Blumenkohl liegt, und den du so—mit Erfolg!—zum kulinarischen Star des Abends machst. Gemüse ist echt wichtig für mich. Wie so viele andere Köche—schaut euch nur Restaurants wie The Clove Club oder Lyle’s an, um zu sehen, wie köstlich rein vegetarische Gerichte schmecken können—begeistert auch mich das Potential von Gemüse. Vor nur zehn Jahren drehte sich bei Köchen alles um Fleisch, während Gemüse nur eine Nebenrolle zukam. Klar wurde ihm auch Beachtung geschenkt, doch neben Rindfleisch spielte es eben nur die zweite Geige. Das hat sich mittlerweile grundlegend geändert. Wenn du dir heute als begabter—und vor allem phantasievoller—Koch einen Namen machen willst, muss es zu deinen Zielen gehören, Gemüse zu einer köstlichen und wunderbaren Entität zu erhöhen, und mit ihm Sachen anzustellen, die deine Gäste von den Socken hauen. Neben dem Blumenkohl-Gericht favorisiere ich das Kohlrabi-Erbsen-Gericht, das aktuell auf unserer Speisekarte steht. Wir backen den Kohlrabi in Salz, grillen ihn dann auf Holzkohle und servieren ihn mit süßen Erbsen, Erbsen-Eis, Kohlrüben-Wasser sowie Krabben. Die Krabben sind eine neue Zutat—ich hätte es auch nur bei dem Gemüse belassen, doch ich war gleichzeitig der Meinung, dass dem Gericht ein gewisses Etwas gut tun könnte, um die feinen Aromen besonders gut in Szene zu setzen—aber vor allem die Entscheidung für Kohlrabi—den viele Leute beim Kochen nicht berücksichtigen würden—hat sich für mich persönlich ausgezahlt. Denn daraus ein Gericht zu zaubern, über das die Leute reden, ist für mich eine unglaubliche Genugtuung. Vielleicht machen sich unsere Gäste jetzt mehr Gedanken darüber, was sie selbst alles aus Gemüse rausholen können. Kohlrabi, Erbsen und Krabbe. Foto: Eleanor Morgan. Ein weiteres, äußerst erfolgreiches Gemüseelement auf unserer Speisekarte ist das geräucherte Auberginenpüree, das wir zu Lamm servieren. Ich räuchere echt gerne Sachen—es setzt die besten Aromen frei. Wir werfen die Auberginen im Ganzen auf unseren Indoor-Grill und räuchern sie, bis sie pechschwarz werden und wie Kohlen glühen—dann pürieren wir das Ganze, bis wir eine butterweiche Masse haben, die so aussieht, als hätten wir Tinte hinzugegeben. Die Einstellung, Gemüse dieselbe kulinarische Bedeutung wie Fleisch beizumessen, ist vielen Jungköchen, denen ich begegnet bin, noch recht fremd. Stattdessen träumen sie davon, ein edles Stück Fleisch perfekt zubereiten zu können—was immer noch das erste Gütezeichen eines talentierten Kochs ist. Aber auch sie werden schon bald verstehen, wie aufregend auch das kulinarische Schaffen mit Gemüse sein kann.” aufgezeichnet von Eleanor Morgan Oberstes Foto: Liz West | Flickr | CC BY 2.0
Lee Westcott
[ "Blumenkohl", "Essen", "Food", "gemüse", "Hefeteig", "Kapern", "London", "Minze", "Munchies", "NOMA", "Pinienkerne", "Rosinen" ]
Food
2014-08-14T15:29:09+00:00
2024-07-31T04:34:15+00:00
https://www.vice.com/de/article/ein-hoch-auf-blumenkohl/
Wie die &#8216;Bild&#8217;-Zeitung einen &#8220;Sex-Mob&#8221; erfand
“Sex-Mob tobte in der Freßgass”, berichtete die Bild-Zeitung am 6. Februar über den Silvesterabend in Frankfurt. Und auch: “37 Tage nach Silvester brechen Opfer ihr Schweigen”. Der Frankfurter Wirt Jan M. erzählte der Bild von “Massen von Flüchtlingen”, die in seinem Lokal “First In” randaliert haben, sie hätten Frauen angegrabscht und seinen Gästen die Getränke weggetrunken. “Sie fassten mir unter den Rock, zwischen die Beine, an meine Brüste, überall hin”, wird die 27-jährige Mitarbeiterin des Wirts, “Irina A.”, zitiert. Fünf Wochen nach Silvester bekamen die Rechten nach den Vorfällen des vergangenen Jahres wieder einen “Sex-Mob”, der alle Vorurteile bestätigte – durch einen Bild-Artikel über “900 größtenteils betrunkene Flüchtlinge”, die extra mit dem Zug aus Mittelhessen nach Frankfurt angereist seien. Ein zweites Köln, das “die Medien” aber bisher verschwiegen hatten. Die Frankfurter AfD griff den Bericht sofort auf, prangerte in einer Pressemitteilung das Sicherheitskonzept der Stadt an, sprach von einem “Mob von aggressiven Arabern” und schob es natürlich auf die offenen Grenzen. Schon einen Tag später meldete die FAZ erste Zweifel an dem Bericht an – und auch der Polizei schienen die Vorfälle völlig neu zu sein. An diesem Dienstag, dem 14. Februar, veröffentlichte die Frankfurter Polizei das Ergebnis ihrer Ermittlungen: Die Vorwürfe seien “haltlos und entbehren jeder Grundlage” – noch immer liege keine einzige Anzeige vor, auch Vernehmungen von vermeintlichen Zeugen “ergaben erhebliche Zweifel”. Einsatzprotokolle und Notrufe wurden überprüft, ohne Hinweise auf die angeblichen Straftaten zu geben. Sprich: Den “Sex-Mob” in der Freßgass hat es nie gegeben. Der Bericht der Bild verbreitete sich schnell im Netz: Die Junge Freiheit griff die Schlagzeile ebenso auf wie Breitbart UK und weitere Medien in Großbritannien und Deutschland. Dutzende Bürgerinitiativen und AfD-Fraktionen teilten den Bild-Artikel bei Facebook und Twitter. Die Bild hat Fake News erschaffen. Die Bild verließ sich offenbar ohne weitere Überprüfung auf die Aussagen des Wirtes und seiner zwei Angestellten. Sein Facebook-Profil, das mittlerweile nicht mehr zu finden ist, offenbarte der FAZ in einer Recherche die AfD-Sympathien des First-In-Chefs. Auch ein kurzes Anklopfen bei den benachbarten Lokalen in der “Freßgass”, der Ausgeh-Meile Frankfurts hätte geholfen, denn kein anderer Inhaber konnte die Szenen bezeugen. Die Polizei fand jetzt heraus, dass eine der angeblich begrapschten Mitarbeiterinnen an Silvester überhaupt nicht in Frankfurt war. Am Montag fing die Bild an, zurückzurudern. “Hat er alle belogen?”, fragt die Bild unter dem Porträt des 49-jährigen Gastronoms. Die Polizei ermittelt gegen M. nun wegen Vortäuschens einer Straftat. Als die Polizei am Dienstag die Pressemitteilung veröffentlichte, entschuldigte sich die Bild einige Stunden später. Es habe die “mobartigen Übergriffe” niemals gegeben. “Diese Berichterstattung entspricht in keiner Weise den journalistischen Standards von Bild“, heißt es. Der ursprüngliche Artikel wurde von der Webseite gelöscht. Ein Anruf beim First In führt ins Nichts: Eine Mitarbeiterin erklärt gegenüber VICE, sie wisse nicht, wann Jan M. wieder im Haus sei. Selbst die AfD in Frankfurt scheint schon nicht mehr an die Story zu glauben. Gegenüber der FAZ gibt der Vorsitzende der AfD-Fraktion zu: “Unsere Einschätzung des Falles war offensichtlich falsch.” Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.
Fabian Herriger
[ "bild", "fake news", "Frankfurt", "Köln", "silvester" ]
2017-02-15T10:51:40+00:00
2024-07-30T19:17:35+00:00
https://www.vice.com/de/article/wie-die-bild-zeitung-einen-sex-mob-erfand
Wie ein Underdog-Club durch Drogengelder den spanischen Fußball aufmischte
In den 90er-Jahren gab es ein Fußballteam, über das ganz Spanien sprach. Und die Rede ist nicht von Barças Dreamteam unter Cruyff, sondern von einer Mannschaft, die auf deutlich bescheidenerem Niveau gespielt hat. Juventud Cambados gelang ein fulminanter Aufstieg aus den tiefen der galizischen Regionalligen bis in die Segunda División B, der dritthöchsten spanischen Liga, und das alles in nur drei Jahren. Der Verein aus der Stadt mit 13.000 Einwohnern stieg damals zur dritten Kraft der spanischen Region Galizien auf und soll Gerüchten zufolge bessere Löhne gezahlt haben als Deportivo de La Coruña und Celta Vigo. Darum spielten auch Spieler bei Cambados, über die der damalige Cambados-Kicker Carlos Bericart mal meinte: „Eine ähnliche Erfolgsgeschichte wäre schwer zu wiederholen, weil bei uns Spieler im Team waren, die auch deutlich höher hätten spielen können.” Hinter dem Erfolg von Cambados stand der Name Sito Miñanco, ein sagenumwobener Drogenboss aus der Region. Mit dem schmutzigen Geld Miñancos stieg die Mannschaft aus der fünften in die dritte Liga auf. Und wenn nicht die Polizei interveniert hätte, hätte Spanien wohl bald seinen ersten Erstligisten mit glasklaren Drogenverbindungen gehabt. Sito Miñanco wird von seinen Spielern gefeiert. Foto: Diario de Pontevedra „Zur damaligen Zeit wusste niemand, dass Sito mit Drogen handelte, alle wussten nur, dass er in illegale Geschäfte mit Tabak verwickelt war”, erzählt uns Benito Leiro, ein Journalist aus der Region. Sito war ein Meister des großen Auftritts und der Bevölkerung war egal, womit dieser Mann sein Geld verdiente, solange er sich so verdammt großzügig zeigte. Auch und vor allem dem Stadtverein gegenüber. „Er wollte sich die Gunst seiner Mitbürger erkaufen und finanzierte die Feste der Stadt. Im Rahmen seiner Charmeoffensive unterstützte er auch den Fußball”, erklärt mir Nacho Carretero, Journalist und Buchautor aus Galizien. „Viele galizische Drogenhändler versuchten, die Drogenbosse Südamerikas nachzuahmen, vor allem Pablo Escobar. Und Sito war das beste Beispiel dafür”. Mehr lesen: Pablo Escobars Sohn hat uns erzählt, wie sein Vater Schiedsrichter am liebsten bedroht hat Wie Escobar war auch Miñanco leidenschaftlicher Fußballfan. Darum erkaufte er sich 1986 den Posten als Vereinspräsident von Cambados und steckte viel Geld in den Klub, um so die besten Spieler aus der Region zu Juventud Cambados zu holen. In der Saison 1988/89 gelang dem Verein dann zum ersten (und letzten) Mal der Aufstieg in die dritte spanische Liga. Dort landeten sie am Ende auf dem vierten Platz und wären um ein Haar in die zweite Liga aufgestiegen. Nach dem vierten Platz zog der Verein in das neue Stadion um, das Miñanco finanziert hatte. Foto: Richard Charlín Als der Drogenboss ab 1990 auf dem Radar der Polizei landete, sollte dem Verein schon bald die Puste ausgehen. Nachdem man in der zweiten Saison mit Platz 16 nur knapp dem Abstieg entgangen war, bedeutete Platz 19 im Jahr darauf die Rückkehr in die vierte Liga. „Als er mitbekam, dass seine Aktivitäten zunehmend misstrauisch beäugt wurden, ging er auf Abstand und setzte einen Vertrauensmann an die Spitze seines Vereins”, erzählt uns Leiro. Ex-Spieler Richard Charlín will sich lieber nicht zu Themen äußern, die über den Fußball hinausgehen. VICE Sports hat noch einen anderen ehemaligen Spieler sowie ein Mitglied des Betreuerstabs kontaktiert und beide wollten lieber nichts sagen. „Die Leute wollen nicht darüber reden, in der Stadt ist das Kapitel Miñanco weiterhin ein Tabuthema”, erzählt uns Leiro. Der Mantel des Schweigens hat wohl vor allem mit der letzten seiner drei Verurteilungen von Miñanco—und seinen insgesamt 23 Jahren im Gefängnis—zu tun. Zum ersten Mal wurde er 1983 wegen Tabakschmuggels verurteilt; 1994 dann wegen Drogenschmuggels; und 2001—nachdem er 1998 auf Bewährung entlassen wurde—weil er einem internationalen Drogenkartell vorgestanden haben soll. Wie Zeitzeugen berichten, und Videomaterial bestätigt, ähnelte Miñanco auch in seinem Auftreten dem legendären Pablo Escobar: makellose Hemden, helle Anzüge und, ganz wichtig, Schnauzer. „Sito war leidenschaftlicher Fußballfan”, erinnert sich Carretero. Als sein Verein in die Segunda B aufstieg, buchte Miñanco für sich und seine Spieler einen Trip nach Panama und Venezuela. „Die Leute denken immer, dass wir da nur Fiesta gemacht hätten, aber wir hatten fünf Testspiele in zehn Tagen”, versichert mir Charlín, der lachen muss, als ich ihn frage, ob das Gerücht von den Luxushotels und Golfplatz-Ausflügen stimmt. Gelohnt hat sich der Lateinamerika-Trip für Miñanco allemal. Denn er kam mit einer neuen Frau zurück nach Spanien, Odalys Rivera, der Nichte eines Ministers unter Diktator Manuel Noriega. Die sah man dann manchmal in einem Ferrari Testarossa durch die Stadt düsen, erinnert sich Charlín. Außerdem habe es noch einen Vorteil gehabt, für einen Klub mit einem so reichen Boss zu spielen. Denn mehr als einmal fuhr die Mannschaft auf Miñancos Yacht zum Stadion. Stichwort Stadion: Nach dem vierten Platz in der ersten Saison zog der Verein in ein neues Stadion um, das Miñanco finanziert hatte. Der Bürgermeister von Cambados (links), Antonio Pillado, zeichnet Sito Miñanco für den historischen Aufstieg aus. Foto: La Voz de Galicia Verschiedene Mitglieder des Vereins beteiligten sich an den kriminellen Aktivitäten ihres Präsidenten. Zudem gab es eine Ultra-Gruppierung, die sich Comando Legal nannte. „Damals waren die Cambados-Ultras gleichzeitig Spione von Sito, die ihm alles, was im Stadion und in der Stadt passierte, steckten”, so Carretero weiter. Spione brauchte es hingegen nicht, um zu wissen, dass die Spieler bei Cambados damals schwarz bezahlt wurden. Denn das war laut Charlín in der Stadt ein offenes Geheimnis. Der Lohn lag einfach in Umschlägen in den Spinden der Spielerkabine. *** Seit damals hat Cambados ganz schön Federn gelassen. Aktuell spielt man in der sechsten Liga, nachdem im letzten Jahr der Aufstieg gelang. Vor zwei Jahren feierte der Verein 25-jähriges Jubiläum des historischen Aufstiegs. Zu diesem Anlass kamen die Helden von damals noch einmal zusammen. „Mit den meisten aus der Mannschaft hatte ich eh noch Kontakt”, verrät mir Charlín, der später auch mal Präsident des Vereins war. Die Mannschaft von damals versammelt zum 25-jährigen Jubiläum. Foto: Richard Charlín Charlín unterstreicht den sportlichen Erfolg, den er und seine Mannschaft damals hatten—und der seiner Meinung nach weit über die Unterstützung vonseiten Miñancos hinausging. „Du hast für den Verein gespielt und alles gegeben, nicht für den Präsidenten, du hast auf den Trainer gehört, nicht auf den Präsidenten. Es ist schade, dass unser rein sportlicher Aufstieg komplett untergeht, weil alle immer über Miñancos Machenschaften gesprochen haben.” Aber wenn man versucht, mehr über die damalige Zeit herauszufinden, stellt man fest, dass so viel gerade nicht über Miñanco gesprochen wird. Das könnte auch daran liegen, dass Miñanco bei seinen Freigängen gerne mal in Cambados vorbeischaut. Es bleibt eben eine Kleinstadt, wo jeder jeden kennt. Miñanco ist heute 61 Jahre alt und sitzt unter gelockerten Bedingungen in einem Gefängnis in der südspanischen Hafenstadt Algeciras. 2018 wird er voraussichtlich entlassen. Doch sein Vermächtnis als Pablo Escobar Galiziens wird noch lange in Spanien fortleben.
[ "cambados", "Drogen", "Fußball", "Galizien", "juventud cambados", "Kokain", "segunda b", "Sito Miñanco", "spanien", "Sports", "VICE Sports" ]
2016-12-01T10:37:18+00:00
2024-08-12T11:20:29+00:00
https://www.vice.com/de/article/wie-ein-underdog-club-durch-drogengelder-den-spanischen-fussball-aufmischte-123/
Polyamore Fuckboys: Der Endboss der Arschlöcher
In der Datingszene braut sich etwas zusammen. Nein, nicht die Softboi-Endemie auf Bumble oder die Tatsache, dass uns die Wirtschaftskrise wieder zu Spazier-Dates drängt. Es ist ein geheimes, drittes Unheil, viel bösartiger als die beiden anderen: der polyamore Fuckboy. Aber was ist das – und warum sind Poly-Fuckboys schlimmer als die Standardvariante? Das liegt unter anderem daran, dass der polyamore Fuckboy nicht wirklich polyamor ist. Dazu müsste er nämlich ehrlich sein und sich respektvoll verhalten – und das gleich in mehreren romantischen oder sexuellen Beziehungen. In Wahrheit ist genau das Gegenteil der Fall. Auch von VICE: Wann ist Ghosting erlaubt? Der polyamore Fuckboy will nur den Anschein erwecken, eine oder mehrere gesunde Beziehungen führen zu wollen. Sein Ziel: seinen Penis in möglichst viele Körperöffnungen von möglichst vielen Menschen stecken. Doch meistens stellt er sich dabei ziemlich blöd an. “Wir haben uns auf Feeld kennengelernt und waren von Anfang an beide damit einverstanden, dass wir auch andere Leute daten”, sagt Annie, 27, die polyamor ist und in Wirklichkeit anders heißt. “Es gab klare Regeln, und er hat jede einzelne gebrochen.” Sie habe den Eindruck gehabt, dass er sie absichtlich eifersüchtig machen wollte:  “Er hat mir jedes Detail über den Sex mit anderen erzählt.” Gleichzeitig sei der Typ selbst extrem eifersüchtig gewesen. Sobald Annie mit einer anderen Person in Kontakt kam, sei er ausgerastet. “Als dürfe er alles tun und ich müsste brav zu Hause hocken”, sagt sie. Annies Erlebnis mit dem Poly-Fuckboy ist kein Zufall: Der polyamore Fuckboy treibt sich bevorzugt auf der Poly-Dating-Plattform Feeld oder einer anderen progressiv klingenden Dating-App rum. Manchmal schleicht er aber auch einfach über die Tanzfläche eines schlecht beleuchteten Raves und sucht nach neuen Bekanntschaften. Die echten Goldstücke sitzen aber bei Tinder. Dort gehen die Poly-Fuckboys undercover und erwähnen erst beim dritten Date beiläufig, dass sie polyamor sind oder sich “gerade nichts Monogames vorstellen” können. An dem Punkt ist ihr Gegenüber manchmal schon so beeindruckt, dass es womöglich denkt, es könne “diesem Poly-Ding vielleicht mal eine Chance geben”. Spoiler: Ihr werdet ein paar Monate später verheult in eurem Ikea-Bett liegen und euch wünschen, den einseitigen Deal nicht eingegangen zu sein. Der Poly-Fuckboy will nämlich keine respektvolle Poly-Beziehung, sondern leicht verfügbaren Sex ohne Verpflichtungen. Wer einmal mit einem Poly-Fuckboy zu tun hatte, erkennt ihn schnell überall. Der Poly-Fuckboy ist durchschnittlich attraktiv, tut aber draufgängerisch, weil er mit Anfang 20 von Deidesheim in eine WG in Berlin-Neukölln gezogen ist, ein paar erfolgreiche Tinder-Bekanntschaften hatte und seitdem einen Ego-Boost durchlebt. Poly-Fuckboys sind meist hetero und sexuell allerhöchstens “experimentierfreudig”. Sie malen ihre Fingernägel an, als wollten sie sich damit weniger bedrohlich machen. Manche von ihnen bezeichnen sich in ihrem Instagram-Profil oder ihrer Tinder-Bio auch gerne als “Ally”. Dabei tun sie das meist nur, um bisexuelle Frauen abzuschleppen und sich mit ihnen und einer weiteren Frau den eigenen Traum vom FFM-Dreier zu erfüllen. Der polyamore Fuckboy zieht sich an wie seine Fuckboy-Kollegen aus der Monogamie-Sparte: Carhartt-Hose und eine Hipster-Mütze, die kaum bis zu den Ohren reicht. Erkennbar macht er sich mit seinem gebleichten Haar – wahlweise die auf dem Kopf oder die Augenbrauen, häufig auch mal beides. Manchmal tut er auch so, als habe er sich mit Feminismus und Gender Studies beschäftigt und erklärt ungefragt, was eine TERF ist. Apropos Gender: Der Begriff Fuckboy ist nicht genderspezifisch. Auch queere Personen und Frauen können sich zu diesem Titel hochschlafen. Meistens sind Fuckboys aber einfach cisgeschlechtliche Typen. An Polyamorie oder einer offenen Beziehung ist an sich nichts auszusetzen. Wer diesen Liebesstil gewissenhaft und ehrlich umsetzt, kann damit extrem erfüllende und befreiende Erfahrungen machen. Leider machen sich die Poly-Fuckboys lediglich den Begriff zu eigen. Entweder um progressiv und woke zu wirken und damit erfolgreicher abzuschleppen – oder um ihr beschissenes Verhalten zu rechtfertigen. Fuckboys existieren seit Anbeginn der Zeit – schon Zeus hat sich durch den Olymp gevögelt. Aber genauso wie die größten Arschlöcher diskriminierungsfreie Sprache und Achtsamkeits-Begriffe für ihre Zwecke nutzen, haben auch die Fuckboys ein neues Level in ihrem Game erreicht. Während sie früher ganz gewöhnlich belogen und betrogen haben, nutzen sie dafür jetzt vermeintlich einfühlsame Begriffe wie “einchecken” oder “outcallen” oder hören sich traurig nickend an, wie sie deine Gefühle verletzt haben. Taali Kwaten, 26, Teil eines queeren DJ-Kollektivs und seit drei Jahren polyamor, kennt das Problem. “Fuckboys nutzen Polyamorie, um ihren Willen durchzusetzen”, sagt Kwaten. “Dafür höhlen sie die Grundsätze der Bewegung aus: Ehrlichkeit, Einfühlsamkeit und offene Kommunikation zwischen mehreren Menschen, die alle die anderen Parts und deren Grenzen respektieren.” Denn polyamore Beziehungen bedeuten eben keinen Freifahrtschein für sexuelle Unabhängigkeit, sondern Verantwortung und Arbeit. Amy Win, 27, Unternehmerin und ebenfalls seit drei Jahren in polyamoren Beziehungen, kennt das aus eigener Erfahrung: “Man muss sich dauernd anpassen und sich und sein Verhalten hinterfragen”, sagt Win. “Das bedeutet viel Organisationsarbeit, Nachfragen bei den anderen Parts und sich regelmäßig darüber vergewissern, dass sie mit allem einverstanden sind und sich gut fühlen.” Und wie wir alle wissen, sind Fuckboys in diesen Dingen nicht sonderlich gut. Niemand ist perfekt und in komplizierten Beziehungskonstellationen kann es schnell passieren, dass man anderen wehtut. Aber woran erkennt man den Unterschied zwischen menschlichen Fehlern und systematischem Fuckboy-Verhalten? Was unterscheidet ihn von anderen, die ganz klassisch lügen oder fremdgehen? Der Unterschied liegt in der Bereitschaft zur Reflektion: Jeder und jede ist dafür verantwortlich, zu anderen und sich selbst ehrlich zu sein. Dazu gehört auch, immer wieder an sich zu arbeiten. Das gilt auch für Polyamorie. Nur: Hier muss ein Teil der Arbeit schon vorher stattgefunden haben, damit niemand unnötig Verletzungen und Herzschmerz davonträgt. Ihr springt ja auch nicht in einen Pool, ohne davor Schwimmen gelernt zu haben. Auch wenn es unglaublich klingt: Selbst Fuckboys haben Gefühle, Ängste und manchmal sogar Liebeskummer. Viele von ihnen versuchen sogar gerade durch ihr Verhalten, über ihre Emotionen hinwegzukommen und sie zu unterdrücken. Eine Entschuldigung für ihr seelenloses Gehabe ist das natürlich nicht. Und doch tragen wir ein bisschen Hoffnung in uns, dass die Poly-Fuckboys während ihrer Techtelmechtel in der polyamoren Szene zumindest eine Idee davon bekommen, wie sich ein ordentlicher Mensch benimmt. Folge VICE auf Facebook, TikTok, Instagram, YouTube und Snapchat.
[ "arschlöcher", "Beziehung", "Dating", "fremdgehen", "fuckboys", "Liebe", "Polyamorie", "Sex" ]
Menschen
2022-12-21T15:55:08+00:00
2024-08-12T11:52:22+00:00
https://www.vice.com/de/article/polyamore-fuckboys-der-endboss-der-arschloecher/
Hangover-News, 12. September 2016
Die längste Wahl der Welt geht in die Verlängerung, 50.000 Jungwähler-Schicksale sind ungewiss und ein Schweizer SVP-Werber entpuppt sich als AfD-Unterstützer. Willkommen bei den Hangover-News. Screenshots via Facebook | Collage via VICE Media Nach dem Wahlkarten-Debakel war eine Verschiebung des ursprünglichen Termins für die Wiederholung der Stichwahl unumgänglich. Laut diversen Medien findet der Urnengang nun entweder am 27. November oder am 4. Dezember statt. Der genaue Termin wird heute um 11 Uhr live auf ORF 2 verkündet. Besinnliche Adventszeit! Noch unklar ist, wer tatsächlich wählen darf. Rund 50.000 Jugendliche, die seit dem Stichtag im Februar 16 geworden sind, sind aktuell nicht im Wählerregister erfasst und dürften somit ihre Stimme nicht abgeben—SPÖ, ÖVP, Grüne und Neos sprechen sich für eine Einbindung der Jugendlichen aus. Wird das Wählerregister aktualisiert, ist ein späterer Termin wahrscheinlicher. Laut dem Standard wäre in diesem Fall sogar eine Wahl im Jänner denkbar. Für die Adaption des Wahlregisters ist eine Verfassungsänderung notwendig. Da im Bundespräsidentenwahlgesetz keinerlei Vorgaben für eine Verschiebung enthalten sind, denkt man außerdem über einen neuen Gesetzestext nach, der schon am Dienstag im Parlament eingebracht werden soll. Für eine benötigte Zweidrittelmehrheit ist die FPÖ nicht erforderlich—zuletzt hatte Partei-Obmann Strache gefordert, die Briefwahl gänzlich abzuschaffen. Foto: Metropolico.org | Flickr | CC BY-SA 2.0 Der 53-jährige Besitzer der Schweizer Werbeagentur Goal, Alexander Segert, soll hinter der AfD-Wahlkampf-Kampagne “gegen Masseneinwanderung” stecken, heisst es laut der NZZ am Sonntag in einem Bericht des Spiegel. Segert wurde angeblich auf einer Veranstaltung des “Vereins zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und der bürgerlichen Freiheiten” gesehen, wo er Gäste empfangen haben soll. Obwohl die AfD jeden Kontakt zum Verein verwirft, war es der Klub, der die letzte Kampagne der Partei in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin geführt hat. Gemäss Spiegel soll Segerts Agentur in Deutschland Werbeflächen gemietet haben und für die AfD-Werbung verantwortlich sein, die grosse Ähnlichkeit mit Auftritten der SVP aufweist. Segert hat sich mit früheren SVP-Plakaten, insbesondere seinen Schäfchen- und Minarett-Sujets, in der Schweiz als “SVP-Werber” einen Namen gemacht. Zudem berichtet die NZZ am Sonntag, dass aus der Schweiz eine üppige Unterstützung zugunsten der AfD vermutet wird. Dies, obwohl das deutsche Parteiengesetz Spenden aus dem Ausland verbietet. Es sei denn, der Sponsor ist ein deutsches Unternehmen oder besitzt die deutsche Staatsbürgerschaft.
VICE Staff
[ "AfD", "Alexander Segert", "bpw16", "Bundespräsidentenwahl 2016", "Stuff", "Vice Blog" ]
2016-09-12T07:50:00+00:00
2024-07-30T22:17:15+00:00
https://www.vice.com/de/article/hangover-news-12-september-2016/
Die Zukunft unserer Steaks liegt in den Händen der Vegetarier
Franck Ribière wuchs auf der Rinderfarm seiner Familie in der Nähe von Montluçon in der Auvergne auf, wo sein Onkel und sein Vater bis vor ein paar Jahren die gefeierten Charolais-Kühe züchteten. Irgendwie fragte sich Ribière aber immer, wieso das Fleisch im Ausland immer besser schmeckt als Zuhause. Es war die Neugier, die Ribière dazu brachte, Steak (R)evolution zu produzieren, eine Dokumentation, in der die Rindfleischproduktion in verschiedenen Ländern wie Brasilien, Japan, Italien und Großbritannien miteinander verglichen wird und die eine Antwort auf eine einzige Frage geben soll: Wo auf dieser Welt gibt es das beste Steak? Wenn ihr glaubt, dass man die gesamte Menschheit mit Fleisch ernähren könnte, dann liegt ihr falsch. Es wird euch wahrscheinlich überraschen, wenn ich euch verrate, dass ich ein großer Freund des Vegetarismus bin. Ich würde sogar sagen, dass die Zukunft der Fleischesser in den Händen der Vegetarier liegt. Je mehr Vegetarier es gibt, desto besser wird unser Fleisch sein. Momentan gibt es viel zu viele Fleischesser auf dieser Welt. Wären es weniger, würde die Qualität des Fleischs steigen. Mit der Zeit würde die industrielle Viehzucht verschwinden und wir würden nur noch regional produzieren, was wiederum dazu führen würde, dass das Vieh im Einklang mit der Umwelt gezüchtet werden würde. ARTIKEL: Wie du dein Steak isst, könnte sich auf deine geistige Fitness auswirken Unser größter Fehler ist die Vorstellung, dass wir Fleisch essen „müssen”, weil es gesund ist. Aber in der westlichen Welt haben wir das Glück, in Ländern zu leben, in denen Fleisch essen keine absolute Notwendigkeit ist und es genügend Produkte gibt, die es ersetzen können. Fleisch essen an sich ist nicht das Problem, aber unsere Herangehensweise muss sich ändern. Wenn ich Leuten in Restaurants beim Fleisch essen zusehe, dann beobachte ich, dass sie es einfach schlucken und gar nicht richtig kauen. Es ist schon fast zu einem mechanischen Ablauf geworden und wir nehmen uns nicht die Zeit, es wertzuschätzen. Wir sollten Fleisch auf die gleiche Weise wie Wein betrachten—wir müssen es wieder als ein besonderes Lebensmittel ansehen. Foto mit freundlicher Genehmigung von Franck Ribière und Vérane Frédiani. Wir sollten seltener Fleisch essen und wenn wir es tun, sollte es qualitativ hochwertig sein. Ich glaube, wir haben unseren Geschmackssinn verloren und sind deshalb bereit, so gut wie alles zu essen. Eine gute Rasse, ein guter Züchter, ein guter Metzger und ein guter Koch sind die vier wichtigsten Zutaten für ein großartiges Steak. Eine glückliche Kuh ist die Grundlage für ein gutes Steak. Alle diese Parameter zu verstehen, bedeutet für mich „Steak Revolution”. In meinem Film geht es um Leute, die dieses Prinzip verstanden haben und die sehen, dass wir nicht weiter machen können wie bisher. Wenn es darum geht, qualitativ hochwertiges Fleisch zu produzieren, hinkt Frankreich hinterher. Der Fehler liegt darin, dass wir zu viel produzieren und zu viele damit ernähren wollen. Wir sollten Fleisch auf die gleiche Weise wie Wein betrachten—wir müssen es wieder als ein besonderes Lebensmittel ansehen. Ein guter Züchter weiß, wie man mit den Ressourcen umgeht, die die Umwelt bietet. Züchter in Großbritannien haben gelernt mit dem zu arbeiten, was sie haben: Sie lassen Kühe auf Wiesen grasen ohne ihnen zusätzlich Körner zu verfüttern und so haben sie die besten Arten entwickelt. Bis heute ist das Angus-Rind eine der besten Rassen der Welt. Es liegt aber nicht nur an den Züchtern, sondern auch an den Kühen. Die britischen Rinder sind die besten, weil ihre Genetik an den britischen Boden angepasst ist. Sie produzieren Fett mit Gras und trinken Regenwasser. Und von dem gibt es in Großbritannien am meisten: Gras und Wasser. Japanisches Rindfleisch. Foto mit freundlicher Genehmigung von Franck Ribière und Vérane Frédiani. In Frankreich haben wir nicht die gleiche Fleischkultur. In der Vergangenheit wurden Rinder dazu verwendet, Kutschen zu ziehen und so entwickelten sich zähe Kuhrassen mit Muskeln, die kein Fett haben. Das macht sie im Hinblick auf den Geschmack weniger interessant. REZEPT: Gegrilltes Ribeye-Steak Der wichtigste Grund, warum in Frankreich Kühe gezüchtet wurden, war immer schon die Käse- und nicht die Fleischproduktion. In der Käseproduktion sind wir immer noch die Besten. Solche Aussagen haben natürlich sehr viele negative Reaktionen aus Frankreich provoziert. Ich sage schließlich ganz klar und deutlich, dass in Frankreich nicht das beste Fleisch produziert wird und die Leute sind deswegen genervt von mir. Und dass ich auch noch sage, dass die besten Züchter die Briten sind, setzt dem Ganzen noch eins auf. REZEPT: Steak in Pfeffersauce und Maitake-Pilzen Aber wo kann man denn jetzt das beste Steak essen? Naja, vielleicht habe ich es noch gar nicht gegessen. Das spanische „Rubia Gallega” (Galicisches Blondvieh) hat auf jeden Fall alles andere, das ich bisher probiert habe, übertroffen, sogar das britische. Aufgezeichnet von Alice Tchernookova.
[ "Denken", "Fleischproduktion", "Food", "Frankreich", "gras", "großbritannien", "Industrielle Fleischproduktion", "Käse", "Käseproduktion", "Munchies", "Muskeln", "Qualität", "Steak", "Vegetarier", "Wasser" ]
2015-05-19T07:15:03+00:00
2024-08-12T05:03:48+00:00
https://www.vice.com/de/article/die-zukunft-unserer-steaks-liegt-in-den-handen-der-vegetarier-279/
Diese Frau hat aus unerwünschten Schwanzfotos eine Ausstellung gemacht
Whitney Bell vor einer Wand voller Schwanzbilder | Foto: Ben Karris Achtung: Dieser Artikel enthält eine Menge Penisbilder Ach, das unerwünschte Schwanzbild. Der technologische Fortschritt hat es Penissen auch wirklich viel zu leicht gemacht, einfach auf dem Handy-Bildschirm einer Frau aufzutauchen, während sie gerade im Zug liest oder auf dem Heimweg von der Arbeit ist. Es ist eine relativ neue Errungenschaft. Wer hätte schon einen Haufen Filmrollen zur nächsten Drogerie gebracht, um eine Reihe an Schwanzbildern entwickeln zu lassen? Aber jetzt, da so ziemlich jeder ein Handy mit Kamera besitzt, sind Schwanzbilder allgegenwärtig. Auch wenn die allermeisten Frauen wirklich absolut keinen Bock auf sie haben. Whitney Bell ist eine dieser Frauen. Sie verwandelte ihre Bildersammlung dann allerdings in die Ausstellung “I Didn’t Ask For This: A Lifetime of Dick Pics”. Darin zeigte sie einen Großteil der ungewollten Schwanzbilder, die sie erhalten hatte. Als ich den Haupteingang betrete, sehe ich weiße Wände mit gerahmter Kunst—ganz wie in einer normalen Galerie. 30 Künstler stellen hier ihre Kunst aus. Hinter einer weiteren Tür hat Bell ihr Zuhause nachgebaut. Gerahmte Schwanzbilder hängen zwischen ihren Habseligkeiten. Etwa 200 Schwänze, um genau zu sein. Bell sagt, dass sie die Bilder genau so präsentieren will, um zu zeigen, wie sehr sie eigentlich in ihr Leben eindringen. Selbst wenn sie allein ist, bietet ihr die Privatsphäre ihres Hauses keine Sicherheit mehr. Wir haben uns auf ihre Couch gesetzt und über Schwänze gesprochen—die schönen, die kümmerlichen und die hässlichen. Foto: Ben Karris VICE: Wie hat das alles angefangen?Whitney Bell: Alles fing mit einem wirklich schönen Schwanz-Schattenbild an, das mir ein Typ geschickt hatte, den ich damals datete. Ich zeigte es einer Freundin, die daraufhin meinte: “Das Bild ist so schön, es sollte in ein Museum.” Das war der Augenblick, in dem ich über eine Galerie aus Schwanzbildern nachdachte. Moment, die Inspiration für diese Ausstellung war ein Penisbild, das du schön fandest?Ja! Das hier ist keine Schwanzhasserinnen- oder Männerhasserinnen-Ausstellung. Ich liebe schöne Schwänze. Ich habe nur etwas gegen Belästigung. Das will ich von Anfang an klarstellen. Die ganzen Schwänze hier hat man mir ungefragt zugeschickt. Die kamen nicht auf Wunsch. Ich habe schon selbst nach Schwanzbildern gefragt. Aber ich will keine Schwänze von Fremden sehen. Oder von Typen, mit denen ich nur ein Date hatte, wodurch es einfach unangemessen ist. Wie bist du an die ganzen Bilder gekommen?Die meisten Bilder wurden mir und anderen Frauen ungefragt zugeschickt. Ich habe mich an Frauen gewandt, die ich kenne, und an feministische Organisationen. Ich habe auch etwas Zeit auf Chatroulette und Reddit verbracht, wo ich mich mit den Typen unterhalten habe, die sie versenden. Ich war vor allem auf Reddit, um mit diesen Typen zu reden—um zu erfahren, warum sie es tun. Sobald das Thema jedoch auf den Tisch kam, fingen viele Typen einfach an, mir Bilder zu schicken. Und auf Chatroulette bekommst du die Schwänze einfach nur direkt ins Gesicht gehalten. Whitney Bells nachgebautes Wohnzimmer | Foto: Michael Mendoza für Rony’s Photobooth Und warum machen diese Männer das? Warst du ab und an auch bestürzt?Der Grund ist genau das, was ich mir schon gedacht hatte. Es geht nur um Belästigung. Mit Sex hat es nichts zu tun. Es geht um Macht. Es geht darum, dass diese Typen Kontrolle ausüben wollen. Diesen Typen geht dabei einer ab, wenn sie wissen, dass sie ein Mädchen dazu gezwungen haben, ihren Penis zu sehen. Sie wissen genau, dass das Mädchen nicht plötzlich antworten wird: “Hast du Lust auf ein Date.” Es ist keine Anmache. Es ist, als würde man einer Frau im Vorbeifahren etwas zurufen. Männer machen das nur, weil sie es können. Und weil ihnen die Welt gesagt hat, dass das schon in Ordnung sei. Eigentlich erwartet man so etwas doch sogar.Ja. Für mich ist das etwas, dass der Feminismus verändern sollte. Ich glaube, dass viele Leute Feminismus als eine total aggressive Sache ansehen, obwohl es dabei in Wahrheit nur um Gleichberechtigung geht. Frauen und Männer sollen auf einer Stufe stehen. In unserem Patriarchat heißt es immer, dass sich die Männer nicht unter Kontrolle haben und deshalb immer solche anstößigen Annäherungsversuche durchziehen. Sie können einfach nicht anders, als Frauen zu belästigen. Das ist falsch. Im Femininums herrscht die Meinung vor, dass Männer mehr und besser sind als das. Und genau das will ich auch zeigen. Versuchen Männer, ihre Schwanzbilder zu rechtfertigen, indem sie darüber reden, dass sie womöglich auch schon mal unerwünschte Tittenbilder erhalten haben? Gibt es so etwas überhaupt?Darüber habe ich auch schon mal nachgedacht. Wenn mir ein Typ, den ich date, ein Dick-Pic zuschickt, dann ist darauf im Allgemeinen immer noch ein bisschen Körper zu sehen und es handelt sich nicht nur um eine Nahaufnahme. Wenn Frauen sexy Fotos verschicken, dann spreizen sie dafür doch auch nicht ihre Schamlippen auseinander und halten voll drauf. Das will ja auch niemand sehen. Für mich besteht genau hier der Unterschied. Bei den unerwünschten Schwanzfotos steht ausschließlich das beste Stück im Fokus und genau das ist auch der aggressive Aspekt des Ganzen. Für mich ist es etwas Anderes, wenn eine Frau ein Bild verschickt, auf dem sie nur knapp bekleidet ist. Ich will damit aber auch nicht sagen, dass Frauen Männer nicht sexuell belästigen können … Das ist einfach etwas Anderes.Genau. Wenn das Ganze nicht erwünscht und nur dazu gedacht ist, um Macht auszuüben, dann überschreitet man damit die Grenze zur Belästigung. Das Zitat stammt von Simone Fiasco Wie viele unerwünschte Schwanzbilder hast du schon bekommen?Vor gut vier Jahren spielte mir eine Freundin einen echt dummen Streich, durch den bei mir monatelang unerwünschte Dick-Pics im E-Mail-Postfach landeten. Ich dachte, ich hätte mir irgendeinen komischen Porno-Virus eingefangen. Als ich besagte Freundin dann später besuchte, fragte sie mich, ob ich in letzter Zeit irgendwelche komischen Mails bekommen hätte. Ich meinte nur: “Witzig, das habe ich wirklich.” Wie sich anschließend herausstellen sollte, hat sie beim Dating-Portal OkCupid immer eine Gegenleistung gefordert, wenn ein Typ sie um ein sexy Foto bat, und dann meine E-Mail-Adresse angegeben. Dieser Scherz hat meinen Hass auf Schwanzbilder erst so richtig geschürt. Ich besitze jedoch keines dieser Fotos mehr, denn ich habe sie sofort gelöscht. Hier sind ein paar sehr interessante Penisse zu sehen. Glaubst du, dass diese Männer ihre Schwänze wirklich hübsch finden? Was ist zum Beispiel hier los?Ich glaube, der Typ würgt seinen Schwanz mit seinem Daumen. Meine Freundin meinte, dass ein Exemplar wie ein Teigball mit Toupet aussähe. [Whitney zeigt auf ein anderes Bild von einem Mann mittleren Alters, bei dem ein iPad das Gesicht teilweise verdeckt] Das hier bekam ich per Instagram-Direktnachricht. Das bedeutete auch, dass ich mir direkt das ganze Profil des Typen anschauen konnte—inklusive Frau und Kinder. Auf dem eigentlichen Foto war sein ganzen Gesicht zu sehen, aber hierfür musste ich das natürlich ändern. “Ich liebe schöne Schwänze. Ich habe nur etwas gegen Belästigung.” Wow. Durch das Internet ist es natürlich viel leichter geworden, Schwanzbilder zu verschicken. Gibt es deiner Meinung nach auch noch andere Faktoren für das vermehrte Aufkommen dieses Phänomens?Die Anonymität der Technologie gibt den Männern natürlich Sicherheit. Es fühlt sich so einfach anonymer an, als irgendwo in der Öffentlichkeit blank zu ziehen. Typen, die sich so etwas normalerweise niemals trauen würden, haben hinter ihren PC- oder Smartphone-Bildschirmen plötzlich ganz viel Mut. Sie machen das Ganze, weil sie es können. Mehr steckt da meiner Meinung nach nicht dahinter. Man hat solche Typen für ihr inakzeptables und belästigendes Verhalten einfach noch nie zur Rede gestellt. Sie glauben, dass das Ganze für sie keine Folgen hat. Diese Vorstellung will ich mit meiner Ausstellung zunichte machen. Findest du, dass man ein solches Verhalten bestrafen sollte?Ja. Das ist unsittliche Entblößung. Ich bin mir jedoch auch bewusst, dass man so etwas wahrscheinlich nie in das Strafgesetzbuch aufnehmen wird. Dennoch bin ich der Meinung, dass man diese Männer irgendwie zur Verantwortung ziehen muss. Indem man sie zum Beispiel anprangert?Genau. Und das will ich mit meinem Projekt auch machen—also sie beschämen. Das Internet gibt den Leuten die Möglichkeit, sich von ihrer schlimmsten Seite zu präsentieren. Viele Typen denken nicht über ihr Verhalten nach, weil sie das auch gar nicht müssen. Man hat ihnen ja auch nie gesagt, dass sie sich so nicht aufführen können. Und damit beziehe ich mich jetzt nicht nur auf Dick-Pics. Wir Frauen müssen uns immer selbst beschützen und gewisse Sachen meiden, während Männer vom Thema Einverständnis keine Ahnung haben. Was sollte eine Frau am besten machen, wenn sie ein unerwünschtes Schwanzbild erhält?Einfach ein Foto von einem schöneren Penis zurückschicken.
Alison Stevenson
[ "anonymität", "Ausstellung", "Belästigung", "dickpic", "Feminismus", "Foto", "Instagram", "Internet", "Interview", "Kunst", "NSFW", "penis", "Schwanzfoto", "Verbrechen", "Vice Blog", "Whitney Bell" ]
Sex
2016-09-13T08:00:00+00:00
2024-07-30T22:27:34+00:00
https://www.vice.com/de/article/bna8y4/diese-frau-hat-aus-ihrer-sammlung-an-ungewollten-schwanzfotos-eine-ausstellung-gemacht
Die Instagram-Werbung von True Fruits steht für alles, was man auf Social Media falsch machen kann
Wer provozieren will, muss damit leben, dass sich Menschen provoziert fühlen. Schon klar, Werbung soll Aufmerksamkeit erzeugen. Besonders, wenn man wie das Bonner Unternehmen True Fruits ein ziemlich unglamouröses Produkt wie Fruchtsaft an konsumfaule Millennials verkaufen will. “Voulez-vous cashew avec moi?” auf einen Nusssaft zu schreiben, kann man unangenehm-angesext finden, aber wenn ein Unternehmen meint, spätpubertär-cringy Wortspiele seien eine Marketingstrategie – OK. Auch bei VICE: Die Black Women’s Defense League kämpft mit Waffen gegen Rassismus und Frauenfeindlichkeit Was nicht OK ist: Berechtigte Kritik zu verhöhnen, wenn man mit seinen superfrechen Sprüchen Grenzen überschreitet – wenn aus Marketing Diskriminierung wird. Auf Instagram, wo 117.000 Menschen True Fruits folgen, kritisierten Menschen in der vergangenen Woche einen Slogan aus dem Sommer 2017: “Abgefüllt und mitgenommen”, so bewarb das Unternehmen einen To-go-Trinkaufsatz für ihre Flaschen. Der Vorwurf, der nun hundertfach auf Instagram, aber auch bei Facebook und Twitter erhoben wird: Der Slogan verharmlose Rape Culture, um Fruchtsaft zu verkaufen. In der Nacht zum Donnerstag äußerte sich die Social-Media-Abteilung per Instagram-Story zu dem Vorwurf: “Uns wurde in den vergangenen Tagen vorgeworfen, dass wir Sexismus propagieren. Jetzt möchten wir dazu Stellung beziehen.” Doch statt einer Entschuldigung folgte ein kurzer Clip des Schauspielers und Musikers Jamie Foxx, in dem er süffisant in die Kamera singt: “Fuck you”. Die Social-Media-Abteilung des Unternehmens entschied sich dafür, die Kritik an ihrem Produkt lächerlich zu machen, statt sich mit ihr auseinanderzusetzen. Dahinter steckt etwas, das man nicht allein bei True Fruits für eine Social-Media-Strategie hält: die kalkulierte Beschimpfung derjenigen, die sie kritisieren. Wer sich in Berlin etwa über die U-Bahn beschwert, darf sich nicht wundern, danach in einem Post der Verkehrsbetriebe vorgeführt und verarscht zu werden. Der Fall True Fruits ist natürlich anders, sexistische Diskriminierung ist nicht damit zu vergleichen, dass es nervt, wenn man ständig seine Bahn verpasst. Aber: Das Publikum, das die Posts der Unternehmen sieht, verhält sich in solchen Fällen ähnlich. Denn auch auf das “Fuck you” von True Fruits folgten zwei gegensätzliche Reaktionen. Die erste: Sprachlosigkeit und Wut gegenüber der völligen Uneinsichtigkeit. Und die zweite: Vor allem Weiße Männer erklärten stellvertretend für True Fruits, warum es sich bei einem Spruch, der Rape Culture reproduziert und verharmlost, eben nicht um sexistische Diskriminierung handele. Es sei eben einfach derber Humor. Es ist nicht das erste Mal, dass True Fruits mit seinem Marketing Grenzen überschreitet. So hielt es das Unternehmen für eine gute Idee, Saft in geschwärzten Glasflaschen zu verkaufen – und diese mit dem Slogan “Quotenschwarzer” zu bewerben. Die Kritik, vorgebracht von Schwarzen Menschen und jenen, die sich mit ihnen solidarisieren, wurde ebenfalls von Weißen Männern (und ja, auch ein paar Frauen) gekontert: Das sei halt derber Humor, da solle man sich nicht so haben. Das Unternehmen selbst teilte zu den geschwärzten Flaschen nun bei Instagram mit: “Uns gehen die ständigen Fehlinterpretationen auf die Nerven.” True Fruits nimmt die Flasche jetzt aus dem Sortiment – was von Fans und Kunden des Unternehmens als Einknicken vor Political Correctness gewertet wird. Schon im Jahr 2016 wurde dem Unternehmen von der Stadt München verboten, dort Werbung für Chiasamen-Saft mit dem Slogan “Oralverzehr – schneller kommst du nicht zu deinem Samengenuss” zu plakatieren. True Fruits reagierte damals in einem Statement, als rettete es mit seiner Werbung die Meinungsfreiheit: “Als wir erfuhren, dass München unsere Plakate nicht erlaubt, wollten wir der Stadtverwaltung nicht klein beigeben und haben auf diese Weise gehandelt. Wir lassen uns den Mund und Humor nicht verbieten.” Das Unternehmen plakatierte trotzdem und schmückte die Werbung mit einem riesigen “ZENSIERT”-Button. Zum aktuellen Fall – dem Verharmlosen von Rape Culture und dem Spott über alle, die das kritisieren – schreibt True Fruits auf Anfrage gegenüber VICE: “Die Art, wie mit Kritik auf unseren Social-Media-Kanälen umgegangen wird, ist von uns so gewollt.” Das Unternehmen betont, es sei weder rassistisch noch sexistisch, vielmehr “ein Saftladen mit 31 Leuten”. Und bezüglich der Kritiker schreibt True Fruits weiter: “Wenn diese Gruppe nun meint, auf die Barrikaden klettern zu müssen und einen Shitstorm anzufachen, bitte: Wir senden ihnen ein kräftiges ‘Fuck you’, denn Intelligenz lässt sich nun mal schwer versenden.” Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.
Niclas Seydack
[ "Diskrimierung", "marketing", "Rape Culture", "Rassismus", "Sexismus", "sexistische Werbung", "smoothies", "True Fruits" ]
2019-02-14T10:59:18+00:00
2024-07-30T13:54:40+00:00
https://www.vice.com/de/article/7xn4pa/die-instagram-werbung-von-true-fruits-steht-fur-alles-was-man-auf-social-media-falsch-machen-kann
Offener Brief: &#8220;Was wollt ihr mit euren Organen, wenn ihr tot seid?&#8221;
Ich hatte ein “normales” Leben, bis ich circa 13 Jahre alt war. Na ja, was heißt normal. Meine Eltern waren von Anfang an sehr offen zu mir. Als ich ein Kind war, sagten sie mir: “Pass auf, Josi, du musst Tabletten nehmen und öfter ins Krankenhaus, weil du eine Krankheit hast.” Ich bin mit meinen Geschwistern aufgewachsen und konnte alles machen, was mein zwei Jahre jüngerer Bruder auch machen konnte. Ich konnte rennen, Fahrrad fahren, schwimmen. Ich habe damals bei Wettkämpfen im Schwimmen erfolgreich teilgenommen. Von meiner Oma und meinem Papa wurde ich viel in Watte gepackt, hatte früh ein Handy und musste mich ständig melden, wenn ich unterwegs war. Ich durfte nie zum See Schwimmen gehen, aber habe es trotzdem gemacht. Ich war feiern, habe Freunde getroffen. Meine Familie hat mich nicht unbedingt als Kranke behandelt, aber sie wollten besonders viel Acht auf mich geben. Nach meinem Empfinden haben sie mich zu stark umsorgt. Ich habe mich ja nie richtig krank gefühlt. Bis zum letzten Jahr, als sich alles verändert hat: Seit November 2017 stehe ich auf der Warteliste für eine Spenderlunge. In mir bildet sich zäher Schleim, der meine Organe verstopft Ich habe Mukoviszidose, das ist eine angeborene Stoffwechselerkrankung, die dadurch entsteht, dass ein Gen beider Elternteile defekt ist. Dieser Gendefekt wurde mir vererbt. Meinen Eltern ist aufgefallen, dass ich ständig verschleimt und verschnupft war und angeblich dauernd eine Bronchitis hatte. Ich hatte immer mehr Hunger, aber konnte Essen schwer verdauen. Ich wurde ständig zum Kinderarzt geschickt, bis dann im Mai 1999 die Erbkrankheit Mukoviszidose bei mir entdeckt wurde. Da war ich ein halbes Jahr alt, ein Baby. Ich bin mit der Krankheit aufgewachsen. Ich wusste, in mir bildet sich zäher Schleim, der meine Organe verstopft. Die Krankheit ist selten, in Deutschland kommen pro Jahr nur etwa 200 Kinder damit auf die Welt. Ich musste viel inhalieren und bei der Physiotherapie lernen, wie man richtig tief einatmet, um den Schleim auszuhusten. In meiner Kindheit und Jugend war ich häufig und oft länger in der Klinik in Hannover, meiner Heimat. Bis sich meine Eltern trennten und ich mit meiner Mutter nach Berlin gegangen bin. Hier kam ich 2015 das erste Mal länger in die Klinik. Und seit August dieses Jahres wohne ich hier auf der Station. Ich war acht Jahre alt, als ich das erste Mal von einer Organspende gehört habe. Ich habe mich gefragt, was das ist, und angefangen, Fragen zu stellen. Mir war durch meine Krankheit von Anfang an klar, dass ich irgendwann darauf angewiesen sein könnte. Das fühlte sich komisch an. Ich habe lange darüber nachgedacht, ob ich wirklich ein fremdes Organ annehmen kann. Durch das Leben in der Klinik habe ich andere Muko-Patienten kennengelernt und es sind enge Freundschaften entstanden. Mit meiner besten Freundin habe ich länger ein Zimmer auf der Station geteilt. Sie hat bereits eine erfolgreiche Transplantation hinter sich und geht wieder zur Schule. Ich kenne noch andere, die gelistet und dann transplantiert wurden und denen es besser geht. Das hat mir Mut gemacht und meine Entscheidung bestärkt, ein Organ anzunehmen. In der Berliner Klinik habe ich einen Jungen kennengelernt, der auch Mukoviszidose hatte und mein bester Freund wurde. Er war bereits für eine Spenderlunge gelistet. Vor drei Jahren hatte er seine Transplantation. Es wäre auch alles super gelaufen, aber dann hat sein Körper das Organ abgestoßen. Nach der OP lag er im Wachkoma und meine Eltern meinten, ich solle mich langsam von ihm verabschieden. Ich bin irgendwann nicht mehr hingegangen, um nach ihm zu sehen, habe seine Eltern nicht mehr gefragt, wie es ihm geht und mich von ihm distanziert. Er ist zwei Monate später gestorben. Ich hatte Schuldgefühle, aber die Ärzte haben lange mit mir gesprochen, dass sie ihn nicht mehr retten konnten und es nichts mit mir zu tun hatte. Alle meine Freunde haben mittlerweile einen Organspendeausweis. Klar, auch durch mich. Viele junge Leute glauben leider, sie kommen gar nicht als Spender in Frage. Aber ihr habt ein Auto, fahrt mit dem Motorrad oder Fahrrad. Ihr seid gesund, ihr macht Fehler und genau dann passiert euch was. Und das sind die Fälle, wo die perfekten Organe herkommen. Es sind nicht die alten Menschen, die im Krankenhaus sterben. Bei denen wird meist gar nichts entnommen, auch wenn viele das denken. Wenn ich nicht Mukoviszidose hätte, wäre ich trotzdem Organspenderin. Ich habe sogar jetzt als Muko-Patientin einen Spenderausweis. Ich kann vielleicht keine inneren Organe spenden, aber meine Haut oder die Augenhornhaut. Und das kann auch helfen. Da ich nur 1,55m groß bin, brauche ich eine Kinderlunge. Aber Kinderlungen gehen meist zuerst an Kinder, da diese automatisch immer HU-Patienten sind, das bedeutet sie sind “High Urgent” und stehen dadurch höher in der Liste. Oder ich brauche eine Lunge von einem Mann oder einer Frau, die ähnlich gebaut sind wie ich. Das schränkt die Auswahl ein, deshalb ist es wichtig, dass es viele potentielle Spender gibt. Die Ärzte stellen in letzter Minute fest, dass ich meine Periode habe. Der Eingriff ist zu gefährlich, ich könnte auf dem OP-Tisch verbluten. Momentan bin ich in der Klinik und warte. Ich werde um acht Uhr morgens geweckt und habe Physiotherapie. Ich lerne, richtig zu husten und zu atmen. Dann komme ich zurück in mein Zimmer und frühstücke vorm Fernseher. Alle vier Stunden kommen Pflegerinnen und Pfleger rein und schauen nach mir, auch nachts, wenn ich schlafe. Ich bekomme dreimal täglich vier Spritzen mit Medikamenten, um die Keime in meiner Lunge zu töten. Abends kommt dann Besuch, mein Freund schläft, so oft es geht, hier bei mir auf einem Zustellbett. Ihn habe ich über die Datingapp Lovoo kennengelernt. Vor guten drei Monaten war meine beste Freundin noch mit auf der Station und wir haben uns aus Spaß diese App heruntergeladen. Steven wurde mir angezeigt, weil er in meiner Nähe war, und ich musste ihn anschreiben. Wir waren uns direkt sympathisch und haben Nummern ausgetauscht. Ich hatte sowas vorher nie benutzt und es fühlte sich komisch an, einem Fremden meine Nummer zu geben. Ich wollte von Anfang an ehrlich sein. Bevor wir uns das erste Mal getroffen haben, habe ich ihm geschrieben, das ich im Krankenhaus bin. Er fragte warum und ich schrieb ihm, dass ich eine Krankheit habe, auf eine neue Lunge warte und dass er sich nicht so viel Hoffnungen machen soll, dass ich schnell wieder gesund werde. Steven antwortete mir, er hätte sich bereits in mich verguckt und wolle mir zur Seite stehen. Wir haben uns draußen auf dem Klinikgelände getroffen, an seinem Geburtstag, und er meinte das schönste Geschenk an diesem Tag sei die Begegnung mit mir gewesen. Abends haben wir nochmal telefoniert und er meinte, er möchte mich trotz meiner Krankheit haben. Mich hatte es vorher schon komplett erwischt und seitdem sind wir zusammen und sehen uns fast jeden Tag. Wir kochen ab und zu in der Patientenküche zusammen und er ist für mich da, das macht mich glücklich. Er war auch da, als ich den ersten Anruf bekommen habe vor ein paar Wochen. Mein Handy klingelte uns beide spät abends aus dem Schlaf. Am Telefon wurde mir gesagt, es gäbe eine passende Lunge für mich. Ich schickte meinen Freund auf die Station, er sollte den Arzt holen. Dann rief ich meine Eltern an: Es geht los. Mein Freund verdrückte ein paar Freudentränen, während ich noch nicht richtig wach war und mir klar wurde, was passiert. Ich wurde komplett gewaschen und desinfiziert. Dann lag ich auf der Liege vorm Operationssaal in der Berliner Charité. Doch die Ärzte stellten in letzter Minute fest, dass ich meine Periode hatte. Der Eingriff war zu gefährlich, ich hätte auf dem OP-Tisch verbluten können. Die Lunge ging an jemand anderen und ich kam gegen halb vier Uhr morgens zurück in mein Zimmer. Ich habe erstmal wieder geschlafen, weil ich so müde war. Am Morgen danach dachte ich mir dann: Scheiße. Es ist manchmal scheiße, eine Frau zu sein. Ich wusste, dass es mit Fieber und einer Erkältung nichts mit einer Transplantation wird. Die Regelblutung war mir so nicht bewusst, sonst hätte ich es gleich gesagt und mich auch nicht gefreut. Ich wurde von anderen angesprochen, auch die Klinik-Psychologen wussten Bescheid. Vor meiner Mama und meinem Freund war ich stark, aber als ich ganz allein war, habe ich ein paar Tränen vergossen. Ich freue mich einerseits, weil mein Körper irgendwie noch gesund ist und wirklich nur die Lunge nicht funktioniert, aber auf der anderen Seite kommt dann doch etwas Traurigkeit, dass es nur wegen meiner Periode nicht geklappt hat. Aber hey, ich hoffe und warte weiter. Kein Arzt schaut als Erstes in euer Portemonnaie, sondern versucht, euer Leben zu retten. Selbst ich weiß noch nicht alles über Organspende. Aber viele junge Leute sind echt schlecht informiert. Bei mir in der Schule wurde gar nicht darüber gesprochen. Ich habe meine Klassenkameraden selbst aufgeklärt, weil mich die anderen gefragt haben, warum ich Sauerstoff habe und immer so huste. Ab der Pubertät sollte man auch schon an den Schulen besser informieren und sagen: Ihr seid Organspender. Ihr müsst keine Angst davor haben. Und ja, ihr müsst besser aufgeklärt werden. Es kursieren komische Sachen, die Angst machen. In einer aktuellen Befragung von Appinio gaben 70% an, keinen Organspendeausweis zu besitzen. Als Hauptgrund nennen die 16- bis 35-Jährigen die Angst, im Notfall nicht richtig versorgt zu werden. Diese Angst müsst ihr nicht haben. Ärzte leisten einen Schwur, die müssen helfen. Sonst wird ein Verfahren gegen sie eingeleitet, das bleibt nicht unentdeckt, weil ein Arzt immer einen Leichenschauschein ausstellen muss und der Arzt in der Regel nicht alleine an einem Unfallort ist und euch mit Absicht liegen lässt. Man muss für hirntot erklärt sein, bevor mehrere Ärzte die Organspende prüfen und genehmigen. Man ist “lange” tot, bevor überhaupt Organe entnommen werden. Niemand lässt einen zu früh sterben, die wissen ja nicht mal, ob man überhaupt in Frage kommt. Kein Arzt schaut als Erstes in euer Portemonnaie, sondern versucht, euer Leben zu retten. Die Krankenhäuser handeln auch nicht mit den Organen. Es kostet ein Krankenhaus mehr, ein Organ zu entnehmen, als Leben zu retten. Ja, es gab Skandale, aber seitdem sind verschärfte Gesetze in Kraft getreten. Alle Organe werden über die Stiftung Eurotransplant zentral vergeben. Meine Spenderlunge kann zum Beispiel aus Bulgarien oder den Niederlanden kommen. Es geht hier nicht um Geldmacherei, sondern um Menschlichkeit. Mittlerweile trage ich meinen Sauerstoffschlauch 24 Stunden, jeden Tag. Früher wollte ich damit nicht rausgehen, falls mich jemand sieht und die Leute gaffen. Ich könnte ohne überleben, aber irgendwann hätte meine Lunge nicht genug Sauerstoff und ich würde zusammenbrechen. Ausprobieren möchte ich das nicht. Ich hatte immer Angst, dass mich alle angucken und blöde Fragen stellen. Ich hab einmal aus Solidarität den Schlauch mit meiner besten Freundin mitgetragen, als ich es noch nicht musste, damit sie sich wohler fühlt. Und dann wurden wir dumm angemacht von Leuten auf der Straße: “Äh raucht ihr schon? Habt ihr eure Lungen kaputt gemacht?!” Jetzt habe ich mich dran gewöhnt, aber damals habe ich die Anfeindungen nicht verstanden. Niemand kann etwas dafür, wenn er krank ist. Hier im Krankenhaus habe ich einen langen Schlauch und kann mich im Zimmer bewegen. Wenn ich rausgehe, dann habe ich eine mobile Sauerstoffflasche und trage meist zusätzlich noch einen Mundschutz, um mich nicht mit Viren oder Bakterien anzustecken. Oft ist auch ein Rollstuhl dabei, damit die Belastung für mich nicht so groß ist. Wenn der Tod heute kommt, ist das halt so. Ich habe mein Leben in dem Sinne gelebt. Meine Familie und meine Freunde behandeln mich alle ganz normal. Sie sind genauso wie ich mit meiner Krankheit aufgewachsen. Mein kleiner Bruder ist jetzt in der ersten Klasse und weiß schon, was er werden möchte: Schleimarzt für seine Josi. Er versteht, was Mukoviszidose ist und möchte Medizin studieren, um Lungen zu züchten. Das ist sehr niedlich, auch wenn das leider noch nicht geht. Meine größte Angst ist, meine Familie zu verlieren. Nichts, was mit meiner Krankheit zu tun hat. Ich habe bereits über den Tod nachgedacht, aber fürchte mich davor nicht. Als mein Opa gestorben ist, war ich 13 Jahre alt. Da habe ich gedacht: Was würde passieren, wenn ich einfach weg bin? Wie viele würden um mich trauern? Aber sonst habe ich mir nie mehr Gedanken darum gemacht. Meine Familie ist evangelisch und glaubt an Engel. Und jeder, der stirbt, ist ein Engel für die Familie. Und wenn ich sterbe, bin ich als Engel noch für sie da. Das gibt mir ein gutes Gefühl. Ich war noch nie super down und habe nächtelang geweint. Ich habe mich an meine Krankheit gewöhnt. Ich lebe jeden Tag so, dass ich mir sagen kann: OK, wenn der Tod heute kommt, ist das halt so. Ich habe mein Leben in dem Sinne gelebt. Ich bin der Meinung, jeder sollte Organspender sein. Es gibt fast 10.000 Menschen wie mich, die jeden Tag hoffen und warten. Wenn man gestorben ist, frage ich mich: Was wollt ihr mit euren Organen, wenn ihr tot seid? Man braucht sie nicht mehr. Andere Menschen könnten dadurch aber überleben. Du bist ja auch ohne deine Organe noch ein Mensch, selbst wenn du gestorben bist. Und du bist auch nicht entstellt nach einer Entnahme, das bist du ja nach einer normalen Operation auch nicht. Ich kann es trotzdem akzeptieren, wenn jemand keine Organe spenden möchte. Wenn du keine Organe spenden willst, dann geh los, hol dir die Plastikkarte und kreuz halt “Nein” an. Aber mach es, weil es eine bewusste persönliche Entscheidung ist und du nicht aufgrund von unbegründeten Ängsten vor dem Ausweis zurückschreckst. Ich mache jetzt erstmal die ganze Transplantations-Geschichte. Dann möchte ich gern meine Schule fertig machen, die ich seit meinen langen Klinikaufenthalten nicht mehr besuchen kann. Ich würde gern Abi machen und eventuell etwas mit Kunst studieren. Irgendwann möchte ich groß heiraten, vielleicht ein Haus bauen, Hunde haben. Und eventuell irgendwann Kinder bekommen, das weiß ich noch nicht. Klar, da ist eine kleine Angst, dass mein Kind auch Mukoviszidose bekommen könnte, aber ich würde das akzeptieren und mein Kind genauso unterstützen, wie ich auch unterstützt worden bin. Einen Organspendeausweis bekommt ihr zum Beispiel bei eurer Krankenkasse oder ihr könnt euch unter www.organspende-info.de einen Ausweis nach Hause bestellen. Dort erfahrt ihr auch mehr zum Thema Organspende und alles rund um den Ausweis. Folge Laura auf Twitter und VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.
Josephine
[ "Features", "Krankenhaus", "Mukoviszidose", "Organe", "Organspende" ]
2018-10-09T04:00:00+00:00
2024-07-30T18:56:01+00:00
https://www.vice.com/de/article/qv9xzm/offener-brief-was-wollt-ihr-mit-euren-organen-wenn-ihr-tot-seid
Diese beiden Securitys sind die geilsten des Festival-Sommers
Für gewöhnlich stehen Securitys auf Festivals recht grimmig vor den Absperrzäunen, während das Publikum ausgelassen feiert. Es ist einerseits bestimmt auch nicht einfach, seinen Job dort zu machen, wo andere eskalieren. Andererseits haben sie aber die wichtige Aufgabe, dafür zu sorgen, dass nichts Schlimmes passiert. Zwei Sicherheitsleute aus Großbritannien haben nun aber gezeigt, dass hin und wieder trotzdem noch Zeit und Raum für Spaß ist. Auf dem South West Four Festival am vergangenen Wochenende legten sie eine ansehnliche Tanzeinlage hin. Unterstützt wurden sie dabei von Bradley Gunn Raver, einem Engländer, der regelmäßig Videos von seinen Dance-Einlagen auf diversen Festivals macht. Der Tanz seiner Wahl ist immer das beliebte Techno-Workout, passend zu seinen Klamotten. Die beiden Securitys haben hingegen einen ganz eigenen Stil, besonders der sympathische Kerl links: Den Namen des DJs konnten wir bisher noch nicht rausfinden, weil das Londoner Festival keine Time Table veröffentlicht hat. Dafür können wir dir aber den Namen des Tracks verraten. Viel Spaß beim Nachtanzen! ** Folge THUMP auf Twitter, Instagram und unserer neuen Facebook-Seite.
Philipp Kutter
[ "Festival", "raven", "security", "Sommer", "Thump" ]
Tech
2016-08-31T14:31:52+00:00
2024-07-30T23:25:46+00:00
https://www.vice.com/de/article/diese-beiden-securitys-sind-die-geilsten-des-festival-sommers-2/
So gehen Frauen mit Trennungen um
Vor kurzem haben wir nach gefühlten Jahrhunderten des Grübelns endlich erfahren, was nach einer Trennung in so manchen Männern vorgeht. Sie leiden zwar, tun sich aber allen gängigen Klischees entsprechend sehr schwer dabei, über ihre Gefühle zu reden und sich bewusst mit ihren Problemen auseinander zu setzen. Stattdessen setzen sie auf die altbewährte Strategie der Verdrängung und suchen sich ihren Trost in Alkohol und fremden Vaginas. Sie verstecken sich hinter dem, was sie selbst wohl als Männlichkeit bezeichnen würden: Männer reden nicht, Männer heulen nicht und sie geben auch nicht zu, wenn es ihnen schlecht geht. Für viele Männer bedeuten Gefühle anscheinend immer noch Schwäche. Bei Frauen lassen sich in dieser Hinsicht etwas andere Muster erkennen—zumindest bei denen, die ich kenne. Nach jeder Trennung, die meine Freundinnen und ich durchgemacht haben, haben wir so ziemlich das Gegenteil von dem getan, womit Männer angeblich ihren Trennungsschmerz überwinden. Wir zerreden und zerdenken unsere Probleme und teilen uns untereinander jeden noch so schwachsinnigen Gedanken mit, der uns durch den Kopf geht. Sätze wie „Er hat mein Profilbild geliket. Mag er mich doch noch?”, „Ich brauche diesen Scheißtypen sowieso nicht!” und penible Analysen des Beziehungsverlaufes helfen mir jedoch, meinen Blick doch noch ein bisschen zu klären. Oder zumindest habe ich irgendwann einfach so lange über ein Thema geredet, bis ich es selbst nicht mehr hören kann. Generell neigen meine Freundinnen und ich dazu, unsere Beziehungs-Fails (manchmal ein bisschen zu) ausgiebig zu diskutieren. Wir versichern uns gegenseitig, dass der betreffende Typ sowieso das Letzte ist und es eigentlich schon immer war, um uns gegenseitig aufzubauen (und kurz danach wieder von vorne und mit „Anfangs war er so lieb” zu beginnen). Wir laufen also nicht vor unseren Problemen weg, wie es der eine oder andere Mann macht, wenn sein Herz kaputt ist. Stattdessen suchen wir so lange nach einer Erklärung für unseren Misserfolg, bis wir eine gefunden haben. Egal, welcher Typ einen abserviert—nachdem man tagelang über das eigene und das Leben des ehemals Angebeteten sinniert hat, gibt es für alles eine plausible Erklärung. Mutterkomplex, Bindungsängste, wahlweise zu kleines oder zu großes Ego, zu viel Koks, zu wenig Einfühlungsvermögen oder einfach nur Dummheit: Irgendwas passt immer (nicht). Und bevor jetzt jemand schreit, dass wir Frauen manchmal auch selbst Schuld an Trennungen sind: Ohne Zweifel. Um ein Problem zu überwinden, ist es jedoch meist einfacher, die Schuld bei jemand anderem zu suchen, als sich einzugestehen, dass man selbst vielleicht doch nicht so toll ist wie man gern wäre. Das ist zwar ein bisschen traurig, aber auch wahr. Und mir geht es hier immerhin nicht darum, wie es sein sollte, sondern wie es in meinem Freundeskreis tatsächlich ist. Wir bereden unsere privaten Probleme, fragen unsere engsten Freundinnen um Rat und ja, wir essen auch manchmal Eis aus Familienpackungen, so wie es uns seit Anbeginn der Rom-Coms von allen verlassenen Frauen vorgemacht wird. Und um ganz ehrlich zu sein: Es funktioniert. Diskussionen schaffen neue Blickwinkel und Erleichterung—zwei wichtige Aspekte, wenn es darum geht, eine Enttäuschung zu überwinden. Damit wir uns richtig verstehen: Klar ist dieses Verhalten abgedroschen und übertrieben. Aber das Ganze hat einen klaren Vorteil: Die „Flucht” in Klischees gibt Rückhalt in Situationen, wo man ihn in sich selber vielleicht nicht findet und ist einfacher, als sich mit dem immer komplexen eigenen Einzelfall zu beschäftigen. Wir geben uns dem Leid hin und sagen Dinge wie „Vielleicht war er mein Mr. Big”, während wir alle Staffeln Sex and the City rituell noch mal schauen und erneut ein bisschen weinen. Aber eigentlich ist auch gar nichts schlimm daran. Solange ich es immer wieder schaffe, von selbst aus dem Bridget Jones’schen Selbstmitleid auszubrechen, besteht noch kein Grund zur Sorge. Verena redet auch auf Twitter gerne über Herzschmerz: @verenabgnr Titelbild: Holly Lay via flickr
Verena Bogner
[ "Frauen", "Liebe", "Meinung", "schmerz", "Stuff", "Trennungen", "Vice Blog", "Views My Own" ]
2016-01-08T06:00:00+00:00
2024-07-30T21:44:23+00:00
https://www.vice.com/de/article/so-gehen-frauen-mit-trennungen-um-920/
Der reale Horror einer Schlafparalyse
Es beginnt damit, dass du dich nicht bewegen kannst. Es fühlt sich an, als ob du aufwachen würdest, aber deine Arme, deine Beine, dein Kopf und deine Zunge sind wie festgefroren. Du willst um Hilfe schreien, aber du kannst nicht. Dein Körper gehorcht dir nicht mehr. Du bist gelähmt. Während du so daliegst, beginnt deine Atmung, schneller zu werden, dein Herz fängt an zu rasen und plötzlich siehst du sie: eine schemenhafte Figur in deinem Zimmer, die immer näher kommt. Vielleicht ist es ein Mann in einem dunklen Mantel. Vielleicht ist es eine alte Frau, ausgezerrt und hexengleich. Wie auch immer, etwas Unheimliches geht hier vor und du liegst in deinem Bett und kannst nichts machen. Dieser Horror, den manche Menschen im echten Leben durchmachen, ist auch bekannt als Schlafparalyse: ein Zustand, halb träumend halb wachend, in dem der Körper bewegungsunfähig ist, während man alptraumhafte Schreckensvisionen durchlebt. Manchen Schätzungen zufolge sind ungefähr 6 Prozent der Gesamtbevölkerung davon betroffen und viele davon haben keine Ahnung, was ihnen widerfahren ist. War es nur ein Traum? War es real? War es eine übernatürliche Begegnung? Wird es wieder passieren? Mehr Schlaf: Ich hab mich auf die Suche nach luziden Träumen begeben. Nachdem der Filmemacher Rodney Ascher (bekannt für seinen Film Room 237) eine solche Erfahrung erlebt hatte, begann er, andere Menschen zu suchen, denen das gleiche widerfahren war. Er fand schließlich eine ganze Community, in der es von ganz eigenen mythologischen und philosophischen Erklärungen zur Schlafparalyse nur so wimmelte. In seinem neuen Film The Nightmare, der sich auf dem schmalen Grat zwischen Dokumentation und Horrorfilm bewegt, teilt Ascher die Geschichten von Leuten, die so eine Schlafparalyse erlebt haben und sich damit schwer tun, diese zu deuten. Ich habe Ascher angerufen, um mehr über den Film, seine eigenen Erfahrungen mit Schlafparalyse und den unscharfen Grenzen zwischen Realität und Imagination zu erfahren. VICE: Wie war dein erstes Schlafparalyse-Erlebnis? Rodney Ascher: Das erste Mal war vor mehr als 15 Jahren. Ich bin so gegen vier Uhr morgens aufgewacht und konnte mich nicht bewegen, konnte nicht sprechen. Ich wollte um Hilfe rufen—ich lebte damals in einer WG—, weil ich gelähmt war und langsam Panik bekam. Ich konnte nichts hören, aber ich spürte, dass da draußen vor dem Haus etwas war, das mich beobachtete oder auf mich zukam. Plötzlich stand da diese schwarze Silhouette eines dünnen Mannes in meinem Raum—seine Umrisse waren klar zu sehen—und er ging sehr langsam auf mich zu. Ich hatte eine Todesangst. Ich wusste nicht, ob es ein Geist, ein Dämon oder irgendetwas anderes war, aber ich spürte etwas sehr Böses—mir fällt gerade kein besseres Wort ein. Er kam sehr nah an mich heran, beugte sich über meinen Kopf und ich geriet in einen Dämmerzustand. Irgendwie schaffte ich es dann, mich langsam und mühsam aus dem Bett zu schälen—etwa so wie eine Fliege, die sich von einem Klebestreifen befreit. Danach brauchte ich erst mal eine Weile, um mich wieder zu beruhigen. Ich war fest davon überzeugt, dass mir etwas Übernatürliches passiert war—ich glaubte, dass ich vielleicht von einem Dämon besessen war, und es brauchte ziemlich lange, bis sich mir andere Erklärungsmöglichkeiten eröffneten. Und wie bist du dann zu diesen anderen Erklärungen gekommen? Nun ja, das passierte mir zu einer Zeit, als sich das Internet noch in seinem frühen Anfangsstadium befand, ich konnte also nicht so einfach recherchieren. Hätte ich die Möglichkeit gehabt, hätte ich wohl nicht nach einer Schlafstörung, sondern nach Geisterbegegnungen oder so gesucht—so hatte sich das für mich angefühlt. Als ich dann danach suchte, ob andere Menschen ähnliche Erfahrungen gemacht hatten, war ich schon verwundert, wie vielen so etwas widerfahren war. Manche dieser Erfahrungen waren noch bizarrer und angsteinflößender als meine eigene und ich war so fasziniert davon, dass ich der Sache weiter auf den Grund gehen wollte. Was passiert aus wissenschaftlicher Sicht während einer Schlafparalyse? Selbst die einfacheren Erklärungsmodelle werden ziemlich schnell ziemlich kompliziert. Das einfachste Modell geht davon aus, dass man in falscher Reihenfolge durch die REM-Phasen geht. Im Schlaf gehst du von REM 1 zu REM 2 und dann zurück von REM 2 zu REM 1, bevor du wieder aufwachst. Wenn du aber direkt aus REM 2—also der tiefsten Phase—zu Bewusstsein kommst, befindest du dich noch halb im Traum. Dein Körper wird im Schlaf normalerweise bewegungsunfähig gemacht, damit du dich in deinen Träumen nicht zu sehr bewegst. Das Gegenteil von Schlafparalyse ist meiner Meinung nach das Schlafwandeln—also wenn dein Körper in der Traumphase nicht runterfährt. Nichts davon erklärt aber, warum so viele verschiedene Menschen die gleichen Dinge sehen. Und wenn so viele Menschen die gleichen Dinge sehen, sollte es dann nicht auch eine einheitlichere Traumdeutung geben? Über das Phänomen der Sexsomnie: Schlafwandlerischen Sex Welche sind denn die gängigsten Figuren, die Menschen im Traum sehen? Der dreidimensionale Schattenmann ist wahrscheinlich die am weitesten verbreitete. Viele Menschen beschreiben eine ganz ähnliche Figur, aber mit einem Hut—sie nennen ihn den Hut-Mann. Es gibt noch einen weiteren Hut-Mann, der irgendwie mit UFO-Geschichten zu tun hat, wie genau habe ich aber noch nicht verstanden. Menschen berichten auch von einer alten Hexe oder einem Mantelmann, der dem Sensenmann nicht unähnlich ist. Sonst gibt es auch noch schwarze Katzen, Spinnen … Und die gehören alle zur gängigen Mythologie in der Schlafparalyse-Gemeinschaft? Es ist schon ziemlich komisch, weil diese Berichte so ziemlich das Gegenteil von den UFO-Storys sind. Jeder weiß ungefähr, wie ein Alien aussieht: groß, dünn, schwarze Augen, kleiner Mund. Die Erfahrungen, die Menschen während einer Schlafparalyse machen, sind aber nicht so sehr in der amerikanischen Folklore verbreitet. Man erlebt es erst, sucht dann nach Erklärungen und merkt plötzlich, dass andere Menschen genau die gleichen Sachen gesehen haben. Das macht alles nur noch abstruser. Gibt es, da der ganze Horror einer Schlafparalyse im eigenen Kopf entsteht, eine Art sozialer Ansteckungsgefahr—also, dass man sich selbst mit den Mechanismen und der Mythologie beschäftigt und dadurch eher Gefahr läuft, selber so eine Erfahrung zu machen? Das wird tatsächlich von einigen Menschen vermutet. Es gibt dazu aber keine harten Zahlen. Deine Formulierung, dass es „im eigenen Kopf entsteht”, ist eine sehr rationale, säkulare und wissenschaftliche Sicht auf dieses Phänomen. Unter den Betroffenen herrscht dazu allerdings kein Konsens und dementsprechend ist es auch eine der Fragen, denen wir in dem Film nachgehen: Ist es etwas, das nur im eigenen Kopf entsteht? Ist es eine Projektion deines Innenlebens oder spürst du etwas, das es tatsächlich gibt, das aber normalerweise unsichtbar ist? Ist es vielleicht etwas Vererbtes, eine von unseren Vorfahren übernommene Sache wie die Jung-sche Idee vom Unbewussten? Ich wüsste nicht, was ich davon unheimlicher finden würde. Das alles klingt furchtbar, aber gibt es auch Menschen, die eine Schlafparalyse ohne Angst durchleben? Es gibt eine ganze Menge Menschen, die ihren Frieden damit geschlossen haben. Sie sehen es als Tor zu luziden Träumen und außerkörperlichen Erfahrungen. In einer Online-Diskussion schrieb einer: „Wenn du doch einfach entspannst und keine Angst hast, dann kann dieser Schattenmensch zu deinem Lotsen werden.” Darauf antworteten aber andere sofort: „Bist du verrückt? Das sind Dämonen! Du heißt sie in deinem Zimmer willkommen wie ein Feuer in deinem Haus.” Meine letzte Schlafparalyse hatte ich während der Arbeit an diesem Film und ich dachte mir nur, „Oh! Schlafparalyse! Es passiert gerade.” Ich versuchte also, mich zu entspannen und dem Geschehen aufmerksam zu folgen. Ich hatte keine Angst, es war mehr wie eine abgefahrene Lichtshow.
Arielle Pardes
[ "Aberglaube", "Albtraum", "Alptraum", "Dokumentation", "Film", "folklore", "Geist", "Geister", "Gesundheit", "Hexen", "HORROR", "Lähmung", "REM", "Schlaf", "Schlafparalyse", "Schwarze Katze", "Übernatürliches", "Vice Blog" ]
Popkultur
2015-05-29T04:19:00+00:00
2024-07-31T00:48:14+00:00
https://www.vice.com/de/article/4wp7g3/der-reale-horror-einer-schlafparalyse-125
So feiert Dublin die 48 Stunden legales Ecstasy
Anmerkung der Redakteurin: Viele der Menschen, die wir fotografiert haben, zeigten uns ihre schönste Gesichtskirmes, weil sie bei einer „Loophole Pop-Up Party” zur Ecstasy-Legalisierung waren. Ob diese Personen jetzt tatsächlich high waren oder nicht, wissen wir nicht.Ich habe gerade eine Menge neue Freunde gewonnen. Wir befinden uns in einem Keller im Herzen Dublins, in einer recht anständigen Bar namens Turk’s Head. Das ist die Art von Geschäft, die Zwei-für-10-Euro-Mojitos an Büroangestellte in schicken Hemden und Touristen, die es jenseits der Hauptstraßen von Temple Bar geschafft haben, serviert. Ein Ort für langweilige Tinder-Dates und die Art von gesitteten Abschiedspartys, bei denen Colleen aus der Buchhaltung einen Rosé zu viel trinkt und etwas Beleidigendes über Katholiken von sich gibt. Heute Abend herrscht hier aber ein fröhliches Gewusel, die Menschen umarmen mit großen, glänzenden Augen die Wände und einander. Kaum einer bemüht sich wirklich, die Schlüssel und kleinen Plastiksackerl zu verstecken, die hier rumgegeben werden. Auf der Treppe hat sich eine kleine Gemeinde zusammengefunden: gesprächige Mädchen, die sich eine Pause von der Tanzfläche gönnen, haben sich auf den unteren Stufen niedergelassen. Darüber sieht man Jungs in Zweiergrüppchen, die unsichtbare Kaugummis kauen, ihre Fäuste fest zusammenballen und sich gegenseitig anschreien. Viele, wenn nicht sogar die meisten, Menschen hier haben sich Pillen eingeworfen, denn für heute Nacht haben— durch eine günstige kosmische Fügung—die Götter und Enda Kenny sie legal gemacht. Am Dienstag erklärte das irische Berufungsgericht den Misuse of Drugs Act von 1977 für ungültig, nachdem festgestellt worden war, dass Gesetzesänderungen 1997 ohne Rücksprache mit dem Oireachtas, dem irischen Parlament, vollzogen worden waren. Dieses Malheur führte zu einer vorübergehenden Legalisierung von Ecstasy, Ketamin, Magic Mushrooms, Crystal Meth und einer komischen Droge namens „ Jeff“. Es wurden alle Hebel in Bewegung gesetzt, um die Gesetzeslücke wieder zu schließen, dementsprechend ist der Besitz ab Donnerstag um Mitternacht wieder illegal. Die Menschen hatten deswegen natürlich auch das Bedürfnis, den temporären Zustand zu feiern, bevor es wieder gesetzlich verboten ist, MDMA in der Öffentlichkeit zu nehmen. Wie es momentan aussieht, ist dieses Mal auch die einzige Gelegenheit für einen „Yokes Day” sein („Yokes” ist in Irland das verbreitetste Wort für Pillen), also musste dieser auch gebührend gefeiert werden. Es war also ganz praktisch, dass man die Betreiber des Turk’s Head davon überzeugen konnte, ihr Lokal für eine sogenannte Loophole Pop Up Party herzugeben. Zu der Facebook-Veranstaltung, die sich mit einem Bild des Taoiseach (irischer Premierminister) Enda Kenny schmückt, haben über tausend Menschen „zugesagt”. Offensichtlich sind eine ganze Menge Menschen sehr glücklich über diese einzigartige Gesetzeslücke. Als wir ankommen, ist der Keller schon voll mit verschwitzten, glasig dreinschauenden Schlachtenbummlern auf der Suche nach Wasser. Die Party geht bis auf die Straße und lauter Leute, die ich aus der Schule, von der Uni und über Twitter kenne, haben sich hier zusammengefunden, um sich gemeinsam den synthetischen Freuden hinzugeben. Da das hier Dublin ist, kennt natürlich jeder jeden und gerade heute ist man besonders kontaktfreudig. Man kommt kaum die Treppen runter, ohne von Umarmungen niedergerissen zu werden. Die komisch aussehenden Typen, die in den dunklen Ecken des Clubs Teile verkaufen, sehen heute noch komischer aus. Sie lächeln durch ihre fest zusammengepressten Zähne und unter ihren Fischerhüten schauen halboffene Augen hervor. Ihre Anwesenheit lässt noch mehr den Eindruck entstehen, dass wir hier einem von Liebe erfüllten Acid-House-Paralleluniversum gelandet sind—einer Hommage an eine Zeit, während der wir zu jung waren, um irgendwas davon mitbekommen zu haben. #Yokes und #Yokegate waren in Irland in den vergangenen Tagen Twitter-Trends. Die Story hat die nationalen und internationalen Medien erobert, und gestern Abend war Blind Boy von den Rubberbandits bei Newstalk 106, einem Radiosender, wo er seinen Status als nationales Kulturgut damit zementierte, dass er ernsthaft übers Pillenschmeißen sprach und auf das Verbot als eine kurzsichtige „Schwarzweißlösung” für das komplexere Problem der Sucht aufmerksam machte. Auch wenn Blind Boy für seine Blödelei bekannt ist, wo er recht hat, hat er recht. Heute wie früher gibt es in Irland die Tendenz, Selbstzerstörung als einen Akt der Kreativität zu feiern. Dubliner sind stolz darauf, aus einer „ Dirty Old Town” zu kommen, wo es ein integraler Bestandteil unserer Prägejahre ist, zu „Sessions” zu gehen, und wo Alkohol– und Drogensucht viele Familien zerstört. Und die Regierung scheint sich nie darauf einzustellen. Eine Randbemerkung zur Schlupfloch-Story, die viele Menschen in Irland vermutlich schockieren würde: In den letzten Monaten ist Crystal Meth auf unseren Straßen zu einem ernstzunehmenden und wachsenden Problem geworden. Viele der Partybesucher sind, wie ich, erst in ihren späten Teenagerjahren oder Anfang bis Mitte Zwanzig, und doch hat Irland selbst während ihrer kurzen Lebensspanne in der Drogenpolitik einige drastische Kehrtwendungen gemacht. Wir hatten „legale” Magic Mushrooms und Pillen, die in Headshops verkauft wurden, den Mephedron-Boom und das anschließende Verbot im Sommer 2010, und jetzt diese bizarre Lage. „Ich erinnere mich noch an die Headshops”, sagt mir ein Freund früher am Tag. „Ich hab mein Praktikum für die Schule in einem gemacht. Die Kunden waren ganz normale Leute. Wir haben jeden Tag Spice Gold geraucht. Es war echt räudig.” Die Gastgeber der Party sind eine Crew von sehnigen Jungs mit Skateboards und Mädchen, die zur Feier des Tages ihr Haar geglättet und sich in High Heels und kurzen Kleidchen rausgeputzt haben. Ich frage einen, der wirkt, als sei er der Anführer, was er von dem glücklichen Versehen der Regierung hält. „Ich will nicht in zehn Jahren zurückblicken und denken: ‚Ach, an dem Tag? Da war ich am nächsten Morgen pünktlich im Büro”, sagt er. „Jeder kann selbst entscheiden, ob er Drogen nimmt, und ich will helfen, diese Entscheidung zu ermöglichen.” Er schickt uns zu einem Freund, der uns drei gelbe Affen anbietet. „Ich finde, Pillen sollten illegal sein, damit keine Loser sie nehmen”, meint jemand lachend zu mir draußen vor dem Eingang. Ein Security mit einer Taschenlampe geht die Treppe runter. Ich frage mich, was er wohl sucht. Drogen, auf die das gesetzliche Schlupfloch nicht zutrifft? Ist er in der Lage, bei schummriger, unterirdischer Beleuchtung den Unterschied zwischen Ketamin und Koks zu erkennen wie so eine Art menschliches Erowid? Ein Packerl mit der letzteren Substanz macht gerade die Runde. Luke, ein Freund von mir, meint: „Das führt einem vor Augen, wie fadenscheinig diese Gesetze eigentlich sind.” Er hat schon recht: Wir sind es gewöhnt, von der Regierung mit Ausreden für ihre Untätigkeit abgespeist zu werden. Abtreibungsgesetze, Homo-Ehe, all diese Dinge, für die es anscheinend einen Bürgerentscheid braucht, um sicherzugehen, dass das irische Volk sich auch wirklich, wirklich sicher ist, dass es sie will. Pillen dagegen werden in einem Tag wieder illegal sein, und niemand hat uns je um unsere Meinung zu dem Thema gebeten. Die Veranstalter der Loophole-Party haben versprochen, einen Euro von jedem Eintritt an eine wohltätige Organisation für Obdachlose zu spenden, was unser warmes, wohliges Gefühl noch verstärkt. Und es wird sehr wohlig: Draußen stimmen ein paar raubeinige Seelen „ On Raglan Road” an, ein Lied, das alte irische Männer nach dem Konsum von genug Whiskey zu singen pflegen. Glänzende Mädchen aus wohlhabenden Vierteln schwanken auf Absätzen, die im Kopfsteinpflaster hängenbleiben, und hören den Männern zu, und irgendwie verstehen sich diese beiden völlig unterschiedlichen Gruppen. Sie tanzen zusammen, auf wackligen Mr.-Fantastic-Beinen, oder sitzen auf dem Boden und halten sich gegenseitig in den Armen. So nahe wie hier sind wir sonst nie an einem alternativen Irland, einem Irland, in dem Drogen—die meisten zumindest—legal sind. Eine Welt, in der wir, Dublins junge, zermürbte, perspektivlose Dauerpraktikanten und Arbeitslosengeld-Empfänger, die Illusion der Hoffnung chemisch stärken können. Alle hier halten sich das wirkliche Leben entweder mit einem Studium vom Leib oder sind bereits da draußen im Überlebenskampf. Das hier ist unsere Rückkehr in den mit Stroboskopen ausgestatteten Mutterleib. Ich unterhalte mich auf der Toilette mit einem Mädchen, das vor zwei Monaten anfing, Pillen zu nehmen, und das jetzt jeden Monat drei Wochen konsumiert, wobei sie meistens bei den blauen Geistern bleibt (die Pillen, die von den Medien als tödlich bezeichnet wurden, die aber trotzdem am Ende alle nahmen). Sie hat das Gefühl, inzwischen eine Resistenz aufzubauen, aber ist sich nicht sicher, ob sie jetzt zur doppelten Dosis übergehen will. Ich lerne auch ihre Freundin Sinead kennen, die gerade aus ihrer Wahlheimat Toronto zu Besuch ist. Sie ist nur eine Woche hier und die Pillen beschleunigen den Aufbau der emotionalen Bindung zu den Freunden, die sie in Dublin zurückgelassen hat. Sie scheint sich zu schämen und erwähnt, dass sie jetzt Vollzeit arbeitet und keine Drogen mehr nimmt, seit sie nicht mehr in Dublin lebt. Sie murmelt „Ich bin normalerweise nicht so total durch” und steuert auf den Ausgang zu. Es wird langsam spät, und ein wenig unangenehm. Irgendein Nachwuchs-Verschwörungstheoretiker behauptet, die Wassersteuer hätte etwas mit dem Schlupfloch zu tun und sie würden uns dazu bringen wollen, mehr Geld für Wasser auszugeben. Ein anderer Typ zählt die Probleme mit früheren „legalen Drogen” auf und beschwert sich, Mephedron habe ihn „total zerstört”. Seine Freunde weisen ihn darauf hin, dass Trinken ähnlichen Schaden verursacht: „Letzte Woche hab ich mich mit einem anderen Kerl geschlagen, weil ich betrunken war. Danach hab ich mich nur noch scheiße gefühlt.” Sie sind vielleicht nicht das Beste für dein Herz oder deinen allgemeinen Gesundheitszustand, aber wenigstens sind Pillen in der Lage, sensible Kerle zu erschaffen. Der Typ, der sich nach der Schlägerei scheiße gefühlt hatte, leiht sich meinen Notizblock und fängt an, einen detailreichen Totenschädel mit Iro zu zeichnen. Ich frage den Promoter des Clubs, der um 3 Uhr noch erschreckend frisch aussieht, warum er es auf sich genommen habe, diese von der Regierung tolerierte Pillenparty zu veranstalten. „Wir fanden, dass alle mal daran erinnert werden müssen, dass alles in Ordnung kommt.”
Roisin Kiberd and Roisin Kiberd, Fotos von Sarah Elizabeth Meyler
[ "90er", "Drogen", "Dublin", "ecstasy", "Irland", "Kiefer", "Mephedron", "News", "Nordirland", "Party", "pillen", "Teile", "uk", "Vice Blog", "yokes" ]
2015-03-12T15:39:00+00:00
2024-07-31T00:47:22+00:00
https://www.vice.com/de/article/mv4p88/wir-waren-dabei-dublin-voruebergehend-legales-ecstasy-353
Das Elend des schwarzen Goldes
Über die Wüstenlandschaft um Deir ez-Zor verstreute, Rauch speiende provisorische Raffinerien Deir ez-Zor, Syriens sechstgrößte Stadt, ist die Ölhauptstadt des Landes. 40 Jahre lang machte das Al-Assad-Regime (erst unter Hafiz und heute unter seinem Sohn Baschar) Geschäfte mit westlichen Ölfirmen wie Shell und Total und förderte täglich 27.000 Barrel des schwarzen Goldes aus dem Sand. Kläglich im Vergleich zur Produktion anderer Nahoststaaten, aber es machte Syrien zur Ölexportnation. Zumindest solange, bis 2011, als Reaktion auf die Zerschlagung der Antiregierungsproteste und den beginnenden Bürgerkrieg, internationale Sanktionen verhängt wurden. Mitten in der Wüste und weniger als 160 Kilometer von der irakischen Grenze entfernt, beherrscht Deir ez-Zor den Osten des Landes. Die Stadt blickt auf eine lange, gewinnbringende Beziehung zur Ölindustrie zurück: Vor dem Krieg arbeiteten viele ihrer 220.000 Einwohner als Ingenieure, Techniker und Arbeiter für die Ölgesellschaften. Das Zentrum Deir ez-Zors prägen noch immer von westlichen Firmen erbaute moderne, gläserne Gebäude. In den vergangenen zwei Jahren wurden sie jedoch größtenteils geräumt. Die Rebellen und al-Assads Streitkräfte, die jeweils Teile der Stadt kontrollieren, haben sie nach ihren Gefechten durchlöchert, fensterlos und vom Krieg gezeichnet hinterlassen. Als ich Deir ez-Zor im September besuchte, lauerten auf den Dächern Scharfschützen, während sich die Kämpfer unten mit Kalaschnikows, Mörsern und schweren Maschinengewehren beschossen. Jenseits der Stadtgrenze weichen die Vororte der weitgehend leeren Wüste, wo sich die Ölbrunnen befinden und wo die Rebellen—meist Hardliner-Dschihadisten, von denen viele mit al-Qaida in Verbindung stehen—alles unter ihrer Kontrolle haben. Der Ort ist nicht derselbe wie vor der Revolution, aber es ist immer noch eine Ölstadt, wenn auch von einer völlig anderen Sorte. Anstelle der multinationalen Konzerne sind es heute die islamistischen Rebellen, die den Einwohnern Jobs verschaffen. Einer von ihnen ist Ahmer, ein 15-Jähriger, den ich auf seinem Heimweg von der Arbeit kennengelernt habe. „Ich habe mich in die Auseinandersetzungen in den letzten Jahren nie eingemischt“, erzählte er mir, misstrauisch angesichts meiner Frage, inwieweit er sich für die Revolution engagierte. „Ich habe nur meinem Vater geholfen, in Palmyra Munition zu verteilen, etwa 135 Kilometer von Damaskus entfernt, wo immer noch gekämpft wird.“ Ahmer bewohnt mit seiner Mutter und zwei jüngeren Brüdern ein Zimmer, das ihnen der Besitzer der provisorischen Kerosinraffinerie vermietet, in der alle drei Geschwister arbeiten. Der Raffineriebesitzer kauft sein Rohöl von den Rebellen und destilliert es zu Kerosin. Ahmer und seine Brüder verdienen gerade genug, um das Zimmer und ihre Lebensmittel bezahlen zu können, während sie unter schrecklichen Bedingungen ihrer Arbeit nachgehen. Krahim gießt Rohöl auf einen rudimentären Raffinerietank, damit er heiß genug bleibt, um das Kerosin darin zum Sieden zu bringen. Er ist zehn Jahre alt und arbeitet neun Stunden am Tag. Den ganzen Tag lang hilft Ahmer dabei, Ölfässer, die über 90 Kilogramm wiegen können, wenn sie mit Rohöl gefüllt sind, zu einem über einem Feuer hängenden, umgebauten Wassertank zu bringen oder abzutransportieren. Das Öl wird erhitzt, bis es siedet und verdampft, danach wird es durch Rohre in wassergefüllte unterirdische Gruben gepumpt, wo es mit der Zeit zu Kerosin kondensiert. Primitiver kann ein Raffinerieprozess kaum sein, doch das Ergebnis ist verwertbarer Treibstoff. Krahim, Ahmers zehnjähriger Bruder, hat die wahrscheinlich gefährlichste Aufgabe: Sein Job ist es, die Außenseite des Tanks mit Öl zu überziehen, um die Temperatur über dem notwendigen Siedepunkt zu halten. Ich sah ihm zwei Stunden bei der Arbeit zu, seine Füße nur wenige Zentimeter von den Flammen entfernt, sein Kopf in den Schwaden des Rohölqualms. Sein Vorgesetzter (den ich nur kurz gesprochen habe und der vielleicht gerade mal auf die 20 zuging) erklärte das Verfahren: „Je höher die Temperatur, desto höher die Qualität des extrahierten Kerosins“, sagte er, während er an seiner Zigarette zog. Was er nicht erwähnte: Wird die Temperatur zu hoch, kann sich das Gas verdichten und der Tank explodiert. Solche Explosionen ereignen sich wöchentlich, so Abu Mahmoud. Er ist einer der wenigen Ärzte in der Gegend, der seine Praxis nicht geschlossen hat, um ins Ölraffineriespiel einzusteigen. Obwohl er mit Hausbesuchen, Notfallversorgung und Fahrten zur irakischen Grenze, wo er Medikamente und medizinische Ausrüstung besorgt, ziemlich ausgelastet ist, kennt sich Dr. Mahmoud vielleicht besser als jeder andere mit dem Ausmaß des Ölhandels in Deir ez-Zor aus. Er berichtete mir, dass etwa 6.000 Menschen in den Raffinerien arbeiten, davon schätzungsweise rund 2.000 Kinder wie Ahmer und Krahim—viele von ihnen vertriebene Kriegswaisen, deren Eltern entweder vom Regime oder von den Rebellen getötet worden sind. „Alle Familien [die ich kannte] haben Palmyra verlassen“, sagte Ahmer. „Manchmal erkenne ich ein oder zwei ehemalige Mitschüler wieder. Sie sind hier, verdeckt von den Ölschwaden. Es ist merkwürdig—ich möchte heute wirklich nicht mehr mit ihnen reden.“ Ahmer erzählte mir, sein Vater habe den Rebellen geholfen, während die Eltern vieler Kinder in seinem Alter Assad-Anhänger seien. Um mögliche Konflikte am Arbeitsplatz zu vermeiden, sagte er, sei es sicherer, überhaupt nicht zu reden. In Syriens verworrenem Bürgerkrieg macht dies Deir ez-Zor zu einer Art Niemandsland, wo, wer bereit ist, hart zu arbeiten, ohne viele Fragen akzeptiert wird. Das Schicksal der meisten dieser Arbeiter ist ohnehin besiegelt. Für Krahim, der darauf achtet, das Rohöl gleichmäßig an den Tankwandungen entlang zu gießen, um das Risiko, in die Luft gesprengt zu werden, zu minimieren, ist diese Aussicht mehr als real. Stündlich wäscht er sich kurz die schwarze Staubschicht von seinem Gesicht. „Ich habe viele verstümmelte Menschen gesehen, verbrannte, von Explosionen vernichtete Körper“, erzählte er mir. Unser Gespräch wurde von seinen Hustenanfällen unterbrochen. Eine offizielle Diagnose hat Krahim nicht, doch verbreiten sich ölbedingte Krankheiten in Deir ez-Zor immer weiter. Aufgrund des Qualms und Staubes durch die unregulierten und unsauberen Extraktions- and Raffinerieverfahren und die Lecks, die das wertvolle Grundwasser verseuchen, erreicht die Umweltverschmutzung der Rohölraffinerien auch die umliegenden Wüstendörfer. Zu den häufigsten Beschwerden gehören hartnäckiger Husten und Verätzungen, die, so Dr. Mahmoud, Tumorbildung verursachen können. Er meinte, wer in der unmittelbaren Umgebung lebe, trage ein zunehmendes Krebsrisiko, und einige Dörfer seien wegen der all zu häufigen Havarien mittlerweile unbewohnbar. Die Kontamination betrifft nicht nur Menschen; im Juli, zu Beginn des Ramadan, verendeten einige Ziegenherden, nachdem sie aus einer kontaminierten Wasserstelle getrunken hatten, der einzigen Trinkwasserquelle dreier Dörfer. „Ölbedingte Krankheiten beginnen gerade erst, sich bei den Wüstenbewohnern zu manifestieren“, berichtete Dr. Mahmoud. „Ich fühle mich manchmal überfordert“, sagte er. „Was ich während des Medizinstudiums gelernt habe, reicht bei Weitem nicht mehr aus, um all die krankhaften Veränderungen zu verstehen, die durch das Öl und seine Verarbeitung in der Region verursacht werden.“ Ein junger Raffineriearbeiter, der an Verätzungen leidet. Foto von Dr. Abu Mahmoud Östlich von Deir ez-Zor, nahe der Grenze zum Irak, liegen die wahren Geldquellen: die industriellen Ölfelder. Dort fördern die islamistischen Rebellengruppen, darunter auch die von al-Qaida unterstützte Al-Nusra-Front sowie Islamischer Staat im Irak und der Levante (ISIL), das Rohöl und transportieren es mit Lkws zu den Hunderten oder Tausenden provisorischen Raffinerien, die überall in der Wüste verteilt sind. Büros und Unterkünfte, einst im Besitz der westlichen Konzerne und von ihnen errichtet und unterhalten, sind nun in Schlafsäle für radikale Dschihadisten umfunktioniert worden. An einem Nachmittag auf meiner Reise unternahm ich die halbstündige Fahrt dorthin mit zwei Mitgliedern der Freien Syrischen Armee. Sie stehen nicht in direkter Verbindung mit den Islamisten, die hier die Regie führen, doch ihnen blieb keine andere Wahl, als sich mit ihnen gegen die Regierung zu verbünden. Als wir am Dorf P’settin vorbeifuhren, tauchte eine Reihe gigantischer weißer Lagertanks am Horizont auf. Wir fuhren an eine Straßensperre heran, und mein FSA-Guide riet mir, im Auto zu bleiben. „Selbst unsere Generäle sind hier nicht mehr willkommen“, warnte der eine. Nach zwei Stunden Wartens durfte ich die Sperre passieren. Mir fielen die nicht explodierten Granaten und die Krater entlang der Mauer des Komplexes auf—das Regime hatte in den letzten Monaten wöchentlich Luftangriffe gegen diese Felder geflogen. Schweigsame Männer in Camouflagehosen lauerten im Schatten, und ich konnte spüren, dass meine FSA-Begleiter nervös waren, als sie mir die von Kugeln durchsiebten Pipelines zeigten und beschworen, sie seien funktionsfähig. Die Informationslage zu diesen Aktivitäten im heutigen Syrien ist bestenfalls fragwürdig, doch Einheimische und meine FSA-Kontakte berichteten, dass die Gruppen zwischen 170 und 240 Dollar pro Raffinerie im Monat verdienen. Ich hörte auch, dass es bis zu 3.000 Tanks geben könnte, und basierend auf Informationen aus Berichten, die Anfang des Jahres über ähnliche Operationen in Syrien veröffentlicht worden waren, schätzten meine Quellen und ich, dass die Dschihadisten etwa zwischen 500.000 und 1 Million Dollar monatlich einnehmen. Natürlich weiß außer den Anführern der Al-Nusra-Front und ISIL niemand genau, wie viel sie mit den provisorischen Raffineriebetrieben verdienen. Die Profite mögen im Vergleich zu denen, die die Ölgiganten an diesem Ort geschöpft haben, gering ausfallen, doch das neue Management denkt wahrscheinlich langfristig. Sollte al-Assad fallen, planen die von al-Qaida unterstützten Rebellengruppen, die Ölfelder unter ihrer Kontrolle zu behalten. Eine für alle anderen Parteien düstere Aussicht: eine Zukunft, in der das Ölgeld, mit dem sich einst Shell-Manager die Taschen füllten, in den Aufbau eines islamistischen Staates wandert, der sich aus der Asche des alten Regimes erheben wird.
Jean-René Augé-Napoli
[ "Assad", "Bürgerkrieg", "DIE WAS SCHAUST DU SO AUSGABE", "Erdöl", "Jahrgang 7 Ausgabe 10", "krieg", "News", "Øl", "schwarzes Gold", "Syrien", "VICE Magazine", "Was schaust du so Ausgabe" ]
2013-12-11T12:36:00+00:00
2024-07-31T05:43:00+00:00
https://www.vice.com/de/article/das-elend-des-schwarzen-goldes-v7-n10/
Eyal Gever verwandelt erhabene Emotionen per 3D-Drucker in massive Skulpturen
Piece of Ocean, 2014. Fotos: Eyal Gever Mit dem derzeit größten Multi-Material-3D-Drucker der Welt hat der israelische Künstler Eyal Gever die wellenförmige Oberfläche des Ozeans –oder zumindest ein 996 x 796 Millimeter großes Stück davon–gedruckt. Das Stück wurde gemeinsamen mit drei weiteren monumentalen Skulpturen des Künstlers letzte Woche auf der EuroMold in Frankfurt erstmals präsentiert. Die weiteren Arbeiten bestehen aus einem Wasserfall, der kurz davor ist auf den Boden aufzuprallen, ein sphärischer Ballon mitten in der Explosion und der Aufprall zweier kollidierender Trucks. Die Werke sind Teil von Gevers lebenslanger Mission, Momente des Erstaunens, der Ehrfurcht, des Schreckens und der Verwunderung in physischem Format zu erfassen. „Ich habe mir meine eigene digitale High-Speed-Kamera kreiert“, erzählt uns Gever. „3D-Druck ist integraler Bestandteil meiner Arbeitstechniken.“ Gever erzeugt algorithmische Simulationen extremer Situationen und 3D-druckt sie anschließend. Auf diese Weise, erklärt der Künstler, können die Betrachter vor den Manifestationen von Situationen, die nicht in physischer Form bestehen, zu sich selbst finden. Sphere Pop zum Beispiel fängt die menschliche Erfahrung von Überraschung inklusive all der Vorahnung bis zum Zerplatzen ein. Für Gever sind Programmieren und 3D-Druck die Mittel, um Dinge zu materialisieren, die keine menschliche Hand formen könnte. „Kein Mensch könnte jemals einen Wasser meißeln, das ist zu kompliziert.“ Sphere Pop, 2014 Auf einer anderen Ebene drehen sich die Arbeiten, die zu Ausstellung Sublime Moments gehören, um die persönliche Sublimierung des Künstlers. „Ich versuche damit klarzukommen, was um mich herum passiert. Ich versuche, aktuelle Ereignisse auf einer Mikro-Ebene zu simulieren, indem ich sie simuliere und das herausziehe, was schön ist. Wie ein Chirurg.“ Gevers Kunst reflektiert die Medienberichterstattung von Krieg, Terror und Gewalt genauso wie katastrophale und unvorhersagbare Kräfte der Natur. Waterfall zum Beispiel, mit seinem herabstürzenden schwarzen Wasser, könnte man als eine Arbeit über Öl und Verschmutzung oder die schiere Gewalt der Schwerkraft, die das Wasser zum Boden zieht, interpretieren. Waterfall, 2014 Gever glaubt, dass die Simulation wichtiger als das finale Werk ist, da in ihr das Szenario, der Kontext und das Narrativ liegt. Die Magie besteht in dem Moment, in dem der Betrachter das Werk in Bewegung sieht. „Dann bist du als Besucher eingeladen, den Moment zu erforschen und Teil des Moments zu sein“, so Gever. Derzeit arbeitet Gever mit der NASA zusammen, um 3D-Kunst im Weltraum zu drucken. Das Projekt soll Anfang 2015 vorgestellt werden. The Creators Project wird weiterhin über Eyal Gevers arbeiten berichten. Collision/Truck vs Truck, 2014 >> Besucht hier die Website von Eyal Gever 
Becky Chung
[ "3d druck", "Creators", "Emotionen", "Skulptur" ]
2014-11-27T16:31:00+00:00
2024-07-31T04:25:41+00:00
https://www.vice.com/de/article/eyal-gever-verwandelt-erhabene-emotionen-per-3d-drucker-in-massive-skulpturen-395/
Ein Schweizer Erfinder könnte gerade das Leben von Rollstuhlfahrern revolutionieren
Für einen Menschen, der durch Unfall oder Krankheit querschnittsgelähmt wurde, sind die Arme das wichtigste Mittel zur Fortbewegung. Damit Querschnittsgelähmte alltägliche Dinge erledigen können, müssen ihre Hände möglichst frei bleiben. Genau hier liegt das Problem von handelsüblichen Rollstühlen: Um sie zu manövrieren, braucht es stets beide Hände – beschleunigst du bei einem Rollstuhl lediglich auf einer Seite, wirst du dich einfach nur im Kreis drehen. Für den Grossteil der Menschen selbstverständliche Dinge wie unterwegs sein Handy zu bedienen oder einen Kaffee zu trinken, sind für Gehbehinderte deswegen nicht möglich. Um einen gewöhnlichen Rollstuhl zu lenken, muss der Rollstuhlfahrer zudem während der Fahrt einen der Reifen abbremsen. Was für einen Gehenden auf den ersten Blick banal erscheint, ist für Rollstuhlfahrer auf Dauer ein Problem: Bei jeder Lenkbewegung geht durch das Bremsen Energie verloren – und das kann sich über einen ganzen Tag ganz schön summieren. Trottoirs, die abschüssig gebaut werden, damit Regenwasser abfliessen kann, bewirken bei einem Rollstuhl das gleiche wie bei einem Einkaufswagen: Sie lassen den Fahrer stetig zur Seite abdriften. Das seit vielen Jahren gültige Konzept des Rollstuhls stellt der Schweizer Designer Reto Togni jetzt in Frage. Er hat einen Rollstuhl entwickelt, der eine feste Vorderachse besitzt und sich durch seitliches Kippen mit dem Oberkörper steuern lässt. Der Vorteil dabei: Die Hände des Rollstuhlfahrers bleiben frei. “Anstatt wie ein gewöhnlicher Davoser-Schlitten, bei dem man mit den Füssen durch bremsen lenkt, manövriert sich der Rollstuhl wie ein Bob mit Lenkvorrichtung”, erklärt Reto VICE. Klinische Studien hat Reto für seinen “Reagiro” zwar noch keine, doch erste Testpersonen bestätigten ihm schon einen therapeutischen Effekt: Durch die Steuerung mit dem Oberkörper wird der Rumpf des Rollstuhlfahrenden gestärkt. Auch der Rollstuhlrugbyspieler Edwin Ramirez zeigt sich am neuen System interessiert, wenn auch mit Abstrichen: “Ich bin skeptisch, ob dieser Mechanismus robust genug für Sportarten wie Rollstuhlrugby oder -basketball ist. Da könnte diese Flexibilität sogar hinderlich sein. Für den Alltagsgebrauch stimmt mich diese Erfindung – wenn die Rollstühle denn auch bezahlbar sind – durchaus hoffnungsvoll”, erklärt er VICE auf Anfrage. Hier erklärt ein Gynäkologe aus der Schweiz, wie er Querschnittsgelähmte wieder zum Gehen bringt: Ein konventioneller Rollstuhl kostet heute bis zu 10.000 Franken, da viele Teile für die Behinderung und den Körperbau des Fahrers angepasst werden müssen. Reto Togni hat seinen Rollstuhl so geplant, dass die anzupassenden Teile mit 3D-Druckern produziert werden können und dadurch günstig für den individuellen Nutzer herzustellen sind. Über den Rollstuhlspitzensport möchte Reto seine Erfindung – die seine Abschlussarbeit am Imperial College und Royal College of Arts in London ist – auch für den Alltagsnutzer etablieren. Und so vielleicht mit einer kleinen Idee das Leben von einigen Millionen Menschen mit Behinderung erleichtern. Folge VICE auf Facebook und Instagram.
Kamil Biedermann
[ "3D-Drucker", "Behinderung", "Erfinder", "Erfindung", "innovation", "Menschen mit Behinderung", "rollstuhl", "Schweiz" ]
2017-07-10T15:18:42+00:00
2024-07-30T20:23:01+00:00
https://www.vice.com/de/article/ein-schweizer-erfinder-konnte-gerade-das-leben-von-rollstuhlfahrern-revolutionieren/
Die SJ hat das beste Frequency-Gewinnspiel
Du hast noch kein Ticket fürs Frequency? Du willst unbedingt hin, kannst es dir aber nicht leisten? Kein Problem! Die Sozialistische Jugend Österreich hilft dir aus. Auf ihrer Webseite gibt es die Chance, 2 Tickets für das Festival in St. Pölten zu gewinnen. Und wie so oft bei Gewinnspielen muss man dafür Fragen beantworten. In diesem Fall sogar fünf und eher ein ziemlich überraschendes Wissensfeld. Und noch drei weitere, die sich um Dinge wie das Alter beim ersten Mal, Erektionen und weiteres drehen. Auch wenn die großen Kinder in der Redaktion hier vor sich her giggeln, hat das Ganze natürlich einen ernsten und sinnvollen Hintergrund. Sexualaufklärung. Das Ganze ist Teil der Sommerkampagne „rEVOLution. Mein Körper, meine Lust“. Wir finden das super, auch wenn wir den Witz mit den Großbuchstaben nicht verstehen. Außerdem wissen wir, wie bitter nötig Sexualerziehung ist: Wir haben hier nämlich 4/5 Fragen falsch beantwortet. Wenn du also weißt, wie viel der durchschnittliche Mann außerhalb eines Pornos so abspritzt: Hier geht es zum Gewinnspiel. Foto Thumbnail: Emma Garland ** Folgt Noisey bei Twitter und Facebook.
Noisey Staff
[ "Features", "Music", "Noisey", "Noisey Blog" ]
2015-07-29T12:33:00+00:00
2024-07-31T00:08:40+00:00
https://www.vice.com/de/article/sozialistische-jugend-frequency-gewinnspiel-sexfragen-203/
Lebenshilfe: Das ist der Grund, warum O-Saft auf Zahnpasta so finster schmeckt
„Nach dem Essen Zähneputzen nicht vergessen.”—Wer hält sich schon an diesen alten Spruch? Sind wir doch mal ehrlich: So ist das nicht. Vor allem morgens nicht. Und dann gibt es Orangensaft zum Frühstück. Ein Klassiker. Das liegt, ohne jetzt zu wissenschaftlich werden zu wollen, vor allem an Tensiden in deiner Zahnpasta: zum Beispiel Natriumdodecylpoly(oxyethylen)sulfat (SLES) und Natriumlaurylsulfat (SLS). Die dienen vor allemdazu, dass sich ein schöner Schaum in deinem Mund bildet und du ein Gefühl perfekter Sauberkeit hast (nur ein Mind Trick).Beide bringen deinen Geschmack ziemlich durcheinander: Süßes wird weniger stark wahrgenommen, Bitteres dafür umso mehr. Und genau deshalb schmeckt dein Orangensaft nach dem Zähneputzen so bescheiden und überhaupt nicht mehr süß. Du willst trotzdem morgens nicht auf dein Glas frisch O-Saft verzichten? Dann bleiben dir zwei Möglichkeiten: Entweder du putzt ordentlich nach dem Essen und Trinken—aber auch hier warnt die „Senioren-BILD” (Mario Barth) / Apothekenumschau, dass du damit gut 30 bis 60 Minuten warten solltest, um deine Zähne nicht dauerhaft zu schädigen. Zeit ist Schlaf, gerade morgens. Oder du überlegst dir, auf Zahnpasta umzusteigen, die kein SLS enthält. SLS soll im übrigen demnächst zur Abwehr Haien genutzt werden. Der Stoff fehlt bei den meisten Bio- oder Vegan-Zahncremes. Es gibt aber auch ein paar andere Kandidaten, die ohne das schäumende Zeug auskommen. https://www.youtube.com/watch?v=k70_qg26c3o Wie es der Zufall will, haben wir ein paar Probepackungen da, die kein SLS enthalten. Also haben wir ausnahmsweise nach Vorschrift Zähne geputzt und drei Zahncremes auf ihre Kompatibilität mit O-Saft vom Discounter getestet: Handelsübliches Markenprodukt mit Natriumlaurylsulfat Schäumt ordentlich. Schon nach dem Zähneputzen ein Kribbeln auf der Zunge spürbar. Muss da jetzt wirklich noch Orangensaft drauf? Ja, muss wohl. Die Bitternoten im hinteren Zungenbereich sind sofort zu schmecken: unangenehm, absolut nicht lecker, lässt einen das Gesicht in angewiderte Falten legen und man möchte es eigentlich sofort wieder ausspucken. Das bringt allerdings auch nichts gegen das Schlimmste: das pelzige Gefühl und der starke bittere Nachgeschmack, die beide ziemlich lange bleiben. Zahnpasta mit naturbasierten Pflegeperlen ohne Natriumlaurylsulfat Beim Putzen bildet sich kein richtiger Schaum, eher eine dünnflüssige Suppe mit Schmirgelpartikeln, die im Mund herumschwimmt. Das Glas O-Saft danach ist erstaunlich mild, in puncto Bitterkeit kein Vergleich zur ersten Zahncreme. Ein leicht unangenehmer Nachgeschmack ist kurz da, deutet sich allerdings nur vage an, und auch das Mundgefühl danach ist nicht so widerwärtig wie beim ersten Kandidaten. Geschmacklich definitiv ein Favorit. Zahnpasta speziell gegen Mundgeruch ohne Natriumlaurylsulfat Geputzt wird auch hier wie bei der vorherigen Zahncreme mit vergleichsweise wenig Schaum, leichtes Frische-Kribbeln im Mundraum. Der Orangensaft schmeckt wieder etwas unangenehmer als bei Zahncreme Nr. 2, aber die bitteren Nuancen sind definitiv nicht so extrem wie bei Nr. 1. Kein pelziges Gefühl und der Nachgeschmack klingt schnell ab. Fazit Wenn man es denn unbedingt machen muss, ein Glas O-Saft nach dem Zähneputzen zu trinken, dann wäre eine Zahnpasta ohne Natriumlaurylsulfat tatsächlich eine Option, um den Saft auch halbwegs genießen zu können. Geschmacksfavorit ist definitiv die Kombination aus Zahncreme mit Pflegeperlen und O-Saft, aber wer weiß, vielleicht schmeckt Orangensaft mit anderen Zahncremes ohne Natriumlaurylsulfat, die wir hier nicht testen konnten, noch viel besser.
Munchies Staff
[ "Experiment", "Food", "Munchies", "Orangensaft", "trinken", "Zahncreme", "Zähneputzen", "Zahnpasta" ]
2017-01-11T10:15:11+00:00
2024-07-30T19:21:19+00:00
https://www.vice.com/de/article/lebenshilfe-das-ist-der-grund-warum-o-saft-auf-zahnpasta-so-finster-schmeckt/
Sechs Frauen über Sex in Wiener Clubs
Ralph Thomson | flickr | CC-BY 2.0 Es gibt ja verschiedene Arten von Fortgehen. Vor allem im Nachhinein gesehen. Es gibt das Fortgehen, wo es tatsächlich um die Musik und das Tanzen ging. Dann gibt es das Fortgehen, wo es um den Konsum von Unmengen an berauschenden Substanzen ging. Und nicht zuletzt gibt es eine Art von Fortgehen, wo sich dann doch alles eher um potentielle Geschlechtspartner drehte. Und es gibt natürlich etliche Mischformen. Bei Männern ist das Aufriss-Fortgehen gesellschaftlich akzeptiert, Frauen müssen (zumindest öffentlich) immer noch eher schweigen und genießen, um nicht das Opfer von Slutshaming zu werden. Unsere Gesellschaft misst da halt immer noch mit zweierlei Maß. Wir könnten jetzt also so tun, als wäre dieser Artikel hier ein Statement für den Feminismus. Das ist er vielleicht auch ein bisschen. Aber natürlich befriedigt er genauso unsere und eure Neugier. Auf jeden Fall haben wir uns mit sechs jungen Wienerinnen zusammengesetzt und mit ihnen über weibliches Aufreißen in den Clubs der Bundeshauptstadt geredet. Jede der sechs tickt ein bisschen anders, mag andere Musik und geht anders fort.
Fredi Ferkova
[ "aufreißen", "Fortgehen", "Musik", "Sex", "Vice Blog", "wien", "Wiener Clubkultur" ]
Sex
2015-02-06T14:06:00+00:00
2024-07-31T00:36:28+00:00
https://www.vice.com/de/article/sechs-frauen-ueber-sex-in-wiener-clubs-423/
Panda Bears neue Website ist der absolute psychedelische Wahnsinn
Bilder von PBVSGR.com, mit freundlicher Genehmigung der Künstler Panda Bear hat am Mittwoch offiziell seine neue Website PBVSGR.com veröffentlicht: eine trippige und mehr als abgefahrene Kollektion psychedelischer Visuals von Videokünstler Danny Perez, der regelmäßig mit Panda Bear zusammenarbeitet, und den Grafikern Marco Papiro, Patakk und Hugo Oliveira.  Musikalisch angemessen untermalt wird der optische Wahnsinn von einem Soundtrack, den Panda Bear gemeinsam mit Sonic Boom von der englischen Band Spacemen 3 kreiert hat. Sowohl Desktop- als auch mobile Version öffnen sich mit einer Kollision von Formen und Farben, die sich im besten Glitch-Style überlagern. Mit den Pfeiltasten der Tastatur oder per Smartphone-Gesten können sich User durch eine festliche Prozession voll verstörender Videos und Grafiken manövrieren, von denen viele auf Panda Bears Live-Gigs im vergangenen Jahr zum Einsatz kamen. Einige der Werke werden außerdem auf dem kommenden Album Panda Bear Meets the Grim Reaper zu sehen sein. Es erscheint am 13. Januar über Domino Records.  Und so landet man auf der bewusstseinserweiternden Website auch früher oder später bei Perez’ Videorepräsentation von Gevatter Tod, der–überlagert von Effekten, die an einen Optischen Printer aus der prä-digitalen Ära erinnern–versucht den Betrachter ins Verderben zu locken. Wer lange genug durchhält, wird außerdem auf ein Eis essendes Mädchen, Panda Bear, der den Sensemann mit einem Game-Controller herausfordert, sowie jede Menge ineinander fließender und pulsierender Formen und Farben treffen, die kein LSD-Trip der Welt besser hinbekommen hätte.  >> Macht hier eure psychedelische Reise auf PBVSGR.com.  Panda Bear Meets the Grim Reaper erscheint am 13. Januar. Hier findet ihr weitere Informationen und könnt das Album bestellen.
DJ Pangburn
[ "Creators", "Farben", "Formen", "glitch", "Musik", "Panda Bear", "Psychedelisch", "Videokunst", "VISUALS" ]
2015-01-09T09:49:00+00:00
2024-07-31T01:54:32+00:00
https://www.vice.com/de/article/panda-bears-neue-website-ist-der-absolute-psychedelische-wahnsinn-423/
Die Grammys waren politisch wie nie und trotzdem ein Armutszeugnis für Gleichberechtigung
Beim wohl prestigeträchtigsten Musikpreis der Welt ging es am 28. Januar richtig emotional zu. Ganz im Zeichen der #MeToo- und “Times Up”-Bewegung, setzten zahlreiche Musikerinnen und Musiker bereits im Vorfeld der Verleihung optisch ein solidarisches Zeichen gegen die Unterdrückung und Ungleichbehandlung von Frauen. Und zwar mit weißen Rosen als Anstecker. Diese Symbolik war vom Grammys-Orga-Kommitee vorab angeregt worden. So ähnlich lief das ja bereits bei den Golden Globes 2018, wo dieses Jahr eine große Zahl von Schauspielerinnen aus denselben Beweggründen wie bei den Grammys ganz in schwarz gekleidet erschien. Durch den Abend führte zum zweiten Mal in Folge Late-Night-TV-Host und Carpool-Karaoke-Erfinder James Corden – einer dieser Typen vom Format “Sympathische Alleskönner”. Corden versäumte es durch den Abend hinweg nicht, viele Seitenhiebe und zotige Sprüche in alle Richtungen rauszukloppen, um am Ende dabei stets arschcool rüberzukommen. Hier unsere Highlights und Erkenntnisse inklusive aller Gewinner (und den biggest Losern): Kendrick Lamar trifft Bono und Edge von U2 plus Comedian Dave Chappelle und wir erkennen einmal mehr: Im HipHop gibt es wohl weltweit derzeit immer noch keinen spannenderen Künstler als King Kendrick. Darstellende Performance-Kunst und politische Aussagen vermischen sich bei ihm so spielerisch, das der große Grammys-2018-Gewinner Bruno Mars trotz quietschbunter Spaß-90er-Outfits einfach weggehen soll. Bitte. Zusammen mit Cindy Lauper, Camila Cabello, Andra Day und weiteren großartigen Sängerinnen lieferte Kesha die wohl persönlichste Performance des Abends ab – ganz im Zeichen der #MeToo-Debatte. Der Song “Praying” markiert inhaltlich und musikalisch das Ende ihrer, wie sie es selbst beschreibt, “traumatischen Zusamenarbeit” mit ihrem Ex-Manager und -Produzenten Dr. Luke, den sie u.a. wegen sexuellen Missbrauchs verklagt hatte. In jedem Wort des Songs und in jeder Geste dieses Auftritts fühlt man Keshas Leid. Angekündigt wurde das Ganze von Sängerin Janelle Monáe, die ebenfalls klare Worte gegen die Ausbeutung von Frauen in der Musikindustrie fand. In einem Sketch sah man den Spaßmacher Corden, wie er verschiedene Musiker für eine Spoken-Word-Performance castet. Dafür lesen u.a. Cardi B und DJ Khaled aus dem “Inside the White House”-Bestseller “Fire and Fury” von Michael Wolff über Donald Trumps Leben vor. Das Trump-kritische Buch gilt als inhaltlich noch hochentzündlicher als Gzuz auf deutschen Straßen. Am Ende steckt jedenfalls Hillary Clinton ihren Kopf hinterm Buch hervor und verarscht damit einmal mehr ihren Widersacher der vergangenen US-Wahl. Trumps Sohnemann Donald Trump Jr. fand das übrigens nicht so lustig und tat seinen Unmut über die böse Hillary direkt mal auf Twitter kund: Rapper Logic ist ein Ehrenmann und diesem Image leistete er auch bei den Grammys brav folge, als er gemeinsam mit R’n’B-Sänger Khalid und Pop-Starlett Alessia Cara seinen Song “1-800-273-8255” präsentiert – quasi der Abschluss der Verleihung und eine Ehrung aller 2017 verstorbener Musikerinnen und Musiker. Am Ende des Lieds, das die Helpline für suizidgefährdete Personen in den USA aufgreift, zitierte Logic noch die Worte, die auf der Freiheitsstatue in New York zu finden sind: “Give me your tired, your poor, your huddled masses yearning to breathe free!” Ein emotionales Statement gegen Trumps Refugee-Politik. Jay Z, der ohne Preise nach Hause ging, trotz acht Nominierungen. Und: Die Frauenwelt, die trotz zahlreicher Erwähnung im Kampf gegen das männliche Patriarchat innerhalb der Musikwelt und darüber hinaus am Ende nur eine einzige Frau in einer einzigen Kategorie (Alessia Cara) zur Gewinnerin hat. So viel zum Umbruch. Folge Noisey auf Facebook, Instagram und Snapchat.
Tamara Güclü
[ "#metoo", "Grammys", "kesha", "Music", "Noisey", "The Grammys" ]
2018-01-29T12:39:50+00:00
2024-07-30T18:18:59+00:00
https://www.vice.com/de/article/im-zeichen-von-metoo-und-anti-trump-so-politisch-wars-bei-den-grammys-2018/
Leute auf der Straße zeigen uns die Körperteile, auf die sie stolz sind
In kaum einem Land sind junge Leute so unzufrieden mit ihren Körpern, wie in Deutschland, aber auch in Österreich. In einer Studie der Weltgesundheitsorganisation, gab die Hälfte der 15-jährigen Mädchen und ein Drittel der Jungs an, sich zu dick zu fühlen. In Österreich kam man zu ähnlichen Ergebnissen. Und das, obwohl die Befragten gar nicht übergewichtig waren. Aber auch nachdem man der Pubertätshölle entwachsen ist, hören die Komplexe nicht auf: Laut dieser Studie sind 92 Prozent der deutschen Frauen mit ihrem Aussehen unzufrieden, und ein Viertel von ihnen würden sogar 30.000 Euro ausschlagen um ihre Problemzonen loszuwerden. In Österreich hat sich die Anzahl der Betroffenen mit Essstörungen in 20 Jahren verzehnfacht. Ach, was wären wir alle glücklicher, wenn wir schöner, geiler, cellulite-freier wären. Aber so einfach ist das nicht. “Studien zeigen: Menschen, die abnehmen, werden nicht glücklicher”, sagt der Ernährungspsychologe Johann Christoph Klotter. “Das Glück hängt von vielen Faktoren ab, die wir nicht beeinflussen können. Aber wir hoffen trotzdem, dass wir unser Leben in Griff kriegen, nur wenn wir unser Gewicht kontrollieren.” Dass das Leben mit weniger Bauch besser wird, sei aber eine Illusion. Zumal die Schönheitsideale immer unrealistischer würden: “Ich bin 176cm groß, vor hundert Jahren hätte ich 90 Kilo wiegen dürfen. Heute würde man mich an einen Arzt verweisen”, sagt Kotter. Dass Zeitschriften voller Artikel darüber sind wie man angebliche Problemzonen versteckt, strafft oder weg-diätet, ist für Kotter ein Verkaufsmechanismus: Wenn Ratgeber den Leuten nicht weismachten, dass etwas nicht stimmt, würden sie diese auch nicht kaufen. “Wir werden immer gesünder und älter. Aber kaum jemand schreibt über das Positive”, sagt er. Das alles führt dazu, dass die meisten von uns ihre Problemzonen aus dem Stegreif benennen können. Aber sind die Menschen auch genauso reaktionsschnell, wenn man sie nach ihren schönsten Körperteilen fragt? Kennen sie ihre Körper-Trümpfe genauso wie ihrer vermeintlichen Schwachstellen? Auf jeden Fall wären wir alle glücklicher, wenn wir öfter darüber nachdenken würden, was an uns richtig geil ist, anstatt darüber, was nicht stimmt. Deshalb haben wir Menschen auf der Straße gebeten, uns ihr heißestes Körperteil zu zeigen. VICE: Was ist dein heißestes Körperteil?Isabell: Ich würde auf jeden Fall sagen: meine Lippen. Aber an anderen Tagen kommt es darauf an. Hätte ich jetzt meine Lieblingsjeans an, würde ich bestimmt sagen: mein Hintern. Warum heute deine Lippen?Ich mag, dass sie so voll sind. Und eigentlich gibt es keinen Tag, an dem ich sie nicht mag. Das Beste an meinen Lippen ist diese Falte drüber und drunter. Dadurch wirken sie nochmal größer. Lippenstift aufzutragen macht mir viel Spaß, weil es auf meinem Mund so viel Platz dafür gibt. Wie setzt du deine Lippen sonst noch in Szene?Das muss ich gar nicht. Sie sind halt da und ich finde sie schön. Ich habe schon oft Komplimente dafür bekommen. Also gehe ich einfach mal davon aus, dass andere sie auch gut finden. Gab’s auch anzügliche Kommentare?So etwas passiert prinzipiell jedem. Wenn jemand auf mich zukommt und das Einzige, was er zustande bekommt, ist ein anzüglicher Satz, dann ist das keine Person, mit der ich ein Gespräch führen möchte. Also fallen die direkt raus. Bist du zufrieden mit dir?So im Großen und Ganzen: ja. Aber es gibt natürlich immer Tage, an denen ich denke: “Boah, heute fühle ich mich gar nicht wohl.” Früher hatte ich einen sehr krassen Fußkomplex, aber den habe ich komplett abgelegt. Mittlerweile versuche ich, mich von dem Gedanken zu lösen, mein Körper sei ein Problem, das es zu lösen gelte. VICE: Was ist dein schönster Körperteil?Chang: Das Schönste am mir sind auf jeden Fall meine Hände und meine Finger. Ich bekomme oft gesagt, sie seien toll lang und dünn. Bekannte meiner Mutter meinten, ich habe Pianistinnenhände—also recht lange Finger, um Oktaven zu greifen. Im Nagelstudio wurde mir auch schon gesagt, ich hätte ein schönes Nagelbett, was sich verdammt komisch anhört. Manchmal fassen Leute sogar spontan meine Hände und sagen, sie seien so hübsch. Das ist ziemlich eigenartig. Tun das auch Fremde?Eher Freunde, aber auch Bekannte meiner Eltern, die ich nicht kenne. Da versuche ich einfach höflich zu sein, zu nicken, zu lächeln und das Kompliment anzunehmen. Asiaten sagen auch immer, dass ich zu groß sei und dass ich so niemals einen Ehemann finden würde. Ich meine, was?! Ich finde meine Größe ganz OK. Es gibt viele Stellen, die ich an mir nicht so mag, aber nichts, was ich völlig ablehnen würde. Wie reagierst du auf die Kommentare zum Thema Ehemänner?Wozu einen Ehemann, wenn man sich einen Hund und eine Katze anschaffen kann? Weniger Probleme und einfacher zu halten, tschuldigung. [Lacht] VICE: Welches deiner Körperteile findest du am besten?Bastian: Meine Beine. Die sind das Einzige an meinem Körper, an dem die Muskeln definiert sind. Ich trage auch einigermaßen enge Hosen, um das zu zeigen. Joggst du?Nein, aber ich gehe viel zu Fuß. Bekommst du Komplimente zu deinen Beinen?Nee. Aber das Gesamtpaket finden die meisten ganz attraktiv. Das sei in sich stimmig, heißt es. [Lacht] Nur mein Bauch hat ein bisschen zugelegt. Vielleicht muss ich noch mehr Schritte gehen, um das auszugleichen. VICE: Wenn du dir dein attraktivstes Körperteil aussuchen müsstest…Oliver: Lippen, eindeutig! Sie sind richtig prall und dick. Das ist der absolute Kussmund und das Geilste, was es gibt. Ich höre das immer wieder von Frauen, dass meine Hände und Lippen ihnen zuerst auffallen. Warum deine Hände?Das weiß ich nicht, verstehe ich auch nicht. Ich mag meine Fingernägel nicht, vor allem meine Nagelbetten. Wie hebst du deine Lippen hervor?Durch meinen Bart. Aber ein Vollbart verdeckt doch die Lippen?Nein. Ich schaue, dass der Oberlippenbart immer so gestutzt ist, dass er nicht drüber steht. VICE: Welches deiner Körperteile findest du am schönsten?Katharina: Meine Augenpartie. Ich finde den gelben Kreis im Inneren meiner Iris sehr schön und meine Augenbrauen sind schön geschwungen. Die wachsen schon so, ich zupfe nur Überflüssiges weg. Hast du einen besonderen Blick für besondere Anlässe?Das hängt von der Situation ab. Ich habe generell einen intensiven Blick. Gibt’s oft Komplimenten für schöne Augen?Die Menschen sagen, dass ihre Farbe schön sei. Und dass meine Augen funkeln! Aber Komplimente für schöne Augen sind scheinbar aus der Mode gekommen. Ich weiß nicht, woran das liegt. VICE: Lass uns über dein heißestes Körperteil reden.Julien: Da gibt es diesen Spruch: “Wie die Nase eines Mannes, so auch sein Johannes.” Wenn man eine Nase hat wie ich, ist das durchaus ein Satz, den man gerne hört. Außerdem hat meine Nase viel durchgemacht: Ich habe sie mir ein paar mal gebrochen, aber sie ist immer noch schön, stabil, gerade. Ist das etwas, womit du prahlst?Wenn ich betrunken bin und abends ein nettes Mädchen an der Bar anspreche, vermutlich ja. Wie setzt du deine Nase in Szene?Dadurch, dass sie mitten in meinem Gesicht sitzt, ist das gar nicht nötig. Die ist an sich schon ein Hingucker. Bekommst du Komplimente für deine Nase?Erstaunlich wenig. Ich mag meine Nase wirklich, aber ich habe erst ein, zwei Mal Komplimente dafür bekommen. Die Leute sagen, dass sie markant und gut geformt sei—oder bringen den Spruch vom Anfang. Bist du glücklich mit deinem Körper?Ein paar Kilo könnte ich abnehmen, aber ich bin eigentlich ganz zufrieden mit mir. Ich hätte aber gern Ohrläppchen, meine sind angewachsen. Es ist bestimmt ganz entspannt, daran rumzuspielen. Das ist etwas, was ich mir manchmal wünsche.
Lukas Kammer
[ "Komplexe", "Körper", "Problemzone", "Schönheit", "Schönheitsideal", "sexy", "Stuff", "Umfrage", "Vice Blog" ]
2016-10-20T12:00:00+00:00
2024-07-30T22:26:38+00:00
https://www.vice.com/de/article/leute-auf-der-strae-haben-uns-ihr-heiestes-krperteil-gezeigt/
Warum ich beim glorreichen SV Meppen geblieben bin
„Ich verliebte mich in den Fußball, wie ich mich später in Frauen verlieben sollte: plötzlich, unerklärlich, unkritisch und ohne einen Gedanken an den Schmerz und die Zerrissenheit zu verschwenden, die damit verbunden sein würden”, sagt Nick Hornby in seinem Klassiker „Fever Pitch”. Bei mir war es auch so. In Meppen. Seitdem viel Schmerz und wenig Liebe. Seltsamerweise war es, wie auch bei Hornby, mein Vater, der mich im Frühjahr 1997 zum ersten Mal ins heimische Stadion mitnahm. 5.500 Zuschauer waren an dem Tag gekommen, für einen „Lütten” wie mich, wie man im Emsland so sagt, eine wahre Menschenmasse. Ausgerüstet mit Schal („Die Besten im Nordwesten”) und Fahne war ich bereit „meinen Verein” zu unterstützen. Nach elf Jahren der Zweitliga-Zugehörigkeit kämpften unten auf dem Platz des Emslandstadions die alten Recken Bernd Deters, Marko Myyry und Stefan Brasas gegen den unvermeidbaren Abstieg. Es roch nach Bratwurst und Zigarettenrauch. Auf der Gegentribüne spielte eine Blaskapelle zur Einlaufmusik. Es war wunderbar. Der SV Meppen zu seinen glorreichen Zeiten, Foto: Imago/Rust Nach einem 0:2 am 27. Spieltag gegen den FC Carl-Zeiss Jena, der mit dem späteren Vize-Weltmeister Bernd Schneider auflief, war der SV Meppen quasi abgestiegen. Welches Ausmaß diese Niederlage für den Verein und die Region hatte, begriff ich erst einige Jahre später. Viel zu sehr war ich an diesem Tag damit beschäftigt im Sand unterhalb der Stehtribüne Burgen zu bauen, dort zu versuchen über der Bandenwerbung einen Blick auf das Spielfeld zu erhaschen (erfolglos) und nach dem Abpfiff durch schmale Schlitze im Spielertunnel einen ersten Handshake mit wem auch immer zu gewinnen (ziemlich erfolgreich). Ich war fünf Jahre alt und in diesem Moment wohl einer der größten Eventfans des Landes. Wie in einer ländlichen Region üblich, zieht es viele der jungen Leute irgendwann in die Großstädte. „Woher kommst du?”—„Meppen.”—(kurze Stille des peinlichen Überlegens)—„Sagt dir der SV Meppen vielleicht was?”—„Der SV Meppen? Na klar, unglaublich.” So laufen die meisten Gespräche dann ab, denn fast jeder Mensch, der sich ein wenig auf seine Fußballkenntnisse einbildet, kennt den SV Meppen. Die Legenden von der Gummitstiefeltruppe voller Halbtagspolizisten und Bauamtsbeamten, die in den Neunzigern plötzlich in der zweiten Liga spielten—und elf Jahre blieben. Toni Schumachers Zitat vor dem drohenden Abstieg: „Ich spiel doch nicht in Meppen.” Und mancher erinnert sich auch an einen ausgesprochen hässlichen Plastikstuhl von Trainergrantler Horst Ehrmanntraut. „Stimmt alles. Aber eigentlich ist das etwas anders”, sagt man dann und nimmt noch ein Cola-Korn. Horst Ehrmanntraut auf seinem Thron; Foto: Imago/Rust In der vergangenen Woche lief ich wieder an der Stehtribüne der Hänsch-Arena, wie das Emslandstadion mittlerweile heißt, vorbei. Heimatbesuch. Und ausgerechnet an diesem Sonntag war der VfB Oldenburg zu Gast. Das große Derby der Regionalliga Nord, immerhin kamen noch 3.500 Zuschauer. Mein Freundeskreis saß dort, wo er immer sitzt. Block H, alte Tribüne, gleich hinter der Gästebank. Der SV Meppen verlor mit 1:5 in einer derart desolaten Vorstellung, dass mein Bekannter kurz vor der Halbzeit zu mir sagte: „Ich glaube, ich fahre nach Hause. Chelsea spielt gleich gegen United.” Ich hätte es ihm nicht verdenken können. Die Zweitliga-Zeiten sind lange vorbei. Auf meinen ersten Besuch folgten Jahre des Niedergangs. Ein weiteres Mal stiegen wir 2000 ab, als die Regionalliga reformiert wurde. Einen zweiten Abstieg aus der Oberliga 2004 konnte noch Lokalheld Cüneyt Özkan verhindern, der im letzten Spiel der Saison in Oberneuland mit drei Toren zum Sieg schoss und nebenher eine famose Dönerbude in der Innenstadt errichtet hatte. Zwei Jahre später ging es durch die Einführung der 3. Liga trotzdem runter. Nicht einmal originale Landwirte standen noch im Kader, sodass der SVM sogar zeitweise jegliche Credibility in den umliegenden Dörfern verlor. Es folgten Jahre der sportlichen Irrfahrt. Mal kam der SV Bad Rothenfelde zu Besuch, dann standen Auswärtsreisen zu Kickers Emden an. Auf Siege in Pewsum, folgten Niederlagen gegen Schwarz-Weiß Rheden. Welchen Jugendlichen lässt das kalt? Ernsthaft, in einer 35.000-Seelenstadt, die ihr letztes Highlight mit der Neueröffnung eines Schnellrestaurants hatte, brauchen die Menschen etwas, das sie aus dem Alltag zwischen Torf und A31 reißt. Natürlich, als der SV Meppen noch jemand war in Fußball-Deutschland und sogar Eintracht Frankfurt und Schalke 04 vor Spielen im Emsland zitterten, war das alles etwas einfacher. Uns war es egal, wir sahen uns weiterhin Niederlage um Niederlage an und klatschten glücklich, wenn „Danz op de Deel” nach einem Tor über die Lautsprecher zu uns dröhnte. Wir fühlten uns als Teil einer verschworenen Gemeinschaft, dessen Jeder-kennt-jeden-Dorf-Mentalität im Stadion wie unter dem Brennglas zu beobachten war. So gingen wir auch in die Saison 2010/11. Der Kader versprach für die fünfte Liga einiges. In der Verteidigung spielte Francis Banecki (zwei Minuten Champions-League für Werder Bremen), im Mittelfeld dirigierte Hüseyin Dogan (früher Hamburger SV II) und vorne lauerte noch immer Cüneyt Özkan (dem die Dönerbude mittlerweile anzusehen war). Es sollte ein erfolgreiches Jahr werden. Doch anstatt dass wir als Lohn für das jahrelange Leiden zumindest eine gute Aufstiegsparty zu sehen bekam, entschied sich der Aufstieg genau eine Woche zu früh—in Stade. Wir saßen allesamt in einer tristen Hotellobby in Bulgarien. Ein lang gebuchter Urlaub in einem Land, deren Einwohner weder Meppen kannten, noch darüber lachten. Und ein Freund fasste es ganz richtig zusammen: „Dieser Verein ist wirklich zu nichts zu gebrauchen.” Aber nun gut, „das Leben ist nicht, und war nie, ein 2:0-Heimsieg nach einem Fish’n’Chips-Lunch”, um es mit Hornby zu sagen. Foto: Imago In dieser Saison, im Sommer 2015, spielte der SV Meppen zum ersten Mal seit 16 Jahren im DFB-Pokal, bekam nach 46 Sekunden das erste Gegentor und ging mit 0:4 gegen den 1. FC Köln unter. Auf der Tribüne rieb sich Kölns Präsident Toni Schumacher die Hände. Wir hatten auf das Pokalwunder gehofft, doch es kam erneut zu einer einzigen, emsländischen Enttäuschung. Zugleich war es die Einleitung dieser Saison, die in einer 1:5-Niederlage gegen Oldenburg ihren Tiefpunkt fand. In der Pause ging ich mit meinem Bekannten an die Bratwurstbude. Eine hervorragende Krakauer wird dort zubereitet. Und wir sahen meinen ehemaligen Jugendtrainer, der sich noch immer als Platzwart um den heiligen Rasen sorgt. Er erzählte uns von den alten Zeiten, für die wir viel zu spät geboren wurden, um sie zu erleben. Er erzählte uns von Aufstiegsfeiern in Oer-Erkenschwick, wie Diego Maradona sein Europadebüt in Meppen gab und wir fragten ihn, was denn die Gesundheit mache. Anschließend gingen wir zurück in Block H und schauten zwei weiteren Gegentoren entgegen, die an diesem Nachmittag noch auf uns warteten. Während mein Bekannter gequält lächelnd zu mir sagte: „Scheiß auf Chelsea. Das hier gucken wir uns auch noch an.”
Tobias Ahrens
[ "Fußball", "regionalliga", "Sports", "toni schumacher", "VICE Sports", "zweite liga" ]
2016-02-17T11:56:55+00:00
2024-07-30T23:34:34+00:00
https://www.vice.com/de/article/warum-ich-beim-glorreichen-sv-meppen-geblieben-bin/
Edward Snowden mag Chiptune und hat mit Jean-Michel Jarre einen Track aufgenommen
Jean-Michel Jarre ist selbstredend nicht so bekannt wie Snowden, allerdings dürfte er jedem Kenner elektronischer Musik durch sein Album Oxygène ein Begriff sein. Als der Franzose dem Guardian, Snowdens Hausblatt, letztes Jahr ein Interview anlässlich der Veröffentlichung seines neuen Werks Electronica I: The Time Machine gab, fragte er die Journalisten nach der Möglichkeit, Kontakt mit dem wohl bekanntesten Whistleblower der Welt herzustellen. Um einen gemeinsamen Track für das kommende Electronica Volume II: The Heart of Noise zu produzieren. Die links-liberale Tageszeitung brachte beide zusammen, Jarre schickte Snowden eine Demo, die gefiel und Snowden schlug vor, den Track »Exit« zu nennen. Da hört die Kollaboration aber schon auf, denn Snowden, der sich selbst als »nicht wirklich cool« bezeichnet, hat für »Exit« nichts Neues eingesungen oder -gesprochen. Stattdessen nutzte Jarre ein Schnipsel aus einem Snowden-Interview aus dem September 2015, und packte es zwischen einen recht filmischen anmutenden Electronica-Ritt, der auch in einem Film wie Lola Rennt hätte laufen können. Nennen wir es einfach Whistlebeat. Die Quintessenz von »Exit«: Wer, wenn nicht wir, sollte sich gegen die jetzigen globalen Zustände erheben. Vor der Kamera haben sich das Duo nun für ein längeres Gespräch über die Datenschutz, Technologie und elektronische Musik getroffen. Snowden beschreibt dabei unter anderem seine Liebe zu Chiptune: „Die Melodien, an die ich am liebsten zurück denke, kommen aus Computerspielen.” Interessant. »Exit« ist bereits auf Streamingplattformen zu hören und erscheint morgen, im Rahmen des Record Store Days, auf 7″. ** Folge THUMP auf Twitter und Facebook.
THUMP Staff
[ "EDWARD SNOWDEN", "exit", "Jean-Michel Jarre", "Thump", "whistleblower" ]
2016-04-15T10:15:00+00:00
2024-07-30T23:28:30+00:00
https://www.vice.com/de/article/edward-snowden-mag-chiptune-und-hat-mit-jean-michel-jarre-einen-track-aufgenommen/
Wir haben eine sprachgesteuerte Blowjobmaschine getestet
Im Jahr 2008 brachte Brian Sloan den ersten Autoblow auf den Markt. Schon damals bezeichnete die Produktwebsite den automatischen Masturbator als “das Männer-Sextoy der Zukunft”. “Technologie hat den Menschen unbeschreibliche Fortschritte in allen Lebensbereichen beschert”, hieß es dort. “Wir können mit Autos fahren, in Flugzeugen fliegen und im Internet browsen. Der technische Fortschritt für Männer-Sextoys dieses Jahrzehnts ist der Autoblow.” Jetzt, 14 Jahre später, ist ein neuer Autoblow erschienen: der Autoblow AI+, Nachfolgemodell des Autoblow AI von 2018. Die motorgetriebene Wichsmaschine von der Größe eines kleinen Schuhkartons soll, wie der Name schon erahnen lässt, Oralsex simulieren. Wenn du deinen Schwanz in den Silikonschlund steckst, bewegt sich eine Manschette am Penisschaft auf und ab. Die Geschwindigkeit, die Position und den Rhythmus der Ringbewegung kannst du über die dazugehörige App steuern. Wie schon sein Vorgänger, dem Autoblow AI, hat auch der AI+ absolut nichts mit AI – also künstlicher Intelligenz – zu tun. Aber immerhin lässt sich das neue Modell mit dem Internet verbinden, über das du dir aus der sogenannten Blowjob Library weitere Masturbationsprogramme runterladen kannst, also Blowjobs. Die wohl spektakulärste Neuerung ist aber die neue Sprachsteuerung, mit der du freihändig den Ablauf deiner Masturbationssession bestimmen können sollst. Auch von VICE: Warum immer mehr junge Männer Viagra nehmen Fellatiomaschinen sind eine Art Indikator für die gesellschaftliche Einstellung zu Sextoys. Um das Publikum bei der Stange zu halten, müssen die Hersteller ihre Produkte technisch immer anspruchsvoller machen, sie mit dem Internet verbinden und innovative Neuerungen liefern. Auch der Autoblow folgt dieser Entwicklung und der Autoblow AI+ tastet sich in neue Gefilde vor, auch wenn dort noch nicht alles reibungslos funktioniert. Sloan jedenfalls ist weiterhin der Meinung, das Sextoy der Zukunft entworfen zu haben. Da ich bereits 2018 den Autoblow AI getestet habe, schickte mir Sloan auch seinen neuen Autoblow AI+ zu Versuchszwecken. Mein Testexemplar hatte ein teilweise durchsichtiges Plastikgehäuse, damit ich ungestört sein Herzstück, den Penis Gripper, bei der Arbeit betrachten konnte. Dabei handelt es sich um eine größenverstellbare Manschette, die einen wabbeligen Silikonschlauch umfasst und sich daran auf und ab bewegt. Kunden erhalten den Masturbator mit einer weißen Hülle, sie können den Mechanismus also nicht sehen. Sobald ich den Autoblow AI+ aus dem Karton gefummelt hatte, musste ich herausfinden, wie ich ihn mit dem Internet verbinde. Im Gegensatz zu anderen Sexspielzeugen mit Internetzugang wie die von Lovense oder We-Vibe gibt es für den Autoblow AI+ keine App, die man runterladen kann. Das ist Absicht: Der Google Play und Apple App Store zensieren sexuelle Inhalte und wiederholte Oralsex-Anspielungen würden ziemlich sicher dazu führen, dass die Apps schnell wieder von den Plattformen entfernt werden. Aus diesem Grund funktioniert der Autoblow AI+ über eine Web-App. Für die Einrichtung brauchte ich etwa fünf Minuten. Ich steckte das Gerät in die Steckdose, schaltete es ein und hielt den Pause-Knopf gedrückt, bis in den WiFi-Einstellungen meines Handys das Netzwerk des Autoblows erschien. Dann verband ich mich mit diesem Netzwerk und anschließend mit meinem Heimnetzwerk. Bevor ich fertig war, musste ich noch eine Zeichenkombination in diversen Menüs kopieren und einfügen – den Token des Geräts. Es gibt auch ein Video, in dem der Prozess ausführlich erklärt wird. Den Autoblow AI+ einzurichten, ist nicht schwer, erfordert allerdings ein bisschen Geduld. Aber möglicherweise ist die Zielgruppe für ein derartiges Hightech-Sexspielzeug auch entsprechend technikaffin. Als ich den Autoblow fertig eingerichtet hatte, wollte ich dem Gerät noch keinen echten Penis anvertrauen – selbst, wenn ich jemanden gefunden hätte, der bereit gewesen wäre, seinen Schwanz da reinzustecken. Also schnappte ich mir in der Küche eine reife Banane. Als ich versuchte, die Banane in den Mund der Blowjobmaschine zu stecken, merkte ich schnell, dass das trocken nicht funktionieren würde. Also nahm ich etwas Gleitgel und verteilte es auf der Banane und dem Silikonmund. Aufmerksame Beobachterinnen und Beobachter werden bemerken, dass es sich um ein Gleitgel auf Silikonbasis handelt, was für Sextoys aus Silikon nicht ideal ist, aber auch keine Todsünde, wie man früher dachte. Geschmiert und mit sanftem Druck flutschte die Frucht schließlich in die Maschine. Ich wählte mich durch die verschiedenen Blowjob-Programme in der Web-App und spielte ein bisschen an den Reglern rum, die die Geschwindigkeit und die Position der Manschette kontrollieren. Die Wichsbewegung des Autoblows lassen sich auf den Penisansatz oder die Eichel konzentrieren, sie können aber auch wahlweise über den ganzen Schaft gehen. Als sich dann im Zimmer der Geruch von überreifem Hausmüll breitmachte, war ich mir sicher, dass der Masturbationsmechanismus die Banane zermalmt hatte. Aber als ich sie mit etwas Mühe wieder dem Mund des Autoblow AI+ entrissen hatte, war ihre Schale komplett unbeschädigt. Sie hatte noch nicht mal Druckstellen. Angenehm überrascht schob ich die Frucht zurück in den Silikonschlund für Runde zwei. Die Sprachsteuerung befindet sich noch im Beta-Stadium, wie die App warnt. Über das Handy kann man dem Autoblow sechs verschiedene Befehle gehen, um die Manschettenbwegung zu kontrollieren: “Go”, “Pause”, “Faster”, “Slower”, “Next” und “Finish Me”. Letzteres musste ich natürlich jedes Mal in der Mortal Kombat-Stimme sagen. So ganz fehlerfrei funktioniert die Sprachsteuerung noch nicht und der Autoblow AI+ versteht nicht auf Anhieb jedes Wort. Ob zum Beispiel auch eine deutsche Version geplant ist, ist momentan unklar. Für mich war es neu, einem Sextoy laut und überdeutlich “Go” und “Faster” zuzurufen. Ähnlich dürfte es auch den meisten anderen gehen, bislang gibt es noch nicht viele Sexspielzeuge mit Sprachsteuerung auf dem Markt. Laut Sloan ist das allerdings die Zukunft. Besonders sexy fühlte sich die Sprachsteuerung nicht an, andererseits steckten auch nicht meine Genitalien in der Maschine. Ich fühlte mich ein bisschen wie dieser Vogel hier: Während ich auf meinem Handy die App geöffnet hatte und die Maschine sich an der Banane abarbeitete, schaute ich mir ein Video zur Justierung der Manschette, aka Penis Gripper, an. Der justierbare Penis Gripper ist ebenfalls ein neues Feature des Autoblow AI+. Mit einem Schraubenzieher lässt er sich unkompliziert dem eigenen Penisumfang anpassen. Jedenfalls muss der Autoblow AI+ in dem Videotutorial “Finish Me” gehört haben, denn plötzlich lief der Masturbator zu Hochtouren auf und versuchte, die Banane zum Höhepunkt zu bringen. Die Web-App empfiehlt übrigens, die Sprachsteuerung nur in einer stillen Umgebung zu verwenden. Einmal in Fahrt gekommen, war der Autoblow AI+ nicht mehr zu stoppen. Ich sagte laut und bestimmt: “Pause! Stop! No!”, aber die Oralsexmaschine ignorierte mich. Weil ich mit meinen gleitgelverklebten Fingern nicht auf meinem Handybildschirm rumtatschen wollte, blieb mir nichts anderes, als das Gerät über den An/Aus-Schalter abzuwürgen. Während dieses ganzen Tumults steckte mein Partner seinen Kopf ins Zimmer. Er habe schon gedacht, ich wäre in einem unangenehmen Zoom-Meeting, sagte er. Nein, ich hatte nur einen motorisierten Silikonschlund angeschrien, der dabei war, eine Banane zu deepthroaten. Später rief ich Sloan an, um ihm zu berichten, dass ich den ganzen Vormittag damit verbracht hatte, seine Erfindung mit Obst zu vögeln. Zwei Jahre habe er an den Verbesserungen des Autoblow AI gearbeitet, sagt er. Noch interessanter als die ganzen Features und Neuerungen, auf die er natürlich sehr stolz ist, ist allerdings, was Sloan mit seinem High-Tech-Masturbator nicht gemacht hat. “Sexuelle Handlungen sind ein wichtiger Antrieb für jedes Leben. Das ist keine komische Sache, die nur ein paar Leute machen.” Seine Weigerung, eine Appstore-App für sein Gerät zu entwickeln, sei auch ein Protest gegen die Diskriminierung von sexuellen Inhalten auf den Plattformen von Google und Apple. Die Regeln dort sind ein Albtraum für alle, die Apps machen oder nutzen, die auch nur entfernt auf sexuelle Inhalte anspielen – seien es Sexarbeitende, Produzenten von Sexspielzeug oder Menschen, die im Bereich der sexuellen Aufklärung arbeiten. Anstatt sich den Regeln der Plattformen zu beugen, entschied sich Sloan dazu, sie komplett zu umgehen und eine eigene browserbasierte Web App zu entwickeln. “Sexuelle Handlungen sind ein wichtiger Antrieb für jedes Leben. Das ist keine komische Sache, die nur ein paar Leute machen”, sagte Sloan. “Sexuell aktiv zu sein, ist eine normale Eigenschaft von Menschen. Google und Apple kontrollieren gemeinsam 99 Prozent des Marktes. Und die haben entschieden, dass du, wenn du ein Handy benutzt, keinen sexuellen Aktivitäten Raum geben kannst. Das ist ein bizarres ‘fuck you’ an die Menschheit und es will mir einfach nicht in den Kopf.” Hätte er eine App für den Apple oder Google Store entwickelt, hätte er Wörter wie “Blowjob” umschreiben müssen. Für Sloan absolut inakzeptabel. “Ich hätte kein gutes Gefühl dabei, es nicht das zu nennen, was es ist. Worte beeinflussen dein Denken und dein Denken beeinflusst dein Handeln. Das zieht einen ganzen Rattenschwanz nach sich, wenn wir Dinge nicht als das bezeichnen, was sie sind. Deswegen weigere ich mich.” Er gibt zu, dass die Einrichtung des Autoblow AI+ deswegen mehr Geduld erfordere und vielleicht ein paar potenzielle Kunden abschreckt. In seinen Augen seien die fünf Minuten allerdings durchaus zumutbar. Wirklich wissen werde er es natürlich erst, sobald das Gerät auf dem Markt sei. Noch mehr als die anspruchsvollen Einstellungen könnten die schieren Dimensionen des Autoblow AI+ den ein oder anderen vom Kauf abhalten. Jeder, dem ich das Gerät zeigte, hatte dieselbe Frage: “Wie zur Hölle soll ich das so lange über meinen Schwanz halten, bis ich komme?” Die Masturbationsmaschine wiegt etwa 1,3 Kilo. Das klingt erstmal leicht, bis du den Kasten über deinem erigierten Penis balancieren musst. Die Antwort darauf ist laut Sloan eine spezielle Nackenschlaufe, die bald auf den Markt kommen soll. “Du würdest dich wundern, wie komplex es sein kann, etwas so Einfaches zu entwerfen.” Bevor du dich fragst, wie das genau in der Praxis funktionieren soll: Sloan ist derselbe Mann, der eine Masturbationsmaschine fürs Auto entworfen hat, die man am Getränkehalter befestigt. Folge VICE auf Facebook, TikTok, Instagram, YouTube und Snapchat.
[ "autoblow", "MASTURBATION", "penis", "Sex", "sexspielzeug", "sextoys" ]
Tech
2022-08-11T15:36:09+00:00
2024-08-12T11:51:57+00:00
https://www.vice.com/de/article/pkgpgv/autoblow-ai-wir-haben-eine-sprachgesteuerte-blowjobmaschine-getestet
Eine Patrick Helmes-Compilation ohne Tore
Als wir heute lasen, dass Patrick Helmes seine Karriere beendet hat, traf uns diese Nachricht mitten ins Mark. Die verdammte Hüfte diesmal. Es macht wohl keinen Sinn mehr. Patty Helmes wird auf immer eine der größten Tormaschinen gewesen bleiben, die der deutsche Fußball gesehen. Sein schleppender Laufstil, die X-Beine, die eng angelehnten Arme—er hatte wahrlich nicht den ansehnlichsten Spilstil, doch, bei Hennes, er wusste, wie er die Pille ins Tor unterzubringen hatte. Wäre er nicht so verletzungsanfällig gewesen, hätte Deutschland vielleicht einen Titel mehr. Davon bin ich immer noch überzeugt. Und genau solche Stürmer haben wir kaum noch, Horst Hrubesch hat Recht. Als wir ihm schniefend und zitternd die letzte Ehre erweisen wollten und—wie man das als Online-Journalist so macht—eine Zusammenfassung seiner besten Tore auf Youtube suchten, stießen wir auf dieses Video: Keine Tore, nur Impressionen aus ganz normalen Situationen im Spiel. Manche würden sagen, dass das hier ein völlig sinnfreies Video ist. Wir finden das nicht: Vielmehr ist es eine liebevolle Ehrerbietung an einen Spieler, der immer nur an seinen Buden gemessen wurde. Dieses Video ist eine schöne Art zu sagen: Wir haben dich gemocht, auch wenn du mal nicht getroffen hast. Bist ein klasse Typ. Wir wünschen dir alles Gute, lieber Patrick. Viel Glück als Co-Trainer in Kölns zweiter Mannschaft!
Toni Lukic
[ "1. fc köln", "Fußball", "Highlights", "karriereende", "Nationalmannschaft", "Sports", "VfL Wolfsburg", "VICE Sports" ]
2015-06-19T13:05:00+00:00
2024-07-31T02:35:09+00:00
https://www.vice.com/de/article/eine-patrick-helmes-compilation-ohne-tore-953/
„Die Leute brauchen Informationen, dafür habe ich jetzt erstmal gesorgt.“
Hinweis: Dieser Artikel enthält explizite Bilder von Tierversuchen. Vor einer Woche hat ein verdeckter Ermittler der SOKO Tierschutz  erschütternde Bilder von Laboraffen aus dem Tübinger Institut für biologische Kybernetik veröffentlicht. Die Aufnahmen, die unter anderem zeigen, wie die Tiere versuchen sich ihre Implantate aus dem Kopf zu reißen, haben nicht nur dafür gesorgt, dass 22.000 Menschen eine Petition für ein sofortiges Ende der Tierversuche unterzeichnen, sondern auch den bedauernswerten PR-Mitarbeitern des Max-Planck-Instituts eine äußerst geschäftige Woche beschert.  Die offenkundig gut ausgelastete Pressestelle, die auch für  unsere Berichterstattung nur mit Verzögerung zu erreichen war, verteidigte die Tierversuche in den vergangenen Tagen als legal und medizinisch notwendig. Laut dem MPI hätte erst die Grundlagenforschung an Affen Ärzten eine Interpretation von menschlichen MRT-Scans ermöglicht. Den Tierschützern warf das Institut Dramatisierung und eine selektive Bildauswahl vor und erbebte den Vorwurf, dass die eigenen Mitarbeiter und Forscher öffentlich beschimpft worden seien. Auf dem MPI-Gelände wurden Videoaufnahmen zwischenzeitlich untersagt. In einem neuen Video zeigt die SOKO Tierschutz die Affen auch auf Mauritius, von wo aus sie häufig in die Versuchslabore geschickt werden. Alle Bilder: SOKO Tierschutz / buav | Mit freundlicher Genehmigung. Auch der Tübinger Bürgermeister Boris Palmer war angesichts des Trubels um seine beschauliche Universitätsstadt nicht untätig: Kraft seines Amtes als Verantwortlicher der Genehmigungsbehörde ließ sich der Grünen-Politiker telefonisch „plausibel erklären, wie die Aufnahmen zustanden kamen.” Die Bilder hätten zwar auch bei ihm einen „furchtbaren Eindruck” hinterlassen, doch er „habe großes Vertrauen in [den verantwortlichen] Professor Logothetis”, wie er gegenüber dem  lokalen Tagblatt zu Protokoll gab. Das Max-Planck-Institut hatte da zumindest substantiellere Aussagen zu bieten und verkündete, die Tierversuche zunächst auf Eis zu legen. Das sollte zumindest gelten bis der externe Experte Stefan Traue die Bedingungen geprüft habe. Gestern verkündete Traue nun, dass die Behandlung kranker Tiere im MPI „vorbildlich gewesen” sei. Eine längerfristige Prüfung soll jedoch dennoch auch noch stattfinden, wie das MPI bekannt gab. Mit Bildern wie diesen möchte das MPI zeigen, dass es sich bei den von der SOKO Tierschutz gedrehten Bildern keineswegs um den Laboralltag handelt. Bild: MPI für biologische Kybernetik Wie mir SOKO Tierschutz-Sprecher Friedrich Mülln am Telefon berichtete, könnte der Leiter des deutschen Primatenzentrums jedoch kaum als unabhängiger Experte angesehen werden. Auch Pawel, der ein halbes Jahr lang in dem Tübinger Labor gearbeitet hatte, erklärte mir gegenüber, es bestehe eine Gefahr, dass die Forscher im Laboralltag häufig dazu neigen, die Affenhaltung im Sinne der Wissenschaft als unbedenklich anzusehen.  Die Tierpfleger im Stall sind eine Welt. Die Wissenschaftler oben in den Büros eine Andere. Wie es für die Tübinger Laboraffen weiter geht ist noch nicht ganz klar. Fest steht jedoch, dass der Streit zwischen der SOKO Tierschutz und dem MPI in der nächsten SternTV Sendung in eine weitere Runde geht: Tierschützer Pawel und Mülln diskutieren im Studio mit zwei MPI-Mitarbeitern. Außerdem möchten die Tierschützer mit einem neuen Video (aus dem wir hier Bilder zeigen) und einer Demonstration in Tübingen am Wochenende gegen Fortsetzung und Ausbau der Tierversuche kämpfen. Ich habe mich länger mit dem Tierschützer, der unter dem Decknamen Pawel aufgetreten ist, per E-Mail ausgetauscht, um mehr über seine Sicht zur der alltäglichen Laborroutine als Tierpfleger zu erfahren. Außerdem wollte ich wissen, wie es passieren kann, dass die Mitarbeiter den Versuchsbetrieb aufrecht erhalten, obwohl sie gleichzeitig eine enge Bindung zu den Tieren aufbauen, die sie täglich betreuen und schließlich oft sogar für ihr letztes Experiment präparieren müssen. Gab es einen Moment während deiner sechs Monate am Max-Planck-Institut in dem die Gefahr bestand, als verdeckter Ermittler aufzufliegen? Nein, ich habe mit dem Tierarzt sogar nach versteckten Kameras gesucht, die Tierschützer nachts installiert haben könnten. Wie viele Versuchstiere sind momentan ungefähr gleichzeitig im Labor in Tübingen? Ungefähr zwischen 40 bis 50. Früher waren es mehr, aber der Bestand wurde 2012 durch eine TBC-Infektion dezimiert. Das MPI wirft der SOKO Tierschutz eine selektive Bildauswahl vor, spricht davon, dass es sich eher um Einzelfälle handelt, und verweist auf Bilder von unversehrten Affen (siehe oben)? Was sagst du zu der Kritik? Das sind keine Einzelfälle, das hat System. Allein in der Zeit in der ich da war, gab es zahlreiche Vorfälle, wie zum Beispiel Verbrennungen nach Versuchen oder Kammerinfektionen, Lähmungen, offene Wunden und andere gesundheitliche Probleme, die bei Tieren festgestellt wurden. Ganz zu schweigen von den TBC-Infektion 2012 (26 tote Tiere) und der MRSA-Infektion 2013 (6 infizierte Tiere). In diesem Fall von Einzelfällen zu sprechen ist einfach eine Täuschung. Diese Vorfälle passieren immer wieder—vielleicht nicht immer in der Form von Schlaganfällen. Aber sie bedeuten immer eine zusätzliche Belastung für die betroffenen Tiere. In wie vielen Fällen steigen die Tiere wiederwillig in den Primatenstuhl ein? Also bei Primatenstuhl und Stangentraining passiert das zu Anfang in 100% der Fälle. Es sind ja wilde Tiere. Zunächst geht es darum sie zu brechen und ihnen zu zeigen, dass sie keine Möglichkeit haben aus dem Käfig zu kommen, wenn der Tierpfleger es wünscht. Sie müssen freiwillig kommen, oder sie werden eben einfach gegen ihren Willen rausgeholt. Dies wird auch als „Konsequenz beim Training” bezeichnet. Trotzdem gibt es immer noch einige Tiere, die nur von den erfahrenen Tierpflegern aus dem Käfig geholt werden, auch wenn sie schon länger trainiert wurden. Bei wie vielen Affen kommt es nach dem, was du gesehen hast, nach Operationen zu blutigen Gesichtsverletzungen durch das Aufkratzen? In 100%. Ich habe drei Tiere am Tag der OP gesehen und in zwei Fällen waren sie auch Stunden nach der OP voll mit Blut. Kannst du beschreiben, wie ein durchschnittlicher Arbeitstag im Labor für einen Pfleger aussieht? Der Arbeitstag beginnt um 8:30 Uhr. Man geht durch die Einrichtung, schaut sich die Tiere an, sperrt gegebenenfalls Tiere für Versuche oder Behandlungen in kleinere Käfige, um ihnen später Ketamin spritzen zu können. Gegen 9 Uhr werden die Affen betäubt und zum Experiment oder in die Behandlung gebracht. Die Tiere werden je nach Bedarf und Not behandelt. Das kann sogar täglich oder jeden zweiten Tag vorkommen, wenn Infektionen auftreten. Gelegentlich müssen den Tieren auch Antibiotika und andere Medikamente gespritzt werden. Der spätere Tagesablauf besteht aus dem Säubern von Stallungen, Füttern und Trainieren von Tieren. Trainieren heißt in diesem Fall, dass ein Tier für bis zu fünf Stunden am Tag in einem Primatenstuhl fixiert wird. Das gehört auch zu den Aufgaben der Tierpfleger. Der Kopf wird dann an einem implantierten Kopfhalter festgeschraubt, damit der Affe den nicht bewegen kann. Die Tierpfleger haben die Tiere wirklich gern. Es wird viel mit Wasserentzug und teilweise auch Futterentzug gearbeitet, um die Tiere für das Training zu „motivieren.” Die zu lösenden Aufgaben würde ja ein wildes Tier—als welches man Rhesusaffen sehen muss—so nicht erfüllen. Die meisten Tiere werden fünfmal pro Woche von Wissenschaftlern und Tierpflegern „trainiert.” Und bekommen dann zwei Tage „frei”. Hast du kritische Gespräche unter den Pflegern und Ärzten erlebt? Paradoxerweise haben die Tierpfleger die Tiere wirklich gern. Sie kümmern sich wirklich um sie. Sie haben ja auch den meisten Kontakt mit ihnen und kennen sie insofern am Besten. Die Tierpfleger wissen, dass die Tiere hochintelligent sind, dass jedes der Tiere seinen eigenen Charakter hat—manche Tiere sind liebenswert, manche sind fies, manche angriffslustig, andere bleiben lieber in der Ecke. Wenn du ein Tier seit sieben Jahren Tag für Tag siehst und pflegst, dann ist es schwierig, keine Verbindung zu ihm aufzubauen, vor allem wenn du seine Individualität erkennst. Ich habe auch gesehen, dass den Kollegen authentisch unwohl war, den Tieren die letzte Spritze zu geben und sie dann zum Endexperiment in den Tod zu tragen. Andererseits sind ja gerade sie für das harte Training zuständig, für den tagelangen Wasser- und Futterentzug, für das Brechen der Tiere, damit sie an der Stange in den Stuhl kommen, für die Spritzen vor den Experimenten oder OPs. Ohne sie würde am Institut nichts laufen. Und trotzdem machen sie das schon seit Jahren, ohne das ganze System zu hinterfragen. Ich finde die Sprache, mit der über die Tübinger Laboraffen gesprochen wird ehrlich gesagt gewöhnungsbedürftig . Der Stuhl in dem die Affen fixiert werden heisst Primatenstuhl, die Tiere haben häufig keinen eigenen Namen, sondern lediglich eine Ziffernfolge. Ist diese euphemistische Sprache Normalität oder Sonderfall? Die Javaneraffen bekommen nur zwei Buchstaben und eine Ordnungsnummer, da sie viel zu kurz am Institut bleiben, um ihnen einen Namen zu geben. Sonst würde sich das Personal zu sehr an die Tiere gebunden fühlen, denn wenn das Tier erst einmal einen Namen hat, wird es auch schwierig, es als ein “Tiermodell” zu bezeichnen, man sieht das Individuum, den Charakter, die einzigartigen Verhaltensweisen, die man auch von seinen Haustieren kennt. Die Leute brauchen Informationen. Dafür habe ich jetzt erstmal gesorgt. Die vielen Euphemismen oder auch rein wissenschaftlichen Ausdrücke wie „Perfusion” (damit ist die Tötung und Gehirnentnahme gemeint) sollen dazu beitragen, dass man sich nicht viele Gedanken dazu macht. Ich weiß auch, dass die Kollegen nicht oft – wenn überhaupt – wussten, worum es genauer in den Experimenten geht und was ihr Ablauf ist. Das ist organisatorisch verständlich, denn wie sonst könnte man damit zurechtkommen, dass man Tieren, die man eigentlich gern hat, großes Leid zufügen lässt. Ich denke, sie haben sich einfach gewisse Überlebensstrategien geschaffen, damit sie mit dem ganzen Elend, dass sie zu sehen bekommen überhaupt zurechtkommen. Etwa in der Art: „Wir kümmern uns um die Tiere. Wären wir nicht hier, würde es den Tieren noch schlimmer gehen.”  Ich denke nicht, dass die Pfleger von der Forschung vollkommen überzeugt sind, andererseits können sie nicht den Gedanken zulassen, dass das alles zwecklos ist und sie mitverantwortlich für das Elend der Tiere sind. Die Behördenvertreter gingen in Begleitung der Leitung durch die Einrichtung, der Rest des Besuches wurde in den Bürroräumen des Instituts verrichtet. Die Forscher und Tierärzte haben ganz klar eine andere Herangehensweise. Für sie steht Forschung auf jeden Fall an erster Stelle, ich denke nicht, dass sie in den Tieren mehr als „Tiermodelle” sehen, an denen sie ihre Hypothesen erforschen. Sie leben in einer Welt von Publikationen, Zitationen und Forschungsmethoden, in der das Tier immer an zweiter Stelle ist, selbst wenn man mal ein Auge zudrücken muss. Hast du meist alleine oder im Team gearbeitet? In der Primateneinrichtung waren wir insgesamt drei Tierpfleger und eine Hilfskraft. Normalerweise waren zwei bis drei von uns im Dienst, öfters kam es jedoch vor, dass man auch alleine für die Einrichtung zuständig war. Hast du einmal eine externe Kontrolle erlebt? Ja, zweimal: Einmal vom Regierungspräsidium, die Vertreter der Behörde gingen in Begleitung der Leitung durch die Einrichtung, der Rest des Besuches wurde in den Bürroräumen des Instituts verrichtet. Diese Kontrolle wurde einige Zeit vorher angekündigt, deshalb konnten wir die Tierhaltung auf die Kontrolle vorbereiten. Die Stallungen wurden nochmal gesäubert und generell Ordnung geschaffen, damit alles entsprechend gut aussieht. Ein zweites Mal kam eine Person vom Veterinäramt des Regierungspräsidiums, um sich ein Tier anzuschauen, das eingeschläfert werden sollte. Diese Kontrolle dauerte aber nur ungefähr eine Minute, die Frau schaute sich das Tier an, kam zu dem Schluss, dass eine Einschläferung positiv aus der Sicht des Tierschutzes ist und ging dann wieder. Übrigens hat das Regierungspräsidium das Recht auf Zugang zu den Unterlagen aller Tiere. Ob sie von diesem Recht Gebrauch macht, kann ich aber nicht einschätzen. Eine Zuchteinrichtung auf Mauritius von der die Tiere häufig in Versuchslabore überall auf der Welt geschickt werden. Die Behörde hat das Max-Planck-Institut ebenfalls entlastet und bei einer Kontrolle am vergangenen Donnerstag nichts ungewöhnliches festgestellt, wie kannst du dir das erklären? Die Frage ist, nach was gesucht wurde und unter welchen Umständen. Das Institut war ja nun eindeutig vorgewarnt. Echte Einblicke erhält man durch angemeldete Kontrollen sicher nicht. Die Frage ist, ob die Behörden überhaupt etwas finden wollen. Ich sehe es als Problem an, dass nur das MPI bei der Kontrolle befragt wurde. Denn natürlich wird das Institut alles daran setzen die Vorwürfe zu entkräften. Zudem haben sie ja die Möglichkeit, Interpretationen vorzustellen und für das Regierungspräsidium nur schwer verifizierbare Behauptungen zu äussern. Wie ging es dir selbst nach deinem Feierabend? Meistens war ich einfach nur müde. Ich saß auf meiner Couch, bearbeitete das Videomaterial, schrieb mein Tagebuch. Ich machte Sport und versuchte gut zu essen, mich um mein körperliches Wohlbefinden zu kümmern. Ich las viel und kommunizierte viel mit Freunden, die jedoch nichts von meinem Einsatz wussten. Das schwierigste an solchen langen Undercoverrecherchen ist meiner Meinung nach die Einsamkeit. Nicht nur in der Hinsicht, dass es aus Sicherheitsgründen nur eine sehr begrenzte Zahl von Menschen gibt, die von dem Einsatz wissen und du im Endeffekt – außer mit der betreuenden Person – nicht darüber reden kannst, was du erlebt hast. Das schwierigste ist die Einsamkeit. Es ist auch nicht einfach, mit der begrenzten Anzahl von sozialen Kontakten zurecht zu kommen. Denn jedes Gespräch, jede nähere Bekanntschaft erhöht das Risiko demaskiert zu werden. Deshalb war es meine Taktik, die Kontakte mit anderen Menschen auf ein Minimum zu beschränken, so dass ich im Endeffekt den größten Teil meiner Freizeit alleine verbrachte. Das hat sich natürlich geändert, nachdem die Recherche beendet war. Aber ich denke, dass solche langen Einsätze das spätere Leben sehr bestimmen. Die Vor- und Nachbereitung, sowie die Recherche selbst, sind fast 1,5 Jahre meines Lebens. In dem Sinne hat die Recherche auf jeden Fall einen großen Einfluss auf mein Leben gehabt, auch wenn das volle Ausmaß sich erst in ein paar Jahren beurteilen lässt. Auf jeden Fall freue ich mich, wieder mit meinen Freunden, Bekannten und meiner Familie Zeit verbringen zu können. Gibt es für die Mitarbeiter Möglichkeiten, Vorfälle oder bestimmt drastische Zustände zu melden? Wir mussten alle etwaigen Vorfälle dem Tierarzt und der Person, die für die Primatenhaltung zuständig ist melden. Mir wurde aber nicht gesagt, dass ich Missstände an das Regierungspräsidium oder anders wo melden könnte. Ansonsten war das allgemeine Arbeitsklima sehr kollegial, man hat sich untereinander geduzt, die Leitung des Instituts miteinbegriffen. Aber es war für alle klar, dass es gewisse interpersonelle Probleme zwischen dem Personal gab. Die Tierpfleger in dem Stall waren nun mal eine Welt, die Wissenschaftler oben in den Büros eine andere. An den Schnittpunkten kam es manchmal zu Konflikten, man versuchte jedoch ein freundliches Arbeitsklima beizubehalten indem man sich oft kritische Kommentare verkniff. Empfindest du manchmal auch Mitleid mit den anderen Pflegern und Ärzten aufgrund der psychischen Belastungen, die sie in der Laborarbeit erleben? Nein. Sie sind freie Menschen und müssen selbst entscheiden, wie sie ihr Vorgehen vor ihrem eigenen Gewissen rechtfertigen. Ich sehe jedes einzige Mitglied des Personals als ein kleines Zahnrad im System mit dem Namen „Max-Planck-Institut für Biologische Kybernetik.” Nur dank ihrer Arbeit kann das ganze System funktionieren.  In den vergangenen Jahren haben sich alle arrangiert und festgestellt, dass sie Teil dieses Systems sind und seine Räder rollen lassen wollen. Wie immer auch diese Entscheidungen gerechtfertigt werden: Fakt ist, dass es bewusste Entscheidungen sind, am Leiden der Affen Teil zu haben. Was motiviert Menschen nach deinen Erlebnissen, im Institut für biologische Kybernetik zu arbeiten?  Ich denke, dass es den Forschern vor allem um ihre Forschung geht. Es geht darum, Erkenntnisse zu der gegebenen wissenschaftlichen Fragestellung zu bekommen. Um dies zu erreichen benutzen sie alle zugänglichen Methoden, „Tiermodelle” miteinbegriffen. Jedoch sehe ich auch, dass sie oft forschungstechnischen Dogmen ausgesetzt sind. Und Dogmen sind sehr schwer zu hinterfragen, vor allem wenn wissenschaftliche Karrieren auf dem Spiel stehen. So nutzt man die vermeintlich bewährten Methoden, um seine Forschung und Karriere nach vorne zu treiben. Auch wenn dafür Affen „verwendet” werden müssen. Was die Tierpfleger angeht, glaube ich, dass es anders aussieht. Sie verrichten ihre Arbeit in der Annahme, dass es ja auch schlimmer für die Affen kommen könnte. Ich denke aber, dass dies auch eine Überlebensstrategie ist. Ich glaube eher, sie machen das aus pragmatischen Gründen: Sie haben einen guten Job, also machen die den auch. Wie viel Geld hast du im Max-Planck-Institut verdient? Ich wurde nach dem Tarifvertrag vergütet. [Anmerkung der Redaktion: Das bedeutet je nach Erfahrung und Qualifikation für einen 29-jährigen Tierpfleger in Baden-Württemberg ein ungefähres Bruttogehalt von 1900 und 2200 Euro pro Monat.] Weißt du, wo die Affen waren, bevor sie in das Max-Planck-Institut kamen? Ja, manche waren zum Beispiel bei Novartis in Wien, die Affen wurden 2008 verkauft und kamen auf Umwegen sogar noch 2014 ins Institut. Oder auch bei Centre de Primatologie in Strasbourg und bei weiteren, vor allem französischen, Primateneinrichtungen. Alle Bilder: SOKO Tierschutz / buav | Mit freundlicher Genehmigung. Das Max-Planck-Institut hat darauf verwiesen, dass Deutschland eine der strengsten Gesetzgebungen für Tierversuche habe. Gesetze sollten eigentlich keine Methoden erlauben, die dermaßen ineffizient, fehlerhaft, teuer und ethisch fragwürdig sind. Aber wie oben erwähnt, auch diese schwachen Gesetze bieten Möglichkeiten, den Behörden fehlt nur einfach der Mut. Die Aussage, dass Deutschland das Land mit den strengsten Tierschutzgesetzen sei, ist leider ein Märchen. Die Realität zeigt, dass die Tierhaltungsbedingungen in Deutschland durchweg erbärmlich sind. Die Rechtslage an sich ist gar nicht so schlecht, sie wird nur falsch oder nicht richtig ausgenutzt. Denn die Behörden überprüfen kaum ob die Angaben der Labors auch stimmen. Hätte man echten Einblick, wie ich es hatte und würde die gesetzliche Abwägung zwischen Belastung und Nutzen ehrlich machen, würden die meisten Versuche sofort durchfallen. Nur dazu fehlt den Behörden der Wille und der Mut. Ein Politiker [wie Boris Palmer], der sich angesichts dieser Beweislage als zu vertrauensvoll gegenüber der Tierversuchsindustrie zeigt, sollte besser einen Beruf wählen, bei dem er keine Verantwortung übernehmen muss. Siehst du eher die Politik, die Wissenschaftler oder die allgemeine Öffentlichkeit in der Verantwortung, um das Leiden von Tieren in Versuchslaboren zu beenden? Anders als bei Lebensmitteln trifft in diesem Fall die Politik die Hauptschuld. Die Wissenschaftler machen zwar nur ihre Arbeit, aber sie verfolgen fanatisch und betriebsblind ihre Ziele. Gab es einen Punkt an dem dir klar wurde, dass du deine Recherche beenden oder abbrechen musstest? Bei solchen Recherchen kommt immer ein Punkt, wo man „genug” sagen muss. Vielleicht sind nicht alle Aufnahmen perfekt, und du weißt auch, dass du nicht alles dokumentiert hast. Aber irgendwann musst du einfach den Schlussstrich ziehen.  Ich habe circa 100 Stunden Bildmaterial gedreht, habe die Abläufe am MPI dokumentiert und mir einen guten Einblick in die Funktionsweise des Instituts verschafft. Theoretisch konnte ich so lange bleiben, wie ich wollte, denn meine Arbeitgeber waren vollkommen zufrieden mit meiner Leistung. Aber nach sechseinhalb Monaten entschloss ich mich, die Recherche zu beenden. Lest hier unseren ersten Artikel zur Recherche der SOKO Tierschutz im Tübinger Labor und den Reaktionen so wie der Gegendarstellung des Max-Planck-Instituts. Unsere VICE-Doku über die SOKO Tierschutz könnt ihr hier sehen. Folgt Max auf Twitter.
Max Hoppenstedt
[ "Features", "Max-Planck-Institut", "Motherboard", "motherboard show", "Politik", "Tech", "tierversuche", "Tübingen" ]
Tech
2014-09-17T16:00:00+00:00
2024-07-31T04:20:25+00:00
https://www.vice.com/de/article/interview-mit-verdecktem-tierschuetzer-tuebingen-laboraffen-max-planck-institut-tierversuche/
Putin bringt Kritiker mit Schauprozessen zum Schweigen
In Russlands bedeutendsten Prozessen gegen Anti-Putin-Demonstranten hat die russische Staatsmacht gezeigt, dass sie keinerlei Proteste gegen Putins Regime duldet. Sieben Angeklagte, denen vorgeworfen wird, zu Ausschreitungen gegen die Regierung aufgerufen und Polizisten angegriffen zu haben, wurden zu Haftstrafen von zweieinhalb bis vier Jahren verurteilt, die sie in einer Strafkolonie absitzen müssen. Menschenrechtsgruppierungen kritisierten die ungenaue Beweisführung während des Prozesses und bezeichneten ihn als außergewöhnlich parteiisch. Normalerweise erhalten Angeklagte in Russland in ähnlichen Fällen höchstens Strafen von bis zu einem Jahr Haft. Für diejenigen, die jedoch daran denken, in Russland zu demonstrieren, ist die Signalwirkung unübersehbar: Nutzt man sein in der Verfassung verankertes Recht darauf, die Regierung zu kritisieren und gegen sie zu demonstrieren, dann macht man das auf eigene Gefahr. VICE News hat den Prozess und die Urteilsverkündung in Moskau begleitet, während vor dem Gerichtsgebäude weitere Demonstranten festgenommen wurden.
VICE News
[ "demonstration", "News", "Putin", "rechte", "Russland", "VICE News" ]
2014-03-03T12:21:00+00:00
2024-07-31T03:14:14+00:00
https://www.vice.com/de/article/vice-news-putins-schauprozess-gegen-kritiker/
Lockdown: Manche Katzen haben keinen Bock mehr auf ihre Besitzer
Lockdown, Homeoffice und kein Ende in Sicht. Die vergangenen Monate waren für alle hart – vielleicht ein kleines bisschen weniger für Menschen mit Haustieren. Eine Studie, die vergangenen September in der Fachzeitschrift PLOS Medicine erschienen war, hatte herausgefunden, dass unsere domestizierten Freunde – egal ob Katzen, Hunde, Kaninchen oder Waschbären – uns extrem dabei geholfen haben, den ersten Lockdown zu bewältigen und generell nicht den Verstand zu verlieren. “Ein Haustier zu besitzen, scheint einige der negativen psychischen Auswirkungen des Lockdowns zu lindern”, heißt es in der Studie. VICE-Video: Die großen Katzen des Persischen Golfs Ein paar Tiere allerdings – vor allem Katzen, wer hätte es gedacht? – sind nicht so davon angetan, den ganzen Tag mit Menschen abhängen zu müssen. “Haustierhalterinnen und -halter sind natürlich heilfroh, ihre Tiere bei sich zu haben. Dadurch sind sie nicht komplett alleine”, erklärt Dr. Emmanuelle Titeux, eine Tierärztin und Verhaltensmedizinerin. “Aber wenn Haustiere einen Fragebogen ausfüllen könnten, würden einige von ihnen definitiv sagen: ‘Den ganzen Tag muss ich diesen blöden Dummkopf ertragen, der nicht aufhört, mich anzupacken. Ich halte das nicht mehr aus.’” In den vergangenen Monaten posteten immer wieder Menschen, dass ihre Katzen depressiv geworden seien oder vor ihren Besitzern das Weite suchten. Eine Besitzerin von vier Katzen sagte gegenüber Vox, dass eins ihrer Tiere angefangen habe, “gegen Wände zu rennen”, und dass alle vier während des Lockdowns “zu fauchen und knurren” begonnen hätten. Die Tier- und Verhaltensmedizinerin M. Leanne Lilly von der Ohio State University sagte der Seite, dass Tiere ähnlich wie Menschen “eine plötzliche Veränderung belastend finden”. Titeux weist darauf hin, dass Begriffe wie Depressionen nicht passend für Tiere seien. “Was wir bei Tieren Depression nennen, ist eigentlich ein Art Resignation”, sagt sie. “Grob gesagt: Das Tier findet sich in einer Situation wieder, an die es sich nicht anpassen kann, also verfällt es stattdessen in einen Zustand der Apathie. Es hängt vielleicht in einer Ecke ab oder frisst sein Essen, aber sonst macht es nicht viel.” Die Tierärztin hat in ihrer Praxis in Paris nicht viele Fälle von resignierten Katzen behandelt. “Aber seit dem ersten Lockdown haben wir eine Menge Katzen gehabt, die gegenüber ihren Haltern aggressiv geworden waren”, sagt Dr. Titeux. “Während des erstens Lockdowns hatte ich sogar Leute hier, die ihre Katzen einschläfern lassen wollten, weil sie nicht aufhörten, sie anzugreifen.” Für Titeux ist der Grund für das auffällige Verhalten der Katzen offensichtlich: der Lockdown, genauer gesagt die Tatsache, dass sie rund um die Uhr mit Menschen zu Hause eingepfercht sind. Am stärksten sind Tiere betroffen, die nicht nach draußen können und dazu gezwungen sind, den ganzen Tag mit ihren Haltern in der Bude sitzen. “Einige Katzen haben wirklich die Schnauze voll von Menschen. Die drehen durch, weil sie den ganzen Tag mit ihnen zusammenhocken”, sagt Titeux. Die Tierärztin hat vermehrt gesehen, dass Katzen repetitives Verhalten zeigen – wie exzessives Lecken und Kratzen oder andere Anzeichen für Stress. Seit dem Beginn des Lockdowns habe sie auch mehr Katzen gesehen, die obsessiv Menschen oder Gegenstände kratzen. Aber nicht alle Katzen sind so. “Wir sollten das nicht generalisieren”, sagt Titeux. “Es gibt viele Katzen, die Menschen lieben und gerne mit ihren Besitzern spielen. Diese Katzen freuen sich natürlich darüber, dass sie mehr zu Hause sind. Aber es gibt auch Katzen, die keine enge Beziehung zu ihren Menschen haben. Und wenn die dann darauf bestehen, die ganze Zeit mit ihnen zu interagieren, geht das nicht gut aus.” Es gibt keine Zauberlösung für die unsozialen Tiere. “Manchmal geben wir Katzen Fluoxetin, ein Antidepressivum, das in den USA unter dem Namen Prozac auf dem Markt ist. Das kann die Aggressionen mindern”, sagt Titeux. “Aber nur weil man Tieren Medikamente gibt, die Menschen gegen Depressionen nehmen, heißt das nicht, dass die Tiere tatsächlich depressiv sind.” Für diejenigen, die ihre Wohnung mit einem unglücklichen Vierbeiner teilen müssen, kann es helfen, die Umgebung des Tieres zu ändern – wenn es denn irgendwie geht. Außerdem kann es Wunder wirken, den Umgang mit dem Tier zu ändern. “Die Katze zuerst zu dir kommen zu lassen, ist ein guter Anfang”, sagt Titeux. Folge VICE auf Facebook, Instagram, YouTube und Snapchat.
[ "Coronavirus", "Haustiere", "Katzen", "Lockdown", "Tiere" ]
Menschen
2021-02-02T05:00:00+00:00
2024-08-12T09:11:00+00:00
https://www.vice.com/de/article/lockdown-manche-katzen-haben-keinen-bock-mehr-auf-ihre-besitzer/
Wir haben Türken in Zürich gefragt, wie sie zu Erdoğans Referendum stehen
Vor dem türkischen Generalkonsulat an der Zürcher Weinbergstrasse herrscht derzeit emsiger Betrieb: Viele der in der Schweiz wohnhaften über 95.000 stimmberechtigten Türken wollen bis am 16. April noch ihre Stimme zu Erdoğans umstrittener Verfassungsreform abgeben. Mit der Reform möchte der türkische Präsident seine Macht weiter ausbauen und gleichzeitig den Einfluss des Parlaments einschränken. Umfragen des türkischen Meinungsinstituts Gezici zufolge sind zwischen 57 und 59 Prozent der türkischen Stimmbürger gegen die geplante Verfassungsänderung. Vor dem Hintergrund dieser schlechten Ausgangslage bemüht sich Erdoğan auch um die Mobilisierung der im Ausland wohnenden Türken – zum Beispiel mit Informationsveranstaltungen, die in mehreren europäischen Städten von den lokalen Behörden verboten wurden. Um mehr darüber zu erfahren, wieso Türken in der Schweiz für oder gegen die Verfassungsreform stimmen, habe ich mit einigen von ihnen gesprochen. Vor dem türkischen Konsulat in Zürich habe ich diese Menschen getroffen: VICE: Wie haben Sie abgestimmt?Amed: Ich habe Nein gestimmt. Wieso?Ich bin gegen Erdoğan, weil er eine Diktatur einrichten will. Die Türkei ist ein Vielvölkerstaat und ich möchte, dass alle Völker dieselben Rechte haben. Aber Erdoğan möchte das nicht, er vertritt eine sunnitische Ideologie und lässt nicht zu, dass andere Religionen und Ethnien gleichberechtigt sind. Nicht alle Bürger haben dieselben demokratischen Rechte: Über 150 Journalisten sind derzeit inhaftiert, mehr als 50.000 Oppositionelle sitzen im Gefängnis [Amnesty International spricht im Jahresbericht 2016/17 von 40.000 Menschen, die wegen vermuteten Verbindungen zum Putschversuch verhaftet wurden, zudem von 118 verhafteten Journalisten]. Ausserdem kontrolliert Erdoğan die Medien und lässt somit keine oppositionellen Stimmen in der Öffentlichkeit zu. Wenn das so weiter geht, gibt es bald einen Bürgerkrieg zwischen Kurden und Türken. Und das will ich verhindern. Ich will, dass Erdoğan weggeht. Wohin ist mir egal. Glauben Sie, die Reform wird angenommen?Ich schätze, rund 70 Prozent der Türken sind dagegen. Aber bei Erdoğan weiss man nie, er manipuliert. Er behauptet, die Mehrheit der Stimmbürger stehe hinter der Reform, aber ich bin mir sicher, dass er lügt. Als die pro-kurdische Partei HDP im Sommer 2015 30 Prozent der Parlamentssitze holte, hatte Erdoğan das nicht akzeptiert, und kurzerhand neue Wahlen ausgerufen. In der Zwischenzeit führte er Krieg gegen die Kurden in Suruc und attackierte einen Friedensmarsch der kurdischen HDP in Ankara [Gemäss Al Jazeera sagt die türkische Regierung, der IS, die PKK oder die Linksaussenpartei DHKP-C könnten einen solchen Anschlag mit rund 97 Toten durchführen. Die HDP rief dazu auf, statt Rache das Ende von Erdoğans Macht anzustreben]. Sie denken, Erdoğan steht hinter dem Anschlag in Ankara?Ja, genauso wie hinter dem Militärputsch. Er inszeniert das alles, um sich als Garant für Sicherheit darstellen zu können. Dabei wurden viele Demonstranten getötet. Ich denke, Erdoğan steht dahinter. Er redet den Türken auch ein, dass ganz Europa gegen sie ist. So versucht er, das Volk hinter sich zu vereinen. Doch Erdoğan ist nicht nur für die Türkei gefährlich, sondern für die ganze Welt. Er unterstützt den IS und indirekt auch die Terroristen, die in Berlin in einen Weihnachtsmarkt gefahren sind. Finden Sie es richtig, dass die AKP-Veranstaltungen in der Schweiz verboten wurden?Ja, das finde ich gut. Denn er beansprucht die Meinungsäusserungsfreiheit, welche er bei sich in der Türkei der Opposition selbst nicht gewährt. Also hat er es nicht verdient, dieses Recht im Ausland in Anspruch zu nehmen. Özgür wollte seinen richtigen Namen nicht nennen, ein Foto sei aber in Ordnung. VICE: Wie haben Sie abgestimmt?Özgür: Das möchte ich lieber für mich behalten. Es ist aber erst das zweite Mal in meinem Leben, dass ich abstimmen gehe. Ich bin extra aus Deutschland angereist, weil Zürich näher ist als Karlsruhe. Ich finde es einfach wichtig, dass alle Menschen ihre Meinung äussern können. Weshalb möchten Sie nicht sagen, wie Sie abgestimmt haben?Was ich an der politischen Kultur in Deutschland schätzte, ist die Diskretion. Man respektiert sich gegenseitig, aber behält die politische Meinung für sich. So gehen die Leute auch brüderlich miteinander um, wenn sie nicht dieselbe politische Gesinnung haben. Politik ist etwas, was man sich nicht gross auf die Fahne schreiben soll, sondern besser für sich behält. Was halten Sie vom Verbot der AKP-Veranstaltungen in der Schweiz, aber auch in Deutschland?Jeder sollte für seine Landsleute sprechen dürfen. Auch im Ausland. Da sollen sich die Schweizer und auch die Deutschen besser nicht zu sehr einmischen. Alle Menschen sollten Brüder sein. Jeder Mensch soll so leben dürfen wie er will. Ob er sich jetzt bedecken möchte oder nicht.  Ich arbeite und zahle meine Steuern in Deutschland und darf noch nicht mal wählen, weil ich auf meinen türkischen Pass bestehe. Ich respektiere das. Aber jetzt, wo ich einmal wählen darf, mischt sich plötzlich jeder ein, das regt mich so auf. Ganz Europa macht Stimmung gegen Erdoğan. Dabei sollen die doch einfach mal sprechen, sagen was sie tatsächlich wollen, die sollen doch einfach ihre Argumente artikulieren und die anderen auch, damit sich die Leute selbst eine Meinung bilden können. Alle Menschen sollen einfach reden.  Hakan wollte seinen richtigen Namen auf Grund der geäusserten Kritik an Erdoğan nicht preisgeben. VICE: Wie haben Sie abgestimmt?Hakan: Ich habe Nein gestimmt, weil das Präsidialsystem, das Erdoğan in der Türkei aufbauen will, nicht dazu da ist, um die Demokratie in der Türkei zu stärken, sondern um alle demokratischen Züge, die bisher im politischen System verankert waren, abzubauen. Denken Sie, er kommt damit durch?Wenn die Verhältnisse andere wären, also wenn die Lage ruhiger wäre, die Menschen mit reinem Gewissen abstimmen könnten, ohne Angst dass ihnen etwas widerfahren könnte, und wenn die Opposition dieselben Voraussetzungen wie die AKP-Regierung hätte, dann würden bestimmt 80-90 Prozent der Türken Nein stimmen. Aber Erdoğan und die AKP-Regierung haben ihr ganzes Hab und Gut in dieses Referendum gesteckt. Ich denke, die werden mit allen Mitteln versuchen, dieses Referendum für sich zu entscheiden. Denn sollte ein Nein beim Referendum herauskommen, würde das heissen, dass die AKP-Regierung und Erdoğans Herrschaft zusammenstürzen würde. Sie gehen also davon aus, dass die Abstimmung nicht fair nach demokratischen Prinzipien durchgeführt wird?Nein, auf keinen Fall. Rechnen Sie damit, dass Erdoğan unter diesen Umständen mit dem Referendum durchkommt?Es gibt in der Türkei ein Sprichwort, das besagt, dass bei den Osmanen die Spielchen nie enden. Auch dieses Mal wird Erdoğan pfuschen, wo er nur kann. Er wird repressiv sein, vor allem in den kurdischen Gebieten wird er die Menschen einschüchtern und auch Gewalt anwenden, damit die Menschen in seinem Sinne abstimmen, oder gar nicht am Referendum teilnehmen. Die AKP wollte ja auch in der Schweiz Informationsveranstaltungen abhalten, die von den lokalen Behörden jedoch abgesagt wurden. Ist das Ihrer Meinung nach richtig?Natürlich war es richtig, die Veranstaltungen abzusagen. Erdoğan ist ein faschistischer Diktator, der die Minderheiten in seinem Land nicht anerkennt und hier in Europa sollte man einem Diktator, der faschistisch gesinnt ist, keine Plattform geben. Man sollte sogar noch härter gegen ihn vorgehen. Inwiefern?Durch Boykotte und wirtschaftliche Sanktionen. Erdoğans Regierung hat in den kurdischen Teilen grosse Verbrechen an den Menschen begangen. Deswegen sollte Erdoğan und seine Regierung vor dem Gerichtshof für Menschenrechte zur Verantwortung gezogen werden, denn das waren Kriegsverbrechen. Bei der Umfrage vor dem türkischen Konsulat wollte niemand der Reformbefürworter öffentlich Stellung beziehen. Es scheint, als seien die Befürworter kurz vor der Reform vorsichtig geworden, sich gegenüber Medien zu äussern. Als Grund haben einige angegeben, dass sie es sich nicht mit ihrem Arbeitgeber und Nachbarn verscherzen wollen. Um doch auch die Argumente der Befürworter kennenzulernen, verschickte ich zahlreiche Kontaktanfragen über türkische Freunde und Kollegen. Doch auch diese mündeten in einer Sackgasse. Zu heikel schien die Thematik zu diesem Zeitpunkt. Schlussendlich wurde ich an einen Zürcher Coiffeur-Salon verwiesen, der von Befürwortern frequentiert werden soll. Und tatsächlich: Ich traf dort einen Befürworter, der nach seiner Rasur bereit war, mir ein paar Fragen zu beantworten: Baris wollte nicht, dass sein Arbeitgeber seinen richtigen Namen hier lesen kann. VICE: Wie hast du über das Referendum abgestimmt?Baris: Mit Ja.Weshalb?Ich habe mir angeschaut, welche Veränderungen die Reform mit sich bringen würde. Grundsätzlich geht es einfach darum, dass Entscheidungsprozesse der Regierung vereinfacht und beschleunigt werden, was angesichts der aktuellen Situation im Land meiner Meinung nach keine schlechte Idee ist. Die kurdischen Sezessionsbestrebungen und der Terrorismus der PKK bedrohen die Einheit des Landes. Deswegen ist es gut, wenn Erdoğan mehr Verantwortung bekommt, denn er ist ein Garant für Stabilität. Zudem habe ich grosses Vertrauen in den Mann. Ich denke, bei einem Ja wird die Türkei unabhängiger und dadurch freier sein. Woher kommt das Vertrauen?Weil er bisher seine Wahlversprechen gehalten hat. In meiner Familie ist es Tradition, dass die Frauen ein Kopftuch tragen. Vor Erdoğan war es gläubigen Mädchen an türkischen Schulen allerdings verboten, das Kopftuch zu tragen. Viele wurden dadurch diskriminiert, ihre Religionsfreiheit zu leben. Dank Erdoğan dürfen diejenigen, die wollen, nun ein Kopftuch tragen, und diejenigen die es nicht tragen wollen, müssen es nicht. Er gewährt den Menschen Entscheidungsfreiheit, was ich gut finde. Zudem hat er das Land stark wirtschaftlich vorangebracht. Wenn du ländliche Regionen heute damit vergleichst, wie es vor 20 Jahren dort aussah, würdest du das nicht mehr wieder erkennen. Erdoğan hat das Land aufgebaut. Ich bin aber kein sturer AKP-Wähler, wenn er unser Vertrauen missbraucht, würde ich ihn auch wieder abwählen. Kurden kritisieren an Erdoğan, dass sie unter seiner Regierung nicht dieselben Rechte haben wie Türken. Was hältst du von dieser Anschuldigung?Ich bin Türke, komme selber aber aus Adiyaman, einer Stadt, die in der kurdischen Region liegt. Soweit ich das beurteilen kann, funktioniert das Zusammenleben zwischen den einzelnen Volksgruppen sehr gut. Ohne Probleme. Ich habe auch viele kurdische und alawitische Freunde dort. Diejenigen, die sich benachteiligt fühlen, sind PKK-Unterstützer. Ich habe überhaupt kein Problem mit Kurden. Wer unser Land destabilisieren und auseinandernehmen will, ist fehl am Platz. Wenn die Kurden unabhängig werden, dann wollen das auch alle anderen Minderheiten. Was bleibt dann von der Türkei noch übrig? Die Kurden, die du befragt hast, besitzen ja auch einen türkischen Pass, mit dem sie abstimmen durften. Die haben dieselben Rechte wie ich. Findest du es nicht problematisch, wenn Erdoğan weitere zwei Amtszeiten Präsident sein könnte?Nein, überhaupt nicht. 2023 wird der Vertrag von Lausanne auslaufen, in dem die Türkei nach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg Ländereien abtreten musste. Lieber habe ich dann immer noch Erdoğan an der Macht, der den Vertrag sicherlich nicht verlängern wird, als die Leute, die hinter dem Putschversuch oder den Gezi-Protesten standen. Was hältst du davon, dass die AKP-Wahlveranstaltungen in der Schweiz von den Behörden verboten wurden?Ich finde das unfair, weil Veranstaltungen anderer Parteien nicht verboten wurden. Zudem ist das schlecht für das Image der Schweiz. Ich verstehe nicht, wieso die Schweiz im Falle der AKP die Meinungs- und Versammlungsfreiheit ignoriert hat. Das ist eine Doppelmoral. Denkst du, die Reform wird angenommen?Ja, denke ich schon. Und selbst wenn nicht, wäre das nicht so schlimm. Es würde sich an der Situation ja nichts ändern. Es ist nicht ein Kampf von Erdoğan, sondern ein Kampf der Türkei. VICE auf Facebook.Philippe auf Twitter.
Philippe Stalder
[ "akp", "Demokratie", "erdogan", "referendum", "Schweiz", "türkei", "Türkisch", "Türkisches Referendum", "Verfassungsreform", "Zürich" ]
2017-04-13T09:51:54+00:00
2024-07-30T19:40:01+00:00
https://www.vice.com/de/article/wir-haben-turken-in-zurich-gefragt-wie-sie-zu-erdogans-referendum-stehen/
Die Crystal Fighters regen sich nie auf
Letztens fragte uns Pepe Jeans, ob wir nicht nach Barcelona fliegen möchten, um die Crystal Fighters auf dem Singular Festival zu interviewen. Wir mussten kurz überlegen, ob wir tatsächlich das graue, kalte Deutschland verlassen möchten, in dem wir stets miesepetrig und schlecht gelaunt durch die Gegend laufen, um im sonnigen, warmen Spanien einen kurzen Schwenker auf das Festival zu machen und den Rest der Zeit am Strand zu brutzeln. Nach kurzer Bedenkzeit entschieden wir uns, das Angebot anzunehmen. Am letzten Donnerstag trafen wir also im Barceloner Club Razzmatazz den tiefenentspannten und gutgelaunten Crystal Fighters-Gitarrist Graham Dickson kurz vor dem Auftritt. Nachdem wir bereits die erste Entspannungsquelle riechen konnten, der junge Mann sich als genauso lebensfroh wie seine Musik entpuppte, und uns dann noch erklärte, mit welchem Alkohol (nämlich Tequila) wir den Abend und ihren Sound am besten begießen sollten, beschlossen wir, uns der guten Laune anzuschließen und einfach mitzufeiern. Wir waren schließlich in Barcelona, allein das war Grund genug. Noisey: Hallo, wie geht’s?Graham: Ich fühle mich sehr gut. Ihr seid öfter in Spanien, oder?Wir waren früher sehr oft hier. Vor vier Jahren waren wir sogar Residents im Razzmatazz. Aber jetzt waren wir schon seit zwei Jahren nicht mehr hier. Die frühere Sängerin war diejenige mit der spanischen, baskischen Verbindung. Ich komme aus Massachusetts, unser Sänger ist Brite und unser Drummer kommt aus Sardinien. Aber vor zwei Wochen hatten wir den Cave Rave. Das war hier. Eure Musik ist so lebensfroh und gutlaunig. Was regt dich denn so richtig auf?Mich regt nichts auf. Ich glaube, es ist nicht gut, sich aufzuregen. Aber ich bin manchmal enttäuscht, wenn ich Ungerechtigkeit oder Respektlosigkeit erlebe. Okay. Und wie sieht deine Reaktion aus, wenn du enttäuscht bist?Man muss immer höflich sein. Man muss danach streben, immer höflich und glücklich zu sein. Ich probiere es mal.Ja, aber es ist nicht leicht. Nein, manchmal ärgere ich mich auch, so wie jeder Mensch. Du hast dich früher also viel geärgert und dann beschlossen, dich zu entspannen?Ja, genau. Früher haben mich auch die gleichen Dinge aufgeregt: gemeine Leute, Respektlosigkeit und generell Ungerechtigkeit. Das kann sich in so vielen Richtungen äußern. Woher kommt denn die ganze Cave Rave-Sache? Wie seid ihr auf Höhlen gekommen?Die Höhlen kamen auf, als wir das Album geschrieben haben. Wir schrieben es im Baskenland und hatten die baskische Kultur im Hinterkopf. Sie ist so alt, sie ist schon eine antike Kultur ist. Wir überlegten, wer vor den Basken und vor dieser ganzen Zeit da war. Es gibt so viele Höhlen, in denen Höhlenmalereien von vor tausend Jahren zu sehen sind. Wir haben angefangen, die Höhlen und die Kunst zu recherchieren und die ganzen Darstellungen der verschiedenen Bewusstseinsdimensionen. Wir haben realisiert, dass all die unterschiedlichen Höhlenmalereien auf der Welt sich ähnlich sind, ein gleiches Verständnis vom Leben haben. So kamen wir auf Cave Rave, denn es ist doch, wie in einen Club zu gehen. Im Club kannst du verschiedene Dimensionen deines Bewusstseins erleben und ausdrücken. Du kannst dich gehen lassen und vom Alltag loslassen. Deswegen haben wir den Namen für das Album ausgesucht und uns gedacht, wir machen einen Cave Rave in Spanien. Ihr hattet die Idee mit dem Rave also schon bei der Namenswahl?Ja, genau. Wie war er denn?Er war unfassbar. Die Akustik war überraschenderweise recht gut. Unser Tontechniker Jake hat einen guten Job gemacht. Er hat ein gutes Soundsystem besorgt. Ich war sehr überrascht, dass das so gut funktioniert hat. In der Höhle an sich steckt so viel Geschichte. Dort wurden schon baskische Zeremonien abgehalten. Deswegen war es großartig, dass wir auch an der Party teilnehmen konnten. (lacht) Wo wird der nächste Rave sein?Ich glaube, wir wollten schon immer dort einen machen. Aber es wäre cool, noch an anderen besonderen antiken Orten in der Welt zu spielen. Vielleicht Höhlen, vielleicht auch Pyramiden. Wer weiß das schon. Kommt ihr euch nicht manchmal komisch vor bei all den Crystal-Bands?Nein, wir uns den Namen schon vor so langer Zeit überlegt haben. Der Name an sich bedeutet uns so viel. Die Herkunft des Namens ist wichtig, deswegen waren uns die anderen Bands egal. Wir haben uns auch nie so gefühlt, als ob wir ein Teil, einer Bewegung oder Gruppe wären. Am Anfang war es wahrscheinlich sogar hilfreich, weil die Leute dachten, wir sind Crystal Castles. Für uns macht der Name Sinn. Lauras Großvater hat ihr ein Buch hinterlassen, als er gestorben ist. Es war eine verrückte, unfertige Oper mit konfusen Teilen namens Crystal Fighters. Einer davon kam unserer Idee recht nahe. Es war ein tolles Stück über die rebellierende Jugend, gutes Zeug. Habt ihr schon mal mit dem Gedanken gespielt, die Oper zu spielen?Ja, es ist nicht wirklich eine Oper, es ist nahe dran. Es macht auch keinen Sinn, es geht darum, seinen Verstand zu verlieren. Es wären sehr, sehr kurze Sequenzen. (lacht) Ich bin ganz alleine hierher gereist, um mich mit euch zu treffen. Was hältst du denn vom Reisen alleine?Ich glaube, alleine zu reisen, wird dein Leben verändern. Aus seiner Comfort Zone rauszukommen, aber auch keinen anderen in deiner Zone zu haben und mit dem darüber reden zu können, was gerade passiert, ist sehr wichtig für die Entwicklung und auch für das Verständnis. Ich glaube, Leute, die nicht reisen, verstehen nicht unbedingt, warum alles so ist, wie es ist. Wo warst du auf Reisen?Ich bin alleine nach Afrika gereist, durch Amerika. Ich bin alleine nach Schottland gezogen, so habe ich die Jungs aus der Band kennengelernt. Ich kannte niemand dort. Dann bin ich nach London gezogen, wo ich auch jetzt noch wohne. Alleine. Viel Zeit alleine?Jetzt nicht mehr so viel, aber früher schon. Wenn du dir „One band, one date, one special place“ aussuchen könntest, was würdest du nehmen?Was nochmal? Das ist das Konzept dieses Festivals: „One band, one date, one special place“.Achso, echt? Cool. Ich nehme Prince auf den Fiji Inseln, auf irgendeiner einsamen Insel. Das wäre perfekt. Und das Ganze an Weihnachten?Ja, wahrscheinlich irgendwann, wenn die Wellen hoch sind. Gibt es eine Geschichte zu eurem Song „Plage“?Ja, klar. Es geht einfach nur um Spaß haben, jemanden kennenzulernen, den du gern magst, Party machen und dann nachts an den Strand gehen und gucken was passiert, um vier Uhr morgens. Okay.Ja, es geht darum, wie glücklich man ist, wenn man frisch verliebt ist. Schreibt oder singt ihr denn wirklich nie über Schlechtes?Nein. Nein?(lacht) Naja, manchmal. Nein, eigentlich nicht. Also manchmal stellen wir Fragen oder behandeln Themen, die nicht unbedingt positiv oder negativ sind. Aber nein, ich überlege gerade, ob mir eine negative Textzeile einfällt, aber mir fällt keine ein, die wirklich negativ ist. Sie sind neutral. Das ist schon außergewöhnlich. Die meisten Musiker holen sich ihre Inspiration ja aus Schmerz und Leid.Nicht alle. Aber die Tendenz geht in die Richtung.Ja, die meisten sind emotional. Und hörst du auch traurige Musik?Ja, manchmal, aber auch nicht mehr wirklich. Als ich jünger war, habe ich sowas viel gehört. Aber ich liebe Musik aus den 80ern, zum Beispiel Duran Duran. Ich liebe auch Elektrofunk, wo sie auch viel über Liebe singen, aber eher über emotionale Liebe, nicht schlechte Liebe. Ich mag schöne Liebe mehr als traurige Liebe. Liebe sollte doch glücklich sein. Noch eine Frage: Welchen Drink sollte ich trinken, wenn ich Crystal Fighters höre?Tequila ist definitiv das Beste, das du trinken kannst. Oder eine Art schamanistisches Gebräu. Shots?Wie du willst, aber Tequila bringt dich in einen guten Bewusstseinszustand, es ist alles ein bisschen wackelig. Das musst du trinken. Okay, dann trinke ich heute Abend Tequila Sunrise.Ja, du kannst einen Tequila Sunrise trinken. Aber trink nicht zu viele, da ist viel Zucker drin und dann kriegst du Kopfschmerzen und einen Kater. Wird gemacht.Perfekt. ** Folgt Noisey bei Facebook und Twitter. MEHR VON NOISEY
Viola Funk
[ "barcelona", "Crystal Fighters", "Features", "Interviews", "Music", "Noisey", "razzmatazz" ]
2013-09-18T12:00:00+00:00
2024-07-31T04:56:40+00:00
https://www.vice.com/de/article/die-crystal-fighters-sind-nie-schlecht-drauf/
Ein Video zeigt, wie Krebs Knochengewebe zerstört
Das Grüne stellt Knochengewebe dar, die roten Punkte sind Krebs. Achte darauf, wie sich gegen Ende des Videos die roten Zellen in grüne Taschen gefressen haben. Alle Bilder und Aufnahmen bereitgestellt Lange Zeit konnten Ärzte nur spekulieren, warum Leukämiepatienten so heftige Schmerzen in ihren Knochen und Gelenken verspüren. Dank einer neuen Visualisierungstechnik, die von Forschern an Londons Imperial College und dem australischen Walter and Eliza Hall Institute entwickelt wurde, können Medizinier jetzt in Echtzeit sehen, was im Körper passiert. Und zwar, dass Krebszellen die Knochen zerstören, die sie befallen. Leukämie ist Blutkrebs und darüber hinaus die Krebsart, an der Kinder am häufigsten erkranken. Leukämie zeichnet sich außerdem dadurch aus, dass sie extrem resistent gegenüber Chemotherapie ist. Warum das so ist, hatten Ärzte bislang auch nicht wirklich verstanden. Aber auch hier konnte die neue Visualisierungstechnik Abhilfe schaffen. Um eine ungefähre Vorstellung davon zu bekommen, wie sie funktioniert und inwiefern sie die Medizin vorantreibt, haben wir den Immunologen Dr. Edwin Hawkin angerufen, den Leiter des australischen Forschungsteams. Dr. Edwin Hawkin VICE: Dr. Hawkin, das Video ist ziemlich unheimlich. War das auch Ihre Reaktion, als Sie es zum ersten Mal gesehen haben? Edwin Hawkin: Ja, das mit dem unheimlichen Gefühl stimmt schon. Das ist mir genau so gegangen, als ich es zum ersten Mal gesehen habe. Ich habe mich immer wieder gefragt: “Ist das wirklich wahr? Ist das wirklich das, was im Körper passiert?” Es ist eine grauenvolle Vorstellung. Wie funktioniert diese Technologie denn? In dem Video sieht man Tausende Einzelbilder eines Stücks Schädelknochen, die zu einem Bild zusammengefügt wurden. Wir haben ein Stück genetischen Codes einer fluoreszierenden Qualle eingefügt—die Methode wird seit vielen Jahren angewandt und hat auch einen Nobelpreis gewonnen—, um die Zellen, die wir beobachten wollen, einzufärben. Wir haben auch Antikörper injiziert, die sich an die Zellen anheften, die wir beobachten wollten—auch sie haben wir mit einem fluoreszierenden Stoff markiert. Wir haben also die Knochenzellen und die Krebszellen unterschiedlich eingefärbt, sie jeweils neun Stunden lang unter ein Mikroskop gehalten und alle drei Minuten die Daten gesammelt. Es war unfassbar zeitaufwändig. Können Sie erklären, was diese Technologie und die Ergebnisse so bahnbrechend macht? Sie ist vor allem aufgrund der Erkenntnisse für die Chemotherapie bei Leukämie unglaublich wichtig. Früher haben alle gedacht, dass es da diesen besonderen Bereich geben würde—eine Art Bunker, in dem sich die Krebszellen verstecken. Wir können jetzt aber sehen, dass das nicht stimmt. Stattdessen steigern die Zellen ihre Aktivität und bewegen sich schneller. Sie ziehen durch den Körper und versuchen, der Chemotherapie zu entkommen. Und was können Sie mir über die Knochenschmerzen sagen, von denen Patienten berichten? Bislang wusste niemand wirklich, warum das so ist. Wir hatten vermutet, dass es daran liegt, dass sich dermaßen viele Zellen in den Knochen der Patienten teilen, dass es sie beinahe zerreißt. Aber auch das stimmt nicht. Die Menschen haben Schmerzen, weil ihre Knochen abgetragen, getötet und neumodelliert werden. Tragen die Krebszellen die Knochen aus einem bestimmten Grund ab? Nein, das glauben wir nicht. Krebszellen sind nicht intelligent. Das ist ein großes Missverständnis. Menschen scheinen zu glauben, dass Krebszellen wissen, was sie tun—wie Viren. Ein Virus entwickelt sich ständig weiter und versucht seine Wirtszelle am Leben zu halten. Krebs tut das jedoch nicht. Wir vermuten, dass das Abtragen der Knochen geschieht, weil sich so viele Zellen teilen und Abfallprodukte produzieren. Die Zerstörung des Knochens ist quasi ein Nebeneffekt. Wie werden uns diese neuen Erkenntnisse im Kampf bei der Krebsbehandlung helfen? Wir haben gelernt, dass Krebszellen von der Chemotherapie förmlich wegrennen—und zwar sehr schnell. Wir werden also die Proteine blockieren, anhand derer sie sich durch den Körper bewegen. Weil wir jetzt sehen können, wie die Krebszellen weglaufen, können wir ein Medikament verabreichen und in Echtzeit zusehen, wie die Zellen darauf reagieren. Wir haben ein paar Medikamente gefunden, die die Zellen tatsächlich aufhalten können. Das kann man schon beobachten, während man das Mittel injiziert. Man sieht, wie die Zellen plötzlich aufhören, sich zu bewegen und einfrieren. Es ist, als würden sie im Schlamm stecken bleiben. Ist das die Erkenntnis, die für Sie am aufregendsten ist? Am aufregendsten ist für mich an der Geschichte, dass wir das Bedürfnis komplett eliminiert haben, diese Zufluchtsorte oder Bunker zu suchen. Sie existieren nicht, also müssen wir uns nicht mehr um sie kümmern. Stattdessen wissen wir jetzt genau, worauf wir uns konzentrieren müssen. Das ist für mich der größte Fortschritt.
VICE Staff
[ "Behandlung", "Chemotherapie", "Forschung", "Gesundheit", "Knochen", "Krankheit", "krebs", "Krebszellen", "Leukämie", "medizin", "Tech", "technik", "Vice Blog", "video", "кур" ]
2016-10-24T07:30:00+00:00
2024-07-30T22:35:20+00:00
https://www.vice.com/de/article/zn5xax/in-diesem-video-siehst-du-wie-krebs-knochengewebe-zerstoert
Ein russischer Milliardär will mit Laser-Shuttlen Alpha Centauri erschließen
„Heute stelle ich die Frage: Werden wir je zu den Sternen kommen?”—So leitete der russische Millionär Yuri Milner gestern Abend die geheimnisvoll angekündigte Pressekonferenz ein, die er mit Stephen Hawking einberufen hatte. Viel wurde im Vorhinein gemunkelt, worum es bei dem neuesten Projekt ihrer gemeinsamen Weltraumforschung wohl gehen könnte, von dem bisher nur der Name „Starshot” an die Öffentlichkeit vorgedrungen war. Hatten sie möglicherweise bereits Aliens entdeckt? Nein, außerirdische Intelligenzen waren ihnen bei Breakthrough Listen, einem Forschungsprojekt, das die beiden erst letztes Jahr vorgestellt hatten, und bei dem mit akustischen Signalen und zwei der größten Teleskope der Welt das All abgesucht wird, noch nicht begegnet. Doch jetzt zünden Hawking und Milner, dessen Vorname Yuri auf den berühmten Kosmonatuen Gagarin zurückgeht, eine neue Aktivitätsstufe: „Mit Lichtstrahlen und neuem Antrieb können wir innerhalb der nächsten Generation zu Alpha Centauri fliegen”, so Milner bei der Pressekonferenz. Das grundlegende Problem, dem die beiden sich annehmen wollen, ist die Langsamkeit der bisherigen Weltraumreisen. Mit unseren bisherigen Technologien kommen wir in einer Generation nicht besonders weit, was bedeutet, dass wir auch unseren potentiellen Freunden am anderen Ende des Universums in absehbarer Zeit wohl nicht begegnen werden. Das wollen Hawking und Milner nun ändern. Hawking und ein internationales Forscherteam bringen ihr wissenschaftliches Know-How und ihre enormes Wissen in das SETI-Programm ein. Milner macht ganze 100 Millionen Dollar locker, um die Frage, wie wir im Weltraum schneller und weiter vorwärts kommen können, möglichst zeitnah zu beantworten. „Wir sind Menschen; es liegt in unsere Natur zu fliegen”, so Milner. Um jedoch Gegenstände auf einen Bruchteil der Lichtgeschwindigkeit beschleunigen zu können, müssen neue Antriebstechnologien jenseits des gängigen Treibstoffantriebs entwickelt werden. Welche das sein könnte, erklärte Milner gestern und leitete zu der Hauptattraktion des Abends über: Breakthrough Starshot. Im Kern handelt es sich dabei um Nanosatelliten, deren Ultraleichtsegel („Lightsail”) mit Lasern beschleunigt werden und die so ins Alpha-Centauri-System geschickt werden sollen. Ihre Geschwindigkeit könnte 20 Prozent der Lichtgeschwindigkeit erreichen. Neben der neuen Antriebstechnologie heißt das Zauberwort hier Miniaturisierung. Anstatt ein riesiges Raumschiff loszuschicken, welches allein durch seine Masse kaum von der Stelle kommt, soll bei Starshot eine ganze Flotte briefmarkengroßer Nanogefährte in Richtung Alpha-Centauri abgeschickt werden. Sollten unterwegs ein paar ihren Geist aufgeben bzw. verglühen, bleiben immer noch ein paar übrig, die die intergalaktische Reise fortsetzen können. „Das was ich hier in der Hand halte ist die erste Version—mit beschränkter Funktionalität—ein sogenannter StarChip”, stellte Milner den Prototyp der Mini-Flotte der versammelten Weltpresse vor. „Es ist der Silicon-Valley-Ansatz der Weltraumreisen, unser Segelboot.” Der Ansatz, fundierte Forschung und innovationsorientierte private Förderung zu verbinden, wird noch einmal dadurch unterstrichen, dass sogar Mark Zuckerberg als einer der Berater des Projektes fungiert. „Die Handytechnologie hat uns dramatische technische Fortschritte im Bereich der Mikroelektronik beschert. Was ich hier in der Hand halte ist die erste Version eines Silizumchips mit Kamera, Photonen-Steuerrakete, Energieversorgung und Kommunikationsgeräten. Alles auf der Größe einer Briefmarke und massenproduzierbar zum Preis eines iPhones.” Screenshot: Motherboard, Breakthrough Starshot Livestream Angetrieben werden soll StarChip durch Sonnensegel, die den Chip durch den Rückstoß auftreffender Lichtteilchen vorwärts treiben. Da die Energie der Sonne für ein derartiges Unterfangen jedoch zu gering ist, benötigen wir einen gigantischen Laser, der die Sonnensegel der Chips mit der nötigen Energie versorgt, nachdem sie von einem Mutterschiff im Weltraum ausgesetzt wurden. Damit wären wir auch schon beim bisher größten Haken des Plans: Der benötigte Laser wäre eine gigantische Energieschleuder und müsste für ein bis zwei Minuten die hundertfache Leistung eines Kernkraftwerkes aufbringen. Das wäre so viel Energie wie heute bei dem Start eines großen Spaceshuttles verbraucht wird und was ungefähr 200 Tonnen Treibstoff entspricht, erklärt Avi Loeb, Harvard-Astronom und Chef des Starshot-Beraterstabs in der New York Times. Gleichzeitig müssen die Laser mittels Phased-Array, einer Art Gruppenstrahlertechnik, alle synchron schwingen und Störungen durch die Atmosphäre dabei korrigiert werden. Würde der Laserstrahl nicht vom Chip vollständig reflektiert, sondern auch nur ein hundertstel der Energie vom ihm aufgenommen werden, ist ein Teil der Nano-Flotte auch schon hinüber, denn der Chip würde schlicht verglühen. Es klingt unglaublich, doch die Erde hinter einer Laser-Tarnkappe zu verstecken ist momentan eine auf technischer Ebene realistischere Idee als die intergalaktische Erkundungstour mittels Nano-Raumschiffen. Ob Starshot also eine große Utopie bleiben wird oder nicht wird sich zeigen. Auch, ob die Kombination von großem Budget und Hawkings Vorwissen in dem Projektzeitraum von 20 Jahren Lösungen für alle Probleme entwickeln kann. Bisher ist Breakthrough Starshot nämlich vor allem eine ambitionierte Vision und eine riesige Ingenieursherausforderung. Das ist auch Hawking und Milner klar und so präsentierten sie gestern eine Folie mit circa 35 Problemen, die es noch zu lösen gilt. Sobald die Reise losgehen kann, wollen die Forscher die StarChips auch erstmal mit einem kleineren Ausflug testen. Die erste Nano-Flotte soll sich zum Mond aufmachen und Fotos von unserem Trabanten einsammeln.
Christine Kewitz
[ "ALIENS", "astronomie", "hawking", "Mark Zuckerberg", "Motherboard", "motherboard show", "Raumfahrt", "S.E.T.I.", "Stephen Hawking", "Suche nach Aliens", "Tech", "Weltraum", "zuckerberg" ]
Tech
2016-04-13T09:33:00+00:00
2024-07-30T22:50:06+00:00
https://www.vice.com/de/article/russischer-milliardaer-yuri-millner-will-mit-mini-raumschiffen-alpha-centauri-erkunden-stephen-hawking/
Was Menschen bei Europas größtem Fetisch-Event für ihre Outfits zahlen
Auch bei 30 Grad gibt es kaum etwas Besseres, als von Kopf bis Fuß in Latex zu stecken. Das gilt zumindest für einige der etwa 20.000 Menschen, die Anfang September bei Europas größtem Fetisch-Event in der Berliner Spätsommerhitze feierten. Zum 20. Jubiläum der Lack-und-Leder-Straßenparty Folsom Europe wollten wir von den Harness-, Uniform- und Masken-Fans dort wissen, wie viel Geld sie für ihre Outfits bezahlt haben (vor Kurzem haben wir das auch Cosplayer gefragt). Die beiden Fotografen Till Milius und Anton Roentz waren mit ihren Kameras dabei und haben Bilder von einigen der schönsten und kreativsten Outfits mitgebracht.  “Ich habe für mein Outfit etwa 700 Euro bezahlt. Es sieht geil aus, ist eng und ich falle damit auf. Ich bin schon zum zehnten Mal bei Folsom dabei.” “Ich bin zum dritten Mal beim Folsom-Festival und extra aus Amsterdam angereist. Mein Outfit hat etwa 3.000 Euro gekostet. Am teuersten war die Hose, die allein 1.000 Euro gekostet hat.” Marc: Wir waren schon zehn bis zwölf Mal bei der Folsom und treffen hier viele Freunde, die auch in der Fetisch-Szene unterwegs sind. Ich wollte heute zuerst komplett in Gummi kommen, habe mich wegen der Hitze aber doch für ein Lycra-Outfit entschieden. Das war nicht teuer, vielleicht 200 Euro. Thorsten: Es ist so schön, wie sich heute alle unter freiem Himmel ausleben können. Mein Outfit war günstig, das hat nicht einmal einen Hunderter gekostet. Ich wollte eigentlich etwas aus Leder anziehen, aber dafür ist es heute zu warm. “Ich bin heute zum ersten Mal bei der Folsom und muss zugeben, dass ich es ein bisschen überwältigend finde. Insgesamt hat mein Outfit 60 Euro gekostet. Am liebsten mag ich daran den Choker mit der Nippelkette.” LabWolf: Unsere Outfits haben um die 600 Euro gekostet. Okami: Auf die Latex-Masken mussten wir lange warten, weil die gerade sehr begehrt sind und es auch nicht viele Anbieter gibt. Auch bei VICE: Wir haben mit den Folsom-Besuchern über Liebe gesprochen A post shared by VICE auf Deutsch (@vice_de) “Ich habe für mein Outfit 270 Euro ausgegeben. Es ist mein drittes Mal Folsom und es ist jedes Mal wie eine Version vom CSD, die noch kinkier ist.” “Das ist mein erstes Folsom und ich habe für mein Outfit etwa 470 Euro ausgegeben.” “Das alles hat insgesamt etwa 500 Euro gekostet. Es ist mein erstes Mal bei der Folsom und mir fällt auf, wie viele Leute hier irgendwo angekettet sind. Ich habe auch eine Person gesehen, die angepinkelt wurde.” “Ich bin zum vierten Mal dabei und habe für mein Outfit etwa 2.000 Euro ausgegeben.” “Mein Outfit hat etwas Königliches. Es hat um die 300 Euro gekostet. Ich bin eigentlich nicht so der Fetisch-Typ, aber ich verkleide mich gern und gucke mir die Leute hier gerne an. Das ist hier heute richtig was fürs Auge, finde ich.” “Ich bin extra für die Folsom aus Österreich angereist. Hier können wir alle frei sein. Alle können sich so ausdrücken, wie sie wollen. Für mein Outfit habe ich insgesamt 700 Euro ausgegeben.”Folge VICE auf TikTok, Facebook, Instagram, YouTube und Snapchat.
[ "Fetisch", "Folsom", "Fotos", "Homosexualität", "Látex", "LGBTQ", "queer", "schwul" ]
Sex
2023-09-19T04:00:00+00:00
2024-08-12T06:38:51+00:00
https://www.vice.com/de/article/fotos-von-der-folsom-europe-2023-fetisch-outfits/
Vier Partydrogenkonsumenten über ihren Ausstieg aus dem regelmäßigen Konsum
Die Personen auf dem Foto stehen in keinerlei Verbindung zu den Protagonisten dieses Artikels, der zuerst bei Noisey Alps erschien. Foto von newtown graffiti (CC BY 2.0) Alkohol wird immer wieder medial aufgearbeitet und besprochen. Und das ist gut so. Kreative Werbemaßnahmen wie zum Beispiel der Instagram-Account von Louise Delage zum Thema “Alkoholismus bei jungen Menschen”, werden oft gesetzt und schärfen das Bewusstsein. Menschen, die Medien jeglicher Art verfolgen, sind im besten Fall über die Gefahren von Alkohol aufgeklärt. Trotzdem gibt es sie—die jungen Alkoholiker, die regelmäßig untertags trinken oder viel zu oft trinken, obwohl sie eigentlich wissen müssten, wie schädlich und vor allem suchterzeugend Alkohol ist. Aber wie sieht es mit Partydrogen aus? Da fehlt noch ein bisschen die gesellschaftliche Aufarbeitung. Aufklärende Konsumenten-Geschichten sind noch nicht so häufig zu lesen und es fehlen auch kreative Werbemaßnahmen, die das Bewusstsein schärfen. Drogen sind noch immer, auch im Jahre 2016, ein Thema, das man mehr aufbereiten könnte. Denn: Aufputschende Mittel wie Speed, MDMA oder Kokain sind nicht so schwer zugänglich, wie mancher vielleicht denkt, und werden in vielerorts verharmlost. Die Schädlichkeit von Partydrogen bei unregelmäßigem Konsum wird unter Konsumenten und Wissenschaftlern heiß diskutiert. Die steht jetzt auch nicht zur Debatte. Aber wenn es kaum öffentliche Aufklärung über die Gefahren eines unregelmäßigen Konsums gibt und die Allgemeinbevölkerung unter “Drogen nehmen” noch immer eher an Heroin als an Ecstasy-Pillen denkt, dann ziehen regelmäßige Konsumenten den Kürzeren. Hier sind deshalb vier Geschichten von Partydrogen-Konsumenten, die von sich selbst sagen, dass ihr Konsum nicht mehr gesund war und wie sie der Regelmäßigkeit entkommen konnten. Alle Namen wurden vorher von der Redaktion geändert. Irgendwann mit 21 habe ich das erste Mal Drogen genommen. Ich fand, ich war genug aufgeklärt und außerdem wollte ich es unbedingt probieren. Am Anfang hat es auch echt Spaß gemacht. Ich nahm ab—was ich willkommen hieß—, ich lernte viele neue Leute kennen und habe mich nicht nur cool, sondern auch zugehörig gefühlt. Afterhour-Partys haben sich wie Freundschaftstreffen angefühlt. Wir haben das Leben besprochen, gebastelt, Musik gehört. Alles, was mir damals irgendwie nach meiner Trennung fehlte. Nach circa einem Jahr wurde alles zum Zwang. Ich musste fortgehen. Und wenn ich fort war, dann musste ich Drogen nehmen. Sobald ich betrunken war, war ich auf der Suche nach etwas “zum Ziehen”. In den kleinsten Beisln habe ich betrunken angefangen, Menschen nach Drogen zu fragen. Ich verlor relativ bald alle Freunde, die nicht mitgezogen haben und wechselte sie durch neue, “offene” Menschen aus. Ich fand, ich war genug aufgeklärt und außerdem wollte ich es unbedingt probieren. Nach circa einem Jahr wurde alles zum Zwang. Unter der Woche war ich kaum zu gebrauchen. Ich ging verstrahlt in die Vorlesungen und meisterte mein Leben auf Drogen, wenn es sein musste. Ich habe es aber vermieden, unter der Woche zu konsumieren. Ich bildete mir ein, dass mein Leben komplett den Bach runtergehen würde, wenn ich aufhören würde. Ich hatte Angst, Freunde zu verlieren, Gewicht zuzunehmen und bereits um Mitternacht müde zu sein, wenn ich “nur” trinken würde. Diese Gedanken haben mich komplett aus der Bahn geworfen. Ich war immer ein selbstständiges und unabhängiges Wesen und plötzlich wurde mir bewusst, wie der nächtliche Spaß untertags an mir nagte. Nicht nur körperlich, sondern eben auch mental. Momentan habe ich so gut wie alle Verbindungen, die nur oberflächlich waren und in denen der gemeinsame Nenner “drauf sein” war, gekappt. Ich treffe mich mit alten Freunden, mit alten Schulkollegen oder schlicht und einfach mit Menschen, denen ich auch abseits der Party etwas bedeute. Wenn ich meinen alten Freundeskreis sehe, dann bemitleide ich sie ein bisschen. Viele können sich nicht am Riemen reißen und vor allem haben sie nicht verstanden, dass die Afterhour-Welt eine Scheinwelt ist. Man kann sich aber auch sehr leicht in der Welt verlieren und Rechtfertigungen für sich und seinen Konsum finden. Mir haben ein paar Tiefschläge im Leben gereicht, um zu sehen, dass es eben nicht OK ist, jedes Wochenende seine Nasenlöcher, seinen Körper und seinen Kopf zu malträtieren. Angefangen hat es so circa 2013, da war ich noch in meinem Master-Studium oder eigentlich am Ende meines Master-Studiums. Ich habe in einem anderen Bundesland studiert und hatte eigentlich kaum Berührung mit aufputschendem Zeug. “Kaum” deshalb, weil ich für gewisse Arbeiten und Prüfungen angefangen habe, damit zu experimentieren. Die Menge war aber gering. Da ging es nicht um Straßen, sondern um Prisen. Ich habe immer so dosiert, dass ich zwar konzentriert und munter wurde, aber kaum Euphorie gespürt habe. Als ich nach Wien zog, fing das Ganze so richtig an. Ich hatte schon immer Interesse an den Wirkungsweisen und was die Drogen mit meinem Körper machen. Und ich habe immer den Serotoninspiegel-Korb im Auge gehabt. Die ersten paar Male sind extrem großartig, aber wenn man nicht genug Pausen einlegt, dann wird der Serotonin-Korb immer leerer und leerer. Und in Wirklichkeit legt niemand kluge Pausen ein. Zumindest in meinem Umfeld. Ich merkte schon bald, dass sich so ein Drogenkonsum auf das Gemüt, die Konzentration und die Leistungsfähigkeit schlägt. Aber ich habe es in Kauf genommen. Macht man ja mit Alkohol auch—auch wenn man am nächsten Tag kotzt und Kopfweh hat, auch dann säuft man wieder. Man nimmt die Einschränkungen eben in Kauf, weil sich der Rausch so gut anfühlt. So ging es jedes Wochenende. Bis zu drei Mal pro Woche war ich in Clubs oder auf Hauspartys fort. Speed, Koks und MDMA waren so die goldenen drei Substanzen. Wenn man nicht genug Pausen einlegt, dann wird der Serotonin-Korb immer leerer und leerer. Und in Wirklichkeit legt niemand kluge Pausen ein. Im Studium, finde ich, ist das ja auch OK, aber irgendwann merkte ich, wie ich bis Dienstag eigentlich weder arbeits- noch leistungsfähig war. Ich habe das zwar schon früher bemerkt und auch gewusst, aber wegen meinem Wiener Freundeskreis war es nicht so einfach auszusteigen. Dank meinem beruflichen Ehrgeiz und auch meiner Freundin war es dann doch nicht so schwer, das erste Wochenende auszulassen. Auch wenn es keiner hören will: Wenn man das Zeug weglässt, geht es einem schon echt viel besser. Man ist aktiver, für die Karriere ist es quasi eine Rolltreppe nach oben und man macht einfach andere Sachen, anstatt irgendwo zu sterben. Und man bemitleidet sich nicht die ganze Zeit selbst. Montag bis Dienstag habe ich mich nur bemitleidet und das ist nicht so cool, wenn man in einer verantwortungsvollen Position ist. Wenn man regelmäßig konsumiert, ist man einfach den Alltags- und Berufsentscheidungen emotional nicht gewachsen. Ich habe noch immer den selben Freundeskreis. Die sind mir ans Herz gewachsen. Aber was die Intensität des Feierns und Konsums anbelangt, kann und will ich gar nicht mehr mithalten. Am Anfang ging es nur um Partys, irgendwann hörte der Spaß aber auf. Eine Freundin hat ihre Wohnung bekommen und wir sind nur noch dort gesessen und haben versucht, vor der Realität zu fliehen. Sie und ich hatten zu der Zeit Familienprobleme, also haben wir uns einfach mit Drogen zugedröhnt, um alles zu vergessen. Am Anfang machte es noch Spaß, aber ab irgendwann verwandelte sich der Spaß in Ernst. Unser Aussehen litt sehr unter unserem neuen Lebensstil, wir haben schrecklich viel Gewicht verloren und unser Denkvermögen hat drastisch abgenommen. An manchen Tagen konnten wir uns nicht vom Fleck bewegen, weil wir so schwach waren. Ein halbes Jahr haben wir so gelebt, bis irgendwann die Einsicht kam, dass es so nicht weitergehen kann. Als meine Mama wegen mir geweint hat, wusste ich, dass ich etwas ändern muss. Sie so traurig zu sehen, hat mich wachgerüttelt und ich versprach ihr, damit aufzuhören. Meine Freundin und ich gingen beide getrennte Wege, aber das war auch notwendig, um aus dem Teufelskreis rauszukommen. Sowohl sie als auch ich haben in dieser Zeit unseren Job und unsere Freunde verloren. Es war harte Arbeit, wieder alles aufzubauen: Freundschaften, Arbeitsplatz und meinen Körper. Ich will nie wieder so tief fallen wie damals. Nicht alle reflektieren ihren Konsum, und das macht mir Angst. Drogen oder auch Alkohol sollte man niemals nehmen, um Sachen zu vergessen oder Stress zu entfliehen. Manchmal, wenn ich bei konsumierenden Freunden sitze, dann mache ich mir Sorgen um sie. Vor allem, wenn sie nicht genug kriegen und immer mehr wollen. Nicht alle reflektieren ihren Konsum, und das macht mir Angst. Drogen oder auch Alkohol sollte man niemals nehmen, um Sachen zu vergessen oder Stress zu entfliehen. Heute konsumiere ich nur selten und kann auch ganz ohne jegliche Substanzen fortgehen. Ich habe sogar mehr Spaß, wenn ich nüchtern bleibe. Manche Menschen verstehen nicht, wie peinlich und unlustig sie sind, wenn sie die Kontrolle verlieren. Wenn ich konsumiere, dann sehr bedacht. Die Ausbildung ist mir sehr wichtig geworden, ich bilde mich gerade weiter. Sie, meine Freunde und mein jetziges Leben sind mir zu wichtig geworden, um sie für ein paar Stunden Spaß aufs Spiel zu setzen. Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht, wann das alles angefangen hat. Mit “das” meine ich die klassischen Partydrogen. Im Prinzip ist es das selbe wie Saufen. Man säuft auf Partys, irgendwann wird es zur Routine und bald bleibt man auf einer Party nicht nüchtern. Wenn es Routine wird, dann hat man relativ bald einen Freundeskreis, der sich mit einem besäuft—es wird ein gemeinsamer Nenner. Und irgendwann wird es so sehr Standard, dass man auch gar nicht mehr ans Aufhören denkt. Immerhin ist es ja nur am Wochenende und alle um einen herum machen es. Und wenn man an das Aufhören denkt: Wie soll man nur? Soll man aufhören, sich mit seinen Freunden zu treffen? Menschen, die nichts mehr nehmen, sind dann eher nicht mehr im Freundeskreis. Man entzieht also nicht nur von den Mitteln—das wäre das kleinste Problem—man entzieht von allen Sicherheitsnetzen, von allen Freuden und Ängsten und von einem Lebensstil. Man entzieht also nicht nur von den Mitteln, man entzieht von allen Sicherheitsnetzen, von allen Freuden und Ängsten und von einem Lebensstil. Ich hatte eine schlimme Phase, in der ich nur nach Partys gelebt habe. Meine gesamte Woche richtete sich danach. Ich hatte beim Runterkommen auch viel mit meinem Gewissen zu kämpfen: Meine Gedanken kreisten oft um die Frage, wieso ich Drogen nehme, und wie wenig ich mein Leben auf die Reihe bekomme. Ich habe dann irgendwann aufgehört, um mich mehr auf die Uni zu konzentrieren—um dann wieder in das Ganze reinzuschlittern. Jetzt geht es mir aber besser, weil ich auch einen anderen Lebenssinn habe. Ich habe die Uni, auf die ich mich konzentrieren muss und dadurch sind meine Runterkomm-Depressionen deutlich weniger geworden. Trotzdem ist es so, dass ich mich bis Mittwoch vom Wochenende erhole und am Donnerstag oder Freitag das Wochenende schon wieder anfängt. Früh aufzustehen und am Abend müde zu sein, weil man den ganzen Tag gearbeitet hat, macht mich schon ziemlich stolz. Es erfüllt mich, etwas geschafft zu haben. Ich habe mir schon sehr oft mit mir selbst ausgemacht, aufzuhören. So ganz hat es noch nie geklappt. Solltest du auch Probleme mit deinem Konsum haben, findest du hier weitere Informationen und Angebote: quit-the-shit.net/qtsdrugcom.de/selbsttestsdrugcom.de/beratung-findenbreaking-meth.de/node/37fixpunkt-berlin.de Für die Region Berlin gibt es zudem verschiedene Programme zur Konsumreflektion oder -reduktion oder zur Abstinenz, siehe: www.netzwerk-fruehintervention.de/index.php?id=90 Fredi twittert. Folge zudem THUMP auf Facebook und Instagram.
Fredi Ferkova
[ "Ausgehen", "Drogen", "Kokain", "MDMA", "Speed", "Thump" ]
2016-12-15T16:51:52+00:00
2024-07-30T23:27:41+00:00
https://www.vice.com/de/article/vier-partydrogenkonsumenten-ueber-ihren-ausstieg-aus-dem-regelmaessigen-konsum/
Freundschaftstypen und wie du mit ihnen umgehen sollst
Eine Studie des britischen Anthropologen Robin Dunbar besagt, dass Menschen nur imstande sind, Beziehungen zu höchstens 150 Personen aufzubauen. So hoch ist die kognitive Grenze der Anzahl an sozialen Kontakten, mit denen unser Gehirn umgehen kann. Wir können also rein theoretisch nicht mehr als 150 Freunde haben, auch wenn Facebook mir da eine andere Geschichte erzählt. Passend dazu auf Noisey: Wie zur Hölle erkläre ich meinem besten Freund, dass ich seine Musik hasse? Was die Dunbar-Zahl allerdings nicht berücksichtigt, sind die verschiedenen Arten von Freundschaften, die wir in unserem sozialem Umfeld pflegen. Da gibt es nämlich so einige—mal mehr, mal weniger intim. Wir haben uns verschiedene Freundschaftstypen überlegt, ihre Bedeutungen festgelegt und stellenweise definiert, wie du dich ihnen gegenüber verhalten solltest. Foto via VICE Media Sie sind der wichtigste und elementarste Bestandteil deines Freundeskreises—sie sind das Herzstück, das Epizentrum deines sozialen Kosmos. Du kennst sie teils schon aus dem Sandkasten, teils aus der Schule oder eben aus dem Ort, in dem du aufgewachsen bist. Sie gehören zu deinem Leben, solange du denken kannst—sie kennen deine Familie, deine schlechten Angewohnheiten, deine Ängste. Sie wissen über deine peinlichen Jugendsünden Bescheid, kennen die Geschichte zu jeder deiner Narben und waren dabei, als du deinen ersten Rausch auskotzen musstest. Ihr seid gemeinsam erwachsen geworden und habt so ziemlich alles zusammen angestellt, was man als Jugendlicher so anstellen kann. Jetzt kommt der unangenehme Teil. Es wird nämlich einen Punkt geben, an dem eure Interessen und eure Lebenswege auseinandergehen werden. Das ist normal. Es wird auch Zeiten geben, in denen euer Kontakt völlig abgerissen scheint und ihr der Meinung sein werdet, eure Freundschaft hätte sich quasi im Staub des Erwachsenenlebens aufgelöst. Das ist jedoch Blödsinn. Alte Freunde bleiben dir für immer erhalten, einfach aus dem Grund, weil sie alte Freunde sind und dich immer wieder ein bisschen daran erinnern, wer du mal warst. Und was liegt, das pickt. Das heißt allerdings nicht, dass du diese Freundschaft überhaupt nicht pflegen musst—schreib deiner alten Sandkastenfreundschaft halbwegs regelmäßig ein SMS, das ungefähr so aussieht: „Danke für deine Freundschaft. Bussi, VICE”. Fang am besten jetzt gleich damit an. Foto via VICE Media Manchmal hat man Glück und man findet beste Freunde bereits in alten Freunden. Manchmal findet man sie aber erst zu einem späteren Zeitpunkt. Ein Zeitpunkt, an dem ihr euch aus einem heterogenen Freundschaftsbrei herausentwickelt habt und euch mit Menschen umgebt, die euch ziemlich ähnlich sind. Manche haben nur einen besten Freund und bezeichnen den Rest der Entourage als ihre engen Freunde. Manche haben eine ganze Gang aus besten Freunden. So oder so—das hier sind die Freunde, wegen denen dein Handy ständig vibriert; die, die dich liebevoll „Hurensohn” und „Bitch” nennen; die, wegen denen du nicht mehr weißt, wo dieser riesige blaue Fleck an deinem Oberschenkel herkommt; die, mit denen du Gras und Musikgeschmack teilst. Sie sind dein Team, dein Squad. Ihr habt eine WhatsApp-Gruppe, schickt euch täglich Screenshots von Leuten, die ihr abgrundtief hasst, und nehmt sie anschließend im Chat auseinander. Wenn ihr nicht gerade hasst, feiert ihr das neue Taylor Swift-Video oder. Es ist die höchste Form einer platonischen Liebe. Dieser Freundeskreis ist übrigens auch mit Abstand der größte, weil er manchmal aus mehreren, voneinander unabhängigen Teams bestehen kann. Aber diese Freunde sind auf jeden Fall die, die man am liebsten und öftesten um sich hat. Foto: Stefanie Katzinger via VICE Media Das sind Freunde, die du im Grunde genommen nicht mal wirklich mögen musst. Du triffst sie nur unregelmäßig, liebst sie für den Verlauf eines Abends, machst peinliche Selfies mit ihnen, weißt aber in Wahrheit nicht mal, was sie eigentlich im Leben machen. Du kannst von Glück reden, wenn du—dank Facebook—überhaupt ihren Nachnamen weißt (auch, wenn du keine Ahnung hast, warum jemand „Wontsay” oder „Dichnixan” heißt). Wenn nicht gerade Wochenende ist, beschränkt sich euer Kontakt auf etwaige Wochenendpläne oder eben Nachbesprechungen vom Wochenende. So eine Koalition basiert meist auf der Gefälligkeit des gemeinsamen Feierns. Weil ihr aber die gleichen Partys mögt, auf dieselbe Musik abgeht und ein gemeinsamer Rausch nun einmal verbindet, ist eine Fortgehfreundschaft nur allzu oft ein idealer Nährboden für eine enge oder gar eine beste Freundschaft. Das solltest du allerdings nicht erzwingen—lasst eure gegenseitige Zuneigung ganz natürlich sprießen und gedeihen. Foto via VICE Media Es gibt zwei Typen falscher Freunde. Die einen sind die harmlosen. Du magst sie nicht und sie mögen dich nicht, ihr seid aber beide einfach viel zu höflich, um das zuzugeben. Also täuscht ihr eine Freundschaft vor, von der ihr beide nicht so wirklich wisst, warum sie überhaupt existiert. Allerdings will keiner derjenige sein, der die hässliche Wahrheit ausspricht, also macht ihr euch gezwungenermaßen wieder ein Kaffee-Treffen aus, weil ein „Ratscher” ja schon „längst überfällig” ist und ihr euch „so viel erzählen” müsst. Es ist eine dieser Verabredungen, bei denen man sofort weiß, dass sie nie stattfinden werden. Es wird allerdings auch Zeiten geben, in denen dir jemand in den Rücken fallen wird. Jemand, dem du dein vollstes Vertrauen geschenkt hast, der dich schonungslos ausnutzen und dir eiskalt ins Gesicht lügen wird. Später wird er sich in einem verschissenen Brief entschuldigen, weil er ein feiges und hinterfotziges Arschloch ist. Du wirst diesem Jemand vergeben und ein paar Monate später nochmal härter auf die Schnauze fallen. Das sind auch falsche Freunde, aber die schmerzvolle Variante. Aus ihnen lernst du. Mit dieser Sorte gehst du am besten um, indem du sie vollkommen aus deinem Leben streichst. Das volle Programm, inklusive Facebook-Block. Foto via VICE Media Deine Leidensgenossen, die manchmal mehr, manchmal weniger auf deiner Wellenlänge sind und für peinliche Momente sorgen. Wenn ihr euch außerhalb der Uni trefft, müsst sie gezwungenermaßen euren anderen Freunden vorstellen und versucht sofort, eure Bekanntschaft mit „Wir studieren nur zusammen” rechtzufertigen, was die ganze Situation nur noch unangenehmer für alle Beteiligten macht. Die meisten Studienfreunde sind jedoch gute Seelen, die im weitesten Sinn deine Interessen teilen und somit zu den Guten gehören. Ein langer Uni-Tag und kollektiver Hass auf Professoren, die es nicht packen, einen Satz ohne „hm” zu formulieren, schafft ein Gefühl der Gemeinschaft, das es sonst nur selten in dieser Form gibt. Sei lieb zu ihnen, es könnte gut sein, dass du später noch mal mit ihnen zu tun haben wirst. (Du wirst sie wahrscheinlich fragen, ob sie Curly Fries oder normale Pommes dazu wollen.) Foto via VICE Media Zweckfreunde sind die gutmütigsten Menschen, die du je kennenlernen wirst, und du bist einfach nur skrupellos, weil du sie als solche siehst. Sie reparieren gratis dein Handy, besorgen dir billiges Gras oder sind deine Mitfahrgelegenheit nach Hause. Im Gegenzug dazu wollen sie nichts als deine Freundschaft, die du ihnen jedoch verwehrst, weil sie Zweckfreunde sind. Du hast nicht mal ein schlechtes Gewissen, wenn sie dich bereits zum fünften Mal fragen, ob du Zeit auf ein Bier hast und du sie wieder mal versetzt. Wenn dann dein Computer wieder mal nicht funktioniert, rufst du sie an und fragst demütig „Könntest du…” und natürlich werden sie können, weil sie Zweckfreunde sind. Dennoch haben sie mehr Liebe verdient, oder vielleicht wenigstens mal ein Geburtstags-SMS. Wirklich, das muss drin sein. Foto: Stefanie Katzinger via VICE Media Die sind lustig, weil man sie meistens über Monate hinweg auf Facebook stalkt, irgendwann „zufällig” möglichst ironisch beim selben Status kommentiert, dann eine Freundschaftsanfrage sendet und dann erst mal ein obligatorisches Like-Massaker zelebriert. Irgendwann beginnt man auch zu chatten, kommentiert Herzen beim Status, und nachdem man sowieso jeden Furz aus dem Leben dieser fremden Person mitbekommt, fühlt es sich irgendwann fast so an, als ob man ein wesentlicher Teil der Existenz des jeweils anderen wäre—bis man sich zufällig irgendwo trifft (Es wird passieren, ob ihr wollt oder nicht). Von diesem Augenblick an gibt es zwei Möglichkeiten. Die erste lautet wie folgt: Der Internetfreund ist im echten Leben noch viel besser als im Internet, ihr liebt euch jetzt noch viel mehr als vorher und feiert euch gegenseitig, weil ihr super seid. Er oder sie zeigt dir Urlaubsfotos, du tust überrascht und sagst „woah, schön”, kennst aber in Wahrheit bereits alle dieser Bilder in- und auswendig weil sein beziehungsweise ihr Instagram insgeheim deine Bibel ist. Du machst innerlich Luftsprünge, weil du einfach weißt, dass auf diesem Instagram-Account bald auch ein Foto von dir sein wird, versehen mit dem Hashtag #soulmates. Du überlegst dir einen Filter und ihr beschließt direkt, eure Freundschaft auf „Beste Freunde”-Level zu hieven. Die zweite (und leider wahrscheinlichere) Möglichkeit: Der Internetfreund kommt in Wahrheit gar nicht so eloquent und kokett rüber, wie seine Facebook-Posts vermuten lassen würden und ist im Grunde genommen eine einzige große Enttäuschung, von der du dir wünschen wirst, sie wäre ein Internetfreund geblieben. In dem Fall kann man allerdings noch immer Sexfreunde werden. Foto: Stefanie Katzinger via VICE Media Der Sexfreund ist ein schwieriger Fall—und wohl auch der komplizierteste. Im besten Fall ist er oder sie einfach jemand, zu dem man abgesehen vom gelegentlichen, zwanglosen Sex nicht die geringste Art einer Beziehung hat. Leider ist dieser Fall eher die Ausnahme—und da fängt die ganze Scheiße auch schon an. Sexfreunde entwickeln sich nämlich in der leidigen Regel aus einem der oben beschriebenen Freunde, was eigentlich nur schlecht ausgehen kann. Sex mit Sandkasten, Studien- oder Fortgehfreunden zieht immer wieder das unangenehme Wiedersehen vor versammelter Mannschaft nach sich, bei der man so tut, als ob nie was gewesen wäre, sich Bussi links Bussi rechts gibt, die anderen Freunde sich denken, wem man hier eigentlich was vormachen will, und fragt, wie es dem anderen geht, obwohl man genau weiß, wie es dem anderen geht, weil man vor zwei Tagen noch ineinander gesteckt hat. Beste Freunde werden meist nicht zu Sexfreunden, weil sie sich schon viel zu gut kennen, um einander auch nur ansatzweise attraktiv finden zu können. Sollte es aber doch passieren, ist die Chance hoch, dass mindestens einer der Beteiligten nachträglich—oder währenddessen—in Selbsthass-Tränen ausbricht. Fazit: Sucht euch Sexfreunde, mit denen ihr rein gar nichts gemeinsam habt, außer den Sex. Freunde sind etwas Schönes und ohne sie wäre das Leben ziemlich langweilig. Freundschaften zu knüpfen, sie zu pflegen und sie vielleicht auch im Guten aufzulösen sind wichtige, nie endende Prozesse. Jeder kennt Menschen, ohne die man nicht die Person wäre, die man heute ist. Freunde haben einen größeren Einfluss auf unser Leben, als wir vielleicht begreifen. Egal ob Zweck- oder Sexfreund—man darf sie nie als selbstverständlich ansehen. Wenn ihr streitet, kommuniziert! Kommunikation ist die Lösung. Alleinsein kann zwar Spaß machen, ein Leben in Einsamkeit ist allerdings nichts, womit man sich anfreunden möchte. Und wozu hätten wir Freunde nötig, wenn wir sie nie nötig hätten. Der letzte Satz ist ein Shakespeare-Zitat und Franz weiß eigentlich selbst nicht so genau, was das eigentlich bedeuten soll. Erklärt es ihm auf Twitter: @FranzLicht
Franz Lichtenegger
[ "beste Freunde", "Falsche Freunde", "freunde", "Freundschaft", "Stuff", "Vice Blog" ]
2015-05-13T16:04:00+00:00
2024-07-31T00:44:07+00:00
https://www.vice.com/de/article/jmnvpb/freundschaftstypen-die-jeder-kennt-485
Schiere sexuelle Energie
Maske von Guillaume Airiaud, Leggings von American Apparel FOTOS VON PETER KAADEN STYLING: PENINAH AMANDA Art Direction: Claudia Rech Haare und Make-up: Sarah Bleszynski Models: Allano bei Indeed, Angelo, Black Cracker, Danai Moshona, Dreea Pavel, Dwayne Strike, Yam, Lex Olsen bei Viva Models, Sidney LaFaire, Tutu bei Indeed Maske von Schwarzer Reiter, BH von Fleet Ilya, Unterhose von Monki Headpiece von Fleet Ilya, Body von DSTM Headpiece von Rein Vollenga, Kleid und Gürtel von DSTM Headpiece und Bodysuit von DSTM, Blazer von Chloé über net-a-porter.com, Schuhe von Topshop Headpiece von Rein Vollenga, Shorts von Très Bonjours, Sandalen von Jeremy Scott for Adidas Headpiece von Rein Vollenga, Jacke und Hose von Jeremy Scott for adidas Headpiece von Rein Vollenga Headpiece von Guillaume Airiaud, Kleid von DSTM, Vintage-Halskette  Headpiece von Rein Vollenga, Overall von Opening Ceremony for adidas, Vintage-Ring
Peter Kaaden
[ "Fashion", "fashion issue 2014", "Fetisch", "Jahrgang 10 Ausgabe 2", "Jahrgang 8 Ausgabe 3", "Leder", "Mode", "The Fashion Issue 2014", "VICE Magazine" ]
Popkultur
2014-04-01T13:21:00+00:00
2024-07-31T03:21:05+00:00
https://www.vice.com/de/article/maskuline-0000670-v10n2/
Die echten Mad Men?
Don Draper ist ein Charakter, den es so eigentlich nicht geben kann: unglaublich gut aussehend, unglaublich talentiert und durch Alkoholismus und andere Impulskontrollstörungen unglaublich geplagt. Wir haben uns gefragt, ob es irgendeine Inspiration für den Protagonisten der Serie Mad Men gegeben hat. So sind wir auf George Lois gestoßen. An der Speerspitze der sogenannten Creative Revolution wirkte Lois bei der Erschaffung der „I Want My MTV”-Kampagne mit und verhalf vielen Unternehmen zu großer Bekanntheit. Des Weiteren entwarf er 92 kultige Cover für das Männermagazin Esquire. Bei Lois kommt einem unweigerlich Don Draper in den Sinn, aber die Beiden könnten zum Teil auch unterschiedlicher nicht sein. Das ist seine Geschichte.
VICE Staff
[ "DON DRAPER", "ESQUIRE", "GEORGE LOIS", "MAD MEN", "New York", "Stuff", "the real", "werbeagentur" ]
2015-02-23T11:00:00+00:00
2024-07-31T00:34:10+00:00
https://www.vice.com/de/article/5g4yq8/der-echte-don-draper-822
Wer ist der mysteriöse Rapper auf Michael Jacksons „Black or White“?
L.B.T. voriges Jahr in Berlin, Foto mit freundlicher Genehmigung von Bill Bottrell Vor ein paar Jahren haben ich beim Autofahren den Song „Black or White” von Michael Jackson im Radio gehört. Als der Rap-Teil kam („See, it’s not about races, just places, faces, where your blood comes from is where your space is” etc.), wurde mir klar, dass ich keinen blassen Schimmer hatte, wer da überhaupt zu hören war. Nach einer schnellen Onlinesuche wusste ich, dass der Mann die Initialen L.T.B. hatte, und soweit ich sehen konnte, hatte er vor und nach dem Rappen dieser Strophe nichts getan. Ich erwähnte dies einem Freund gegenüber, der wiederum dem Produzenten des Songs, Bill Bottrell, eine E-Mail schickte. Der Text des Raps soll von Bottrell verfasst worden sein; mein Freund bat um mehr Informationen zu dem Mann, der ihn vertont hatte. Bottrell antwortete am selben Tag mit einer E-Mail-Adresse, die angeblich L.T.B. gehörte. Ich schickte eine Interviewanfrage, doch es kam nie eine Antwort. Das Rätsel um L.T.B. spukte mir die nächsten Jahre im Hinterkopf herum und kam jedes Mal, wenn ich den Song hörte, wieder zum Vorschein. Jedes Mal ging ich wieder online und versuchte herauszufinden, wer der mysteriöse Rapper war, doch ich hatte nie Erfolg. Trotz der Tatsache, dass er auf einem Song zu hören war, der in mehr als 20 Ländern die Nummer 1 gewesen ist, mit einem Musikvideo, das Rekorde sprengte, als 500 Millionen Menschen sich die Premiere ansahen, beschränkt sich seine Präsenz im Internet auf Listen der Mitwirkenden für „Black or White” und ungelöste Frage-Threads, in denen nach seiner Identität geforscht wird. Dann, nachdem ich den Song letzte Woche wieder hörte, dachte ich mir „Scheiß drauf” und schrieb Bottrell noch einmal. Ich fragte, ob er mir von dem Rap erzählen könne. „Das kann ich tun”, schrieb er zurück. „Es ist keine lange Geschichte.” VIDEO: „I’m not going to spend my life being a color” rappt L.B.T. Wir waren in Mississippi beim Ku-Klux-Klan, dem Hautfarbe mehr als nur ein bisschen wichtig ist. Als ich am folgenden Tag mit Bottrell telefonierte, gab er zu, dass er der Interpret des Raps war. Er hatte L.T.B. als Pseudonym verwendet. Er erklärte mir, er habe vorgehabt, sich unter der E-Mail-Adresse, die er meinem Freund gegeben hatte, als L.T.B. auszugeben, um uns hinters Licht zu führen. „Ich wollte ein Täuschungsmanöver machen”, erklärte er, doch dann habe er es sich anders überlegt, als ihm klar geworden sei, dass es vermutlich schiefgehen würde. „Ich glaube, es gibt viele Menschen, die schon die Wahrheit kennen, und der Witz hätte nicht so gut funktioniert”, sagte er. Das Video zu „Black or White”. Der Rap, mit Playback-Darbietung von Macaulay Culkin, beginnt bei ca. 4:35. Die Geschichte, in der Bottrell in gewisser Weise zu einem der beliebtesten Rapper der 1990er wurde, trug sich zu, weil „Black or White”, ein Song, den er mit Michael Jackson geschrieben und den er produziert hatte, ein großes Loch in der Mitte hatte. „Nach den ersten paar Tagen hatten wir den Kern des Songs, die Strophen und den Refrain, und Michael sang alles sehr früh ein”, sagte er mir. „Wir hatten nur dieses klaffende Loch im Mittelteil, das uns einfach monatelang zu schaffen machte.” Die Idee zu dem Rap kam Bottrell eines Morgens bei sich zu Hause. Er schrieb einen Text, der von den Themen in Jacksons Strophen inspiriert war, nahm eine vorläufige Version auf, die nur als Platzhalter dienen sollte, und spielte es Jackson vor. „Er war begeistert”, sagte Bottrell mir gegenüber. Bottrells ursprünglicher Plan für den Rap war es gewesen, einen tatsächlichen Rapper an Bord zu holen, der seine Platzhalterversion neu aufnehmen sollte. Er schlug Jackson LL Cool J und Heavy D vor, die beide im Studio waren und an anderen Tracks für das Album arbeiteten. Jackson bestand aber darauf, dass Bottrells Aufnahme verwendet wurde. Dem Produzenten war, wie er mir gestand, nicht ganz wohl bei der Sache. „Ich bin Songschreiber und Plattenproduzent”, sagte er. „Ich bin kein Rapper und ich hatte wirklich nicht vor, ein weißer Typ zu sein, der auf diesem Song rappt.” Doch Jackson beharrte darauf—möglicherweise, so meint Bottrell, eben weil er weiß und kein Rapper ist. „Die Tatsache, dass ich weiß bin und diesen Rap gemacht habe, passt zum Inhalt des Songs. In seiner Vorstellung fügte sich so alles zusammen.” Also stimmte Bottrell zu, doch er wollte ein Pseudonym verwenden, weil ihm immer noch etwas unwohl dabei war. Er entschied sich für L.T.B.—als Anspielung auf die 50er-Jahre-Sitcom Leave it to Beaver (dt. Titel: Erwachsen müsste man sein). „Da geht es um einen weißen Vorstadtjungen. Ich mache mich über mich selbst lustig”, sagte er. Jacksons Vertrauen in seine Rap-Skills stellte sich als gerechtfertigt heraus. Nachdem der Song Millionen von Platten verkauft und sieben Wochen an der Spitze der US-Charts verbracht hatte, fing Bottrells Manager an, Anfragen zu bekommen: L.T.B. sollte ein ganzes Album aufnehmen. Obwohl der Rap-Teil auf „Black or White” mir seit Jahren Rätsel aufgegeben hatte, wurde laut Bottrell das Geheimnis um die Identität von L.T.B. schon früher öffentlich gelüftet. Das war 2001 in einem Interview mit Sound of Sound, einer Zeitschrift, die sich als „das weltweit führende Magazin über Musikaufnahmetechnik” bezeichnet. Doch Bottrell sagte, die Offenbarung habe aufgrund der technischen Thematik der Zeitschrift kaum Beachtung bekommen. (Beispielzitat: „Ich habe einfach eine Kramer American mit dem Mesa Boogie verstärkt, mit einem Beyer M160 mikrofoniert und dadurch zur Begleitung seines Gesangs diesen körnigen Sound erhalten.”) Ich bin kein Musikexperte, doch mir fällt kein früheres Beispiel dafür ein, dass ein riesiger Popstar im letzten Drittel des Songs einen Rapper für eine Gaststrophe an Bord holt (etwas, das heute allgegenwärtig ist, ob auf „Umbrella” von Rihanna oder „Beauty and a Beat” von Justin Bieber). Ich fragte Bottrell, ob er hier tatsächlich eine Vorreiterrolle gespielt habe. Er sagte, er habe sich noch nie wirklich Gedanken darüber gemacht, doch ihm falle auch kein früheres Beispiel ein. Er erklärte außerdem, er habe eine alternative Version aufnehmen müssen, weil Mainstream-Radiosender damals ein Rap-Verbot hatten und den Song sonst nicht gespielt hätten. „Ich denke, diese Scheibe hat möglicherweise ein paar Türen geöffnet”, erklärte er. „Alles braucht seine Zeit, stimmt’s? Es änderte sich im Laufe der nächsten zwei Jahre, also sehr schnell.” Als ich sagte, dies könne bedeuten, dass Bottrell, ohne es zu merken, einer der einflussreichsten Rapper aller Zeiten sei, unterbrach er mich mit einem Lachen. „Stopp”, sagte er. „Nein. Fang erst gar nicht davon an.”
Jamie Lee Taete
[ "Bill Bottrell", "Black or White", "Eat This", "HipHop", "macaulay culkin", "Michael Jackson", "Musik", "mysteriös", "POP", "Rap", "Vice Blog" ]
2015-05-06T10:20:00+00:00
2024-07-31T00:44:52+00:00
https://www.vice.com/de/article/wer-ist-der-mysterioese-rapper-auf-michael-jacksons-black-or-white-999/
Wie Dschihadisten Enthauptungsvideos an YouTubes Zensur vorbeischmuggeln
Terrororganisationen weltweit haben die Sozialen Medien schon lange als wirksames Propagandainstrument für sich entdeckt. Extremistische Inhalte werden hier so fleißig verbreitet, dass der sogenannte IS sogar Stellen für Social-Media-Manager ausschreibt. Für die Betreiber der Netzwerke stellt das zeitnahe Identifizieren und anschließende Zensieren solchen Contents eine große Herausforderung dar. Wie terroristische Gruppen ihre Inhalte an Administratoren vorbeischmuggeln und was Plattformen wie YouTube schon heute gegen die Verbreitung von Propaganda tun könnten, lest ihr im vollständigen Artikel auf Motherboard.
Rita Katz
[ "al qaida", "dschihad", "enthauptung", "gewalt", "IS", "Motherboard Homepage", "videos", "YouTube" ]
2017-06-10T23:45:00+00:00
2024-07-30T20:11:57+00:00
https://www.vice.com/de/article/new3ek/wie-dschihadisten-enthauptungsvideos-an-youtubes-zensur-vorbeischmuggeln2
Mykki Blanco ist eine bösartige Maschine
HipHop hat einen Künstler wie Mykki noch nicht gesehen. Die erste Welle der Aufmerksamkeit kam mit seiner Vorstellung als transsexueller Rapper neben anderen schwulen Rappern wie Zebra Katz, Le1f und House of LaDosha, die gerade von New York aus wüten. Wenn man sich ein bisschen mehr mit Mykki beschäftigt, findet man heraus, dass er in erster Linie ein Dichter ist, der schon ein Buch mit dem Titel The Silence Of Duchamp to The Noise Of Boys releast hat. Auf der Bühne vermischt er aggressive Lyrics. industrielle Beats, Psychrock, HipHop und Gothic-Fummel—natürlich mit der Intention zu schocken. Seine neueste Single „Haze.Boogie.Life“ ist gerade herausgekommen und obwohl der Hype um seine Person vielleicht abschwillt, wirst du Mykki-Boy und Mykki-Girl als facettenreichen Performancekünstler, der Barrieren einreißt, weiter beobachten können. Du warst früher unter deinem Namen Michael David Quattlebaum Jr. bekannt. Wann wurde Mykki Blanco geboren?Die Mykki Blanco-Sache kam mit meiner eigenen Sexualität. Ich fing an, als Mykki zu performen. Die Leute waren sehr interessiert an mir, weil ich in einem komplett femininem Aufzug auf der Bühne stand und eine super theatrale Rock’n’Roll-Rapshow machte. Ich freue mich, dass ich diese Aufmerksamkeit bekam, obwohl ich diese ultra-feminine Performance gemacht habe. Mir ist es sehr wichtig, dass die Leute realisieren, dass es sehr vielseitig ist. Ich wollte nicht, dass die Homosexuellen denken, ich würde mich verändern, um kommerziell zu werden. Deswegen habe ich schon früh gesagt, dass ich meine nächsten Videos als Frau und Mann machen muss. Kannten dich die Leute eher als Dichter, bevor du angefangen hast zu rappen?Mit 14 habe ich an Gedichts-Vorlesungen teilgenommen und habe die Rolle als Dichter ernst genommen. Es gibt Schreiber, zu denen ich definitiv aufblicke wie Pablo Naruda, Sylvia Plath oder Bob Kaufman. In meinem Gedichtband From The Silence Of Duchamp To The Noise Of Boys wollte ich einfach alle Geschichten erzählen, die ich über die Jahre gesammelt habe. Wie schaffst du es, deiner Kunst treu zu bleiben, während du gleichzeitig ein Teil der Musikindustrie bist?Es geht einfach um harte Arbeit. Ich nehme mein Künstlerdasein sehr, sehr ernst, weil das der einzige Weg ist, wie ich Geld zu verdienen weiß. Ich finde, wenn du mit deiner Kunst Geld verdienen willst, dann musst du lernen, wie du deine Kreativität einem Publikum vorstellst, ohne dich dabei zu verändern, oder dich zu verraten. Du musst einfach nur solche Dinge verstehen, wie man sich selbst verkauft und was ein No-Go ist, was dich cheesy aussehen lässt. Ich finde, niemand darf kritisieren, wie jemand seine Karriere angeht. Man darf nur kritisieren, was am Ende rauskommt. Da ist diese hypergeladene Aggression, wenn du auf der Bühne bist. Was beachtest du, wenn du auf der Bühne bist?Zu Musik zu performen, die auf Beats basiert, aber wie ein Punkrocker abzugehen, ist, was meine Shows einzigartig macht. Obwohl ich rappe, habe ich alles wie eine Rockshow konzipiert. Ich bin auf der Bühne sehr theatralisch. Performst du immer in Frauenkleidern?Wenn ich manchmal als Mykki performe, habe ich keine feminine Kleidung an, manchmal ziehe ich lieber Gruftifetzen an. Aber du wirst mich nie mit einem weißen T-Shirt und Goldkette sehen. Je nachdem wie meine Laune ist ziehe ich mir High Heels und ein Kleid an, und bei einer anderen Show habe ich keine Lust da drauf und schminke mich schwarz um meine Augen und siehe ziemlich Black Metal aus. Du hast gesagt, dass du beide Seiten in deinen Musikvideos behalten willst – Mykki Girl und Mykki Boy, mit wem arbeitest du, um sie zu kreieren?Ich hatte das Glück mit sehr bekannten Leuten zusammenzuarbeiten, die ich kennengelernt habe und die wirklich an das glauben, was ich mache. Ich hatte die Möglichkeit mit Nick Hooker für mein Video „My Head is a Stone“ zu arbeiten, davor hatte er, glaube ich, etwas für Grace Jones gemacht, Mit Francesco Carrozzini am Wavvy-Video zu arbeiten war einfach großartig, weil wir uns dazu verschrieben haben, dass Video so zu machen, wie wir es auf dem Papier entwickelt haben. Worüber bist du jetzt glücklich?Ehrlich gesagt, dass ich international Fans habe, obwohl ich nur eine komische Kunst-Rock-EP, zwei HipHop-Singles und drei Musik-Videos draußen habe. Das ist unglaublich. Ich bin sehr froh, dass die Leute mich mögen. Und ich kann ehrlich sagen, dass die Musik, die bald von mir rauskommt, wirklich gut sein wird. Mein Motto ist: Erschaffe etwas, aber konkurriere nicht. Wenn du versuchst mit anderen Künstlern zu konkurrieren, wirst du immer verlieren, weil du dich in diese riesige Trendhure verwandelst. Niemand brauch die nächste Lady Gaga, sei einfach der, der du bist.
Katherine Koniecki and Interview: Katherine Koniecki
[ "Features", "HipHop", "Music", "Mykki Blanco", "Noisey", "Noisey Blog" ]
2012-11-04T13:30:00+00:00
2024-07-31T06:08:29+00:00
https://www.vice.com/de/article/mykki-blanco-ist-eine-boesartige-maschine/
Wayne Coyne
An interview with the Flaming Lips frontman about Mars, in Mars.
[ "Musik", "vice meets" ]
2009-01-13T00:00:00+00:00
2024-08-12T07:35:56+00:00
https://www.vice.com/de/article/wayne-coyne/
Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel – Eine andere Sicht zur Popfest-Debatte
Artikel von Hannes Tschürtz. Das eben zu Ende gegangene Popfest Wien hat vor allem im Vorfeld für Schlagzeilen gesorgt, weil sich rund um Thomas Kramars in der Presse publizierter Polemik gegen das Gratisfestival eine saftige Dikussion entsponn. Ich erlaube mir, unter diesem Eindruck einen kleinen Einblick in das Einmaleins der hiesigen Musikökonomie zu geben; denn die gezeichneten Bilder sind großteils mehr von Einseitigkeit und Ideologie geprägt, als von sachlicher Analyse. Ein Gratisfest schafft genauso wenig Existenzsicherung wie Existenzgefährdung für einzelne Musiker – it is, what it is. Dass die Häufung von derlei Veranstaltungen in Wien eine “Gratiskultur” geschaffen hätte (Donauinselfest, Donaukanaltreiben, Gürtel Nightwalk, Electric Spring), mag ein subjektives Gefühl sein, dem sich genau solche Argumente entgegensetzen ließen, denen man wiederum genauso widersprechen kann (wie in der genannten Diskussion geschehen). … weiterlesen auf Noisey. Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.
Noisey Staff
[ "Debatte", "gastbeitrag", "Musik", "Popfest", "wien" ]
2017-07-31T16:03:45+00:00
2024-07-30T20:31:30+00:00
https://www.vice.com/de/article/zum-leben-zu-wenig-zum-sterben-zu-viel-eine-andere-sicht-zur-popfest-debatte-2/
Liechtenstein lebt für Gott, Fürst und Vaterland
Alle Fotos von Kamil Biedermann Wir kommen aus einem Paradies. Aus einem Land, in dem sich gerade mal 36’000 Leute in vollkommener Bergidylle durch das Leben schlagen. Und das wirklich erfolgreich: Liechtenstein ist eines der reichsten Länder der Welt. Die Sorgen der Liechtensteiner drehen sich darum, ob die gehisste rot-blaue Landesflagge wirklich glatt gebügelt ist und ob auf dem eigenen Zweit-SUV kein Dreck-Fleckchen mehr ist als auf dem des Nachbarn. Sollte dennoch einmal alles schieflaufen, haben die Liechtensteiner trotzdem Glück. Denn sie haben einen, der auf sie aufpasst—einen Big Daddy. Der wohnt in seinem Schloss oberhalb des 5’200-Seelen-Kaffs Vaduz. Von dort schaut Hans-Adam II.—der reichste Monarch Europas—auf seine Untertanen. Schaut, dass alles seine Ordnung hat. Denn er weiss, was richtig ist. Schliesslich gehören seiner Stiftung Milliardenkonzerne wie die Steuerskandal-Bank LGT und das Monsanto-Vorbild RiceTec sowie die Agrarstiftungen, mit den höchsten EU-Subventionen “für ein stabiles Einkommen für Landwirte”. Als nomineller Herrscher muss er nicht einmal Steuern bezahlen. Weil er so grosszügig und volksnah ist, fliegen ihm die Herzen zu. Er grüsst die verwunderten Spaziergänger in seinem Schlosswald schon mal barfuss und im Tanktop. Am Fürstenfest, dem offiziellen Staatsfeiertag, lädt er zu Sandwiches und Bier im Garten seiner Schloss-WG. Die Möglichkeit auf Freibier liessen wir uns natürlich nicht entgehen und statteten dem wohl einzigen Staatsoberhaupt, das die Sprache seines Volkes nicht beherrscht, einen Besuch ab. Das Saufen mussten wir uns aber zuerst verdienen und eine Portion Staats-Trara über uns ergehen lassen. Der Einmarsch des Who is Who der liechtensteinischen Laien-Politik glich einem Trauermarsch. Ein paar verloren wirkende Touristen, Schweigen, Regen—nur das aufgesetzte Cheshire Cat-Grinsen der Aussenministerin Aurelia Frick erinnerte daran, dass wir zum Feiern hier waren. Sie seien hier, weil sie nichts besser zu tun hätten, rechtfertigten italienische Touristen ihren Besuch in Vaduz. Andere nahmen die Sache ernster. Auf der durchnässten Schlosswiese warteten Monarchisten aller Couleur, die lokale Neonazi-Prominenz und die zukünftigen Regierungschefs eingedeckt mit Liechtenstein-Regenschirmen und -Fähnchen darauf, dass der Fürsten-Sohn Erbprinz Alois I. die Wahrheit sprach. Die Wahrheit heisst Neoliberalismus. Weniger Staat, mehr Eigenverantwortung—darauf stehen die von und zu Liechtensteins. Rhetorisch hat sich der Fürsten-Youngster seit seiner Ansprache bei meiner Matura vor sieben Jahren kaum verbessert. Damals hatte ein Freund die Rede mit “Kann man den auch abwählen?!” kommentiert. (Nein, kann man nicht.) Heute klatschten alle brav mit. Aber er kann nichts dafür, der Simba Liechtensteins. “König der Löwen”-like wurde er zum Thronfolger bestimmt. Wurde ihm eines Tages auf dem Schloss-Balkon gesagt: Sieh, mein Sohn, das alles wird eines Tages dir gehören. Ein grosser Teil der Regenschirm-Horden hatte mit dem Geklatsche seine staatsbürgerliche Pflicht erfüllt und setzte sich Richtung Freibier ab. Sie verpassten nichts. Der Parlaments-Präsident Albert Frick lullte die Verbliebenen mit “Zusammen sind wir stark”-Phrasen ein und lobte den Fürsten für seine politische Weitsicht. “Es mag zwar Zufall sein, dass der Beginn Ihrer Regierungszeit fast auf den Tag genau mit dem Fall der Berliner Mauer zusammenfiel”, aber der Fürst habe ja alles kommen sehen und sei sowieso der Beste. In einer banal-treffenden Polit-Analyse bestätigte ein junger Monarchen-Fan die fürstliche Rolle im politischen Top of the Pops: Die jungen Liechtensteiner stünden hinter dem Fürsten; er würde schon alles richtig machen. Dass das auch die älteren Liechtensteiner so sehen, zeigten sie 2012. Rund drei Viertel entschieden in einer Abstimmung, dass der Fürst ihre Volksentscheide mit einem Vetorecht kippen kann. Dass er gewillt ist, seine Vorstellungen von richtig und falsch durchzudrücken, bewies er ein Jahr zuvor. Vor der Abstimmung zur Legalisierung von Abtreibungen, kündigte das Fürstenhaus an, das Gesetz zur Legalisierung nicht anzunehmen. Konsequenz: Die Stimmbeteiligung ging auf Tauchgang; Abtreibung blieb illegal—und bleibt es bis heute. Den Touristen, die ihr Facebook-Profil nach dem Sturm auf die Bierstände mit einem Fürsten-Selfie adeln wollten, war das alles scheissegal. Sie zitterten als sie neben dem grossen Staatsoberhaupt standen, überreichten ihm Schnapsflaschen in Pistolenform und freuten sich über das eintägige Untertanen-Feeling. Die meisten bemerkten nicht einmal, dass der lachende Monarch wohl schon leicht einen sitzen hatte—oder liess ihn nur die entgegengebrachte Liebe zu euphorischen Höhenflügen ansetzen? Als ich mich endlich zu Ihrer Durchlaucht Hans-Adam II. durchgekämpft hatte, war die Euphorie verflogen. Mein Soziologie-Studium schien ihm mindestens so am Arsch vorbeizugehen wie mir selbst und als ich ihn wissen liess, dass ich über seinen grossen Tag schreibe, grübelte er wohl gerade über der Frage, ob er wie alle anderen die aufgestellten Toitois verwenden muss. Erst als ich mich als Monarchiegegner outete wurde er feinhörig. Er zückte den väterlichen Zeigefinger und wies mich—wie es sich für einen Big Daddy gehört—zurecht. Ich zeigefingerte kurz zurück als er mich wissen liess, dass man mit so einer antimonarchistischen Einstellung der Hecht im liechtensteinischen Karpfenteich sei. Ich fragte mich für einen Augenblick, ob die Liechtensteiner wirklich alle so fett und träge sind, dass sie einen brauchen, der sie zur Bewegung zwingt und liess das fürstliche Telefon-Date-Angebot (“Geben Sie mir einfach einen Funk!”) so stehen. Ich ging zurück zum Freibier und den anderen 36000 verzogenen Kindern.
Sebastian Sele
[ "freibier", "Geburtstag", "liechtenstein", "monarchies", "News", "Vice Blog" ]
2014-08-22T09:27:00+00:00
2024-07-31T03:40:53+00:00
https://www.vice.com/de/article/liechtenstein-lebt-fuer-gott-fuerst-und-vaterland-123/
Book Bitch
VICE-Sexpertin Karley “Slutever” Sciortino trifft sich mit ihrem persönlichen Sklaven.
[ "Doing It", "Karley Sciortino", "Slutever", "Stuff" ]
Sex
2012-04-23T04:00:00+00:00
2024-08-12T06:00:54+00:00
https://www.vice.com/de/article/book-bitch/
Converse Rubber Tracks Live mit Little Dragon, Schwarz Don’t Crack und Dan Bodan
Eben noch im Studio, jetzt schon live auf der Bühne. Am Montag steigen die Converse Rubber Tracks Live. Zwei Wochen lang haben sich 14 Künstler in den Berliner Trixx-Studios vergraben, um unter Anleitung von Matt Shane ihre Songs aufzunehmen. Da sie dafür nur acht Stunden Zeit hatten, war nix mit gemütlichem Mittagessen, Rumblödelei und der Pflege anderer Rockstar-Studioklischees. Die harte Arbeit will jetzt natürlich gebührend mit einer Live-Show gefeiert werden. Mit dabei: Das R’n’B-Elektro-Duo Schwarz Don’t Crack, die wir damals auch im Studio besucht hatten. Zusammen mit dem Elektro-Singer-Songwriting-DJ Dan Boden sind die Beiden Support für Little Dragon und ASTR und eröffnen für dich die Berliner Fashion Week. Klingt toll, doch was kostet dich der Spaß? Nix. Karten gibt’s nämlich nicht zu kaufen, sondern nur zu gewinnen. Wir haben 3×2 Tickets, die wir unter allen verlosen, die uns an mit dem Betreff „Rubber Tracks“ mailen. ** Folgt Noisey bei Facebook und Twitter. MEHR VON NOISEY
[ "ASTR", "Converse Rubber Tracks", "Dan Bodan", "Fluxbau", "Little Dragons", "Music", "Noisey", "Promotion", "schwarz dont crack" ]
2014-07-03T11:30:00+00:00
2024-07-31T03:00:26+00:00
https://www.vice.com/de/article/converse-rubber-tracks-live-mit-schwarz-dont-crack-und-dan-bodan/
El Dorado
VICE erforscht die dunkle Welt der Goldminen im Venezuela von Chavez.
[ "News", "VICE News" ]
2007-03-12T00:00:00+00:00
2024-08-12T09:17:07+00:00
https://www.vice.com/de/article/el-dorado/
Sex am Strand und kostenlose Schirmchendrinks: Meine Zeit als Animateur in einem All-Inclusive-Ressort
Symbolbild 1 | Foto: Alan Light | Flickr | CC BY 2.0 Eigentlich bin ich Anfang der 90er Jahre eher durch Zufall bei der Urlaubsressort-Kette Club Med gelandet. Und trotzdem sollte ich dort insgesamt sieben Jahre lang als Animateur angestellt sein. Meine Tätigkeit beinhaltete dabei die Unterhaltung der Gäste sowie das Organisieren von sportlichen Tätigkeiten und anderen Aktivitäten. Man könnte meinen, dass das doch ziemlich leicht sein sollte, aber das war es wirklich nicht. Rückblickend waren es jedoch trotzdem die besten Jahre meines Lebens. Das Konzept des Feriendorfs kam zum ersten Mal in den 50ern auf. Club Méditerranée war dabei eine der ersten Hotelketten, die auf All-Inclusive-Urlaube setzten. Im Grunde erfüllten sie damit auch den Traum eines jeden Urlaubers: Eine große offene Bar an einem sonnigen Traumstrand. Dem Unternehmen war dabei vollkommen bewusst, was passiert, wenn man kostenlosen Alkohol und sommerliche Sexiness verbindet, und erfand so quasi eine neue Art des Tourismus, die sich vor allem auf die beiden eben genannten Aspekte konzentriert. Meine Geschichte nimmt ihren Anfang in Marseille, genauer gesagt in einem Bus. Ich fuhr zum Alten Hafen und traf dabei zufällig auf meinen Cousin, den ich seit gut einem Jahr nicht mehr gesehen hatte. Wir kamen ins Gespräch und er erzählte mir, dass er als Animateur in irgendeinem Club Med in Griechenland arbeiten würde—seiner Aussage nach die „perfekte Flucht”. Die Busfahrt dauerte eine knappe halbe Stunde und mein Cousin erklärte mir, welche Aufgaben seine Arbeit beinhalten würde: Er kümmerte sich bei Ausflügen um die Urlauber, organisierte Strandaktivitäten und stellte abends dann noch diverse Shows auf die Beine, um die Gäste bei Laune zu halten. Dabei erwähnte er immer wieder, wie viel Spaß das alles machen würde und wie viele hübsche Frauen er dabei schon abgeschleppt hätte. Auch die traumhaften Strände, an denen er sich die Sonne auf den Bauch schienen ließ, wurden bis ins kleinste Detail beschrieben. Zwar neigte mein Cousin auch immer mal wieder gerne zu Übertreibungen, aber diese Geschichte klang für mich trotzdem recht plausibel. Wenn auch nur ein Drittel von dem, was er mir da erzählte, stimmen sollte, musste ich diese Erfahrungen selbst machen. Symbolbild 2 | Foto: tommypjr | Flickr | CC BY 2.0 Ich muss an dieser Stelle jedoch auch erwähnen, dass mein Leben bis zu diesem Zeitpunkt nicht gerade rosig verlaufen war: Mit 22 wohnte ich immer noch bei meinen Eltern und stand kurz davor, Sportlehrer zu werden. Also dachte ich mir, dass eine Anstellung als Sportlehrer in einem paradiesischen Hotel wohl meine beste Chance auf eine spaßige Zukunft sein würde. Außerdem war ich noch nie wirklich aus Frankreich rausgekommen und diesen Umstand wollte ich schleunigst ändern. Je mehr ich über das Ganze nachdachte, desto überzeugter wurde ich davon, dass mein Cousin Recht hatte. Ein paar Wochen später machte ich mich dann auf nach Paris, um mich in der Club-Med-Zentrale vorzustellen. Vor dem Gespräch gab es erstmal eine Präsentation zur Geschichte und zum Konzept des Unternehmens. Mir wurde das Leben im Feriendorf näher gebracht und dazu noch das Gehalt (bei einer Sechs-Tage-Woche um die 5000 Francs [gut 760 Euro] im Monat) verraten. Da man mir Unterkunft, Verpflegung und sonstige Dinge jedoch stellte, war das vollkommen OK. Das eigentliche Gespräch verlief dann auch sehr gut, was bei doch recht einfach gehaltenen Fragen allerdings auch kein Wunder war. Da ich zudem alle körperlichen Voraussetzungen mitbrachte, hatte ich den Job in der Tasche. Munchies: Ich habe als Kellner Geld abgezweigt und bin davon in den Urlaub gefahren Schon in der darauffolgenden Woche ging es los in Richtung Spanien. Ich war von da an der offizielle „sportliche Leiter” des Resorts und diesen Job nahm ich auch sehr ernst. Meine erste richtige Festanstellung schien wie für mich gemacht: Der Club-Med-Alltag war relativ entspannt und gleichzeitig unglaublich pervers. Nicht nur die spanische Küstenlandschaft hat mich total umgehauen, sondern auch das Hotel, das aus einem großen Haupt- und mehreren Nebengebäuden bestand. Nach meiner Ankunft bekam ich meine Arbeitskleidung ausgehändigt und ein Zimmer zugeteilt. Danach lernte ich meine zukünftigen Kollegen kennen—darunter viele Belgier, einige Franzosen und auch ein paar Deutsche. Dazu wurden mir noch einige Gäste vorgestellt und ich musste eine Reihe an vorgeschriebenen Tanzchoreographien einstudieren. In jedem Club-Med-Ressort stellen die Animateure jeden Abend eine Unterhaltungsshow auf die Beine. Dieser nervige Auftritt dauerte bei uns immer zwischen 30 und 45 Minuten und war so ziemlich das Einzige, das mich störte, als ich meinen Arbeitsvertrag unterschrieb. Ich redete mir jedoch ein, dass ich im Gegenzug für diese Bürde viele weibliche Gäste abschleppen würde. Da im Club Med von den Outfits bis hin zum Gehalt alles einheitlich ist, kann man sich bei seinen Kollegen eigentlich nur durch die Anzahl der One-Night-Stands profilieren. Nach einer gewissen Zeit hatte ich dann eine tägliche Routine entwickelt: Ich wachte um 09:00 Uhr auf, frühstückte, bereitete alle Aktivitäten, Spiele und den Kaffee vor, aß dann schnell einen Mittagssnack, organisierte das nachmittägliche Sportangebot, gönnte mir einen Drink, spulte die Abendshow ab und rundete dieses Programm schließlich noch mit einer Stunde Animation im hoteleigenen Club ab. Und das Ganze sechs Mal die Woche. Diese Routine war richtig anstrengend und an den geschäftigsten Tagen ging ich so gegen 01:00 Uhr ins Bett, um so viel wie möglich zu schlafen. Meistens gab ich jedoch meinem jugendlichen Leichtsinn nach und blieb bis in die frühen Morgenstunden im Club—und meinen Status als Animateur nutzte ich natürlich aus, um junge Frauen kennenzulernen und mit in meine Unterkunft zu nehmen. So kam ich auch zu der Erkenntnis, dass Männer und Frauen im Urlaub eigentlich nur auf eine Sache aus sind. Im Club Med einen Sexpartner bzw. eine Sexpartnerin zu finden, ist unglaublich einfach—ich meine, jeder will dort etwas erleben und ist ständig betrunken. Das ist ja quasi die Definition von Sex um des Sexes Willen. Dazu kommt dann noch, dass die Urlauber den ganzen Tag in Badekleidung rumlaufen, was die Fantasie natürlich noch zusätzlich anheizt. Noch nie zuvor konnte ich so vielen Leuten beim Ficken zuschauen—vor allem am Strand. Ich selbst habe während meiner sieben Jahre andauernden Anstellung pro Woche im Durchschnitt mit zwei Frauen geschlafen. Das macht insgesamt ungefähr 750 Bettgeschichten. Da im Club Med von den Outfits bis hin zum Gehalt alles einheitlich ist, kann man sich bei seinen Kollegen auch eigentlich nur durch diese Anzahl der One-Night-Stands profilieren. Symbolbild 3 | Foto: Alan Light | Flickr | CC BY 2.0 Durch meinen Job bei Club Med wurde mir jedoch auch noch eine andere Sache bewusst: Geld allein macht nicht glücklich. Zum einen kann man sich dort nämlich gar nichts kaufen, weil ja alles im Urlaubspreis drin ist, und zum anderen fühlt es sich doch irgendwie unglaublich befreiend an, wenn man nicht ständig über seine Finanzen nachdenken muss. Nach einer Weile wurde es dann richtig schwer, unter der Arbeitslast nicht einzuknicken. Da ich mich ja quasi im Paradies befand, wollte ich meine freien Tage natürlich dementsprechend voll ausnutzen, aber mein Job war so anstrengend, dass ich nicht die Energie hatte, noch anderweitig große Sprünge zu machen. Und so kam es, dass ich eigentlich nur schlief, am Pool abhing oder am Strand spazieren ging. Deshalb erfuhr ich auch fast nichts über die Orte, an die es mich aufgrund meiner Arbeit verschlug. Als Club-Med-Animateur ist man normalerweise zwischen vier und sieben Monaten in einem Ressort angestellt und wechselt danach in ein anderes Land. So kam es, dass ich nach Spanien noch in Griechenland, der Türkei, auf den Bahamas, in Senegal und schließlich nochmals in der Türkei die Gäste bespaßte. Noisey: Wir waren auf der Full Metal Cruise, um herauszufinden, wer zur Hölle auf die Full Metal Cruise fährt Meine letzte Anstellung in der Türkei war dabei wohl die verrückteste Zeit meines Lebens. Das Ressort befand sich in Bodrum, was so etwas wie das türkische Äquivalent zu Saint Tropez darstellt. Die Gäste waren total locker drauf und abends wollte jeder Party machen. Nach sechs Jahren des Animateur-Daseins wusste ich damals auch, welche verschiedenen Arten an Urlaubern es alles gibt. Außerdem hatte ich es voll drauf, tagsüber die Kinder zu unterhalten und am Abend die dazugehörigen Mütter um den Finger zu wickeln. Ich machte innerhalb von 24 Stunden quasi zwei Generationen glücklich. Obwohl ich heutzutage nicht mehr alles gut finde, was damals abgegangen ist, versetzt es mich doch trotzdem immer wieder in gute Laune, wenn ich an diese Zeit zurückdenke. Nach sieben Jahren als Animateur musste ich jedoch einen Schlussstrich ziehen, denn wenn man zu lange in der Club-Med-Blase lebt, kann einem der Absprung unter Umständen unglaublich schwer fallen. Ich war damals 29 und mich sehnte es nach einer Arbeit mit wirklicher Zukunft. Als mir dann ein Job in Paris angeboten wurde, musste ich nicht zweimal überlegen. Die Rückkehr in ein „normales” Leben war nicht gerade einfach—vor allem weil ich mich während meiner Anstellung bei Club Med um nichts kümmern musste. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich den Animateurs-Lifestyle wirklich komplett hinter mir gelassen und wieder eine gewisse Stabilität in meinen Alltag gebracht hatte. Seitdem habe ich auch nie wieder einen Fuß in ein Club-Med-Ressort gesetzt.
Jean-Pierre, aufgezeichnet von Félix Macherez
[ "Alkohol", "all inclusive", "alltag", "animateurs", "Club Med", "Entertainment", "Erfahrungsbericht", "Frankreich", "Geschlechtsverkehr", "hotel", "paradies", "Ressort", "Sex", "spanien", "Stuff", "türkei", "Urlaub", "Vice Blog" ]
Sex
2016-03-29T15:04:00+00:00
2024-07-30T22:15:52+00:00
https://www.vice.com/de/article/sex-on-the-beach-und-kostenlose-schirmchendrinks-meine-zeit-als-animateur-in-einem-all-inclusive-ressort-462/
Steam lässt hasserfüllten Neonazi-Gruppen freien Lauf
Steam ist die weltweit größte Plattform für Videospiel-Downloads – und extrem unübersichtlich. Damit sich die 125 Millionen Nutzer im Chaos besser zurechtfinden, führte der Betreiber Valve 2014 ein neues Feature ein: die Steam-Kuratoren. Mit Hilfe dieser Funktion können Nutzergruppen oder einzelne Nutzer Videospiele weiterempfehlen. Motherboard könnte beispielsweise eine Steam Kuratoren-Seite erstellen, auf der wir Spiele auflisten, von denen wir denken, dass sie unseren Lesern gefallen könnten. Folgt Motherboard auf Facebook, Instagram, Snapchat und Twitter Um diese Funktion zu bewerben und Steam-Nutzern neue Spiele vorzustellen, präsentiert Steam momentan jeweils sechs wechselnde Kuratoren auf seiner Startseite. Am Dienstag postete Joe Parlock, Chefredakteur der Games-Seite Let’s Play Video Games, einen Screenshot von seiner Steam-Startseite auf Twitter. Unter den sechs ausgewählten Steam-Kuratoren befand sich auch eine Seite namens “dank memes for faggots”. Über das homophobe Schimpfwort “faggot” auf Steams Startseite war Parlock sichtlich irritiert. Auf unsere Anfrage, wie ausgerechnet dieser Steam-Kurator auf der Startseite des Stores landen konnte, hat Valve bisher nicht reagiert. Aufgrund seiner großen Nutzerzahlen hat Steam einen großen Einfluss auf die Gaming-Szene. Dass auf seiner Startseite also eine homophobe Beleidigung prangt, sieht für den Spielegiganten nicht gerade elegant aus. Bedenkt man jedoch, wie viele Millionen Menschen Steam nutzen und mit eigenen Inhalten füllen, wirkt dieser Ausrutscher gar nicht mehr so verwunderlich. Allerdings hat Valve sowieso schon den Ruf, die Inhalte auf seinen Seiten weitestgehend unmoderiert zu lassen. Dabei zeigt nicht nur das “faggot”-Beispiel, dass Valve diese Policy mal dringend überdenken sollte. Denn was Parlock auf seiner Startseite entdeckte, war offenbar nur die Spitze eines sehr hässlichen Eisbergs. Tippt man die Schlagworte “Nazi”, “Jew” und “Trump” in die Suchleiste der Steam-Kuratoren ein, findet man Gruppen, in denen es von diskriminierenden Ausdrücken, antisemitischen Karikaturen und Hakenkreuzen nur so wimmelt: Auf unsere Anfrage, warum auf der Steam-Plattform so viele rassistische, homophobe und antisemitische Kuratoren, Gruppen und Inhalte zu finden sind, erhielten wir von Valve ebenfalls keine Antwort. Die Nummern neben dem Kuratoren-Namen zeigen an, wie viele Leute der jeweiligen Seite folgen. Wie man sieht, haben die oben gezeigten Gruppen allesamt eine recht kleine Anhängerzahl. Außerdem scheint es eine große Anzahl an Gruppen zu geben, die die rassistischen Äußerungen als eine Art Scherz verstehen oder dies zumindest behaupten – ein aktueller Trend unter Steam-Gamern. Auch auf VICE: Aufstand der Rechten: Unterwegs bei Europas größtem Nationalisten-Treffen Nutzer können auf Steam auch Gruppen erstellen, in denen sich Gamer mit ähnlichen Interessen und Vorlieben austauschen können. Wenn man die Steam-Gruppen nach dem Schlagwort “Nazi” durchsucht, stößt man auf Gruppen, die ganz und gar nicht scherzhaft wirken. In der Beschreibung der Steam-Gruppe “Nationalsozíalismus -Neo-Nazis-” steht beispielsweise: “Group for all Neo-Nazis and White Supermacists…Fuck jews. Fuck Blacks. Fuck Islam.” Das Logo der Gruppe ist ein Reichsadler mit Hakenkreuz. Die Gruppe “┼NAZI” bringt es mit dem SS-Logo als Gruppenbild und ohne Beschreibung auf 104 Mitglieder. Da die Suche nach dem Schlagwort “Nazi” 7.897 Ergebnisse bringt, würde es wohl mehrere Woche dauern, alle Gruppen einzeln durchzugehen. Sucht man nach dem N-Wort, erhält man 4.520 Ergebnisse. Als wir die Steam-Gruppen nach dem Begriff “white power” durchsuchten, stießen wir auf eine Gruppe namens “Power to Whites”, also “Macht den Weißen”, die 85 Mitglieder zählt und ein Hakenkreuz als Symbolbild trägt. Das selbsterklärte Ziel der Gruppe ist es laut Beschreibung, “Juden, Krüppel, Schwule und Schwarze” zu töten. Am Ende der Beschreibung steht der Satz “Wenn du glaubst, dass diese Gruppe ernst gemeint ist” mit einem Link, der zu einer Wiki-Anleitung für das Knüpfen einer Schlinge führt. Eigentlich positioniert sich Valve in seinen eigenen “Richtlinien für Nutzerinhalte” ganz klar gegen Hass und Gewalt. Hier steht, dass Nutzer andere Mitglieder nicht beleidigen dürfen und dass Inhalte weder “Rassismus” noch “Diskriminierung” enthalten dürfen. Offensichtlich ist Valve jedoch nicht in der Lage, die Einhaltung dieser selbst vorgegebenen Regeln auch durchzusetzen. Das kommt nicht sehr überraschend, wenn man bedenkt, dass Valve dafür bekannt ist, kaum auf Steam zu intervenieren. In den letzten Jahren haben wir mehrfach über den unterirdischen Kundenservice auf der Plattform berichtet und über Valves fruchtlose Versuche, Ordnung in den unübersichtlichen Steam Store zu bringen. Valve zeigte sich ebenfalls machtlos dagegen, dass Gamer Spielehersteller im Steam-Forum mit negativen Spielkritiken regelrecht bombardieren, ein Vorgehen, das auf Englisch als “review bombing” bezeichnet wird. Die Firma kündigte in der Vergangenheit an, mehr Mitarbeiter einstellen zu wollen, um ihren Kundenservice zu verbessern. Doch die Verbesserungen, die Valve tatsächlich umsetzt, stützen sich meist auf neue Algorithmen oder die Interaktion des automatisierten Systems mit der Community. Unseren Informationen zufolge beschäftigt Valve momentan gerade mal 360 Mitarbeiter. Diese betreiben nicht nur die Steam-Plattform, sondern entwickeln auch Spiele und arbeiten an der Entwicklung und Umsetzung neuer Projekte wie SteamVR. Es ist nicht ganz klar, wie Valve momentan die riesige Aufgabe bewältigt, eine Community von über 125 Millionen zu moderieren. Auf der Unternehmensseite heißt es vage, dass “große Teile der Steam-Community aus einer Kombination von offiziellen Valve-Mitarbeitern, Community-Moderatoren und Vertretern der Spieleentwickler und -herausgebern moderiert werden”. So viel ist jedoch offensichtlich: Mit dem jetzigen System wird Valve seiner verantwortungsvollen Rolle nicht gerecht.
Emanuel Maiberg
[ "Antisemitismus", "community", "Gaming", "kurator", "moderation", "Motherboard", "Rassismus", "Steam", "Tech", "Valve", "Videospiele" ]
Tech
2017-10-20T13:06:42+00:00
2024-07-30T20:56:18+00:00
https://www.vice.com/de/article/vb3ga4/steam-lasst-hasserfullten-neonazi-gruppen-freien-lauf
Die Playlist für deinen Festivalsommer
Foto via Flickr | sputnik mi amor_ | CC BY 2.0 Wir sind angekommen. Entweder in den Ferien, dem Urlaub, der ersten Arbeitswoche nach dem Urlaub oder bei der besten Freundin. Jeder irgendwo. Wo wir aber alle gemeinsam angekommen sind, ist am Höhepunkt des Festivalsommers. Während Festivals wie das Nova Rock, das Electric Love oder das Lighthouse schon wieder über nächstes Jahr nachdenken, läuft das Poolbar Festival noch bis 20. August und dem Frequency, dem HipHop Open und anderen steht ihr großer Moment noch bevor. Dass jeder Sommer (und jeder Festivalsommer umso mehr) seinen eigenen Soundtrack hat, weiß die Menschheit spätestens seit den 80er Jahren. Und auch dieses Jahr gibt es die passende Musik für Campingplatz-Geschichten, wunderschöne Stunden mit deinen Freunden im Stau und die Tage, bevor das Festival beginnt. Wir haben euch eine Playlist zusammengestellt, in der euch die wichtigsten Acts, die diesen Sommer noch in Österreich spielen werden, ein Lied singen. Wegen dem Einstimmen wär es gewesen. Sponsored by Eristoff Vodka ** Folgt Noisey bei Facebook, Instagramund Twitter.
Noisey Staff
[ "AnnenMayKantereit", "digitalism", "Features", "Festival Summer", "Festivals", "hvob", "Music", "Musik", "Noisey", "Playlist", "Playlists", "Spotify" ]
2016-08-02T08:00:00+00:00
2024-07-30T21:27:14+00:00
https://www.vice.com/de/article/die-playlist-sommer/
Schweinefanatiker aller Länder, vereinigt euch!
Das erste Mal traf ich Peter Toth, den Retter des ungarischen Nationalschweins, in einem Thai-Restaurant, und keiner von uns beiden aß Schwein. Aber während unseres zweistündigen Treffens hat er mich der Mann mit den leuchtenden Augen mit einer solchen Flut von Informationen und Anekdoten über das berühmte Mangalica-Schwein bombardiert, dass ich keinen Zweifel mehr hatte—er ist ein echter Schweinefanatiker.  Von der Existenz des Mangalica-Schweins erfuhr ich, als ich seinen Namen auf einer Speisekarte in Budapest sah. Ungarn lieben Schweinefleisch, doch das Mangalica taucht nur auf ausgewählten Speisekarten auf. Das liegt daran, dass diese Schweinerasse vor nicht allzu langer Zeit fast ausgestorben wäre. Seit Kurzem erlebt das Mangalica jedoch eine beispiellose Renaissance: Weltberühmte Chefs wie Thomas Keller vom French Laundry in New York preisen sein Fleisch als das „Kobe-Rind unter den Schweinen“, ein halbes Kilo Filet wird mittlerweile für 45 Euro gehandelt, und von Österreich bis in die USA schießen neue Mangalica-Schweinezuchten aus dem Boden.  Das Besondere an den wolligen, schafartigen Mangalica-Schweinen ist ihr hoher Anteil Fett, das im Mund schmilzt und voller Omega-6-Fettsäuren ist. Aus diesem Grund gilt das Mangalica-Schwein als überragend reichhaltig im Geschmack.  Ohne Peter wäre diese Erfolgsgeschichte nie passiert. Ein paar Tage nach unserem ersten Treffen lud er mich zur Besichtigung einer Mangalica-Schweinefarm im Rahmen der „Fatty Pig“-Konferenz ein, bei der Liebhaber fetter Schweine aus der ganzen Welt zusammenkommen. Gemeinsam mit einem Freund schloss ich mich der Gruppe an, in der auch Leute aus Vietnam, Südafrika, Rumänien, Thailand, Griechenland und Japan waren. Der Bus, der uns zu den Schweinen bringen sollte, fuhr an einem strahlenden Samstagmorgen los. Auf der Fahrt hörten wir, dass in Ungarn jedes Jahr 70.000 Mangalica-Schweine geboren werden und dass die Schweine in drei Farbtönen zur Welt kommen (blond, rot oder schwalbenbäuchig bzw. schwarzweiß). Die Schweine verbringen ihr ganzes Leben frei laufend auf kleinen Farmen wie dem, zu dem wir gerade unterwegs waren, und werden dort auch geschlachtet. „In Ungarn werden mehr als eine Million Schweine auf dem Hof getötet und gegessen“, erklärte Peter. „Auf den Dörfern ist das eine typische Beschäftigung. Sogar Chefköche mieten kleine Farmen an, um vor Ort zu schlachten und einen Tag lang aus der Nase bis hin zum Schwanz ausgezeichnete Gerichte zuzubereiten. Es ist eine interessante Kombination der alten Schweinerasse mit der modernen gehobenen Küche.“ Peters persönliche Mangalica-Geschichte begann im Jahr 1991, als er in Spanien studierte. „Ich kam auf die Idee, als ich mich mit einem spanischen Freund [Juan Vicente Olmos Llorente] über die Nachfrage nach fettigerem Schinken wie dem spanischen Serrano-Schinken unterhielt.“ Die beiden hatten den Plan, „nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Staates und dem Beginn der freien Marktwirtschaft etwas zu starten.“ Als Peter sah, dass es nur noch wenige Mangalica-Schweine gab und ihm „klar wurde, dass man bald die letzten Tiere töten und essen würde“, rief er seinen Freund Juan an und traf eine „historische Entscheidung“: Er beschloss, 35 ungarische Mangalica-Schweine zu kaufen. Und so befanden sich zwischen 1991 und 1998 fast alle der lebenden Mangalica-Schweine weltweit in seinem Besitz. 1994 gründeten sie das Unternehmen Toth and Olmos und züchteten weiter.  Die ersten Mangalica-Schweine wurden vom österreichisch-ungarischen Kaiser Franz Joseph persönlich gezüchtet. 1833 kreuzte er ungarische und serbische Schweine und brachte diese fetthaltigen Mangalica-Geschöpfe hervor. Sie wurden zur verbreitetsten Schweinerasse in Ungarn, und das reichlich vorhandene Schweineschmalz versorgte die Menschen während der Industriellen Revolution. Mangalica-Schweine waren bis in die 1950er und 1960er Jahre sehr beliebt, doch dann änderte sich der Geschmack und die Leute verlangten nach mehr Fleisch und weniger Fett. Während der Zeit des Kommunismus, erzählte mir Peter, „wurde der Verzehr von Mangalica-Fleisch als Unart betrachtet.“ Aber die Geschmäcker haben sich erneut gewandelt—Peter ist heute der Präsident der ungarischen Mangalica-Gesellschaft, die 170 Mitgliedsfarmen hat.  Als wir in Cserépváralja, einem Dorf etwa 150 Kilometer von Budapest entfernt, ankamen, fanden wir 25 schwalbenbäuchige (bzw. dunkle) Mangalica-Schweine vor, die sich von uns streicheln ließen und an den Schuhen der Japaner knabbern wollten. In der Zwischenzeit wurde ein 150 Kilo schweres Schwein, das vom Farmbesitzer Kristof totgeschossen worden war, vor dem Haus neben bellenden Hunden gereinigt. Während wir Pflaumen-Pálinka tranken, erklärte uns Kristof, dass man die Schweine traditionellerweise mit einem Messer schlachtet, nach Europarecht aber nur der Kopfschuss erlaubt ist. Peter ergänzte: „Traditionellerweise stehst du um vier oder fünf Uhr morgens auf, trinkst einen starken Pálinka, nimmst ein Schwein und kämpfst vier oder fünf Stunden mit ihm, bis das Schwein schreit und heult.“ Nach dem dreistündigen Säuberungsprozess wurde das Mangalica-Schwein für eine Gruppe gut gelaunter Amerikaner aus Chicago gebraten. Auf die Frage, wie ihnen alles gefällt, sagten sie: „Es ist wie Thanksgiving.“ Dann ziehen wir weiter zu einer anderen Farm, und Peter erklärt, dass es sehr wichtig ist, das lebende Schwein und den Schlachtvorgang zu zeigen. Selbst viele Chefköche wissen nicht, wo sich der Nacken und die Lenden befinden.   Mittlerweile sind wir bei der Mangalica-Farm von Benedek Vass in Bükkzsérc angekommen. Benedek, der sich sichtlich freute, Peter zu sehen, erwartete uns am Gatter und Peters Fahrer verteilte Plastik-Schuhüberzieher. Als wir sie angezogen hatten, erzählte Peter, dass er sich mit seiner kleinen Farm, auf der er 20 blonde Säue hielt, auf handgefertigte Produkte spezialisiert hat.  Seine blonden, schafähnlichen Schweine waren nicht so freundlich wie die von Kristof, was vielleicht daran lag, dass wir sie beim Eichelessen störten. Peter erklärte, dass der Geschmack des Schweinefleisches auf das Futter zurückzuführen ist. „Diese Schweine mögen Eicheln und Pflaumen. Normalerweise wird in Ungarn eine traditionellere Mischung aus Mais, Gerste, Weizen und Luzerne verfüttert.“  Während des Mittagessens, das aus Kohleintopf mit Hackfleisch und Mangalica-Würstchen bestand, legte Peter seine Sicht der Zukunft der Fisch- und Fleischindustrie dar. „Wir rotten die Sardinen-Bevölkerung im Atlantik aus, um in der Nordsee Lachs zu züchten. Es ist eine Katastrophe, die von den Leuten als politisch korrekt verkauft wird, indem gesagt wird, dass der Fisch aus dem freien Meer kommt, aber das ist nicht wahr.“ Er wies darauf hin, dass Fische—anders als pelzige Tiere—nicht schreien oder heulen können. „Kein Schweigen der Lämmer, sondern Schweigen der Fische“, scherzte er.  Er sieht auch die Zukunft des normalen weißen Schweins düster. „In den USA“, erklärte er, „hat die Lebensmittelüberwachungsbehörde Schweinefleisch als weißes Fleisch deklariert, was unsinnig ist, denn das Schwein kann der Konkurrenz zum billigeren, sichereren und gesunderen Hühnerfleisch nicht standhalten.“ „Wenn sich die Dinge nicht ändern“, verkündete er, „wird das weiße Schwein untergehen.“ Die Zukunft des Mangalica-Schweins ist jedoch „aussichtsvoller, die Nachfrage steigt sehr stark.“  Mittlerweile war ich bei meinem vierten Glas von Benedeks hausgemachtem Wein angelangt, auf den er sehr stolz ist. Auch bei den anderen machten sich die Auswirkungen des Alkohols bemerkbar. Peter lenkte die Aufmerksamkeit jedoch wieder zurück auf die Schweine und schlug der Tischgesellschaft vor, eine internationale Organisation für Fettschwein-Wissenschaftler zu gründen. „Ich empfehle, dass ihr euch zusammenschließt und euch mit den fetten Schweinen erhebt.“   Als sich seine Worte bei den Teilnehmern gesetzt hatten, ergriff unser kräftiger Gastgeber Benedek das Wort und führte uns für weitere Weinproben in seinen Weinkeller. Inzwischen hatten alle ein paar Gläser zu viel, und als wir um den Steintisch im runden kappadokisch-höhlenartigen Raum saßen, fingen einige an zu singen. Benedek und sein Freund fingen mit ungarischen Liedern an, die von Luckys und Ayandas südafrikanischem Duett nicht übertroffen werden konnten, nur die Japaner beeindruckten uns noch mit ihrem eigenen Lied. Die Stimmung stieg sogar noch, als wir über den Hof zum eigentlichen Weinkeller gingen.  In einem Keller, dessen Wände komplett mit einem von Benedek liebevoll „Zigeunerfotze“ genannten Pilz bewachsen waren, lagen Dutzende Fässer Wein gelagert. Als uns Benedek mit seinem penisförmigen Trichter einschenkte, lachte sich Lucky beinahe tot, Valentin probierte bedächtig alle Jahrgänge durch und die Japaner erwiesen sich als standfeste Trinker, die lässig ein Glas nach dem anderen entgegennahmen.  Unsere Schweinetour geriet etwas aus den Bahnen. Auch Peter war das eher peinlich, aber er betonte, dass die Gastfreundschaft, die wir hier erlebten, typisch für Ungarn sei.  Als wir alle Weine der letzten zehn Jahre durchprobiert hatten, stolperten wir wieder nach draußen. Dort lud uns ein Mann von einem benachbarten Weinkeller ein, auch seinen Wein zu probieren. Nachdem ein paar wenige standfeste Gruppenmitglieder auch diese Weinprobe mitgemacht hatten, ging die Sonne bereits unter. Wir mussten zum Bus eilen und schliefen dort rasch ein.  Zurück in Budapest gingen wir am KNRDY vorbei, einem der besten und teuersten Steakhäuser der Stadt, das uns von Peter empfohlen worden war. Wenn man kein Problem damit hat, 40 Euro für 600 Gramm zu bezahlen, könne man hier das beste Mangalica-Kotelett essen. Da Peter sich für einen stärkeren Bezug zum Schwein und für die Verbindung von Farmen und noblen Stadtrestaurants eingesetzt hatte, schloss sich gewissermaßen ein Kreis für mich.
Jasmina Knezovic
[ "Mangalica", "Schweinezucht", "Stuff", "ungarn", "Vice Blog" ]
2013-12-05T09:40:00+00:00
2024-07-31T05:32:46+00:00
https://www.vice.com/de/article/mangalica-schweine-in-ungarn/
Die seltene genetische Krankheit, die nur in einer Familie auftritt
Joselin Linder ist kein unbeschriebenes Blatt. Sie arbeitet als Journalistin für die New York Post, hat bereits mehrere Bücher über Gaming und Gamifizierung geschrieben und ist die Autorin von humorvollen Genre-Kreuzungen wie The Stoned Family Robinson (wie Die Schweizerische Robinson nur mit Gras). Die Arbeit an ihrem Buch The Family Gene war allerdings auch für Linder eine vollkommen neue Erfahrung. Es erzählt von dem Kampf ihrer Familie gegen eine namenlose Krankheit. Eine Krankheit, die durch eine genetische Mutation verursacht wird, die viele ihrer Verwandten in sich tragen. Das Gen konnte auf Linders Urgroßmutter zurückgeführt werden, was sehr außergewöhnlich ist. Normalerweise können genetisch bedingte Krankheiten (wie zum Beispiel Mukoviszidose) über dutzende oder hunderte Generationen zurückverfolgt werden. Genau wie ihr Onkel starb auch Linders Vater an den körperlichen Folgen des Gens, das von Generation zu Generation weitergegeben wurde. Über fünf Generationen hinweg wurden zahlreiche Mitglieder ihrer Familie krank, allerdings konnte lange Zeit über niemand sagen, wie die Symptome zusammenpassten: geschwollene Lymphknoten, Lymphflüssigkeit in der Lunge und ein Verwandter, der einen Schlaganfall erlitt. Erst in Linders Generation waren die Ärzte in der Lage, die Krankheit auf eine besondere genetische Mutation zurückzuführen, von der man annimmt, dass sie nur in ihrer Familie auftritt. Mehr lesen: Sind wir dazu verdammt, so zu werden wie unsere Mütter? Linder weiß, dass sie eine tickende Zeitbombe sein könnte. Dieses Bewusstsein beeinflusst auch ihre Arbeit und ihr Leben. Sie darf sich beispielsweise nicht übergeben oder husten. Ihre Venen sind so schwach, dass sie anfangen könnte, aus dem Mund zu bluten, wenn sie die Muskeln in ihrem Hals zu heftig anspannt. Außerdem leidet sie unter geschwollenen Beinen und Herzgeräuschen, was ebenfalls darauf hindeutet, dass sie das Gen in sich trägt. Ansonsten wirkt sie ziemlich gesund. Sie arbeitet, geht mit ihren Hunden spazieren und führt auch sonst ein beschauliches Leben. Im Gegensatz zu den meisten anderen Menschen ist sie sich ihrer Sterblichkeit allerdings andauernd bewusst. Linder, ihre Schwester und die meisten anderen ihrer Verwandten aus der fünften Generation haben deswegen eine Abmachung getroffen: Sie wollen das Gen nicht weitergeben. Ich habe mich mit ihr getroffen, um mit ihr über ihr Buch, ihre Arbeit und ihr Leben mit der seltenen Krankheit zu sprechen. Bild: HarperCollins Broadly: Warum hast du beschlossen, The Family Gene zu schreiben?Joselin Linder: Um ehrlich zu sein, habe ich zuerst überhaupt nicht gedacht, dass die Geschichte irgendwen interessieren könnte. Letztendlich schreibe ich einfach nur über mein Leben. Als Kind habe ich Tagebuch geführt und je älter ich wurde, desto zynischer wurde ich. Ich hätte nicht gedacht, dass das interessant sein könnte. Eines Tages hat mich dann eine Freundin gefragt, wie mein Vater gestorben ist. Ich konnte ihr nur sagen, dass wir das eigentlich gar nicht wissen. Wir fingen an, darüber zu sprechen, wie die Geschichte aussehen könnte. Als sich herausstellte, dass meine Schwester ebenfalls unter der Krankheit litt, fiel es mir leichter, darüber zu schreiben. Wenn sich die Geschichte nur um mich gedreht hätte, hätte es gewirkt, als würde ich jammern oder nach Hilfe suchen. Als sich allerdings herausstellte, dass sie auch unter der Krankheit litt, dachte ich mir: “OK, wir müssen uns zusammentun und etwas unternehmen.” Du warst schon bei verschiedenen Ärzten, um herauszufinden, unter welcher Krankheit deine Familie leidet. Du hast aber sicher noch mehr Nachforschungen angestellt, als du beschlossen hast, ein Buch darüber zu schreiben. Wie war diese Erfahrung für dich?Noch vor 20 Jahren wäre ich zum amerikanischen Gesundheitsministerium gefahren und hätte dort um meine Familienakten betteln müssen. Das Seidman-Labor hatte die ganzen Informationen allerdings schon schön geordnet und sorgfältig abgeheftet: Es gibt einen Abschnitt über Mae, meine Urgroßmutter, einen über ihren Sohn und einen über meinen Vater. Als ich mehr Informationen über meinen Onkel herausfinden wollte, hat mir meine Tante Ellen seinen Autopsiebericht und einige medizinische Unterlagen zugeschickt. Außerdem hat sie mir auch einiges am Telefon vorgelesen. Linders Vater. Foto: Joselin Linder Neben all die medizinischen Informationen ist die Geschichte sehr persönlich: Du erzählst von der Krankheit und dem Tod deines Vaters oder dem Selbstmord deines Freunds Jeromy. Fiel es dir schwer, darüber zu schreiben? Ich bin eine kleine Soziopathin, meine Schwester ist dagegen sehr emotional. Als mein Vater krank wurde, war ich die Einzige, die mit einer gewissen Distanz darüber sprechen konnte. Ich war zumindest in der Lage zu wiederholen, was die Ärzte gesagt hatten, ohne dabei zu emotional zu werden. Ich glaube auch, dass das der Grund war, warum sich mein Vater immer so sehr auf mich verlassen hat. Wenn ich jetzt lese, was ich geschrieben habe, finde ich es wirklich schwierig. Es ist sowieso das Allerschlimmste, dass man sein Buch tausendmal selbst lesen muss, während man daran arbeitet. Ich glaube aber, dass ich meine Augen beim Schreiben ein wenig vor meinen Gefühlen verschließen konnte. Die Sache mit Jeromy war ein Wendepunkt in meinem Leben. Der Tod meines Vaters kam schleichend, weil er so lange krank war. In Jeromys Fall traf es mich hingegen wie ein Schlag. Es machte einfach keinen Sinn. Mit einem Mal hat sich alles verändert. Sein Schicksal macht mich noch immer wütend, aber ich merke auch, dass die Wut mit der Zeit nachlässt. Mittlerweile weiß ich, dass er alles versucht hat – bis er eine Antwort gefunden hat, die in seinen Augen all seine Probleme gelöst hat. Folgt Broadly bei Facebook, Twitter und Instagram. Dass ich Jeromy ausgerechnet in der Zeit kennengelernt habe, als mein Vater schwerkrank wurde, war in vielerlei Hinsicht Schicksal. Er war ein sehr spiritueller Mensch und sein Tod wirkte vollkommen sinnlos und unnötig. Er hat verstanden, was es heißt zu sterben und hatte keine Angst davor. Er fühlte sich wohl bei dem Gedanken, dass wir zu nichts verpflichtet sind und das Leben sehr viel einfacher ist, als wir glauben. Solche Überlegungen hatte ich nie. Hat sich deine Haltung zum Leben verändert, nachdem dich dein Gesundheitszustand mit dem Tod konfrontiert hat? Meine Schwester und ich sprechen viel darüber. Wir sind uns andauernd bewusst, dass das Leben nicht ewig dauert. Diese Erfahrung verleiht vielen Dingen mehr Gewicht. Mein Mann und ich zanken uns natürlich auch, aber meistens kommt mir währenddessen schon immer der Gedanke: Was wäre, wenn es das nun gewesen wäre? Das verleiht einem ganz alltäglichen Streit ein viel größeres Gewicht. Natürlich streiten wir uns noch immer, aber wenn er versucht, irgendetwas wegzulachen, dann lache ich mittlerweile einfach mit ihm. Früher hätte mich das ziemlich wütend gemacht. Er regt sich auch beim Autofahren immer unglaublich auf. Das tue ich zum Beispiel nicht mehr. Natürlich ist das auch eine Frage der Persönlichkeit, aber vieles kommt sicherlich auch daher, dass ich meiner Sterblichkeit bewusst geworden bin. Das Ganze kann also auch eine positive Seiten haben. Außerdem nehme ich es immer sehr ernst, wenn mich Freunde um Hilfe bitten. Mir ist bewusst, dass es nichts wichtigeres gibt, als für einen Freund da zu sein. Das wissen viele von ihnen sehr zu schätzen. Andererseits leide ich häufig unter Panikattacken. Joselin Linder. Foto: Aaron Fanin | HarperCollins Als ich das Buch gelesen habe, bin ich immer wieder darauf gestoßen, dass dieses Gen nur in deiner Familie auftritt, weswegen ihr auch die Abmachung getroffen habt, dass ihr es nicht an eine sechste Generation weitergeben wollt. Findet ihr die Vorstellung, dass das Gen mit euch aussterben wird, nicht manchmal auch irgendwie komisch? Nein. Es war unglaublich schlimm, meinem Vater beim Sterben zuzusehen. Ich musste immer wieder darüber nachdenken, was das Gen vielleicht noch macht und ob es vielleicht auch einen Teil dazu beiträgt, dass ich ich bin. Trotzdem will ich es nicht weitergeben. Ich bin froh, dass wir die Chance haben, es auszumerzen. Ich würde alles tun, was nötig ist, um das Gen auszumerzen. Auch wenn das heißt, dass ich keine Kinder bekommen kann. Wenn du unter Mukoviszidose leidest, dann bist du einer unter hunderten oder tausenden von Menschen, die diese genetische Variante in sich tragen. Wie will man so viele Menschen davon überzeugen, es nicht weiterzugeben? Wenn du erfahren würdest, dass du Mukoviszidose hast, würdest du dann ein Kind bekommen wollen? Ich bin sicher, dass niemand das Risiko auf sich nehmen würde. Dass wir die Gelegenheit haben, unser Gen komplett auszulöschen, ist etwas sehr Positives. Hast du manchmal ethische Bedenken, was das Ausmerzen von Genen durch künstliche Befruchtung und Pränatalscreening angeht?Ich persönlich nicht, aber ich höre oft Sachen wie: “Was wäre, wenn dein Vater nie geboren worden wäre?” Der Mensch gehört zwar nicht zu den moralischsten Wesen auf dieser Welt, aber trotzdem wollen wir nicht, dass es unsere Kinder schlechter haben oder dass sie kränker sind als wir. Wenn wir es verhindern können, dann verhindern wir es. In meinem Buch spreche ich auch über Weit vom Stamm. Andrew Solomon spricht darin über die Beendigung von Gehörlosigkeit. Der Unterschied zu unserem Gen ist, dass nicht jeder Gehörlose das Gefühl hat, eingeschränkt zu sein. Wenn ich schwanger werden und erst davon erfahren würde, wenn ein Schwangerschaftsabbruch nicht mehr möglich wäre, dann würde ich das Kind natürlich bekommen – auch wenn ich wüsste, dass es das Gen in sich trägt. Ich würde mir deswegen keine allzu großen Vorwürfe machen. Natürlich könnten wir mit unserem Vorhaben scheitern, aber ich glaube, dass wir die Chance nutzen sollten [um das Gen auszumerzen] und ich bin deswegen sehr stolz auf uns. [Das Gen ist] allerdings ganz sicher nicht mit Gehörlosigkeit oder dem Down-Syndrom zu vergleichen. Das ist etwas ganz anderes. Mehr lesen: Die bipolare Störung meiner Mutter – in Bildern Wie stehst du zu deinem Buch, jetzt, wo es fertig ist?Ich bin sehr zuversichtlich. Wenn man unter einer seltenen Krankheit leidet, ist es immer schwer, die entsprechenden Mittel und die notwendige Aufmerksamkeit zu generieren. Doch nachdem wir mittlerweile wissen, dass das Gen die Leberpfortvene beeinträchtigt, ist es zu einem unheimlich beliebten Forschungsthema geworden. Es gibt sogar eine Folge bei Grey’s Anatomy, wo sie versuchen, einen Abdruck von der Ader zu machen. Außerdem wird den Menschen immer bewusster, dass meine Familie eigentlich vollkommen gesund ist – bis auf dieses eine kleine Gen eben. Zuvor wusste niemand, warum die Leber versagt. Heute wissen wir, dass es mit dem Druck in der Pfortvene zusammenhängt. Zudem wusste man bisher nicht, dass die Leber in einem ähnlichen Rhythmus wie dem Herzschlag pumpt. Durch uns – diese 14 Menschen – haben wir nun den Beweis, dass die Leber pumpt! Das Wissen, das wir daraus ziehen können, dass wir unsere Gene lesen können, besitzt das Potenzial, alles zu verändern. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir uns an der Schwelle zu etwas Großem befinden.
[ "Broadly Culture", "Broadly Health", "Erbkrankheit", "familie", "Forschung", "Gene", "genetik", "Gesundheit", "Interview", "Kultur", "literatur" ]
2017-03-21T10:55:00+00:00
2024-08-12T09:44:19+00:00
https://www.vice.com/de/article/die-seltene-genetische-krankheit-die-nur-in-einer-familie-auftritt/
Wir haben mit Callejon die albernsten Death- und Metalcore-Videos geguckt
Foto: Screenshot von YouTube aus dem Video “Design the Skyline – Surrounded By Silence” von Victory Records Callejon haben einen verdammt langen Weg hinter sich. Die Düsseldorfer, die damals nicht auf, sondern vor der Bühne in ostdeutschen Käffern der Klasse Forst (Lausitz) mit ranzigem Screamo-Core auftraten, stiegen mit den letzten drei Alben in die Top 10 ein. Mittlerweile spielen sie ihren poppigen Metalcore auf den großen Festival-Bühnen. Am 28. Juli erscheint dann ihr neues Album Fandigo. Da sich Callejon also seit 15 Jahren fleißig in den Metal-Szenen rumgetrieben und etabliert haben, gab es keine bessere Experten, um sich mal die haarsträubendsten Death- und Metalcore-Videos der letzten Jahre anzuschauen. Also haben wir uns mit Sänger Basti und Gitarrist Bernhard auf einer Berliner Dachterrasse getroffen, YouTube angeworfen, tief in den Abgrund geschaut und uns erklären lassen, was wirklich gute Metal-Videos sind. Noisey: Das erste Highlight: Attack, Attack!Bernhard: Attack Attack! … Sagt mir noch MySpace-mäßig was … Video läuft. Basti: So sehen wir heute noch aus, haha.Bernhard: Schon mal geil ist: Es ist jedes Mal derselbe Typ. Einfach reingeshoppt. Das Video war auch der Startschuss für die Crabcore-Pose.Basti: Wollte gerade sagen: Krabbenbein. Bernhard: Das ist ein Move, den ich nie so ganz gerafft habe. Wenn das alle parallel machen, sieht das aus wie ein Aerobik-Kurs. Basti: Wart mal … [ dreht beim ersten Clean-Gesang lauter] Das ist ja schon der Cher-Effekt. Aber volle Möhre. Lautes Gelächter bei dem übertriebenem Crabcore-Move bei 1:17. Basti: Ey, das hat der von Immortal geklaut.Bernhard: Nach ein paar solchen Videos hat man richtig geile Oberschenkelmuskulatur.Basti: Das gute alte Rezept: Frauen und kaputte Häuser. NOISEY-Video: “Guitar Moves mit Motörheads Lemmy Kilmister” Erinnert auch ein bisschen an From First To Lasts “Ride The Wings Of Pestilence”, falls ihr das im Kopf habt? Basti: Nein, aber From First To Last waren immer ein bisschen teurer. Das Krasse ist, dass ich Attack Attack! nie auf dem Schirm hatte. Ehrlich gesagt, ist das Video ultra langweilig, der (lacht) Crabcore-Kaka-Onkel, der da sitzt, ist auf jeden Fall … Der Trancecore-Part setzt ein. Basti: Eskimo Callboy. Bernhard: Da haben die alles geklaut … OK.Basti: Ja, wahrscheinlich sogar, oder?Bernhard: Boah krass, wann kam das raus? 2009. Bernhard: Waren da Butter [Anm.: Die deutsche Band We Butter The Bread With Butter] schon am Start? Die gabs 2008 sogar schon.Basti: Die hatten wir doch schon mit auf Tour genommen, als die noch zu zweit waren. Song ist vorbei. Basti: Also da muss ich sagen: Da habe ich schon Schrecklicheres gesehen. So war die Zeit halt damals. Eben das Ende der MySpace-Zeit.Basti: Voll! Und das Krasse ist: Keiner hatte Tattoos.Bernhard: Schon ein bisschen.Basti: Ich weiß noch, als Torsten als erster von uns so den ganzen Arm voll hatte, dass das etwas Krasses war. Mittlerweile bist du schon mit 20 volltätowiert. Basti: Mittlerweile bist du als Band ohne Tattoos schon wieder krass drauf. Dann werden wir jetzt noch ein bisschen sceniger: Design The Skyline. Die Band war damals bei Victory Records gesignt. Das war für die Fans des ehemals angesehenen Hardcore-Labels … schwierig. Video läuft. Bernhard: Wald haben wir schon mal, es muss immer auch ein Bandvideo mit Wald geben. Basti: Immerhin hatten die schon eine Spiegelreflexkamera … Das sieht ein bisschen wie bei unserem “Sommer, Liebe, Kokain” aus. Bernhard: Getaptes Mikro … Hat der wirklich neongrüne Gitarrensaiten? Harter Hund, haha. Das hat auf jeden Fall bis jetzt mehr Unterhaltungswert als das Video davor.Basti: Solche Mucke habe ich … Also das ist ja echt blanker Horror-Porno … Guck mal hier, das ist doch jetzt immer in den ganzen HipHop-Videos drin: Splitscreen und Hochformat. Trendsetter quasi. Wieder mal setzt ein Breakdown ein. Bernhard: Ultra anstrengend.Basti: Jeder, der mir sagt: “Boah, das ist mega geil, weil … ” – dann will ich mir das “weil” auch wirklich mal anhören. Ich würde nämlich behaupten, der lügt. Man könnte jetzt ja auch was über die Frisuren und so sagen, aber och, das ist OK, haha. Glaubt ihr, das ist bewusst komplett over-the-top?Bernhard: Das ist schon ein bisschen ironisch gemeint, oder? Es ist so viel von allem: viele Leute, viele Farben.Basti: Sorry, ich muss nochmal hierhin machen [skippt zu 3:33, wo ein langer Stakkato-Scream ertönt], weil ich mir nicht sicher bin, ob das wirklich ironisch gemeint ist. Wo ist der Gag? Du meinst, es gibt keinen Bruch? Basti: Das wird bis zum Ende zu krass durchgezogen. Es sieht ultra komisch aus und dann noch diese Zahnarzt-Praxis-Geräusche … Wie nennt man das? Gutturaler Gesang, hahaha … Pig Squeals, genau! War mal ein großer Trend, gibt es auch gar nicht mehr.Basti: Ich habe das auch nie gerafft. Um Lyrics vorzutragen, muss man ja Wörter sprechen. Anfangs hab ich mich gefragt, was denn da gesagt wird. Bis mir einer mal erklärte, dass man eigentlich nichts sagt. Das ist so ähnlich, als wenn ich die ganze Zeit nur “Aaaaahaaaaaaaha” machen würde. Attila – die kennt ihr bestimmt oder?Basti: Der macht doch in dem neuen Video von Eskimo Callboy mit und ich wusste nicht, wer das war. “Feat. Fronzi” – und ich dachte erst, das wäre einer von der Currywurst-Bude. Video läuft, Bernhard unterdrückt schon nach wenigen Sekunden einen Lacher. Bernhard: Auf jeden Fall schon mal viel lyrischer Tiefgang.Basti: Das ist ironisch angelegt, aber man checkt, dass sie das, wenn es denn wirklich so wäre, ganz schön geil fänden. Die Idee dahinter war, glaube ich schon, mal einen auf Rap-Crew zu machen. Aber sie genießen es ein bisschen zu sehr. Basti: (Lacht laut, als das Gesäß einer tanzenden Frau von unten gefilmt wird) Das war aber auch nicht so der geilste Shot. (spult nochmal zurück)Bernhard: Proktologe meinst du? Basti: Hahaha, “Jetzt bitte mal husten!”Bernhard: Das ist Musik, zu der ich gar keinen Zugang habe … OK, es geht anscheinend um Frauen und Geld. Basti: “She fucks me all night.” Sie stehen auch voll dazu, stumpf zu sein. Totale Bullshit-Mucke. Basti: Total. Das Grundkonzept, harte Schrei-Musik zu machen, um sowas zu sagen … Was bedeutet das letztendlich für Musik? Wofür wird das benutzt? Das ist so ähnlich, als würde ich sagen: “Ich fahr heute mit dem Tretboot in die Innenstadt von Berlin.” Um ehrlich zu sein: Ich finde alles daran komplett scheiße. Das ist ja nicht witzig. Das möchte wirklich cool sein. Dafür sieht der zu hübsch aus. Nicht, weil er wirklich hübsch ist, sondern weil alles so zurechtgemacht ist. Bisher ist das also euer least Favorite. Basti: Auf jeden Fall, das ist das bescheuertste Video von den bisher geschauten. Die anderen können nichts dafür. Die sind eben so krude und wollen nichts Spezielles. Vor allem das zweite, was ich noch am besten finde, weil es so spielerisch mit den Dingen umgeht … Boah, das ist jetzt hoch gegriffen, das ist natürlich trotzdem ein scheiß Video, aber das ist wie ein Jugendlicher, der noch nicht weiß, was er möchte. Dann kommt jetzt Falling In Reverse. Ein bisschen wie Attila, nur rockiger. 20 Millionen Clicks und auf Epitaph gesignt. Das Label, das für Punkrock stand, hat sich wirklich in eine andere Richtung entwickelt. Das Video läuft. Basti: Das ist doch der Typ von dieser anderen Band, der hat doch jemanden umgebracht? Er selbst nicht, aber er war dabei. [Anm.: 2006 wurde in Las Vegas ein 18-Jähriger von einem Bekannten des Falling In Reverse-Sängers Ronnie Radke erschossen. Zuvor hatten sich das Todesopfer und Radke gestritten.] Basti: Boah, ich würde jetzt wirklich gerne wissen, was da alles genau gesagt wird … Escape the Fate, so hieß die Band, die mit “Situations”, ganz sicher. Stimmt, dieses Video, wo sie in der Schule rumrennen.Basti: Genau. Der Song war ganz cool. Das hier ist natürlich nicht so geil. Bernhard: Der steht mit einem Ferrari auf einem Rollfeld und meint es anscheinend ernst. Die Frage ist, als was du ein Musikvideo sehen willst. Ist das Kunst oder ist das ein Werbeclip? Als Clip funktioniert das irgendwie, aber ich finde nichts daran interessant. Ein Breakdown ertönt. Basti: Das soll krass sein, aber du siehst nichts Krasses. Es ist langweilig. Das ist eigentlich das Allerschlimmste, es ist vollkommen egal. Und sieht trotzdem nicht so fett aus, wie die Videos, die sie nachmachen. Auf dem Kinderkanal gibt es eine Sendung “Imitier deinen Star” oder so. Die machen das dann auch gut, aber das ist halt eine Kindersendung. Ja, das hier ist voll RTL II, voll Berlin – Tag und Nacht-mäßig. Letztes Video von einer jungen Band, die nicht ganz so viel Geld für ihr Video hatte. Video läuft. Basti: Sieht aus wie das erste Money Boy-Video, haha.Bernhard: Ich finde schon mal gut, dass er sich nicht zu fein dafür ist, einfach eine Adidas-Hose im Video zu tragen. Der Sänger rappt in die Kamera. Basti: Hier, das ist doch voll Money Boy! (singt) “Steige aus dem Bett” … Die sind alle sehr gut gekleidet, aber sehr, sehr wütend. Als der Clean-Sänger plötzlich schreit, ertönt großes Gelächter. Basti: Damit habe ich nicht gerechnet! Nickelback und Brüllboys. Bernhard: So sehen Videos halt aus, wenn du die selber machst.Basti: Ich bin froh, dass in unserer kompletten Anfangszeit YouTube nicht so das Thema war.Bernhard: Wir hätten wahrscheinlich ziemlich schlimme Videos gemacht. Basti: Auch, dass es den ganzen Instagram- und Facebook-Shit nicht gab. Wir wären doch genau solche Idioten gewesen. Der Sänger schreit in Double-Time-Rap. Bernhard: Jetzt ist er aber schnell unterwegs. Ich weiß nicht, ob Money Boy so schnell rappen kann.Basti: Das ist der Hammer, so skurril. Er [der Clean-Sänger] sieht auch aus … Ein geiler Typ. Als hätte er eigentlich noch ein Singer-Songwriter-Soloprojekt.Basti: Der glaubt am allermeisten daran, der bucht auch die Konzerte, kümmert sich um den Papierkram und schmeißt auch jemanden raus, wenn er nicht spurt. Der hat nämlich noch einen Kumpel, der viel besser zocken kann, haha. Bernhard: Wenn du heute eine Band startest und diese Zeit ohne Social Media gar nicht kennst, bist du ja fast gezwungen, ständig Content zu generieren, immer was noch Krasseres zu machen. Kein Wunder, dass die Videos dann so aussehen. Aber da steckt ein bisschen Liebe drin und gefällt mir besser als die Ferrari-Scheiße.Basti: Um es mal abschließend zu sagen: Attack, Attack! ist ein Stück Zeitgeschichte, absolut MySpace … Vor allem Rise Records ist doch DAS Label für MySpace-Bands gewesen. Waren da nicht auch underØATH? Die fand ich extrem cool und viele Bands wollten was Ähnliches machen. Dann kam der Trance-Part dazu. Habt ihr ein Video, was euch im Nachhinein unangenehm ist? Basti: Unangenehm? Tatsächlich gar nicht. Bernhard: Du siehst natürlich eine Entwicklung. Das erste Video war “Phantomschmerz” … Basti: Da ist uns eher der Song ein bisschen unangenehm, aber nicht das Video. Da haben wir immer drauf geachtet, dass das nicht scheiße wird. Auch mit wenig Budget. Wir hatten ja auch nicht mehr als die letzte Band – beziehungsweise gar nichts, wir haben es halt selber gemacht. Was in diese Zeit hier voll reinpasst, ist “Sommer, Liebe, Kokain”, da habe ich so Handschuhe an und ein lila Holzfällerhemd. Natürlich total Gesichtselfmeter-mäßig gewesen, aber das Video war nicht scheiße. Gibt es denn für euch DAS Metal-, Deathcore-Video, was richtig geil ist?Bernhard: Im Metal-Bereich habe ich nie so richtig auf Videos geachtet. Da war eigentlich mehr die Musik das Ding, weil das ganze Metal-Ding ja immer noch den Pop-Standards in Sachen Budget und Aufwand hinterherhinkt. Basti: Metalcore war inhaltlich per se kein tolles Thema. Wirklich innovative Ideen gab es nicht.Bernhard: Was ich damals relativ erfrischend fand, war von The Black Dahlia Murder das Video in Las Vegas: “Miasma”. Das ist eben auch ein bisschen witzig.Bernhard: Das finde ich gerade für eine Deathmetal-Band ganz erfrischend. Wir nehmen uns als Band ja sehr ernst, aber wenn du alles absolut setzt und nie mal eine ironische Brechung reinbringst, kannst du schnell zu einer Parodie von dir selbst werden. Das haben wir ja vorhin teilweise bei Videos gesehen, wo man sich fragt: Ist das ernst gemeint oder mit einem Augenzwinkern? Basti: Es gibt aber ein neueres Metalvideo, was wirklich großartig ist. Bernhard: Ich weiß, was jetzt kommt.Basti: Wie heißt die scheiß Band nochmal? Nekrogoblikon mit “No One Survives”! Fettes. Video. Es ist witzig, hat eine gute Story, ist gut gedreht. Basti: Grundsätzlich: Musikvideos im Metal sind nicht mehr so gefragt. Die letzten, die wirklich abgeliefert haben, waren Rammstein. Da war das auch ein Novum, egal wie groß man ist, mal ein abgefahrenes Video zu bringen. Fandigo erscheint am 28. Juli bei People Like You Records / Century Media Records. Julius ist auch auf Twitter: @backtoschoolius Folge Noisey auf Facebook, Instagram und Snapchat.
Julius Wußmann
[ "attack attack", "attila", "Callejon", "deathcore", "Düsseldorf", "emo", "falling in reverse", "Interviews", "metalcore", "Music", "myspace", "Noisey", "Szene" ]
2017-06-22T10:18:23+00:00
2024-07-30T20:16:27+00:00
https://www.vice.com/de/article/wir-haben-mit-callejon-die-albernsten-death-und-metalcore-videos-geguckt/
Wie eine Ratte in New York
Sean Vegezzi ist ein talentierter junger Mann, der seine Zeit damit verbringt, in verschiedene unzugängliche Teile von New York City einzudringen, über den Dächern und im Untergrund.Er hat ein Foto von seinem Kumpel gemacht, der am Rand eines Daches entlang läuft, das wir so sehr mochten, dass wir es zum Cover der Teetering on the Brink Issue gemacht haben und wir sind nicht seine einzigen Fans. Kürzlich hat ihn eine Produktionsfirma kontaktiert, die drei Kurzfilme als Teil einer Serie namens New York City Vignettes machen will. Sean hat uns erzählt, dass sich das Projekt für ihn anfangs „ein wenig zu abgedroschen” angehört hat (wie oft kannst du dir anhören, was für eine tolle Stadt New York ist, bevor dir Galle in der Kehle hochsteigt?), aber als er rausgefunden hat, dass sie ihm freie Hand geben, hat er ihr Angebot angenommen und den ersten Film mit dem Titel It’s Nice to be Important, but It’s more Important to be Nice gerade fertig gestellt. Der Film ist aus der Sicht einer Ratte gedreht und zeigt U-Bahn-Stationen und die Leute dort, unter anderem einen Typen, der etwas, das wie Rasierschaum aussieht, auf seinen Kopf verschmiert. Es ist ein Stück Voyeurismus ohne Handlung, aber die aneinander gereihten Bilder sind alle sehr gut komponiert, was nicht überraschend ist, wenn man Seans fotografisches Auge bedenkt. „Ich habe weder meine Kamera vorher auf jemanden gerichtet, der kein Freund von mir ist, noch habe ich je einen Film gedreht, also war das alles eine sehr neue und spannende Sache”, hat uns Sean in einer Email geschrieben. „Ich hoffe, es stinkt nicht zu sehr nach Dilettantismus! Macht ihn ruhig vollkommen runter oder sagt ein paar nette Sachen drüber!” It’s Nice To Be Important, But It’s More Important To Be Nice from Manifesto NYC on Vimeo.
VICE Staff
[ "Ratten", "Reisen", "Ubahn", "underground", "Vice Blog" ]
2011-08-24T17:24:00+00:00
2024-07-31T07:28:12+00:00
https://www.vice.com/de/article/wie-eine-ratte-in-new-york/
Menschen erzählen ihre schlimmsten Haustier-Geschichten – in sechs Wörtern
Haustierfreunde tun gern so, als bestünde das Leben mit ihren Tieren nur aus kuscheln, kuscheln und noch mehr kuscheln. Aber wir wissen es besser. Egal ob knurrende Hunde und fauchende Katzen, oder diabolische Hamster und eifersüchtige Hähne: Wir haben schon alles erlebt. Manche Haustiere verlangen mit ihren Krallen oder Schnäbeln nach Menschenblut. Andere zerstören Gegenstände, verpesten die Luft mit Gestank oder bellen uns das Trommelfell kaputt. Wir haben Freunde und Freundinnen sowie Menschen aus dem Hause VICE gebeten, das schlimmste Haustier, das ihnen je in die Quere gekommen ist, für uns zu beschreiben. In sechs Wörtern, natürlich. Auch bei VICE: Die großen Katzen des Persischen Golfs “Opas Hirtenhund führte Schafe ins Meer.” – Kenny, 33 “Arschlochkaninchen biss immer alle Kabel durch.” – Eric, 35 “Jeder einzelne gottverdammte Chihuahua dieser Welt.” – Beckett, 25 “Hütete großen Vogel, der alles vollschiss.” – Peter, 23 “Frettchen meines Mitbewohners leckte meine Füße.” – Jessica, 41 “Fettleibige, dreibeinige Katze biss meinen Dad.” – Kara, 28 “Sittich des Kollegen fraß meine Spaghetti.” – Sara, 39 “Goldfisch sprang aus der Schüssel, starb.” – Shari, 46 “Hund biss Freundin in den Schritt.” – Aimee, 30 “Habe Hund gesittet, der BHs fraß.” – Tina, 37 “Dackel Bruce fraß zur Not Windeln.” – Jen, 35 “Stinkendes Frettchen klaute liebend gern Tampons.” – Kirche, 55 “Katze weigerte sich, Katzenklo zu benutzen.” – Jessica, 26 “Zugelaufenes Kätzchen schiss Würmer und verschwand.” – Katherine, 34 “Meine Katze hat total ekligen Durchfall.” – Joey, 31 “Kannibalische Wüstenrennmaus fraß ihren toten Bruder.” – Olivia, 27 “Hamster biss einen bei jeder Berührung.” – Paul, 23 “Hund pisste liebend gern auf Kissen.” – Willow, 23 “Mitbewohner hatte Schlangen. Ich hasse Schlangen!” – Ty, 25 “Launischer, ver­hal­tens­auf­fäl­liger Leguan schiss überall hin.” – Katie, 25 “Hund biss mich an meinem Geburtstag.” – Sarra, 25 “Bulldogge verschlang Schokokuchen. Ihm geht’s gut.” – Kate, 27 “Hatte als Student stinkendes, anspruchsvolles Frettchen.” – Julius, 33 “Omas Hahn terrorisierte uns Kinder damals.” – Billy, 34 “Der winzige Schnauzer attackierte mein Gesicht.” – Darcy, 33 “Gewalttätiger Cockerspaniel tötete immer wieder Haustiervögel.” – Kim, 32 “Katze benutzte mein Gesicht als Sprungbrett.” – Adam, 30 “Hund meiner Freundin furzte unfassbar krass.” – Tara, 32 “Wachte auf, Katze biss meinen Bauchnabel.” – Brittany, 27 “Musste der Katze regelmäßig Einläufe machen.” – Jennifer, 43 “Siamkatze war in früherem Leben Serienmörder.” – Beth, 36 “Nachbarshund schiss mir auf die Füße.” – Vartika, 25 “Alle Katzen. Scheiß auf die Deppen.” – Genevieve, 24 Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.
Anna Goldfarb
[ "Frettchen", "hahn", "Haustiere", "hunde", "Kaninchen", "Katzen", "Leguan", "Scheiße", "Schlange", "Sechs Wörter", "Tiere" ]
2017-12-19T13:25:31+00:00
2024-07-30T21:09:30+00:00
https://www.vice.com/de/article/menschen-erzahlen-ihre-schlimmsten-haustier-geschichten-in-sechs-wortern/
Das beste 3&#215;3-Team der Welt kommt aus der serbischen Bronx
Dusan und seine Kumpels aus dem serbischen Novi Sad haben schon so ziemlich alles gewonnen, was man im 3×3-Basketball gewinnen kann, darunter zweimal die Weltmeisterschaft und das von Red Bull organisierte Turnier „King of the Rock”. Die meisten von ihnen kommen aus armen Verhältnissen und sind in Liman—der Bronx von Novi Sad—großgeworden. Doch anstatt in Kriminalität und Drogensucht abzurutschen, haben sie von klein auf am liebsten auf dem Basketballplatz gestanden. Wer jetzt denkt, die Jungs seien in ihrer Heimat so etwas wie kleine Volkshelden, irrt gewaltig. Trotz ihres immensen Erfolgs nimmt fast keiner Notiz von ihnen. Nicht aber unsere Kollegen von VICE Serbia, die mit den Jungs ein spannendes Interview geführt haben.
[ "Basketball", "fans", "FIBA", "novi sad", "red bull king of the rock", "Serbien", "Sports", "VICE Sports", "videos", "weltmeisterschaft" ]
2015-10-09T11:50:00+00:00
2024-08-12T05:55:02+00:00
https://www.vice.com/de/article/das-beste-3x3-team-der-welt-kommt-aus-serbien-271/
Dein Hund ist voller dreckiger Krankheiten
Illustrationen von Mimi Leung Jüngste Untersuchungen haben ergeben, dass es nicht nur unhygienisch ist, sein Eishörnchen mit dem Hund zu teilen oder die Katze auf seinem Gesicht schlafen zu lassen, sondern dass es einen umbringen kann, du Blödhirn, also hör auf damit! Eine Studie, die im November in der Zeitschrift Emerging Infectious Diseases veröffentlicht wurde, besagt, dass zoonotische Infektionen—Krankheiten, die von Tieren auf Menschen übertragen werden—auf dem Vormarsch sind, und einige von ihnen können einen so krank machen, dass der tödliche Ausgang fast vorprogrammiert ist. Laut Michael Day, dem Hauptautor des Berichts und Professor für Tiermedizin an der University of Bristol könnte die nächste globale Krankheitsbedrohung durchaus ein von Haustieren übertragener zoonotischer Superbazillus sein. „Gegen Antibiotika resistente Bakterienstämme wie der Staphylococcus aureus (MRSA) tauchen immer häufiger in Krankenhäusern auf und bereiten große Probleme“, sagte Michael. Der MRSA, der sowohl in Menschen als auch in Tieren leben kann, wird durch Hautkontakt übertragen. Symptome sind nässende Pusteln und Furunkel in der Achselhöhle oder in der Gesäßspalte und er kann zu lebensbedrohlichen Blutinfektionen und Lungenentzündung führen. Eine andere unschöne Sache, die euch euer Haustier verpassen kann, ist viszerale Leishmaniose; sie kann von Hunden übertragen werden und befällt jedes Jahr weltweit 500.000 Menschen. In einem Artikel in der Zeitschrift Eurosurveillance aus dem Jahr 2010 ist zu lesen, dass die Bedeutung der Krankheit „stark unterschätzt“ wird und dass sie als eine der größten latenten Gesundheitsbedrohungen in Europa angesehen werden muss, wobei die Verbreitung vor allem durch verzärtelte Menschen vorangetrieben wird, die ihre Hunde auf jede Reise mitnehmen, wo diese im Dreck wühlen und Scheiße fressen. Und wie könnten wir die Toxoplasmose vergessen? Normalerweise bekommt man Toxoplasmose, wenn man zu viel Katzenkot schnüffelt, und laut der Seuchenschutzbehörde gibt es in den USA 60 Millionen Überträger. Auch unsere alte Freundin Tollwut ist auf dem Vormarsch. Sie wird hauptsächlich durch Hundebisse übertragen und ist für 55.000 Todesfälle pro Jahr verantwortlich, meist in Asien und Afrika. Neben dem allgemein bekannten Schaum vor dem Mund kann Tollwut auch zu Lähmungserscheinungen, Angst- und Panikzuständen, Halluzinationen und Delirium führen. 99 Prozent der Betroffenen, die nicht behandelt werden, sterben daran. Und deshalb fordern wir euch im Namen der Menschheit und ihres Wohlbefindens auf: Hört endlich auf, euren Hunden Zungenküsse zu geben, ihr Idioten!  
Wendy Syfret
[ "DIE HEIMAT BIST DU GROSSER TÖCHTER SÖHNE ISSUE", "Haustiere", "hunde", "Hygiene", "Jahrgang 7 Ausgabe 2", "Jahrgang 9 Ausgabe 1", "Katzen", "News", "Stall 6", "Vice Blog", "VICE Magazine" ]
2013-02-13T08:15:00+00:00
2024-07-31T05:10:13+00:00
https://www.vice.com/de/article/dein-hund-ist-voller-dreckiger-krankheiten-0000393-v9n1/
Die schlimmsten Musik-Storys bei Mitfahrgelegenheiten
Es gibt gute Gründe, zu einer völlig fremden Person ins Auto zu steigen, damit sie euch von A nach B fährt. Mitfahrgelegenheiten sind recht günstig, bringen euch meist schneller als Bus oder Bahn ans Ziel und sind häufig auch noch komfortabler. Allerdings solltet ihr euch jedes Mal mental darauf einstellen, welch quälende Stunden euch erwarten könnten. Stunden, in denen euch die Fahrer zum persönlichen Schwamm ihrer Alltagswehwehchen aka Lebensgeschichte auserwählen, die ihr dann stillschweigend aufsaugen müsst. Oder sie rasen so zornig, dass sich eure Fingernägel schmerzhaft ins Sitzpolster krallen. Oder aber – und dann heißt es wirklich “Willkommen in der Vierräder-Hölle” – sie quälen euch mit ihrer Musik. So laut, dass selbst hastig reingedrückte Kopfhörer nicht dagegen ankommen. Wir haben mal bei uns in der Redaktion rumgefragt und die ätzendsten und traumatischsten Musikerlebnisse bei Mitfahrgelegenheitsfahrten gesammelt. Bitteschön: Es war auf einer Fahrt von Leipzig nach Bielefeld. Ich war der einzige Mitfahrer in so einer kleinen Karre (Golf? Polo? Ich glaube, ein 3-Türer) mit Dynamo Dresden-Heckscheibenaufkleber. Vorne saßen zwei Mädels mit angegilbt-blondierter Dauerwelle und Asi-Palme. Die haben ungefähr eine Stunde Matthias Reim gehört und dazu mitgesungen. Ich habe versucht, so wenig wie möglich zu interagieren (Sie: „Stört dich die Musik?” Ich: „Ist schon OK”) und mich für den Rest der Fahrt in meinen mentalen Safespace ausgeklinkt. Ich traf meine Mitfahrgelegenheit von Regensburg nach Berlin auf einem Supermarkt-Parkplatz: ein Herr um die 50. Die beiden weiteren Mitfahrerinnen und ich verstauten unsere Sachen im Kofferraum des betagten Mercedes’, dann wollte – nennen wir ihn Herr B. – wissen, wer von uns einen Führerschein habe. Er hätte sich den Fuß verknackst und könne nicht selbst fahren. Also landete ich, damals 21 Jahre alt, hinterm Steuer. Herr B. schien sich mit endlosem Gelaber revanchieren zu wollen: „Wissen Sie, was ein Brunch ist? Das ist die Kombination von Breakfast und Lunch.” Außerdem froren regelmäßig die Ausgänge für die Scheibenwischerflüssigkeit zu, sodass ich immer wieder nichts sehen konnte. Da war Herr B. zumindest so gnädig, auszusteigen und sich darum zu kümmern. Munchies-Video: “Auf ein Bier mit Schwester Doris” Während er draußen zugange war, ereiferte sich die ältere Dame auf dem Rücksitz darüber, dass in Hamburg ja nur Zuhälter einen solchen Wagen fahren würden. Das Auto, in dem wir saßen, hatte auf jeden Fall auch eine kaputte Dichtung am Fahrerfenster, was irgendwann zu einem lauten Pfeifton führte. Also bekam die junge Frau hinter mir ein Klebeband von Herrn B. ausgehändigt und sollte damit während der Fahrt mein Fenster abdichten – akrobatische Leistung ihrerseits. Als wäre das alles nicht schon schlimm genug gewesen, nutzte Herr B. irgendwann den günstigen Moment eines Staus, um seine CD-Kiste aus dem Kofferraum zu holen. Ab da sang er lauthals und ungeniert Disco-Hits von Gloria Gaynor oder Diana Ross mit. Zu diesem Zeitpunkt war ich nur leider nicht mehr zu Carpool-Karaoke aufgelegt. Vor fünf oder sechs Jahren bin ich per Mitfahrgelegenheit von Berlin nach Köln gefahren. Im Gegensatz zu normalen Mitfahrgelegenheiten, bei denen irgendjemand einfach sein Privatauto vollmachen will, handelte es sich bei dieser Fahrt um komische Mitfahrgelegenheits-Profis. Die sind den ganzen Tag diese eine Strecke mehr oder weniger hauptberuflich hin und hergefahren. Das Auto war eine Art VW-Bus, der bis unters Dach mit Gepäck und Studenten im ersten und zweiten Semester aufgefüllt wurde. Eigentlich nette Leute, die aber immer nur über Uni und Asta, zu wenig Geld und Zukunft reden wollen. Da war ich ganz froh vorne zu sitzen, um mal eine Pause von all dem Gedröhne zu haben. Großer Fehler. Der Fahrer muss zwischen 30 und 50 gewesen sein, seine fahle Haut und gräulicher 2000-Yard-Blick machten es schwer sein Alter zu schätzen. Es schien nicht viel Schönes in seinem Leben gegeben zu haben. Wie auch, wenn man den ganzen Tag die grausamsten Autobahnstrecken Deutschlands abreißen muss, um nölige Bildungsbürgergören von A nach B zu kutschieren. Es dauerte allerdings nicht lang bis uns allen klar wurde, was diesem traurigen Highway-Cowboy Trost im Trott spendete: die Musik von SCHILLER. Vor dieser Fahrt kannte ich Schiller nur vom Namen her. Nach den nächsten sehr (seeehr) langen Stunden kannte ich das Werk des Christopher von Deylen dafür umso besser. Ab Kilometer eins schien die Zeit stehen zu bleiben, als der Raum in unserem geschundenen Fahrzeug mit Schillers trancig-esoterischen Schwurbelklängen bespielt wurde. Ich weiß nicht mehr, welches Album es war, aber 70 Minuten am Stück gab uns ein Hobby-Gandalf mit getrageneder Sprechstimme Vorlesungen der schlimmsten Kalenderspruch-Sorte. Endloses Geseier über Leben, Loslassen, Lieben, Tanzen, Atmen … Unheilig ist Beethoven dagegen. Es dauerte nicht lange und die Studenten auf den hinteren Plätzen verstummten, um hastig in ihren Taschen nach dem eigenen Mp3-Player zu kramen. Ich hatte nichts dergleichen dabei. Größter Fehler. Dass ich diese Fahrt nicht unbeschadet überstehen würde, wusste ich mit endgültiger Sicherheit, als der kippengelbe Finger unseres Fahrers nach den ersten 70 Minuten mit größter Gelassenheit Richtung “Repeat”-Taste wanderte. NEIN! Bitte nicht noch mal! Es sind noch 10.0000 Kilometer bis Köln! Und vielleicht täusche ich mich, aber bei jedem “Repeat”-Move schien ein kleines, teuflisches Lächeln über die Lippen des Piloten dieser musikalischen Höllenkutsche zu huschen. PS: Bis heute wird mir schlecht, wenn ich Schiller höre. Körperlich. Sorry, Christopher. Ich wollte vor vielen Jahren von Oldenburg aus zu einem Konzert nach Leipzig. Als ich zum MFG-Auto ging, fiel mir der Onkelz-Aufkleber auf der Heckscheibe des alten Opels auf. Vor mir lag eine Fahrt von viereinhalb Stunden und ich selbst trug ein Antifa- oder Audiolith-Shirt, weiß ich nicht mehr genau. Da bin ich dann einfach nicht eingestiegen und habe seitdem nie wieder eine Mitfahrgelegenheit gebucht. 1980 gab es für mich nichts Erstrebenswerteres als Berlin – weil mein Freund dort hingezogen war und ich noch nicht. Weil es dort Konzerte in besetzten Häusern gab und auf der Privatschule, auf der ich war, das Poppertum fröhliche Urstände feierte. Zwischen mir und dem Place To Be lagen 750km. Es gab natürlich kein Internet, aber die Mundpropaganda auf den Dörfern funktionierte noch. Also sagte mir eine Bekannte, dass ein junger Mann am Wochenende mit seinem Auto nach Berlin fährt. Er wolle Benzingeld und Unterhaltung. Wir verabredeten uns an der Autobahntankstelle, da er nicht bereit war, von seiner geplanten Route auch nur einen Meter abzuweichen. Ich solle ja pünktlich sein, sonst würde er ohne mich fahren. Ich war pünktlich. Los ging es allerdings erst nach genauen Instruktionen (Fenster bleiben oben, Füße unten!). Anschnallen, dreimal umblicken, losrollen. Berlin lag vor mir und dieser 20-jährige Schwamm im weißen Hemd saß neben mir. Nach fünf Minuten fiel mir nichts mehr zu reden ein. Ich meinte: “Wie wäre es denn mit etwas Musik?” – „In Ordnung, aber nur meine Kassette und das Gerät bediene ich – sobald der Verkehr ruhiger ist.” Mein Toleranz war am Ende, ich schob das Mixtape einfach rein. Hoppla! Wir schwiegen und Chris de Burg schmachtete vor sich hin. Dann folgten Sarah Brigton, ABBA sowie Sailor und dümpelten alle in einem gekippten Tümpel klebriger Gefühlsoße. Mein Nachbar hatte mir meine Übergriff verziehen und tippelte im Takt mit den Fingern ans Lenkrad. Nach einer Stunde wurde pausiert und die Tupperwarebox ausgepackt, randvoll mit Schnittchen. Ich hatte nichts dabei. Dann Freiübungen am Strassenrand. Anschnallen, dreimal umblicken, langsam losrollen. “Wie wäre es denn mit etwas Radio, wegen Verkehrsfunk und so?” Ich wunderte mich über meine Stimme, die so seltsam gepresst klang. “Geht in Ordnung, aber verstelle Nichts.” Aha, ich hatte das hochtechnische Gerät erobert. Nach fünf Minuten hieß es allerdings: “Mach das weg, das lenkt mich ab.” Also wieder Chris de Burg und seine Kumpanen aus der romantischen Zone. Musik kann dich hassen lassen. Die Brücke vom Ich zum Du wird zur hochgefahrenen Zugbrücke. Irgendwann war ich in Berlin und bin zurückgetrampt. Noch heute wird mir übel, wenn Chris de Burg erklingt. Folge Noisey auf Facebook, Instagram und Snapchat.
Noisey Staff
[ "anekdoten", "böhse onkelz", "Feature", "Geschichten", "Matthias Reim", "Mitfahrgelegenheit", "Music", "Noisey", "Schiller", "Umfrage" ]
2017-08-01T11:37:17+00:00
2024-07-30T20:31:28+00:00
https://www.vice.com/de/article/die-schlimmsten-musik-storys-bei-mitfahrgelegenheiten/
Dönermesser gegen Besenstiel: Die wohl absurdeste Erpressung 2018
Überfälle gehören zu den Dingen, die gleichzeitig aufregend und extrem langweilig sind. Aufregend, weil jemand mit einer Knarre rumfuchtelt und die ganze Situation schwer adrenalingeschwängert ist. Langweilig, weil jeder Überfall ein Klischee ist, dessen Drehbuch wir zur Genüge aus Hunderten schlechten Cop-Filmen kennen. Ein Mann betritt ein Geschäft, zückt eine Pistole, richtet sie auf jemanden und schreit wahlweise “Geld oder Leben!” oder “Das ist ein Überfall!”. In Greifswald haben zwei Männer und eine Frau jetzt etwas mehr Fantasie bewiesen. Bei ihrem Überfall auf einen Dönerimbiss gab es keine Knarre, aber dafür einen Besenstiel. Und “Geld oder Leben” hat auch niemand geschrien. Viel eher hieß es: “Geld her oder zurück zur Ex!” Am Sonntagvormittag betraten die Drei, wohl unbewaffnet und unmaskiert, einen Dönerladen in Greifswald. Das bestätigt die Polizei gegenüber VICE. Sie sollen den 54-jährigen Besitzer aufgefordert haben, ihnen 10.000 Euro zu geben. Darauf hatte der aber anscheinend wenig Lust, oder vielleicht auch einfach kein kleines Vermögen in nicht durchgehend nummerierten Scheinen griffbereit unter dem Dönerspieß versteckt. Also soll er sich gegen die Angreifer gewehrt haben. Die hätten ihn mit einem Besen angegriffen, zwar eine furchteinflößende Waffe, aber nicht genug, um zu verhindern, dass der Mann an sein Dönermesser gelangte. Damit schlug er wohl die Räuber in die Flucht und rief anschließend die Polizei. Alle drei wurden wenig später von Beamten gestellt und festgenommen. Verletzt worden ist bei der Aktion laut Polizei niemand ernsthaft. Das stimmt aber nicht ganz. Es wurden zwar keine Knochen gebrochen, aber dafür wohl ein Herz. Eigentlich ist das alles nämlich die Geschichte einer verschmähten Liebe. Wie sich herausstellte, waren die Drei nicht nur in den Dönerladen gekommen, um Beute zu machen. Sie sollen gekommen sein, um eine Beziehung zu reparieren, auch wenn ihre Methode, nun ja, etwas unorthodox gewesen sein mag. So stand es in einer Polizeimeldung und so berichtet es auch der Nordkurier. Die Frau, die an dem Angriff beteiligt war, soll die Ex-Freundin des Dönerverkäufers gewesen sein. Davon geht die Polizei in Greifswald aus, betont aber, die Vernehmung der Verdächtigen sei noch im Gange. Zusammen mit ihren Brüdern soll die Frau in den Dönerladen gekommen sein, um ihren Ex vor eine simple Wahl zu stellen. Entweder solle der Mann sie zurücknehmen oder eben 10.000 Euro herausrücken. Damit hatten sie aber keinen Erfolg. Angesichts der Ereigniskette Besenstielprügelei-Dönermesserattacke kann man wohl davon ausgehen, dass der Imbissbesitzer wirklich keine Lust mehr auf seine Ex hatte. Die hat, genau wie ihre Brüder, jetzt erst einmal andere Probleme als die Tücken des Single-Daseins. “Räuberische Erpressung”, sagt ein Polizeisprecher zu VICE, “ist wirklich kein Kavaliersdelikt.” Wie genau das Strafmaß aussehen könnte, sollten die Drei verurteilt werden, ist aber noch nicht klar. “Noch sind nicht alle Hintergründe der Tat geklärt”, sagt der Polizeisprecher. Eines dürfte aber schon jetzt als gesichert gelten: Ihre Beziehung wird die Frau aus Greifswald mit dieser Harakiri-Aktion nicht gerettet haben. Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.
VICE Staff
[ "Döner", "familie", "gewalt", "Greifswald", "Kriminalität", "liebeskummer", "Überfall" ]
2018-07-30T11:56:12+00:00
2024-07-30T18:46:23+00:00
https://www.vice.com/de/article/donermesser-gegen-besenstiel-die-wohl-absurdeste-erpressung-2018/
20 Millionen mal Miau: Auf den Spuren des viralen Katzenballetts
Katzenvideos und das Internet sind ein Match made in Heaven. Seit Montag, darin sind sich die Nutzer sozialer Medien einig, feiert dieses göttliche Genre mit einem mittlerweile über 20 Millionen mal geteilten Video endlich wieder ein wohl verdientes Highlight. Weniger einig ist sich die faszinierte Netzgemeinde allerdings darüber, was in aller Welt man da eigentlich gerade guckt. Als Instant-Internetchronisten möchten wir daher ein wenig Licht ins Dunkel bringen und uns dem Phänomen des Katzen-Ausdruckstanzes in Schlaghosen von seiner kulturhistorischen Seite nähern. Im Jahr 1973 performte die spanische Truppe „Ballet Zoom” diesen Katzentanz, welcher, wie alle ihre spektakulären und farbstarken Darbietungen, von dem rumänischen Filmemacher Valerio Lazarov auf Zelluloid gebannt wurde. Seine Vision war eine Gruppe, die nicht nur tanzen und singen konnte, sondern auch einen eigenen Charakter hatte. Ein Ballett, bei dem die einzelnen Individuen nicht in der bunten Masse aus Beinen, Händen und Federschweifen verschwinden, sondern deren Mitglieder eigene Persönlichkeiten darstellen, erinnert sich der Autor eines spanischen Blogs in einer Hommage an Ballet Zoom. Der Name war inspiriert von den Kamerabewegungen Lazarovs, der in seinen Aufzeichnungen ausgiebig auf den gepflegten namensgebenden Zoom setzte—dieses Stilmittel verwendete er so begeistert, dass sich manche Zuschauer des Senders Television Espanyol beschwerten, vom Genuss der Sendung seekrank zu werden. Wie die virale Rezeption mit über 20 Millionen Views des rätselhaften Wunderwerks in den sozialen Netzwerken zeigt, kommt eine originelle Tanzarbeit mit solider Kameraführung und einem Inhalt mit Grüßen aus Absurdistan schließlich nie aus der Mode: Bereits im Gründungsjahr von „Ballet Zoom” 1973 drehte Lazarov die ersten bunten Videos zu Auftritten der Tänzer in der spanischen Fernsehsendung „Telemusical Live”, in denen sich die schillernde Psychedelik der 70er in ihrer vollen Blüte zeigt. Später wurde Ballet Zoom als regelmäßige Showeinlage für die spanische Samstagabend-Sendung „Señoras y Señores” gebucht, in der ebenfalls zahlreiche Videos aufgezeichnet wurden, von denen es einige wunderbare Exemplare bei Youtube zu bestaunen gibt. Im wöchentlichen Wechsel mit dem Regisseur José María Quero und dessen minimalistisch eleganten Umsetzung einer Mainstream-Fernsehsendung brachte der Avantgarde-Filmemacher Lazarov dem geneigten Publikum eine quietschbunte, LSD-inspirierte und experimentelle Version einer musikalischen Show nahe, in der auch Stars wie Tom Jones und ABBA auftraten. Bis dato waren Tanzeinlagen, wie auch die Auftritte des in Deutschland beliebten Fernsehballetts, lediglich als Auflockerungen des Programms gedacht. Kleine Showeinlagen als Verzierung ohne eigene Persönlichkeit. Ballet Zoom war anders. Das gute Dutzend Mitglieder verschiedener Ethnien und auch ihr Choreograf Don Lurio waren eigene Berühmtheiten, wie Musiker oder Popstars gaben sie Interviews und in Magazinen wurde über sie berichtet. Später schafften es die Tänzer von Ballet Zoom, von denen viele verwandt oder verpartnert waren, sogar in Lazarovs Film „La mujer es un buen negocio” ins Kino. Dieser Zombietanz im Bienenoutfit, der wohl eine Art außerirdischen Acid-Trip verkörpern soll, ist ein weiteres Beispiel der kreativen Ader des Ballet Zoom-Teams und spiegelt den Zeitgeist perfekt wieder. Bevor in den 80er Jahren mit MTV oder in Sendungen wie Formel Eins die Hochzeit der professionellen Musikvideos anbrach, gehörten mitgeschnittene Live-Aufnahmen zu den ersten Elementen des Genres. Teilweise wurden jedoch auch bereits separate Videos zum späteren Einspielen gedreht, wie wir sie heute kennen. Allem Anschein nach fallen auch auch einige Werke aus dem Oevre von Ballett Zoom darunter. Hier eine kleine Seilspring-Artistiknummer namens „Comba”. Die Möglichkeiten für eine originelle Tanznummer waren in Zeiten von Ballett Zoom quasi unerschöpflich. Ein Jahr vor der Auflösung von Ballet Zoom veröffentlichte die Truppe im Jahr 1977 noch die Single „Ven A Bailar”. Natürlich gibt es auch ein Video dazu. Die gesamte Geschichte des Ballet Zoom mit zahlreichen Fotos, Tonaufnahmen, Videos und jeglichen Informationen über die Karriere der Tanzgruppe lässt sich besonders schön in diesem Blog nachlesen, welcher auch in seinem visuellen Design den Blick in die Vergangenheit würdigt. Charlie Hussey, einer der Tänzer des legendären Balletts, trainiert heute übrigens die Cheerleader der Basketballmannschaft von Real Madrid und sitzt in der Jury der spanischen Ausgabe von „Let’s Dance”. Preisen wir also das Internet und seine unermüdlichen Uploader in ihrer Funktion als Zeitschreiber der jüngsten Popkultur-Geschichte mit einem dreifach hochgehobenen Kätzchen, auf dass wir derartige Schätze auch in Zukunft heben dürfen.
Christine Kewitz
[ "Ballett", "Cat-Content", "Katzen", "Motherboard", "motherboard show", "Retro", "seventies", "spanien", "Tanz", "Tech", "Tiere", "videos", "YouTube" ]
Tech
2016-09-07T12:41:00+00:00
2024-07-30T22:55:03+00:00
https://www.vice.com/de/article/20-mio-mal-miau-auf-den-spuren-des-viralen-katzenballets/
Das Hate-Magazin lädt in Kreuzberg zum Kongress der Möglichkeiten
Das Berliner Hate-Magazin hat schon viele Ausgaben seines unabhängig veröffentlichten Blattes mit Partys zelebriert und durch diese Einnahmen erst finanziert. Da passt es gut, dass nun auch die finale Ausgabe des liebevoll-unleserlich gestalten Magazins mit einem ausladenden Fest zelebriert wird: Auf einem einwöchigen „Kongress der Möglichkeiten” untersuchen Wissenschaftler, Aktivisten und Künstler Wege für ein neues Einmischen und eine neue Politik im Internet-Zeitalter. Die Magazin-Macher setzen bei Fukuyamas „Ende der Geschichte” an und landen bei Crypto-Partys, Freifunkerei, Prepper-Workshops und Darknet-Führungen. Wer dazu eine theoretische Leitfrage braucht nehme diese: Wenn „jede noch so kleine Utopie, jede noch so partikulare Subkultur von den Marketingmaschinerien einverleibt wurde, […] wie können wir dann noch gestalten? Bild: Die Internetexperten via Hate In Zusammenarbeit mit dem Chaos Computer Club haben die Magazin-Macher ein umfassendes Programm mit Panels, Kunst, Workshops und Theater-Performances auf die Beine gestellt, während Aram Bartholl bereits kurz nach dem Beginn des Kongresses am 30.4.vorsorglich seinen toten USB-Briefkasten Deaddrop samt Anarchist Cookbook in die Wand betoniert hat. Das gesamte Programm des Kongresses, der noch bis zum 10.5. im Kunstraum Kreuzberg Bethanien stattfindet, könnt ihr hier einsehen. Wir freuen uns, mit Motherboard ebenfalls mit einem Panel vertreten zu sein und am 7.5. mit der Anonymous-Expertin Gabriella Coleman über die Ambivalenz von Anon, seine Möglichkeiten, Irrungen und Wirrungen zu diskutieren. Waren Anons eh selten mehr als Trolle mit Sozialromantik, oder könnten die maskierten Hacktivisten noch immer als revolutionäre Macht taugen? Gabriella Coleman ist Professorin an der McGill Universität und Autorin der hervorragenden Anonymous-Anthologie Hacker, Hoaxer Whistleblower, Spy: The Many Face of Anonymous, die nicht nur mit Selbsterfahrungen als Hackerin im Kollektiv sondern auch präzisen Interpretationen zu Anon zwischen Trickster, WikiLeaks-Supporter und angry-white-male-Hackern aufwartet. Für alle, die es nicht nach Berlin schaffen: Am Ende dient all das ohnehin nur als Basis, um die Ergebnisse in der zehnten Ausgabe von Hate, die auf dem Kongress kollektiv produziert wird, zu verarbeiten. Lyotard-Diskurs, Darknet und Bar-Betrieb auf ein und derselben Veranstaltung?—da lassen wir uns jedenfalls nicht zweimal bitten.
Max Hoppenstedt
[ "Anonymous", "CCC", "Chaos Computer Club", "Internet", "Motherboard", "Motherboard Panel", "motherboard show", "panel", "Politik", "postmoderne", "Tech" ]
Tech
2015-05-06T06:00:00+00:00
2024-07-31T01:48:36+00:00
https://www.vice.com/de/article/das-hate-magazin-laedt-in-kreuzberg-zum-kongress-der-moeglichkeiten-10/
Diese Schokolade soll Regelschmerzen lindern
Natürlich lieben Frauen Schokolade, oder? Wenn sie nicht mit ihren Mädels bei ein paar Stückchen Schogetten den neuesten Klatsch und Tratsch austauschen, dann halten sie garantiert einen Becher Ben & Jerry’s im Arm und gucken sich zum 50. Mal Wie ein einziger Tag an oder bekommen bei riesigen herzförmigen Pralinenschachteln große Kulleraugen. Nur wenige Klischees in der Welt des Essens halten sich so hartnäckig wie das von Frauen und ihrer Liebe zu Schokolade—und das nutzt die Werbung seit Jahren aus, obwohl viele Menschen mit zwei X-Chromosomen ein extrem ambivalentes Verhältnis zu Kakaoprodukten haben. Jetzt hat ein Schweizer dieses Stereotyp auf ein neues Level gebracht: Er behauptet, eine Schokolade erfunden zu haben, die Regelschmerzen lindern kann. Ja, genau. Marc Widmer ist ein Patissier und Chocolatier aus Luzern und Leiter einer Schokoladenfirma mit dem Namen „Chocolate with Love” (kein Kommentar). Wie 20 Minuten berichtete, hat Widmer eine Schokolade mit Kräuterzusatz entwickelt, die krampfhafte Menstruationsbeschwerden bekämpfen soll. Getauft hat er seine Kreation „Frauenmond”, die Schokolade enthält 60 Prozent Kakao und 17 Schweizer Bergkräuter. Wenn die Inhaltsstoffe des Kakaos mit den Kräutern interagieren, soll sich die „wohltuende Wirkung” auf den Körper entfalten. Gegenüber 20 Minuten meinte Widmer: „Wir wollen damit die Menstruationstage der Frauen angenehmer gestalten.” Der Chocolatier, der für diverse Hotels und Sprüngli Zürich gearbeitet hat, erzählt, dass ihm die Idee zur Schokolade vor drei Jahren kam, als er eine Bauernfamilie getroffen hat, die Kräutertee herstellte. Zusammen mit einer Aroma- und Phytotherapeutin hat er in mehrmonatiger Arbeit die Rezeptur für die Schokolade entwickelt. Und liebe Jungs, falls ihr euch ein bisschen ausgeschlossen fühlt, weil es keine Gender-Kräuterschokolade für euch gibt, keine Panik. Laut Widmer können auch Männer die „Frauenmond” essen. „Natürlich können auch Männer die Schokolade essen. Ich selbst habe insgesamt schon etwa zwei Tafeln probiert.” Wir leben in glorreichen Zeiten.
Phoebe Hurst
[ "Chocolatier", "Essen", "Food", "Gender food", "kräuter", "Munchies", "Schokolade", "Schweiz" ]
Food
2016-12-14T09:30:11+00:00
2024-07-30T23:07:00+00:00
https://www.vice.com/de/article/diese-schokolade-soll-regelschmerzen-lindern/
Barcelona-Knirps macht den Mes&#8230; Zidane?
Sergi Oriol Barcelonas U-12-Mannschaft zog während eines Spiels vergangenes Wochenende sein ganz eigenes Showprogramm ab. Dabei hatte sein Gegenspieler mit der Nummer 7 nicht den Hauch einer Chance. Kurzerhand packte er Zidanes Roulette aus und lies damit nicht nur seinen Verteidiger ziemlich hilflos aussehen, sondern stellte auch seine Altersgenossen ziemlich in den Schatten. Nachdem er sich mit dieser Bewegung seines Verteidigers entledigt hatte, trieb er den Ball nach vorne und überwand auch den Torwart. Und das in einer beeindruckenden Weise, dass nun das gesamte Internet über ein Highlight eines pubertierenden Typen spricht. Übrigens gewann seine U-12 das Spiel gegen Sant Cugat mit 3-0 gewann. h/t SB Nation
Sean Newell
[ "barcelona", "barcelona u12", "Fußball", "Highlights", "roulette", "sant cugat", "sergi oriol​", "Sports", "VICE Sports" ]
Sports
2015-09-10T08:10:39+00:00
2024-07-31T02:26:09+00:00
https://www.vice.com/de/article/frueh-uebt-sichbarcelonas-u-12-spieler-blamiert-die-verteidigung/
Tech N9ne—‚Special Effects‘
Tech N9neSpecial EffectsStrange Music (Soulfood) Vielleicht sind es meine US-Südstaaten-Wurzeln, aber ich stehe einfach auf Meth-Rap. Du weißt nicht, was Meth-Rap ist? Rap von Typen, die so schnell und aggressiv rappen, dass es einfach witzig wäre, wenn sie mal ein Liebeslied machen würden. Es ist die Art von Rap, die Leute hören, die Meth konsumieren, weil du auf Meth sein musst, um jedes Wort zu verstehen. Tech N9ne ist der Pate des Meth-Raps, weil er aus Kansas City kommt, einer Stadt, von der ich mir ziemlich sicher bin, dass sie ein einziges großes Meth-Lab ist. Wenn du das nächste Mal auf Meth bist, höre die was von Tecca Nina an. Du kannst mir später danken. Special Effects gibt’s bei Amazon und iTunes. ** Folgt Noisey bei Facebook und Twitter.
Eric Punderman
[ "Album", "Albumreview", "HipHop", "METH", "Music", "Noisey", "Noisey Blog", "Rap", "Review", "Reviews", "special effects", "Südstaaten", "Tech N9ne" ]
2015-06-05T07:22:00+00:00
2024-07-31T00:22:45+00:00
https://www.vice.com/de/article/rpd8z8/tech-n9ne-special-effects-553
Fans versuchen die Eagles Of Death Metal auf die Eins zu bringen
Es ist unmöglich, dass du es noch nicht mitbekommen hast, aber Freitagnacht wurde Paris von schweren terroristischen Angriffen getroffen, bei denen mindestens 132 Menschen getötet wurden. Allein in der Konzert-Location Bataclan starben mindestens 89 Menschen, als während eines Eagles-Of-Death-Metal-Konzertes Männer mit Maschinengewehren den Konzertraum stürmten und wahllos um sich schossen. Die performende Band konnte sich zwar durch einen Bühnenausgang retten, ein Mitglied ihres Teams, ihr Merch-Verkäufer, befindet sich jedoch unter den Opfern. Warum die mutmaßlich islamistischen Täter ausgerechnet dieses Konzert für ihr Attentat wählten, ist noch unklar. Vielleicht war es antizionistisch motiviert (die Bataclan-Eigentümer sind Juden), vielleicht weil die Eagles US-Amerikaner und damit erklärter Feind des IS sind oder vielleicht war es auch nur Zufall—kein Grund macht die Tat nachvollziehbar. Natürlich hat die Band alle weiteren Tour-Termine abgesagt und trauert um ihre getöteten Fans und ihren Freund und Teamkollegen. Auf Facebook haben jetzt englische Fans die Gruppe „Eagles Of Death Metal For No.1“ gegründet, um den Duran-Duran-Coversong der Band „Save A Prayer“ in Großbritannien auf die Nummer Eins der Charts zu pushen und damit ein Zeichen zu setzen. Die Einnahmen gehen zwar nicht an die Band, sondern an die Urheber Duran Duran, aber das ist hier ja nicht der Punkt. Vielmehr wäre eine hohe Chartplatzierung ebenjener Band, die in den Fokus des Terrors geriet, ein erhobener Mittelfinger an den IS und all seinen Sympathisanten. Kritiker bemängeln, dass die ganze Aktion billige Promo und überhaupt total geschmacklos sei. Immerhin könne man das ausgegebene Geld lieber dafür verwenden, für die Opfer zu spenden. So wie die Ärzte bei der #AktionArschloch könnten sich bei einem Erfolg der Aktion allerdings auch Duran Duran dazu bereiterklären, eben genau das zu machen. Abgesehen davon ist der Songkauf aber auch ein gutes Ventil für die ohnmächtige Wut, die sich in den letzten Tagen angesichts der Bilder aufgestaut hat. Dass der Song inzwischen auf Platz Eins der englischen iTunes -und Amazon-Rock-Charts steht, ist da doch genugtuend. Und Genugtuung kann auch heilend wirken. Weitere Infos zur Band gibt es bei Facebook. Musik gibt es bei Amazon und iTunes. ** Folgt Noisey bei Facebook und Twitter.
Noisey Staff
[ "amazon", "Attentat", "bataclan", "Charts", "Duran Duran", "eagles of death metal", "Features", "großbritannien", "ITunes", "Konzert", "Music", "Noisey", "Noisey Blog", "Paris", "Save a Prayer", "terror" ]
2015-11-16T11:30:00+00:00
2024-07-31T00:18:14+00:00
https://www.vice.com/de/article/eagles-of-death-metal-charts-eins-666/
Mixed by Cassius Select
Cassius Select? Sagt dir nichts? Keine Panik, du bist nicht alleine. Hinter dem Pseudonym steht der australische Produzent Lavurn Lee, den wir unter seinem eigenen Namen bzw. seinen anderen Alter Egos Guerre und Black Vanilla kannten—Cassius Select blieb allerdings noch unter dem Radar. Das änderte sich neulich mit seinem Release auf Plastic World, wo eine Split-12″ mit Tuff Sherm erschien—durchaus geeignet für Freunde von Joy Orbison, Head High oder Dro Carey. Dieser Blend aus kaputtem Techno, UK Garage und dreckigen Housederivaten erklingt nun nicht nur in Cassius Selects Produktionen, sondern auch in diesem 43-minütigen Mix, den wir euch nun wiederum wärmstens ans Herz legen möchten. Tuff Sherm & Cassius Select, Tuff Serm / Cassius Select, Plastic World, Vinyl Mixed by Cassius Select – Tracklist:01. Downliners Sekt – Give Him Your Heart02. Percussions – Bongos En Suspens03. Ritual – RTL 301.2202.6704. Klaus – Tarry05. Cassius Select – Ride Wid U Intro06. Cassius Select – Taleo07. Blawan – Iddy08. Pey and Kowton – Raw Code09. Objekt – The Goose That Got Away10. Special Request – Lockjaw11. ASC – Dreadlox12. Brock Out Crew – Hard Core Romance ** Folgt THUMP auf Facebook und Twitter. @THUMP_de folgen !function(d,s,id){var js,fjs=d.getElementsByTagName(s)[0];if(!d.getElementById(id)){js=d.createElement(s);js.id=id;js.src=”//platform.twitter.com/widgets.js”;fjs.parentNode.insertBefore(js,fjs);}}(document,”script”,”twitter-wjs”); MEHR VON THUMP
THUMP Staff
[ "Cassius Select", "Hören", "Lavurn Lee", "Mixed by" ]
Music
2014-06-25T10:00:00+00:00
2024-07-31T04:39:49+00:00
https://www.vice.com/de/article/mixed-by-cassius-select/
Entweder/Oder: Iggy Azalea, Molly und Magna Carta
Iggy Azalea hat vor kurzem in Berlin einigen ausgewählten Journalisten Songs ihres neuen Albums vorgestellt. Wir haben uns natürlich in halber Mannschaftsstärke auf die Gästeliste geschmuggelt, allerdings nicht (nur), weil wir auf Free Drinks hofften, sondern, weil wir wirklich gespannt auf Iggys Material waren. Obwohl sie meinte, sie stecke noch mitten in der Produktionsphase, die Stimmen seien noch nicht abgemischt und wir sollten nicht zu hart mit ihr sein, kann sich das Album schon gut hören lassen. Iggy präsentierte sich trotzdem sehr nervös, fast schon verschüchtert—was uns ziemlich überraschte. Schließlich präsentierte sie sich beim letzten Berlin-Konzert ziemlich selbstbewusst und bei unseren Kollegen in London streckte sie im Winter sogar ihren Arsch in die Kamera der anwesenden Noisey-Fotografin. Offensichtlich war Iggy dieses Mal wirklich etwas aufgeregt, was die Anwesenden wohl zu ihren neuen Songs sagen würden. Es sei ihr verziehen. Weil wir schon im Januar ein Date mit Iggy hatten, bei dem wir uns mit ihr über ihr sehr ansehnliches Gesäß, Beef mit Azealia Banks und ihre Tupac-Besessenheit unterhielten, wollten wir dieses Mal etwas anders mit ihr machen. Also spielten wir das gute alte Entweder/Oder-Spiel. Die Regeln sind einfach, wir werfen Iggy zwei Begriffe an den Kopf und sie muss sich entscheiden. Klingt erstmal unspektakulär, macht aber echt Spaß. Probiert’s aus! Noisey: Wir wollen ein kleines Spiel probieren, ich stelle dir ein paar „Entweder… oder“-Fragen und möchte, dass du frei heraus erzählst, was dir dazu einfällt.Iggy: Okay, los geht’s! Also, Album Recording oder Album Promotion?Album Recording! Da kann ich meinen verrückten Ideen nachgehen und sie umsetzen. Wenn ich sie andern zeige, muss ich sie erklären und manchmal auch verteidigen. Jeder hört sich meine Tracks an und hat seine eigene Meinung dazu, die ist sehr subjektiv. Manchmal verstehen mich die Leute falsch und ich muss mich rechtfertigen. Das kann echt nerven. Wie sieht es vor der Produktionsphase aus, lieber Songs-Schreiben oder Freestylen?Ich mag das Schreiben lieber. Ich kann echt überhaupt nicht freestylen, meine Freestyles sind schrecklich. Ich liebe es, zu schreiben, ich liebe Poesie und auch Geschichten zu schreiben. Die Worte auf Blatt, das fasziniert mich. Wir haben gerade einen Vorab-Eindruck deiner neuen Songs bekommen, wass magst du persönlich mehr, deine nachdenklichen oder deine Party-Tracks?Hmm, das ist schwierig. Ich mag die spaßigen Sachen, weil Leute mir gesagt haben, dass es sie aufmuntert, wenn sie traurig sind. Doch ich mag auch meine melancholischen Lieder. Da kann ich rauslassen, was mich beschäftigt und fühle mich danach davon befreit. Also kommt es wohl darauf an, ob ich lieber mich oder die anderen glücklich mache und ich glaube, dass ich lieber die Leute glücklich mache, also: Party-Tracks. Entweder Arsch oder Titten?Da nehme ich lieber den Hintern, denn ich habe ja kaum Brüste. Über deinen Hintern haben wir ja beim letzten Mal schon gesprochen! Was sagst du dazu: Entweder Weed oder Molly?Weder noch eigentlich. Wenn ich eins wählen müsste, dann Weed, das ist wenigstens eine natürliche Droge. Molly habe ich noch nie probiert. Gras hab ich schonmal geraucht, fand ich aber auch nicht so toll. Molly ist das dümmste Zeug, dass ich in meinem ganzen Leben gehört hab. Mullumbimby (Iggys Heimatstadt in Australien) oder Los Angeles?(lacht) Los Angeles. Und Los Angeles oder Miami?Immernoch Los Angeles, auch wenn Miami das köstlichste kubanische Essen hat. In L.A. wohnen meine Freunde. Kommen wir zu deinen Kollegen: A$AP Rocky oder T.I.?Auf jeden Fall T.I., er ist wie mein großer Bruder. Er hat mich durch meine schwierigsten und besten Zeiten begleitet und unterstützt. Er ist wie Familie für mich. Entweder Magna Carta Holy Grail oder Yeezus?Magna Carta. Das überrascht und, viele Kritiker sind von Jay-Z’s neuem Album nicht sehr begeistert. Noch einmal Kolleginnen: Entweder Angel Haze oder Azealia Banks?Angel Haze! Sie hat so viel mehr zu erzählen und ihre Geschichte finde ich sehr inspirierend. Und du, lieber Rapperin oder Stripperin?Rapperin, ich könnte mir nicht vorstellen, eine Stripperin zu sein. Zum Schluss: Entweder Liebe oder Karriere?Ich würde immer die Liebe der Karriere vorziehen. Doch im Moment, scheint es, gewinnt die Karriere. Naja, das mit der großen Liebe kann ja noch kommen. Vielen Dank für das bereitwillige Mitspielen! ** Folgt Noisey bei Twitter und Facebook für tägliche Updates. MEHR VON NOISEY
Christian Rößler
[ "Berlin", "Features", "iggy azalea", "Interview", "Interviews", "Music", "Noisey", "T.I", "universal", "Work" ]
2013-08-29T11:00:00+00:00
2024-07-31T04:55:44+00:00
https://www.vice.com/de/article/iggy-azalea-int/
Mann gegen Bär: ein historischer Abriss moderner Tierquälerei
Auf gefühlt jedes zweite in der Wildnis beheimatete Tier gibt es einen Idiot, der sich denkt, das würde ich im Kampf sowas von plattmachen. Und dieser Idiot findet dann mit großer Sicherheit auch noch mehr Idioten, die bereit sind, sich das traurige Spektakel anzuschauen. Alligatoren-Wrestling, zum Beispiel, ist in einigen Teilen Nordamerikas so beliebt, dass man darin sogar schon Kurse belegen kann. Auch das Ringen mit Tintenfischen ist aus unerklärlichen Gründen eine große Nummer. Und wie wir vor Kurzem festgestellt haben, mussten auch schon Kängurus in den Boxring steigen und gegen Typen wie Woody Allen antreten. Mann gegen Känguru: ein historischer Abriss moderner Tierquälerei Doch es sind Bären, die in dieser traurigen Sammlung von Wildtieren, die gegen Menschen kämpfen müssen, einen besonderen Platz einnehmen. Sie wurden nämlich dazu gezwungen, gegen Menschen zu boxen und zu ringen. Sie wurden anscheinend gegen ihren Willen dazu auserkoren, als tierische MMA-Kämpfer anzutreten. Wie die Leute überhaupt auf die Idee für einen solchen Schwachsinn gekommen sind, wird klar, wenn man Bären beim Kampf mit ihren Artgenossen beobachtet. Denn ihre Bewegungen erinnern in der Tat an die von Boxern und Wrestlern. Wie das aussieht, wenn Mensch auf Bär trifft, kannst du im folgenden Video sehen: Laut HistoryLink begann die Tradition des Bärenringens—einem Sport, bei dem „ein menschlicher Wettkämpfer mit einem halbgezähmten Bären, dem für gewöhnlich die Zähne rausgerissen, die tödlich scharfen Krallen entfernt und die Sehnen in Armen und Beinen durchtrennt wurden und der einen Maulkorb und Handschuhe tragen musste—in Europa in der Mitte des 19. Jahrhunderts und feierte im Jahr 1877 auch in den USA sein Debüt. Im November desselben Jahres berichtete Daily Eagle aus Brooklyn von einem Event, bei dem ein „pyrenäischer Bär gegen alle Freiwilligen nach geltenden Regeln ringt”. Im selben Monat besiegte dann auch noch „Pete, der ringende Bär” seinen Gegner/Trainer Adrian im New Yorker Gilmore’s Gardens. Schon bald gab es in vielen Teilen der USA regelmäßig Bärenringwettkämpfe. In New York mussten zwei Zirkusbären namens Lena und Martin an einer Reihe von Kämpfen gegen Promoter und Freiwillige aus dem Publikum teilnehmen (ein Reporter der New York Times schrieb über Martins ersten Kampf, dass der Bär „nicht den Spaß am Ringen verstanden hat”). Ein Mann namens Lucien Marc konnte ein Jahr später in Cincinnati einen Bären besiegen, verlor dabei aber einen Daumen. Weitaus weniger glimpflich ging es bei einem Kampf am 14. April 1878 aus, als ein Mann namens Jean Francis Borne im Kampf mit Bärin Lena sein Leben verlor. Doch auch Todesfälle konnten die Sensationsgier der Leute nicht eindämmen, das traurige Spektakel hielt in immer mehr Zirkussen im ganzen Land Einzug. Bären mit Namen wie Teddy, Big und Terrible Ted haben sich in den folgenden hundert Jahren unfreiwillig einen Namen als gute Kämpfer gemacht. Battling Bruno wurde sogar von Queen Victoria für seine Leistungen im Ring zum Ritter geschlagen und nach seinem Tod auf Wunsch der Königin ausgestopft. Und Victor, der wohl erfolgreichste ringende Bär aller Zeiten, trat sogar bei einer Reihe von amerikanischen Fernsehsendungen auf, kämpfte gegen The Destroyer und Roddy Piper und musste außerdem bei einer ABA-Halbzeitshow ran (ja, die Szene aus der US-Komödie Semi-Pro basiert tatsächlich auf einer wahren Begebenheit). Doch Bären wurden in der Vergangenheit nicht nur zu Wrestlern, sondern auch zu Boxern konditioniert. So kam es am 27. Juni 1885 im kalifornischen Städtchen Porta Costa zu einem Boxduell zwischen Mensch und Bär. Die Contra Costa Gazette berichtete über diesen Kampf: „Ein kurzes, wenn auch hitziges Duell fand am Dienstag in Port Costa zwischen Thomas Huckstep und dem Bären Bruin, der für seine harten Treffer überregional bekannt ist, statt. Huckstep probierte es mit einer Finte, wurde aber durch eine Rechte von Bruins niedergestreckt. Bruin ließ sofort noch seine Linke folgen und zerriss dabei Hucksteps Mantel. Huckstep rollte sich daraufhin schnell aus dem Ring, weswegen Ringrichter Bob Lee den Kampf abbrach und Bruin zum Sieger erklärte.” Im Anschluss verschwanden Boxkämpfe dieser Art für ein paar Jahrzehnte wieder in den Untergrund, rückten aber anlässlich eines Kampfes in New York 1937 erneut in den Fokus der Medien. Im Jahr 1949 kam es dann zum Käfigkampf zwischen dem weitestgehend unbekannten Gus Waldorf und einem Bären. Waldorf verlor zwar das Match, ging aber trotzdem in die Geschichte ein, weil die Fotos, die vom Kampf geschossen wurden, die bekanntesten Aufnahmen boxender Bären aller Zeiten wurden (alle Fotos in diesem Artikel rühren von dem Kampf her). Doch auch namhaftere Boxer ihrer Zeit versuchten ihr Glück, etwa Tony Galento, der Ende der 30er-Jahre gegen einen Grizzly in den Ring stieg, um die Werbetrommel für seinen nächsten Kampf (gegen ein menschliches Geschöpf) zu rühren. Galento kämpfte übrigens auch gegen ein Känguru und einen toten Tintenfisch. Soviel dazu, dass nur Sportler unserer Zeit geil auf mediale Aufmerksamkeit seien. Selbst Schwergewichtsboxer Chuck Wepner, der als Inspiration zum Rocky-Drehbuch gedient haben soll, hat sich mal von einem Grizzly durch den Ring schleudern lassen. Obwohl der Enthusiasmus für boxende und ringende Bären im Laufe der Zeit—und mit dem Aufkommen von Tierschutzbewegungen—weitestgehend verpufft ist, kommt es auch noch in unserer Zeit zu diesem furchtbaren Spektakel. 1995 flog eine Bar in Ohio auf, die heimlich Kämpfe organisiert hatte, bei der betrunkene College-Studenten auf einen Bären namens Ceasar gehetzt wurden. Glücklicherweise sind wir Internet-User weitaus mehr an Kämpfen unter Bären in der freien Wildbahn interessiert als am unnatürlichen „Mann gegen Bär”-Duell, was dieser Tierquälerei den Nährboden entzieht. Und wenn du aus irgendeinem Grund doch nicht ohne kannst, dann nimm bitte mit den herrlichen, gephotoshoppten Aufnahmen von NHL-Spieler Tanner Glass im Kampf mit verschiedenen Bären Vorlieb.
[ "andere sportarten", "Boxen", "FIGHTLAND", "Kampfsport", "Känguru", "Ringen", "Sports", "Tiere", "Tierschutz", "VICE Sports", "WRESTLING" ]
2015-09-07T12:40:00+00:00
2024-08-12T05:49:36+00:00
https://www.vice.com/de/article/mann-gegen-baer-ein-historischer-abriss-moderner-tierquaelerei-271/
In Italien musste die Feuerwehr eine Frau aus einem Keuschheitsgürtel befreien
Foto: Elena Pleskevich | Flickr | CC BY-SA 2.0 Dieser Artikel ist zuerst bei Broadly erschienen. Letzte Woche tapste eine 60 Jahre alte Frau in die Feuerwache der italienischen Stadt Padua, um einen pikanten Notfall zu melden: Sie war in ihrem Keuschheitsgürtel gefangen. Laut Paduas Nachrichtenportal Il Mattino di Padova war es sowohl der Frau als auch den Feuerwehrmännern doch ziemlich peinlich, als sie zugeben musste, dass sie den Schlüssel zum Öffnen des eisernen Sexkäfigs verloren hatte. Anfangs vermuteten die Behörden noch, dass der Keuschheitsgürtel mit einer Form der häuslichen Gewalt zusammenhängen würde und bei Il Mattino di Padova wurde auch von „einer Art gefährlichem Sexspiel” berichtet, aber die Frau behauptete, dass sie den Gürtel freiwillig trug, um keine sexuelle Beziehung einzugehen. Bei einigen Nachrichtenagenturen heißt es auch, dass die Frau davon sprach, den Gürtel nur zu tragen, um sich selbst vor sexuellen Übergriffen zu schützen—eine traurige Umkehrung des ursprünglichen Sinn und Zwecks eines solchen Geräts, denn eigentlich sollte ein mittelalterlicher Keuschheitsgürtel verheiratete Frauen davon abhalten, mit anderen Männern zu schlafen. Das ist zumindest der Sinn und Zweck, von dem allgemein ausgegangen wird. Mittelalterwissenschaftler wie etwa Dr. Albrecht Classen, ein Professor der Germanistik an der University of Arizona, sagen allerdings, dass Keuschheitsgürtel gar keine Erfindung des Mittelalters sind, sondern erst im 19. Jahrhundert aufkamen. Es gibt zwar auch Texte, die bis ins Jahr 1405 zurückreichen und in denen Illustrationen von Keuschheitsgürteln zu finden sind, aber Dr. Classen schreibt in seinem Buch The Medieval Chastity Belt: A Myth-making Process, dass es sich dabei sehr wahrscheinlich nur um derbe Witze handelt und erst spätere Generationen das Ganze dann im Zuge der Stereotypen zum „barbarischen” Mittelalter wirklich in die Tat umsetzten. In anderen Worten: Niemand hat so etwas damals wirklich getragen. Dieser Umstand überraschte mich dann doch ziemlich, aber es macht auch Sinn: So erzählte mir Dr. Classen am Telefon, dass Keuschheitsgürtel eine absurde Vorstellung seien und medizinisch betrachtet so unhygienisch sein würden, dass die Trägerin wohl sehr bald an irgendeiner Infektion gestorben wäre. „Alles lässt sich auf das 19. Jahrhundert zurückführen”, erklärte mir Dr. Classen. „Damals wurde viel daran gesetzt, die Vergangenheit auf eine bestimmte Art und Weise darzustellen: Das Mittelalter war dreckig, im Mittelalter gab es keine Wissenschaft, im Mittelalter waren die Leute noch richtig primitiv und dachten, dass die Erde eine Scheibe sei. Viele dieser dummen Vorstellungen wurden auch ganz gut in den Monty-Python-Filmen verarbeitet.” Man beachte vor allem die Szene ab 0:50 Im 19. Jahrhundert verband sich dieser Wille, die Vergangenheit zu mythologisieren, mit der berüchtigten sexuellen Unterdrückung dieser Zeit—und so kamen Anthropologen, Historiker und Feministen-Vorläufer zusammen, um die Vorstellung von Keuschheitsgürteln auch für die Zukunft zu festigen. „Der Keuschheitsgürtel war für die Viktorianer ein großartiges Mittel, um diese Unterdrückung wiedergutzumachen. Sie redeten einfach auf eine pseudo-wissenschaftliche Art über die Vergangenheit, was dann als willkommene Grundlage für diverse Fantasien genutzt wurde”, sagte Dr. Classen. Außerdem passte das Ganze auch noch wunderbar zur viktorianischen Faszination in Bezug auf Folter: „Sie mochten es einfach, die entsetzlichsten und grausamsten Folterinstrumente zu präsentieren, die man sich nur vorstellen konnte”, erzählte mir der Wissenschaftler. So kam es auch, dass das British Museum 1996 einen „mittelalterlichen Keuschheitsgürtel” nicht mehr ausstellen durfte, nachdem sich herausgestellt hatte, dass dieser im 18. oder 19. Jahrhundert gefertigt wurde—eine Zeit, in der die Leute die klobigen Sexisten-Windeln als „Kuriositäten für laszive Menschen oder als Witz für geschmacklose Menschen” herstellten. Munchies: Rezepte aus dem Mittelalter gegen Kater Der Mythos blieb aber trotz aller Bemühungen der Historiker bestehen und wird auch in Filmen wie etwa Robin Hood: Helden in Strumpfhosen angesprochen. Eine Sache hat sich jedoch geändert: Was einst ausschließlich als frauenfeindliches Kontrollwerkzeug galt, hat sich inzwischen auch in ein sex-befürwortendes Spielzeug verwandelt. „Heutzutage besteht auch noch dieses zusätzliche Element der S&M-Kultur, wo ein Keuschheitsgürtel mit Freuden eingesetzt wird”, erklärte mir Dr. Classen. „So können diese Leute ihr allgemeines historisches Interesse—also eine spielerische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit—mit ihren sexuellen Fantasien verbinden. Zwar habe ich mein Buch geschrieben, um den Mythos für immer zu zerstören, aber erotische Fantasien lassen sich nun mal nicht unterdrücken.”
Lauren Oyler
[ "Enthaltsamkeit", "Feminisme", "Fetisch", "Feuerwehr", "folter", "geschichte", "Keuschheit", "Keuschheitsgürtel", "Kultur", "mittelalter", "mythos", "Sado Maso", "Sex", "Stuff", "Vice Blog", "Wissenschaft" ]
Sex
2016-01-22T05:18:00+00:00
2024-07-30T21:45:21+00:00
https://www.vice.com/de/article/ex89b7/in-italien-musste-die-feuerwehr-eine-frau-aus-einem-keuschheitsguertel-befreien-462
Die drogenabhängigen Kinder Indiens
Überall, wo du auf Armut stößt, wirst du auch Kindern begegnen, die im bittersten Elend aufwachsen. Fotograf Dario Mitidieri reiste nach Bombay und dokumentierte dort die Kinder, die sich jeden Tag mit Pädophilen, Drogen und unheilbaren Krankheiten konfrontiert sahen. Er sammelte die haarsträubenden Fotos und Geschichten in einem Buch, das er 1995 unter dem Namen Die Kinder von Bombayveröffentlichte. Ich entdeckte es erst vor Kurzem und bin seitdem auf eine gruselige Art und Weise fasziniert davon, also rief ich ihn an. VICE: Hey Dario, wie war dein Sommer? Ist dir etwas Aufregendes passiert? Dario Mitidieri: Ich bin gerade aus dem Urlaub zurückgekommen—ich war mit meiner Familie in Italien. Das ist schön. Bevor du Die Kinder von Bombay gemacht hast, warst du in China und hast das Tiananmen-Massaker von 1989 dokumentiert. Deine Fotos waren einige der ersten, die im Westen gedruckt wurden. Wie war das? Als ich nach China ging, war ich bereits zwei oder drei Jahre als freiberuflicher Fotograf für Zeitungen wie The Independent und The Telegraph tätig. Aber dennoch passierte das damals, wie du dir vorstellen kannst, alles sehr schnell und der Adrenalinpegel war dementsprechend sehr hoch. Er sank ein paar Tage später, als die Fotos im Fernsehen und in den Zeitungen zu sehen waren. Ein paar Monate später gelang es mir, den British Press Photographer of the Year Award zu gewinnen. Hat es dabei geholfen, Die Kinder von Bombay zu machen? Nun ja, das ist die Sache mit dem Bombay-Projekt. Fotos von kranken Kindern sind nicht gerade kommerziell. Also musste ich ein paar Preise gewinnen, um das verwirklichen zu können. Ich gewann den Eugene Smith, sodass ich nach Bombay kommen konnte. Dann liebten verschiedene Verlage meine Arbeit, aber sie sagten alle: „Nein, danke.” Ich musste kämpfen, und um die Fotos zu veröffentlichen, musste ich erstmal eine weitere Auszeichnung gewinnen. Das tat ich und am Ende wurde das Buch in sechs verschiedenen Sprachen in ganz Europa veröffentlicht. Das ist verrückt, ich wusste gar nicht, dass du dir so viel Mühe gemacht hast, um ein Buch zu veröffentlichen. Ja, da gab es so viel Widerstand. Es spielt keine Rolle, wie stark die Botschaft ist, es sei denn, du pushst es, indem du Auszeichnungen gewinnst. Sonst bringt die Arbeit nichts. Was hat dich eigentlich dazu inspiriert, Die Kinder von Bombay zu produzieren? Es geschah alles durch Zufall. Ich war in Bombay und arbeitete an einer Story über AIDS in Indien. Ich wurde von der Zeitschrift People beauftragt, ein paar Tage lang für einen Artikel kranke Kinder auf der ganzen Welt zu fotografieren. Da merkte ich, wie groß die Geschichte war. Ich konnte nicht wegschauen, ich kratzte damals ja auch erst an der Oberfläche, also bewarb ich mich für eine Finanzierung aus dem Eugene-Smith-Fonds. Die Idee war, zurückzugehen und ein ganzes Jahr dort zu verbringen. Ein Bild, das mir sehr nahegeht, ist das von einem Kind, das Drogen nimmt. Gibt es Bilder, die dich mehr bewegen als andere? Es gibt ein paar, ja—eins von zwei Kindern, die Heroin rauchen, und eins von einem Mädchen, das auf einem Pfahl steht. Dieses Bild hat das Projekt geprägt, das Bild, das allen in Erinnerung geblieben ist. Hast du die Kinder bei den Aufnahmen besonders gut kennengelernt? Oh ja, natürlich, ich war Tag und Nacht bei ihnen. Sie nannten mich Onkel. Wir haben einen Dokumentarfilm darüber gemacht, wie wir versuchen, das Mädchen auf dem Pfahl zu finden. Wir fanden sie tatsächlich, manchmal war es ganz schön emotional. Ich fand sogar Andere, die fünf, sechs, sieben Jahre alt waren, als ich die Fotos gemacht habe, und jetzt sind sie Erwachsene. Es war wie gestern. Sie erinnern sich alle an mich. Glaubst du, deine Arbeit hatte einen Einfluss auf ihr Leben? Nicht wirklich. Sie hatte die indirekte Auswirkung, dass die Aufnahmen ausgiebig von den NGOs eingesetzt wurden, die sich für kranke Kinder engagieren. Sie benutzen sie, um Geld aufzutreiben. In Bombay hatten wir mit Pädophilie am Strand zu tun. Es gibt ein paar der Fotos in dem Buch. Ich schwieg darüber während des Projekts, aber sobald ich mit dem Projekt fertig war, kontaktierten wir die Polizei und sie räumten den Strand von Pädophilen. Das beweist, dass die Fotografie eine Bedeutung über das Bild hinaus haben kann. Hast du jemals daran gedacht, ein ähnliches Projekt an einem anderen Ort zu machen? Ich habe versucht, Leute zu kontaktieren, aber es ist schwierig, die Leute wirklich dafür zu interessieren. Außer, du gewinnst, wie gesagt, Preise. Sofern du nicht mit den richtigen Leuten sprichst oder dich der richtigen Kanäle bedienst, ist es sehr schwierig. Ich habe auch die Fotos von dem Tsunami in Indonesien gesehen. Wie war es, die Folgen einer der größten Naturkatastrophen zu schießen? Es war eigentlich ganz außergewöhnlich. Ich habe alles verloren, meine Kleidung, Medikamente und Nahrungsmittel. Es war ein Kampf. Ich hatte nichts. Ganz langsam gelang es mir, Dinge wie Zahnpasta zu finden, das Wesentliche. Ich schlief auf dem Boden. Gab es etwas auf dieser Reise, das du nie vergessen wirst? Das einzige, das ich von dieser Reise nie vergessen werde, ist … das Ausmaß der Katastrophe. Es blieb nichts übrig. Ich erinnere mich daran, wie ich mit dem Hubschrauber an der Küste entlang flog und sehen konnte, dass alles von den Wellen wie ausgelöscht war, abgeflacht, es war außergewöhnlich. War es mehr, als du erwartet hattest? Viel mehr. Es war unrealistisch für einen Journalisten. Jeder, der während dieser Zeit dort gearbeitet hat, wird das Gleiche sagen: Keine Worte oder Fotos können wirklich erklären, wie es war. Es gab zum Beispiel riesige Schiffe in der Mitte der Felder, auf Hügeln; Dinge an Orten, wo sie nicht hingehören.
[ "children", "Children in poverty", "Children of Bombay", "Dario Mitidieri", "Fotos", "Fotostrecke", "Kinderarmut", "Photos", "poverty", "Vice Blog" ]
2012-09-12T08:00:00+00:00
2024-08-12T06:13:25+00:00
https://www.vice.com/de/article/dario-mitidieri-children-of-bombay/
Der Fetisch, der deine Kindheit ruinieren wird: Willkommen in der Welt des Lego-Pornos
Wenn es existiert, dann gibt es davon auch eine pornografische Version. Diese goldene Internet-Regel macht auch vor Themen nicht halt, die uns an unsere unschuldigen Kindheitstage erinnern: Willkommen in der Welt des Lego-Pornos. Wer im Internet nach Lego-Pornos sucht, wird schnell fündig. Da wäre beispielsweise das Subreddit r/legoporn mit 748 Abonnenten. In dem Forum gab es in den letzten fünf Jahren zwar nur 15 Beiträge, aber hier scheint die Qualität der Posts wichtiger zu sein als die Quantität. Vermutlich gibt es mehr Menschen, die pornografische Lego-Content konsumieren, als die, die ihn herstellen. Im Legoporn-Subreddit gibt es einige Crossposts auf Reddits r/bdsm, die tatsächlich recht künstlerisch sind. Wie die anderen Links in diesem Text, stecken auch hinter diesem Link Inhalte, die eher nicht SFW sind. Auch zwischen Harry Potter-Fans und Lego-Pornos scheint es Überschneidungen zu geben, wie beispielsweise dieser imgur-Beitrag zeigt. Außerdem gibt es das “Big Lego Porn Album” auf Imgur, in dem alles gesammelt wird, was der Fetisch zu bieten hat: Cartoon-Zeichnungen im Stile des New Yorkers und vor allem nachgestellte Sex-Szenen mit Lego-Figuren, Pferden und Ninja-Turtles. Einige der Bilder tragen das Wasserzeichen drew.corrupt.net, eine Seite, die auf einen japanischen Blog weiterleitet, der inzwischen anscheinend nichts mehr mit Lego am Hut hat. Das Album wurde über 34.000 Mal aufgerufen. Eine Figur, die in den nicht jugendfreien Legoszenen immer wieder auftaucht, ist Wyldstyle aus The LEGO Movie. Wyldstyle ist im Film Batmans Geliebte und der heimliche Schwarm des Protagonisten. Ihre rebellische Art und vor allem ihr Ganzkörperanzug aus Leder scheinen die Fantasie der Lego-Fans besonders zu beflügeln. Den Höhepunkt des Lego-Pornos stellt wahrscheinlich der Kurzfilm “French Anal Lego Sluts 7” dar, der 2008 auf Pornhub hochgeladen wurde. Der anonyme Regisseur hat die kleinen gelben Protagonisten – “Jane Big Bricks” und “Big Brick Ted” – zusätzlichen mit großen Brüsten und einem Penis aus Knetmasse ausgestattet, was dazu führt, dass der Film ziemlich genau einlöst, was der Titel verspricht. Auch auf YouTube finden sich die Beispiele für LegoPorn: Darunter zahlreiche Stop-Motion-Filme, in denen Szenen aus Pornofilmen mit den kleinen Figuren nachgestellt wurden. Der Clip “Lego Porn“, der über eine Million Mal angeschaut wurde, ist beispielsweise eine Parodie des wohl bekannten Porno-Plots, in dem eine gelangweilte Hausfrau den Handwerker nach Hause bestellt, um “ein Rohr” verlegen zu lassen. Überhaupt scheinen im Lego-Universum die Grenzen zwischen Porno und Parodie fließend zu verlaufen. Einen Ehrenplatz in dieser Aufzählung haben definitiv die Szenen von Alex Eylar verdient: Eylar hat die Kommentare unter Pornovideos neu interpretiert und mit Lego-Figuren umgesetzt. In der Psychologie bezeichnet man es als Agalmatophilie, wenn Menschen sich sexuell zu Statuen oder anderen menschlichen Darstellungen wie Puppen hingezogen fühlen. Aber trifft diese Bezeichnung auch auf Menschen zu, die rechteckige Figuren mit extra großen Plastikpenissen ausstatten? Wir haben die Sex-Therapeutin Carolanne Marcantonio gebeten, den Lego-Fetisch für uns zu analysieren. “Einige Menschen ordnen die Lego-Figuren vielleicht auf diese Art an, weil es lustig und aufregend ist; einige könnten dadurch auch erregt werden. Möglicherweise geht es dabei aber nicht um die Figuren selbst, sondern darum, mit Erniedrigung und Degradierung zu experimentieren.” Ebenfalls auf Motherboard: Balloon Porn Superstar Für einige Menschen könnte das Spielen mit menschenähnlichen Figuren eine Möglichkeit sein, das auszuleben, was sie im echten Leben nicht erfahren können oder wollen, meint Marcantonio. “Natürlich kann man diese Dinge auch im echten Leben unter sicheren und einvernehmlichen Bedingungen ausprobieren”, sagt sie. “Aber nicht jeder ist dazu bereit, seine Fantasien mit anderen Personen zu teilen. Einige Menschen fühlen sich vielleicht auch durch das Spielzeug selbst erregt.” Wir haben bei LEGO nachgefragt, was das Unternehmen davon hält, dass ihr Produkt solch enthusiastische Reaktionen bei einigen Nutzern auslöst. Ein Lego-Sprecher bedankte sich für unsere Anfrage, wollte das Thema aber nicht weiter kommentieren, da es “nichts mit Lego oder der Ausrichtung der Firma” zu tun habe. Die Lego-Sprecherin Emma Owen, die vor zwei Jahren eine ähnliche Frage vom Daily Star erhielt, war da wesentlich aufgeschlossener: “Wir sehen jeden Tag, dass Fans alle möglichen Projekte mit LEGO umsetzen. Manchmal erschaffen sie etwas, was uns als Hersteller von Kinderspielzeug nie in den Sinn gekommen wäre”, sagte sie. Owen betonte, dass der Fantasie keine Grenzen gesetzt seien: “Darum geht es bei LEGO: Jeder kann das bauen, was er oder sie möchte.” Folgt Motherboard auf Facebook, Instagram, Snapchat und Twitter
[ "Fetisch", "Lego", "lego porn", "Porno", "Rule 34" ]
Tech
2018-09-04T11:23:26+00:00
2024-08-12T08:09:20+00:00
https://www.vice.com/de/article/lego-porno-fetisch-rule-34/
Dieser Mann sagt, er sei durch einen Schlaganfall schwul geworden
Stell dir vor, du alberst mit Freunden herum, erleidest dabei einen Schlaganfall und dein ganzes Leben stellt sich auf den Kopf. Aber nicht, weil du im Alltag von nun an ständig auf Hilfe angewiesen bist, sondern weil sich deine sexuelle Orientierung plötzlich verändert hat. Dieses Szenario klingt vielleicht unwahrscheinlich, ist dem Walisen Chris Birch aber genau so passiert. Als der damals 120 Kilo schwere Rugby-Spieler spaßeshalber Purzelbäume auf einem Grünstreifen machte, spürte er plötzlich, wie sich in seinem Genick “etwas loslöste”. Kurzzeitiger Druck hatte eine seiner Halsschlagadern verletzt und so den Blutfluss zum Gehirn unterbrochen. So kam es zu einem Schlaganfall. Ein Jahr später hatte Chris sein Coming-out und schrieb seine neue sexuelle Orientierung dem Hirnschlag zu. “Anfangs dachte ich noch, ich hätte mir nur den Kopf gestoßen oder mich anderweitig verletzt”, erzählt Chris. “Mir war schwindelig, aber man will in einer solchen Situation nie zugeben, dass etwas nicht stimmt. Ich machte einfach weiter und hoffte, dass niemand etwas merkt.” Zunächst diagnostizierten die Ärzte bei Chris noch Pfeiffersches Drüsenfieber. Als dann jedoch noch Erinnerungslücken, vermindertes Sprechvermögen sowie Taubheit in den Händen und Armen dazukamen, ging er zu einem Neurologen. Der erkannte die Zeichen des zurückliegenden Schlaganfalls und verschrieb Chris Medikamente, die er täglich nehmen musste. Optisch machte sich der Zwischenfall vor allem durch ein hängendes Augenlid und einen hängenden Nippel bemerkbar, aber auch Chris’ Persönlichkeit veränderte sich: “Früher war ich total introvertiert, plötzlich hatte ich mehr Selbstvertrauen und ging mehr aus mir heraus.” Auch bei VICE: Homosexuelle heilen – Hinter den Kulissen der sogenannten Reparativ-Therapie Die Veränderung der Sexualität dauerte länger. So erzählt Chris: “Als mir klar wurde, dass ich schwul bin, lebte ich erstmal ein halbes Jahr ganz normal weiter. Ich weihte nur meine Mutter ein, was doch eine größere Sache war als gedacht.” Nach seinem Coming-out entfernten sich die beiden voneinander und verloren langsam den Kontakt. Bis er seinen Freund Jack kennenlernte, traf sich Chris auch nicht mit anderen Männern. “Ich wollte sichergehen, dass meine Gedanken und meine Gefühle wirklich echt und nicht nur temporär sind. Ich dachte mir: ‘Mein linker Nippel hängt tiefer als mein rechter, das wird sich schon wieder geben. Und vielleicht läuft es bei meiner sexuellen Orientierung genauso’”, sagt Chris. “Rückblickend klingt das ziemlich dumm, aber so war es nunmal.” Nach der Finanzkrise im Jahr 2008 schmiss Chris seinen Job bei einer Bank und machte eine Ausbildung zum Friseur. Auf Anraten einer Kundin erzählte Chris seine Geschichte einem Wochenmagazin: “Ich dachte mir, dass es einige Leute interessieren könnte, wie ich durch einen Schlaganfall homosexuell wurde.” Aus dem “kleinen Artikel in einem Zeitungsmagazin” wurde dann ein zweiseitiger Bericht in der großen britischen Boulevardzeitung The Mirror. “Das war schon ein Schock und fühlte sich unnötig an”, sagt Chris. “Daraufhin riefen jeden Tag unzählige Menschen bei uns im Salon an und wollten mit mir sprechen. Eine Siebzigjährige fuhr sogar eine Stunde mit dem Bus, nur um sich bei mir zu bedanken, dass ich meine Geschichte erzählt hatte.” “Ich weiß noch ganz genau, wie ich mich zu Frauen hingezogen fühlte und damit auch glücklich war. Inzwischen kommen mir diese Gefühle total fremdartig vor.” Hatte eine Nahtoderfahrung einen heimlich schwulen Chris dazu veranlasst, seine sexuelle Identität neu zu überdenken und sich gleichzeitig für den wahren Ursprung seiner Orientierung zu schämen? Oder kann ein Schlaganfall die sexuelle Orientierung tatsächlich verändern? Inzwischen gibt Chris auch zu: “Nach einem Schlaganfall ist man sich seiner Sterblichkeit bewusst und fühlt sich fast schon gezwungen, jeden Tag so zu leben, als wäre es der letzte. Ich bin jedoch der Beweis dafür, dass ein Schlaganfall die sexuelle Orientierung verändert. Und da gibt es noch andere Beispiele.” An dieser Stelle erzählt Chris von einem anderen Schwulen, der nach einem Schlaganfall heterosexuell wurde. Außerdem wehrt er sich gegen die Vorwürfe, er würde lügen: “Ich weiß noch ganz genau, wie ich mich zu Frauen hingezogen fühlte und damit auch glücklich war. Inzwischen kommen mir diese Gefühle total fremdartig vor.” Chris wurde sogar schon wissenschaftlich untersucht. Als er sich von der BBC für die Dokumentation I Woke Up Gay von einem Fernsehteam begleiten ließ, sagte ihm ein Forscher der Queen Mary University, dass er laut einiger Tests wohl heterosexuell geboren wurde. (Insgesamt ist er mit der Dokumentation jedoch gar nicht zufrieden und bezeichnet sie als “lächerlich” und “reißerisch”.) Chris ist sich bewusst, dass seine Geschichte nur schwer zu glauben ist. Dafür macht er allerdings auch falsche Berichterstattung verantwortlich. In manchen Artikeln wird behauptet, er hätte sich das Genick gebrochen oder wäre in ein Koma gefallen. Einige Fake-News-Seiten stellten Chris als Beleg für die “Heilung von Homosexualität” dar. “Sie sagten, dass niemand schwul sein muss – so nach dem Motto ‘Dieser Mann war früher heterosexuell und ist jetzt homosexuell. Das Ganze ist also nicht angeboren und wir können es richtigstellen’”, erzählt er. “Mir wurde aber auch vorgeworfen, zu lügen und schon immer schwul gewesen zu sein. Das hat mich richtig fertig gemacht.” Wenn er könnte, würde er die ganzen Artikel löschen. Es seien sogar falsche Twitter- und Facebook-Profile mit seinem Namen erstellt worden, deren Posts seinen Aussagen komplett widersprachen, erzählt er. “Das war schrecklich. Ich wünschte, ich hätte niemals etwas gesagt.” Aber auch professionelle Schreiber äußerten Kritik. Bei Gawker hieß es zum Beispiel: “Birchs Geschichte scheint der Gleichberechtigungsagenda zu schaden.” Und in The Metro steht: “Wenn Birch mit seinem ‘neuen’ Ich wirklich so glücklich ist, wie er immer behauptet, wieso will er dann ständig beweisen, dass ihn das Koma verändert hat?” “Mir wurde auch vorgeworfen, zu lügen und schon immer schwul gewesen zu sein. Das hat mich richtig fertig gemacht.” Chris arbeitet heute nur noch nebenberuflich als Friseur, weil er ein Reinigungsunternehmen leitet. Er ist aber immer noch mit Jack zusammen und die beiden leben zusammen mit ihren vier Hunden in Cardiff. Laut eigener Aussage konnte er vor seinem Schlaganfall mit Tieren übrigens nichts anfangen. Hier findest du Informationen dazu, wie du die Symptome eines Schlaganfalls erkennst und dich im Notfall richtig verhältst. Am 10. Mai findet außerdem der “Tag gegen den Schlaganfall” statt. Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.
Sophie Wilkinson
[ "coming out", "Gehirn", "Gesundheit", "Homosexualität", "LGBTQ", "Lügen", "schlaganfall", "schwul", "sexuelle Orientierung", "veränderung" ]
2017-05-04T04:00:00+00:00
2024-07-30T19:51:39+00:00
https://www.vice.com/de/article/dieser-mann-sagt-er-ist-durch-einen-schlaganfall-schwul-geworden/
Warum die Berichte, dass in Österreich die meisten Kalorien konsumiert werden, falsch sind
In den letzten Tagen machte in einigen internationalen Medien eine ziemlich deftige Meldung die Runde: Mit einem durchschnittlichen Kalorienverbrauch von 3.769 pro Tag sollen die Österreicherinnen und Österreicher quasi die verfressensten Menschen der Welt sein, noch vor üblichen Verdächtigen wie den USA. Die Meldung ging unter anderem über Foreign Policy, beim britischen Independent, bei Daily Mail und Yahoo News raus und wurde mittlerweile auch von der Österreich übernommen. Auch unsere Food-Plattform MUNCHIES berichtete darüber. Aber selbst angesichts all der gängigen Leberkäs-Semmel zum Frühstück, den ganzen Schweinsbraten zu Mittag, Käsekrainern und Germknödel zu Abend, gefolgt von 20 Bier über die Nacht verteilt, konnte ich das einfach nicht so recht glauben—3.769 im Durchschnitt (!) klingt einfach absurd. Und hat sich letztlich auch als falsch herausgestellt. In allen Berichten wird auf eine neue Studie der Seite recoverybrands verwiesen, die sich weltweites Konsumverhalten—zu Alkohol, Tabak und eben Kalorien— angesehen hat und sich auf den Zeitraum von 2004 bis 2013 bezieht. Wir mögen ja die ärgsten Säufer und Raucher sein, aber gerade dort sind wir laut der Studie nicht Erster, sondern bei der Nahrungsaufnahme. Als Quelle verweist man auf Zahlen der OECD. Screenshot via recoverybrands Mit Blick auf diese Daten zeigt sich aber die erste Ungereimtheit. Dort gibt es zu „Kilocalories per capita per day” offiziell nur Angaben bis 2011. Der beschriebene Zeitraum 2004 bis 2013 in der recoverybrands-Studie stimmt also schon mal nicht. Ein Anruf beim OECD Büro in Berlin bestätigt: „Es gibt defintiv keine publizierten Daten nach 2011.” Den Mythos der 3.769 Kalorien zerstreut schließlich endgültig ein Experte der Universität Wien. Dr. Jürgen König ist Professor für Ernährungswissenschaften, hat sich die Rohdaten für uns genauer angesehen und kommt zum Ergebnis: „Bei den Werten handelt es sich lediglich um die verfügbaren Kalorienanzahl am Markt, nicht um die tatsächlich konsumierten Kalorien.” Es ist also die Menge an Lebensmittel (und ihrem Kalorienwert) die prinzipiell hierzulande für jeden von uns im Umlauf ist, aber nicht tatsächlich jeden Tag verzehrt wird. Wir sind also zwar ordentlich übersättigt, aber nicht ganz so schlimm verfressen. „Bei den Zahlen handelt es sich um die Menge an Kalorien, die am Markt ist, nicht aber tatsächlich konsumiert wird” Der tatsächliche Kalorienverbrauch liegt laut Ernährungsbericht des Ministeriums bei etwa 1.800 bzw. 2.100 unter erwachsenen Frauen und Männern und basiert auf Befragungen. „Das wiederum halte ich vielleicht für etwas niedrig, ist aber sicherlich näher an der Realität als die 3.769″, meint Professor König. Die Zahlen der OECD seien eigentlich Agrarstatistiken der FAO (Food and Agriculture Organization of the United Nations) und wohl wurden als solche wohl selbst ungenau übernommen. Aus dem „calories supply” dürfte „calories intake” geworden sein, so der Experte. Ja, wir Österreicher sind zwar ein Volk, dass „Mahlzeit” als Grußformel verwendet und eine Schnitzelsemmel als lockeren Snack sieht, die 3.769 Kalorien täglich schaffen aber dennoch nur die Besten unter uns. Thomas bei Twitter: @t_moonshine
Thomas Hoisl
[ "Essen", "kalorien", "küche", "Leberkas", "schnitzel", "Vice Blog" ]
2015-11-13T08:00:00+00:00
2024-07-31T01:28:03+00:00
https://www.vice.com/de/article/wir-in-oesterreich-sind-gar-nicht-so-verfressen/
Strife Live
Lust auf ein paar Plattitüden? Achtung: Die Zeit vergeht wie im Flug. Alles kommt irgendwann zurück. Geschichte wiederholt sich. Und auf einmal sind auch Strife wieder da. Mittlerweile mit dem Comeback nach dem Comeback. Ob sie der Logik folgend auch ihren Edge-Break gebrochen haben, ließ sich nicht ermitteln. Dass aber immer noch die Seele einer der mächtigsten SXE-Bands aller Zeiten in ihnen kocht und man bei den kommenden Shows keinen unmotivierten Cash-In befürchten muss, zeigen aktuelle Youtube-Clips. Strife spielen am 04.08. im Berliner Lido, zusammen mit Strung Out, Coldburn und Risk It! Bzw. was heißt spielen – sie wüten und sie jagen ihren Furor wie eine Adrenalinspritze in den erlahmten Arsch des Hardcore-Status Quo. Und wir verlosen für dieses Ereignis 2×2 Plätze auf der Gästeliste. Schreib eine Mail mit dem Betreff „One Truth“ an [email protected], um zu gewinnen.
VICE Staff
[ "Musik", "Vice Blog" ]
2011-07-27T09:28:00+00:00
2024-07-31T07:29:33+00:00
https://www.vice.com/de/article/strife-live/
Cacio e Pepe
Portionen: 4 415 g Spaghetti½ Tasse Butter, in Stücke geschnitten120 ml natives Olivenöl extra1 Teelöffel grob gemahlene frische Pfefferkörner2 Tassen frisch geriebener PecorinoSalz und frisch gemahlener Pfeffer, zum Abschmecken 1. Pasta kochen und das Wasser aufbewahren. 2. Kurz bevor die Pasta fertig gekocht ist, etwa 480 ml Pastawasser aus dem Topf schöpfen und in eine große Sauteuse gießen. Butter, Olivenöl und Pfeffer hinzufügen und über mittlerer bis hoher Hitze köcheln lassen. 3. Pasta in der Sauce köcheln lassen, bis die Sauce ein bisschen cremig ist, ungefähr zwei Minuten. Von der Hitzequelle nehmen und den cacio oder den pecorino unterrühren. Probieren und mit Salz und Pfeffer abschmecken. 4. Mit Käse und schwarzem Pfeffer servieren.
[ "Food", "Käse", "machen", "Munchies", "Nudeln", "Olivenöl", "Pasta", "Pecorino", "Pfeffer", "Rezept", "rezepte", "Salz", "spaghetti" ]
2015-09-02T09:54:46+00:00
2024-08-12T05:28:36+00:00
https://www.vice.com/de/article/cacio-e-pepe-437/
Dark Sky nehmen dich und &#8220;The Walker&#8221; mit auf einen Spaziergang der besondern Art
Die Platte für den Zwischenraum. Für das Warm-up. Für den Regio nach Hause am nächsten Morgen. Dark Sky aus London haben sie aufgenommen. Monkeytown haut sie heute raus. Othona, das zweite Alben von Matt Benyayer und Tom Edwards auf dem Berliner Label wühlt sich einmal ganz subtil von Electronica zu Techno und Deep House, spannen die Texturen weit auf, horchen in die kleinen Nischen hinein. Eine richtig kleine Reise, sozusagen, die sich auch im Track “The Walker” widerspiegelt. Für den haben sie jetzt zusammen mit SAD auch ein Video gedreht, das den Titel mehr als wortwörtlich nimmt. Auch wenn die Spaziergänger an diesem sonderbaren Stand auf unerklärliche Weise in erratische Zustände geraten. Fast so, als würde ihnen die Musik in die Glieder fahren. Das neue Album von Dark Sky kannst du hier kaufen. Folge THUMP auf Facebook und Instagram.
THUMP Staff
[ "Album", "Dark Sky", "Monkeytown Records", "Musikvideo", "Thump", "thump premiere", "Tom Edwards", "video" ]
2017-04-07T13:56:25+00:00
2024-07-30T19:38:02+00:00
https://www.vice.com/de/article/dark-sky-nehmen-dich-und-the-walker-mit-auf-einen-spaziergang-der-besondern-art/