title
stringlengths
3
181
content
stringlengths
1
142k
author
stringlengths
0
126
keywords
listlengths
0
92
category
stringclasses
21 values
datePublished
stringdate
2004-11-01 12:00:00
2024-03-28 09:19:09
dateModified
stringdate
2024-07-30 13:08:02
2025-03-11 12:39:42
url
stringlengths
35
228
VICE RECORDS
Hast du dich schon mal gefragt, wer eigentlich Vice Records macht? Wir auch. Scheinbar ist es ein Typ namens Greg, der scheißreich ist und keine Ahnung von Musik hat. Und er hat auch noch eine Glatze.
[ "Vice Blog" ]
2006-06-19T03:31:59+00:00
2024-08-12T11:49:58+00:00
https://www.vice.com/de/article/vice-records/
Dorian Concept über die ‚Schönheit des Scheiterns’ auf seinem großartigen neuen Album
Wir befinden uns gerade zweifellos in einer ertragreichen Zeit für Künstler, die sich im tanzbaren Bereich irgendwo zwischen dem Organischen und dem Elektronischen bewegen. Acts wie Bonobo, Caribou, Tycho und DARKSIDE konnten von fast allen Seiten frenetischen Applaus ernten. Anscheinend gibt es für Ravekids doch noch mehr als heftige Drops und fette Basslines. In dieser Reihe von Künstlern wird sich schon bald ein neuer Name einfinden. Dorian Concept ist zwar kein brandneues Projekt—das Debütalbum When Planets Explode kam schon 2009 raus—aber sein schon bald auf Ninja Tune erscheinendes Joined Ends wird ihn schleunigst in die obige Liste katapultieren. Das Album durchkreuzt so unterschiedliche Genres wie Folk, Postrock und House und wird dabei von einer gewissen Melancholie und Oliver Johnsons Vorliebe für Hardware Synths zusammengehalten. Es hat was von Sadboy-Pop für die heimlich Verliebten. Die Tracks auf dem Album vermitteln oft eine Illusion von Üppigkeit, tatsächlich aber ist die Instrumentation sehr reduziert, was nur von Jonsons geschickten Arrangements kaschiert wird. Dieser Kontrast ist ein integraler Bestandteil des Ethos von Dorian Concept. „Software-technisch war ich immer schon sehr eingeschränkt”, sagt er gegenüber THUMP. „Durch meine musikalische Vergangenheit als Keyboarder und dadurch, dass ich als Kind Klavier gespielt habe, habe ich immer schon ein richtiges Instrument in meinen Händen gebraucht. Mir hat daran schon immer gefallen, dass damit auch gewisse Einschränkungen einhergehen. Ich habe noch nie wirklich mit Software-Synthesizern gearbeitet. Wenn du MIDI-Noten hast und einfach durch verschiedene Sounds skippen kannst, bin ich für meinen Teil schnell überfordert. Ich tendiere immer dazu, auf etwas zurückzugreifen, das limitierter ist.” In einer Ära, in der die Büchse der Pandora im Bereich Studiotechnik schon längst geöffnet worden ist, erfreut sich Johnson an Einschränkungen und daran, wie er selber damit umgeht. „Für mich war es noch nie von Vorteil, bei meiner Arbeit zu viele Möglichkeiten zur Hand zu haben. Es hängt eigentlich alles davon ab, wie du in den kreativen Schaffensprozess kommst. Selbst der MicroKorg, den ich gerade viel verwende, ist durch die ganzen Reisen ziemlich ramponiert. Es fehlen sogar Tasten, so dass ich improvisieren muss. Ich kompensiere die fehlenden Noten zum Beispiel dadurch, dass ich eine Oktave höher oder runter springe. Einschränkungen haben mich schon immer dazu gebracht, mein Denken zu verändern.” Und weiter, „Wenn du aufwächst, lernst du viel durch Imitation. Heutzutage mit den ganzen Software Synths und den Ableton Tutorials kannst du Sachen viel zu schnell und zu genau nachahmen. Wenn du aber nur ein schrottreifes Keyboard hast und damit versuchst, den Klang eines Orchesters nachzuahmen, dann wirst du auf eine wunderschöne Art daran scheitern. Du wirst dem so nahe kommen, wie du nur kannst; weil es technisch aber einfach unmöglich ist, wirst du gleichzeitig etwas Anderes, etwas Einzigartiges erschaffen. Es ist das Scheitern der Imitation, das ich schon immer spannend fand.” Sein Verhältnis zum ebenfalls unnachahmlichen Label Ninja Tune begann offiziell zwar 2009, für den Österreicher ging die Kreativ-Beziehung aber schon viel früher los. „Mein erstes Konzert überhaupt war Kid Koala und Bullfrog. Da war ich 15 oder 16 Jahre alt”, so Johnson. Und auch seine aktuellen Labelkollegen sind gleichzeitig Künstler, die ihn beeinflusst haben. „Simon [Green, Bonobo] und ich haben eine ähnliche Art zu arbeiten. Ich habe ihn immer dafür bewundert, dass er einer der wenigen Menschen ist, der eine Platte durch reine Studioarbeit so warm und schön klingen lassen kann. Machinedrum, Travis, ist auch ein guter Freund von mir. Auf dem Label ist schon ein netter Mix aus Leuten vertreten.” Wenn du jetzt aber denkst, du würdest zur schnellen Sorte gehören, dann muss ich dich enttäuschen. Flying Lotus hatte Dorian Concept schon 2008 für sich entdeckt. „Wir sind vor langer Zeit über MySpace in Kontakt gekommen”, erklärt Johnson, „damals, als die Seite noch eine Rolle gespielt hat. Das muss 2008 gewesen sein. Er hatte einen meiner Tracks in seinem Essential Mix gespielt. Als er dann nach Europa kam, war das das erste Mal, dass er versuchte, seine Liveshow etwas auszuarbeiten, und hat dann mich und seinen Drummer Richard Spaven gebeten, ihn bei 10 Terminen zu begleiten. Es war hart, da seine Soloshows für sich schon sehr stark und seine Produktionen so dicht sind. Es gab schon einen Druck, diese Energie hochzuhalten. Für mich als Keyboarder war das eine große Herausforderung. Jede Nacht baute er das Set komplett um. Er ist schon immer ein großer Befürworter der Jazz-Tradition gewesen und möchte auch, dass das Publikum davon etwas abbekommt. Er will zeigen, dass Improvisation noch immer eine relevante und lebendige Kunstform ist.” Ein Gespür für Improvisation ist auch ein fester Bestandteil von Dorian Concepts Konzerten, aber die Tour für Joined Ends wird mit seinem bislang ambitioniertesten Live-Setup aufwarten: „Bis jetzt habe ich immer nur Ableton und MicroKorg-Shows gespielt, bei denen ich dann zu meinen eigenen Tracks improvisiert und verschiedene Elemente gesteuert habe. Für dieses Album arbeite ich gerade daran, ein Trio zusammenzubekommen. Mein ganzes Leben lang, auch als ich als Teenager in Bands gespielt habe, läuft es schon so, dass ich allein im Studio sitze und merke, dass es mich nicht glücklich macht, und dann will ich mit Musikern spielen, merke aber schon bald, dass das sehr frustrierend ist, und gehe wieder zurück ins Studio. Es ist ein ewiger Kreislauf. Zum Glück sind die beiden Menschen, mit denen ich spiele, auch sehr gute Freunde von mir!” In den nächsten Wochen wird Dorian Concept jedenfalls ganz und gar nicht alleine im Studio sitzen, er ist für fünf Wochen in der Red Bull Music Academy in Tokio dabei, um mit den jungen Teilnehmern Musik zu machen, im Studio zu arbeiten und natürlich auch live spielen—an einem Abend mit dem Tokyo Secret Strings Quartet. Folge Jemayel Khawaja bei Twitter—@JemayelK ** Folgt THUMP auf Facebook und Twitter.
Jemayel Khawaja
[ "Dorian Concept", "flying lotus", "Joined Ends", "keyboards", "ninja tune", "Thump", "thump blog", "Words" ]
2014-10-09T15:40:00+00:00
2024-07-31T04:41:54+00:00
https://www.vice.com/de/article/dorian-concept-joined-ends/
Rookies Part 2
Als wir 14 waren, haben wir unsere Freizeit mit Bier aus Papas Kühlschrank, grottenschlechtem Nachmittagsfernsehen und Videospielen verbracht. Manchmal sind wir zwar mit der Familie auf Skiurlaub gefahren und haben versucht, auf dem Snowboard lebendig ins Tal zu kommen, gesponsert haben uns dabei aber nur unsere Eltern. Und das auch nur weil sie uns lieben müssen. Es gibt aber auch junge Leute, die bereits in Teenagerjahren auf beeindruckende Erfolge zurückblicken und sich „alte Hasen im Business“ nennen können. Entdeckt werden sie bei Nachwuchswettbewerben wie dem Austrian Rookie Contest, einem dreitägigen Snowboard Freestyle Event, der seit 2004 jährlich in Vorarlberg stattfindet. Dort werden die Nachwuchstalente mit Sponsoren und Presse zusammengeführt, zeigen, was sie draufhaben, und feiern zum Abschluss eine Riesenparty. Wir haben uns ein paar von ihnen geschnappt und sie mit unseren Fragen belästigt. Natürlich reicht es uns dabei nicht zu erfahren, welche Tricks sie können und welche Preise sie schon eingeheimst haben, wir wollen wissen, was sie essen, welche Luft sie am liebsten atmen und was sie cool finden. Schließlich wissen wir nicht, wie es ist, Gratisausrüstung und Klamotten zu bekommen und kreischende Fans zu haben, die nicht unsere unmittelbare Verwandtschaft sind. SARAH JANE PHILLIPS  Als wir Sarah gefragt haben, ob sie uns für den Snowboardguide ein Interview geben will, hat sie erstens gerade ihren 25. Geburtstag gefeiert und war zweitens etwas beleidigt, dass wir sie als Rookie bezeichnen. Aber das heißt nur, dass das, was Sarah jetzt schon erreicht hat, erst der Anfang ist. Geburtstag? 23. 06. 1987. Seit ich 14 bin, boarde ich. Sponsoren? Airblaster, Bern, Capita, Deeluxe, Pilotto, Pow. Bestes Hüttenessen? Kaspressknödelsuppe Beste Pick-up Line? „Da stimmt was mit meinem Handy nicht … deine Nummer ist nicht drin!“ Bestes Katermittel? Vegemite und viel Wasser Lieblingsboard? CAPiTA Space Metal Fantasy Dein Idol? Joey Sexton Wovor hast du eine Scheißangst? Vor Höhen und Ballons. Lieblingswort? Gschtiascht Lieblingsserie/Comic? Medical Detectives Gehst du noch zur Schule? Hast du Spaß dort? Ich studiere an der Uni und es macht sogar Spaß! Sachen in einem Labor zu mischen, würd jedem Spaß machen, glaub ich. Was willst du noch alles erreichen? Videopart, Studium, Kickflip. Welche Vor-/Nachteile hat es, ein Mädchen in der Boarderszene zu sein? Ich seh mich eigentlich gar nicht als „Mädchen in der Boarderszene“, weil ich hauptsächlich mit Burschen fahre und sie mich auch gar nicht anders oder besonders behandeln. Nachteil: Ich kann nicht einfach gegen einen Baum pinkeln. JOHANNA STERNAT   Johanna hat schon an den Olympischen Spielen teilgenommen, was ziemlich wenige von sich behaupten können. Wir neigen aus Respektunser Haupt vor der Kärntnerin. Geburtstag? 29. 04. 1995 Bestes Hüttenessen? Kaiserschmarren  Lieblingsboard? Flow Venus Dein bester Trick? Backside 3 Beste Après-Ski-Musik? Andreas Gabalier Bestes Skigebiet? Planai Deine Schwäche(n)? Höhenangst!!!!! Lieblingsmarke? Roxy Welche Zutaten sind im perfekten Snowboardwasser? Orangensaft, Holundersaft und ein bisschen Grenadinesirup mit einem kleinen Spritzer Zitrone. Einfach köstlich! Bestes Abschneiden bei einem Contest? 1st Place, QParks Tour Overall Gehst du noch zur Schule? Hast du Spaß dort? Ich gehe in die Skihandelsschule in Schladming und ich liebe diese Schule. Sie ist einfach die perfekte Schule für Leistungssportler. MAX BURI  Snowboarder, die einen eigenen Tumblr haben,können nur cool sein. Deshalb sparen wir uns die Einleitung und belassen es bei fuckyeahmaxburi.tumblr.com Geburtstag? 15. 06. 1993 Sponsoren? Salomon, Oakley, Dakine, Clast, Doodah, Jungfraubahnen Lieblingsmarke? Alle meine Sponsoren. Beste Pick-up Line? Bond. James Bond. Lieblingsboard? Salomon Powder Snake Bester Snowpark? Laax Bestes Skigebiet? Grindelwald Lieblingswort? Sick Wovor hast du eine Scheißangst? Angst? Das Beste am Boarden? Freiheit Rookie-Bromance? Haha, bestimmt mit unserer Vagabonds Crew! Wichtigstes Gadget am Berg? Snowboard, Wasser, Goggles Bester Schnaps (darfst du überhaupt schon trinken)? Haha, schon seit letztem Sommer! Jägermeister. ALOIS LINDMOSER   Alois kommt aus St. Martin (wo auch immer das ist) und statt abgetragener Hosen und Pullover hat er ein Snowboard von seinem Bruder bekommen. Dafür beneiden wir ihn. Geburtstag? 12. 02. 1997 Bist du auch einmal Ski gefahren oder fährst du noch Ski? Zwischendurch musste ich aufs Skifahren umsteigen, da im Kindergarten das Snowboard Hausverbot hatte, haha. Bestes Hüttenessen? Ich mache mir die Jause selbst und ess sie am Berg. Beste Pick-up Line? Zu mir oder zu dir?! Lieblingsboard? Burden von Burton Welchen Trick kannst du am besten? FS 720 Rookie-Bromance? Forever alone! Nein, Spaß, meine besten Freundinnen Alina und Regi – ohne sie wäre es langweilig am Berg! Beste Après-Ski-Musik? Après-Ski ist nur was für besoffene Touristen. Dein Idol? Mein großer Bruder, da er mich überhaupt erst zum Snowboarden motiviert hat. Wichtigstes Gadget am Berg? Der Rucksack von meinem Bruder, darin findet man immer etwas Essbares. Beste Musik während dem Boarden? Eindeutig Dupstep und Techno. Bester Snowpark? Horsefeathers Superpark Dachstein Bestes Skigebiet? Flachauwinkl Absolut Park Wovor hast du eine Scheißangst? Früher hatte ich vor Clowns Angst, die sind einfach unheimlich, oder? Sponsoren? Burton, Weazle Wear, Tigas Base, Swix, Claro und Lindmoser Versicherung Photos von Andy Philips, Johannes Bronnenmayer, Rudi Wyhlidal, Felix Schett
Yalda Walter
[ "rookies", "Sport", "VICE Snow", "VICE Snowboardguide" ]
2013-03-25T10:34:00+00:00
2024-07-31T05:42:14+00:00
https://www.vice.com/de/article/rookies-part-2/
Was mache ich, wenn ich eine Mörderin in der Familie habe?
Illustrationen von Matt Rota Als ich vier oder fünf Jahre alt war, fand ich meine Großmutter manchmal weinend in ihrem Schlafzimmer vor. Sie saß dann auf der Bettkante und verbrauchte kartonweise Papiertaschentücher. Ich glaube nicht, dass sie sich anderen Menschen je von dieser Seite gezeigt hat. Vielleicht empfand sie eine kosmische Verbundenheit mit mir, denn mein zweiter Vorname war der Name ihres Vaters und ich hatte viel von seinem guten Aussehen geerbt. Sie weinte um ihre Tochter Martha, die im Alter von 28 Jahren an Hautkrebs gestorben war. Zehn Jahre später, nachdem Norman-ihr jüngstes Kind und mein Onkel-ebenfalls mit 28 verstarb, weinte sie auch um ihn. Um Großmutter herum starben die Menschen wie die Fliegen-ihre Kinder, ihre Ehemänner, ihr Lebensgefährte. Sie war ihr ganzes Leben lang in einem Zustand der Trauer. Wie sie da in der düsteren Dachkammer saß, in ihrem hohen, weichen Bett versunken, umgeben vom muffigen Geruch hohen Alters, war sie eine Verkörperung dessen, dass Mütter nicht bekommen, was sie verdienen. Wenn ich heute daran zurückdenke, stelle ich mir allerdings nicht mehr die Frage, ob Großmutter bekommen hat, was sie als Mutter verdiente. Vielmehr frage ich mich, ob sie bekommen hat, was sie als Mörderin verdiente. Vor ein paar Monaten packte ich Frau und Kinder ins Auto und fuhr los, um Großmutter zu besuchen. Ich hatte sie mehr als anderthalb Jahre nicht gesehen. In dieser Zeit war sie aus ihrem Haus in eine Senioreneinrichtung und aus dieser in eine andere Senioreneinrichtung gezogen. Es gab keinen triftigen Grund, sie so zu vernachlässigen-ich bin vermutlich einfach nicht damit zurechtgekommen, wie wir ihr Haus zurückgelassen hatten. Eine Katastrophe. Völlig zugemüllt. Die Käufer hatten versprochen, sich darum zu kümmern. Und das haben sie auch getan-sie haben das ganze Ding komplett abgerissen. Ein Freund meines Bruders, der in dem Viertel auf Long Island wohnt, meinte, es sei der Skandal des Jahres gewesen. Das Haus, in dem ich als Kind so viel Zeit verbracht hatte, war einfach ekelhaft. In den späten 1990er Jahren hatten mein Bruder und ich dort einmal drei Tage mit Entrümpeln verbracht. Joe, der letzte Lebensgefährte meiner Großmutter, war gestorben, und seine Sachen waren noch da. Er war einer von fünf Verstorbenen, deren Zeug zurückgeblieben war, verteilt im ganzen Haus. Die Sachen meiner Tante, die Sachen meines Onkels, die Sachen meines Großvaters, und der Kram von Großmutters zweitem Ehemann füllten, so schätze ich, nahezu die Hälfte des gesamten Hauses. Führerscheine und wichtige Papiere, halb fertige Projekte und Andenken wie die verrosteten Schrauben, die mein Onkel Norman auf seinen Tauchgängen aus versunkenen Wracks gezogen hatte. In der Werkstatt im Keller fanden wir ein paar herumliegende, halb geschmolzene Heroinlöffel (Großmutter hatte offenbar einige sehr fragwürdige Personen beherbergt), und im Hinterhof stießen wir auf einen großen schwarzen Müllsack voller toter Tiere. Man konnte dem Müllsack seinen Inhalt von außen ansehen, da sich die Formen der Tierkadaver deutlich abzeichneten. Wir lugten so flüchtig hinein, dass wir zwar Kadaver erkennen konnten, nicht aber ihre Art. Mein Bruder meinte, er habe Schildkröten gesehen. Das ist plausibel, da unsere Mutter eines halbes Dutzend Schildkröten gehalten hatte, die alle in einer unerklärlichen plötzlichen Katastrophe verendet waren. Ich sah eine Eule, was weniger plausibel, aber nicht unmöglich ist, denn auf Long Island leben Eulen. Wir einigten uns darauf, dass in dem Müllsack höchstwahrscheinlich vor allem Katzen und Waschbären steckten, die ständig in Großmutters Müll herumwühlten. Sie hatte sie immer von der Hintertür aus angeschrien. Das letzte Mal, als ich den Sack sah, lag er auf dem Rasen, bereit für die Müllabfuhr. Durch die glänzend schwarze Plastikfolie zeichneten sich immer noch die rundlichen Formen der Tierschenkel ab. Die Toiletten waren voll, nicht heruntergespült und mit Babypuder verkrustet. Meine Großmutter meinte, nicht hinunter­zuspülen sei sparsam. Im Grunde wollte sie dir immer nur eintrichtern, dass es nichts Wichtigeres gibt, als zu sparen. Zu Großmutters Verteidigung muss man sagen, dass sie das Licht der Welt während der Zeit der Großen Depression erblickt und diese Ära gedanklich nie verlassen hat. Als es in den 1990er und nuller Jahren wirtschaftlich bergab ging, betonte sie unentwegt die kulturellen Ähnlichkeiten: In Zeiten des Mangels gebe es immer eine Wende hin zu mythischem Denken, Selbsthilfe und zum Okkulten, erklärte sie ausführlich. Damit hatte sie sicher recht. Denn auch in hohem Alter blieb sie interessiert und informiert. Wenn sie durch ihr widerliches Haus geisterte, plärrte aus jedem Zimmer ein Radio. Sie wusste über tausend Dinge Bescheid, zum Beispiel, dass man mit Pflaumensaft Haare färben konnte (bis heute ist ihr Haar pflaumenbraun). Sie hatte im Radio einen Zahnarzt gehört, der dazu riet, den Mund mit Wasser auszuspülen und Zahnseide zu benutzen, wenn es keine Möglichkeit gibt, die Zähne zu putzen. Während ich das schreibe, ist sie 94 Jahre alt und hat noch alle Zähne im Mund. Nur sitzen sie jetzt locker. Ihr gesamter Kiefer scheint locker zu sitzen. Bei unserem Besuch in der Senioreneinrichtung reparierte ich ihre Hörgeräte, und meine Frau kaufte Inkontinenzwindeln. Großmutter erkennt mich kaum, und als ich sie nach ihren Kindern fragte, konnte sie sich nicht an Martha erinnern. Die Kinder saßen vor Schreck wie gelähmt mit offenen Mündern da. Für sie war das letzte Jahr eine einzige Reise an Totenbetten gewesen: Gigipop. Poppa. Abuelita. Granmaman. And jetzt Großmutter. Sie würde ganz offensichtlich die nächste sein. Es gelang ihnen, sich zusammenzureißen, als Großmutter sie darum bat, ihr etwas vorzusingen. Aus der Schule kannten sie ein paar deutsche Lieder, und sie sang mit. Wenn sie singe, sagte sie, kehre sie in ihre Kindheit zurück. Als Kind war ich oft, manchmal mehrere Wochen am Stück, bei meiner Großmutter, um meine viel zu jungen Eltern zu entlasten. Sie erzählte mir, dass wir Juden Dinge erfinden würden, dass Juden keinen Alkohol tränken, dass Juden schlau seien, weil ihre Philosophie das Denken wertschätze und dass ich Juden nicht Juden nennen solle. Als ich meine Verlobung mit einer Nichtjüdin verkündete, flehte Großmutter mich auf Knien an, nicht in einer Kirche zu heiraten. Die Hochzeit fand auf einem Tennisplatz statt. Großmutter war die Ballkönigin und flirtete mit den 20 Jahre jüngeren Onkeln meiner Frau. Großmutters Wissen über Ernährung stammt aus den 1960er Jahren. Bis Mitte der 1970er Jahre hatte sie im Selbstverlag mehrere mittels Mimeograf vervielfältigte Bücher über Nahrungsaufnahme und Vitamine herausgegeben. Ungefähr um diese Zeit, vielleicht aber auch schon früher, hat sie wohl damit begonnen, Leute zu vergiften. Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, was genau sie mit welchen Wirkstoffen angestellt hat. Ich bin mir noch nicht einmal sicher, ob sie wirklich das getan hat, was ich glaube. Alles, was ich habe, sind eigentlich nur bruchstückhafte Indizien und Ahnungen, die sich über die Jahre angesammelt haben. Ich mutmaße aber, dass sie vorzugsweise Vitamin A benutzte (es kann u. a. Müdigkeit, verschwommene Sicht und Übelkeit verursachen), dann auf Abführmittel umstieg, und als sie älter und fauler wurde, zu verschreibungspflichtigen Medikamenten überging. Großmutter kochte nie ein Gericht ein zweites Mal. Ihre Kreationen waren unglaublich fettig und meist ziemlich eigentümlich. Zum Beispiel überbackenes Hühnchen mit Aprikosen und Dosentomaten oder gemischtes Hackfleisch mit Pflaumen oder Eingelegtem. Im örtlichen Lebensmittelgeschäft war sie berüchtigt. Für sie wurde Haileber zurückgelegt. In späteren Jahren tischte sie Fertig- oder Halbfertiggerichte auf. Das wurde später ihre Lieblingsmethode. Sie verfolgte die höchst effektive Strategie, unglaubliche Mengen deines Lieblingsessens zu kaufen und es unerbittlich in dich hineinzustopfen. Und du hast es gegessen-den importierten Jarlsberg-Käse, die Eiscreme. Anschließend wurdest du auf der Couch ohnmächtig oder im Zug zurück in die Stadt. Je länger der Aufenthalt bei Großmutter, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass dir etwas Schlimmes widerfuhr. Wenn du für eine Woche zu Besuch warst, hast du Durchfall bekommen, du warst erschöpft oder deine Sicht wurde verschwommen. Anfangs verweigerte nur meine Mutter Großmutters Essen, und ich hielt sie für paranoid. Dann fiel mir allmählich auf, dass ich bei Großmutter jedes Mal auf der Couch oder im Zug nach Hause wegkippte. Als ich aufhörte, Großmutters Essen zu essen, hielt mein Bruder mich für paranoid. Aber ich wurde nicht mehr ohnmächtig, und wenig später hörte auch mein Bruder auf, Großmutters Essen zu essen. Du willst gar nicht glauben, dass deine Großmutter dich vergiftet. Du weißt, dass sie dich liebt-daran besteht kein Zweifel-und sie ist so wunderbar großmütterlich und charmant. Wider besseren Wissens isst du ihr Essen so lange, bis du so oft ohnmächtig geworden bist, dass jeder Zweifel ausgeschlossen ist. Schließlich gingen wir dazu über, uns für die Ferien bei Großmutter mit Lebensmitteln einzudecken oder uns irgendwo was zu essen zu holen. Es schien sie zu erleichtern, dass sie unser Essen nicht anrühren durfte. Damals wurde ihre Sehkraft langsam schwächer, sodass sie die feine Schicht kristallinen Pulvers auf dem teuren Räucherlachs, den sie dir servierte, nicht sehen konnte. Es stellte sich nur die Frage: Wie erklärten wir Gästen, Außenstehenden, dass sie Großmutters Essen bloß nicht anrühren sollten? Einmal, es war wohl an Pessach, brachte mein Bruder seine neue Freundin, eine Schauspielerin, mit. Großmutter hatte versprochen nichts zu kochen, und es schien, als hätte sie Wort gehalten, sodass wir die giftige Angelegenheit der Freundin gegenüber gar nicht erst erwähnten. Aber nach dem Lunch kam Großmutter mit diesen furchtbar unansehnlichen Hafermehl-Rosinenkeksen aus der Küche. Die Freundin meines Bruders aß, vermutlich aus Höflichkeit, zwei davon. Wir schauten erstarrt zu. Sie hatte eine Probe in der Stadt, wurde aber auf der Couch ohnmächtig und verpasste sie. Warum aber sollte Großmutter uns vergiften wollen? Eine Zeit lang meinte meine Mutter, Großmutter habe ein Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom, eine Störung, die Pflegende dazu veranlasst, Kranke zu vergiften oder zu verletzen, damit sie weiter von ihnen abhängig bleiben. Und ich? Ich bin mir sicher, dass Großmutter niemanden verletzen wollte. Wenn sie dir etwas Präpariertes servierte, dann, weil sie dich bei sich behalten wollte-sie sorgte gern dafür, dass man den Zug verpasste. „Bleib ruhig über Nacht, bleib über Nacht”, flötete sie. Was würde Großmutter eigentlich dazu sagen? Selbst wenn sie wollte und dazu in der Lage wäre, sich mir zu erklären, bezweifle ich, dass sie dazu fähig wäre. Sie war schon immer allen ein Rätsel, wohl auch sich selbst. Da ist diese Geschichte, die sie immer erzählte: Als sie noch sehr jung war, versuchte ein Junge sie in einer Kammer zu küssen. Sie schubst ihn weg, rannte nach Hause und weinte und weinte. „Warum, Großmutter?”, fragten wir dann. „Weil”, so ihre Antwort, „ich in ihn verliebt war!” Großmutters Vater war ein älterer Mann, hochgewachsen und attraktiv, ein Witwer, der in Russland Kavallerist gewesen war. Ihre Mutter war 17, als sie ihn heiratete. Das Ehepaar hatte vier Töchter und einen Sohn, der sehr jung starb. Als die Wirtschaftskrise ausbrach, wurde ihr Vater in das Büro der Brooklyner Fabrik bestellt, wo er Vorarbeiter war: Man habe keine andere Wahl und müsse ihn entlassen. Er bat überall um eine Arbeit, egal welche, um seine Familie ernähren zu können. So wurde er Heizer, das heißt, er schaufelte Kohlen in einen Ofen. Eine Explosion, eine Verpuffung, oder so ähnlich, verletzte ihn schwer, und er kehrte nicht nach Hause zurück. Er war verschwunden. Drei Wochen nach dem Unfall trat meine Großmutter aus dem Haus, um mit einem Mann zu sprechen, der auf der Eingangstreppe des gegenüberliegenden Hauses hockte. Sein Gesicht war mit Verbänden umwickelt. Sie fragte, warum er nicht nach Hause gekommen sei, und er antwortete: „Ich hatte Angst, dass ihr mich nicht mehr lieben würdet.” Die Narben behielt er für den Rest seines Lebens. Ich habe meinen Urgroßvater Benjamin, meinen Namenspatron, nie kennengelernt. Großmutters erste Ehemann, Irving-mit ihm war sie in den 1950er und 1960er Jahren verheiratet-wurde genau wie ihr Vater von allen bewundert. Er machte Geschäfte mit Italienern, jedenfalls ist das eine Art, seinen Beruf zu beschreiben. Nach 20 Jahren Ehe ließ Großmutter sich von ihm scheiden, und erst sehr viel später schwante mir, dass Irvings möglicherweise Furcht einflößende Seite der Grund dafür gewesen sein könnte. 1982 hatte Irving im Alter von 70 Jahren einen Autounfall. Er war mit seinem Cadillac vom Highway abgekommen. Vielleicht weil er eingeschlafen war, vielleicht lag es aber auch an dem Schraubenzieher, der in der Lenksäule entdeckt wurde. Sein Kopf wurde in dem Wrack zertrümmert, aber er war ein zäher alter Jude. Vier Jahre später wachte er wieder auf und verbrachte weitere zehn Jahre im Kampf gegen die Lähmung, bevor mit Ende 80 verstarb. Währenddessen war sein Geld Gegenstand eines verwickelten Rechtsstreits geworden, der damit endete, dass Irvings Geschäftspartner und seine zweite Ehefrau (die ihn pflegte) den größten Teil seines Vermögens erhielten. Großmutter bedauerte unterdessen, Irving verlassen zu haben. Sie meinte immer: „Nach all dem, was er den ganzen Tag über getrieben hatte, konnte er nicht einfach nach Hause kommen und den Saubermann spielen, wirklich nicht.” Martha, Großmutters erstes Kind und meine Tante, erkrankte in ihren 20ern an Krebs. Großmutter pflegte sie. Martha ist möglicherweise an ihrer Krankheit gestorben, aber … na ja, ich weiß nicht. Aaron, Großmutters zweiter Ehemann, starb in den 1970er Jahren auch an Krebs. Er war taub, hasste das Fernsehen und schrie die Kinder an-Großmutter sagte, sie habe ihn geheiratet, weil „er der einzige war, der sie haben wollte”. Er rauchte Pfeife. Nach seiner ersten Kehlkopfkrebsoperation spielte er mit mir Pingpong und benahm sich weniger monsterartig. Er fing an zu gärtnern. Aber egal wie viel er aß, er verlor immer mehr Gewicht und welkte dahin. Nun … auch hier könnte es einfach nur der Krebs gewesen sein. Der nächste im Trauerzug war Norman, Großmutters jüngstes Kind und ihr einziger Sohn. Um es gleich zu sagen: Norman war ein Scheißkerl. Er war nur acht Jahre älter als ich und quälte mich, als ich klein war. Er hatte ein ziemlich fieses Lachen, wie ein quiekendes Schwein. Kein fröhliches Schwein. Ein leidendes Schwein. Er bedrohte mich immer mit Messern und stahl und zerstörte meine Sachen. Er versuchte mir einzureden, dass er mich mitten in der Nacht kidnappen und an „die Araber” verkaufen würde. Vielleicht tat er das alles nur, weil er neidisch auf mich war; er war untersetzt und sah jüdisch aus, weshalb meine blonde und blauäugige Großmutter ihn abstoßend fand. In deutlichem Kontrast zu Norman, dem schwabbeligen Versager, war ich der geborene Sportler, sah nicht aus wie ein Jude und war deshalb Großmutters Liebling. Einmal habe ich gesehen, wie Großmutter Norman bestrafte. Sie stellte ihn vor den offenen Ofen, drehte die Grillflammen auf und drohte ihm, seinen Schwanz zu verbrennen. Er war damals vielleicht zwölf. Außerdem zwang sie ihm ihre extra für ihn gekochten, üppigen Gerichte auf. Weil er nicht noch dicker werden wollte, lehnte er ab, aber sie hielt ihm das Essen so lange vor die Nase, bis er schließlich aß-worauf sie ihn beschimpfte, dass er so dick wäre. Norman liebte Waffen. Er sammelte tödliche Gerätschaften wie Armbrüste und Äxte, und alle fürchteten sich vor ihm. Manchmal stürmte er das Haus mit einem Bowiemesser oder einer Machete in der Hand. Ich war etwa sieben Jahre alt, als er meinen Arm mit Methan übergoss und anzündete, nur um mir zu zeigen, wie viel Energie in Methan steckt und dass ich mich beim Anzünden nicht verletzen würde. Es stimmte, ich spürte keinen Schmerz, obwohl alle Haare auf meinem Arm verbrannten. Ein anderes Mal, ich war als Teenager zu Besuch, fiel eine Horde Kinder mit Fußtritten über mich her. Meine Mutter war der Ansicht, dass Norman sie geschickt habe. Sollte ich erwähnen, dass er ein Genie war? War er, er konnte alles. Als ich acht war, ging er mit mir zur Canal Street, nur wenige Blöcke entfernt von meinem Zuhause in Tribeca, um mir zu zeigen, dass er aus den dort gekauften Computerteilen an nur einem Nachmittag ein funktionsfähiges Gerät zusammenbauen konnte. In den späten 1980er Jahren lebte Norman mit 28 Jahren immer noch bei Großmutter, aber er bekam die Dinge so langsam in den Griff: Er hatte abgenommen, er hatte eine Freundin, und er dachte über eine Karriere in der Computerbranche nach, mit „Netzwerkcomputern”, wie man das, was später das Internet werden sollte, damals nannte. Er tauchte gerne. Er legte sich mit voller Tauchausrüstung in die Wanne und schlief unter Wasser. Manchmal mietete er ein Boot und tauchte zu Wracks hinab, um sie zu fotografieren. Am Unfalltag wollte er mit einem Mietboot rausfahren, aber Großmutter war dagegen-sie beschwerte sich immer, dass es so teuer war-also schob sie ihm etwas unter. Vermute ich. Er fühlte sich an dem Morgen überhaupt nicht wohl; er fürchtete, krank zu werden. Sein Partner überredete ihn, trotzdem mit ihm rauszufahren, und dann kam es unter Wasser zu einem Problem mit der Einstellung von Normans Ausrüstung. Vielleicht eine Fehlfunktion, vielleicht sein eigener Fehler; er hatte seine Ausrüstung ganz auf sich zugeschnitten (denn er war ja ein Genie). Sein Tauchpartner schwamm allein zur Oberfläche, anstatt seine Sauerstoffflasche beim Aufstieg mit Norman im „Buddy-System” zu teilen. Wir wissen nicht genau, warum Norman unten geblieben ist. Vielleicht glaubte er, nicht mehr genug Sauerstoff für einen „kontrollierten Notaufstieg” zu haben-also wenn man auf dem gesamten Weg nach oben konstant ausatmet. Oder er hat sich in dem U-Boot-Wrack verheddert, das er und sein Partner untersuchten. Oder er war so neben der Spur, dass er sich nicht mehr selbst retten konnte. Taucher können Notfallflaggen an die Oberfläche schießen, um den Rettungstaucher zu alarmieren, der an Deck des Bootes immer in Bereitschaft sein sollte, und Norman schoß seine Flagge hoch. Aber das war Long Island, wo man Regeln bezüglich Rettungstauchern an Bord von Booten nicht besonders ernst nahm. Also starb Norman da unten, während er der verdammten Flagge hinterherschaute. Dann war da die Fehlgeburt meiner Frau. Komische Sache. „Komisch” ist wohl das falsche Wort, aber ich hatte die Sache verdrängt, bis ich beschloss, diese Geschichte zu schreiben und ein paar alte Notizen durchging. Als wir die Schwangerschaft verkündeten, flippte Großmutter total aus, dass nun noch ein Maul zu füttern sei und wir uns das nicht leisten könnten. Kurz bevor meine Frau die Fehlgeburt hatte, waren wir bei Großmutter gewesen. Meine Frau wusste zwar, dass sie dort besser nichts aß, aber irgendwann wird jeder mal unvorsichtig. Na ja … die Schwangerschaft war eigentlich so weit fortgeschritten, dass es für eine Fehlgeburt sehr spät war. Und das Datum passte. Es könnte aber auch ein Zufall gewesen sein. Als wir später doch ein Kind hatten, kam Großmutter zum Gratulieren. Ihr Geschenk für das Baby: eine chirurgische Schere. Bei einem anderen Besuch brachte Großmutter uns Rote Beete mit. Sie hatte x Rezepte, Rote Beete hier und Rote Beete dort, alle mit haufenweise Sonnenblumenkernen. Auf eine ihrer Erfindungen war sie extrem stolz: Rote-Beete-Sonnenblumenkerneiscreme. „Besser geht’s ernährungstechnisch nicht”, sagte sie. „Kuck nach.” Das tat ich: „Eingelegte Rote Beete und Sonnenblumenkerne”, tippte ich in meinen Computer. „DRINGENDER PRODUKTE RÜCKRUF”, spuckte Google aus. Alles, was sie uns mitgebracht hatte, war zurückgerufen worden. Wenn ich diese Geschichten erzähle, merke ich manch­mal, dass die Leute sich fragen, warum ich nichts unternommen habe. Nun ja, es war psychisch belastend, all das zusammenzutragen, und als Kind habe ich gar nicht verstanden, was da vor sich ging. Bevor Großmutter mich ins Bett brachte, gab sie mir manchmal eine sehr reichhaltige heiße Schokolade, die recht ölig und dünn aussah. Und wenn ich aufwachte, waren 24 oder sogar 72 Stunden vergangen. Drei oder vier Mal rasten wir mitten in der Nacht zum Krankenhaus, weil ich keine Luft bekam. Aber erst mit etwa Mitte 30 erkannte ich die Zusammenhänge, und es dämmerte mir, dass drei Tage am Stück zu schlafen weder normal noch ok ist und dass ich immer dann mitten in der Nacht aufwachte und nicht atmen konnte, wenn wir bei Grwoßmutter waren. Ich hab’s zwar heraus­gefunden, aber was nützt das? Nachdem Joe, Großmutters letzter Lebensgefährte, gestorben war, ging ich zur Polizei und erklärte ihnen, dass meine Großmutter offenbar die Finger im Spiel hatte. Sie fragten nur: „Und was wollen sie, dass wir jetzt machen?” Und jetzt habe ich wieder das Gefühl, dass ich etwas tun sollte. Damit es endlich ein Ende hat. Entweder lasse ich die Vergangenheit ruhen, vergebe ihr und begebe mich auf eine höhere geistige Ebene, oder ich finde Beweise für das, was sie jahrelang getrieben hat und zeige allen ihr wahres Wesen. Ich hatte immer vor, das Haus ein letztes Mal zu durchsuchen, aber jetzt ist es weg. Niemand exhumiert irgendwelche Leichen, und auch Großmutter selbst weiß nun nicht mehr, was sie getan hat. Es wird keinen Showdown geben. Und während ich da saß und zuhörte, wie Großmutter mit meinen Kindern sang-ich war den Tränen nahe-wurde mir klar, dass mir egal ist, was passiert ist, dass allen egal ist, was passiert ist, dass sich nur die Cops in CSI und die Ärzte in ER und muskelstrotzende Marines in Filmen dafür interessieren würden. Vor Kurzem habe ich mich mit einem Freund unterhalten, dem ich von Großmutter erzählt hatte. Mein Freund erwähnte ganz nebenbei, dass meine Großmutter mich aus Versehen hätte töten können, was mich überraschte. „Das stimmt nicht”, sagte ich. „Aber hattest du nicht Atemprobleme? Seid ihr nicht mitten in der Nacht ins Krankenhaus gerast? Sie wollte dich zwar nicht verletzen, aber sie wollte dich kontrollieren und sie hätte dich verletzen können.” „Das ist wohl richtig”, sagte ich und nickte langsam und ungläubig, denn Großmutter hätte mir nie wehgetan. Zwischen uns bestand doch eine kosmische Verbundenheit.
John Reed
[ "Die aktuelle Ausgabe", "Die Do it Well and Leave Something Witchy Issue", "familie", "Gifts", "Großmutter", "Jahrgang 10 Ausgabe 10", "Stuff", "Verbrechen", "VICE Magazine" ]
2015-01-08T13:00:00+00:00
2024-07-31T00:29:08+00:00
https://www.vice.com/de/article/meine-grossmutter-die-giftmischerin-0000860-v10n10/
Die Insel der gruseligen Puppen
Wenn sich Leute zu sehr mit Religion beschäftigen, passieren solche Dinge wie das sie Flugzeuge in Gebäude fliegen oder ihren Kinder die Sonntagskleider anziehen und sie in Bleichmittel ertränken. Im Kontext dieses theologischen Aufmerksamkeitsdefizits war es sogar noch recht plausibel von Don Julian, eine abgelegene Insel über und über mit gruseligen Puppen auszustaffieren um Christus zu huldigen. Wenn man einem der Gondoliere, die die Kanäle von Xochimilco am Rande von Mexiko City befahren, genug Geld in die Hand drückt, dann nehmen sie einen mit auf eine vier Stunden-Tour zu Don Julians Isla de las Muñecas, einer Insel die von einem Wald aus Kinderpuppen bedeckt ist, deren Plastikfleisch vor sich hinmodert und in der Sonne kocht. In den 50er Jahren predigte Don Julian das Wort Jesu Christi zu einer Zeit, als kein Mexikaner zuhören wollte, da sie meinten, dass nur ein ordinierter Priester das Recht hätte von Gott in all seiner Herrlichkeit zu sprechen. Die Leute waren so angepisst von Don Julian, dass sie ihn in schönster Regelmäßigkeit für seine Sünden verprügelten. Etwa zu dieser Zeit entstand dann auch seine seltsame Angewohnheit Mülleimer nach alten Puppen zu durchsuchen, die er liebevoll sammelte um, ganz klar, böse Geister abzuwehren. Er verlies schließlich Frau und Kinder und zog auf die einsame Insel, die für die kommenden 50 Jahre, bis zu seinem mysteriösen Tod im Jahr 2001 seine Heimat werden sollte. Es gibt eine Geschichte, die besagt, dass ein Mädchen vor der Insel ertrunken ist und Julian fest daran glaubte, dass er mit all seinen Puppen die bösen Geister des Totenreiches davon abhalten könnte irgendwas mit ihrer Seele anzustellen. Die Existenz des Mädchens wurde jedoch niemals bewiesen. Jahrzehntelang wurde Don Julian einfach ignoriert. Man beobachtete ihn ab und an, wie er in den Kanälen von Xochimilco nach weiteren, weggeworfenen Puppen für seine Sammlung auf der gruseligen Insel angelte. Die wenigen, die von Don Julios seltsamer Tätigkeit auf der Insel wussten, brachten ihm von Zeit zu Zeit neue Puppen im Tausch gegen Gemüse, das er auf der Insel anbaute. Er erschuf somit also eine Art vollkommen durchgeknallte Mikro-Wirtschaft, die auf unterdrückter religiöser Wut, phallischen Rüben und kaputten Puppen als Währung basierte. Trotz seiner makaberen Berufung, war Don Julian als ein netter und freundlicher Mann bekannt, der jederzeit Besuchergruppen über seinen Insel-Schrein aus verrottenden Kinderabbildern führte. Don Julians Sohn und Monec Seine Lieblingspuppe hieß Monec und am Ende seines Lebens saß Don Julian mit Monec in einer kleinen Hütte, deren Wände mit Kollagen aus Zeitungsberichten über ihn bedeckt waren, die in zudem zu einem kleinen Promi in Mexiko gemacht haben. Don Julians Geschichte fand 2001 mit 80 Jahren ein jähes Ende, als er ertrunken aufgefunden wurde. Man fand seinen Körper an exakt der Stelle, von der er immer behauptete, dass dort das kleine Mädchen ertrunken sei. Alles was er hinterlassen hat, sind seine Plastik-Babys, die noch immer in der unbarmherzigen Hitze vor sich hinschmoren. Sein Sohn kümmert sich um die Instandhaltung der gruseligen Insel und führt Touristen, die die lange Reise auf sich nehmen durch die degenerierte Sammlung, die Don Julian angehäuft hat. Klickt auf die zweite Seite, um mehr stimmungsvolle Fotos der gruseligen Puppen zu sehen.
ALEX HOBAN
[ "Reisen", "Vice Blog" ]
2011-05-07T09:42:00+00:00
2024-07-31T07:32:35+00:00
https://www.vice.com/de/article/die-insel-der-gruseligen-puppen/
Skinema—Dress-up Dolls
Regie: Kevin Moore Bewertung: 8 evilangel.com „Ja, ich habe ein Ku-Klux-Klan-Outfit—na und?“ So hatte ich eigentlich meine Kritik beginnen wollen. Aber um ehrlich zu sein, hasse ich dieses Ding und würde es nur allzu gerne loswerden. In meinen bisher acht Jahren als Hausbesitzer habe ich mich ständig bemüht, irgendwelchen dubiosen Scheißkram loszuwerden, der mir zu Rezensionszwecken zugesandt wurde. Auf der örtlichen Müllkippe fiel mir der Boden eines Waschmaschinenkartons voller alter VHS-Pornokassetten durch die Arme. Ich habe die Müllcontainer kleiner Shops vollgestopft mit Taschen voller transsexueller DVDs, die ich nicht tauschen und auch nicht an Passanten auf der Straße abgeben mochte. Ich habe ganze Beutel voller abgenutzter und/oder geschmolzener Silikon-Dildos Autobahnüberführungen hinuntergeworfen, um zu verhindern, dass die Müllabfuhr hinter das wahre Ausmaß meiner sexuellen Devianz kommt. (Seither frage ich mich, warum übereinandergelagerte Dildos miteinander verschmelzen.) Doch die alte gelbe Plastiktüte anzufassen, in der sich das KKK-Outfit seit zehn Jahren befindet, habe ich bisher nicht über das Herz gebracht. Nur fürs Protokoll: Auch wenn ich noch so gern mal ein Hitlerbärtchen trage und Witze auf Kosten des alten Gröfaz mache, war ich doch niemals auch nur das Geringste am KKK interessiert, noch nicht mal, um Witze darüber zu reißen. Wie jeder vernünftige Mensch hasse ich die Weißen. Jedenfalls mehr als jede andere Rasse. Ich bin mir nicht ganz sicher, wie das verdammte Ding überhaupt in meinen Besitz gelangt ist. Es wurde online erworben und von meinem guten Freund und ehemaligen Kollegen Dave Carnie für das Foto links getragen. Das Foto erschien in einer als „White Issue“ betitelten Ausgabe des mittlerweile nicht mehr existenten aufrührerischen Skateboardmagazins Big Brother, in der es um das Rassenthema ging. Ich tippe mal darauf, dass es 2004 bei mir landete, als Larry Flynt dem Magazin den Todesstoß versetzte, und wir 24 Stunden bekamen, um unsere Büros zu räumen, und unser Hab und Gut in einem gewaltigen Chaos wahllos in Kisten verpackten, die dann unseren diversen Adressen zugestellt wurden. Wir lieben es, uns Zuhause zu verkleiden. Wir haben kistenweise Masken, Kostüme und Perücken und so, aber nichts in der Art eines Klan-Gewandes mit Kapuze. Es ist einfach nur böse. Wie der böse Ring im Hobbit lag es viele Jahre lang irgendwo verborgen … bis wir in unser Haus zogen und meine Frau es beim Auspacken entdeckte. Mein erster Impuls bestand natürlich darin, sie zum Aufsetzen der Kapuze zu bewegen, um ein paar sexy Fotos zu machen, aber darauf wollte sie sich absolut nicht einlassen. Ich setzte mir die Kapuze auf, nur um sie Sekunden darauf auf den Boden zu schleudern, als hätte ich mir das Gesicht verbrannt. Ich hatte das Gefühl, darunter nicht atmen zu können, als laste mir das Gewicht von 150 Jahren dummer Rednecks auf der Brust, um mich in einer flachen Pfütze aus Mondlicht zu ertränken. Aber ich wusste nicht, was ich damit machen sollte; keinesfalls wollte ich sie jedoch in den Müll werfen, wo sie meine afroamerikanischen Müllmänner finden würden. Also brachte ich das Paket wieder auf den Dachboden, bis mir etwas Gutes einfallen würde, um es loszuwerden. Ich dachte oft daran, Fotos von zwei Schwarzen im Black-Panther-Outfit zu machen, die abgesägte Schrotflinten auf jemandem in dem Klan-Outfit richten, der zwischen ihnen auf dem Rücksitz meines 1960er Cadillac DeVilles sitzt, und dann die berühmte Skateboard-Zeichnung von Jim Thiebaud mit dem aufgehängten Klansman nachzustellen, aber ich konnte mich nicht überwinden, jemanden zu bitten, das Gewand anzuziehen. Irgendwann dachte ich mal, ich könnte ihm vielleicht seine Macht nehmen, wenn ich es in Regenbogenfarben färben würde. Aber dann entschied ich mich gegen diese Option, aus Angst, das Böse könne Besitz von meinem Kochtöpfen ergreifen. Das Problem ist kürzlich wieder akut geworden, als meine Schwester vorbeikam, um sich mein Hühnerkostüm auszuleihen. Ich führte sie zu den Kostümkisten, um sie danach suchen zu lassen. Fünf Minuten später stürmte sie wütend heraus, warf mit dem Klan-Outfit nach mir, verfluchte mich und warnte mich davor, was geschehen würde, wenn meine Kinder es fänden. Ich habe wirklich versucht, das Ding loszuwerden. Ich glaube, wenn der Boden im Frühjahr auftaut, werde ich es in der hintersten Ecke des Gartens vergraben, da, wo mein Hund immer hinscheißt. Ich hoffe nur, er buddelt es nicht wieder aus und schleift es durch die Vorgärten meiner Nachbarn, und zwingt mich damit, seinen rassistischen Arsch vor den Bus zu werfen. Noch mehr Bescheuertes findet ihr auf ChrisNieratko.com und twitter.com/Nieratko
VICE Staff
[ "Fashion", "fashion issue 2014", "Jahrgang 10 Ausgabe 2", "Jahrgang 8 Ausgabe 3", "Ku Klux Klan", "Mode", "NSFW", "Schrotflinte", "The Fashion Issue 2014", "VICE Magazine" ]
Sex
2014-04-25T11:40:00+00:00
2024-07-31T03:21:27+00:00
https://www.vice.com/de/article/dress-up-dolls-0000676-v10n2/
Wie Giegling mich zum Techno-Fan bekehrt hat
Foto oben: Flickr / MoreFunkThanYou / CC BY-ND 2.0 Karten auf den Tisch: Es ist nicht allzu lange her, dass ich zum ersten Mal von Giegling gehört habe. Das enigmatische Label aus Weimar hält Fans von sphärischer, “deeper” und minimaler elektronischer Musik, internationale Party- und Festivalgänger, Discogs-Reseller und Menschen, die sich über solche aufregen seit knapp acht Jahren bei der Stange. Außer den leidlichen Preisdiskussionen um Prince-Of-Denmark-Boxen ist das Label aber weitestgehend an mir vorübergezogen. Dabei haben sich Gieglings Steckenpferde wie Vril, Traumprinz, Kettenkarussell oder DJ Dustin einen unverwechselbaren Stil erarbeitet, der die von Electro-Heads so verehrten peniblen Genre-Grenzen über den Haufen wirft. Die DJs sind allerdings nicht unbedingt durch Omnipräsenz in umtriebigen Metropolen aufgefallen – zumindest nicht zusammen. Das hat sich in den letzten Monaten geändert, denn der Planet Giegling hat praktisch die ganze Erde (18 Städte) mit Party- und Konzert-Events umrundet. Planeten üben nunmal eine massive Anziehungskraft aus und so kam es dazu, dass mich ein Leipziger Kumpel am Telefon überzeugte, für die Giegling World Tour in der Messemetropole vorbei zu schauen. Wie wär’s, dacht ich mir, wenn ich die Jungs von THUMP anhaue, ob die mir Gästeliste klären können? “Na Klar”, schrieb man mir, “aber dann schreibst du auch einen Artikel, oder?” Butter bei die Fische: Das war eigentlich nicht mein Plan, ich wollte lediglich meinen elitären Musikjournalisten-Status für Gästelistenplätze missbrauchen. Doch je näher der Abend rückte, desto überzeugter war ich, dass meine unbefangene Perspektive ein Vorteil werden könnte (Wer lieber einen in-Depth-Liebhaber-Bericht lesen möchte, der klicke hier). Die Krux, wenn man über ein Event schreibt, auf dem man Spaß haben möchte, ist, dass einem ständig der Text im Nacken sitzt. Man muss sich zusammenreißen, seine Clubbekanntschaften nicht als Kapital zu sehen, jede noch so triviale Beobachtung wird im Kopf zum Teaser oder zur Pointe, die den Artikel trägt. Und will man ein paar Minuten verschnaufen, erscheint der Geist von Hunter S. Thompson – seine Nase blutet, er rasselt mit Leergut und prophezeit: “Du bist noch viel zu klar und hast zu wenig Absurdes erlebt, als dass dieser Text irgendwen interessieren wird.” Vorbei an einer monströsen Schlange, in der so ziemlich alle schwarzen Klamotten aus Sachsen vertreten zu sein scheinen, geht es gegen 1 Uhr auf die Party. Für Berliner Verhältnisse ist das früh, doch Leafar Legov – eine Hälfte von Kettenkarussell, dessen brillianter RA-Podcast bis Dato mein einziger Berührungspunkt mit Giegling war – hatten wir jetzt schon verpasst, Sa Pa auch. Während wir uns durch die Menge Richtung Garderobe schlängeln, brettert uns Ateq die verzerrten 4/4-Kicks um die Ohren. So klingt also dieser Techno, denke ich, der ich noch nie das Berghain von innen gesehen hat, und blicke skeptisch auf die Uhr. Mindestens 8 Stunden noch. Beim nächsten Blick aufs Telefon ist es hell draußen, mein Bus fährt bedrohlich bald und ich bin zu Giegling bekehrt. Auch auf THUMP: So sieht es auf einem Höhlenrave 300 Meter unter der Erde aus Der Ursprung der Anziehungskraft des Labels ist schwer zu fassen. In einem Thinkpiece mutmaßt jemand, es sei das “Gefühl von Transzendenz”, das die facettenreichen Produktionen der Mitglieder eint. Ein anderer schreibt, es sei die Vielfalt, die den Reiz des Labels ausmacht und für einen dritten ist es schlicht Talent, das die Musiker eint. Mein Kumpel beschrieb das Gefühl dieses Abends so: “Es war, als wären die ganzen schwarzgekleideten Eigenbrötler doch wirklich einmal vereint gewesen als eine Art Community.” Übelriechend setze ich mich auf den letzten freien Platz im Bus und schlafe erst einmal bis zum ZOB. Im Traum erscheint mir wieder der Geist von Hunter S. Thompson, den ich aber schnell vergesse. Wenn es 2017 noch so etwas wie ein Love-In gibt, das war es. Wie Giegling aus dem Conne Island ihr Wohnzimmer und aus der Berlinerisch kühlen Techno-Crowd eine sich in den Armen liegende Familie machten, wird wohl ihr Geheimnis bleiben. Es hat sicherlich auch an Kieferknacken und künstlichen Endorphinen gelegen, dass ich mit einer gefühlten Hundertschaft von Clubgängern redete und mich irgendwann im Garten dabei wiederfand, Verwandten liebevolle Facebook-Nachrichten zu schicken. Doch der ganze Vibe war inklusiver und freier, als ich das bisher kannte. Auch musikalisch. Funktionale Baumarkt-Bretter gingen Hand in Hand mit Jazz-Schnipsel-House, die Grenzen zwischen den Live-Acts verflossen genau wie die musikalische Kleinkariertheit der Techno- und House-Szene. Man beschwört ja heute immer wieder die elektronische Musik der HipHop-Produzenten. Diese Beschreibung passt bei Giegling nicht ganz so intuitiv wie bei Money $ex Records oder Rhythm Section International, da diese deutlich offensiver Praktiken wie Sampling betreiben und sich auch nicht vor Rhythmen im Stile JDillas scheuen. Gieglings Musik bricht diesen Einfluss auf ein Minimum herunter und zurück bleibt: Scheuklappenfreiheit. Im Conne Island spielt mittags immer noch die Musik, jetzt natürlich deutlich sphärischer und heller als zuvor. Der harte Kern von Chemie Leipzig (höhö) beendet auf den Dancefloors und Clubtoiletten langsam das Heimspiel. Entgegen der Aufpeppungsversuche meiner Begleiter schwinge ich mich langsam auf mein Fahrrad, um 45 Minuten durch die Stadt zu tuckern. Die Beine sind müde vom Tanzen, die Stimme heiser vom schreien und der Kopf auch langsam Matsch von den unheimlich mitreißenden Beats. Übelriechend setze ich mich auf den letzten freien Platz im Bus und schlafe erst einmal bis zum ZOB. Im Traum erscheint mir wieder der Geist von Hunter S. Thompson, den ich aber schnell vergesse. Wenn es 2017 noch so etwas wie ein Love-In gibt, das war es. Techno war eigentlich nie mein Ding, also ging ich ohne Erwartungen zur Planet Giegling World Tour nach Leipzig. Am Ende war ich so glücklich wie nie zuvor. Folge THUMP auf Facebook und Instagram.
Niklas Fucks
[ "ateq", "Ausgehen", "Chemie Leipzig", "conne island", "Endorphine", "giegling", "HipHop", "Hunter S Thompson", "jdilla", "Kettenkarussell", "Leipzig", "money $ex records", "Prince Of Denmark", "rhythm section international", "Sachsen", "Sampling", "techno", "Thump", "traumprinz", "vril", "zob" ]
2017-04-27T13:03:17+00:00
2024-07-30T19:44:17+00:00
https://www.vice.com/de/article/wie-giegling-mich-zum-techno-partys-bekehrt-hat/
Illegaler Tanz: In Argentinien tanzen alte Menschen trotz Corona die Milonga
Ein heißer Abend in Buenos Aires, der beliebte Chacabuco Park ist voll mit Leuten, die Sport machen oder einfach nur entspannen. Unter einer mit Graffitis übersäten Schnellstraßenbrücke treffen sich einmal in der Woche die unterschiedlichsten Menschen, um die Milonga zu tanzen. Der argentinische Tanz enthält Elemente des Tango, ist aber schneller und weniger kompliziert. Die Treffen sind eigentlich nicht erlaubt, weil sie gegen die derzeit herrschenden Corona-Vorschriften verstoßen. Dennoch nehmen immer mehr Menschen teil. Eine grüne Markierung auf dem Boden steckt die Tanzfläche ab, auf der der 50-jährige Walter die acht Milonga-Grundschritte immer wieder durchgeht. Seine Schlaghose und seine Tanzschuhe gleiten förmlich über den Asphalt. Es ist zwar erst seine dritte Milonga-Stunde, aber weil Walter so ehrgeizig an die Sache rangeht, hat er die Grundschritte schnell gemeistert. Weil er eigentlich als Kampfkunstlehrer arbeitet, hat Walter kein Gramm Fett an seinem tätowierten Körper. Nachdem er zuerst mit der Lehrerin getanzt hat, steht er jetzt einer Frau gegenüber, die neu in der Gruppe ist, offensichtlich aber schon Milonga-Erfahrung hat. Wenn man sich die Intimität der beiden Tanzpartner anschaut, könnte man denken, dass sie sich schon seit Jahren kennen. Als das Lied vorbei ist, suchen sie sich neue Partner. Tito, 70 Jahre alt, hat sich extra für den Anlass ein frisch gebügeltes Outfit angezogen und fordert nun eine neue Frau zum Tanzen auf. Seit im September 2020 die erste Milonga-Stunde im Chacabuco Park stattgefunden hat, nimmt Tito regelmäßig teil. Er war sogar an dem Abend da, an dem alten Leuten wegen der drückenden Hitze eigentlich empfohlen wurde, zu Hause zu bleiben. “Für mich sind diese Treffen wie ein Lebenselixier”, sagt er. Als Tango-Enthusiast nahm Tito 2018 sogar am World Tango Dance Tournament teil, einem argentinischen Tango-Wettbewerb, der jedes Jahr im August in Buenos Aires stattfindet. Titos Freund René kommt kurze Zeit später dazu. Er nimmt immer eine einstündige Busfahrt aus dem 30 Kilometer entfernten Berazategui auf sich, um im Chacabuco Park zu tanzen. Deshalb kostet er das Treffen auch voll aus. René fühlt sich laut eigener Aussage wie zu Hause, da er mehr als 20 Jahre lang im Chacabuco Park gearbeitet hat, bevor man ihm während der Pandemie gekündigt hat. “Ich habe zwar einen neuen Job, aber da mache ich immer um 17 Uhr Feierabend, um hier mittanzen zu können”, sagt er. “Der Anfahrtsweg ist zwar ziemlich lang, aber was bleibt mir denn sonst? Wenn ich nach der Arbeit nach Hause gehe, sitze ich nur rum. Hier kann ich leben und bin glücklich.” Argentinien verhängte im März 2020 einen landesweiten Lockdown, der in Buenos Aires bis Juli anhielt. Unter den strengen Maßnahmen durften die Leute ihre Wohnungen nur verlassen, wenn es absolut notwenig war. Im September spazierten die Tango-Tanzpartner Juan Carlos und Valeria durch den Chacabuco Park, als sie spontan entschieden, einfach loszutanzen. Einige Leute machten direkt mit, die Tanzstunden im Park waren geboren. Später veranstalten andere Tanzgruppen in weiteren Teilen von Buenos Aires ebenfalls solche Milonga-Sessions. Fünf Monate nach diesem ersten Tanz finden die Milonga-Sessions jetzt jeden Dienstag, Donnerstag, Freitag und Samstag von 18 bis 22 Uhr statt. Die erste Stunde ist vor allem für die Anfänger vorgesehen, damit sie in Ruhe die grundlegenden Schritte lernen können. Es gibt auch nur einen Grund, eine Session ausfallen zu lassen: schlechtes Wetter. Inzwischen unterstützen andere Tanzlehrer die beiden Initiatoren, die genauen Zeiten und Details zu den Treffen findet man bei Facebook. Die meisten Teilnehmenden kommen aber nicht durch Social Media. Nein, es sind vor allem neugierige Passanten, die zufällig vorbeikommen und die Milonga ausprobieren wollen. “Es sind vor allem Anwohner über 40 dabei”, sagt Valeria. “Sie umarmen uns und bedanken sich. Es ist so schön zu sehen, dass sie wieder Spaß mit ihren Körpern haben.” Obwohl wir inzwischen genau wissen, wie sich COVID-19 überträgt, ist Valeria fest davon überzeugt, dass frische Luft und Gesellschaft die Immunsysteme der Session-Teilnehmenden stärken und die Infektionsraten senken können. “Das ist therapeutisch”, sagt die Tango-Tänzerin. Zum Glück sind es nur wenige, die diesen Quatsch glauben. Tanzen und Social Distancing ließen sich nicht vereinen, sagt Omar Viola. Er ist der Gründer von Milonga Parakultural, einer Organisation, die seit 21 Jahren Milonga-Abende in Buenos Aires veranstaltet. Als berühmter Vertreter der Szene habe er schon verschiedene Einrichtungen durch schwere Zeiten gebracht, aber die Pandemie sei anders: Social Distancing habe gerade oberste Priorität, so Viola. “Ich halte es für keine gute Idee, Milonga-Stunden ohne die richtigen Voraussetzungen zu veranstalten – egal ob im Verborgenen oder offen als Protest”, sagt Viola weiter. “Das gefährdet Leben. Wir müssen bedenken, dass sich die Szene auch aus vielen Risikopatienten zusammensetzt.” Viola hat seine Clubs zum Milonga-Tanzen noch nicht wieder geöffnet, denn er wartet noch auf einen Konsens in Sachen Sicherheitsmaßnahmen. Die beiden größten Milonga-Vereine von Buenos Aires, die Asociación de Organizadores de Milongas und die Asociación de Milongas con Sentido Socia, haben seit dem Ausbruch der Pandemie keine Veranstaltungen mehr abgehalten, dafür aber eine Reihe an Vorkehrungen vorgeschlagen, die bei einer vorsichtigen Wiedereröffnung der Tanzlokale gelten könnten – darunter eine Registrierung aller Tanzenden, die regelmäßige Desinfektion der Tanzfläche, kürzere Stunden und eine ordentliche Lüftung. Die Behörden haben trotzdem noch kein grünes Licht gegeben. In den Parks gibt es solche Maßnahmen nicht: Alle, die Lust haben, können ohne Anmeldung mitmachen. Wenn jemand positiv auf Corona getestet wird, gibt es kein Sicherheitsnetz. Die Milonga entstand im 19. Jahrhundert und ist seitdem fest verwurzelt in argentinischen Community-Treffpunkten wie Clubs, Schulen und Vereinen. Über die Jahre haben jüngere Generationen das Interesse an dem Tanz immer mehr verloren, aber in einigen Bezirken von Buenos Aires, etwa San Telmo oder La Boca, ist er immer noch beliebt. In anderen hippen Gegenden wie Palermo oder Villa Crespo werden allerdings Milonga-Sessions veranstaltet, an den auch wieder jüngere und queere Menschen teilnehmen. Die traditionelle Rollenverteilung beim Paartanz wird dabei oft über den Haufen geworfen. Mehr als 800.000 der 2 Millionen Corona-Fälle Argentiniens wurden in Buenos Aires registriert. In der argentinischen Hauptstadt wohnen auch gut ein Drittel der Bevölkerung des südamerikanischen Landes. Zudem hat fast die Hälfte der Einwohner von Buenos Aires während der Pandemie an Einkommen verloren. In diesem Klima der Unsicherheit und Verzweiflung sind die eigentlich untersagten Milonga-Sessions für viele der Teilnehmenden eine willkommene Abwechslung – eine Abwechslung, die mit einem hohen Risiko verbunden ist. Folge VICE auf Facebook, Instagram, YouTube und Snapchat.
[ "Argentinien", "Coronavirus", "COVID-19", "pandemie", "Tanz" ]
Menschen
2021-03-22T14:53:25+00:00
2024-08-12T09:10:07+00:00
https://www.vice.com/de/article/in-argentinien-tanzen-alte-menschen-trotz-corona-die-milonga/
Gehen wir an die Street Parade, Tommy Vercetti?
In unserer Reihe “Zmittag uf Skype” diskutieren Rapper Tommy Vercetti und unser Redaktor Uğur Gültekin via Skype über Themen, die aktuell in der Schweiz debattiert werden. Sie haben es sich dabei zum Ziel gesetzt, nicht nur die Debatte und das gewählte Thema an sich, sondern auch sich selbst kritisch zu reflektieren. Diesen Samstag wird Zürich wie jedes Jahr dank der Street Parade zur Pilgerstätte für Technofans aus der ganzen Welt und verwandelt sich für kurze Zeit zu einer Art Traumwelt, die im Gegensatz zum Alltag, zur Arbeitswelt und dem realen Leben der Menschen steht, die sie besuchen. Vielleicht macht genau dies die Faszination aus, die solche Events auf die Teilnehmer, aber auch die Beobachter, ausüben. Denn auch wenn du weder auf Techno, noch auf nackte Haut und Grossevents stehst, hat die Street Parade eine einzigartige Ausstrahlung und Anziehung auf verschiedenste Menschen. Tommy Vercetti und ich haben uns die Steet Parade zum Anlass genommen, um über Drogenkonsum, Spasskultur und die Rolle von Unterhaltung in unserer Gesellschaft zu sprechen. Noisey: Warst du schon mal an der Street Parade? Tommy Vercetti: Ich hab die Street Parade bis jetzt tatsächlich nur von aussen gesehen, wenn ich in Zürich im Ausgang war. Das hat aber keine schwerwiegenden Gründe. Mich haben einfach die Musik und der Anlass nie gross angesprochen. Wie siehts bei dir aus? Da ich in Zürich lebe, hab ich das natürlich schon miterlebt. Ich mag die Hässlichkeit der Street Parade. Es ist aber auch schon vorgekommen, dass ich wegen ihr für ein paar Tage verreist bin. Trotzdem: Ich finde, man sollte sich das schon mal geben. Ist ja inzwischen sogar offizielles Kulturgut der Schweiz. Ach, ich habe noch tonnenweise offizielles Kulturgut zu bewältigen, da muss die Street Parade leider hinten anstehen. Ausserdem finde ich das ein komisches Verdikt, auch wenn ich nicht auf Anhieb sagen kann weshalb. Vielleicht auch ein bezeichnendes. Warum ist das ein komisches Verdikt? Naja, einiges wird ja in eurem Artikel schon angesprochen: Es hat irgendwie etwas Musealisierendes. Und auch die Begründung durch Masse und Hedonismus. Ich will überhaupt nicht moralisieren, aber deshalb sage ich auch: bezeichnend. Man zeichnet einen Event aus, der in vielerlei Hinsicht für die heutige Zeit typisch ist. Wie hast du es allgemein mit Party, Ausgang, Alkohol und Drogen? Party und Ausgang haben mich meist dann interessiert, wenn ich Single war. Aber nicht, dass wir uns falsch verstehen: Wenn, dann bin ich ein sehr leidenschaftlicher und euphorischer Tänzer und Feiernder. Es mag ein Klischee sein, aber mit der Zeit wird man tatsächlich ruhiger. Alkohol habe ich verhältnismässig selten und wenig getrunken. Und Drogen habe ich gar nie genommen. Warum nicht? Ist dir das alles zu hedonistisch? Nein, ich würde mich zwar als einigermassen disziplinierten Menschen bezeichnen, aber ich bin auch ein sehr gesunder Hedonist. Ich weiss eigentlich gar nicht genau, weshalb. Ich habe nie mit Drogen und Tabak angefangen, mit Trinken sehr spät. Mein Umfeld war da selbst nicht sehr aktiv, entsprechend war auch kein Ansporn da. Später hatte ich einfach kein Bedürfnis danach, und vielleicht war auch der Gedanke im Hinterkopf: Wenn du schon die Schokolade nicht im Griff hast, dann wird’s mit Kokain auch nicht besser. Dieser Hedonismus wird an der Street Parade selbstverständlich auch zelebriert. Inwiefern ist er typisch für unsere Zeit? Hedonismus bezeichnet ursprünglich eine Philosophie oder Haltung, die den Sinn des Lebens im Genuss und entsprechend im Vermeiden von Leid sieht. Das ist eine sehr menschliche und im positiven Sinne materialistische Denkweise, die nach dem richtigen Leben fragt. Auch Marx argumentiert gewissermassen hedonistisch. Klar kann man argumentieren, unsere Gesellschaft sei hedonistisch, man könnte aber genauso das Gegenteil behaupten. Die Frage wäre wahrscheinlich mehr, welche Qualität und welche Funktion dieser Genusszwang hat. Aber ich denke, den Vorwurf der Spassgesellschaft muss man mit Vorsicht anbringen. Warum? Der Vorwurf der reinen Spassgesellschaft ist selbst ideologisch: Die ganze Menschheit als verloren dekadent hinzustellen ist pseudo-scharfsinnig und rechtfertigt nur die eigene bequeme Tatenlosigkeit. Kritik muss sich immer um Herrschaft drehen, nicht um Menschenverachtung. Spassgesellschaft kann ja unmöglich bedeuten, dass die ganze Gesellschaft ihr Leben mit oberflächlichem Spasshaben verbringt. Das widerspricht jeglicher Erfahrung. Die wichtigen Fragen wären: Welche Qualität hat dieser Spass, also Spass in Abgrenzung zu was? Wann, wo und in welchen Schichten findet welcher Spass statt? Und vor allem: Welche Funktionen erfüllt dieser Spass? Welche Funktionen erfüllt denn zum Beispiel eine Street Parade im Jahre 2017 in der Schweiz ganz konkret? Die Street Parade ist vielleicht das Musterbeispiel der Eventkultur. Alles wird zum Event gemacht – ein unsägliches Modewort. Das bedeutet letzten Endes: Ein an sich offenes, soziales Geschehen – Tanzen und Feiern – wird für Profitzwecke umgestaltet. Das ist keine Eigenheit der Street Parade, das ist der Grundvorgang des Kapitalismus. Dann ist jede Unterhaltung ambivalent mit Ablenkung verbunden. Während man Spass hat, kümmert man sich nicht um Wichtigeres. Das mag zuerst kleinlich klingen, aber: Die Leute arbeiten unter der Woche und der ganze Sommer ist mit Festivals übersät – wann kümmern sie sich um Politisches? Schliesslich ganz wichtig: Die Street Parade ist ein Utopie-Ersatz. Was meinst Du damit? An solchen Events wird ein Wir-Gefühl zelebriert. Es wird miteinander getanzt, gefeiert, man geht in Rausch und Gemeinschaft auf. Das ist an sich grossartig, aber dieses Anklingen des richtigen Lebens bleibt oberflächlich, führt ins Nichts. Diese Menschen werden nicht durchs Verbundensein berauscht, sondern nur durch den Rausch verbunden. Am Montag sind sie wieder Konkurrenten in Büros und Fabriken. Und die Sehnsucht, die Forderung nach dem richtigen Leben schwebt als Rauch über den verlassenen Strassen. Noch schlimmer: Das richtige Leben wurde ihnen zur Profitmehrung vorgegaukelt, um sie noch weiter davon zu entfernen. Das ist die Funktion und die Tragik der Spassgesellschaft. Dass Drogen dabei eine zentrale Rolle spielen, ist wohl kein Zufall. Es geht ja nicht darum, das zu verurteilen, im Gegenteil! Auch wenn man sich noch so sehr nach dem Paradies sehnt, lässt es sich nicht herbeizaubern. Man kann nicht einfach ein paar dekorierte Wagen und schrille Outfits über das Widerliche stülpen, das man im Alltag erlebt. Insofern ist Drogen nehmen ein Zeichen von fortwährender Sensibilität, Empathie und Intelligenz, so à la: Ah, die sind high, dann gibt es den Menschen noch. Sind wir, ich meine ganz konkret dich und mich, nicht auch einfach ein Teil dieser Spasskultur? Gerade die Kunst, aber natürlich auch der Journalismus, unterliegen sehr stark dem Risiko, innerhalb dieser Mechanismen als Unterhaltung verharmlost und instrumentalisiert zu werden. Aber wie gesagt: Wir reden nicht über etwas Fatalistisches, Totales. Es geht ja nicht darum, dass Spass und Genuss etwas Schlechtes wären, sondern dass sie Profit- und Herrschaftszwecken dienen, indem sie uns verführen, ablenken, vertrösten. Uns bleibt erstens die Möglichkeit, das zu kritisieren, und zweitens, die Aufforderung zu Spass und Genuss radikal als Forderung zurückzugeben: Ihr versprecht uns das gute Leben? Dann holen wir es uns auch, und zwar für alle. Ugur auf TwitterNoisey Schweiz auf Facebook, Instagram & Spotify
Ugur Gültekin
[ "Features", "Hedonismus", "Interviews", "Music", "Noisey", "Party", "Schweiz", "street parade", "tommy vercetti", "Zmittag uf Skype" ]
2017-08-11T09:15:10+00:00
2024-07-30T20:35:03+00:00
https://www.vice.com/de/article/gehen-wir-an-die-street-parade-tommy-vercetti/
“Das sind Kinder, Mann”—Milonair filmt hartes Vorgehen der Hamburger Polizei
Update (11. Juli 2016, 17:55 Uhr): Nachdem sich die Redaktion vor Veröffentlichung des Artikels von Milonairs Pressevertretung bestätigen ließ, dass Milonair persönlich das Video erstellt habe, hat das Management des Künstlers uns gegenüber nun bestätigt, dass nicht Milonair, sondern ein Bekannter aus dessen Umfeld das Video gedreht hat. Der Hamburger Rapper Milonair hat gestern ein Video auf seinem Facebook-Profil gepostet, das inzwischen weit über 5.000 Mal geteilt wurde. Ungewöhnlich, sind seine über 100.000 Facebook-Fans normalerweise weit weniger teilungsbedürftig. Andererseits auch kein Wunder, haben doch auch Haftbefehl (“Jetzt bin ich gespannt wie die Hamburger Polizei reagiert – Bitte verbreiten!!!”) und Capo (“Fick die Polizei und den Richter! Verbreitet dieses Video, Leute.”) das Video geteilt. Zumal das Video kein gewöhnlicher Promoclip ist, sondern beunruhigende Szenen zeigt: In dem über einminütigen Clip ist zu sehen, wie mehrere Polizisten vier junge Menschen festnehmen und teilweise heftig auf dem Boden fixieren. Viel Geschrei von allen Seiten, auch Milonair brüllt die Polizisten ständig an, dass das da nur Kinder seien. Was genau der Grund für das harte Vorgehen der Beamten ist, wird nicht ersichtlich. Milonair hat dazu sicher noch mehr zu sagen. ** Folgt Noisey bei Facebook, Instagram und Twitter.
Noisey Staff
[ "Azzlack", "azzlacks", "Deutschrap", "Facebook", "Features", "Festnahme", "gewalt", "Hamburg", "Jugendliche", "milonair", "Music", "Noisey", "Noisey Blog", "polizei", "Rap", "Rapper", "Schüler" ]
2016-07-11T11:46:00+00:00
2024-07-30T21:28:17+00:00
https://www.vice.com/de/article/milonair-filmt-hamburger-polizisten-wie-sie-schueler-festnehmen/
Das passiert, wenn Neuseeländer ihre Nationalflagge selbst designen dürfen
Update am 11.08.2015: Das Flaggenkomitee der neuseeländischen Regierung hat mittlerweile eine Vorauswahl aus den insgesamt 10292 Vorschlägen getroffen. Die komplette Longlist mit den 40 potentiellen Gewinnermotiven (wie befürchtet ist keins der untengenannten dabei) könnt ihr hier einsehen, bevor Mitte September eine Auswahl aus vier Designs zur Volksabstimmung gebracht wird. Neuseeland, Australien—wo war noch mal der Unterschied? Der weltreisende Kiwi beantwortet solche Fragen mit stoischer Geduld und leisem Zähneknirschen. Schuld an den Identitätswirren sind (neben dem gemeinsamen britischen Erbe) sicherlich auch die gähnend langweiligen Flaggen beider Länder: Die sehen sich nämlich bis auf ein paar kleine Sternchen zum Verwechseln ähnlich. Selbst der neuseeländische Premierminister John Keys beschwerte sich kürzlich in den Hauptnachrichten bei TVNZ, er werde „bei Auslandsterminen ständig unter eine australische Flagge gesetzt—es ist nicht mehr lustig!” RIP, Clipart! Die Office-Funktion der Herzen ist nicht mehr Doch damit soll jetzt endgültig Schluss sein: Die neuseeländische Regierung will nämlich ein wenig mehr Identität im Pazifik stiften und dem Land eine komplett neue Nationalflagge stiften. Und weil Neuseeland ein moderner, demokratischer Staat ist, darf jeder beim Nation Branding mitmachen und die Flagge in einem Online-Designwettbewerb selbst entwerfen. Eine Steilvorlage! Das ließen sich die Neuseeländer nicht zweimal sagen: Mehr als 10 000 grafisch mehr oder weniger ausgefeilte Entwürfe haben die Bürger ihrer Regierung in geballter Schwarmintelligenz in die Server gespült. Dazu jeweils eine kleine Motivbegründung vom Künstler, die irgendwo zwischen Dadaismus, politischer Satire, Kindergarten und erschütterndem Nationalepos angesiedelt ist. Da aber leider nicht alle Motive zur Flagge werden können, präsentieren wir euch hier eine besonders kreative Auswahl der Designoffensive: Bild: Liam Gerrard aus Auckland „Vier Jahreszeiten—eine Nation. Diese Flagge steht für unser wildes und abwechslungsreiches Wetter und die Schönheit der Natur. ” Bild: Phil Plunkett (ohne Ortsangabe) „K.I.S.B.—Keep It Simple, Bro! Jeder hat doch ein blaues Bettlaken zuhause, einfach zerschneiden, Bäm! Ein Laken, zwölf Flaggen!” Bild: Angela Inglis aus Auckland „Das gelbe Motiv steht für die goldene Sonne und die Pommes unseres schönen Landes. Es ist unser britisches Erbe, das unsere Herzen mit Stolz erfüllt—und unsere Mägen mit Kai (Fisch), der ja auch die Hauptnahrungsmittelquelle der Maori war. Der Fisch ist nicht paniert und daher auch für eine glutenfreie Ernährung geeignet.” Bild: Spurdo Ebin aus Auckland „Der Kiwivogel! Stolz steht unser Nationalsymbol im Zentrum der Flagge, umrahmt von zwei weißen Streifen, die die Nord- und Südinseln repräsentieren.” Bild: Michael Hodgkins (ohne Ortsangabe) Bild: Simon Aiken (ohne Ortsangabe) Bild: Ronan Whitteker aus Canterbury Bild: Michael Tuffin aus Manawatu-Wanganui Bild: Myrnn aus Auckland Bild: Logan Wu aus Wellington „Wir haben so viel erreicht. Lasst uns unsere Erfolge feiern und der Welt zeigen, dass wir bereit zum Abheben sind!” Bild: John Smith aus Northland „Steht für Freiheit und so.” Bild: Toko Ma aus Taranaki „Ich möchte, dass die Flagge Neuseelands unsere saubere, grüne Umwelt propagiert.” Bild: Claire aus Wellington Bild: Jacob James aus Auckland Bild: Fosh aus Wellington „Der Regenbogen steht für unsere multikulturelle Gesellschaft. Die Nyan-Musik könnte dazu als frische und leichte Nationalhymne direkt übernommen werden.” Bild: Pete Watson aus Manawatu-Wanganui „Ein stolzes Zeichen des Aufbruchs und ewiger Weiterentwicklung, voller Hoffnung und barmherziger Versprechen für die Zukunft.”
Theresa Locker
[ "Die Rückkehr von MS Paint", "Flagge", "Kultur", "Motherboard", "motherboard show", "MS Paint", "Nationalismus", "Nationen", "Neuseeland", "Tech" ]
Tech
2015-05-18T08:35:00+00:00
2024-07-31T01:43:37+00:00
https://www.vice.com/de/article/was-passiert-wenn-die-neuseelaender-sich-ihre-eigene-flagge-gestalten-duerfen-222/
Amorphs “Vostok” ist heute das mystischste Musikvideo der Welt
Die Musik, die uns Amorph aus Basel auf ihrem ersten Album Where We Grow Tongues präsentiert, ist komplex und direkt. Die Band produziert Stimmen und Melodien, die den kürzesten aller Wege finden und sich ganz tief irgendwo in deinem Innern einnisten. Beim hören des Songs verspürst du sogleich Heimweh wie Fernweh und Sehnsucht nach einem Gegenüber kriecht in einem hoch. Die tiefe vibrierende Stimme von Sänger Julian Bonaventura Zivy kombiniert mit Gitarrenriffs hüllen dich in einen dicken Synthesizer-Nebel ein. Die Reise durch eine neue Welt beginnt stets begleitet von der Musik und mit dem ausklingen der letzten Töne lüftet sich auch der Nebel wieder und alles ist klar. Passend zum Song “Vostok” wurde die Visualisierung mystisch und geheimnisvoll gehalten. Ein alter vereinsamter Mann lebt in seiner Fantasie und sieht alle Menschen als Bösewichte in einem eigenen, inneren Film. Er liefert sich eine letzte Schlacht mit diesen Bösewichten und reitet dann mit seinem Fräulein in den Sonnenuntergang. Im Video werden Thematiken wie Einsamkeit, Vereinsamung im hohen Alter, Verlust eines Lebensgrundes, Angst vor dem Tod und leben in der eigenen Realität behandelt. Für ihren ersten Videodreh entschloss sich Amorph mit zwei befreundeten Videomachern zusammen zu arbeiten. Die Band suchte auch über den Freundeskreis das passende Haus, die Requisiten und einen Schauspieler. So kamen an dem Drehtag neun Menschen zusammen, welche sich teilweise untereinander noch nie vorher gesehen hatten. Unter der Leitung von Miro Widmer und Julia Minnig wurde das Video schliesslich innerhalb von zwei Tagen gedreht. Die Mitglieder von Amorph übernahmen alle noch offenen und gebrauchten Posten – real DIY. Folge Noisey Schweiz auf Facebook, Instagram & Spotify
Noisey Staff
[ "basel", "Das beste Muskvideo der Welt", "Fantasiewelt", "Music", "Musikvideo", "mystisch", "New music", "Noisey", "Schweiz", "synthesizer" ]
2017-11-09T12:00:00+00:00
2024-07-30T21:01:18+00:00
https://www.vice.com/de/article/amorphs-vostok-ist-heute-das-mystischste-musikvideo-der-welt/
(Halb-)Legale Räusche: Herbal Ecstasy
Die schlimmste Droge unserer Zeit ist ja für viele anhaltende Nüchternheit. Weil aber soziale Ächtung, Beschaffungskriminalität und komplette Abhängigkeit fast genauso schlimm sind, haben viele von uns in ihren rauschverliebten Jugendtagen das eine oder andere Mal zu (halb-)legalen Alternativen gegriffen. Deshalb packen wir hier die schwammigsten und schönsten Erinnerungen an unsere „Barely Legal Highs” aus—also zu Räuschen, die zumindest zu der jeweiligen Zeit oder in der jeweiligen Gegend legal waren. Heute: Herbal Ecstasy. Prinzipiell bin ich ja dafür, dass jeder mit seinem Leben macht, was er will. Wenn ihr lieber vier als fünf Finger pro Hand hättet, bitte. Wenn ihr euren Orgasmus am liebsten unter Hypnose ausleben wollt, gerne. Ihr könnt eure Hochzeit mit rauen Mengen an Blut feiern, eine Satire-Partei gründen (oder einer beitreten) und ihr könnt euch einen Thron aus Videokassetten von Jerry Maguire basteln. Wirklich, es ist mir egal. Aber was auch immer ihr macht, nehmt kein Herbal Ecstasy. Dieses Zeug ist das Allerletzte. Ich habe es zwei Mal ausprobiert, wobei ich beim ersten Mal einfach nichts gemerkt habe und beim zweiten Mal einen fürchterlichen Horrortrip hatte. Er war so grauenhaft, dass ich nicht mal mehr daran denken oder darüber schreiben will. Weil ich aber gerade in der VICE-Redaktion arbeite und von meinen Chefs verbal auf eine Wortspende hin gepeitscht werde, tue ich es trotzdem. Ich war in einem Club, die Musik, die mich normalerweise zum Tanzen gebracht hat, hat mich nur gelangweilt und plötzlich war mir unfassbar schlecht. Ich bin quer durch die ganze Stadt gerannt und habe versucht, irgendwie nach Hause zu finden. „Zu Hause” war zu diesem Zeitpunkt noch zirka 500 Kilometer von Wien entfernt, aber das war mir in diesem Zustand egal. Ich wollte nur irgendwie weg von den vielen angsteinflößenden Menschen, Bäumen und Öffis, mich irgendwo verkriechen und sterben. Foto: ddaa via photopin cc Als ich irgendwann in irgendeiner Wohnung gelandet war und versucht habe, zu schlafen, wurde alles nur noch schlimmer: Leute sind in Taucheranzügen durch die Wohnung gelaufen und überall waren Hanfpflanzen. Ich glaube allerdings, dass diese Dinge wirklich da waren und ich mir das nicht nur eingebildet habe. Scheinbar bin ich in meinem Rausch in einer ziemlich abgefuckten Hippie-WG gelandet, die mich für ein Geschenk Gottes gehalten haben müssen. Egal wie, mein Zustand war einfach nur ekelerregend. Die halbe Nacht habe ich am Klo verbracht und versucht mich zu übergeben, was natürlich keinen Sinn macht, wenn man weder etwas gegessen noch getrunken hat. Am nächsten Tag bin ich über 9 Stunden mit einem Regionalzug nach Hause gefahren, weil ich meinen Kopf unbedingt aus dem Fenster halten wollte, aber man in Schnellzügen die Fenster nicht öffnen konnte. Die Schaffner haben alles versucht, mich zu beruhigen und zum Hinsetzen zu bewegen, aber ich blieb standhaft. Nach ungefähr einer Woche hörte ich endlich auf zu zittern, vergessen habe ich diese Nacht des Schreckens aber nicht: Meine Experimentierphase ist definitiv abgeschlossen. Lasst euch von Andrea auf Twitter tripsitten: @andrea4nderson Titelfoto: EmilyRides | flickr | cc by 2.0
Susanne Silber
[ "Drogen", "legal", "LEGAL HIGHS", "Vice Blog" ]
2014-11-14T11:30:00+00:00
2024-07-31T03:48:08+00:00
https://www.vice.com/de/article/halb-legale-raeusche-herbal-ecstasy-120/
Warum uns Einzelschicksale mehr interessieren als Hunderte ertrunkene Flüchtlinge
Manchmal ist es OK, eine gewisse Doppelmoral walten zu lassen. Wenn du einen köstlichen Schoko-Muffin ablehnst, weil Weizen und Zucker ungesund sind, du dir abends aber drei bis fünf Gin Tonics genehmigst zum Beispiel. Anders sieht es aus, wenn du dich für Jungfräulichkeit vor der Ehe stark machst – aber nur bei Frauen. Und ganz anders sieht es aus, wenn dich das Schicksal einer Weißen Europäerin, die zehn Stunden im Mittelmeer überlebt hat, total mitnimmt, das von Hunderten Nicht-Europäern, die dort täglich über Bord gehen und häufig auch dort sterben aber nicht. Trotzdem scheinen sich viele Menschen momentan mehr für ein Einzelschicksal als für Hunderte sterbende Flüchtlinge im Mittelmeer zu interessieren. Die Britin Kay Longstaff fiel Samstagnacht von einem Kreuzfahrtschiff in der kroatischen Adria ins Meer. Nachdem sie zehn Stunden im Wasser trieb, fischte sie ein Schiff der kroatischen Marine glücklicherweise am Sonntagmorgen wieder raus. Mit Singen und Yoga habe sie sich von der Kälte abgelenkt und fit gehalten, sagte sie dem Fernsehsender HRT. Der Fall ging in Deutschland und weltweit durch fast jede Redaktion. Der MDR schreibt vom “glücklichen Ende einer wahren Odyssee“, die Bild von “der unglaublichsten Geschichte des Sommers“. Und die Süddeutsche Zeitung durchleuchtet die Geschichte verschwundener Schiffspassagiere bis zur Antike: “Die Angst vor dem Sturz ins Wasser beschäftigt die maritime Menschheit seit jeher.” Auf Twitter ist man dagegen nicht so euphorisch. Der Netzaktivist Linus Neumann schreibt dazu: “‘Nach zehn Stunden im Wasser ist eine britische Kreuzfahrt-Urlauberin aus dem Mittelmeer gerettet worden.’ EINE. Und die Weltpresse berichtet.” Viele Kommentatoren vergleichen die Rettungsaktion mit der Situation der Geflüchteten auf dem Mittelmeer. Einige User reagieren ironisch: “Ich hoffe, der Kapitän des Rettungsschiffes hat sich ihren Ausweis zeigen lassen. Nicht dass er noch Probleme bekommt …” Andere sind deutlicher: “Europäerin fällt im #Mittelmeer von einem Kreuzfahrtschiff, ihre Rettung wird bejubelt. Im Schnitt sterben jeden Tag 6 Nicht-Europäer im Mittelmeer, ihre Rettung wird kriminalisiert. Europa hat seine Würde längst auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen.” Haben wir also wirklich mehr Mitgefühl mit einer einzelnen Frau als mit Hunderten Unbekannten? Fritz Breithaupt beschäftigt sich täglich mit solchen Fragen. Momentan arbeitet er als Professor an der Indiana University in Bloomington. Der Empathie-Forscher hat ein Buch über die “Dunklen Seiten der Empathie” geschrieben und erklärt, was passieren muss, damit wir uns für das Schicksal anderer Menschen interessieren. VICE: Wieso stürzen sich die Medien so auf die Geschichte der britischen Touristin? Fritz Breithaupt: Es ist die perfekte Story. Eine Identifikations-Geschichte. Der Leser kann mitfühlen und sich vorstellen, was er selbst in dieser Situation getan hätte. Gleichzeitig weiß er, dass die Frau gerettet wurde. Wir können für einen kurzen Moment tief in diese Geschichte eintauchen und danach wieder zu uns zurückkommen, und alles ist wie vorher. Flüchtlinge hingegen haben eine Apokalypse erlebt. In dem Moment, in dem wir uns auf sie einlassen, haben wir eine Verpflichtung ihnen gegenüber. Diese Menschen kommen zwar, wenn sie Glück haben, irgendwann aus dem Ozean raus und in Europa an, aber damit ist ihre Geschichte noch nicht zu Ende. Sie haben alles, was sie kennen, verlassen, um aus ihrem Land zu fliehen. In Europa wissen sie nicht, wie es weitergehen wird. Das ist eine Geschichte mit ungewissem Ausgang, selbst wenn sie die Flucht überleben. Die Geschichte der Frau ist mit ihrer Rettung auserzählt. Verdienen diese Menschen unsere Empathie deshalb nicht viel mehr?Es geht nicht darum, wer mehr Empathie verdient. Bei der Touristin fällt es vielen Menschen einfach leichter. Sie braucht uns nicht. Da können wir aus der Ferne mitfühlen und danach vergessen wir sie wieder. Bei den Flüchtlingen sind wir als Menschen gefragt. Wir müssen uns auf sie einlassen und das ist sehr schwierig. Früher oder später wird man sich fragen müssen: Was tue ich eigentlich für diese Menschen? Oder was würde ich für sie tun? Die Geschichte der Britin hingegen hat alles, was uns das Mitfühlen erleichtert. Sie ist ein Einzelschicksal. Um empathisch zu sein, ist es wichtig, zu wissen, dass es ein Ende gibt. Um Empathie zu spüren, müssen wir uns selber verlassen und das ist nicht immer gut. Deswegen tun wir das nur, wenn wir das wirklich wollen. Das geschieht natürlich eher, wenn wir wissen, dass wir danach wieder zu uns zurückkehren – wenn es ein Ende gibt. Natürlich ist das zynisch, aber auch eine Form von Selbstschutz. Was wäre, wenn die Frau ein Trauma davontragen würde? Dann wäre ihre Geschichte noch nicht vorbei.Aber auch dann gäbe es Aussicht auf endgültige Heilung, zum Beispiel durch eine Therapie. Bei einem Flüchtling ist das schwieriger. Diese Menschen sind oft Hals über Kopf aus ihrer Heimat geflohen. Viele sprechen kein Deutsch und nur gebrochenes Englisch oder Französisch. Die haben es in Deutschland verdammt schwer. Da weiß man gar nicht genau, was man ihnen wünschen soll. Soll man diesen Menschen wünschen, dass sie sich ganz schnell integrieren und ihre Heimat in fünf Jahren vergessen haben? Soll man ihnen wünschen, dass sie irgendwann wieder in ihr Heimatland zurückkehren können, weil sich die Lage dort verbessert hat? Bei Flüchtlingen gibt es zwar die Geschichte der Flucht, aber keine abschließende Lösung. Auch bei VICE: Meine Flucht aus Syrien Wieso interessieren wir uns mehr für Einzelschicksale als für das von Hunderten Menschen?Einzelschicksale erzeugen Mitgefühl. Sobald es um eine größere Gruppe geht, ist es immer eine Frage der Statistik. Dann geht es nicht mehr um eine Person, sondern um eine Gesamtsituation, so wie bei einer Unwetterkatastrophe in Indien oder einem Boot mit hundert Flüchtlingen. In solchen Momenten fühlen wir das Schicksal der Menschen nicht schrittweise nach, sondern denken über die politischen Umstände in Syrien oder die Klimaverschiebung nach. Wir sind nicht mehr so emotional. Dazu kommt die innere Abstumpfung, wenn wir eine Situation mehrfach erleben. Am Anfang ist die Empathie noch groß, mit der Zeit aber nicht mehr. Ein Phänomen, was sich besonders gut an Ärzten feststellen lässt. Ein Drittel unserer Ärzte leidet an massiver Empathieabstumpfung gegenüber ihren Patienten. Das ist zwar nicht gut, aber man versteht es. Empathie ist anstrengend. Bei einem Einzelschicksal haben wir häufig noch Hoffnung, dass sich alles ins Gute wenden wird. Bei einem Schlepperboot mit Hunderten Flüchtlingen gibt es aber keine positive Narration. Das ist einfach nur eine Katastrophe. Wird also auch unsere Empathie für Asylsuchende zwangsläufig weniger?Es gibt nicht nur positive Dinge, die man aus Empathie tut. Eine der schlechten Seiten der Empathie ist die Parteinahme. Zu Beginn der Flüchtlingskrise waren die Flüchtlinge ganz klar die Opfer, da fiel es leicht, sich auf ihre Seite zu stellen. Inzwischen gibt es aber zum Beispiel die AfD, die behauptet, Flüchtlinge würden den Deutschen die Arbeitsplätze wegnehmen oder Steuergelder für sich beanspruchen. Es gibt Menschen, die das glauben und sich dann vermeintlich auf ihre eigene Seite stellen. Sobald der Mensch sich für eine Seite entschieden hat, sieht er die andere dunkler. Weil man Empathie mit dem einen hat, ist man plötzlich gegen den anderen. Ist es nicht möglich, sowohl mit der britischen Touristin mitzufühlen als auch mit Hunderten Flüchtlingen?Es gibt eine Grenze der Empathie-Bereitschaft. Die meisten Menschen haben lieber nur kurz Empathie mit jemandem und sind froh, sie danach wieder ablegen zu können. Danach fühlen sie sich gut, weil sie mit jemandem mitgefühlt haben, auch wenn sie niemandem damit geholfen haben. Zwischen dem Schicksal der Frau und dem von Hunderten Flüchtlingen besteht ein perfider Zusammenhang. Unterbewusst entscheidet der Mensch sich sehr wohl, mit wem er jetzt mitfühlt. Wenn er sich für die Britin entscheidet, kann er sich auf die Schulter klopfen und mit einem besseren Gewissen sagen, dass er sich heute mal keine Gedanken über die Flüchtlinge macht, die täglich im Meer ertrinken. Genauso gibt es Menschen, die sich mehr für die Flüchtlinge interessieren und deshalb weniger für die Touristin. Die Geschichte der Frau könnte man auch vernachlässigen, während man bei einem gekenterten Flüchtlingsboot eigentlich nicht wegsehen kann. Trotzdem wissen wir, wo die Aufmerksamkeitskultur hingeht, und das ist ganz klar die britische Touristin. Folge VICE auf Facebook , Instagram und Snapchat .
Yannah Alfering
[ "Empathie", "Flüchtling", "Kreuzfahrtschiff", "schicksal", "Touristin", "Wissenschaft" ]
2018-08-22T12:32:47+00:00
2024-07-30T18:49:45+00:00
https://www.vice.com/de/article/mb4nx4/touristin-kreuzfahrtschiff-warum-uns-einzelschicksale-mehr-interessieren-als-hunderte-ertrunkene-fluchtlinge
Im Gespräch mit einem Post-9/11-Whistleblower
Porträt von Justin T. Gellerson Aus der The Sick Day Issue In den Jahren nach den Anschlägen des 11. September sah Thomas Drake, damals leitender Angestellter der US-Geheimbehörde National Security Agency (NSA), etwas, das er nicht akzeptieren konnte: ein von der NSA geleitetes Programm namens Stellarwind. Mit einer Kombination aus Abhörtechnik und massenhafter Onlinedatensammlung spionierte die Operation nach dem Sleppnetzprinzip US-Bürger aus. Drake protestierte zunächst intern, da er der Ansicht war, Stellarwind verstoße gegen den vierten Verfassungszusatz, der Bürger vor staatlichen Übergriffen schützt. Es handelte sich um Überwachung ohne Durchsuchungsbefehl auf amerikanischem Boden. Doch Michael Hayden, damals Direktor der NSA und verantwortlich für das Programm, vertrat den Standpunkt, US-Geheimdienste müssten zu drastischen Maßnahmen bereit sein, um weitere Anschläge zu verhindern. Laut Drake entwickelte der Militär- bzw. Geheimdienst-Industrie-Komplex nach jenem 11. September vor 15 Jahren einen derart besessenen Fokus auf die Terroristenjagd, dass die Rechte der US-Bürger dabei unter den Tisch fielen. Er beschwerte sich auf jedem erdenklichen rechtlichen Weg, auch unter Gesetzen, die den Schutz von Whistleblowern vorsehen, doch nichts half. Also kontaktierte er im Winter 2006 eine Journalistin der Baltimore Sun und half ihr, die verhassten Regelverstöße der NSA aufzudecken. Draufhin führte das FBI eine Razzia bei Drake durch. Er wurde unter dem US-Spionagegesetz von 1917 angeklagt und entging nur knapp einer 35-jährigen Haftstrafe. Heute führt Drake ein ziemlich unaufgeregtes Leben als Angestellter eines Apple-Store. In einer Bar in Washington, D.C. habe ich mich mit dem Mann unterhalten, der für manche ein Held und für andere ein Verräter ist. VICE: Wie lautet die offizielle Mission der NSA? Thomas Drake: Der Fokus der NSA sind Geheimdienstinformationen aus dem Ausland. Sie wurde 1952 gegründet. Den Leuten ist nicht klar, dass das nicht durch einen Kongressbeschluss passierte. Sie wurde buchstäblich durch die Unterschrift von Präsident Truman erschaffen. Damals gab es ja auch den Kommunismus! Die rote Gefahr. Alles geheim. Sie scherzten damals, NSA stünde für “No Such Agency” oder “Never Say Anything”. Was ist nach 9/11 passiert? Die oberste Regel lautete davor: Man braucht immer einen Durchsuchungsbeschluss. Ohne Grund und hinreichenden Verdacht kann man keine US-Bürger bespitzeln. Diese Regel wurde nach 9/11 fast über Nacht abgeschafft. Was ich damals sah, war eine NSA, die befähigt wurde, ihre große Macht, die sie für Auslandsspionage hatte, im Inland anzuwenden. Wir wissen nicht, wo die Bedrohung ist. Sie könnte überall sein. Also war das neue Mantra: „Wir brauchen die Daten. Der Zweck heiligt die Mittel.” Heute ist die NSA so mächtig wie nie zuvor. „Es wurde zu einer Art Zwangshandlung oder Sucht, Daten von überall aufzusaugen. Daten können zur Droge werden, von der du nie genug kriegst.” Es wurde schon zu einer Art Zwangshandlung oder Sucht, Daten von überall aufzusaugen. Daten können zur Droge werden, von der du nie genug kriegst. Das Expandieren der digitalen Technologie beschleunigte das noch. Wie hat die NSA Backdoors eingesetzt? Sie will Backdoors um jeden Preis, selbst wenn es Partnerschaften mit gewissen Firmen braucht, um den Zugang technisch zu sichern, selbst wenn die Verschlüsselung dazu geschwächt werden muss—und das wurde sie. Das bedeutet, die NSA trägt sogar Schuld daran, dass die Infrastruktur der modernen Gesellschaft einiges an Sicherheit eingebüßt hat. Meinst du, sie hat den Terror überhaupt richtig bekämpft? Sie hat ihn sogar verschlimmert. Das ist das Paradoxon von Big Data. Je größer der Heuhaufen, desto mehr Nadeln kann man finden. Aber wenn man einfach so viele Daten wie möglich aufnimmt und alles in eine Scheune packt, wie findet man dann noch Nadeln? Im Grunde wird jeder Strohhalm zur Nadel, also gibt es gar keine Nadeln mehr. Oder es wird zumindest viel schwieriger, sie zu finden, weil man sie nicht erkennt. Das Ironische ist, dass die NSA die Daten hatte, um 9/11 zu verhindern, aber sie hatte nicht den Fokus und die Prioritäten dazu und teilte die Daten nicht mit denen, die etwas hätten unternehmen können. Ich weiß das, weil es zu der Büchse der Pandora gehört, in die ich blicken musste. Und das ist es letztendlich, wo­rauf ich als Whistleblower mehrere Menschen hingewiesen habe. War es das aus deiner Sicht wert? Ja. Die Geschichte selbst stand auf dem Spiel. Ich habe einen Eid geschworen, ein Ideal zu verteidigen. Doch nach 9/11 wurde die Büchse der Pandora geöffnet und ich blickte in den Abgrund. Mir wurde klar, dass ich die Verfassung gegen meine eigene Regierung verteidigen musste. Die Regierung und ihre geheimsten Auswüchse untergraben die Verfassung. Es war im Grunde ein stiller Coup gegen das Grundgesetz. Können wir jemals zu einem Staat zurück, der uns nicht ausspioniert? Ich hätte diesem Interview gar nicht zugestimmt, wenn ich das nicht für möglich hielte. Kurz vor Sonnenaufgang ist die Nacht am dunkelsten, wie es so schön heißt. Ben Makuch erforscht in der TV-Serie Cyberwar die Welt der Hacker und der weltweiten Überwachung. Demnächst auf VICELAND, unserem Fernsehsender.
Ben Makuch
[ "9/11", "Jahrgang 10 Ausgabe 6", "Jahrgang 12 Ausgabe 6", "News", "nsa", "September Issue", "The Sick Day Issue", "Thomas Drake", "V10N6", "Vice Blog", "VICE Magazine", "whistleblower" ]
2016-10-04T04:00:00+00:00
2024-07-30T22:20:28+00:00
https://www.vice.com/de/article/5gam98/der-whistleblower-0001364-v12n6
Der ultimative Artikel-Generator für empörte weiße Männer
Deutschland, 2018. Ein Land ächzt unter der harten Hand faschistoider Feministinnen, die mit Begrifflichkeiten und Sätzen wie “Gleichberechtigung”, “Stoppt sexualisierte Gewalt” oder “Sexismus schadet allen” um sich werfen, in Wahrheit aber nur ein Ziel haben: die vollständige Vernichtung des weißen, heterosexuellen Mannes. Zumindest wenn es nach Männern wie Jens Jessen geht. In seiner aktuellen Titelstory “Der bedrohte Mann” warnt der Zeit-Journalist vor dem totalitären Feminismus, der “eine Grenze überschritten” habe, “die den Bezirk der Menschlichkeit von der offenen Barbarei trennte”. Das klingt sehr dramatisch und für den Feuilleton-Autoren Jessen vielleicht spannender, als sich mit gesellschaftlichen Realitäten und dem tatsächlichen Ursprung von Debatten wie #MeToo zu beschäftigen. Vor allem aber liest sich die Titelgeschichte wie nahezu jeder andere “kritische” Artikel, der in den letzten Monaten zu Feminismus oder dem Kampf gegen sexualisierte Gewalt erschienen ist. Deswegen haben wir da mal was vorbereitet: Auch ihr wollt euch als revolutionärer Denker und Männerrechtler positionieren, wisst aber einfach nicht, wie ihr euren Text möglichst aufmerksamkeitsheischend und internettroll-affin formulieren sollt? Nutzt einfach unseren Artikel-Generator für empörte weiße Männer und werdet schon morgen auf 4chan für eure mutige Position abgefeiert. — “Wenn das Miteinander der Geschlechter ein Schlachtfeld ist, befinden wir uns aktuell mitten im Zweiten Weltkrieg. Auf der einen Seite geifernde Feministinnen / Genderfaschisten / die Gleichberechtigungs-SS, auf der anderen der gesunde Menschenverstand. Weiße, heterosexuelle Männer, so scheint es, sind die Juden / Muslime / Hexen des 21. Jahrhunderts. Gejagt, verfolgt, mundtot gemacht von denen, die sich als stetige Opfer wähnen, doch selbst über das Schicksal der halben Bevölkerung richten. Ihre Waffe: viral gehende Hashtags / ausgedachte Vergewaltigungsvorwürfe / unkanalisierter Männerhass. Was darf man als weißer Mann heute noch sagen / anfassen? Wie sollen wir noch am Diskurs teilnehmen / flirten / dumme Witze im Internet machen / mit einer Frau im Aufzug fahren? Wenn es nach dem totalitären Feminismus der heutigen Zeit geht: gar nicht. Jedes Wort wird gegen uns verwendet. Dabei waren es allesamt Männer, die unsere Zivilisation an den Punkt gebracht haben, an dem sie heute ist – Vordenker wie Stephen Hawking / Aristoteles / Hitler beeinflussen auch heute noch unser Denken, Fühlen und Handeln. Immer noch müssen wir uns für unser Geschlecht / die offene Auslebung unserer Triebe / den Holocaust rechtfertigen, dabei sind es die feministischen Kampfdrohnen, die eine faschistoide Agenda fahren und dafür auch noch von diesem Internet / den Mainstream-Medien beklatscht werden. Nicht aus wirklicher Begeisterung über den feministischen Wahnwitz, sondern aus Angst. Auch auf VICE: Der Kampf der Mormonen gegen Pornografie Jetzt wird man schon kritisiert, wenn man charmant-machohafte Überraschungspenetrationen nicht sofort als ‘sexualisierte Gewalt’ brandmarkt. Natürlich sind Vergewaltigungen schlimm, aber: Wer ohne Schuld ist, werfe den ersten Stein. / Sollten nur deshalb die Karrieren männlicher Genies zerstört werden? / ‘Die Genitalien sind der Resonanzboden des Gehirns’, wie Schopenhauer einst sagte (…). In den USA wird bereits diskutiert, ob es Frauen erlaubt sein sollte, Männer für unliebsame Tweets anzuzeigen / aufgrund ihres Geschlechts zu kündigen / ohne strafrechtliche Konsequenzen erschießen zu können. Quellen muss ich dafür nicht angeben, man muss sich nur mal im Internet unter den einschlägigen Hashtags umgucken. Wann wachen wir endlich auf und verstehen, dass jetzt gehandelt werden muss? Gerade wir als Deutsche haben aufgrund unserer Geschichte die Verantwortung, Auge in Auge mit dem Faschismus laut ‘Nein!’ zu rufen – auch wenn im Dritten Reich natürlich nicht alles schlecht war, schließlich ließ Hitler Autobahnen bauen / haben Frauen damals noch Kinder geboren / durfte man damals noch offen stolz auf seine Herkunft sein. Was hat die Gender-Ideologie für uns getan, außer uns zu entzweien? Jeden an den Pranger zu stellen, der noch konservative Werte / biologische Realitäten / die natürliche Position der Frau als Mutter vertritt? Moderne Feministinnen arbeiten seit Jahren an einer Meinungsdiktatur. Durch hysterische Debatten wie #MeToo / Frühsexualisierung an deutschen Schulen / die Ausmerzung konservativer Stimmen in der Presse wird die Bevölkerung einer Gehirnwäsche unterzogen. Mittlerweile gibt es nur noch ein Richtig und ein Falsch, kein ‘Vielleicht’ oder ‘Sie sagt Nein, aber sie meint eigentlich Ja. Frauen, lol!’ mehr. Andersdenkende und Männer, die diese schockierenden Missstände klar benennen, werden aus der Öffentlichkeit getilgt – wenn sie nicht bei den wenigen Bastionen journalistischer Integrität wie Welt / Compact / dem Feuilleton der Zeit unterkommen. Der Grundstein für eine vollkommene Machtübernahme durch Feminazis / hetzerische Internetaktivistinnen / gleichgeschaltete Social Justice Warriors ist gelegt. Trotz Gender-Sternchen und vermeintlicher Weltoffenheit ist in ihrer Vision von unserer Zukunft als Gesellschaft nur noch Platz für ein Geschlecht. Wir Männer gehören nicht mehr dazu.” Folge Lisa auf Twitter und VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.
Lisa Ludwig
[ "#metoo", "diskriminierung", "Feminismus", "Humor", "Männer", "Medien", "Satire", "Sexismus", "ZEIT" ]
2018-04-05T12:08:12+00:00
2024-07-30T18:29:41+00:00
https://www.vice.com/de/article/der-ultimative-artikel-generator-fuer-empoerte-weisse-maenner/
SKINEMA
Schule ist scheiße. Miese Lehrer, miese Mitschüler, mieser Lehrplan. Doch auch hier gibt es zuweilen engelsgleiche Gestalten, die sich ihrer niederen Mitmenschen voller Güte annehmen. Das wird nur leider vom Schicksal nicht immer belohnt. FUCKING IN THE NAME OF SCIENCEHustlervideo.comRegie: Caesar BonobaBewertung: 7 Man muss nicht Sherlock Holmes sein, um zu erkennen, dass ich keine Geistesgröße bin. Jedes weitere verstreichende Schuljahr war für mich ein noch größerer Kampf als das vorhergehende. Ich war ein Komplettversager in jedem Kurs, den ich besuchte, von Literatur bis Spanisch. Ich glaube, der einzige Grund, warum meine Lehrer mich durchs Jahr kommen ließen, war, dass ich ein absolutes, totales Ärgernis darstellte, ununterbrochen meine Respektspersonen provozierte, meine Klassenkameraden erniedrigte und generell die Regeln missachtete; wie Bart Simpson mit Brille. Mich durchfallen zu lassen, hätte geheißen, mich ein weiteres Jahr ertragen zu müssen, und keiner hätte das freiwillig getan, also rutschte ich so von Jahr zu Jahr, immer mit einem Notendurchschnitt wenige Schamhaaresbreiten vom Durchfallen entfernt. Als die Zeit verging und die Lehrpläne immer verwirrender für mich wurden, war ich gezwungen, in meine Brieftasche zu greifen und meine Mitschüler zu bezahlen, damit sie die Arbeit für mich machten. Es ist lustig, dass ich als professioneller Schreiberling endete, denn in den 15 Jahren meiner Schullaufbahn habe ich nicht einen einzigen Aufsatz, eine Hausarbeit oder ein Referat geschrieben. Solltest du so was auf eBay finden, weißt du jetzt, dass das Betrug ist. Ich habe vielleicht meinen Namen oben drauf gesetzt, aber das ist so ungefähr alles, was ich dazu beigetragen habe. Der erste meiner vielen gescheiterten Versuche das College zu meistern, endete damit, dass ich meine Einführung ins kreative Schreiben eine Woche vor den Prüfungen sausen ließ, weil mir mein Professor versicherte, selbst ein perfektes Ergebnis würde mich nicht davor bewahren, den Kurs wiederholen zu müssen. Ich will nicht sagen, dass ich ein kompletter Vollidiot bin, ich war nur nicht sehr zielgerichtet. Ich nahm an, ich würde ein Fabrik- oder Bauarbeiter werden, so wie all die anderen Männer in meiner Familie, und so entschloss ich mich, irgendwelchen Geistesanstrengungen, die nicht anwendbar waren auf ein Leben in der Arbeiterklasse, nicht allzu viel Aufmerksamkeit zu zollen. Stattdessen verbrachte ich die Zeit damit, Acid zu schmeißen, Gras zu rauchen und mich hinter den Müllcontainern an der Außenseite des Footballfelds zu betrinken. Es gab ein paar Fächer, die mein Interesse weckten. Meistens Mathe und Geschichte. Trotzdem habe ich allgemein so ziemlich alles verkackt; das Schlimmste waren die Naturwissenschaften. Mit dem Scheiß konnte ich wirklich von vorne bis hinten nichts anfangen. Periodentafeln, Sektionen, Organismen; das kam mir alles sehr Spanisch vor. Glücklicher weise teilte ich den Tisch mit einer attraktiven, intelligenten Cheerleaderin, die an jedem Tag des Jahres nach frischen Blumen roch. Manchmal, wenn der Wind stimmt, kann ich sie immer noch riechen. Sie war so nett, dass sie Mitleid hatte und mir jede Antwort in jeder Prüfung zuzustecken; jedes Mal nahm sie mich als Partner, weil sie wusste, dass ich ohne sie nicht die geringste Chance gehabt hätte. Sie war ein Engel mit einer schlechten Dauerwelle und Sommersprossen und sie weigerte sich, jegliche Bezahlung für ihre Dienste anzunehmen. Ich bot ihr Drogen und Alkohol an, ich wollte sie sogar auf eine Shoppingtour mitnehmen und ihr Schuhe und Klamotten kaufen, aber sie nahm nichts davon an. Sie ermöglichte mir, zu bestehen, und sie tat das, aufgrund der Güte ihres Herzens. Ich glaube, jetzt könnt ihr verstehen, warum ich so emotional wurde, als sie von einem betrunkenen Autofahrer getötet wurde, als sie die Straße überquerte, nur zwei Wochen nach Ende des Schuljahres.
Ryan Bassil
[ "Music", "New music", "Noisey", "Noisey Blog" ]
Music
2009-10-01T17:40:42+00:00
2024-07-31T08:06:05+00:00
https://www.vice.com/de/article/egyptian-hip-hop-yoro-diallo/
So sieht die Rebellion der Zukunft aus
Was hast du in deiner Jugend alles gemacht, um deinen Eltern auf die Nerven zu gehen? Hast du dich heimlich rausgeschlichen, um zusammen mit deinen Freunden zu kiffen? Oder hattest du vielleicht irgendwo mit irgendjemandem unerlaubt Sex? Jetzt denkst du bestimmt gerade ganz nostalgisch an früher. Gleichzeitig stellt sich aber auch die Frage, wie unsere Kinder und vielleicht sogar unsere Enkel in Zukunft gegen uns rebellieren. OK, sie werden auf jeden Fall etwas tun, das für uns total idiotisch ist, aber was genau? Werden sie immer noch kiffen, wenn ihre Eltern an irgendwelchen lahmen Cannabis- und Weinproben teilnehmen? Werden sie überhaupt an Sex denken, wenn sie sich vom Anfang ihrer Pubertät an mit Pornos en masse eindecken können? Um Antworten auf Fragen dieser Art zu finden, habe ich mit Dr. Ian Pearson telefoniert, einem Zukunftsforscher, der zum Beispiel vermutet, dass im Jahr 2050 Sex zwischen Mensch und Roboter häufiger vorkommt als Sex zwischen zwei Menschen. Pearson geht außerdem davon aus, dass viele der heutigen Drogen durch chemische Weiterentwicklung in Zukunft sicherer und damit auch legal sein werden. Gleichzeitig sorgen medizinische und biotechnische Fortschritte dafür, dass wir unseren Rausch auf ganz neue Art und Weise erleben. So haben Forscher zum Beispiel schon die transkranielle Magnetstimulation (TMS) als eine Form der Therapie bei psychischen Störungen entwickelt. In der Zukunft wird es dir also vielleicht möglich sein, einfach ein Paar TMS-Kopfhörer aufzusetzen und high zu werden, indem du verschiedene Teile des Gehirns “abstellst”. Unter Umständen kannst du dieses High sogar nach Belieben an- und ausschalten. Wissenschaftler arbeiten derzeit auch daran, Medizin in Pillenform in verschiedene Körperregionen zu lenken, um Krebs zu bekämpfen. Sobald das Medikament an seinem Ziel angekommen ist—zum Beispiel in der Leber—, wird die Kapsel von außerhalb des Körpers durch elektromagnetische Wellen oder Ultraschall zerstört. “Aber was”, fragt Pearson, “wenn man auch Heroin oder Morphium in einer solchen Kapselform einnehmen könnte?” Stell dir folgendes Szenario vor: Du schmeißt dir ein wenig MDMA ein und gehst in den Club. Vorerst passiert jedoch nichts, du tanzt einfach nur nüchtern durch die Gegend. Plötzlich drückt der DJ auf einen Knopf und elektromagnetische Wellen schwingen durch den Raum. Das Ecstasy wird freigelegt und alle Anwesenden sind auf einen Schlag richtig drauf. Vielleicht werden dann auch noch TMS-Kopfhörer verteilt, um den Rausch nach Belieben zu kontrollieren. Klingt ziemlich cool, oder? Wenn Drogen in Zukunft jedoch sicher und legal sind, dann ist der Konsum natürlich ungefähr genauso rebellisch wie ein Nasenpiercing. “Das ist eben die Sache beim Rebellieren. Wenn man etwas Legales nimmt, dann hat das nicht mehr viel mit Rebellion zu tun”, sagt Pearson. Was könnten unsere Enkel also Gefährliches/Dummes/Illegales tun? Nehmen wir mal an, dass man die weiterentwickelten Drogen mit cleverer IT verbindet, um einem anderen Menschen die Kontrolle über sein Gehirn zu geben. “Das wäre rebellisch”, meint Pearson. Er geht davon aus, dass es uns 2040 möglich sein wird, unsere Körper elektronisch untereinander zu teilen, unser Bewusstsein über das Internet zu verknüpfen und sogar das Gehirn eines anderen Menschen gegen dessen Willen zu kontrollieren. Ja, du hast richtig gelesen, du kannst deine Freunde und deine Feinde in Zombies verwandeln. Laut Pearson reicht es für die Etablierung einer solchen Praxis aus, dass der angesagteste Promi von 2040 in den sozialen Netzwerken schreibt, wie cool es ist, ein Zombie zu sein. Pearson malt mir aber noch weitere Zukunftsszenarien aus: Laut ihm wird die nächste Generation der Fitnessarmbänder nicht mehr locker am Handgelenk getragen, sondern direkt auf die Haut geklebt. Anfangs zeichnet das Gerät nur grundlegende Daten wie den Puls auf. Wenn wir die Technik aber irgendwann tiefer gehen lassen und mit unseren Nerven verbinden können, dann werden wohl auch Orgasmen auf Knopfdruck möglich sein. “Wenn du mit der Freundin deines besten Freundes schlafen willst, dann gibst du ihm einfach dieses neue Gerät und sagst ihm nichts von den erweiterten Funktionen. Dann hackst du dich in sein Nervensystem und ‘klaust’ so seine Empfindungen—und befindest dich quasi mit seiner Freundin im Bett”, erklärt Pearson. Im Grunde ist das ein wahrgewordener Film von David Cronenberg. Neben Bewusstseins- und Nervensteuerung als neue Würze im Schlafzimmer sagt Pearson aber auch eine “Explosion der sexuellen Möglichkeiten” voraus: Zukünftige Generationen werden das binäre System von Mann und Frau hinter sich lassen und neue Geschlechter erfinden. Und damit meint Pearson keine Transgender. Durch die elektronischen Steuerung von Empfindungen in Kombination mit den Entwicklungen im Bereich der virtuellen und erweiterten Realität könnte es bald möglich sein, sich komplett neue Geschlechter und Genitalien auszudenken. “Man kann dann ein neues Geschlechtsteil aus dem Bauchnabel oder rechten Arm kommen lassen”, meint Pearson. Auch hier wird wohl die Social-Media-Welt bestimmen, was eine Art der Rebellion darstellt und was einfach nur komisch ist. “Man kann nicht vorhersagen, welche Geschlechter und welche sexuelle Orientierungen erfolgreich sein werden, weil es letztendlich darauf ankommt, welche Promis auf dem Twitter der Zukunft erfolgreich sind und Trends schaffen.” Das Problem dieser ständigen Suche nach neuen Arten der sexuellen Befriedigung und neuen Kicks ist jedoch, dass man dabei schnell übers Ziel hinausschießt. Man denke zum Beispiel an die vergewaltigenden und mordenden Roboter aus Westworld oder an Folter im Live-Fernsehen. Aber was passiert, wenn man hier einen anderen Weg einschlägt? Laut Pearson führt die Mob-Mentalität, die man heutzutage in den sozialen Netzwerken beobachten kann, möglicherweise dazu, dass man aufgrund seiner Posts und Handlungen schnell verurteilt wird. Und das im wahrsten Sinne des Wortes: “Die Dinge, die heutzutage als völlig normal gelten, könnten 2050 für Ärger sorgen”, erklärt Pearson. “Die eigene Freundin zu küssen, ist dann vielleicht ein Vergehen.” In einer solchen Dystopie machen es die Fortschritte in der Überwachungstechnologie mit Sicherheit auch möglich, für Verbrechen schneller ins Gefängnis zu wandern (1984 lässt grüßen). Aber ganz egal welches Szenario, die Welt geht laut Pearson wohl so oder so vor die Hunde. Der Grund für den Pessimismus des Zukunftsforscher ist folgender: Selbst wenn wir mithilfe unserer technologischen Fortschritte Sex und Drogen besser machen, so sind und bleiben wir letztendlich immer noch die gleiche Spezies, die sich schon seit Jahrhunderten gegenseitig foltert, versklavt und einsperrt. Genau hier liegt die Krux. “Wir konnten nun schon oft genug beobachten, wie schrecklich Menschen sein können”, sagt Pearson. “Wir haben uns seit der Steinzeit nicht wirklich weiterentwickelt und mit der passenden Technologie sowie den passenden Gesetzen werden wir auch in Zukunft wieder genau die gleichen Fehler begehen wie früher.” Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.
Joel Balsam
[ "Drogen", "Dystopie", "Forschung", "Gehirn", "Geschlecht", "KI", "Marihuana", "Orgasmus", "rébellion", "Sex", "Tech", "Technologie", "Vice Blog", "zukunft" ]
Sex
2016-12-19T11:42:00+00:00
2024-07-30T22:45:59+00:00
https://www.vice.com/de/article/mgvkd4/so-sieht-die-rebellion-der-zukunft-aus
Meet Gang Gang Dance
Obwohl sie gerade damit beschäftig sind, ihr fünftes Album aufzunehmen, nahmen sich Gang Gang Dance etwas Zeit für uns und weihten uns in die Geheimnisse ihrer Kreativität ein.
[ "Tech", "The Creators Project" ]
2011-01-21T00:00:00+00:00
2024-08-12T06:42:33+00:00
https://www.vice.com/de/article/gang-gang-dance-vbs/
Nein, du musst dich zu Weihnachten nicht mit deiner Familie versöhnen
Du hast dich im Laufe der Jahre immer mehr von deiner Familie entfremdet oder stehst ihr zumindest nicht mehr so nahe wie früher? Dann hast du dir bestimmt schon mal die Meinung von anderen Leuten zu deinem angespannten Familienverhältnis anhören müssen. Vielleicht meinen es deine Freundinnen, Partner, Kolleginnen oder Bekannte ja gut, dennoch fühlst du dich deswegen oft so, als wärst du alleine Schuld an der ganzen Situation – und deshalb dafür verantwortlich, alles wieder gerade zu rücken.   “Ich glaube, hier herrscht ein Missverständnis vor: Man nimmt oft an, dass Leute, die nicht gut auf ihre Familie zu sprechen sind, einfach übertrieben sensibel sind”, sagt Lucy Blake, eine Familienforscherin mit Fokus auf Entfremdung. “Wenn ich mit diesen Leuten rede, kommt aber eigentlich immer heraus, dass ihnen die Entscheidung, den Kontakt zur Familie abzubrechen, weder leicht gefallen ist, noch diese Entscheidung von ihnen vorschnell getroffen wurde.”  Gerade jetzt in der Weihnachtszeit scheinen die schlechten und oftmals ziemlich dummen Tipps von Leuten, die solche verqueren Familienverhältnisse nicht kennen, nicht abzureißen: “Warum rufst du nicht einfach mal wieder zu Hause an?”, “Nichts ist wichtiger als Familie” oder “Ist es denn so schwer, die Vergangenheit ruhen zu lassen?” Wie kann man solchen Ratschlägen am besten begegnen? Mit der richtigen emotionalen Vorbereitung ist das gar nicht mal so schwer. Auch bei VICE: Finden alte Leute andere alte Leute heiß? “Wenn wir an die Beziehung zwischen Eltern und ihren erwachsenen Kindern denken, dann haben wir schnell Bilder im Kopf, wie sie sich gegenseitig unterstützen und oft in Kontakt stehen. Umfragen zeichnen da aber ein anderes Bild”, sagt Blake. Bei einer Umfrage unter Studierenden kam zum Beispiel heraus, dass sich 17 Prozent von ihnen von einem engen Familienmitglied entfremdet haben. Und eine andere Studie mit älteren Erwachsenen zeigt, dass ganze zwölf Prozent ihren Kindern nicht mehr nahe stehen.  Dennoch ist es nicht gerade schön, wenn du in den Instagram-Storys einer Freundin siehst, wie deren Vater ein liebenswerter Knuddelbär ist, während du mit deinem seit Jahren nicht mehr gesprochen hast. Deswegen sei es sinnvoll, über den Tellerrand des eigenen Freundeskreises hinauszublicken, sagt Andrea Bonior, eine Therapeutin und Autorin des Buches Detox Your Thoughts. “Durch Online-Communitys oder andere Gruppen kommt man mit Leuten in Kontakt, die das Gleiche durchmachen. Das hilft, denn man fühlt sich immer schlechter, wenn man glaubt, dass einen niemand versteht.” Reddit-Unterforen wie r/EstrangedAdultChild oder r/raisedbynarcissists sind ein guter Startpunkt, aber auch Bücher liefern helfende Anhaltspunkte. Entfremdung ist ein komplizierter Prozess. Nicht jeder besitzt die emotionale Grundlage oder Erfahrung dafür, dem Ganzen mit Mitgefühl zu begegnen. Bonior empfiehlt deshalb, genau darüber nachzudenken, mit wem man darüber redet. Dein bester Freund, der immer ein offenes Ohr und gute Ratschläge für dich hat? Auf jeden Fall. Ein anderer Freund, der alles ausplaudert? Lass mal lieber. Natürlich ist es jetzt in der Weihnachtszeit etwas schwerer, das angespannte Familienverhältnis zu verheimlichen, weil viel darüber gesprochen wird, was man während der Feiertage macht. Bonior empfiehlt, sich für flüchtige Bekannte und Arbeitskollegen eine “respektvoll abblockende” Antwort zu überlegen – etwa “Meine Familie ist nicht so wie viele andere Familien” oder “Es fällt mir schwer, über dieses Thema zu reden”. Dieses Jahr hast du durch die Pandemie ein zusätzliches Ass im Ärmel: Sag einfach, dass du dich wegen des Risikos nicht wohl fühlen würdest, wenn du jetzt nach Hause fährst. Selbst deine einfühlsamsten Freunde können manchmal dazu übergehen, dir ungewollte Tipps zu geben oder irgendetwas ergründen zu wollen. Vielleicht ist das auch lieb gemeint, aber manchmal willst du einfach nicht über deine Familie reden.  Laut Bonior sind solche Momente der perfekte Zeitpunkt, um das einzufordern, was du brauchst. Vielleicht willst du die Gelegenheit nutzen, um dir deinen Frust von der Seele zu reden. Oder vielleicht willst du lieber über alles andere als deine Familie sprechen, weil du dich gerade besonders einsam fühlst. Niemand kann Gedanken lesen, also sei immer ehrlich zu den Menschen, die dir am nächsten stehen. Nur so können sie wirklich für dich da sein. Leider gibt es auch Leute, die dir auch dann weiter ihre Meinung zu deinem Familienverhältnis aufdrängen oder weiter neugierige Fragen stellen, wenn du bereits höflich das Thema wechseln wolltest. In solchen Fällen kannst du laut Bonior ruhig deutlicher werden.  “Man muss bewusst Grenzen ziehen”, sagt die Therapeutin. “Man kann beispielsweise sagen, dass einen die komplizierte Situation frustriert und es schwierig ist, der anderen Person den ganzen Zusammenhang zu erklären. Oder man kann betonen, dass man die eigene Vorgehensweise für absolut richtig hält.” Das ist dein eigener Konflikt, der viel komplizierter ist, als es manche Leute überhaupt verstehen können. Mach deinen Gesprächspartnern ruhig klar, dass du einfach nicht mehr mit ihnen redest, wenn sie das Thema weiter anschneiden. Selbst wenn du ein enges Verhältnis zu deiner Familie pflegst, ist es in Zeiten der Pandemie wichtiger denn je, dass du dich auch mal um dich selbst kümmerst. Was dabei helfen kann: Freiwilligenarbeit. “Das klingt vielleicht klischeehaft, aber man fühlt sich schnell besser, wenn man anderen Menschen hilft – gerade in der Weihnachtszeit”, sagt Bonior. Was du zum Beispiel tun kannst, ohne gegen Corona-Auflagen zu verstoßen: schreibe älteren Menschen, tritt einem Mentoren-Programm bei, übernehme die Einkäufe von Leuten, die gerade nicht dazu in der Lage sind, oder spende an gemeinnützige Organisationen. Abgesehen davon ist es vor allem wichtig, die eigene Balance zu finden. “Wir müssen auf unseren Schlaf achten, wir müssen uns bewegen, wir müssen auch mal raus, wir müssen jeden Tag auch mal abschalten und die kleinen Dinge genießen – kleine Dinge, die gerade im Stress der Weihnachtszeit umso bedeutender sind”, sagt Bonior. Die eventuelle Einsamkeit vorauszusehen und etwas gegen sie zu unternehmen, sei immer noch die beste Lösung. Folge VICE auf Facebook, Instagram, YouTube und Snapchat.
[ "Coronavirus", "familie", "freunde", "Gesundheit", "happy end", "pandemie", "Streit" ]
Menschen
2020-12-09T09:17:25+00:00
2024-08-12T07:26:20+00:00
https://www.vice.com/de/article/93wwze/keine-versoehnung-mit-familie-weihnachten-pandemie
High durch HIV-Medikamente
1998 wurde das anti-retrovirale Medikament Efavirenz zur Behandlung von HIV-Infektionen zugelassen. Obwohl das Medikament extrem wirksam war, berichteten Patienten schon bald von seltsamen Träumen, Halluzinationen und Unwirklichkeitsgefühlen. Als südafrikanische Boulevardblätter von Vergewaltigungen und Überfällen berichteten, die durch Efavirenz angeregt wurden, begannen Wissenschaftler, Nachforschungen darüber anzustellen, wie es sein kann, dass Efavirenz diese unerwarteten halluzinogenen Effekte auslöst.  Hamilton Morris ist nach Südafrika gereist, um sich mit Patienten und Dealern zu unterhalten, die Efavirenz nehmen bzw. verkaufen, und um herauszufinden, wie es dazu kam, dass das lebensrettende Medikament für den gefährlichen Drogencocktail namens „Nyaope“ verwendet wird. 
[ "Drogen", "efavirenz", "hamilton", "HAMILTON MORRIS", "HAMILTON'S PHARMACOPEIA", "HIV", "medizin", "Stuff", "Südafrika" ]
Drogen
2014-04-11T11:11:00+00:00
2024-08-12T09:03:05+00:00
https://www.vice.com/de/article/getting-high-on-hiv-medication-part-1/
Flüchtlinge werden in Hamburg jetzt mit Armbändern kenntlich gemacht
Teilnehmer einer Demonstration in Hamburg. Foto: imago/Lars Berg Bisher waren bunte Papierbändchen ums Handgelenk vor allem ein Hinweis darauf, dass jemand ein bisschen zu stolz darauf war, bei irgendeiner exklusiven Party auf der Gästeliste gestanden zu haben. Wie die taz berichtet, sollen blaue Armbänder nun Flüchtlinge auf den ersten Blick erkennbar machen—zumindest in Hamburg. Am Mittwochmorgen sollen die Einwohner der Erstaufnahmeeinrichtung am Hamburger Schwarzenbergplatz dazu aufgefordert worden sein, sich zählen zu lassen. Im Rahmen dessen seien ihnen auch die Armbänder umgelegt worden, erklärte der Flüchtling Amer S. gegenüber der taz. Warum genau, wurde den Bewohnern des Heims angeblich nicht mitgeteilt. „Sie müssen es an Ihrem Handgelenk behalten, das kennzeichnet Sie als Flüchtling” soll die einzige Erklärung gewesen sein. „Wir haben das erstmalig ausprobiert, um damit eine Zählung zu unterstützen”, sagte Susanne Schwendtke auf Anfrage der Zeitung. Sie ist Sprecherin des Hamburger Trägers Fördern und Wohnen, der die meisten Erstaufnahmeeinrichtungen der Stadt betreibt. Ihrer Aussage nach sollen die Flüchtlinge lediglich dazu „gebeten” worden sein, die Bändchen nicht direkt wieder zu entfernen. Das widerspricht allerdings Aussagen nicht näher benannter Einrichtungsmitarbeiter, wonach Flüchtlingen klar suggeriert worden sei, kein Essen zu bekommen, wenn sie die Bänder entfernen oder erst gar nicht anlegen würden. Dinge, die Flüchtlinge zwischen Serbien und Ungarn zurückgelassen haben. Im Allgemeinen soll die fragwürdige Anweisung unter der Belegschaft auf starke Ablehnung gestoßen sein. Man habe es fast flächendeckend als „menschenunwürdig” und „nicht gerade integrationsfördernd” eingestuft, dass die Asylsuchenden bereits auf den ersten Blick als solche zu erkennen seien. „Wir wollten das eigentlich verweigern, weil das stark an dunkle Zeiten in der deutschen Geschichte erinnert”, erklärte eine Mitarbeiterin gegenüber der taz, die namentlich nicht genannt werden möchte. Davon, gegen die Anweisung juristisch vorzugehen, wurde ihnen von einem konsultierten Anwalt allerdings abgeraten. Schließlich sei „dieses Vorgehen nicht offensichtlich rechtswidrig”.
VICE Staff
[ "Deutschland", "flüchtlinge", "Flüchtlingsheim", "Hamburg", "Hitler", "Juden", "Nazis", "News", "Politik", "Rassismus", "Vice Blog" ]
2015-09-24T14:39:00+00:00
2024-07-31T01:37:05+00:00
https://www.vice.com/de/article/fluechtlinge-werden-in-hamburg-jetzt-mit-armbaendern-kenntlich-gemacht-899/
Jail Time Records: Das Label in Kameruns berüchtigtstem Gefängnis
Jetzt, wo er wieder aus dem Knast ist, verdient Magloire Noumedem sein Geld auf den Straßen von Douala – wo immer er kann. In Kameruns Hafenmetroprole fährt der 31-Jährige Taxi, putzt und arbeitet als Atalaku DJ, eine Art Entertainer für Privatpartys. Dabei tritt er vor reichen Menschen auf und heizt das Publikum an. Manchmal werfen ihm Leute Geld auf die Bühne, dafür ruft er im Gegenzug ihren Namen aus. Das sind aber nur Jobs für Noumedem. Seine Leidenschaft gilt seiner eigenen Musik, einer Mischung aus Drill und Trap, die er unter dem Namen Kengol DJ macht. Angefangen hat er damit im Gefängnis. Am 23. Dezember 2019 wurde Noumedem für “Vagabonding” verhaftet, also fürs Herumstrolchen. Das heißt, man hatte ihn beim Kiffen erwischt, außerdem hatte er keinen Ausweis. Dafür musste er sieben Monate ins New Bell Prison, eins der berüchtigtsten Gefängnisse Kameruns. “Es war eine sehr schlimme Erfahrung für mich”, sagt Noumedem, wir unterhalten uns über eine wacklige Zoom-Verbindung, ein Übersetzer hilft uns bei der Verständigung. “Die Haftstrafe war nicht angemessen für mein Vergehen und mein Strafregister. Ich bin ein friedliebender Mensch. Zum Glück habe ich dort das Studio gefunden.”  Noumedem meint das Tonstudio des Non-Profit-Labels Jail Time Records, das es seit 2018 im New Bell Prison gibt. Er fing an, dort aufzunehmen, und schaffte es mit einem seiner Tracks auf dem 24 Songs umfassenden Label-Sampler Jail Time Vol.1 – alle Lieder sind im Gefängnis entstanden und wurden dort aufgenommen. Die Kompilation vereint verschiedenste Stile und Themen. Und sie ist vor allem richtig gut. Jail Time Records betreibt nicht nur ein Tonstudio im New Bell, sondern dreht dort auch Musikvideos. Regie führte bei fast allen die italienische Künstlerin Dione Roach, die Mitbegründerin von Jail Time Records. Die 33-Jährige hatte vor ein paar Jahren mit einer Nichtregierungsorganisation Veranstaltungen im New Bell organisiert. Während eines Tanzunterrichts übernahm eine Rapcrew das Mikro. Bald übten sie täglich. “Das Gefängnis ist sehr überbelegt”, sagt Roach, “also werden Orte zweckentfremdet. Wir haben dann in einem Raum im Todestrakt geprobt.”  Als die Rapcrew den Wunsch äußerte, eine CD rauszubringen, schlug Roach der Gefängnisleitung vor, ein Aufnahmestudio zu bauen. Sie bekamen die Erlaubnis, jetzt brauchten sie nur noch jemanden, der das technische Wissen hat, um es zu leiten. Zum Glück gab es Vidou H, den anderen Mitbegründer von Jail Time Records. Steve Happi, wie Vidou H mit bürgerlichem Namen heißt, war zu dieser Zeit selbst Insasse in New Bell. Dem heute 34-Jährigen wurde damals vorgeworfen, seinen Vater umgebracht zu haben, der während einer OP an einem Herzinfarkt gestorben war. Happi, den man inzwischen von allen Anklagepunkten freigesprochen hat, hatte vor seiner Inhaftierung bereits als Tontechniker und Produzent gearbeitet. So wurde er schnell der Produzent des Studios und baute die Beats.  “Wir haben ein MIDI-Keyboard, zwei Mikros, Lautsprecher und den wichtigsten Teil: unser Gehirn”, sagt Happi. “Dione hat mir einfach den Schlüssel gegeben und bis heute haben wir über 1.000 Songs aufgenommen. Am Anfang war es vor allem Rap, aber inzwischen steht die Tür allen offen.” Seit Dezember 2019 lebt Happi wieder in Freiheit, aber er kehrt regelmäßig ins Gefängnis zurück, um mit den Insassen aufzunehmen. Er schätzt, dass bislang rund 300 Künstler das Studio genutzt haben, viele von ihnen hatten zuvor noch nie Musik gemacht. Er und Roach betonen, dass alle willkommen sind, egal welche musikalischen Fähigkeiten sie haben, welches Genre sie bedienen oder welches Verbrechen sie begangen haben. “Wir müssen für alle offen sein”, sagt Happi. “Manchmal verheimlichen Häftlinge dir Sachen. Ich weiß das. Ich kenne ihre Geschichten – Insassen reden.” Es könne vorkommen, dass man mit jemandem im Studio stehe, von dem man weiß, dass er jemanden umgebracht und zerstückelt hat. “Der macht einen Take und du sagst: ‘Bruder, das war hammer.’ Du musst das einfach vergessen.”  Auch ein paar Frauen, die in New Bell einsitzen, nutzen das Studio. Jeje ist die erste Künstlerin des Labels. Für die 21-jährige Nigerianerin ist das Studio ein Zufluchtsort. Den Gefängnisalltag findet sie extrem hart. “Es ist sehr schlimm”, sagt sie. “Es gibt eine Menge Regeln, die man befolgen muss und Leute versuchen dich immer, zu irgendwelchen Dingen anzustiften.” Dass sie kein Französisch spricht, eine der zwei Amtssprachen Kameruns, macht es für sie nicht einfacher zu verstehen, was die Wachleute oder Mitgefangene von ihr wollen.  Jejes Eltern hatten finanzielle Probleme und konnten ihre Schulgebühren nicht bezahlen, also schickten sie sie nach Douala, wo sie bei ihrem Onkel leben sollte. Dieser misshandelte sie und Jeje klaute ihm etwas Geld in der Hoffnung, nach Hause zurückkehren und eine Karriere als Musikerin starten zu können. Ein Jahr versteckte sie sich in Douala vor ihrem Onkel, der sie aber schließlich fand und den Behörden übergab. Seit 2020 sitzt sie eine dreieinhalbjährige Haftstrafe ab. “Als ich hörte, dass es ein Studio im Gefängnis gibt, das ich benutzen kann, fand ich es hier etwas weniger schrecklich”, sagt Jeje. “Ich konnte dorthin gehen, mit Leuten abhängen und Songs machen. Das hat mir wirklich geholfen. Ich weiß nicht, was ich ohne das Studio gemacht hätte.” Bislang hat sie mehr als 20 Lieder aufgenommen, darunter auch die Single “Show Me The Way”, einen R’n’B-Song mit Drill-Einflüssen. Das Video dazu drehte die Regisseurin Roach nachts im Frauentrakt des Gefängnisses mit Jeje und anderen Insassinnen. Dieses Jahr soll ihr Debütalbum erscheinen. Jail Time hat schon eine ganze Reihe Musikvideos im New-Bell-Gefängnis gedreht, das erste vor drei Jahren mit Stone Labarik. Der 37-Jährige sitzt seit sechseinhalb Jahren im Gefängnis. Das ehemalige Mitglied von Kameruns Präsidentengarde wurde wegen eines bewaffneten Raubüberfalls und Fahnenflucht zu zehn Jahren Haft verurteilt. Labarik beteuert seine Unschuld. Er habe seine Dienstwaffen bei einem Freund gelassen, ohne zu wissen, dass dessen Haus als Treffpunkt nach einem Raubüberfall benutzt werden sollte. Als die Polizei in das Gebäude eindrang, fand sie seine Waffen und beschuldigte Labarik, am Überfall beteiligt gewesen zu sein. “Ich habe im Gefängnis viel gelernt”, sagt er. “Ich habe Gott gefunden. Das ist die einzige Hoffnung, die ich habe. Meine Freunde und meine Familie haben sich von mir abgewandt. Seit ich hier bin, habe ich viel fürs Leben gelernt.”  Labarik hatte bereits während seiner Schulzeit angefangen, Musik zu machen. Als er zur Armee ging, hörte er allerdings damit auf. Während seiner Haft entdeckte er dann seine Leidenschaft wieder und veröffentlichte 2020 seinen Song “Fils du terre terre”. Den Einfluss seines Kindheitsidols DMX hört man deutlich raus. An den Dreh zum Musikvideo erinnert er sich gerne zurück. “Es war das erste Mal, dass professionelle Kameras im Gefängnis erlaubt waren”, sagt Labarik. “Wir drehten von morgens bis nachts. Es war total aufregend. Wir hatten viel Spaß.” Der 37-Jährige schreibt weiterhin eigene Songs, aber unter Happis Anleitung hilft er jetzt auch anderen Künstlern bei ihren Aufnahmen im Tonstudio. Für viele Häftlinge gehen die Probleme draußen weiter. Deswegen gibt es ein zweites Jail Time Studio in Douala außerhalb der Gefängnismauern. “Im Gefängnis hat das Studio großen Einfluss, weil es den Insassen eine Aufgabe gibt: einen Fokus, ein Ziel, Hoffnung”, sagt Mitbegründerin Dione Roach. “Es strukturiert ihren Tagesablauf und gibt ihnen die Möglichkeit, sich auszudrücken. Sobald sie wieder frei sind, ist das schwieriger. Die Resozialisierung ist kompliziert. Viele sind drogenabhängig und landen wahrscheinlich auf der Straße. Deswegen haben wir auch außerhalb des Gefängnisses ein Studio gebaut.” Das Leben in New Bell ist hart und “sehr gewalttätig” wie Happi sagt, das Tonstudio eine willkommene Abwechslung. Jail Time Records ist ein solcher Erfolg, dass Roach und Happi demnächst ein Tonstudio in einer Haftanstalt in Burkina Fasos Hauptstadt Ouagadougou eröffnen werden und ein weiteres in Ngoma, Kamerun. Sie hoffen, damit den gesellschaftlichen Blick auf die Häftlinge zu ändern und die Resozialisierung zu fördern. Schon jetzt ermöglicht Jail Time Records den Menschen hinter den Mauern, die Welt mit ihrer Kunst zu erreichen. Hier unten kannst du dir den Jail Time Records Label-Sampler anhören. Folge VICE auf Facebook, TikTok, Instagram, YouTube und Snapchat.
[ "afrika", "Fotos", "Gefängnis", "haft", "HipHop", "Kamerun", "Knast", "Musik", "Rap", "Verbrechen" ]
Popkultur
2023-06-15T13:59:29+00:00
2024-08-12T06:38:27+00:00
https://www.vice.com/de/article/jail-time-records-das-label-in-kameruns-beruchtigtstem-gefangnis/
Happy IDAHOT!
Heute ist der internationale Tag gegen Homophobie, Transphobie und Biphobie, auf Englisch “International Day Against Homophobia, Transphobia and Biphobia”—kurz IDAHO oder IDAHOT. “Biphobia” ist erst seit 2015 im Titel dabei und demnach noch nicht ganz in die Abkürzung durchgesickert—”IDAHOTB” verlangt zugegebenermaßen fast schon nach einem “Gesundheit!”. Wir begehen diesen Tag nicht etwa, weil uns das taugt, oder weil wir nichts Besseres zu tun haben—es gibt diesen Tag, weil er immer noch notwendig ist. Weil es keine zwei Jahre her ist, dass jemand “Töte Schwule” auf die Rosa Lila Villa, dem queeren Herzen Wiens, gesprayt hat. Weil ein Coming-out immer noch für Schlagzeilen sorgt, obwohl es scheißegal sein sollte. Weil ein Junge wie Nasser aus Berlin aufgrund seiner Sexualität von seiner eigenen Familie ausgepeitscht, mit Benzin übergossen, mit kochendem Wasser verbrüht, zwangsverlobt, betäubt und entführt wird. Homosexuelle Flüchtlinge fliehen aus Ländern, in denen ihnen die Todesstrafe droht, in Uganda herrscht ein Anti-Homo-Gesetz, und in den USA werden sogenannte Reperativtherapien angeboten,die Homosexualität “heilen” sollen. Zumindest hat in den USA die Liebe inzwischen gewonnen, Österreich hingegen steckt beim Thema Ehe für alle immer noch im Mittelalter fest, obwohl wir so großartige Veranstaltungen wie die Rosa Wiesn haben. Und ja, als Homo in der konservativen Provinz aufzuwachsen ist nicht gerade angenehm und meistens hat man später keine Ahnung davon, wie oder ob man als homosexueller Mann überhaupt glücklich werden kann. Noisey hat sich Wiens schwule Partyszene angesehen. Diskriminierung wegen sexueller Orientierung und Transphobie sind zwei verschiedene Paar Schuhe, gemeinsame Positionen gegen Heteronormativität verbinden trotzdem—weshalb der 17. Mai auch nicht exklusiv einer Gruppierung gewidmet ist. Im Zuge der zweiten Staffel von VICE Alps haben wir Sam bei seiner Transformation von der biologischen Frau zum Mann begleitet. Aber auch die Abteilung Bisexualität hat noch mit Vorurteilen zu kämpfen. Während die einen glauben, weibliche Bisexualität wäre ein Phänomen der Generation Y und es für Männer immer noch ein Tabuthema zu sein scheint, plädieren wir lieber für ein Leben, das sich nicht auf ein Hetero-Ufer beschränkt. Zumindest versuchen wir es. Happy IDAHOT, ihr schönen, glitzernden Menschen. Auf dass es diesen Tag irgendwann nicht mehr braucht. Alle Artikel zum Thema LGBT findest du hier. Header: torbakhopper | Flickr | CC BY 2.0
VICE Staff
[ "bi", "bisexualität", "homophobie", "Homosexualität", "IDAHOT", "lesbisch", "LGBT+", "LGBTQ", "schwul", "Stuff", "transphobie", "Transsexualität", "Vice Blog" ]
2016-05-17T07:34:00+00:00
2024-07-30T22:28:55+00:00
https://www.vice.com/de/article/tag-gegen-homophobie/
Die größten Küchen-Fails der Profiköche
Dieser Artikel erschien ursprünglich auf Niederländisch bei MUNCHIES NL. Tollpatschigkeit gehört leider zum Menschsein dazu. Jeder hat sich schon mal einen Zeh am Couchtisch gestoßen, sich auf eine Brille gesetzt oder einen Topf auf dem Herd vergessen, mit dem Ergebnis, dass das Essen verbrannt war und der Topf ruiniert. Köche sind da keine Ausnahme, auch sie haben manchmal einfach nur Pech, auch ihnen passieren Pannen. Ich habe ein paar Köche nach ihren größten Fails in der Küche gefragt. Illustrationen von Timo ter Braak. Jonathan Karpathios (38), Vork en Mes Einmal kam ich sonntags ins Restaurant und in der Küche roch es nach verbranntem Menschenfleisch, anders kann ich das nicht beschreiben. Samstagabends beeilen wir uns immer, das Restaurant zu schließen, damit wir alle noch ein Bier trinken gehen können. An diesem Samstag hatten wir eine Fleischbrühe aufgesetzt, die muss bei kleiner Flamme langsam über Nacht köcheln. Aber einer meiner Kollegen hatte vergessen, den Herd runterzudrehen, also ist die ganze Flüssigkeit verdampft und auf dem Boden klebten nur noch die Knochen. Ich war einfach nur froh, dass uns der Laden nicht abgebrannt ist, aber der Typ musste seine Strafe bekommen und den Topf sauber machen. Damit war er dann bis Mitternacht beschäftigt. Es ist ziemlich anstrengend, weil normale Topfschwämme hier nichts bringen. Mit Messern und Schraubenziehern hat er dann versucht, die verbrannten Knochen rauszubekommen. An dem Abend gab es keine Fleischbrühe, aber Spaß hatten wir trotzdem. Einen Catering-Auftrag für eine der größten Banken der Niederlande haben wir auch ziemlich gegen die Wand gefahren. Es sollte frischen Saft gebenund einer meiner Kollegen hat im schicken Eingangsbereich der Location drei Eimer, also ungefähr 30 Liter, Rote-Bete-Saft verschüttet. Jeder Gast musste durch die Lobby gehen und jetzt sah es aus, als hätte dort jemand eine Kuh geschlachtet. Der Marmorboden, die Türen, die Decke—alles war mit rotem Saft bedeckt. Es sah einfach schrecklich aus. Mit einem Taxi mussten wir dann 20 Liter frischen Saft von unserem Restaurant zur Eventlocation kommen lassen. Wir haben die ganze Zeit frischen Saft gepresst, damit wir auch genug hatten. Jeder, der in die Lobby kam, fragte, welches Tier hier geschlachtet wurde. Es war die Hölle. Am Ende mussten wir für alles zahlen: drei Reinigungskräfte, die alles putzen mussten, und die Malerarbeiten in der Lobby, weil der Rote-Bete-Saftin die Wände eingezogen ist. Kurz gesagt, haben wir bei diesem Auftrag nichts verdient. Was uns bleibt, ist eine lustige Story. Gina Verheij (23), Toscanini Als ich in der Gastronomie anfing, war ich für die Desserts verantwortlich und eines Abends sollte es ein Zitronensorbet mit Meringue geben. Die Meringue muss karamellisiert werden und ich habe es den ganzen Abend mit Salz statt mit Zucker gemacht, sodass unsere Desserts herzhaft und nicht süß waren. Zugegeben, ich hatte wenig Erfahrung in der Küche, also habe ich nicht wirklich bemerkt, dass es mit Salz nicht richtig klappt. Eine Kellnerin meinte zu mir, dass die Meringue irgendwie komisch aussieht und als sie herausgefunden hatte, was passiert war, konnte sie nicht aufhören zu lachen. Mir war das so peinlich, aber kein einziger Gast hat sich beschwert. Vielleicht habe ich an diesem Abend salziges Karamell erfunden, wer weiß, so schlecht war es ja nicht. Seitdem weiß ich, dass in der Küche alles passieren kann und dass man immer vorher probieren sollte. Joaquin van der Vliet (41), Rose’s Cantina Vor zwei Jahren, an einem ziemlich geschäftigen Freitagabend im Rijsel—das nebenbei bemerkt eine offene Küche hat—ging uns die Sauce bordelaise aus, eine dunkle Sauce auf Rotweinbasis mit Rindermark, und ich dachte, ich mach schnell neue. Unter dem Ofen hatten wir einen kleinen Gefrierschrank, da drin war ein schwarzer Plastikbehälter mit dem Rindermark. Ich schnappte mir den Behälter, nahm ein bisschen Rindermark raus und war mir sicher, dass ich den Behälter dann wieder in den Gefrierschrank gestellt hatte. Doch er stand im Ofen. Nach vier Minuten guckten ich und mein Chef uns an und rümpften beide die Nase. Was war das für ein Geruch? Als ich den Backofen aufmachte, waren die Gitter mit klebrigen, schwarzen Fäden überzogen. Wir stellten siein den Geschirrspüler, machten den Ofen sauber, schoben ein paar Ersatzbleche rein und machten uns so schnell wie möglich wieder an die an die Arbeit. Ich war so überrascht und so froh, dass mein Chef überhaupt nicht sauer auf mich war. Ich glaube, er fand das Ganze so blöd, dass er sich gar nicht darüber aufregen wollte. Davor hatte ich in einem Restaurant in Amstelveen gearbeitet. Am Ende des Abends mussten wir immer die Fritteusen sauber machen. Dafür musste man einen Hahn öffnen, damit das Fett in einen Behälter darunter abfließen kann. Den macht man dann wieder zu, und lässt dann Wasser mit Natron in die Fritteusen ein. Wenn man sie dann anschaltet, werden sie quasi von selbst sauber. Eines Abends musste ich das machen, doch ich habe vergessen, den Hahn wieder zu schließen und so vermischte sich das Wasser inklusive Natron mit dem alten Fett in der Wanne. Heißes Öl, Wasser und Natron hatten einen tollen Effekt: Innerhalb weniger Minuten war die ganze Küche mit einem fettigen Schaum bedeckt. Ich habe keine Ahnung, wie das chemisch funktioniert, aber ich stand bis zu den Knöcheln in der Suppe. Und es hörte nicht auf. Also musste ich um ein Uhr nachts die gesamte Küche sauber machen. Zwei Stunden lang habe ich mit einem Bodenwischer den Schaum in Richtung Abfluss geschoben. Eigentlich wollte ich auf eine Party, aber das habe ich nicht mehr geschafft. Das einzig Schöne an dem Abend war das Bier, das ich mir beim Putzen gegönnt habe. Einem Kollegen von mir ist es mal passiert, dass er 21 Leuten Panna Cotta mit Mayonnaise statt mit Englischer Creme serviert hat. Ich hatte am anderen Ende der Küche am Ofen gearbeitet, aber nachdem die Gruppe ihr Dessert bekommen hatte, musste ich bei den Desserts mit einspringen. Ich fragte also nach der Flasche mit der Englischen Creme und aus Gewohnheit habe ich probiert, bevor ich sie über die Panna Cotta gegeben habe, und gemerkt, dass Zitronenmayonnaise drin war. Irgendwie wurden die Flaschen vertauscht. Die große Gruppe musste also Mayonnaise bekommen haben. Ein Teller kam zurück in die Küche und ich fragte die Kellner, ob sie die Gäste nach dem Dessert fragen könnten. Einer von ihnen meinte, dass er das Gericht nicht so ganz verstanden hatte, aber alle anderen fanden es absolut lecker. Ekelhaft. Lennart De Kruif (28), Brasserie St. Jan in Sluis Einer meiner Kollegen hatte gerade 60 Liter frische Tomatensuppe gekocht. Nachdem sie ein bisschen abgekühlt war, wollte er den Topf in den Kühlraum stellen, aber er rutschte ihm aus der Hand. Die Decke, die Wände, die Tür, alles war mit Tomatensuppe bedeckt. Vorher war alles weiß, jetzt war es rot. Die Leute, die damals mit in der Küche waren, fanden es witzig, die, die es am Ende sauber machen mussten, eher weniger. Zwei Typen haben gut zwei Stunden lang den Boden auf ihren Knien geschrubbt und versucht, die Tomatensuppe mit Geschirrtüchern aufzuwischen. Und wir mussten natürlich frische Suppe kochen. Später haben wir nur drüber gelacht. Wie sagt man so schön: „Shit happens.”
[ "Denken", "Food", "Köche", "Kochen", "küche", "Malheur", "Munchies", "pannen", "pech", "Restaurant" ]
2016-11-09T11:00:07+00:00
2024-08-12T10:22:47+00:00
https://www.vice.com/de/article/die-groessten-kuechen-fails-der-profikoeche/
Nein, die FPÖ hat keine NS-Referenz in einer Jackenfalte versteckt
Nicht erst seitdem das Mauthausen-Komitee am Dienstag die Broschüre “Die FPÖ und der Rechtsextremismus – Lauter Einzelfälle?” mit 60 Beispielen veröffentlicht hat, weiß man, dass die FPÖ von Zeit zu Zeit Scheiße baut. Gravierende Scheiße, die nicht selten mit rechter Semantik und noch rechteren Sagern zu tun hat. Aber wie ein aktueller Fall beweist, führt diese Tatsache unter anderem zu einem geradezu hysterischen Überinterpretieren von FPÖ-Botschaften. Der Reihe nach: Am Mittwoch veröffentlichte die FPÖ ihr lange erwartetes Wirtschaftsprogramm. Auf dem Cover der Broschüre prangen die Worte: “Fairness. Freiheit. Fortschritt.” Dahinter ist ein Mann abgebildet, der offensichtlich Dinge schweißt und dabei eine Schutzmaske trägt. Aber manche Menschen meinen, auf dem Cover der Broschüre noch mehr zu erkennen: und zwar die Abkürzung “NS”, geschickt versteckt in den Ärmelfalten des Mannes, der da gerade Dinge schweißt. Ja, wirklich: Während Twitter-User noch damit beschäftigt sind, sich zu empören, ist man auf Reddit schon einen Schritt weiter und hat eines der wichtigsten investigativen Tools unserer Zeit angewandt: Googles Umgekehrte-Bilder-Suche. Dabei ist ein User namens “kritzikratzi” auf das Original gestoßen, das für das Cover des Wirtschaftsprogramms lediglich gespiegelt wurde. Und ja, auch auf dem Stockfoto von Jozef Polc, einem slowakischen Fotografen, sind die verdächtigen Falten zu sehen: Natürlich könnte man jetzt meinen, dass zumindest die Spiegelung ein bewusster Akt war und die FPÖ es demnach doch darauf angelegt hat, die “NS”-Botschaft auf ihre Broschüre zu schummeln. Aber dafür hätte die FPÖ das Internet auch nach gespiegelten und verzerrten “NS”-Elementen auf Schweißer-Fotos durchkämmen müssen – und dass die Freiheitlichen dafür nicht die nötige Netzkompetenz haben, wissen alle, die schon mal Hofers Smileys mit Nase oder Straches abgeschnittene und verpixelte Twitter-Titelbilder gesehen haben. Abgesehen davon gilt auch hier, genau wie überall: Wenn man eine Sache genauso gut mit Zufall, Dummheit oder Überinterpretation erklären kann wie mit viel komplizierteren Verschwörungstheorien, dann ist dem ersteren Erklärungsmodell der Vorzug zu geben. Das originale Stockfoto sollte jedenfalls Grund genug sein, euch wieder zu beruhigen und eure Empörungsenergie wichtigeren Dingen zu widmen. Zum Beispiel der neuen Plakatkampagne der Grünen oder Taylor Swifts neuem Albumcover. Denn in Fällen wie diesen hilft die Hysterie nur der FPÖ und bringt ihr die Aufmerksamkeit, die sie in letzter Zeit zum Glück nur selten bekommt. Folge VICE auf Facebook, Instagram und Twitter.
VICE Staff
[ "FPÖ", "NS", "Österreich", "Politik", "Schon wieder Wahlen!!!", "Twitter" ]
2017-08-24T14:58:58+00:00
2024-07-30T20:39:03+00:00
https://www.vice.com/de/article/nein-die-fpo-hat-keine-ns-referenz-in-einer-jackenfalte-versteckt/
Drohbriefe an Berliner Linke könnten von der Polizei stammen
Adressen, Klarnamen und Fotos, teilweise aus erkennungsdienstlichen Behandlungen, die eigentlich nur der Polizei vorliegen dürften: Das alles stand in einem neunseitigen Drohbrief, den mehrere Linke am 22. Dezember 2017 in ihren Briefkästen fanden. Unbekannte hatten die Daten aufgelistet und damit gedroht, diese unter anderem an Rechte weiterzuleiten. Schon damals sagten Betroffene, die Daten könnten nur aus Polizeiquellen stammen. Eine aktuelle Recherche der Zeit hat diesen Verdacht nun erhärtet. 42 Personen aus dem Umfeld der Rigaer Straße 94 hatten die Verfasser in dem Schreiben genannt, manche mit Foto, manche nur unter Nennung ihres vollen Namens. Bei einigen waren Kommentare hinzugefügt, beispielsweise zu Straftaten, die vermuten lassen, dass der Verfasser Zugang zu Informationen der Polizei hatte. Indymedia stellte kurz darauf Auszüge davon online, teils mit geschwärzten Passagen, um die privaten Daten nicht weiter zu verbreiten. In dem Brief hieß es unter anderem: “Eure Gesichter, Namen, Adressen, Fahrzeuge, Eltern, Geschwister sind sehr lange schon bekannt.” Außerdem wurde den Betroffenen damit gedroht, ihre Daten “an die Identitären, die AN’s [Anm. d. Red.: Autonome Nationalisten] oder die Bullen oder wen auch immer” weiterzuleiten. Der Grund: Aktivisten und Aktivistinnen der Rigaer 94 hatten zuvor Portraitfotos von 54 Beamten und Beamtinnen verbreitet, nachdem die Polizei ihrerseits öffentlich mit Fotos nach G20-Demonstrierenden gefahndet hatte. Doch wie kamen die Verfasser der Briefe an die Daten und Fotos der Betroffenen? “Wir sind sicher, dass das Schreiben von der Berliner Polizei erstellt und verschickt wurde, da niemand sonst Zugang zu entsprechenden Fotos von ED-Behandlungen [Anm. d. Red.: erkennungsdienstlichen Behandlungen] und Ermittlungsakten haben dürfte”, so der indymedia-Beitrag. Die Polizei selbst hielt sich im Januar bedeckt. Gegenüber VICE erklärte ein Pressesprecher damals, dass man erst Ermittlungen einleiten könne, wenn der Anfangsverdacht einer Straftat vorliege. “Ohne die Briefe können wir nicht beurteilen, was das für Bilder waren”, sagte der Sprecher, “die Polizei ist darauf angewiesen, dass jemand Anzeige erstellt oder uns die originalen Briefe vorlegt – gerne auch anonym.” Zu dem Zeitpunkt lag das Original der Polizei selber nicht vor. Ein Journalist der Zeit gelangte an ein Exemplar des Briefs. Man habe daraufhin versucht, mit allen genannten Personen zu sprechen und Kontakt mit mehreren Polizisten, Ermittlern der Staatsanwaltschaft und der Polizei selbst aufzunehmen, schreibt der Journalist Christian Fuchs in einem aktuellen Bericht (Bezahlinhalt). Dort heißt es, manche der Adressaten hätten nur entfernt Kontakt mit dem Haus in der Rigaer Straße 94 gehabt – etwa ein Mann, der vor Jahren eine kurze Affäre mit einer Bewohnerin hatte. Der Zeitung zufolge seien “zahlreiche der verunglimpften Personen” aktuell überhaupt nicht in der Szene aktiv. Trotzdem seien die personenbezogenen Daten einem Betroffenen zufolge auf aktuellem Stand, ein Indiz dafür, dass sie tatsächlich aus der Datenbank der Polizei stammen könnten. In der Zeit heißt es: “Laut internen Ermittlungen der Berliner Polizei stammen acht der verwendeten Fotos aus Polizeidatenbanken: fünf davon aus Ermittlungsakten und drei aus dem amtlichen Melderegister.” Die Fotos seien in der POLIKS-Datenbank der Berliner Polizei gesichert, Zugriffe darauf werden immer protokolliert. Auch Abrufe in den Tagen vor dem Eingang der Briefe seien notiert wurden. Ein Ermittler hat der Zeit von insgesamt 130 Din-A4-Seiten mit Zugriffs-Protokollen auf die Daten der betroffenen Personen berichtet. Wie rechtfertigt die Polizei diese Abrufe, vor allem wenn viele der Betroffenen scheinbar schon länger nicht mehr in der Szene aktiv sind? Auf eine Anfrage der Zeit sagte die Polizei nur, die Zugriffe seien “dienstlich begründet”. Wie genau und welche Beamten involviert waren, teilte sie allerdings nicht mit. Die Berliner Datenschutzbeauftragte Maja Smoltczyk kritisiert das. “Ich erwarte von der Polizei, dass sie genauso intensiv ermittelt, wie sie das in anderen Fällen auch tun würde – selbst wenn in diesem Fall eigene Leute involviert sein könnten”, sagte sie gegenüber der Zeit. Smoltczyk habe einen Strafantrag an den Berliner Polizeipräsidenten gestellt, die Polizei habe daraufhin die Ermittlungen abgegeben, berichtet die Zeit abschließend. Jetzt habe die Staatsanwaltschaft den Fall übernommen. Gegenüber der Zeit hatte sie sich dazu nicht äußern wollen. Auch eine Anfrage von VICE blieb unbeantwortet. Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.
VICE Staff
[ "Copwatch", "Datenleak", "Indymedia", "linke", "Polizei Berlin", "Rigaer 94" ]
2018-05-17T12:48:32+00:00
2024-07-30T18:36:07+00:00
https://www.vice.com/de/article/drohbriefe-an-berliner-linke-von-der-polizei/
Tom Araya hat seine Seele an Slayer verkauft, aber war es das wert?
Tom Araya klingt müde. Er ist heute irgendwo in einem Hotelzimmer in Idaho und verbringt die Zeit mit Telefoninterviews und Fernsehen. Bis es Zeit wird, wieder in den Bus zu steigen und den nächsten Stopp auf dem Reiseplan seiner Band abzuhaken. Um mit ihm zu sprechen, muss ich die Rezeption anrufen, einen falschen Namen nennen, und warten—hoffen—dass der Anruf ihn erreicht. Mein erster Versuch scheitert, aber bei meinem zweiten Versuch, mit einem der berühmtesten Metalmusiker der Welt in Kontakt zu kommen, höre ich ein Freizeichen und werde anschließend mit einem warmen kalifornischen Akzent begrüßt. Ich mache mir innerlich eine Notiz, meinem Vater zu schreiben („Ich habe gerade den Typen von Slayer interviewt!!!“) und frage den legendären Sänger und Bassisten, wie sein Tag ist. Es ist fast wie bei Almost Famous, auch wenn Araya nicht unter dem Namen Harry Houdini zu erreichen ist. Wenn er auf Tour in einem Hotel eincheckt, dann benutzt er den Namen eines Kampfkünstlers, der für ihn eine besondere Bedeutung hat. Er und der Rest seiner Familie haben alle schwarze Gürtel; sie haben vor sechs Jahren zusammen angefangen zu trainieren, als Araya und seine Frau begannen, ihre Kinder zu Hause zu unterrichten, und eine interessante körperliche Betätigung für sie brauchten. Also ist er jetzt wohl das einzige Mitglied von Slayer, das dich wirklich umbringen könnte—obwohl er, als ich dies erwähne, in den Modus des sensiblen und ernsten Vaters verfällt und mir eine kleine Standpauke hält. „Wir trainieren zur Selbstverteidigung. Du kannst damit schützend helfen. Das ist die Idee dahinter. Es dient nicht zum Angriff, sondern zur Verteidigung“, erklärt er. „Der Großmeister hat uns gesagt: ‚Du gibst den Leuten zwei Chancen und danach sagst du erst ‚Nein‘, aber dann? Zwei Wochen Krankenhaus!’“ Er kichert nach der letzten Bemerkung und auch im weiteren Verlauf unseres Interviews wird er viel und schnell lachen. Trotz seiner grimmigen Bühnenpersönlichkeit und seines legendären Schreis ist Araya ein bekanntermaßen entspannter Typ—ein gutherziger Kontrastpunkt zum schroffen Gitarristen Kerry King, dem forschen langjährigen Schlagzeuger Dave Lombardo oder dem hart feiernden, vor zwei Jahren verstorbenen Jeff Hannemann. Der Kontrast zwischen Tom Araya, dem entspannten Familienvater, und Tom Araya, dem Metalgott, ist interessant, besonders wenn man die Länge von Slayers Karriere bedenkt. Er ist 1981 eingestiegen, kurz nachdem King und Hannemann die Band gegründet hatten. So erlebte er mit, wie seine Kreation von etwas, das ein paar Kids, die auf NWOBHM und Punk standen, sich in einer feuchten Garage außerhalb von Los Angeles ausgedacht haben, zu einer der einflussreichsten und zeitlosesten Bands des Heavy Metal wurde: alte Götter, die fünfmal für den Grammy nominiert wurden (und zweimal gewannen), Millionen Alben verkauft haben und auf den größten Bühnen der Welt vor begeisterten Fans gespielt haben. Wenn Metallica die erfolgreichste Metalband der Welt ist, dann kommt Slayer kurz danach—im Gegensatz zu ihren alten Freunden, die in den letzen Jahrzehnten aus dem Tritt gekommen sind und ihren Drive verloren haben, gerieten Slayer nie ins Wanken. Ja, sie hatten hier und da ein paar Fehltritte, aber sie haben uns nie wirklich enttäuscht. Das ist der Grund, warum sie 29 Jahre nach ihrem wohl beliebtesten Album Reign in Blood immer noch Arenen füllen und warum so viele Leute immer noch gespannt auf ihr zwölftes Album, Repentless, sind, das Ende des Jahres erscheint. Trotz all des Lobes und der regelrechten Verehrung seitens ihrer hingebungsvollen Fans, strahlt Tom Araya eher Bodenständigkeit als Überlebensgröße aus. Er weiß nicht, was Grindcore ist, aber liebt Hank Williams (und mag die Strokes wirklich sehr). Er bekennt sich schon lange zu seinem katholischen Glauben, seiner Wertschätzung für Country-Musik und dazu, dass er am liebsten zu Hause bei seinen Kindern ist; er ist zuallererst Familienmensch und manchmal wundert man sich, wie er dort gelandet ist, wo er heute ist. Araya fliegt so oft er kann nach Hause, um seine Familie zu sehen, und das ist auch der Grund, warum Slayer auf Tour so viele Off Days einplanen. Er tut sein Möglichstes, um an Off Days bis elf Uhr mittags zuhause zu sein; wenn er keinen Flug findet oder es sich zeitlich nicht einrichten lässt, dann fliegt er nicht. Es scheint, als wäre für Slayer ein Flugzeug wie Iron Maidens Ed Force One praktisch, aber nach drei Jahrzehnten ist die Band immer noch nicht an diesem Punkt angelangt. „Ich reise ganz normal, doch die Leute denken: ‚Oh, du musst reich sein!“, sagt er. „Nein, das bin ich nicht. Das ist nur ein Opfer, das ich bereit bin zu bringen, weil ich nach Hause will. Ich will nicht da draußen in einem verdammten Hotelzimmer sein.“ An diesem Punkt ihres Daseins sind Slayer mehr als eine Band—sie sind eine Maschine, ein eigenes Gewerbe, das auf schnellen, tighten Songs über Tod und Macht basiert. Es ist ein großes Geschäft und für die Leute, die involviert sind, ein Vollzeitjob. Sei es das Management, die Merchandise-Abteilung oder die vier Männer, die den blutigen Kern bilden. Diese Maschine ist gnadenlos und vor allem unermüdlich. Sie wird aber auch alt. Araya ist 1981 bei der Band eingestiegen, mit 20 Jahren. Jetzt schreiben wir das Jahr 2015. Nachdem er 34 Jahre seines Lebens Slayer gewidmet hat, klingt er müde—er hat sich seinem Schicksal als einer der Könige des Heavy Metal ergeben und freut sich immer noch auf die Zukunft, wird jedoch auch von Reue geplagt. Nachdem ich offen mit ihm über Opfer, Familie und Tod gesprochen haben, kann ich nicht anders, als mich zu fragen, ob er es bereut, seine Seele an Slayer verkauft zu haben. Noisey: Du bist seit über drei Jahrzehnten im Metal tätig, hast die Angst vor Satanismus hautnah mitbekommen und zweifelsohne eine Menge Veränderungen bezüglich Stil und Wahrnehmung des Genres beobachtet. Denkst du, dass Metal jemals in der breiten Gesellschaft akzeptiert werden wird?Tom Araya: Ja, der neue Metal, den es jetzt gibt, ich glaube das heißt Grindcore, oder? Sie haben all diese verrückten Namen, die ganze Sätze sind—Pierce the Veil, Asking Alexandra, sie haben alle solche Namen—und mir ist aufgefallen, dass es uns irgendwie übersprungen hat. Denn der neue Metal hat seinen Weg in den Mainstream gefunden, er ist akzeptierter—im Gegensatz zu dem, was wir machen und gemacht haben—da er im Radio gespielt wird. Und hast du das Gefühl, dass sie in gewisser Weise euren Punch geklaut haben?Naja, nein (lacht). Sie haben keinen Punch geklaut, glaub mir. Sie denken gerne, dass sie das hätten, aber sie machen nichts, was mich wirklich beeindruckt. Es gab keine Band, keine neuen Bands, bei denen ich gesagt habe: „Woah, was ist das? Das ist verdammt großartig!“ Wirklich?Es ist schon lange her, dass das so war. Ich meine, ich höre diese Bands, ich kenne sie, weil meine Kinder sie hören. Meine Tochter folgt immer den neuesten Trends, der neuesten Sache in der Musik. Sie fragt dann: „Was denkst du?“ „Äh, es ist gut. Gut produziert. Wie klingt der Rest des Albums?“ „Ich weiß nicht“, sagt sie dann. Naja, du musst dir den Rest des Albums anhören! Du kannst dir nicht nur ein oder zwei Songs anhören. Bei mir dreht sich alles um das Album. Wenn eine Band wirklich von Wert ist, dann hat sie ein tolles Album. Bei jedem Song auf dem Album musst du dir denken: „Wow, Alter, das ist wirklich gut.“ Das gibt es heute nicht mehr oft. Die Leute wollen heutzutage schnelle Befriedigung.Mann, es ist eine Wegwerfgesellschaft. VICE: Black Sabbath und die Geburt von Heavy Metal – Die Doku Ihr habt eindeutig eine Menge Arbeit in eure neue Platte, Repentless, gesteckt, um sicherzugehen, dass sie den Standards entspricht. Es scheint, als wäre es auch ein Übergangsalbum für euch. Denkst du, dass Slayer sich wieder beweisen müssen, da Jeff nicht mehr dabei ist?Nein, wir müssen uns nicht beweisen, weil wir mit diesem Prozess vor vier Jahren oder so begonnen haben. Wir arbeiten schon lange daran. Wir haben mit dieser Vorstellung begonnen, dass wir ein Album machen müssen—naja, unser Management hat gesagt: „Ihr wisst, dass es Zeit wird, ein neues Album zu machen“ und wir haben gesagt: „Oh, OK.“ (lacht) Also haben wir angefangen, an Ideen zu arbeiten, und haben ein paar neue Songs gemacht und mittlerweile, vier Jahre später, ist viel passiert. Kerry hat viel geschrieben und Jeff hat an Ideen gearbeitet, aber er war sehr eingeschränkt, weil er nur schwer Gitarre spielen konnte. Jeff hat immer Musik geschrieben, also hatte er Demos und Sachen, die ihm gefielen, und er fing an, sie zu schneiden und zusammenzufügen, damit sie funktionieren. Also hatten wir schon viel Material, aber ich war ein wenig besorgt, da Jeff und Kerry die Musik für Slayer geschrieben haben. Wir haben alle zu den Texten beigetragen, aber die Musik wurde von den beiden geschrieben. Musikalisch hast du jetzt die Hälfte von Slayer und körperlich hast du zwei Drittel von Slayer, also einen großen Prozentsatz der Band. Zwei Drittel sind immer noch viel, aber wie ich schon sagte, ich war ein wenig besorgt, weil sie beide unterschiedlich geschrieben haben, also war es ein bisschen unausgeglichen, weißt du, was ich meine? (lacht) Und als wir ins Studio gegangen sind… die Beziehung zwischen mir und Kerry ist sehr anders als die, die ich und Jeff hatten. Die Beziehung zwischen mir und Kerry ist mehr schwarz und weiß. Ist sie geschäftlicher?Ja, geschäftlicher. Kerry und ich hatten immer eine sehr andere Beziehung als Jeff und ich. Ich habe mich gefragt, wie die Dinge wohl werden, denn die Erfahrung im Studio war immer sehr anders mit Kerry. Mit Jeff war es sehr offen und die Dinge fanden zueinander und es gab magische Momente. Bei Kerry gab es keine Magie, weißt du, was ich meine? Es war sehr nüchtern. Ich habe mich gefragt, wie diese Platte entstehen würde, also haben wir uns zusammengesetzt, geredet und über unsere Gefühle gesprochen. Ich habe zum Ausdruck gebracht, dass ich vorankommen will, wenn wir die Platte fertigstellen wollen. Wir haben die Hände geschüttelt und gesagt: „OK, machen wir diese Platte“ und haben losgelegt. Ich habe gemacht, was ich gemacht habe, und wir hatten einen großartigen Produzenten, der zugehört hat, was ich gesagt habe, und der die Sachen, die ich gemacht habe, wirklich mochte, und gesagt hat: „Nein, das klingt wirklich großartig, wir ändern nichts.“ Kerry hat ein paar Kaninchen aus dem Hut gezaubert und hat auch ein wenig langsamere und härtere Musik geschrieben; er hat vorher auch das harte Zeug geschrieben, es ist nicht so, als hätte er das nicht, aber beide harten Songs sind im Studio entstanden. Am Anfang dachtest du dir: „Meine Güte, wie wird das klingen?“ und am Ende dann: „OK, das ist gut, das ist Slayer.“ Denkst du, dass der Verlust von Jeff einen emotionalen Einfluss darauf hatte, wie ihr geschrieben habt?Jeff hat viele der härteren Riffs geschrieben und die melodischeren Riffs. Das konnte er am besten, aber Jeff konnte auch schnelle Riffs schreiben, weißt du? Und ich denke, dass Kerry das Gefühl hatte, dass es so etwas auf dem Album brauchte, da dass Jeffs Part war. Und er hat einen wirklich tollen Job gemacht mit diesen beiden Songs, Was ist dein Lieblingssong auf dem Album?Es gibt ein paar. Ich habe nie nur einen. „Repentless“, den wir vor Kurzem veröffentlicht haben, habe ich auf verschiedene Arten gespielt, die sich für mich gut angefühlt und gut angehört haben, und als es darum ging, den Track, der es auf die Platte geschafft hat, auszuwählen, sagte der Produzent: „Ich mag wirklich, wie du den Song gemacht hast, welcher Track ist dein Favorit?“ Ich hörte ihn mir an, kam zurück und sagte: „Ich mag sie alle, aber dieser hier ist der, der die Attitüde rüberbringt.“ Er sah mich an und sagte: „Das ist der, den ich mag“ und das ist auch der auf dem Album. Er ist einfach aggressiv und auf die Fresse. Das ist das, was ihr gerade rausbringen musstet.Ja. Ich habe es mir angehört und gedacht: „Dieser Song bringt es wirklich rüber“ und später fand ich dann heraus, worum es in dem Song ging: Kerry hat ihn aus der Sicht von Jeff geschrieben. Der Text basiert darauf, wie Jeff nach Kerrys Gefühl das Leben sah. Er stellte sich vor, was Jeff in den letzten paar Jahren bei Slayer durchgemacht hatte, und als er mir das sagte, wurde es mir klar: „Oh mein Gott, ich verstand es. Ich habe den Richtigen genommen!“ (lacht) Ich habe den Richtigen genommen, weil er voller Haltung und Wut war, er hat unsere Emotionen getroffen, weißt du, was ich meine? Hast du Angst vor dem Tod?(Er machte eine lange Pause und seufzt dann) Nein, ich habe nicht wirklich Angst vor dem Tod. Nein. Meine Angst ist, was aus meiner Familie wird, wenn ich nicht mehr da bin. Dass ich sie zurücklasse, denn das tust du irgendwie, wenn du stirbst—du lässt Leute zurück und gehst woanders hin. Du ziehst weiter. Ich will auf ewig für sie da sein, aber ich weiß, dass das nicht möglich ist. Das musste ich lernen, als mein Vater vor ein paar Jahren gestorben ist. Und meine Mutter ist vor Kurzem erst gestorben, im April. Du denkst also, dass sie immer für dich da sind. Dir ist nicht klar, was für ein Verlust es ist, wenn du deine Mutter und deinen Vater nicht mehr bei dir hast. Ich denke, die Leute verstehen das nicht wirklich, bis es passiert und sie ihre Eltern nicht mehr bei sich haben. Es ist eine Form von Schutz, zu wissen, dass sie am Leben sind, und dann hast du niemanden mehr, zu dem du gehen und „Mami“ und „Papi“ sagen kannst. Warum, denkst du, ist Heavy Metal so besessen vom Tod?Ich weiß es nicht wirklich. Wir persönlich waren nicht wirklich besessen vom Tod; als wir die Band gegründet haben, haben wir von Teufeln und Dämonen gesprochen und heute schreiben wir immer noch über Teufel und Dämonen, aber auf einer gesellschaftlichen Ebene. Und so sind wir als Band gereift. Als wir angefangen haben, hieß es: „Oh, ihr seid eine satanische Band, ihr huldigt Satan!“ Wir huldigen nicht Satan, aber wir haben angefangen, auf diese Weise Songs zu schreiben. Und dann ging es mehr um die Missstände der Gesellschaft, um menschliche Wesen und wie bösartig wir sind. Wir sind die furchterregendste Sache da draußen.Ja, das sind wir. Ihr habt schon immer soziale und kulturelle Themen in eurer Musik angesprochen—was denkst du, war das schwierigste Thema, das ihr angefasst habt?Ich denke das Herausforderndste war, als Jeff mir sagte, er würde einen Song namens „Jihad“ schreiben“ (lacht). Ich fragte nur: „Alter, was wirst du tun?“ (lacht) Er sagte: „Nein, nein, nein, ich will darüber schreiben, aber ich will es aus der Perspektive des Terroristen tun“. Also dachte er sich einen Großteil des Texts aus und da er mir gesagt hatte, dass er darüber schreiben will, machte ich auch meine Hausaufgaben, las Bücher und sah mir Dokumentationen über Al-Qaida an und schrieb Ideen auf. Dann kamen wir zusammen und fingen an, an dem Album zu arbeiten und ich sagte: „Hey Jeff, hast du den Text zu dem Song?“ und er sagte: „Ja, hier sind meine Ideen, was denkst du?“ Und ich las und dachte: „Das ist wirklich cool“ und sagte: „Hast du etwas für das Ende des Songs?“ und er sagte: „Nein, noch nicht“ und ich: „Also ich habe ein paar Sachen, die ich so runtergeschrieben habe.” Also nahm ich das, was ich runtergeschrieben habe und sang es. Es war in keiner Reihenfolge, ich habe es nicht überarbeitet, es war einfach Kram, den ich schnell zu Papier gebracht hatte. Es war das Ende des Songs und ich machte einen Take und es wurde großartig. Der Produzent sagte: „Lass uns noch einen Take versuchen“, aber wir konnten es nicht wiederholen. Wir konnten es einfach nicht. Du kannst einen Blitz einfach nicht konservieren.Ja, und das ist die Magie des Studios. Wenn du es einfach machst und es in einem Take einfängst. Es hat funktioniert und es ist ein toller Song und wir haben nie irgendwelche Gegenreaktionen oder Konsequenzen deswegen gehabt. Das war meine Sorge, dass Leute Mist über uns erzählen, eine Kontroverse daraus machen. Wir haben mehr für „Angel of Death“ einstecken müssen als für diesen Song. (lacht) Ich werde nicht mehr sagen, weil ich keinen Ärger will, aber das ist die Natur des Geschäfts. Du hast definitiv eine Menge Zeit in diesem Geschäft verbracht. Wie trennst du die geschäftliche Seite der Dinge von dem wirklich spaßigen Teil–der Erfahrung, live zu spielen und Musik zu schreiben und zu recherchieren? Ist es immer noch eher Spaß als ein Job oder ist es mittlerweile beides gleichermaßen?Es ist beinahe gleich, aber etwas mehr in Richtung Geschäft gehend, weil wir bereits so lange dabei sind, dass Slayer zu einem eigenen Gebilde geworden ist. Es ist eine eigene Sache geworden und hat ihr eigenes Leben und wir sind diejenigen, die ihr Leben einhauchen. Also müssen wir Arbeit reinstecken, um sicherzugehen, dass es immer noch atmet und weitergeht und das ist, wo es mehr zu einem Job wird. Am besten ist es, auf der Bühne zu stehen. Du machst immer den Eindruck, als hättest du da oben eine Menge Spaß.So ist es. Das ist der angenehmste Teil von dem, was ich in dieser Band mache. Alles andere ist scheiße. Weil du von Punkt A nach Punkt B gelangen musst und wenn du das jeden Tag in deinem Leben machst, dann willst du das an einem bestimmten Punkt nicht mehr. So hat sich Jeff gefühlt. Jeff war an dem Punkt, an dem er einfach müde war, so wie wir alle. Und er hatte sich schon so auf die Erfindung des Teleporters gefreut—er sprach immer darüber, wie toll es wäre, sich auf die Bühne zu beamen, die Show zu spielen und sich dann nach Hause zu teleportieren (lacht). Und ich sagte nur: „Alter, das wäre großartig!“ Um den ganzen Mist einfach zu umgehen. Ja, genau das. Du umgehst einfach den ganzen Mist. Denn jeder hat diese Vorstellung davon, wie das Leben ist. Du hast den Film Almost Famous erwähnt und so war es einmal—und ich hasse es, das zu sagen, aber es gibt einen Punkt im Leben, an dem du erwachsen werden musst. Ich hasse es, das zu sagen, aber du musst erwachsen werden, weil du nicht länger diese lustige, betrunkene Person bist… du bist ein schmuddeliger Trinker. Es ist nicht mehr reizend, wenn du 45 bist.Es ist sogar noch schlimmer, wenn du 50 bist (lacht). Also musst du irgendwann erwachsen werden und ein bisschen Respekt vor dir selbst haben. Ich denke, das ist ein besserer Weg, es auszudrücken. Und Zeit mit der Familie verbringen und Karate zu machen, anstatt Jägermeister saufen.Egal, wie viel Zeit wir haben, das ist es, wofür du lebst. Der Rest davon—den kann ich machen, ich kann es aber auch lassen. Ich denke, wenn wir nichts von diesem anderen Zeug machen müssten, dann wäre das Leben großartig, aber wie ich schon sagte, nach so vielen Jahren, an diesem Punkt, ist es eine ganz andere Sache und die Leute verstehen das nicht. Nach 33 Jahren auf Reisen—also eigentlich eher 29 Jahre, die wir wirklich unterwegs waren—nach einer Weile ist es einfach ermüdend. Und die Leute sagen: „Oh, das muss Spaß machen! Du reist! Du siehst bla bla bla!“ Und ich denke mir nur, wenn du an meiner Stelle wärst, dann würdest du anders denken. Du bist den ganzen Tag im Bus, du hältst an einer Raststätte, du gehst zur Arbeit und wieder zurück in den Bus.So ist es. Es ist witzig, vor Kurzem waren wir in Europa, um Presse für das neue Album zu machen. Wir waren drei Tage in London, einen Tag in Paris, einen Tag in Norwegen, zwei oder drei Tage in Deutschland. Und die Leute haben gesagt: „Ah, das muss schön sein. Hast du viel von Paris gesehen?“ Und ich habe sie angesehen und gesagt: „Siehst du diesen Raum? Sieh dich um“. Und sie sahen sich um. „Das ist mein Paris. Es ist schön, nicht wahr?“ (lacht) Das sage ich, wann auch immer mich jemand das fragt, weil wir immer im Hotel sind und Interviews geben und jeder mich das fragt. „Hast du viel von Stockholm gesehen?“ Ich schaue mich um und zeige ihnen das Zimmer. „Wie gefällt es dir? Das ist mein Stockholm. Es ist wunderbar, nicht wahr? Ich mag die Vorhänge. Sieh dir die Couch an. Wunderbar.“ Und dann öffne ich das Fenster und sage: „Das ist mein Gemälde, mein Bild. Das ist, was ich sehe.“ Ich könnte dir sagen, wie jeder Flughafen der Welt aussieht. Es ist ein trauriger Tag, wenn du das kannst, lass dir das gesagt sein. Unten weiterlesen Magst du es überhaupt noch, im Urlaub zu reisen?Das ist die einzige Gelegenheit, bei der es mir gefällt. Das einzige Mal, bei dem ich es mag, am Flughafen zu sein, ist, wenn ich weiß, dass ich irgendwo mit meiner Familie hinfliege. Deine Familie scheint wie eine Art Zufluchtsort für dich zu sein.Früher hatte ich sie auf Tour bei mir, wenn wir in den USA unterwegs waren, beim Ozzfest oder so, wenn wir sieben Wochen im Sommer unterwegs waren. Die ersten beiden Touren waren großartig und danach musste ich sie mitschleifen (lacht). Es ging mehr darum, dass sie bei mir waren, als dass sie mit mir unterwegs waren. Ich mochte es sehr, sie bei mir zu haben, es macht dieses verdammte… es macht diese ganze Sache für mich erst möglich. Wenn ich mit meiner Familie in einem Hotelzimmer bin, dann kümmert es mich nicht, was los ist. Wir gehen raus und laufen herum. Wir haben eine Show zu spielen, also spiele ich die Show. Gehe zurück in den Bus zu meiner Familie. Sehe fern, spiele ein Spiel. Was auch immer. Und das macht es erträglich, aber mir war nicht klar, dass mein Glück sie traurig macht. Weil Touren ohne die Bühne einfach nur endloses Reisen ist.Ja—in den Bus steigen, aus dem Bus steigen. „Wacht auf, wir sind da“, obwohl sie gerade erst eingeschlafen sind. Die Kinder waren wahrscheinlich jünger als sieben oder acht, als das anfing. Und mittlerweile sind sie 16 und 19. Und auf den letzten drei oder vier Touren waren sie nicht mehr dabei, sie waren nicht mehr mit mir unterwegs. Sie sind so wie ich. Sie haben verstanden, warum ich lieber zuhause bin als unterwegs. Sie haben es verstanden, weil sie auch nicht unterwegs sein wollen, sie wollen zuhause sein. Sie haben Freunde und all ihre Sachen zuhause, warum sollten sie unterwegs sein wollen? Sie haben verstanden, was ich gerade durchmache. Und sie sehen mich an und sagen: „Du musst gehen“ und ich sage dann: „Ich weiß.“ Das ist die Einstellung. „Wir müssen nicht gehen, du bist derjenige, der gehen muss.“ Und ich sage ihnen: „Aber ich will euch bei mir haben“ und sie sagen mir: „Wir haben einfach keinen Spaß, Papa. Es macht keinen Spaß.“ Wie ich schon sagte, wir sind viel mit dem Bus, mit Flugzeugen, Zügen und Autos gereist und irgendwann haben sie gesagt, dass sie es mochten, mit mir unterwegs zu sein, es aber einfach keinen Spaß mehr mache. Also sagte ich OK. Mann, wie lange wirst du das noch machen?Ich weiß es nicht. Ich habe keine Ahnung. Wenn ich genug davon habe, der alte Typ in dem Verein zu sein (lacht). Denn so ist es mittlerweile. Ich bin der alte Typ in der Bar, mit all diesen jungen Leuten drumherum, die alle den alten Typen ansehen und sich denken: „Wer ist dieser Kerl?“ Ich schätze, in deinem Lebenslauf steht nur „Slayer“—es ist nicht so, als würdest du im Einzelhandel anfangen oder so, wenn du dich zur Ruhe setzt.Ja, ich denke gerne, dass sie mir einen Job bei Burger King geben würden, wenn ich mich zur Ruhe setze und ein bisschen Geld dazu verdienen muss, um versichert zu sein (lacht). Hoffentlich hast du zumindest noch ein paar Jahre bis dahin.Naja, wir haben gerade erst eine Platte gemacht, also habe ich meine Seele für weitere vier oder fünf Jahre verkauft. Es gibt sicher schlechtere Dinge, an die du sie verkaufen könntest.Ja, das stimmt, aber ich denke, das rückt das Ganze wieder ins rechte Licht, wenn du es jemandem sagst. Es wird immer davon gesprochen, dass du im Leben deine Seele verkaufst und irgendwie tust du das. Es hängt davon ab, was du im Leben machst, aber es gibt ein paar Dinge, für die du einen großen Teil deines Lebens opfern musst. Für mich ist das die Seele verkaufen. Du musst einen großen Teil deines Lebens opfern, um das zu tun, was du tust. Als ich zugestimmt habe, dieses Album zu machen, wusste ich, dass ich eine Platte machen und dann mindestens drei oder vier Jahre auf Tour sein müsste. Wie alt bist du jetzt?Äh, wir haben 2015? Ich bin 54. Ich musste darüber nachdenken, wie alt ich bin, denn ich fühle mein Alter nicht, also musste ich da sitzen und denken: „Oh, welches Jahr haben wir? 54.“ (lacht) Ein Freund von mir sagte mir, dass Alter nur ein Gemütszustand ist. Wenn ich in den Spiegel schaue, dann denke ich mir: „Oh, ich schätze, ich werde alt!“ Aber es ist nur ein Gemütszustand, ich halte mich nicht für alt. Wenn du dir Leute ansiehst, die in meinem Alter sind und die älter wirken als ich, dann tun sie das nur, weil sie sich alt fühlen und alt verhalten. Das ist, was dich alt macht. Du wirst also fast 60 sein, wenn es an der Zeit ist, ein neues Album zu machen.Ja, das ist beängstigend. Dafür benötigt es wirklich Hingabe.Das tut es. Ich habe viele Opfer gebracht in meinem Leben. Du verpasst viel. Den Leuten wird das gar nicht klar, aber du verpasst verdammt viel. Ich habe Brüder und Schwestern, also habe ich Nichten und Neffen, die geboren wurden und die Geburtstage haben, und die sind jetzt erwachsen. Ich habe eine Tochter, die gerade 19 geworden ist, und einen Sohn, der gerade 16 geworden ist, und ich habe viel davon verpasst, wie sie aufgewachsen sind. Ich war die ersten fünf Monate nach der Geburt von meinem Sohn da, aber das nächste Mal habe ich ihn dann gesehen, als er schon laufen konnte, Geräusche machen und reden. Dasselbe bei meiner Tochter; nachdem meine Tochter geboren wurde, musste ich direkt weg und habe sie beinahe zwei Monate nicht gesehen. Als ich sie gesehen habe, konnte sie laufen und reden. Deswegen wollte ich sie mit auf Tour nehmen. Ich wollte wenigstens dabei zusehen, wie sie größer werden, und bis zu einem gewissen Grad ein Teil ihres Lebens sein. Ich denke, der Lohn dafür ist, dass du in den letzten 30 Jahren so viele Leute glücklich gemacht hast…Ja, aber das sehe ich nicht mal als Lohn an. Es klingt nicht danach.Nein, es ist nicht mal ein Lohn. Und das ist die eine Sache, die die Leute nicht verstehen. Das ist ein Teil dieses Lebens, über den niemand spricht, niemand spricht es an oder erwähnt es und das ist traurig. Sie haben Angst, darüber zu sprechen. Sie wollen die Illusion des unverwüstlichen Rock-Gotts nicht zerstören.Wir sind unverwüstlich, aber wir sind auch Menschen, die ein Leben haben. Also ich hoffe, du kannst bald nach Hause.Wir sind nur noch zwölf Stunden hier—heute haben wir einen Day Off. Wir verbringen einen Tag in Vegas, was wahrscheinlich bedeutet, dass ich nur rumliegen, fernsehen, Filme gucken und essen werde… Das klingt in Ordnung!Ja, es klingt großartig! Ich wünschte nur, meine Kinder wären hier und würden das mit mir zusammen machen. Kim Kelly ist Redakteurin bei Noisey. Folgt ihr bei Twitter – @grimkim ** Folgt Noisey bei Twitter und Facebook.
Kim Kelly
[ "familie", "Features", "Heavy Metal", "Interview", "Interviews", "Kerry King", "kim kelly", "Metal", "Music", "Noisey", "Repentless", "slayer", "thrash metal", "Tod", "Tom Araya" ]
2015-08-03T08:20:00+00:00
2024-07-31T00:09:58+00:00
https://www.vice.com/de/article/tom-araya-interview-437/
Seth Troxler kocht Pulled Pork und spielt Detroit House in Glastonbury
Ein Abkömmling des Detroit House, Stammgast in den Berliner Clubs und Kritiker der kommerziellen EDM-Kultur: Seth Troxler mischt die Dance-Szene ganz schön auf. Und er steht auf Barbecue. 2013 rief der Michiganer DJ das „Meats, beats, and cocktails” -Pop-up Smokey Tails ins Leben, das sich auf amerikanische Barbecue-Klassiker spezialisiert, die in eine streng geheime Sauce getränkt werden. Dieses Wochenende fährt Smokey Trails mit seiner Spezialität–dem Pulled Pork-Burger–zum Glastonbury Festival in Großbritannien, wo Seth auch auf der Bühne stehen wird. Ich war als Kind dick. Ich glaube, daher kommt mein Interesse für Essen. Meine ganze Familie kocht gerne und in meiner Heimat Michigan wird hausgemachtes Essen groß geschrieben. Ich glaube, wir waren einmal der fetteste Bundesstaat der USA. Unser Essen ist superlecker, aber unglaublich ungesund. Als ich klein war, habe ich einfach gerne gegessen. Mein Großvater hatte damals ein Rezept für eine Barbecue-Sauce erfunden, das streng geheim war. Er lebt heute nicht mehr, aber vor ein paar Jahren, holte er mich zu sich und sagte: Seth, du weißt, es ist jetzt Zeit, dass du lernst, wie man die Sauce macht. Und er zeigte es mir. Er zeigte es nicht mal meiner Mutter! Es war etwas sehr Besonderes, ein Familienerbstück. Jeder, der sie Sauce je probiert hat, sagte: Das ist die beste Barbecue-Sauce, die ich in meinem Leben gegessen habe. Aber ich verrate den Leuten natürlich nie, was drin ist. Amerika hat eine ausgeprägte Barbecuekultur. Es ist einfach Teil der amerikanischen Psyche—Bier, gegrilltes Fleisch, Konservative, die mit der Fahne wehen, Burger grillen, Hotdogs, Rippchen. Die amerikanische Illusion. Als ich später nach Europa zog, war ich von den Barbecues hier enttäuscht. Die Leute geben ihr Bestes, aber es ist einfach nicht das Gleiche. 2013 machte ich gemeinsam mit Freunden in London ein Pop-up, bei dem die Sauce meines Großvaters eine wichtige Rolle spielte. Wir servierten sie zu Chicken Wings und den Leuten schmeckte es. Viele DJs interessieren sich für Essen. Wenn du mal eine Restaurantempfehlung in irgendeinem Teil dieser Welt brauchst, dann frag Dubfire. Er kennt sich mit den ganzen Michelin-Sternerestaurants und Fine Dining und dem Zeug aus. Mein Ding ist eher Street Food. Für mich ist das Geheimnis hinter einem richtig guten Barbecue viel Liebe. Meine Spezialität ist Pulled Pork. Wir smoken das Fleisch 16 Stunden lang mit einer Mischung aus Hickory und Kirschholz, dann servieren wir es mit einem getoasteten Brioche, BBQ-Sauce und eingelegtem Ingwer-Kohl. Auflegen und Kochen haben sehr viel gemeinsam: Man macht andere Leute damit glücklich. Ich lege gerne auf. Wenn man es richtig macht, ist es etwas sehr Selbstloses und ich glaube, viele DJs, die kochen, sehen das genauso. Es geht auch ums Ausprobieren. Ich verwende meistens keine Rezepte, sondern experimentiere einfach. Manchmal fehlt dann etwas, manchmal funktioniert es nicht so gut, dann gibt man einfach etwas anderes dazu. Momentan sind wir sehr beschäftigt damit, mit Smokey Trails die ganzen Festivals zu besuchen. Beim Glastonbury kochen wir natürlich unsere Spezialität, den Pulled Pork-Burger, einen Sofrito Pulled Pork-Burger und ein Smoked Chicken Buffalo Sandwich, das wir neu auf der Karte haben. Wir haben auch endlich einen dreijährigen Pachtvertrag für ein neues Restaurant in der U-Bahnstation Old Street in London unter Dach und Fach gebracht. Es ist eine ehemalige Toilette aus den 1940ern, ziemlich dunkel, aber sehr cool. Rippchen können wir dort leider nicht anbieten, weil wir keinen Grill haben werden, den Pulled Pork-Burger und Hotdogs aber schon. Daneben wird es leckere Cocktails geben. Ich möchte auf der ganzen Welt kochen. Wir hoffen, dass wir unseren Container nach Ibiza bringen und vor dem DC10 unsere Sandwiches verkaufen können. Und in Berlin wollen wir vor dem Club der Visionäre ein Pop-up machen. Ein Freund von uns hat ein Restaurant in der Tankstelle nebenan und wir werden die Küche für einen Monat übernehmen. Das macht schon Sinn, in Berlin habe ich eine Fanbase, die das Restaurant zumindest ausprobieren will. Mir gefällt auch die Vorstellung, Merchandise-Kram zu verkaufen—vielleicht Schürzen mit etwas Witzigem drauf. Das mag doch jeder. Vielleicht mit einem nackten Bild von mir? Die Leute sind sicher verrückt danach. Aufgezeichnet von Laura Martin.
[ "barbecue sauce", "Burger", "Club der Visionäre", "Denken", "dj", "edm", "england", "Festival", "Fleisch", "Food", "Glastonbury", "Munchies", "Musik", "pulled pork", "Seth Troxler", "techno" ]
2015-06-25T07:30:02+00:00
2024-08-12T05:01:51+00:00
https://www.vice.com/de/article/ich-koche-pulled-pork-und-spiele-detroit-house-auf-dem-glastonbury-festival-627/
Süße Regenbogen-Riegel
Portionen: 8–10Vorbereitung: 10 MinutenInsgesamt: 20 Minuten 450 g Mini-Marshmallows6 Esslöffel Butter400 g verschiedene Frühstücksflocken, am besten die bunten und zuckrigen Sorten10 Oreo-Kekse, in kleine Stücke zerbröselt 1. Die Frühstücksflocken und Oreo-Kekse in einer großen Schüssel zusammenmischen und beiseite stellen. Danach eine ungefähr 25 mal 35 cm große Backform einfetten. 2. Die Butter in einem mittelgroßen Kochtopf bei mittlerer Hitze schmelzen. Die Marshmallows hinzugeben und das Ganze unter beständigem Rühren gut 5 Minuten lang kochen lassen, bis alles geschmolzen ist. Den Marshmallow-Butter-Mix über die Frühstücksflocken geben und alles verrühren. Das Ganze in die Backform schütten und durch sanftes Drücken gleichmäßig und eben verteilen. Die Mischung 30 Minuten lang stehen lassen, bis sie festgeworden ist. Anschließend nur noch aus der Form nehmen und in Riegelform schneiden.
Action Bronson
[ "Cereals", "Dessert", "Food", "Frühstück", "Frühstücksflocken", "Kekse", "Marshmallows", "Munchies", "Nachtisch", "oreos", "Rezept", "rezepte", "Süß", "Zucker" ]
2017-10-27T03:15:00+00:00
2024-07-30T20:58:09+00:00
https://www.vice.com/de/article/suesse-regenbogen-riegel/
Noisey präsentiert: ILoveMakonnen endlich in Deutschland
Wie sollte es anders sein: Das Konzert in Berlin findet an einem Dienstag statt. Tickets für die Shows könnt ihr hier kaufen. Dates: 29.06. Frankfurt – Zoom30.06. Berlin – Postbahnhof, Berlin ** Folgt Noisey bei Facebook und Twitter.
Noisey Staff
[ "Drake", "Features", "HipHop", "ilovemakonnen", "Music", "Noisey", "Noisey Blog", "Rap", "tickets", "Tour", "trap" ]
2015-03-13T10:45:00+00:00
2024-07-31T00:22:08+00:00
https://www.vice.com/de/article/im-sommer-kommt-ilovemakonnen-nach-deutschland-345/
Die unerschöpfliche Genialität des Jon Hopkins
Auf einem grasigen Hügel hinter einem Zelt sitzen John Hopkins und ich beim unglückseligen Hudson Project-Festival nebeneinander auf zwei aus Plastik und Metall bestehenden Bauten, die augenscheinlich Stühle darstellen sollen. Er schaut mich durch eine Aviatorbrille mit braunen Gläsern an und schafft es dabei irgendwie, sein Paul Smith T-Shirt nicht vollzuschwitzen. Wenn ich den plappernden Kameramann in der Ecke ignoriere, oder die Tatsache, dass weit und breit weder ein Schinkensandwich, noch eine Tasse Tee zu sehen sind, könnte ich fast so tun, als wäre ich hier auf einem privaten Picknick mit dem hochgelobten Producer aus Großbritannien—nur wir beide, im kühlen Schatten eines nahestehenden Baums. Obwohl—nein, das kann ich nicht. Plötzlich ertönt aus nicht allzu weiter Ferne ein dumpf wummernder Sound von einer der Bühnen und zerstört die Illusion idyllischer Gelassenheit. „Oh Gott, das ist laut. Das klingt wie Kopfschmerzen”, sagt Hopkins lächelnd. Man kauft ihm allerdings nicht so richtig ab, dass die unablässig wummernden Basslines ihn wirklich stören: Hopkins tourt mittlerweile seit vierzehn Monaten unermüdlich durch die Welt, um sein viertes und bislang erfolgreichstes Album, Immunity, zu promoten. Darunter waren Auftritte auf Londons Field Day, Barcelonas Sónar, Glastonbury und dem Electronic Beats Festival in Köln. „Ich muss mich immer noch daran gewöhnen, vor vielen Menschen aufzutreten”, gibt Hopkins zu. „Früher habe ich viele kleine Shows gespielt. Jetzt kann ich ambitionierter sein, mehr Visuals einbauen und die Gigs an sich zu einer größeren Sache machen.” Mit seinen 34 Jahren hat Hopkins Karriere eine dramatische Wende genommen. Obwohl sein ohne Frage vorhandenes und ziemlich verkopftes Talent nie angezweifelt wurde, hat er sich viele Jahre hinweg einfach unter dem Radar bewegt und konnte nie eine große Anhängerschaft für sich gewinnen, die seinen guten Kritiken ebenbürtig gewesen wäre. Es hat durchaus seine Gründe, dass sich Hopkins auf Twitter etwas abwertend als „Ivor Novello Award and double Mercury Prize losing artist” bezeichnet. Nachdem er klassisches Klavier am Royal College of Music in London studiert hatte, fing Hopkins als Tour-Keyboarder für Imogen Heap an und lies daraufhin 2001 sein Debütalbum Opalescent folgen. Die Platte erntete überall positive Kritiken—einige Tracks wurden sogar für Sex and the City lizensiert—sein Nachfolger Contact Note ging allerdings ziemlich unter. Dank einer Bekanntmachung über seinen Freund Leo Abrahams begann Hopkins 2004 damit, mit Brian Eno zusammen zu arbeiten, der ihn als Co-Producer für Coldplay mit ins Boot holte. Hopkins arbeitete an einigen Tracks von dem 2008er Album Viva La Vida mit, ging mit der Band im gleichen Jahr auf Tour und war Co-Producer von „Midnight”, der zweiten Single von Ghost Stories, Coldplays aktuellem Album. Hopkins drittes Album, Insides, wurde 2008 veröffentlicht und bekam auch wieder durchweg positive Reviews für seine Eno-esken, emotionalen Ambient-Elektronika-Passagen. Trotzdem sollte es noch bis zum 2013er Immunity dauern—seinem bis dato cluborientiertesten Album—dass Hopkins endlich sein Durchbruch als eigenständiger Künstler gelang. Für neun Monate hatte sich Hopkins in seinem Londoner Studio eingeschlossen, um mit Immunity eins dieser seltenen Meisterwerke zu erschaffen, das gleichzeitig verkopft und sinnlich, treibend und doch meditativ, üppig ausgestattet und trotzdem von eleganter Einfachheit ist. Manche Lesarten sehen dieses Album als eine Art emotionaler Odyssee. Es beginnt mit dem Geräusch eines klimpernden Schlüsselbundes—Hopkins, der sein Studio aufschließt. Man kann sagen, dass das Album zweigeteilt ist: Die erste Hälfte ist auf treibende Technorhythmen ausgelegt, während die zweite Hälfte mit deepen Ambient-Strudeln langsam zur Ruhe kommt. Über beide Hälften ist ein hypnotisches Muster aus Analogsynthesizern, hellen Klaviertönen und Field-Recordings gewebt—darunter finden sich auch Aufnahmen des Eröffnungsfeuerwerks der Olympiade, quietschende Wassermühlen und die Geräusche der Wasserleitungen in einem New Yorker Hotelzimmer. Es war auch Immunity, das Hopkins seine zweite Nominierung für den Mercury Prize einbrachte und ihn auf eine unendlich lange Tour verfrachtete, die erst Ende diesen Jahres ihr Ende findet, wenn er in Londons Royal Festival Hall eine spezielle Show spielen wird, die Werke aus seiner ganzen Karriere umfasst. Hopkins in seinem Londoner Studio Zwischen den ganzen Auftritten gab es aber auch einige Atempausen. „Ich bin kurz davor, eine neue EP mit Sachen fertigzustellen, die ich im Februar in Reykjavik aufgenommen habe”, sagt er. „Es ist eine weitere Vertiefung einiger Tracks von Immunity. Ich habe das Gefühl, das wir so viele Singles und Remixes veröffentlicht haben, die sich eher mit der treibenden, harten Seite des Albums beschäftigen”—Pangaea, Objekt, Karenn, Four Tet, Modera und Nosaj Thing haben alle den Tracks ihren Stempel aufgedrückt—„Ich will eine EP machen, die eher die langsameren, filmischeren Aspekte auslotet.” Ich frage ihn, wie er es nach den dutzenden Remixen und hunderten Auftritten immer noch schafft, sich in Immunity zu vergraben und neue Ideen hervorzubringen—mit den Tracks weiterhin zu spielen. Letzten Monat erst hat er sich mit Lulu James zusammengetan, um an einer neuen Version von „We Disappear”, dem Opener von Immunity, zu arbeiten. „Breathe This Air”, ein weiterer Track des Albums, bekam ebenfalls durch eine Kollaboration mit Purity Ring ein neues Gewand verpasst. „Es gibt darin immer noch eine Menge Sachen, die ich weiter erforschen kann”, sagt Hopkins. „Nehmen wir ‚Open Eye Signal’. Der Track besteht aus Bass, Drums und einem Chor-Element—das ist meine Stimme, aber stark bearbeitet und in vielen Schichten übereinandergelegt. Dieses Gesangsstück funktioniert auch als eigenständiges Musikstück und es wird einer der Tracks von der EP sein. Es ist sehr dronig, sehr ambientlastig.” „Ich gehe Dinge gerne an, als wären sie Erzählungen”, führt er fort. „Wäre ‚Open Eye Signal’ ein Film, dann wäre [dieser Track] eine Nebengeschichte—ein Sub-Plot, wenn du so willst.” Das ist ein essentieller Teil von Hopkins Herangehensweise: Musik in filmischen und sogar räumlichen Dimensionen zu sehen. „Wenn ich mixe oder einen Track fertigstelle, platziere ich Sounds, als wären sie räumliche Objekte”, erklärt er. „Ich habe dann Elemente, die befinden sich meilenweit entfernt, andere wiederum sind sehr nah. Die Höhen sind hier vorne, der Bass ist dort unten. Sound ist so viel mehr als einfach links und rechts—es ist ein dreidimensionaler Ort in meinem Kopf.” Hat er schon immer Sound als Raum gesehen? „Es ist präziser geworden. Ich kann jetzt jedes Detail aus einem Track raushören. Einige Tracks haben viele Elemente und ich weiß, dass sie alle da sind. Ich weiß, wo genau sie sich befinden”, so Hopkins. Wenn man seinen filmischen Ansatz zu Klang in Betracht zieht, macht es nur Sinn, dass der visuelle Aspekt ein wichtiger Teil seiner Live-Sets ist—aber nicht in der herkömmlichen, Epilepsie-induzierenden Art, die von vielen LED- und Laser-Enthusiasten bevorzugt wird. Bei seinen audiovisuellen Shows hat er schon mit allen möglichen Dingen—von mikroskopischen Aufnahmen chemischer Reaktionen, über die Skateboardodyssee des Jungen aus dem Video zu „Open Eye Signal”, bis hin zu den lebendig-psychedelischen Animationen von Vince Collins—experimentiert. Es ist auch nicht besonders überraschend, dass er auch schon Musik für einige Filme komponiert hat. Dazu gehören Arbeiten für Peter Jacksons In meinem Himmel und Gareth Edwards Science-Fiction-Horror-Indiefilm Monsters. Für Hopkins sind die musikalische Untermalung von Filmen und das Schreiben eigener Musik aber zwei völlig verschiedene Paar Schuhe. „Ich habe sechs Wochen an ‚Open Eye Signal’ gearbeitet, da ich dort anfing, mich intensiver mit Techno und Analog-Synthesizern auseinanderzusetzen. Filmmusik ist nicht der richtige Ort, um mit neuen Klängen zu experimentieren. Das ist der Grund, warum es für mich wichtig ist, eigene Alben zu machen, weil ich nur so als Soundtüftler vorankomme.” Hopkins Ideen für sein nächstes Album, das er „mehr als alles andere” machen möchte, drehen sich um die Eindringlichkeit der tanzbareren Tracks, die die erste Hälfte von Immunity ausmachen—vielleicht wird er die treibenden Rhythmen dort noch weiter ausloten. In seiner unstillbaren Suche nach frischen Sounds und neuen Herausforderungen hat er sich dazu entschieden, seinem Yamaha-Piano, das er seit Kindesalter hat und das sich momentan in seinem Londoner Studio befindet, den Rücken zu kehren. Diese Nostalgie bringe ihn nicht weiter, sagt er. „Ich werde dieses Piano-Element fast vollständig entfernen. Die Sounds, mit denen ich arbeite, diktieren auch, wie das Album sich entwickelt. Ich habe inzwischen schon so viel Klaviermusik gemacht, das ich mittlerweile das Gefühl habe, mich davon trennen zu müssen.” Als ich ihn nach seinen Wunschkollaborationen für das nächste Album frage, zählt Hopkins Jónsi von Sigur Ros, den Radiohead-Producer Nigel Godrich und Thom Yorke auf. „Er ist einer meiner Helden”, sagt Hopkins über Letzteren. „Ich stehe allerdings nicht mit ihm in Kontakt. Ich wiederhole es einfach immer wieder in Interviews und hoffe, dass er es eines Tages lesen wird. Inzwischen habe ich das wohl oft genug gesagt …” beendet er den Satz und lacht. Aus einer Ecke nähert sich uns Hopkins Tourmanager. Wie es scheint, hat unser Pseudopicknick nun ein Ende. Ein junges Mädchen mit Zöpfen fährt in einem Buggy vor, um ihn zur Bühne zu fahren, wo er schon bald mitten in einem plötzlichen Gewitter ein introvertiertes und aufreibendes Techno-Set abliefern wird. Hopkins springt auf die Beine, schüttelt meine Hand und hüpft auf den Beifahrersitz. Auf dem Weg zur nächsten Bühne, zur nächsten Show, dem nächsten Stopp auf seiner niemals endenden Suche nach dem Anderen verschwindet er in der Menge. Michelle Lhooq ist ein Techno-Freak und lebt auf Twitter – @MichelleLhooq ** Folgt THUMP auf Facebook und Twitter. MEHR VON THUMP
VICE Thump
[ "coldplay", "hopkins", "immunity", "John Hopkins", "jon", "jon hopkins", "Thump", "thump blog", "Words" ]
2014-08-06T13:00:00+00:00
2024-07-31T04:41:59+00:00
https://www.vice.com/de/article/die-unerschoepfliche-genialitaet-des-jon-hopkins/
Die Vamummtn trennen sich nach zehn Jahren
Auf Anfrage wollte er kein Statement abgeben, da alles bereits gesagt wurde. Also fragten wir Ansa. Der reagierte zuerst überrascht, dann war er ziemlich erheitert. Offenbar dürfte es vor allem Meinungsverschiedenheiten zwischen dem ersten und zweiten Vamummtn geben. Vielleicht legt sich das für die Reunion, vielleicht nicht. Bis dahin kann man sich die alten Alben anhören und einen Jägermeister auf die Jungs trinken. Hier Ansas Statement: “An alle Ansa & Vamummtn Fans!Den meisten war’s schon lange klar, die anderen haben es durch eine Nacht und Nebel Aktion auf sämtlichen Plattformen erfahren müssen: Die Vamummtn haben sich getrennt. *Schock* Für mich nichts Neues, aber anscheinend gab es den Drang, es letztendlich doch noch publik zu machen. Seit “Wasd wos i man” ist von dem Kollektiv nichts mehr gekommen und das ist ja schon ein Zeital her. Mir persönlich, und bestimmt auch den meisten Leuten da draußen, wäre ein 10-jähriges Album zum Abschluss lieber gewesen, war aber nicht möglich. Dann eben so. Der Grund? Easy. Persönliche Differenzen und einseitiger Arbeitsaufwand. Wennst an V8 fährst, aber nur vier Zylinder rennen, is klar, dass irgendwann die Kraft ausgeht, wurscht wieviel ma einetankt. Die Zeit war unbeschreiblich! Wir haben in dem Land einiges erreicht und bewegt und das kann uns auch keiner mehr wegnehmen. Das gute an der Geschichte? Ich bleib euch erhalten. Ich arbeite momentan mit Body & Soul & Dj Disaszt (Mainframe Recordings) an einem neuen Projekt und werde auch weiterhin mit Sanno, Crum, Playa & Co unvergessliche Hits aussehauen. Auf diesem Weg möchte ich dem Dreia alles Gute für die Zukunft wünschen.Danke an alle, die uns unterstützt haben und danke an alle, die mich weiterhin supporten! Das beste gegen gebrochene Herzen ist übrigens shoppen! www.shop.ansa-entertainment.at Vamus4Life Ansa4Life” Header wurde mit freundlicher Genehmigung vom Ansa​ zur Verfügung gestellt. ** Folgt Noisey bei Facebook, Instagram und Twitter.
Fredi Ferkova
[ "Ansa", "Features", "Music", "Noisey", "Rap", "Statement", "Trennung", "Vamummtn" ]
2016-11-10T13:22:39+00:00
2024-07-30T21:40:00+00:00
https://www.vice.com/de/article/die-vamummten-trennen-sich-nach-zehn-jahren/
Der seltsame M&M’s-Kult hat auch China erreicht
Ich habe noch nie verstanden, was an M&M’s so fesselnd sein soll. So allgegenwärtig die süßen, bunten Kleinen auch sind, waren sie für mich noch nie viel mehr als eine 08-15-Naschoption. Sie sind wie eine Cola an einem heißen Tag; eine Friends-Folge, wenn mal wieder nichts anderes läuft; ein Sandwich für die Zugfahrt—ganz nett, verlässlich und immer zu haben, wenn auch nicht unbedingt Auslöser von Hochgefühlen. Bunte SchokoWelt Aus diesem Grund fand ich die riesige Beliebtheit, der sich die riesigen, farbverliebten Schokoschreine namens M&M’s World erfreuen, schon immer sehr befremdlich. Im Gegensatz etwa zu der durchaus verständlichen Begeisterung für die von RITTER SPORT in Berlin, ebenfalls ein PR-Fest, aber immerhin nicht ausschließlich ein architektonischer Gaumenschmaus—denn hier werden auch ein paar Informationen zur Schokoladenherstellung vermittelt. Dagegen sind die M&M’s Worlds nichts weiter als kitschig-grelle Shops, die ihre Süßigkeiten in XXL-Verpackungen anbieten und so viel Werbeartikel verhökern, dass jeder Merchandising Division von Disney der Atem stocken würde. Alle hier abgebildeten Fotos wurden in Shanghai aufgenommen, wo nach Las Vegas (hier begann der Spuk), New York, Orlando, Henderson und London schon die sechste Dependance von M&M’s World ihre schokoladenverschmierten Pforten geöffnet hat. Die 1.600 m² große Ladenfläche verblasst jedoch im Vergleich zu der 35.000 m² fassenden Location in London, direkt am Leicester Square. Doch damit nicht genug. In Shanghai musst du zur Zeit auch noch auf schwofende M&M’s verzichten, deren Anblick dich glauben lässt, dass sich unter deine bunten Kugeln noch was anderes als Schokolade gemischt haben muss. Aber keine Sorge, der Laden ist immer noch ziemlich groß. Und wie so ziemlich alles in China, das groß, schrill, neu und bunt ist und mit niedlichen Figuren daherkommt, hat sich auch der hiesige M&M’s-Vorposten schon längst zum Publikumsmagnet entwickelt, seit vor einem Monat ein roter und ein gelber M&M die ersten Besucher herzlich in Empfang genommen haben. Da hat sich mir eine Frage aufgedrängt. Kann es für ausgeprägte M&M’s-Manie überhaupt einen besseren Ort geben als Shanghai, DIE Kapitalismus-Hochburg, wo auch schon andere westliche Brands überschwänglich verehrt werden? Der Frage musste ich einfach nachgehen. Selfies und Familienschnappschüsse mit skurrilen Objekten im Hintergrund sind ja ein beliebter Volksport in China. Und die M&M’s World lässt diesbezüglich keine Wünsche offen. Allein schon deshalb, weil ein Großteil der Deko alle gängigen China-Klischees großzügig bedient. Darum wurde natürlich auch an einen Panda-M&M gedacht. Und natürlich durften ebenso wenig M&M’s im Terrakotta-Krieger-Gewand fehlen. Selbst ein M&M mit frecher Mao-Zedong-Frise hätte mich nicht groß überrascht. Die Hauptattraktion war aber ein Wasserfall aus abertausenden M&M’s, die aus riesigen Rohren direkt in die wartenden Plastiktüten der begeisterten Kunden purzelten. Willkommen an der Großen Mauer der Schokolade. An alle Nörgler: OK, es mag vielleicht nur drei verschiedene M&M’s-Sorten (Milchschokolade, Erdnuss und Mandel) geben, aber hier kriegst du sie in sage und schreibe 22 unterschiedlichen Farben. Obwohl ich an einem stinknormalen Donnerstag vorbeigeschaut habe, gab es einen regelrechten Run auf die besten Farben. Ich hatte ursprünglich gedacht, dass die Begeisterung der Chinesen mehr mit den niedlichen Figuren als dem Produkt selbst zu tun haben muss, doch weit gefehlt: Ja, auch die Werbeartikel fanden viele gierige Abnehmer, doch die wahre Attraktion und Magnet der Massen war nun mal The Great Wall of Chocolate, vor der es—im erbitterten Kampf um die buntesten M&M’s—zu tumultartigen Szenen kam. Du findest hier übrigens keine handelsüblichen M&M-Packungen—hier ist Exklusivität der ausschlaggebende Punkt. Ein Mädchen, das sich als echte M&M-Expertin erwiesen hat, hat mir zugestimmt: „Die meisten Sachen, die du hier siehst, kriegst du nirgendwo sonst.” Der junge Mann mit dem Hipanda-Shirt, zum Urlaub in Shanghai, hat mir dann noch verraten, dass ihn die Farbauswahl ziemlich überfordert hat. „Warum ich mich am Ende hierfür entschieden haben? Weil diese Farben für Mädchen sind. Das schenke ich meiner Freundin.” Dass du hier wirklich ganz seltene Artikel schießen kannst, ist beim Anblick dieser zum Anbeißen süßen iPhone-Hülle kaum von der Hand zu weisen. „In normalem Supermärkten sind M&M’s ja schon verpackt”, klärte mich eine weitere M&M-Jüngerin auf. „Hier aber können wir die Farben aussuchen und das Ganze auch noch selber einpacken. Mit einer eigens dafür bereitgestellten Maschine!” Doch das ist nicht die einzige Maschine, die für Jubelstürme sorgt. Eine andere verrät dir dank bestimmter Sensoren (ich weiß nicht, ob ich vielleicht selber schon zu viele M&M’s intus hatte, verstanden habe ich die Technik dahinter auf jeden Fall nicht), in welcher „Farbstimmung” du gerade bist—überraschenderweise werden nur solche Farben diagnostiziert, für die es auch entsprechende M&M’s gibt. Diesem Mädchen wurde verkündet: „Du bist äußerst angetan von der Kunst der Schokoladenherstellung.” Ich blieb kurz stehen, weil ich wissen wollte, ob die Prophezeiung noch ein Sequel hätte, vielleicht in Form einer unheilvollen Botschaft à la „Du hast nur noch sechs Monate zu leben.” Ich kann aber Entwarnung geben. Der Nasch-Nostradamus hat sich nur von seiner Schokoladenseite gezeigt. Ich habe Shanghais M&M’s World mit der Erkenntnis verlassen, dass die Popularität des Ladens eng mit dem Charakter der Stadt verknüpft ist. Denn hier ist der Ort, wo selbst kühne Träume wahr werden können. Das zeigt sich auch daran, mit welcher Geschwindigkeit Wolkenkratzer hochgezogen werden (schneller als in New York und Tokio) und immer neue Mega-Malls das Bild der Stadt bestimmen. Doch nachdem ich in unzähligen Kindergesichtern ein süßes Freudenstrahlen erblicken konnte (und die meisten Eltern dabei ertappte, wie sie sich über das bunte Treiben fast mehr als ihre Sprösslinge freuten), muss ich zugeben, dass M&M’s bei mir einige Pluspunkte sammeln und dadurch sogar Smarties abhängen konnte. Und daran wird sich auch nichts ändern, bis, ja bis das erste Smarties World seine Pforten öffnet, um seine Süßigkeiten in Farben anzubieten, die du so nirgendwo sonst finden kannst, die aber dennoch alle gleich schmecken.
Jamie Fullerton
[ "china", "Denken", "Food", "m&ms", "Munchies", "Schokolade", "Selfies", "Shanghai", "Smarties", "Süßigkeiten" ]
Food
2014-09-12T10:00:21+00:00
2024-07-31T04:33:44+00:00
https://www.vice.com/de/article/der-seltsame-mms-kult-hat-auch-china-erreicht/
Für welche Weine gibt Johnny Depp bloß 30.000 Dollar im Monat aus?
Johnny Depp scheint ein kleines „Faible” für guten Wein zu haben. Der verwegene Filmstar hat ein Tattoo – „Wino Forever”. Früher stand da „Winona Forever”, nachdem sich er und Winona Ryder getrennt haben, musste er das irgendwie anders lösen. Er hat sich in seinem Haus in Frankreich einen Weinkeller im Fluch der Karibik-Stil bauen lassen und hat sich schon Wein aus Frankreich ans Filmset liefern lassen. Alles schön und gut, jetzt ist jedoch herausgekommen, dass Depps Liebe zum Vino die feine Grenze zwischen Leidenschaft und krankhafter Besessenheit überschritten hat. Wie schlimm es ist? Sagen wir einfach, er gibt 30.000 Dollar [umgerechnet circa 28.000 Euro] im Monat für Wein aus. Im Januar hat Johnny Depp sein Ex-Management wegen „groben Fehlverhaltens” verklagt und verlangte 25 Millionen Dollar Schadenersatz. Anfang dieser Woche veröffentlichte The Hollywood Reporter Gerichtsunterlagen zum Fall. Die Dokumente zeigten, dass der Schauspieler einen Lebensstil pflegte, den er sich wohl nicht leisten konnte, und dass er jeden Monat zwei Millionen Dollar laufende Kosten hatte. Und die Dokumente zeigen auch, dass er allein für Wein jeden Monat 30.000 Dollar auf den Kopf haute. Michael Kump, der Depps Management vor Gericht vertritt, schrieb in der Klageschrift: „Depp führte einen übertrieben extravaganten Lebensstil, der [ihn] oft mehr als zwei Millionen Dollar pro Monat kostete, was er sich einfach nicht leisten konnte.” Für welche Weine verprasst Depp nun aber sein Vermögen? Der Schauspieler hat kein Geheimnis daraus gemacht, dass er eine Schwäche für Bordeaux hat und das die berühmteDomaine de la Romanée-Conti zu seinen Lieblingsweingütern im Burgund gehört. In einem Interview mit Madame Figaro sagte er: „Ich mag Pétrus [und] Cheval-Blanc.” Pétrus ist bekanntermaßen teuer, eine Flasche kostet locker ab 2.000 Euro. Aber hey, das kann man schon fast als Schnäppchen bezeichnen: Denn eine Drei-Liter-Flasche Château Cheval-Blanc wurde vor ein paar Jahren für 135.000 Dollar [umgerechnet circa 125.000 Euro] versteigert. Kurz gesagt: Depp hat einen ziemlich luxuriösen Geschmack. Aber was geht es uns an, wofür er sein Vermögen verschwendet. Nur eine Frage bleibt: Was ist eigentlich mit Rum?
[ "Alkohol", "Bordeaux", "Burgund", "Food", "Frankreich", "Hollywood", "johnny depp", "Klage", "Munchies", "Rotwein", "Schauspieler", "trinken", "wein", "Weingut" ]
2017-02-03T08:50:01+00:00
2024-08-12T09:24:54+00:00
https://www.vice.com/de/article/fuer-welche-weine-gibt-johnny-depp-bloss-30-000-dollar-im-monat-aus/
Der Noisey Survival Guide fürs Frequency
Alle Fotos von Florian Gotsmi via VICE Media. Das Frequency ist für manche das österreichische Festival-Highlight des Jahres—auch für mich. Ich kann mir nichts Schöneres vorstellen, als von 16-jährigen am Festivalgelände mit Schildern von 1 bis 10 bewertet zu werden, Spritzer aus dem Oversize-Krug zu trinken und endlich alle Bands nachzuholen, die ich in meinen Teenie-Jahren geliebt und nie live gesehen habe, weil es mir meine Mama damals nicht erlaubt hat. Immer, wenn ich im stinkenden Zelt in meinen eigenen Alkoholdämpfen auf meinen verbeulten Milchbrötchen aufwache, verfluche ich es zwar und sage mir, dass ich zu alt für den Scheiß bin. Ich verbinde mit dem Frequency aber einfach einige meiner schönsten Konzert- und Alkoholerlebnisse und möchte es in meinem jährlichen Sommerplan nicht missen (zumindest bis ich wirklich alt bin). Das ist der Grund, warum ich mein Festivalwissen, das ich über die Jahre gesammelt habe, in Form dieses Guides an euch weitergeben möchte. Wenn nämlich jemand wie Kendrick Lamar, der überhaupt zum ersten Mal in Österreich ist, spielt, kann es durchaus sein, dass es nicht nur Leute gibt, die das erste Mal zum Frequency fahren, sondern auch Leute, die dorthin fahren, obwohl sie diesen dunklen Ort sonst unbedingt meiden wollen. Wenn du einer von ihnen bist, solltest du den Guide besonders genau studieren. Falls du, wie jeder normale Mensch, am Mittwoch—auch Tag Null genannt—, dem offiziellen Koma- und Anreisetag und seit neuestem ersten Festivaltag noch arbeiten musst und daher nicht schon bei Tagesanbruch das Festivalgelände stürmen kannst, um dein Zelt möglichst weit von den Dixiklos und möglichst nah am Festivalgelände an einem der wenigen schattigen Plätzchen aufzustellen, schick deine arbeitslosen Studentenfreunde hin. Spendiere ihnen ein paar Bier und verdonnere sie dazu, mit einem Absperrband den Platz für dein Zelt zu besetzen und sich nicht von der Stelle zu bewegen, bis du tatsächlich da bist. Ansonsten wirst du in Windrichtung des Scheiße-Geruchs am letzten Ende des Campingplatzes wohnen müssen, wohin dich ein Weg führt, der dir besoffen länger als der verdammte Jakobsweg vorkommt. Die blaue Brücke ist die zentrale Verbindung zwischen den beiden Campingplatz-Ufern der Traisen und der Sammelpunkt für alle Arschlöcher des Festivals. Diese Arschlöcher sind das ganze Festival über an der Grenze zum Koma, haben wahrscheinlich ein bescheuertes Affenkostüm an und sehen es als die Erfüllung ihrer Träume, dir einen Eimer voll Scheiße-Wasser aus der Traisen drüber zu leeren. Selbst, wenn du eine riesige Kamera um den Hals trägst und ihnen versuchst zu erklären, dass du zum Arbeiten hier bist und sie bitte deine Kamera heil lassen sollen—sie sind nicht ansprechbar und scheißen drauf. Wenn du Pech hast, leert dir anschließend noch ein anderer Spaßvogel ein Kilo Mehl über deine nassen Haare. Am Frequency ist es meistens so heiß, dass du dich am liebsten in dem mit Alkohol gefüllten Erdloch eingraben möchtest, das dein lustiger Zeltnachbar gegraben hat, damit er was zu lachen hat, wenn jemand rein stolpert und sich dann vielleicht noch eine Zehe an einem Zelthering aufschlitzt (Danke dafür, du Pisser!). Die paar schattigen Plätze sind so dicht besiedelt, dass dir die Traisen plötzlich wie eine erfrischende Oase in der Wüste vorkommt. Nein, sie ist es nicht. Sie ist ein Fluss aus Scheiße, Pisse, Bierdosen, ein bisschen Sperma und Shampooschaum, der dich nur noch dreckiger macht, als du ohnehin schon bist. Geh nicht rein und freu dich, dass du im Gegensatz zu den planschenden Alkoholleichen wenigstens nur deinen eigenen Dreck am Körper hast. Egal wie besoffen du bist, lass dir am Festivalgelände kein Henna-Tattoo von einem dubiosen Typen machen, der wahrscheinlich genau so besoffen ist wie du. Vor drei Jahren hat sich ein Freund von mir im Koma ein Casper-Henna auf seinen Arm malen lassen. Wenn er heute auf die Stelle schlägt, sodass sie rot wird, zeichnet sich immer noch ein weißes “ASPER” auf seinem Arm ab. Die Farbe hat sich scheinbar ganz subtil in seinen Arm geätzt und wird ihn für immer daran erinnern, dass er mal Fan war. Vermutlich ist das auch der Grund, warum er das Festival heuer meiden wird. Sorry, Casper. Lass niemals zu, dass deine Freunde während eines Konzerts aufs Klo oder zum Bierholen abhauen, dich alleine lassen und dir sagen, wenn du genau hier stehen bleibst, werden sie dich wieder finden—das ist eine Lüge. Du wirst sie nie mehr finden, geschweige denn am Handy erreichen, weil du entweder keinen Akku mehr hast oder das Netz überlastet ist, da jeder damit beschäftigt ist, Fotos von The Chemical Brothers oder Alt-J auf Instagram zu posten. Wenn du deine Freunde dann endlich erreichst, und sie dir sagen, du sollst einen Arm in die Luft strecken, damit sie dich wieder finden—vergiss es einfach. Mach es wie ich, freunde dich mit dem Kellner vom Spritzerstand an, gönn dir einen Vollrausch im Wert deiner neongelben Ray Ban und triff deine Freunde zufällig am Linkin Park-Konzert wieder, wo du total dicht im BH tanzt, als gäbe es kein Morgen. Zum Glück kenne ich diese Geschichte nur aus Erzählungen. Wenn du unter den Festival-Neulingen nicht auffallen willst, schreib dir einfach den Namen deiner Lieblingsband mit Edding auf deine Arme und Beine und setz dir eine neonfarbene Sonnenbrille auf. Wenn du schon fortgeschrittener bist, weißt du sowieso, was du zu tun hast, und wenn du eine Tussi bist—ach, habe ich euch das nicht schon einmal erzählt? Seine Zeltnachbarn kann man sich nicht immer aussuchen und wie so oft im Leben wird man auch am Zeltplatz oft zu seinem Glück gezwungen. Warum sich Menschen die Mühe machen, eine riesige Anlage auf den Zeltplatz zu transportieren, nur um dann vier Tage lang dieselben drei Lieder zu hören, weiß ich nicht. Meine Zeltnachbarn vom Frequency vor zwei Jahren hatten zwei Playlists: eine mit Themes von Zeichentrickserien aus den Neunzigern und eine, die sich auf „Du” von Cro, „One Day” von Wankelmut und den „Promises”-Remix von Skrillex beschränkte. In vier Tagen haben wir alle Phasen von Liebe und Hass durchlebt—wir haben unsere Nachbarn mit Bier und Dreck beworfen, wenn zum dreißigsten Mal Cro kam und sie umso mehr geliebt, je besoffener wir waren und je öfter wir „One Day” hören mussten. Wir haben es gegrölt, als wäre es der Soundtrack unseres Lebens, unsere Nachbarn insgeheim aber trotzdem gehasst. Ich kann nie mehr „One Day” hören, ohne den Geschmack von warmem, abgestandenem Bier zu schmecken und rate dir, halt dich von Menschen mit Anlagen fern. Unweit, oder im verkaterten Zustand dann doch eher weit, vom Frequency gibt es einen riesigen Supermarkt—ja, mit echten Toiletten. Der Weg dorthin führt dich über ein ausgetrocknetes Feld, das auch liebevoll Dryland genannt wird. Am Vormittag pilgern alle Menschen dorthin und preisen den Schutzpatron der Alkoholiker, der für diese Zeit im Jahr den Biervorrat um das wahrscheinlich millionenfache aufstockt. Im Geschäft geht es zu wie auf der Love Parade, es zahlt sich aber aus. Gekühlte Getränke und Essen, das noch nicht im Zelt zwangsgekocht und von dir als Schlafunterlage benutzt wurde, ist die Qualen einfach wert. Außerdem gibt es im Möbelladen nebenan noch einmal extra viele Klos und Waschbecken. Versuch aber, dich zu benehmen, sonst bekommst du Hausverbot im Möbelgeschäft—so wie ich, als ich mit meinen stinkenden Männerfreunden dort war, die eine Stunde lang das Klo besetzt haben. Genau wie im echten Leben ist Networking auch am Frequency wichtig. Freunde dich mit deinen Nachbarn an und du wirst ein noch schöneres Leben haben als sowieso schon. Zeltnachbarn haben immer das passende Stück Gaffa für das Loch in deinem Zelt, einen Edding, mit dem du deinen schlafenden Kumpel mit politisch inkorrekter Gesichtsbehaarung verzieren kannst oder ein Plätzchen unter ihrem Pavillon. Außerdem haben sie bestimmt einen Trichter, den ihr euch teilen könnt. Auf einem Festival sind Nachbarn essentiell zum Überleben und wenn du ganz lieb zu ihnen bist, drücken sie vielleicht auch einmal auf ihrer Playlist weiter, mit der sie dich Tag und Nacht terrorisieren. Auch wenn deine Nachbarn übermenschliche Wesen sind, die niemals, wirklich NIEMALS schlafen und sich um sechs Uhr Früh neben deinem Zelt total besoffen Geschichten über einen Hasen und einen Fuchs erzählen, die gemeinsam auf Abenteuerreise gehen—du wirst trotzdem lernen, sie zu lieben. Wenn du diese Tipps befolgst, steht einem feuchtfröhlichen und angenehm dreckigen Frequency nichts mehr im Wege. Nimm genug Sonnencreme und Klopapier mit, hol dir keine Alkoholvergiftung und vielleicht sehen wir uns ja in der ersten Reihe bei Linkin Park. What’s my age again? ** Folgt Noisey bei Facebook, Instagram und Twitter.
Justin Case
[ "Features", "Festival", "Festival Guide", "Frequency Festival", "Music", "Noisey", "Noisey Blog" ]
2015-08-12T09:00:00+00:00
2024-07-30T23:58:38+00:00
https://www.vice.com/de/article/frequency-survivalguide/
‘Mein Lokal, Dein Lokal’ ist die wohl passiv-aggressivste Sendung im deutschen Fernsehen
Wann bekommt man im Leben schon mal eine faire Chance? Eine faire Chance, einem Konkurrenten die Geschäftsgrundlage zu zerstören? Im Fernsehen, vor all den Leuten. Ah, um ehrlich zu sein, so viele Leute sind das gar nicht, die sich Mein Lokal, Dein Lokal auf Kabel eins ansehen. Von Beginn an war die Sendung ein “verlässlicher Flop-Garant”, wie das Branchenmagazin “Quotenmeter” schreibt. Garantiert mit Liebe gemacht: Mettbrötchen Trotzdem: Die Kandidaten gehen vom ersten Moment an aggressiv miteinander um, das Essen der Konkurrenz wird abwechselnd “ungenießbar”, eine “Frechheit” oder schlicht “BAH” genannt. Das ist dem Format geschuldet, welches Elemente aus Das perfekte Dinner, Die Kochprofis, mieten, kaufen, wohnen und irgendwie auch MTV Cribs kombiniert. Eine Woche, fünf Kandidaten aus der Gastroszene, die sich gegenseitig einladen und bewerten. Vor Kurzem waren sie in Wuppertal und Umgebung, einem Ort, in dem das kulinarische Niveau auch “mal höher war”, so eine Kandidatin – die sich selbst natürlich davon “massivst abhebt”. Insgesamt sind die Teilnehmer in dieser “Mini-Staffel” allesamt mit einer merkwürdigen Selbstwahrnehmung ausgestattet. Alle scheinen sehr zerbrechlich, obwohl sie sich selber sehr gut finden, niemand nimmt Kritik an, lieber lassen sie sich auf endlose Diskussionen ein, in denen sie sich gegenseitig zurechtweisen. Als das italienische Restaurant der Woche dran ist und eine der Teilnehmerinnen den Chili, die Säure und den Pfeffer nicht erschmecken kann, regt sich der Gastgeber auf, das Gericht werde seit Jahrhunderten so zubereitet, sie solle sich nicht so haben. Dabei hatte sie nur das fade Essen kritisiert, die Umsetzung, nicht das Rezept als solches. Egal, Wutanfall. Die Folgen beginnen oft damit, dass die Kandidaten erst mal in die Küche gehen und nach Hygienefehlern suchen. Was soll da schon schiefgehen? In der ersten Folge in der Woche findet eine Teilnehmerin in einer fremden Küche Fleisch, die in der ganzen restlichen Zeit betont, wie wichtig ihr Hygiene sei. Sie kommentiert den Fund so: “Lagerung: mangelhaft. Oder hier sogar ungenügend.” Am nächsten Tag finden die Gäste bei ihr verschimmeltes Fleisch und vereistes Irgendwas in der Kühltruhe. Ein großer Teil der Sendung wird somit zu einem Hygienewettstreit: “Wer hat es am saubersten?” Das schaut man sich doch gerne an – über fünf Stunden. Wenn es doch mal nette Worte an die Konkurrenz gibt, dann kann man den Kandidaten den Widerwillen anmerken und ein Lob kommt nie ohne ein “Aber” an der richtigen Stelle aus. Alle Teilnehmer beschädigen sich ständig gegenseitig. Es ist ein Format, das zu übler Nachrede einlädt. Nach einem Dreh in Nürnberg meldete sich ein anonymer “Informant” bei der Lokalpresse, der sich “Gastro-Zorro” nannte und behauptete, die Sendung hätte nicht die Realität gezeigt. Den Teilnehmern der Sendung sei frische Ware serviert worden, allen anderen Gästen aber in Wahrheit Convenience Food. Gut, ja, das Fernsehen zeigt nicht immer die ganze Wahrheit, das weiß man auch und lässt für die Teilnehmer dieser Woche auch noch hoffen. Während andere Formate funktionieren, weil sie Humor oder Selbstironie haben, so ist Mein Lokal, Dein Lokal in weiten Teilen bitterernst. Das perfekte Dinner etwa hat gute Autoren, die Witz reinbringen, oder Kandidaten, denen man auch mal was gönnt. Hier: nichts davon. Man schaut dabei zu, wie sich alle gegenseitig in die Scheiße reiten wollen. Alles in allem ist die Sendung so passiv-aggressiv wie der Papst, wenn er Donald Trump ein selbstverfasstes Schreiben über den Klimawandel schenkt. Eine kleine Randnotiz: Der Titelsong ist “Safe and Sound” von Capital Cities. Wohl damit man weiß, was in der Sendung alles nicht passiert: I could lift you up I could show you what you want to see And take you where you want to be You could be my luck Even if the sky is falling down I know that we’ll be safe and sound Humor ist, wenn man trotzdem guckt.
Marc Schweizer
[ "Features", "fernsehen", "Food", "Gastronomie", "Munchies", "TV", "TV-Kritik", "TV-Show", "Wettbewerb" ]
2017-06-06T09:18:31+00:00
2024-07-30T20:09:48+00:00
https://www.vice.com/de/article/mein-lokal-dein-lokal-ist-die-wohl-passiv-aggressivste-sendung-im-deutschen-fernsehen/
Krebs-Wunderheilung oder Leichtsinn: China testet erstmals CRISPR am Menschen
Unter den gespannten Blicken der Weltöffentlichkeit wird in China noch in diesem Monat der weltweit erste CRISPR-Test am lebenden Menschen stattfinden. Wenn alles klappt, soll das revolutionäre Gen-Editierwerkzeug besonders schwere Fälle von Lungenkrebs besiegen helfen—und das aus dem Inneren des Körpers, ohne Chemotherapie oder Bestrahlung. Mit der erst 2012 patentieren Technik CRISPR/Cas-9 können Wissenschaftler sehr leicht und präzise kleine DNA-Stückchen zum Genmaterial einer Zelle hinzufügen oder löschen. Problematische Ausprägungen können herauseditiert werden oder Gene in ganz bestimmte Richtungen verändert werden. Die „Genschere” ist auf alle Lebewesen anwendbar. Hintergrund: Was ist überhaupt CRISPR und warum reden alle so aufgeregt darüber? An der klinischen Studie werden schwerkranke Menschen teilnehmen. Bei ihnen schlagen herkömmliche Behandlungen für Lungenkrebs nicht mehr an und der Krebs hat sich aggressiv ausgebreitet; auch auf andere Körperteile. Der erste Patient soll noch in diesem August behandelt werden. Mit zehn Personen ist die Samplegröße sehr klein und soll vor allem die Sicherheit des Verfahrens bestätigen. Trotzdem passiert Aufregendes in dieser Weltpremiere: Wie Nature berichtet, möchte ein Onkologen-Team um Lu You am West China Hospital der Sichuan University weiße Blutkörperchen (T-Zellen), die einen Teil der Immunantwort stellen, so umprogrammieren, dass sie selbst Krebszellen zerstören. Dazu muss das Team zuerst—ganz handwerklich—ein Gen beseitigen, das dem Krebs bei der schnellen Ausbreitung hilft. Für die Probanden geht es zunächst zur Blutabnahme. Aus den T-Zellen aus dem Blut der Lungenkrebspatienten schneiden die Forscher mit CRISPR dann das Gen für ein Molekül namens PD-1 komplett heraus. PD-1 sitzt an der Zellenoberfläche und ist ein Rezeptor für Moleküle von bösartigen Tumoren. Es funktioniert wie eine Art Schleuser für Krebsgene, die dann in die T-Zelle schlüpfen können und diese wichtige Verteidigungszelle sehr effektiv abschalten—dadurch wuchert der Krebs schneller. Das Verfahren ist so einfach, dass es schon die ersten DIY-Kits für’s Heimlabor gibt, mit denen du neue Lebewesen erschaffen kannst Es gab schon zuvor an mehreren anderen Instituten auf der Welt Tests mit modifizierten T-Zellen, die erfolgreich verliefen. Doch noch nie hat jemand CRISPR dafür benutzt, sondern sich vielmehr auf einen Virus zur Einschleusung der Sequenzen verlassen. Mit dem Tool CRISPR können die Wissenschaftler außerdem schnell und einfach Befehle in die veränderte Gensequenz hineinschreiben, die die Zelle anweisen, Krebs zu vernichten. Sobald die T-Zellen fertig bearbeitet sind (und die Wissenschaftler sicher sind, dass sie mit dem PD-1-Gen wirklich nur weggeschnippelt haben, was auch entfernt werden sollte), sollen sich diese in der Petrischale rapide vermehren. Dann werden Ärzte dem Patienten die veränderten T-Zellen wieder ins Blut spritzen. Sie sollten sich nun hoffentlich in eine Krebs-Bekämpfungsmaschine verwandelt haben. Sobald die Zellen wieder im Blut zirkulieren, attackieren und zerstören sie die Krebszellen, weil sie darauf programmiert sind—so zumindest der Plan. Ein weiterer Plan wie aus einem Science-Fiction-Roman: Schweine sollen dank CRISPR-editierter Zellen zu Organbanken für Menschen werden Beim Umgang mit der jungen und mächtigen Technologie CRISPR gibt es immer noch Vorbehalte: Niemand weiß, welche Konsequenzen das veränderte Genmaterial im Körper auslösen wird. Manche Medizinethiker fordern daher, die Versuche bei allen Zellen, die direkt für Vererbung zuständig sind, zu verbieten (also zum Beispiel Spermien, Eizellen oder frühe Embryonen auszuschließen). Die in diesem Versuch verwendeten Immunzellen gehören jedoch nicht dazu, sodass die einzigen Menschen, die den Effekt spüren dürften, die schwerkranken Patienten sind. China gilt als Pionier in Sachen CRISPR-Versuchen: Im vergangenen Jahr bearbeiteten chinesische Forscher erstmals auch menschliche Embryonen mit der CRISPR/Cas-9-Technologie—die Embryonen waren zwar von vornherein nicht lebensfähig, nichtsdestotrotz löste allein die Ankündigung eine enorme medizinethische Kontroverse aus. Auch CRISPR-editierte Affen fristen schon ihr Dasein in chinesischen Laboren. Es scheint, als fände das neue wissenschaftliche Wettrüsten eben nicht mehr im Weltraum statt, sondern in unseren Körpern: Denn auch in den USA hat ein klinischer Versuch mit CRISPR an der Uni Pennsylvania grünes Licht durch ein Biosicherheits-Panel bekommen. Die dortigen Wissenschaftler haben etwas ganz ähnliches vor: Auch sie möchten Krebspatienten mit CRISPR editierte Immunzellen injizieren. Für den Weltpremieren-Status ist das jedoch zu spät—durch ein paar regulatorische Hürden, die noch dazwischen kamen, kann der US-Versuch frühestens Ende 2016 beginnen. Chinesische Wissenschaftler werden damit die ersten der Welt sein, die die revolutionäre Gen-Editier-Technolgie CRISPR/Cas-9 am Menschen testen. Und vielleicht auch die ersten Onkologen der Welt, die Sterbenskranke durch eine nicht-invasive Therapie vom Krebs befreien.
Theresa Locker
[ "china", "CRISPR", "entdeckungen", "Forschung", "Immunsystem", "medizin", "Motherboard", "motherboard show", "rauchen", "Sichuan", "Tech", "usa" ]
Tech
2016-08-02T13:08:00+00:00
2024-07-30T23:00:04+00:00
https://www.vice.com/de/article/krebs-wunderheilung-oder-leichtsinn-china-testet-erstmals-crispr-am-menschen/
#JeSuisAxel—Bushido macht wieder (ein) Stress ohne Grund
Am Mittwoch entschied ein Gericht, dass Bushidos skandalöser Rundumschlag „Stress ohne Grund“ zu Unrecht auf dem Index stand, da sich die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien damals nicht ausreichend damit beschäftigt hatte, ob das, was Bushido macht, Kunst ist. Ein Grund für die schnelle Stressreaktion des BPjM waren vermutlich auch die Ziele seines Disses: Politiker. Ob Bushido nun gleich wieder auf dem Index landet, steht noch in den Sternen. Denn auf dem heute erschienenen Album seines Kumpels Ali Bumaye hat Bushido wieder ein paar Lines ausgepackt, die mindestens so viel Stress machen, wie jene auf NWA, dem damals indizierten Album von Shindy. Die Situation ist also ähnlich, same shit, different day, könnte man sagen. So auch der Titel des neuen Stressmachers, auf dem außerdem Shindy vertreten ist: „Same Shit, Different Day“. Zur Zielscheibe wird diesmal allerdings jemand anderes. Auf Fette Unterhaltung rappt Bushido: „Rest in Peace, SpringerDenn ich weiß jetzt, wie man basteltAm 5. Juni schreit ihr alle ,Je suis Axel’Und trotzdem wünsche ich kein BeileidEs lebe Deutschland und die künstlerische Freiheit“ Ein kurzer Rückblick: Anfang des Jahres erschien Bushidos letztes Album Carlo Cokxx Nutten 3, auf dem er unter anderem BILD-Chefredakteur Kai Diekmann disste, dessen Blatt nicht nur einmal einen unangebrachten Artikel über den Rapper veröffentlichte. Kai Diekmann reagierte, aus bisher nicht erklärbaren Gründen, mit einem eigenen Disstrack, den Noisey kurz darauf leakte. Bushido reagierte gelassen beziehungsweise gar nicht—bis jetzt. Das ist die eine Sache. Aber wie immer gibt es bei Bushido noch diese andere Sache: Kurz zuvor hatte er im Zuge seiner CCN3-Promophase ein Foto auf Instagram gepostet, auf dem er einen Paris-Pullover trug und das Bild mit der Ansage „Bald gehts wieder rund… #ccn3kommtundzerficktsoeinige“ versehen hatte—kurz nach dem grausamen Anschlag auf das Satiremagazin Charlie Hebdo. Eine Provokation, die er erst leugnete, dann aber mit den Worten „Ich wollte einfach mal wieder Stress machen“ zugab. Sein neuer Part auf „SSDD“ ist seine Reaktion auf diese zwei Ereignisse. Wäre Letzteres nicht passiert, der Beigeschmack, den seine Lines jetzt haben, wäre bestimmt etwas weniger bitter. Die großen, empörten Reaktionen auf den Track blieben bisher aus, sind aber genau wie Bushidos Provokationen eigentlich schon vorprogrammiert. Ein Großteil wird sich wahrscheinlich aufregen, Bushidos Pietätlosigkeit verurteilen, ihm Geschmacklosigkeit attestieren, und eine Strafe fordern. Dieser Großteil wird in erster Linie die Medienöffentlichkeit oder Politik sein, zufälligerweise Bushidos neue Spielwiese. Auf seiner alten Spielwiese—die Rapgemeinde—werden die meisten mit dem Kopf schütteln und sich denken „Ach Bushido, er will doch nur provozieren“, gefolgt von einem kurzen Unwohlsein, das schnell zu einem Schulterzucken wird. Eben das ist der Grund dafür, dass Bushido sich überhaupt eine neue Spielwiese gesucht hat. Auf der alten haben die Leute nicht etwa weniger Mitgefühl oder sind härter im Nehmen, wenn es um geschmacklose Anspielungen gibt. Bushido hat diese Wiese einfach schon durchgespielt. Man kennt ihn, Provokationen ziehen nicht mehr so. Hier gilt: Same shit, different day. Auf der neuen Spielwiese dagegen könnte er noch Spielraum haben, da die Wiese aber größer ist, muss lauter geschrien werden. Während man sich bei seiner „Je suis Axel“-Line natürlich die gewohnte Schwarzer Humor-Frage stellen kann—„Zu früh?“—, sollte man sich aber auch fragen, was hier eigentlich impliziert wird. Natürlich läuft Bushido heute, am 5. Juni, nicht im Springer Verlagshaus ein, um um sich zu schießen, vermutlich (und hoffentlich) wünscht Bushido dem Axel Springer-Verlag und seinen Angestellten auch nur den wirtschaftlichen Tod und eigentlich sollte die BPjM genau wegen dieser metaphorischen Ebene die Lines eher als Kunst bewerten als die Zeile „Ich schieß auf Claudia Roth und sie kriegt Löcher wie ein Golfplatz“. Allerdings bedient sich Bushido hier eines Attentats, das den Tod vieler Menschen nach sich zog, die Pressefreiheit schändete und weltweit Hass schürte. Es ist eine Grenze, die er noch nie überschritten hat, und die sicher in den meisten ein mulmiges Gefühl hervorruft. Gleichzeitig ist es eine Grenze, die er gerade jetzt bewusst überschreitet. Nachdem er bei dem Paris-Pullover scheinbar noch verwirrt von den heftigen Reaktionen war und zurückruderte, weiß er jetzt, was ihm blühen wird und überschreitet sie absichtlich. Schließlich ist die Spielwiese größer und das Ziel weiter weg. Sein Schießstand ist immer noch die Rap-Musik, die Zielscheiben auf der anderen Seite sind Springer und Kai Diekmann. Dass dabei auch die Opfer von Charlie Hebdo getroffen werden, wird wohl als Kollateralschaden verbucht. Auch dass sein Kollege Ali, der diese Lines auf seinem Album hostet, nicht begeistert ist, liegt sicherlich nicht nur daran, dass er noch auf der anderen Seite steht. Als Ali uns vor ein paar Wochen sein Album vorspielte, sagte er zu „Same Shit, Different Day“: „Ich finde es ein bisschen viel, aber ist sein Bier. Er meinte nur: ‚Ist der Ruf erstmal ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert‘.“ Eine Tatsache, die sich Bushido zwar selbst zu verschulden hat, die von Springer aber gern untermauert wird. Kai Diekmann, der offenbar genug Zeit hat, um den ganzen Tag lang auf Twitter den Fler raushängen zu lassen, hat bereits mit einem gelassenen Tweet reagiert. So wird es wohl immer weitergehen; vielleicht ist der Tag sogar schon gekommen, an dem die Provokationen nicht mal mehr die Medienöffentlichkeit stören. Dann heißt es wirklich: Same shit, different day. ** Folgt Noisey bei Facebook und Twitter.
Viola Funk
[ "Ali", "Axel", "bild", "Bilder", "Bushido", "kai diekmann", "Music", "Noisey", "Noisey Blog", "Shindy", "springer", "Stress Ohne Grund" ]
2015-06-05T09:00:00+00:00
2024-07-31T00:07:34+00:00
https://www.vice.com/de/article/je-suis-axel-bushido-macht-wieder-stress-ohne-grund/
Max Piff—‚Eponymous‘
Max PiffEponymousSelf-Released Gott segne die Unmittelbarkeit des Internets. Adde ein paar Statisten, die im Späti irgendwie cool aussahen und Bang! Das nächste, was passiert: Du nimmst Ketamin in der Garderobe von keine-Ahnung-wem, wischst ein paarmal nach rechts und schon knutscht du mit dem süßesten Mädchen, das du jemals gesehen hast. Als mich dieses Wunderwerk aus dem Nichts anschrieb und mir erzählte, dass der Vater ihres Kindes dieses Album gemacht hat, meinte ich nur so: „Klar, ich hör’s mir an.“ Und diese Scheiße ist gut! Es ist heiterer, Marihuana-enstpannter, semi-melancholischer Trap von einem dünnen, weißen Kunst-Typen.
Lindsey „a good person“ Leonard
[ "ketamin", "Marihuana", "Max Piff", "Music", "Noisey", "Noisey Blog", "Review", "Reviews", "Späti", "Tinder", "trap" ]
2015-09-23T07:10:00+00:00
2024-07-31T00:25:40+00:00
https://www.vice.com/de/article/review-max-piff-eponymous-382/
Marteria, Joko und Klaas batteln sich zu Beats von 2Pac, Kanye West und Bushido
Foto: Screenshot von YouTube aus dem Video “‘Bitte ein Beat DELUXE’ mit Marteria | Circus HalliGalli” von Circus HalliGalli “Bitte ein Beat!” Marteria war zu Gast bei Circus HalliGalli und mit ihm gab es jetzt das letzte gesungene – oder in diesem Fall gerappte – Interview in der bald endenden CHG-Geschichte. Deshalb das Ganze auch in Deluxe-Version mit Gangster-Einspieler und lächerlichen Kostümen für Klaas aka Thesaurus Rex und Joko aka MC Rentna Plauzee (OK, Jungs). Per Knopfdruck werden Backingtracks abgefahren und Joko stammelt zu Haftbefehls “Ich rolle mit meim Besten” oder zu “Hypnotize” von Notorious B.I.G. – war aber ja auch schon so im Vorspann angekündigt: holprige Reime bis seine Gegner vor Fremdscham aufgeben. Marteria schlägt sich wacker zu “Niggas in Paris” von Jay-Z und Kanye West oder zu 2Pacs “California Love” und auch Klaas gibt sich Mühe bei seiner Performance zu Bushidos “Sonnenbank Flavour” oder “Who Am I” von Snoop Dog. Ändert aber nichts daran, dass man es entweder stinklangweilig findet oder ein bisschen den inneren Fler bekommt bei der ganzen Hippi Hoppi Holprigkeit. Das ahnt vielleicht auch Marteria: “Ja, so siehts nämlich aus, alle hier sehen dämlich aus – nein, ich mein nur die beiden, lasst es uns denen mal zeigen.” Aber da war ja noch mehr: Neue Platte, neuer Film. Natürlich wurde in der Sendung auch über Marterias neues Album Roswell, das Ende Mai erscheint, gesprochen. Und über den Film AntiMarteria, den er mit seinem Team in Südafrika gedreht hat – genauso wie das Video zu “Aliens” – und der gerade noch fleißig geschnitten wird. Aber einen kurzen Teaser kann man sich schon anschauen – und bleibt lustig verwirrt und gespannt zurück: ** Folgt Noisey bei Facebook, Instagram und Twitter.
Noisey Staff
[ "beat", "circus halli galli", "Halli Galli", "Joko Winterscheidt", "Klaas Heufer-Umlauf", "Marteria", "Music", "Musik", "Noisey", "Noisey News", "Rap" ]
2017-04-19T13:04:48+00:00
2024-07-30T19:41:26+00:00
https://www.vice.com/de/article/marteria-joko-und-klaas-batteln-sich-zu-beats-von-2pac-kanye-west-und-bushido/
Feiern mit Ende 70: Die Geschichte des mysteriösen Pensionisten-Raver-Paars
Das Fabric ist einer der besten Clubs in London. Manch einer spricht im Überschwang gar vom “Berghain Großbritanniens”. Klar, dass so ein Laden Gäste aus aller Welt anzieht—und aus allen Altersklassen. So auch zwei polnische Raver, die um 5:00 Uhr morgens, dem 14-Uhr-am-nächsten-Tag in UK, noch im Fabric saßen. So weit, so gewöhnlich? Nicht ganz, denn das sich DJ Jacob Husley danach sogar für einen Facebook-Post mit den beiden ablichten ließ, hat einen guten Grund: Das Raverpaar ist jenseits der 70. Die beiden könnten deine Großeltern sein! Aber auch wenn wir definitiv ein Mindestmaß an Bewunderung für dieses alte Paar aufbringen, so wirft dieser Fall doch einige Fragen auf—vielleicht sogar ein paar mehr. Wir wissen, dass beide Ende 70 sind, aus Polen stammen und ins Fabric kamen, nachdem sie darüber in einer Zeitung gelesen hatten. Das erklärt allerdings nicht wirklich, was ein Paar, das man normalerweise bei einer Führung durch den Buckingham Palace schlurfen sehen würde, dazu bringt, sich freiwillig fünf Stunden Techno-Geballer auszusetzen. Hören die überhaupt noch richtig? Hat ihnen jemand die Tasse Tee gemacht, um die sie gebeten haben? Warum geht die betagte Raverin auf Krücken? Warum sieht der betagte Raver auf den Fotos so aus, als würde er eine Medaille tragen? Laut eines Interviews, das Jacob Husley—Resident der Reihe “Wet Yourself” und jetzt auch Uploader viraler Fotos—dem Evening Standard gegeben hat, scheint es so, dass es das Paar tatsächlich darauf abgesehen hatte, in dieser Nacht die Puppen tanzen zu lassen. Sie blieben nicht nur bis 5 Uhr morgens im Club, sondern mischten auch auf dem Dancefloor fleißig mit. Husley berichtet, wie die beiden, denen er einen Platz im VIP-Bereich organisiert hatte, plötzlich verschwunden waren, nur um sie wenig später mitten im Getümmel der Menge wiederzufinden. So verhält sich auf jeden Fall niemand, der das Fabric versehentlich mit einer nächtlichen Textil-Messe verwechselt hat. Husley zufolge gab Mr. Rentner-Raver allerdings nicht unbedingt die beste Partybegleitung ab: “Sie war sehr langsam, also ist er etwas mehr auf dem Dancefloor gewesen und hat mit den jungen Mädchen getanzt.” Außerdem sei das Paar zusammen in bester Gesellschaftstanz-Manier zu den hämmernden Kickdrums über die Tanzfläche geschwoft, was einerseits ein rhythmischer Albtraum gewesen sein muss, andererseits aber den Beweis dafür liefert, dass Romantik immer noch nicht ausgestorben ist. Auch wenn die beiden im Fabric definitiv eine Ausnahmeerscheinung darstellen, sind sie nicht die einzigen altehrwürdigen Damen und Herren in Clubland. Da wäre natürlich Detroits Raving Grandma, der 68 Jahre alte Jan Bakker in Amsterdam oder der Berliner Komet Bernhard. Alle von ihnen beweisen dir zwei Dinge. Erstens: Dass die Liebe für Partys und Clubmusik keine Altersgrenzen kennt. Egal, wie alt du bist, du kannst immer noch dein persönliches Glück im Wummern des 4/4-Beat finden—”zu alt” oder “hinter sich haben” gibt es einfach nicht. Sie zeigen aber auch, dass du mit Fotos oder Videos von einer älteren Person in einem Club garantiert Aufrufe im mehrstelligen Bereich erzielst. In der Regel führt der Hype um solche Geschichten zu wenig mehr als einem Haufen Menschen, die sagen: “LOL, Clubs und alte Menschen. WTF?!” In diesem speziellen Fall können wir aus dieser Geschichte allerdings ein paar ernstere Schlüsse ziehen. Es ist nämlich so, dass dieses Paar im Fabric gelandet ist, weil sie ihre Tochter in London besuchten und bei der Gelegenheit auch alle kulturellen Highlights der Highlights mitnehmen wollten. Und was zeigt uns besser den kulturellen Wert britischer Clubs als die Anerkennung durch deine Großeltern? Wenn Paare über 70 aus Polen nach London kommen und das fabric als “Must See” für sie ganz oben steht, dann ist das doch ein ziemlich gutes Zeichen dafür, dass wir unsere Clubkultur hegen und pflegen sollten. Entweder das, oder dass wir von nun an besser Treppenlifte in unseren Clubs installieren. Dieser Artikel ist vorab auf THUMP erschienen. ** Folgt Noisey bei Facebook und Twitter.
Angus Harrison
[ "club", "fabric", "Features", "London", "Music", "Noisey", "Polen", "raver", "Thump" ]
2016-05-19T09:02:00+00:00
2024-07-30T21:24:13+00:00
https://www.vice.com/de/article/feiern-mit-ende-70-die-geschichte-des-mysterioesen-rentner-raver-paars/
Musikreviews der Woche mit Sebadoh, Aloa Input und mehr
ALOA INPUT Anysome Morr Music/Indigo Animal Collective haben ein neues Album draußen? Gar nicht mitbekommen. Ach nein, das sind ja gar nicht Animal Collective, sondern nur drei Typen aus Bayern, die wirklich genauso klingen. Was an sich eine sehr absurde Vorstellung ist, denn die schrammelige Verschrobenheit ihrer offiziell erklärten Vorbilder würde man vermutlich nicht in einem Proberaum neben einer Scheune und einem Traktorparkhaus vermuten. Dennoch reicht es hier eher zum Status „eine der besseren Schülerbands“, denn ein Album ohne eigene Ideen zu veröffentlichen, sollte dann schon als ein Cover-Tribut gekennzeichnet sein. VRONI PLAG SEBADOH Defend Yourself Domino Sebadoh haben Lo-Fi-/Shoegaze-/Indie-Legendenstatus, vor 14 Jahren das letzte nennenswerte Lebenszeichen in Albumform veröffentlicht, und klingen auf Defend Yourself im Prinzip immer noch exakt wie vor 14 Jahren. Das ist einerseits natürlich stinklangweilig, denn wir könnten uns auch einfach weiter die alten Sachen anhören. Andererseits aber eben super, denn heutzutage machen Bands ja eher diesen hippen überironisierten “Indie”-Scheiß mit Anführungszeichen. Früher war eben doch einiges früher. Mühle, ich hör’ dich zwicken. ‘K, MASCIS THE ICARUS LINE Slave Vows Agitated/Cargo Wie man hört, hat Icarus Line-Frontmann Joe Cardamone die letzten Monate nicht gerade auf der Sonnenseite des Lebens verbracht. Aber immerhin verschafften ihm Obdachlosigkeit und Drogensucht die Gelegenheit, mal wieder eine gesunde Dosis Welthass aufzustauen, die sich auf seinem neuen Album in äußerst überzeugender Weise entlädt. Ein derart organisches und schmerzverzerrtes Jaulen, wie Cardamone es seiner Gitarre entlockt, habe ich auf jeden Fall nicht mehr gehört, seit sich meine Katze zum letzten Mal den Schwanz in der Balkontür eingeklemmt hat.  FRED FEUERSTEIN TAMIKREST Chatma Glitterhouse/Indigo Als ich erstmal vom einzig authentischen Wüsten-Rock des gemeinhin Tuareg genannten Nomaden-Volks Kel Tamashek las, entstand in meinem geistigen Ohr so etwas wie eine fiebrige Hi-Life-Version von Bo Diddleys Endlos-Variantionen – “Who Do You Love?”, “Road Runner”, “Hey! Bo Diddley” – auf 100 aus Zigarrenkisten und Benzin-Kanistern gefertigten Gitarren tranceartig über Stunden in den Wind geschrammelt, heiß und treibend wie der Sand. Dagegen konnten das Original, Tamikrest nur abstinken. Zumal Chatma jetzt auch noch passend zu einem “inhaltlich aufrüttelnden Album” auch “Tamikrests bislang größte Breitwand-Klangfülle” bietet (schon sic? wartet, jetzt kommt’s erst): “Die infektiösen Mitsing-Rock-Arrangements von „Imanin bas zihoun”, die akustische Verführung “Adounia tabarat”, das von Pink Floyd beeinflusste “Assikal” und die üppig- melancholische Atmosphäre des finalen “Timtar” …” Ja, ich sing mal: Hey, Booohhh Diddley …!  LIL’ BO
VICE Staff
[ "Musik", "Musikreviews", "Noisey", "Sebadoh", "The Icarus Line", "Vice Blog" ]
2013-10-19T12:00:00+00:00
2024-07-31T05:50:56+00:00
https://www.vice.com/de/article/musikreviews-der-woche-mit-sebadoh-aloa-input-und-mehr-584781a87433e502169ed9ef/
Abtreibungsgegner, Fundamentalisten, Homo-Hasser
Fotos von Daniel Jakobson Am Samstag fand in Berlin der Marsch für das Leben mit etwa 5.000 Teilnehmern statt. Das hört sich natürlich erstmal nicht so an, als sei das eine Veranstaltung, gegen die man sein könnte. Wer ist schon gegen „das Leben”? Einen Punkt haben die Leute auf jeden Fall schon mal an der PR-Front gemacht. Früher nannte sich diese Veranstaltung „1000 Kreuze Marsch”. Für jeden der 1.000 Schwangerschaftsabbrüche, die in Deutschland angeblich täglich vorgenommen werden, eins (die Zahl ist vollkommen aus der Luft gegriffen, das statistische Bundesamt spricht von hochgerechnet 288). Der Marsch wird vom Bundesverband Lebensrecht veranstaltet, dessen Vorsitzender Martin Lohmann ist. Und spätestens jetzt sollte jedem klar sein, dass man es hier nicht mit freundlichen Pastoralreferentinnen zu tun hat, sondern mit Fundamentalisten. Nicht, dass das eine das andere unbedingt ausschließt. Die gesetzliche Grundlage von Schwangerschaftsabbrüchen ist auch 2014 immer noch sehr kompliziert. Laut §218 sind Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich verboten. Auch die Abtreibung nach einer Pflichtberatung (§218, Abschnitt 1) ist immer noch rechtswidrig, bleibt nur eben straffrei. Beratungsscheine werden von staatlich zertifizierten Beratungsstellen ausgegeben, die ergebnisoffen beraten. Das heißt, am Ende kann die Frau entscheiden, ob sie ihr Kind austragen will oder eben nicht. Wenn nicht, kann sie frühestens drei Tage nach der Beratung den Abbruch durchführen lassen.   Einige Verbände, die den Marsch unterstützen, machen sich diese komplizierte Situation zu Nutze. Genau wie in den Scheinabtreibungskliniken in den USA, bieten zum Beispiel die Kooperative Arbeit Leben Ehrfürchtig Bewahren e. V. (KALEB) Schwangerschaftsberatungen an. Nur leider keine staatlich zertifizierten. Das heißt Frauen, die eh schon unter Zeitdruck stehen, werden mit dieser Methode nochmal weiter aufgehalten und müssen sich von Lebensschützern vorhalten lassen, dass sie Mörderinnen werden, wenn sie abtreiben. Mitglieder von KALEB veranstalten übrigens auch Mahnwachen vor Firmen, die Abtreibungspillen ausliefern. Hartmut Steeb (mit Fliege), Martin Lohmann, Beatrix von Storch in vorderster Front für das Leben. Auch die AfD ist eng mit dem Marsch verbunden (eine Party, bei der es um Anti-Feminismus, Homo- und Trans-Feindlichkeit und die gute alte Familie geht, kann man sich in diesen Kreisen ja nun auch wirklich nicht entgehen lassen). Schon seit Jahren ist Beatrix von Storch prominent vertreten, mittlerweile Europaabgeordnete der Partei, aber auch Vorsitzende der Zivilen Koalition-einem von ihr gegründeten Verein, zu dem wiederum die Initiative Familienschutz gehört. Diese Initiative ist Hauptveranstalter der Demos gegen den Bildungsplan in Baden-Württemberg, in dem es darum geht (und ich weiß, es ist furchtbar schockierend), dass Kindern beigebracht werden soll, dass es nicht nur Heterosexuelle in Stuttgart und Umgebung gibt. Ein Fakt, der auch Hartmut Steeb schwer zu schaffen macht. Steeb ist der Generalsekretär der Evangelischen Allianz Deutschlands (eines Verbandes für evangelikale Christen) und ebenfalls Unterstützer des Marsches. Der überzeugte Fliegenträger ist genauso überzeugt homophob. Neben zahllosen Talkshowauftritten, wo er immer wieder über die Unnatürlichkeit von Homosexualität spricht, kritisierte er auch Angela Merkel (die jetzt wirklich nicht die größte Schwulenfreundin ist) wegen eines Grußwortes für den CSD in Stuttgart. Es ist vielleicht sonst noch niemandem aufgefallen, aber konservative Christen sind die Opfer und werden von der furchtbaren Homolobby diskriminiert. Ständig.  Die Kreuzausgabe. Eike Sanders, Mit-Autorin von Deutschland treibt sich ab, beschäftigt sich schon seit Jahren mit der Lebensrechtsbewegung und kommt zu einem Schluss, der gar nicht so sehr verwundert, wenn man sich die Protagonisten genauer anschaut. Das Ziel dieser Leute ist nichts weniger als ein deutscher Gottesstaat. Abtreibung mag zwar erstmals das Hauptthema sein, aber dahinter steht einiges mehr. Interessant ist hier auch ein Zitat der Deutschen Vereinigung für eine christliche Kultur e.V., deren Ziel „der selbstlose Schutz der geistigen, sozialen und kulturellen Werte der christlich-abendländischen Kultur und Zivilisation, die von einer seit mehr als fünf Jahrhunderte anhaltenden zersetzenden Revolution nach und nach zerstört werden soll.” Und da ist es auch schon, das Mittelalter. Hier geht es nicht einmal um die 68er, sondern um die verdammte Aufklärung! Dementsprechend gestaltete sich auch die eigentliche Veranstaltung. Wie schon bei der Namensänderung von „1000 Kreuze Marsch” zum „Marsch für das Leben” versucht man, sich sehr christlich, aufgeschlossen und tolerant zu zeigen. Teilnehmer werden direkt vor Ort mit ästhetischen Transparenten und Schildern versorgt, auf denen keineswegs abgetriebene Föten zu sehen sind, wie man erwarten könnte, sondern lachende Babys, Familien etc. Die unangenehmen Töne sind hier noch eher zwischen den Zeilen zu hören. Es geht darum, dass selbstverständlich niemand Frauen bestrafen will, die abgetrieben haben, weil „es ist Strafe genug, was sich diese Menschen da antun.” Man spricht von einer „Zivilisation des Todes”, in der wir leben. Sexualaufklärung ist nur dann gut, wenn sie dazu führt, dass Sex erst „zum richtigen Zeitpunkt” stattfindet (Spoiler: nicht vor der Ehe). Spricht man mit den Teilnehmern kann man schon ganz andere Töne hören. Cecily, eine 24-jährige Mutter eines Kindes antwortet mir auf meine Frage, ob Abtreibung auch im Fall einer Vergewaltigung verboten sein sollte, mit einem Ja. Eine Abtreibung sei ein weiteres schlimmes Trauma, das zu der Vergewaltigung noch hinzukäme. Dieses sogenannte „Post Abortion Syndrome”, das immer wieder von Abtreibungsgegnern ins Feld geführt wird, ist allerdings von mehreren Studien widerlegt worden. Tatsächlich ist die Argumentation, die dahinter steht, ziemlich perfide. Das Trauma liegt demzufolge in der Abtreibung begründet und nicht im Druck der Gesellschaft und durch Veranstaltungen wie genau dieser, die versuchen, Frauen, die abgetrieben haben, zu Täterinnen zu stilisieren. Genau die gleiche Argumentation gibt es bezüglich der hohen Selbstmordraten bei LGBTs. Laut der Argumentation aus dem homophoben Lager liegt das nämlich an der Homosexualität an sich und nicht daran, dass Schwule, Lesben und Transsexuelle permanent diskriminiert und unterdrückt werden. Zu dem Thema erzählt mir dann auch ein Philosophie-Lehrer aus Köln, dass ich, als schwuler Mann, offensichtlich entweder von meinem Vater missbraucht wurde oder aber eine Vaterfigur vermisst hätte und deswegen jetzt die Liebe, die ich in meiner Kindheit nicht bekommen hätte, bei anderen Männern suche. Beides falsch, aber eine typische Argumentation, mit der Homosexualität zu einer psychischen Störung gemacht werden soll. Nun wäre eine Demonstration von Fundamentalisten in Berlin keine Demonstration von Fundamentalisten in Berlin, wenn es nicht auch eine Gegendemo gäbe. Was dazu führte, dass nicht nur die Auftaktkundgebung massiv gestört wurde, sondern auch der tatsächliche Marsch von Anfang bis Ende von ca. 1000 Gegendemonstranten umrundet und infiltriert wurde. Mehrmals mussten die Freunde des Lebens tatsächlich anhalten, weil sich Blockaden gebildet hatten. Außerdem fand eine weitere Demo mit gut 500 Teilnehmern direkt am Brandenburger Tor statt. Und selbstverständlich ist es der Job der Polizei, die Demonstrationsfreiheit zu schützen, egal wie unangenehm die Demoteilnehmer sind. Wie das aber letzten Samstag gelaufen ist, könnte man als schwierig bezeichnen. Nicht nur wurde eine Gegendemonstrantin von einem Polizisten „Mäuschen” genannt (leider wollte er danach nicht mit mir über Schulungen bezüglich politische korrekter Sprache bei der Polizei sprechen), sondern irgendwann wurden auch Pressevertreter nicht mehr durchgelassen und nur doch Demonstrationsteilnehmer mit Kreuz durften passieren. Dieser Polizist erklärt grad, dass ihm #Pressefreiheit egal ist und auch mit Presseausweis nmd. durchkommt #nofundis pic.twitter.com/GRY8Winrkv – Erik Marquardt (@ErikMarquardt) September 20, 2014 Die Teilnehmer des Marsches pochten zwar auf christliche Werte, waren aber weit weniger menschenfreundlich, als man hätte erwarten können. Einige junge Männer sahen sich offenbar vom Herrn als Freelance-Ordner berufen und bewegten sich mit ihren Transparenten und Schildern immer wieder gezielt auf Gegendemonstranten zu, die sie dann mit unchristlicher Gewalt wegdrängten. Ein Fundi dem ich von meiner Abtreibung erzählt hab wollte für mich beten. Ein anderer hat “Unheilige Mörderin” geschrien. #nofundis – Charlotte (@MissCharlez) September 20, 2014 Auch bei der Abschlusskundgebung wurde mehrfach gestört, was allerdings nicht den Auftritt von P5 verhindern konnte, den fünf Kindern des Prinzen von Preußen, die unter anderem über das Elend nach dem jüngsten Gericht sangen, das den Teil der Menschheit ereilen wird, der nicht ins Himmelreich gelangt. Grundsätzlich ist es hoffentlich ein gutes Zeichen, wenn sich trotz bundesweiter Mobilmachung nur 5000 Fundamentalisten aufraffen können, eine Demo zu einem ihrer Kernthemen zu besuchen und andererseits gut 1500  Gegendemonstranten nur aus Berlin dem gegenüberstehen. Trotzdem darf man nicht vergessen, dass man es hier mit einem sehr bedenklichen Weltbild zu tun hat. Stefan ist auch auf Twitter für das Leben, aber gegen Fundamentalisten.
Stefan Lauer
[ "1000 Kreuze Marsch", "AfD", "Beatrix von Storch", "evangelikale", "Fotos", "Fundamentalismus", "katholische Kirche", "LGBT+", "Marsch für das Leben", "Martin Lohmann", "News", "Papst", "Wirres Deutschland" ]
2014-09-22T15:09:00+00:00
2024-07-31T04:08:24+00:00
https://www.vice.com/de/article/yv4n5v/abtreibungsgegner-fundamentalisten-homo-hasser-marsch-fuer-das-leben-klassentreffen-fuer-reaktionaere-martin-lohmann-beatrix-von-storch-441
Paare, so kriegt ihr mich zu einem Dreier: die Anleitung einer Bisexuellen
Foto: imago | BM&W Pornos zu gucken, um etwas über Dreier zu lernen, ist ungefähr so sinnvoll, wie Mad Max zu schauen, um ein besserer Fahrer zu werden. Auf dem Computerbildschirm sieht das so aus: Es gibt immer diese eine heiße Freundin, die zufällig ins Pärchenschlafzimmer platzt und einfach mitmacht oder sich lasziv am Pool des Paares räkelt, weil sie so heiß darauf ist, den Ehemann ihrer besten Freundin im Team zu beglücken. Der Anteil der Paare, die so jemanden getroffen haben, ist wahrscheinlich so groß wie die Zahl jener, die einen eigenen Pool in Berlin-Mitte besitzen. Aber es gibt sie nicht, die perfekten Wunscherfüllungsroboter, die nur darauf gewartet haben, das Liebesleben eines Paares aufzuwärmen. (Oder höchstens gegen Geld.) Aber bisexuelle Frauen, die manchmal Bock haben, das Bett mit einem Paar zu teilen, existieren tatsächlich. Ich kenne welche. Ich habe selbst das Bett mit Paaren geteilt. Glaubt man den Zahlen, sind Dreier, vor allem in der Ausführung Frau-Frau-Mann, eine der Standard-Sexfantasien der Deutschen. Oder zumindest der deutschen Männer. “Für Männer ist es _die_Fantasie schlechthin”, sagt Jakob Pastötter, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Sexualforschung. An deren Umsetzung hapert es allerdings: Laut einer Studie zum Sexualverhalten in Deutschland, an der Pastötter mitgewirkt hat, hatten gerade einmal 12,5 Prozent der Deutschen einen Dreier. Ich bin generell skeptisch, was Sexstatistiken angeht, aber auch allein anhand der Gespräche, bei denen man sich eine gewisse Ehrlichkeit angetrunken hat, weiß ich, dass viele diese Fantasie haben. Die App Feeld—früher bekannt als 3ndr (ausgesprochen: Thrinder)—gilt als die Dreier-App schlechthin. Weltweit wurde sie fast schon zwei Millionen Mal runtergeladen, in Deutschland hat sie etwa 40.000 Mitglieder. Ein Drittel von ihnen seien Paare, schreibt mir Dimo Trifonov, der Gründer der App. Die meisten von ihnen suchten nach einer dritten Frau. Und die suchen sie nicht nur bei Feeld: Auch auf etwas aufgeschlosseneren Datingseiten sieht man zig Paare, die nach einer “experimentierfreudigen Dritten” fahnden. Und zwar nicht nur solche Pärchen, die nach Orion-, sondern auch jene, die nach Otto-Katalog aussehen. Wer bei Datingplattformen angibt, single und bisexuell zu sein, wird ein paar Mal täglich auf Drinks eingeladen, bei denen man dann “schaut, was passiert”. Klickt man auf die Profile dahinter, zieht eine Parade von gut ausgeleuchtetem Pärchenglück vorbei, noch viel mehr geheimnisvoll-beschämt verdeckte Gesichter und eine Fülle von animateurerotischen Aufnahmen von Strapsen und Waschbrettbäuchen. Bei so einem Überangebot sollte ein Dreier für mich nur ein paar Klicks entfernt sein. Es könnte so einfach sein. Wenn Paare sich nicht so blöd anstellen würden. Hier eine Anleitung, wie man es besser macht: “Hallo du, mein Freund und ich lieben uns und finden dich echt heiß. Bock auf Sex?” Zu zweit eine Frau aufzureißen, ist nicht so anders, als würde man alleine versuchen, jemanden klarzumachen. Man wirbt nicht um ein Set von Genitalien, sondern um den Menschen, der da dran hängt. Und der hat Persönlichkeit, Humor, ein Eigenleben—oder na ja: minimale Höflichkeitsanforderungen. Direkte Sexanfragen, auch wenn sie vom weiblichen Teil des Paars kommen, sind taktlos. Noch seltsamer ist, wenn man halbe pornografische Romane von einem Profil zugeschickt bekommt, auf dem nur verschwommene Oberkörper oder Hintern in allen Ausführungen zu sehen sind. Wie beim normalen Daten gilt: Sei kein Arsch. Ich bin ein Mensch und will Menschen begegnen. “Hey, ich bin Sarah, dein Musikgeschmack ist toll und wir haben dasselbe Lieblingsbuch. Lass uns beide Gin Tonic trinken und über den Sinn des Lebens sinnieren.” 30 Nachrichten später, nachdem man sich mit der schönen Sarah verabredet hat: “Hast du eigentlich was dagegen, wenn mein Freund auch mitkommt?” Wenn ihr als Paar nach Bettgesellschaft sucht, müsst ihr das gleich deutlich machen. Wenn ihr die heiße Frau als Köder vorschickt, fühle ich mich verarscht. Und das führt auch nirgendwohin. Das Szenario, in denen sich zwei Freundinnen so gut verstehen, dass sie alles miteinander teilen—Lippenstift, Sorgen, einen Schwanz—ist genau so realistisch wie der Plot von Warum liegt hier eigentlich Stroh? Noch blöder ist es, wenn die Frau das Interesse nur vortäuscht, um ihrem Liebsten ein “Geschenk” zu machen. “Der Dreier ist eher eine Männerfantasie”, sagt Experte Pastötter. “Man kann das evolutionsbedingt erklären: Wenn es darum geht, seine Gene zu verbreiten, ist es besser, zwei Frauen gleichzeitig zu beglücken.” Es macht allerdings keinen Spaß, in einem Bett zu sein, in dem ein Drittel der Belegschaft keinen Bock auf einen hat. Es ist in Ordnung, wenn eine Lady noch nie etwas mit einer Frau hatte und neugierig ist. “Viele gehen auf ein Dreierdate, weil sie Bereiche ihrer Sexualität erkunden wollen, die ansonsten nicht zum Ausdruck kämen”, sagt Patrick vom The Threeway Dating Club, der professionell Dreier vermittelt, zu VICE. Aber ich merke ziemlich schnell, wenn die Dame nicht an Bettgesellschaft interessiert ist, sondern nur die Fantasie ihres Liebsten befriedigt. In Pornos sieht der Dreier so aus: Zwei Frauen beschäftigen sich mit dem Prachtstück des Mannes und küssen sich zwischendurch vielleicht ein bisschen. Aber überlegt euch mal: Warum sollte eine zweite Frau Bock auf einen halben Schwanz haben, wenn es in der Welt eher ein Überschuss von willigen ganzen Penissen gibt? Und erwartet bloß nicht, dass alles so mühelos läuft wie auf Pornhub. “Bei Dreiern dreht sich viel um Inszenierung: Man wird vom Szenario angetörnt”, sagt Pastötter. “Es reicht nicht, Körper zusammenzuwerfen, sondern da muss eine Anziehung da sein.” Ein Dreier so ganz ohne hochprozentige soziale Schmiermittel ist so gut wie unmöglich. Aber was ist schlimmer als ein One-Night-Stand mit einem Besoffenen? Richtig, ein One-Night-Stand mit zwei Besoffenen. Vor allem, wenn sie dazu tendieren, sich im Rausch zu streiten. Klar ist es heiß, darüber zu fantasieren, dass da jemand Fremdes in der gemeinsam gekauften Bettwäsche liegt. Aber kommt ihr auch im echten Leben damit klar, das Gesicht eures Partners zwischen fremden Beinen zu sehen? Und was tut ihr, wenn nicht? “Es ist wichtig, für Paare vorher darüber reden, was ihre Grenzen sind”, sagt Pastötter. “Ist Penetration in Ordnung? Wie verhütet man?” Keine Fremde will sich plötzlich nackt inmitten eines Pärchendramas wiederfinden und die Taschentücher neben dem Bett nicht zur Spermabeseitigung verwenden, sondern um geflossene Tränen abzuwischen. Sollte eigentlich klar sein, ist es aber überraschend oft nicht: Nie dasselbe Spielzeug in unterschiedliche Menschen stecken, Kondome zwischen Partnerinnen wechseln. Und diese sollten besser gut sein: Stellt euch mal vor, ihr müsst einem Kind erklären, dass es bei einer Orgie entstanden ist. Sex zwischen zwei Menschen ist kompliziert. Fügt man noch einen dritten hinzu, wird es zu einem Meisterwerk der Koordination: organisatorisch (drei Menschen müssen gleichzeitig Bock auf Sex haben und in der Nähe eines Bettes sein), logistisch (zwölf Extremitäten, vier Brüste, drei Zungen müssen miteinander abgestimmt werden werden) und emotional. “Beziehungen zwischen drei Menschen sind natürlich eine größere Herausforderung als solche zwischen nur zwei Menschen”, sagt Patrick vom Threeway Dating Club. “Dreier sind kein Sex, der einfach so passiert”, sagt auch Pastötter. “Vor allem die Männer bekommen weiche Knie. Sie haben ja schon bei einer Frau Angst davor, nicht zu genügen, oder keinen hochzubekommen.” Dreier sind immer eine Herausforderung. Sie können super sein. Aber überlegt euch, ob euch all die Mühe für ein paar Extrahände und Extragenitalien wert ist.
Lena Warmen
[ "anleitung", "Artikel", "Beziehung", "Dating", "dreier", "Gruppensex", "NSFW", "Paare", "Sex", "Vice Blog" ]
Sex
2016-10-18T06:00:00+00:00
2024-07-30T22:27:43+00:00
https://www.vice.com/de/article/gqnpkb/paare-so-kriegt-ihr-mich-zu-einem-dreier-die-anleitung-einer-bisexuellen
Ein Nachbericht vom Life Ball (vom Rathausplatz und vor dem Fernseher)
Foto vom Autor „Es glitzert und funkelt am wunderbaren Wiener Rathausplatz”, zeigt sich Life Ball-Kommentatorin Sandra König begeistert. Ich als wandelnder Notstand hab natürlich „glitzert und fummelt” verstanden. Was eigentlich sogar ganz gut zu einem Moment später in der Nacht passte, als ein schwules Pärchen im Innenhof des Rathauses genau das gemacht hat, weil die beiden vermutlich dachten, der breite (Superman?)-Umhang vorm Gemächt würde das Herummachen sowieso kaschieren. Aber ich greife ja schon zu weit vor. Die Eröffnung des 23. Life Balls stand unter dem edlen Motto „Gold”. Und obwohl ich eigentlich direkt vor Ort war, möchte ich euch trotzdem an meinen Gedanken über die TV-Ausstrahlung teilhaben lassen, die ich im Nachhinein zum Vergleich auch noch geschaut habe. Denn wenn ich drüber erzählen würde, wie meine tatsächliche Erfahrung am roten Teppich war, würde meine Schilderung ungefähr so aussehen: „Hey, Kelly Clarkson … ich meine Rowland … ich meine Osbourne, komm doch kurz mal zu mir rüber! Nein? OK. Hey, Carmen Elektra, Carmen! Carmen! Ach so, die redet mit gar keinem. Könntest du, lieber Security-Mensch, dich bitte nicht direkt vor meine Nase stellen? Hey, da war ja Charlize Theron … Ah, die ist wahrscheinlich immer noch in character aus Mad Max: Fury Road …” Wenn ihr am Samstagabend also vorm Fernseher auf eurer gemütlichen Couch gesessen seid, habt ihr mit Sicherheit einen viel besseren Blick auf das Geschehen gehabt. Deshalb zur TV-Ausstrahlung des größten AIDS-Charity-Events Europas. Angefangen hat der „bunte, schrille” ORF-Abend ja mit Promi-Interviews, geführt von der renommierten ORF-Allzweckfrau Mirjam Weichselbraun. Arabella Kiesbauer hat wahrscheinlich wegen dem anstehenden Song Contest diesmal frei. Jeder Mensch verträgt eben nur eine gewisse Dosis ORF—die Weichselbraun scheint da als einzige eine Resistenz entwickelt zu haben, die Wissenschaftler noch Jahrzehntelang beschäftigen wird. Die Begrüßung und Anmoderation machte also Multi-Mirjam gemeinsam mit einem Faun, der ein bisschen so wie das aussah, was in Pans Labyrinth in der Fantasie des kleinen Mädchens passiert (Spoiler: Es war nicht schön und man braucht eigentlich sehr viel Gras). Kurz darauf gesellte sich auch die R&B-Sängerin Mary J. Blidge zu ihnen, die später am Abend noch auftreten wird . Anscheinend hat sie auf das Gold-Thema gepfiffen und sich, vielleicht aus Protest, ganz in Rot gehüllt. Dem Häupl hat’s wahrscheinlich gefallen. Dann gab es eine Umarmung von Mary J. Blidge und Charlize Theron (die von ihr anscheinend nicht weggerannt ist). Mein erster Lieblingsmoment war der Auftritt der beliebten ORF-Simultan-Übersetzerin, die ich schon ziemlich vermisst hatte. Auch heuer klingt sie so, als würde sie einen Kondolenzzug oder einen ZIB-Beitrag kommentieren. Sie fasst alles derart auf den Punkt gebracht zusammen, dass man vergessen könnte, dass der Punkt eigentlich mal ein Rufzeichen war. Wenigstens spricht Mirjam im schönsten Britisch-Englisch. Mirjam meint, Sean Penn sei zwar hier, zum Interview hatte er aber „leider keine Zeit”. Hör ich da ein Seitenhieb? Dieser Sean verärgert aber auch wirklich alle. Und weil Mirjam anscheinend grad in Stänkerlaune ist, schiebt sie auch gleich Richtung TV-Kamera nach, dass sie am Life Ball „manchmal ihre eigenen Freunde nicht wiedererkennt.” Wegen den Kostümen, natürlich. Screenshot via ORF TVthek Anschließend erzählt Dita von Teese, dass sie Sisi aufgrund ihrer Wespentaille so toll findet—dass die Emanzen-Kaiserin an schweren Essstörungen litt, ist da nebensächlich. Mirjam ist das alles egal, ihr taugt’s viel mehr, dass sich Dita inzwischen selbst ein Glas Wasser einschenkt. Empowerment! Dann nimmt noch Jean-Paul Gaultier bei Mirjam Platz, der das Fast-Nicht-Lächeln von Charlize durch seinen Dauergrinser ausgleicht. Um den Moment zu vergolden (haha), sieht man als nächstes die ersten von an diesem Abend vielen halbnackten goldenen Stieren. Ihre Nasenringe haben mich persönlich eher an kaputte Penisringe erinnert, aber gut. Am roten Teppich übernimmt dieses Mal Kati Bellowitsch die Interviewer-Rolle von Weichselbraun. Auch Alfons Haider ist dieses Jahr wieder eine Life Ball-Fixgröße, die wie durch ein Wunder seit Jahren nicht zu altern scheint. Heuer probiert er es mal mit einem Hetero-Kuss mit Kati Bellowitsch, die sich gleich zu Beginn beschwert, wieso sie nicht ein Klimt-Gemälde auf der Bühne darstellen darf. Der eigentliche Kuss wird wahrscheinlich für einige Jahre den 1. Platz der Liste „TV-Momente, die sich so falsch anfühlen, dass man lieber ein Buch lesen will” anführen. Screenshot via ORF TVthek „I glaub, wir bleim doch lieber beim Original, ha?”, grinst Haider in die Kamera und wirft emotionsgeladen seine Moderatorenkarte auf den Carpet. Ob er Klimt oder seine sexuellen Vorlieben damit meint, darf jeder für sich entscheiden. Als nächstes begrüßt er Conchita Wurst und eine gerade angekommene Kelly Osbourne wird mit etwas verwirrtem Gesichtsausdruck in den Hintergrund zurückgedrängt. Conchita sieht sehr fesch aus und dass sie immer wieder dieselben Fragen auf eine Art und Weise beantwortet (wenn auch beinahe immer mitdenselben Worten), als sei es das erste Mal, gebührt auch einer bemerkenswerten Erwähnung. Conchita macht ihrem Leben eine Liebeserklärung, Alfons will einen Witz reißen, der mit Selbstbefriedigungs-Vorlieben spielt, aber Conchita hat’s nicht verstanden, also alles gut. Weiter geht’s mit mehr Anspielungen, die keiner versteht: Kati Bellowitsch hat sich Topmodel Cordula Reyer geangelt und meint, weil deren Papa sie als kleines Mädel in die Secession zu ihrer ersten Modenschau mitgeschleppt hat, sei das heute ja so was wie ein Déjà-vu. „Nicht ganz”, meint Reyer kopfwiegend und alle TV-Zuseher runzeln gleichzeitig die Stirn. Ich war ein bisschen überrascht, wie lange es dauerte, bis die erste Anspielung auf Golden Girls kam. Bellowitsch ist grundsätzlich eine sympathische und gute Moderatorin, man hat allerdings immer ein bisschen das Gefühl, sie würde mit einem Kind sprechen. Und redet sie wirklich so laut oder bilde ich mir das nur ein? Egal, sie hat sich schon Paula Abdul geschnappt und fragt sie über den Flug mit all den anderen Life Ball-Promigästen aus. Sowas hätte sie noch nie erlebt, grinst Abdul (die Bellowitsch wie eine fürsorgliche Mutti wiederholt „Sweetheart” nennt), mit all den Bongos und dem Striptease. Wir erahnen in diesem Moment, dass die wahre Party wahrscheinlich nicht im Rathaus, sondern im Life Ball-Flugzeug stattfindet. Dieses Jahr scheint übrigens, im Gegensatz zu 2014, mit der Regie alles glatt zu laufen. Aber wenigstens auf Alfons Haider ist Verlass. Im Gespräch mit Ferdinand Habsburg versucht er, die 18- Jährigen Life Ball-Jungfrau mit hübschen Topmodels zu verkuppeln. „Einfach hingehn und sog’n: ‚Hallo, i bin der Ferdinand!” Ein top Flirt-Tipp. Ich glaube, ich muss an dieser Stelle nicht noch mal an den Kuss mit der Bellowitsch erinnern, oder? Weil ich’s verschrien hab, gibt’s gleich darauf dann doch einen Regiefehler. Haider will mit Ellen von Unwerth sprechen, die Regie entscheidet aber, dass nun Kati mit Kelly Osbourne dran ist. Die hat die „Time of my life” am Life Ball, auch wenn sie viel arbeiten muss hier, aber sie ist rundum glücklich. Ein bisschen wirkt sie wie ein zu groß gewordener Muffin, was sehr süß ist, und wir freuen uns mit ihr. Vor allem verdrücken wir ein erstes kleines Tränchen, als sie Wien die wohl schönste Liebeserklärung des Abends macht: „Because I’m born in England, I’m English and I grew up there, but I spend a lot of my time in America. Coming to Vienna makes me realize the lack of architecture and history and art and beauty and freedom and love and independence there … This city, to me, is everything.” Und weil man diese Rede auch gleich als Wien-Werbung nutzen will, blendet die Regie währenddessen das pink beleuchtete Rathaus ein. Screenshot via ORF TVthek Ich bin ein bisschen überrascht, dass der erste Gag in Anspielung auf die Golden Girls erst jetzt kommt. Die Kostüme sind übrigens wie immer beeindruckend, heuer wird überraschend viel Haut gezeigt, immer wieder wippen nackte Brüste und in knappengen Gold-Hot Pants gezwängte Schwänze an einem vorbei (was der ORF natürlich nicht zeigt, wegen Jugendschutz und so). Endlich darf von Unwerth ans Haider-Mikrofon, ist aber eigentlich nicht weiter aufregend. Lustiger ist’s schon eher, wenn Haider auf coole Socke macht und mit den Jungs von Madcon High Fives austauscht. Eine weitere Szene, die sich merkwürdig falsch anfühlt—ein bisschen so, wenn die geile Sau Alexander Kumptner seinen Traumkörper als Koch in einer Kindersendung versteckt. Haider will, falls es wen interessiert, Hannelore Elsner und Oliver Hirschbiegel (beinahe) ein „privates Projekt” andichten. Er kann’s einfach nicht lassen, falsche Momente zu produzieren. Als nächstes moderiert er Kraus, Netrebko und Eyvazof an, indem er sagt: „Meine Damen und Herren, jetzt kommen die Topstars!” und degradiert damit rückwirkend alle bisherigen Stars zu Pimperl-Promis. Zu Sonya Kraus meint er kurz darauf: „Freunde trifft man selten hier am Ball!” und degradiert damit rückwirkend alle bisherigen … naja, eh zu dem, was sie für ihn wahrscheinlich sind. Screenshot via ORF TVthek Kurz danach beginnt endlich die offizielle Eröffnung. Die Fanfare samt Opernaufführung ist wie immer tadellos inszeniert, da kann und darf man nichts kritisieren. Nur die Debütantinnen und Debütanten tun mir leid, die stundenlang stocksteif am Magenta Carpet verharren müssen. Der Song Contest wird es schwer haben, hier mitzuhalten. Musikalisch wird es dem Gesangwettbewerb dafür eher nicht schwer fallen, dem Life Ball das Wasser zu reichen: Trevor Jackson wirkt beim Life Ball-Song „Love Child” eher wie Kasperl auf Speed und die Lippen synchron zum Playback zu bewegen scheint auch nicht seine große Stärke zu sein. Dann, Überraschung: Kriegsgott Mars ist Brigitte Nielsen! Oder umgekehrt! Je nachdem, was ihr ärger findet. Boah! „Oh schade, ich habe gedacht, ich war Mars! Und jetzt bin isch nur kleine Brigitte!” Wenn Stermann und Grissemann für FM4 ein Tagebuch zum Life Ball geschrieben hätten, wäre es auch nicht skurriler geworden. Kommentator Eppinger mag Nielsens Sex-Appeal, Co-Kommentatorin König ist darüber so verwundert, dass man ihr Stirnrunzeln richtig hören kann. Dazu gibt’s dann auch noch goldenen Flitterregen. Mein schwules Herz hüpft. Screenshot via ORF TVthek Aber im Gedächtnis bleiben wird aber vor allem eins: Life Ball-Vater Gery Keszler spricht erstmals öffentlich über seine HIV-Infektion. Und, an alle Medien da draußen: Nein, er gestand nichts und gebeichtet hat er auch nichts. Man gesteht und beichtet nur Sünden und Liebe. „Wer hier von ‚Keszlers Geständnis’ schreibt, der beweist, dass das Schweigen der Betroffenen aus Selbstschutz notwendig ist”, betonte Corinna Milborn auf ihrer Facebook-Seite – und Recht hat sie. „Ich hab Sorge gehabt, dass das alles irgendwie nur mehr um die Party geht”, berichtet Keszler über die vergangenen Tage, kurz vorm Life Ball. „Immer dreister werden die Leute, immer mehr Wünsche wollen sie, immer schwieriger wird diese Organisation Jahr für Jahr.” Nur ein Bruchteil an Spenden im Vergleich zum vergangenen Jahr hätte man dieses Jahr erreicht, was ihn traurig gemacht und ihm wohl auch die Augen geöffnet habe, dass beim Life Ball nicht mehr zwingend die Message von HIV und Aids oder Safer Sex im Vordergrund steht. Dann, ganz plötzlich, berichtet er, dass er sich als 20-Jähriger in Australien mit dem HI-Virus infiziert habe, dass er einer der ersten HIV-Kranken in Österreich war, dass kein Arzt gewusst habe, was mit ihm los sei. Keszler kämpft mit den Tränen, ringt um Worte. Es gehe ihm aber seit damals sensationell, vielleicht ist er ja, wie Kommentator Eppinger es ausdrückt, „das lebende Beispiel dafür, dass die Therapien in Sachen HIV tatsächlich greifen.” Dann geht Keszler von der Bühne ab, begleitet von tosendem Applaus. So still wie während seiner Rede war es wohl noch nie während einer Life Ball-Eröffnung. Auch nach dem Event muss man nur manche Online-Kommentare lesen, um zu verstehen, warum er 20 Jahre gewartet hat, um über seine Krankheit zu sprechen. Neben dem üblichen Troll-Hass wird ihm vor allem Kalkül unterstellt: Es gehe ihm nur ums Geld, sein „Outing” solle wieder mehr Spenden in die Life Ball-Kasse spülen. Und selbst WENN? Ist der Kampf um Aufmerksamkeit nicht genau das, was jede Charity immer wieder führen muss, egal ob Licht ins Dunkel oder Life Ball? Es ist ja nicht so, als ob er das Geld für sich privat beanspruchen würde. Für Keszler selbst wird’s dadurch vermutlich nicht leichter werden, wie er selbst sagt. „Ich weiß nicht, ob ich diese Gala nächstes Jahr brauche.” Screenshot via ORF TVthek Nach ziemlich viel ziemlich betretenem Schweigen gibt es dann die Prämierung des besten Kostüms—und die funktioniert heuer einwandfrei, dank Rettungsgasse für Tumler und ungebundenen Nummerntafeln. Nur das wild gewordene Hündchen Pan musste unter Kontrolle gebracht werden, hat aber letztlich auch hingehauen. Gleich danach verscheuchte Tumler alle Nominierten mit einem „Husch-Husch!” auch wieder von der Bühne, um Platz zu machen für Jean-Paul Gaultiers Fashion Show. Die Models sind fesch, die Promis machen sich gut. Austria’s Next Topmodel-Kandidat Damir blieb von den Kommentatoren unerkannt—und vom Rest Österreichs wohl auch. Für die Zuseher auf der Couch ist der Ball-Abend hier zu Ende, für mich geht’s im Rathaus weiter. Weil ich an diesem Abend eine Charlize Theron-Obsession entwickelt habe, folge ich ihr gleich mal in bester Stalker-Manier Richtung Eingang, verliere sie aber schnell im Getümmel wieder. Dita wollte uns auch kein Foto geben. Dafür gab’s zu später Stunde ein ESC-Special mit Jedward, Loreen und Conchita Wurst, das in einem „Waterloo”-Singsang gipfelte, das so schlecht klang, dass es fast schon wieder kultig war. (wenn auch nur auf dieselbe Art, wie Frisuren „frech” sein können). Der Innenhof war wie immer zu einem kleinen Paradies mit gemütlichen Sitzsäcken umdekoriert worden, und wenn man wollte, konnte man sich gar eine Fußmassage—unter anderem von einem sehr heißen Typen—geben lassen. Die Hauptbeschäftigung war dieselbe wie bei jedem Life Ball: Von Location zu Location wandern, staunen, lästern, Küsschen verteilen und sich wundern, wieso jeder nur von Location zu Location wandert, aber nicht tanzt. Keszlers Rede war weiterhin Gesprächsstoff. Und ist es eigentlich immer noch (oder sollte es zumindest sein). Drum spar ich mir zum Abschluss eine sarkastisch-lustige Bemerkung und bin zur Abwechslung einfach nur mal still. Schadet ja vielleicht ab und zu nicht.
Manuel Simbürger
[ "AIDS", "charity", "Charlize Theron", "event", "Gery Keszler", "HIV", "Jean Paul Gaultier", "Life Ball", "orf", "Stuff", "TV", "Vice Blog", "wien" ]
Popkultur
2015-05-18T11:00:00+00:00
2024-07-31T00:53:26+00:00
https://www.vice.com/de/article/life-ball-nachbericht-329/
‘Who Is America?’ – Sasha Baron Cohen bringt Trump-Fanatiker dazu, Gangbang mit Trump-Puppe zu haben
Die siebte und wohl auch letzte Folge der inzwischen berühmt-berüchtigten Serie Who Is America? von Sacha Baron Cohen ist am Sonntag über die TV-Bildschirme geflimmert. Und zu diesem Anlass hat der britische Komiker noch mal richtig ausgeholt: Zwischen einem Segment mit dem demokratischen Kongressabgeordneten Barney Frank und einem eher zahmen Interview mit O. J. Simpson durfte er in der Figur des Anti-Terror-Experten (und Serien–MVP) Erran Morad rechten Internet-Trollen beibringen, sich wie linke Aktivisten zu verhalten. Some clips from the finale of #WhoIsAmerica This is @SachaBaronCohen at his best. Hopefully the men in this video are laughed at for the rest of their life. Enjoy. pic.twitter.com/2WoY8gICXk Zuerst veranstaltet Morad dabei einen kleinen Wettbewerb. Der Sieger, so der Komiker, dürfe ihn bei einer Undercover-Mission gegen die Antifa begleiten. Dafür müssen die Kontrahenten wichtige Fakten nennen, die jeder linke Aktivist natürlich kennt – zum Beispiel, wie lange Quinoa zu kochen hat oder was in der Fernsehserie Girls abgeht. Danach zeigt er ihnen, wie sie in den feindlichen Reihen nicht auffallen. Weswegen sich die Trolle erst einmal gegenseitig Komplimente machen sollen. How to be a liberal #WhoIsAmerica pic.twitter.com/98a0WhG2tH “Hi Cody, ich bin Glenn”, beginnt einer der Trump-Fans. “Ich finde es toll, wie gut dir dein T-Shirt passt.” “Danke”, antwortet Cody. “Ich liebe es, wie du riechst.” “Deine Klamotten passen gut zu dir”, fährt Glenn fort, dessen Kompliment-Repertoire begrenzt scheint. Im verzweifelten Versuch, nicht übertrumpft zu werden, attestiert Cody Glenn die “beste Brust und die besten Schultern, die ich je gesehen habe”, während sich die beiden tief in die Augen blicken. Morad reicht das aber noch nicht. Please watch until the end. #WhoIsAmerica pic.twitter.com/JwVBEzyH6p “Um sie davon zu überzeugen, dass ihr wirklich zu ihnen gehört, müsst ihr den Mann runtermachen können, den wir so verehren”, sagt der Anti-Terror-Experte und bringt dabei eine Trump-Puppe ins Spiel. Die drei Trolle beschimpfen das Abbild des US-Präsidenten ein wenig, bis Cody schließlich sagt, dass er Trump vornüber beugen und ficken würde. Sofort zückt Morad einen Dildo und Cody darf sich ans Werk machen. Da es sich hier um Who Is America? handelt, entwickelt sich die Szene schnell zu einer Art surrealem Gangbang, bei dem Glenn und Cody die Trump-Puppe grunzend trockenficken und mit Dildos verprügeln, während Morad zusieht und zufrieden nickt. “Wie fühlt sich das an, Mister Trump?”, fragt Glenn, der vollends im Rollenspiel aufzugehen scheint. “Wo sind überhaupt die ganzen Steuern hingegangen?” Der bizarre und urkomische Clip wird vom nächsten Segment aber noch übertroffen. Morad und Glenn befinden sich jetzt auf dem Women’s March in San Francisco, um den Plan der Antifa zu durchkreuzen, Babys mit speziellen Windeln in Trans-Menschen zu verwandeln. Dafür sind die beiden als Frauen verkleidet und erleben sogar einige zärtliche Momente. Seinen Höhepunkt hat die Szene jedoch, als Glenn die vermeintliche Möglichkeit bekommt, durch den Druck auf einen Tablet-Button unschuldige Demo-Teilnehmerinnen in die Luft zu jagen. Weil er lieber “der Schlachter als das Schaf” sei, entscheidet sich der Trump-Troll nach kurzem Zögern tatsächlich dazu, den Knopf zu drücken. In der nächsten Szene stimmt er Morad dann ironischerweise wieder zu, als der sich darüber auslässt, wie einfach sich Linke radikalisieren und zu Mördern machen lassen. I mean what the fuck #WhoIsAmerica pic.twitter.com/UKdnysbMHH Somit ist die erste und letzte Staffel von Who Is America? mit all ihrer glorreichen Komik und unzähligen Fremdschäm-Momenten auch schon wieder vorbei. Zwar haben wir den berüchtigten Clip mit Sarah Palin nie zu Gesicht bekommen, aber immerhin hat Cohen der US-Politikerin für die ganze kostenlose Werbung noch einen kleinen Gruß im finalen Abspann hinterlassen. Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.
[ "Antifa", "Donald Trump", "Entertainment", "Politik", "Sacha Baron Cohen", "Satire", "Trolls", "TV", "usa", "who is america?" ]
Popkultur
2018-08-28T04:00:00+00:00
2024-08-12T07:50:55+00:00
https://www.vice.com/de/article/who-is-america-sasha-baron-cohen-bringt-trump-fanatiker-dazu-gangbang-mit-trump-puppe-zu-haben/
Mit diesem neuen Biohacker-Set könnt ihr zu Hause Genmutanten erschaffen
Wissenschaft ist für alle da. In der Forschung hat es in den letzten Jahrzehnten einen bemerkenswerten Shift hin zur Akzeptanz von Citizen Science gegeben. Ob die Aufforderung zur Mitsuche nach Alien-Signalen, das sonntägliche Treffen New Yorker Bürger, um mit der NASA Apps für den Weltraum zu entwickeln oder die Möglichkeit, mit dem eigenen Smartphone im Schlaf an Krebs zu forschen: Spitzenforschung kommt langsam aber sicher aus dem Elfenbeinturm gestiegen und wird sich dem experimentellen Potential bewusst, das die neugierige Bevölkerung bietet. Eine neue, vielversprechende Technik namens CRISPR lässt uns Laien nun zuhause zu Biohackern werden und mit Genen spielen: Die Genom-Bearbeitungs-Methode erlaubt es, das Erbmaterial lebender Organismen umzuschneiden und beliebig zu verändern. Mit Hilfe passender Starterkits, für die gerade auf der Crowdfunding-Plattform Indiegogo der virtuelle Hut herumgereicht wird, soll die heiß gehandelte Technik jetzt den demokratisierten Sprung vom High-Tech-Labor zu uns nach Hause schaffen. Mussten naturwissenschaftlich begeisterte Jugendliche vor einigen Jahren noch mit enttäuschenden Kosmos-Baukästen herumwurschteln (welche die auf der Packung versprochene Action nie einlösen konnten) um ein provisorisches Radio nachzubauen, wird der neuen Generation von experimentierwütigen Hobby-Wissenschaftlern jetzt die Möglichkeit gegeben, am Wochenende mal die Zentrifuge aus der Schublade zu holen und ein paar kleine Mutanten-Lebewesen in der heimischen Küche zusammenzuschnippeln. Was würdest du erschaffen? Gestartet wurde die Kampagne von Josiah Zayner. Er hat einen Doktortitel in molekularer Biophysik von der Uni Washington und arbeitete bereits als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der NASA im Bereich der Biosynthese. Hier schrieb er Bakterien um, die eines Tages den Mars terraformen sollen. Die Idee für Biohacking-Heimlabore kam Zayner seiner Indiegogo-Page zufolge aus der Frustration über seine isolierte Arbeitsweise heraus: „Als Wissenschaftler kann ich alleine nicht viel schaffen. Was, wenn es doppelt so viele Wissenschaftler gäbe? Was, wenn mein Labor bei der NASA auf einem Küchentisch stehen würde?” Details des CRISPR-Heimlaborsets für 130 Dollar inklusive Zentrifugen und Mikropipetten. Alle Bilder: Indiegogo Einen CRISPR-Baukasten für Hefe oder Bakterien soll es bereits ab 130 US-Dollar geben. Damit lässt sich zum Beispiel mit einem kleinen Gen-Hack zuhause die Farbe von Hefe verändern oder das Erbmaterial einer Bakterie so umprogrammieren, dass sie lernt, von einer neuen Nahrungsquelle zu überleben. Das Heimlabor kommt nicht nur mit dem passenden Enzym, das das Erbgut hacken kann, die Kits sollen auch mit detaillierten Video-Protokollen geliefert werden, die zur richtigen Benutzung von Mikrozentrifuge, Pipetten und Bakterienkulturen anleiten. Wer sich damit begnügen möchte, Bakterien-DNA mit Licht fernzusteuern oder eine exotische Bakterienkultur zu züchten, die im Dunkeln leuchtet, kann diese Sets auch über Josiahs Laborbedarfsfirma ODIN bestellen. Zwei weitere Baukästen, die Josiah Zayner anbietet, lassen dich Bakterien-DNA optometrisch fernsteuern oder leuchtende Organismen erschaffen. Mit Hilfe eines Proteins namens CAS9 kann CRISPR eine bestimmte Frequenz im DNA-Strang finden und sie präzise herausschneiden. Die Gen-Hacks sind einfach und schnell durchzuführen und haben in den wissenschaftlichen Laboren bereits revolutionäre, weitreichende Ergebnisse geliefert: Die DNA von Schweineorganen lässt sich so modifizieren, dass sie in menschlichen Körpern verpflanzt werden kann, umgerüstete T-Zellen können Krebs attackieren und Forscher überlegen gerade, Anopheles-Mücken so umzuprogrammieren, dass sie kein Malaria mehr übertragen. Vor wenigen Wochen heilte eine Therapie mit genetisch veränderten Immunzellen sogar ein Baby von Leukämie. Das volle Potential der Technik ist noch nicht mal ansatzweise erforscht—aber für die kleineren Eingriffe in die Natur seid ja ihr da. Für 5000 Dollar will euch Josiah sogar bei der Entwicklung eurer ganz eigenen Kreatur helfen. Für ihn stellt sich nur noch die Frage: „Wenn du Zugang zu den neuesten Werkzeugen der Synthesebiologie hättest, was würdest du kreieren?” Werden wir bald Schweine als Organzuchtbänke für Menschen benutzen? Werden wir uns alle mit dem Set umbringen? Werden die 49-köpfigen Geschöpfe aus den Petrischalen ausbrechen und uns mitsamt dem Heimlabor verschlingen? Darum müssen wir uns vorerst keine Sorgen machen, beruhigt der Forscher: „Die Bakterien sind weniger gefährlich als die, die sich auf deiner Haut befinden und die Hefe ist fast identisch mit der, die du zum Kochen verwendest.” Einen kleinen Hinweis auf mögliche Komplikationen beim Gottspielen erlaubt sich Josiah aber im Kleingedruckten:
Theresa Locker
[ "Bakterien", "Biohacker", "crowdfunding", "DIY", "DNA", "Forschung", "Hefe", "labor", "Motherboard", "motherboard show", "Tech", "zukunft" ]
Tech
2015-11-11T15:15:00+00:00
2024-07-31T01:51:09+00:00
https://www.vice.com/de/article/dieser-experimentierkasten-macht-dich-zum-gen-hacker-und-schoepfer-neuer-lebewesen-444/
Luzern: InDie Innerschweiz!
Zuerst mal für die Geografie-Luschen unter euch: Die Innerschweiz befindet sich etwa mittig auf unserer Landeskarte. Entgegen der allgemeinen Annahme tragen dort nicht alle Zöpfe, Trachten und/oder jodeln (und das, obwohl die Innerschweiz als SVP-Hochburg gilt!). In Luzern etwa geht konzerttechnisch ziemlich der Tell ab – dank einer kleinen und feinen Programmgruppe. Man mag den Innerschweizern viel vorhalten … übertriebenes Traditionsbewusstsein, fehlende Hochwasser- oder Felssicherungsmassnahmen, Tendenz zum Bünzli-Denken, aber wenn man etwas genauer hinschaut und vor allem -hört, dann merkt man, dass sich die Innerschweizer langsam aber sicher ihrem Ländler-Gehör entledigen. Löscht die Tonbandspuren eurer Ruedi-Rymann-Bänder, jetzt kommt Erased Tapes und bringt euch neuen Shit! Erased Tapes, das sind Kilian Mutter, Maxine Barretto, Laurin Huber und Noëmi Schenk – vier Namen, eine Mission: Luzerner Locations und Ohren mit richtig guter Musik aus aller Welt zu beschallen. Und sie machen ihren Job verdammt gut. Vergangenes Jahr standen dank Erased Tapes unter anderem Fool’s Gold (US), Austra (CAN) oder die aufstrebenden nationalen Acts Labrador City und Silver Firs auf den Innerschweizer Bühnen. Auch dieses Jahr war das musikalische Glück einige Male zum Greifen nah, zum Beispiel mit Phantogram (US), Zigitros (CH) oder Bleached (US). Und 2012 ist noch nicht zu Ende … Im August etwa darf man sich auf Nite Jewel (US) freuen. Alle röhrlijeanstragenden, fixiefahrenden StofftaschenliebhaberInnen verdanken Erased Tapes einige Ohrgasmen. Willst du deine Löffelchen auch erfreuen? Dann findest du alle Konzert-Veranstaltungen auf http://www.facebook.com/pg.erased.tapes. Wir verlosen gemeinsam mit der Programmgruppe 2×2 Tickets für Frankie Rose (US) am 06. Juli 2012 im Südpol Luzern. Schreibe einfach eine Email mit dem Betreff „VICE: Frankie Rose“ und deinen Kontaktangaben bis am 20.6.2012 an [email protected] . Die Gewinner werden per Email benachrichtigt.
Carole Barmettler
[ "ERased Tapes", "Luzern", "Musik", "Schweiz", "tickets", "Vice Blog" ]
2012-06-12T22:00:00+00:00
2024-07-31T06:34:02+00:00
https://www.vice.com/de/article/luzern-indie-innerschweiz/
Video: Lazio-Fans beleidigen Rüdiger mit Affenlauten
Italien ist ein tolles Land. Auf Sonne ist Verlass. Auf lecker Gelato ist Verlass. Auf knatternde Motorroller ist Verlass. Und auf Affenlaute, wenn dunkelhäutige Spieler am Ball sind. Zum Kotzen. Denn wie sehr der italienische Fußball von Rassisten durchzogen ist, hat gestern (mal wieder) der deutsche Nationalspieler Antonio Rüdiger erfahren müssen. Der wurde beim Coppa Italia-Hinspiel zwischen Lazio und AS Rom (2:0) in der ersten Halbzeit konsequent mit widerlichen Affenlauten bedacht. Und als ob das nicht schon schlimm genug wäre, meinte Lazio-Trainer Simone Inzaghi nach dem Spiel, dass er davon nichts mitbekommen habe. Eine sehr fragwürdige Behauptung, schließlich hat sogar der Stadionsprecher die Biancocelesti-Fans in der Curva Nord aufgefordert, die Affenlaute einzustellen, weil ansonsten ein Spielabbruch drohen würde. Einer, der die rassistischen Entgleisungen gehört hat, ist Rüdigers Teamkollege Kevin Strootman. Der meinte, angesprochen auf die Affenlaute, in einem Interview in der Mixed Zone: „Ja, ich habe sie auch gehört. Rüdiger hat nichts gesagt. Aber auf solche Dinge muss der Verband reagieren, wir müssen unsere Arbeit machen.” Genau hier liegt aber das nächste Problem: Der Fisch stinkt vom Kopf her, und zwar gewaltig. Denn Carlo Tavecchio, Präsident des italienischen Fußballverbands, wurde in der Vergangenheit von der UEFA für sechs Monate gesperrt. Warum? Weil er zum Besten gab, dass afrikanische Spieler Bananen essen und italienischen Fußballern den Platz in der Mannschaft wegnehmen würden. Passend dazu: Der italienische Fußball hat noch immer ein Rassismusproblem Wie wenig konsequent der Verband gegen Rassismus in der Liga vorgeht, hat Rüdiger schon beim Liga-Derby im Dezember mitbekommen. Damals meinte Lazio-Mittelfeldspieler Senad Lulic über den Ex-Stuttgarter: „Vor zwei Jahren hat er in Stuttgart noch Strümpfe und Gürtel verkauft”. VICE Sports berichtete über den Vorfall und schrieb, dass Lulic nach italienischen Medienberichten eine Sperre von zehn Spielen oder mehr drohen würde. Am Ende wurde der Bosnier für genau ein Spiel aus dem Verkehr gezogen. Abschreckende Strafen sehen anders aus. Mal schauen, wie Tavecchios Laden dieses Mal reagiert. Wir sollten uns nicht zu viel versprechen.
Markus Hofmann
[ "antonio rüdiger", "as rom", "calcio", "Fußball", "Italien", "Lazio", "Rassismus", "serie a", "Sports", "Verband", "VfB Stuttgart", "VICE Sports" ]
2017-03-02T11:46:08+00:00
2024-07-30T19:47:48+00:00
https://www.vice.com/de/article/video-lazio-fans-beleidigen-ruediger-schon-wieder-rassistisch-271/
Gemeinsam unter Chemtrails: Diese Partnerbörse ist für Verschwörungstheoretiker
Was bringt es, sonntags durch Parks zu spazieren, wenn man dabei niemanden hat, mit dem man über die wahre Geschichte hinter 9/11 diskutieren kann? In der Hoffnung, noch vor dem bevorstehenden Weltuntergang die große Liebe zu finden, hat sich die 54-jährige New Yorkerin Jenny nach einigen erfolglosen Verabredungen bei Awake Dating angemeldet – einer Dating-Seite für Verschwörungstheoretiker. “Ich möchte einfach meinen Seelenverwandten treffen, aber ich glaube, dass ich dazu erst meditieren muss – auch wenn sich das vielleicht verrückt anhört”, sagt sie. “Ich muss diesen Wunsch auf eine höhere spirituelle Ebene heben. Dann wird er vielleicht in Erfüllung gehen, sodass wir noch die nächsten zehn Jahre vor dem globalen Aussterben gemeinsam verbringen können.” Weiterlesen auf Broadly.
Florence Wilkinson
[ "Beziehung", "Broadly DK", "Chemtrails", "Dating", "Internet", "Liebe", "online dating", "verschwörungstheorie" ]
Sex
2017-03-23T04:00:00+00:00
2024-07-30T19:30:04+00:00
https://www.vice.com/de/article/gemeinsam-unter-chemtrails-die-partnerboerse-fuer-verschworungstheoretiker/
ROBB feiern ihre EP im Leopold und wir feiern mit
Die Wiener Combo ROBB ist für regelmäßige Noisey-Leser keine große Unbekannte. Wir haben die Formation um Rob Summerfield schon mal vorgestellt und Fuxherz jeden Song ihrer EP Clay zeichnen lassen. Eben jene EP stellen ROBB am Freitag mit einem Gig im Leopold vor. Danach gibt es natürlich auch noch Party. Solltet ihr ROBB aber trotz unserer Bemühungen noch immer nicht kennen, solltet ihr dringend die Gelegenheit nutzen, sie euch am Freitag anzusehen. Außerdem gibt es kaum etwas besseres als das Wochenende mit einem feel-good-Vibe zu beginnen und den wissen ROBB gut zu verbreiten. Fuxherz, das Duo mit den wunderbar handgezeichneten Visuals, wird diesem Abend das richtige Gesicht geben und ihn somit endgültig zu einem Highlight des Konzert-Herbstes machen. Nach ROBB wird The Love Movement zu Ehren der Band auflegen und euch die Nacht mit einer gebührenden Party zu einer machen, an die ihr euch lange oder gar nicht erinnern werdet. Folgt Noisey bei Facebook und Twitter.
Noisey Staff
[ "Cafe Leopold", "Konzert", "Music", "Noisey", "Noisey Blog", "Robb", "robbie" ]
2014-09-30T07:30:00+00:00
2024-07-31T02:55:33+00:00
https://www.vice.com/de/article/robb-feiern-ihre-neue-ep-im-leopold-und-wir-feiern-mit-745/
Von der illegalen Dinnerparty zum richtigen Restaurant
Irgendwann Mitte 2000 fing meine special Lady (a.k.a. meine „Ehefrau”), Thi Tran, damit an, alle möglichen Dinge zu kochen, Fotos davon zu machen und diese auf Facebook zu posten. (Das war vor der #foodpornrevolution und galt damals noch eine komische, asiatische Eigenart). Und ich durfte alles aufessen. Dann, 2008, ging die Wirtschaft den Bach runter. Im Jahr darauf verlor Thi ihren Job in der Werbebranche und ließ sich darüber auf Facebook aus, wie man das eben so macht. Die Reaktion war einstimmig: „Werbung? Pfff! DU SOLLTEST KOCHEN!” Drei Jahre später kündigte ich meinen Job—ich verkaufte asiatisch-amerikanische Indiefilme—und wir eröffneten mit ein paar Klapptischen ein illegales Restaurant in unserer winzigen Wohnung. Wir verteilten in 300 Wohnungen in unserem Gebäude Flyer, um Werbung für unser Restaurant zu machen, das wir STARRY KITCHEN nannten. Es war nicht besonders schick. Wir öffneten den Gästen die Tür, sie nahmen den Lift nach oben und gelangten zu unserer Terrasse voller Stühle, die nicht zusammenpassten, inmitten des Hochhausparadieses. Ich saß an meinem kleinen Klapptisch und nahm die Bestellungen auf. Wir servierten asiatisches Soul Food: vietnamesisches thit kho, geschmortes Kokonussschweinefleisch oder koreanisches kalbijim, geschmorter koreanischer Rippcheneintopf, beispielsweise. Es gab eine Box mit einer empfohlenen Spende von 5 Dollar und nachdem man das Geld hineingeworfen hatte, rief ich die Bestellung in die Wohnung hinein. Unsere Freunde kamen, um uns zu unterstützen (wir wussten, dass sie mindestens ein Mal kommen würden, um sich nicht schlecht zu fühlen). Aber dann gefiel es ihnen sogar. Sie liebten es. Und sie brachten ihre Freunde mit und die brachten ihre Freunde mit, die noch mehr Freunde mitbrachten. Plötzlich gab es Yelp-Reviews von unserer Wohnung. Und dann war unsere Wohnung plötzlich auf Yelp das #1 Asian Fusion Restaurant in L.A.! Dann fand die L.A. Weekly uns, was uns Gäste aus San Francisco und New York brachte. Wir standen häufiger in den Medien und wurden immer größer; so groß, dass das Gesundheitsamt uns auch fand. Als die Vertreter des Gesundheitsamts dachten, sie hätten uns erwischt, war ich bereits in Verhandlungen, um aus Starry Kitchen ein rechtmäßiges Restaurant mit allen nötigen Bewilligungen zu machen. Ich bot mich als ihr Aushängeschild an—„illegales Restaurant wird legal”—aber sie kauften es mir nicht ab. Stattdessen gaben sie uns eine verbale Verwarnung. Wir betrieben das Restaurant weiterhin hinter geschlossenen Türen bis zu unserem letzten Abend, an dem mehr als 130 Leute zu uns kamen, um unsere berühmten Crispy Tofu Balls zu essen, unser populärstes Gericht. Im Februar 2010 schlossen wir endlich unsere Verhandlungen ab und bekamen ein ehemaliges Sushi-Mittagsrestaurant in der Innenstadt von L.A., aber wir hatten keine Ahnung, wie man ein Restaurant betreibt. Ich ergriff sehr extreme Maßnahmen, um unser neues Restaurant zu promoten. Bananenganzkörperanzüge und Lederhosen waren im Spiel. Ein Freund von uns, der unglaublich talentierte französische Koch, eine Legende in L.A., Laurent Quenioux, kam auch bei uns vorbei, um mit uns zu kochen. Für ein Gericht schmuggelten wir beispielsweise illegale Ameiseneier aus Mexiko (150 Dollar pro Kilo) ins Land, wir kochten ein 19-gängiges weißes Trüffel-Menü und veranstalteten eine Reihe von Marihuana-Abenden—alles im Geheimen. Nichts davon war vernünftig, aber es funktionierte und wir standen plötzlich in der New York Times. Die Liebe, die Verehrung, die Menschenmengen, die wir vom Mittagsrestaurant kannten—Abendessen war das komplette Gegenteil und davon hatten wir noch weniger Ahnung. Wir waren unglaublich langsam, mussten um jeden Dollar kämpfen, wir konnte unsere Mitarbeiter, unsere Lieferanten und unsere eigenen Rechnungen nicht pünktlich bezahlen und verloren Freunde. Nach nur drei Monaten als Pop-Up-Restaurant schrieb Jonathan Gold, der Restaurantkritiker/-gott, für die L.A. Times Ende 2012 die erste grandiose Rezension über uns. Dann zogen wir um nach Chinatown, was eine freudige Abwechslung war. Auf wundersame Weise schafften wir es zum zweiten Mal auf die Liste der „101 Best Restaurants” der L.A. Times, aber dann zogen uns die gleichen Probleme, die wir zuvor schon hatten, wieder runter. Obwohl wir erfolgreich waren, hatten wir Schwierigkeiten, die Miete und unsere Mitarbeiter zu bezahlen. Wir sind jetzt seit eineinhalb Jahren in Chinatown und es ist fünfeinhalb Jahre her, seit wir Starry Kitchen eröffnet haben. Es fühlt sich an, als wären wir schon seit Ewigkeiten in diesem Geschäft und es ist ein tolles Gefühl, dass wir es von einer illegalen Dinnerparty zu einem richtigen Restaurant geschafft haben. Wenn es mal richtig beschissen läuft, denke ich nostalgisch an die Zeit zurück, wie einfach es damals war, wie wenig Verantwortung wir trugen und wie viel Spaß wir dabei hatten. Am Ende bin ich aber froh, dass wir unsere Jobs aufgegeben haben und (unerwartet) Restaurantbesitzer geworden sind, denn kein Tag gleicht dem anderen.
[ "Asiatische Küche", "behörden", "Dinnerparty", "Essen", "Food", "koreanisch", "LA", "Los Angeles", "Marihuana", "Munchies", "new york times", "Restaurant", "Restaurantkritiker", "Starry Kitchen", "tofu", "Trüffel", "usa", "Vietnamesisch", "Wirtschaftskrise", "yelp" ]
2015-01-09T09:00:34+00:00
2024-08-12T04:59:33+00:00
https://www.vice.com/de/article/von-der-illegalen-dinnerparty-zum-richtigen-restaurant-178/
Diese zwei bekifften Typen haben die beste Alt-J-Verarsche des Internets gedreht
Abgesehen von dieser Phase, in der wir uns alle darüber aufgeregt haben, dass Alt-J zu generisch und normal sind, um sich vernünftig über sie aufregen zu können, hat es die Band aus Leeds bislang ganz gut geschafft, die drei Jahre seit ihrer Gründung unbeschadet von größeren Parodien, Verarschungen oder anderen Späßchen zu überstehen. Alles, was sie sich bis jetzt eingefangen haben, waren ein Mercury Prize, eine Nummer eins in den britischen Charts, mehrere Grammys und Ivor Novello-Award Nominierungen. Aber dann tauchten diese beiden Kiffer auf … Die beiden haben in ihrem kurzen Video Alt-J so vernichtend geschlagen, dass man dem Duo seine unglaublich irritierende, lahmarschige und tierisch bekiffte Art verzeihen kann, in der sie sich durch ihre Reiswaffeln knuspern—wie frischgeschlüpfte Küken, die darüber nachdenken, was sie mit den vorgekauten Würmern anstellen sollen, die ihnen ihre Mutter gerade in den Mund gespuckt hat. Obwohl, nein—es tut mir leid. Ich kann das mit den Reiswaffeln nicht so einfach durchgehen lassen. Iss gefälligst erst deine Reiswaffeln auf und tu dann, was auch immer du tun musst, lautet ein altes Sprichwort—oder auch nicht. Ihr seid nur drei Minuten vor der Kamera, um euch der ganzen Welt zu präsentieren—drei Minuten die IHR euch selbst aussuchen könnt. Ist es wirklich zu viel verlangt, dass ihr die Reiswaffeln wenigstens für diesen kurzen Moment eures ansonsten undokumentierten Abends zur Seite legt? Es besteht immerhin die Möglichkeit, dass dieser äußerst fade, wenn auch beliebte Snack den ultimativen Seitenhieb auf Alt-J darstellen soll: „Jungs, also eure Musik—wenn man die gregorianischen Gesänge, die luftig-leichte Produktion, die körperliche Erotik und den weinerlichen Folk wegnimmt—wisst ihr, was das dann noch bleibt? Trockene Reiswaffeln.“ So habe ich das jedenfalls interpretiert. Ich würde sagen, das war schon mal ein ordentlicher Schuss vor den Bug. Die Schlacht ist hiermit eröffnet. Alt-J’s vernichtender Diss-Track wird nicht mehr lange auf sich warten lasse. Er kommt definitiv. Jeden Moment. Folgt Joe bei Twitter—@joe_zadeh ** Folgt Noisey bei Facebook und Twitter.
Joe Zadeh
[ "Alt-J", "cover", "Features", "indie", "Internet", "Kiffen", "Music", "Noisey", "Noisey Blog", "parodie", "trocken", "webcam", "webcams", "YouTube" ]
2015-05-19T13:19:00+00:00
2024-07-31T00:05:05+00:00
https://www.vice.com/de/article/zwei-kiffer-haben-alt-j-verarscht-125/
Die drei Typen von Partyfotografen
Partyfotos sind die Pornos der Ausgehkultur. Jeder schaut sie an, aber so richtig gut fühlt man sich nie dabei. Das Phänomen hält sich schon relativ lange, und es schaut auch nicht so aus, als würde es schnell weggehen. Spezialisierte Seiten wie warda.at machen damit den Löwenanteil ihres Traffics, und auch andere – inklusive uns – können oder wollen nicht völlig darauf verzichten. Btw: Wenn ihr auf eine Veranstaltung geht und dort ein Schild á la “Hier wird fotografiert, der Eintritt gilt als Zustimmung” lest, dann seht ihr ein Schild, das völlig unnnötig ist. In Österreich gilt quasi bereits das Verlassen des Hauses als Zustimmung, fotografiert zu werden. Solange ich kein berechtigtes Interesse habe, dass ein Foto von mir nicht veröffentlicht wird – weil ich mich dort zum Beispiel in einer sehr privaten Situation befinde – kann mich jeder fotografieren. Diese Schilder gibt es, weil die Menschen die Situation mit der Rechtslage in Deutschland verwechseln. Da ist es nämlich umgekehrt: Ich muss zustimmen. Wie alle anderen Fotos auch, werden Partyfotos von mehr oder weniger professionellen Fotografen angefertigt. Im Wesentlichen gibt es drei Typen von ihnen, die ich jetzt vorstellen möchte. Das sind die Typen, die man eh von verschiedenen Partys kennt und die das (semi-)professionell machen. Sie laufen mit einem großen Objektiv herum, sind immer freundlich und würden nie jemanden fotografieren, der damit nicht einverstanden ist. Normalerweise läuft das folgendermaßen ab: Der Fotograf schleicht durch den Raum und schaut sich nach seiner Beute um. Beute heißt in dem Fall vor allem Gruppierungen von mehr oder minder attraktiven und mehr oder minder narzisstischen Menschen, bei denen es zumindest vorstellbar wäre, dass sie am nächsten Tag noch Sex vor dem Spiegel haben werden. Oder sich zumindest auf warda.at durch 26 andere Fotogalerien klicken, um genau nach dem einen Foto zu suchen, auf dem sie selbst zu sehen sind. Die Kontaktaufnahme kann man sich ungefähr so vorstellen: Vorsichtiges Flirten in einem Laden, der eigentlich für Resteficken bekannt, aber an dem Tag zufällig nur von Mauerblümchen besucht ist. Es werden vorsichtige Blicke ausgetauscht, die Kamera unauffällig gehoben, vorsichtig auf den anderen zugegangen. Aber immer mit der Möglichkeit des Rückzugs, des “Nein, dich hab ich ja gar nicht gemeint” – enttäuscht wird ja schließlich niemand gerne. Wenn dann endlich klar ist, dass beide – sowohl der Fotograf als auch die Gruppe der Betrunkenen –willig sind, läuft es folgendermaßen ab: Der Partyfotograf bittet die Gruppe, sich doch mal nett in einer Reihe zusammenzustellen und zu lächeln. Die Fotografierten haken sich entweder ein und lächeln, oder sie machen so pseudo-lustige Posen – vor allem, wenn es sich um Männergruppen handelt. Die meisten jungen, testosterongeladenen Männer haben ja immer eine irrationale Angst davor homosexuell zu wirken. Nachdem das Foto gemacht ist, gibt der Fotograf höflich seine Karte. Am nächsten Tag kann man dann auf eine Webseite gehen und sich eine Fotogalerie anschauen, in der wirklich ALLE.FUCKING.FOTOS. gleich ausschauen. Der Verwegene macht Fotos für irgendein junges, hippes Internetding. Auch VICE hatte in den frühen Jahren jedes Wochenende Partyfotos auf seiner Website. Die Adressaten der Fotos sind –anders als z.B. beim Braven – nicht die Leute, die auf der Party waren, sondern eben die, die es nicht geschafft haben. Es ist mehr ein “Seht her, wir sind auf legendären Partys. Und wo bist du?”. Deshalb ist die Qualität der Fotos eigentlich relativ wurscht, es geht mehr darum die Wildheit und das Momentum des Abends einzufangen – oder beides im Notfall zu konstruieren. Es soll dreckig, heiß und hip ausschauen. Der Verwegene braucht dadurch natürlich Techniken, die ein normaler Event-Fotograf nie braucht. Er ist mehr Jäger als Dienstleister. Party-Safari. Ich habe mal einen Partyfotografen aus der frühen VICE-Zeit gekannt, der immer eine analoge, alte Mini-Kamera in der Jackentasche hatte und sie einem dann überraschen mitten im Gespräch in die Fresse katapultiert hat. Natürlich sind 90 Prozent der Fotos scheiße geworden, aber die übrigen 10 Prozent waren die besten Partyaufnahmen, die ich in meinem Leben gesehen habe. Der Verwegene fragt Leute nicht, ob sie fotografiert werden wollen (das muss er in Österreich der Rechtslage nach, wie erwähnt, auch nicht), und es ist gelegentlich echt nicht angenehm auf seinen Fotos drauf zu sein. Andererseits ist er damit fast schon ein bisschen journalistisch tätig. Wenn der Veranstalter selber fotografiert, geht es ein bisschen gesitteter zu. Er liegt auf der Achse wild-brav irgendwo zwischen dem Hasardeur und dem Langweiler. Dem Veranstalter geht es primär um zwei Dinge: Er möchte die Leuten, die auf der Party waren, an seine Eventreihe binden – weshalb er die Fotos am nächsten Tag auf Facebook stellt. Und er möchte zeigen, was für ein tolles, interessantes und vor allem attraktives Publikum er hat, damit in Zukunft noch mehr Leute kommen. Weshalb er vor allem hübsche Frauen fotografiert. Gerne allein, weil das suggiert, das viele Frauen ohne Begleitung auf seinen Partys sind. An diesem Wochenende könnt ihr übrigens hier fotografiert werden. ** Folgt Noisey Austria bei Facebook, Instagram und Twitter. Noisey Schweiz auf Facebook, Instagram & Spotify.
Jonas Vogt
[ "Features", "Music", "Noisey", "Noisey Blog", "Party", "partyfotografen", "partyfotos" ]
2015-04-17T09:53:00+00:00
2024-07-31T00:06:22+00:00
https://www.vice.com/de/article/die-verschiedenen-arten-von-partyfotografen-222/
​Du kannst jetzt die Pegida-Hymne auf Amazon kaufen
Screenshot: Amazon Es ist wirklich wahr: Die Pegida-Demonstrationskette hat eine eigene „Hymne”, und die kann man jetzt auf Amazon kaufen. Seit dem 21. Dezember ist die Hymne, die den Anhängern schon im Oktober stolz vorgespielt worden war, für 1,29 Euro im Amazon-Store als Download erhältlich. Auf der Amazon-Seite kann man leider nur 30 Sekunden des Meisterwerks hören, die vor allen Dingen aus etwas Klaviergeklimper und dem Anfang eines Beats bestehen. Allerdings kann man den ganzen Song immer noch völlig umsonst auf dieser Seite hören, wo man dann schnell feststellt, dass die ganze Hymne nur aus einer Art Filmmusik besteht, mit ein paar Streichern, ein paar Glocken—und Männerstimmen, die „Lalalalaa” singen. Wirklich. Aber hey—wo steht, dass eine Hymne einen Text haben muss? Na gut, hier steht das: Eine Hymne soll eigentlich ein „Lobgesang oder Gedicht” sein. Pegida macht das eben einfach anders, die lassen sich doch nicht vom Lügen-Wiki sagen, wie ihre Hymne auszusehen hat! Leider kommt das Ganze beim Publikum dann doch nicht ganz so gut an. „So nützlich wie ein Kabelbrand im Herzschrittmacher”, „Ein herrliches Abführmittel” oder „verursacht Ohrenkrebs”—die Rezensionen sind gnadenlos. „Leider funktioniert das Produkt nicht”, beklagt sich ein anderer. „Ich habe das Lied mehrfach mit meinen Freunden angehört, leider wurden wir weder stärker noch deutscher. Es hilft auch nicht gegen Islamisierung. Allerdings stellten sich direkt beim ersten Hören qualvolle Ohrenschmerzen ein.” Und so geht das immer weiter. Aktuell hat das Lied 104 Fünf-Sterne-Rezensionen, dafür aber 251 mit nur einem Stern. Und selbst die 5 Sterne sind nicht immer ganz ernst gemeint: „Brauner Ton—endlich perfekt getroffen!”, schreibt da einer, „Ein Brechmittel erster Güte, eigentlich wollte ich 6 Sterne geben!”, schreibt ein anderer. Vielleicht sollte die Pegida-Führung doch noch einmal zurück in die Mixkabine und auch mal ein bisschen Text aufnehmen. Immerhin haben wir sie für ihre geistreiche Wortschöpfungen („PeGiDa”, „Lügenpresse”, „Hurnphf”) lieben gelernt. Wenn dann noch ein professionelles Video produziert wird—vielleicht irgendwas, wo Lutz Bachmann in einem Flugzeug dem Dresdner Theaterplatz entgegenschwebt und dort von seinen frenetisch jubelnden Anhängern empfangen wird—, dann steht dem Chart-Erfolg der sympathischen Dresdner eigentlich nichts mehr im Wege. Hauptsache, sie lassen Akif Pirinçci nicht ans Mikrofon.
VICE Staff
[ "Leni Riefenstahl", "Lutz Bachmann", "News", "pegida", "Pegida-Jenny", "Vice Blog" ]
2015-12-30T14:58:00+00:00
2024-07-31T01:23:11+00:00
https://www.vice.com/de/article/du-kannst-jetzt-die-pegida-hymne-auf-amazon-kaufen-878/
Sind Daft Punk am Montag heimlich in Berlin aufgetreten?
Vor kurzem gab es Gerüchte, dass Daft Punk 2017 eine Festival-Tour machen würden. Schnell gab es ein Dementi, nichts Derartiges sei geplant. Doch dann kam es rund um das verlängerte Wochenende erneut zu Spekulationen. Im Berliner Club Sisyphos, der über mehrere Tage seinen “Nicht”-Geburtstag feierte, traten zwei Helmträger auf, die der French-House-Combo zum Verwechseln ähnlich sehen. Ein Guerilla-Gig von Daft Punk? In einem Berliner Club? Wäre geil und vorstellbar und auf Instagram und Facebook teilten einige Gäste bereits sofort ihr vermeintliches Glück. Leider handelte es sich bei den beiden Entertainern aber nicht um Thomas Bangalter und Guy-Manuel de Homem-Christo, sondern lediglich um eine Cover-Gruppe, die sich wirklich viel Mühe gegeben hat, die Kostüme exakt nachzuahmen. Wobei, was heißt hier lediglich? In Sachen Stimmung standen Daft Punk Tribute dem Original in Nichts nach, wie dieses Video beweist. Schöne Idee vom Club. Header: Screenshot/Facebook. Dieser Artikel ist zuerst bei THUMP erschienen. ** Folgt Noisey bei Facebook, Instagram und Twitter.
Noisey Staff
[ "Berlin", "Clubkultur", "Daft Punk", "do not use", "Double", "Drogen", "Fortgehen", "Music", "Noisey", "Party", "sisyphos", "techno" ]
2016-10-05T13:02:05+00:00
2024-07-30T21:36:20+00:00
https://www.vice.com/de/article/sind-daft-punk-am-montag-heimlich-in-berlin-aufgetreten/
Powder and Rails: Jamie Lynn
Jamie Lynn hat wohl einen der beachtlichsten Styles in der Geschichte des Snowboarding. Mike Hatchet, Chris Roach und die üblichen Verdächtigen erklären uns, wieso er weitaus cooler als Britney Spears Schwester, die andere Jamie Lynn, ist. In Zeiten wo Sponsoren ganz locker und öfter als Unterhosen oder Betthupferl gewechselt werden um die cash cows zu melken, erzählt uns Jamie, was es für ihn bedeutet, seit 15 Jahren Marken wie Lib Tech, Vans oder Volcom treu zu sein. Seiner Kreativität hat er neben dem Snowboarding auch bei Kunst und Musik freien Lauf gelassen—bevorzugt mit seiner Band Kandi Coded und nackten, blauen Frauen, auf die wir einen Blick werfen durften. Außerdem haben wir ihn und seine übergewichtige Katze in seinem Haus in Seattle besucht, wo er uns durch seine Karriere führte und uns Lebensweisheiten über das Altern mitgegeben hat. Diesmal gibt es außerdem unsere erste Powder & Rails Love Story—mit einer echten Mount Hood Timberline Romanze. 
Yalda Walter
[ "Jamie Lynn", "Powder and Rails", "snowboard", "Sport", "VICE Snow" ]
2013-12-18T12:49:00+00:00
2024-07-31T05:33:47+00:00
https://www.vice.com/de/article/snowboard-guide-13-powder-and-rails-jamie-lynn/
Ich war in Japan und alles, was ich mitgebracht habe, sind diese Fotos von Tieren
​​Heathe​r Lighton, Fotografin aus Melbourne, kehrte vor Kurzem aus der Welthauptstadt des Kawaii zurück. Obwohl wir uns sicher sind, dass sie viele interessante Dinge gesehen hat, hat sie es doch vorgezogen, hauptsächlich Fotos von unglaublich lustigen Haustieren aufzunehmen. Manche Menschen argumentieren, dass die Besessenheit des Westens von Japan als einem zuckersüßen Wunderland voller Neuheiten, das nur existiert, um unsere Grüntee-Kit-Kat-Fantasien zu befeuern, bevormundend und archaisch ist. Ja, aber lasst doch mal gut sein. Wir haben hier ein Foto von jemandem, der mit einem Waschbären Gassi geht. Ehrlich, wir sind doch alle nur Menschen.
[ "Fotos", "Haustiere", "hunde", "japan", "Tiere", "Vice Blog" ]
2014-11-24T08:40:00+00:00
2024-08-12T08:46:45+00:00
https://www.vice.com/de/article/die-haustiere-japans-098/
Der Surfer, der Surf-Spots als grandiose Querschnitte zeichnet
Blaze Syka ist ein junger Künstler aus San Diego, der mit seiner „Surface Series” bei Ausstellungen und auf Instagram die Menschen beeindruckt. Er zeichnet Querschnitte von Surf-Spots, die einen tagträumen und den Alltag vergessen lassen. Und der Mann weiß, was er zeichnet, schließlich ist er selbst ein begeisterter Surfer. Mit Blaze sprachen wir über das Wagnis, von seiner Kunst zu leben, und über seine Entscheidung, nicht länger “nach Vorschrift” arbeiten zu wollen. Außerdem hat er uns erklärt, was für ihn die Faszination von Surf-Spots ausmacht. Das Interview erschien in der ersten Ausgaben von Waves & Woods. Wenn ihr möchtet, könnt ihr die erste oder zweite Ausgabe hier bestellen. VICE Sports: Hey Blaze, lass uns dieses Interview mit einer kurzen Vorstellung deinerseits starten! Wo kommst du her, wie alt bist du und wann war der erste Moment, in dem du auf die Idee kamst, als Künstler dein Geld zu verdienen?Blaze Syka: Ich bin in San Diego geboren und lebe auch seit fast 28 Jahren in Kalifornien. Zur Kunst bin ich ganz natürlich gekommen. Ich hatte immer Spaß daran, etwas Künstlerisches um­zusetzen. Ich habe schon immer Wellen, Gebäude, Tiere, so ziemlich alles auf Papier gekritzelt. Vor anderthalb Jahren bin ich das Thema dann etwas ernsthafter angegangen. Ich habe viele meiner Stücke auf Instagram gepostet und erhielt sehr positives Feedback aus der ganzen Welt. Damit fing eigentlich alles an. Ein Werk aus Sykas “Surface Series”. Alle Zeichnungen: Instagram/blazesykd Gab es einen bestimmten Grund, der dich damals zum Kritzeln und somit zur Kunst getrieben hat? Gab es da Einfluss von außen, beispielsweise von der Familie oder von Freunden?Ich glaube, ein Grund war zumindest, dass ich schon immer gerne etwas mit Bedeutung erschaffen wollte. Etwas, das einen Eindruck bei Menschen hinterlässt. Ich liebe die Vorstel­lung, dass einige meiner Arbeiten bei Leuten zu Hause an der Wand hängen und dort lange Zeit bleiben. Ich gehe die Themen, die ich mir aussuche, auch immer sehr leidenschaftlich an. Daher, denke ich, kommt der größte Drive, immer weiterzumachen: von mir selbst anstatt von Familie oder Freunden. Lebensgefühl oder Leistungsdruck? Mit der Nationalmannschaft bei der ersten Surf-WM War es ein langer Prozess, deinen eigenen Style zu finden?Es hat eines Tages einfach klick gemacht. Ich hatte bis dahin Kunst produziert, die ich cool fand, aber die schon recht traditionell und „auf der sicheren Seite” war. Eines Tages lief ich dann in eine Galerie und dort war auch alles schön und gut, aber irgendwie war alles gleich. Die Ausstellung faszinierte mich nicht, da ich wuss­te, dass diese Künstler dort alles „richtig” und „nach Vorschrift” gemacht hatten – verstehst du, was ich meine? Ich ging aus der Ausstellung raus und hatte eine komplett neue Sicht auf die Dinge. Es schärfte meine Art und Weise, wie ich Kunst selber sah, und das übertrug sich sofort auf meinen eigenen Style. Deine Arbeit ist sehr vom Surfen beeinflusst. Du surfst selber auch, richtig?Ja, ich liebe Surfen! Ich war schon immer im Wasser, sei es beim Wasserball, Schwimmen, Tauchen, als Lifeguard oder beim Bodysurfen. Meine ersten Wellen hatte ich in Del Mar, inzwi­schen habe ich aber in ganz Kalifornien gesurft. Meine Home­breaks heute sind die Strände von San Diego, und wenn es da zu voll ist, hike ich gerne mal rüber nach Blacks. Ebenfalls bei VICE Sports erschienen: Die Blue Suit Men der Eisbären Berlin Wie kamst du damals zum Surfen?Mein Vater war schon immer am Surfen und hat mir die Basics beigebracht. Während meiner Zeit als Lifeguard bin ich immer auch surfen gegangen und irgendwann hatte es mich dann endgültig gepackt. Für uns sieht es aus, als ob du alles richtig gemacht hättest: Du kombinierst deine beiden Leidenschaften Surfen und Kunst und kannst davon auch noch leben. Bist du eventuell der glücklichste Mensch auf diesem Planeten?[lacht] Ja, ich bin zumindest ein recht glück­licher Mann. Von Kunst leben zu können, ist schon eine ganz schön große Herausforderung und auch immer wieder echt Furcht einflößend. Aber das, was man von diesem Lifestyle zurück­bekommt, ist alle Mühen wert. Zurück zu deiner „Surface Series”, die wir hier im Heft verteilt gezeigt haben: Wie kamst du auf die Idee, Surf-Spots im Querschnitt zu zeigen?Ich habe eine Ausbildung zum Stadtplaner gemacht, daher bin ich recht fit im perspektivi­schen Zeichnen und im Illustrieren von informativen Diagrammen. Ich glaube, diese Ausbildung spiegelt sich in meiner „Surface Series” wider. Ich schneide einfach meine Fanta­sie-­Surf-Spots durch und schaue mir ihr Inneres an. Es steckt so vieles in Surf­-Spots – von der geologischen Voraussetzung über die Flora und Fauna bis zur Energie, die aus Wasser perfekte Wellen macht. Das alles fasziniert mich. Wie viele verschiedene Werke umfasst die Serie genau?Ich habe ehrlich gesagt den Überblick verlo­ren, aber es sind mindestens 25 Stück. Ist die „Surface Series” inzwischen komplett und abgeschlossen?Das ist eine gute Frage. Ich habe einige neue Ideen, die in meinem Kopf umherschwir­ren, aber ich überlege die ganze Zeit, die Serie endgültig zu schließen. Ich habe noch so viele andere Ideen, die ich endlich umsetzen will. Stehen deine Fantasie-Spots in Verbindung mit existierenden Spots?Einige ja. Einige stehen in direkter Verbin­dung, einige sind einfach frei erfunden. Ich erfinde sie ehrlich gesagt lieber, als mich an existierenden Spots zu orientieren. Falls einige unserer Leser eines deiner Stücke kaufen wollten, wo könnten sie zuschlagen?Ich verkaufe Prints, limitierte sowie offene Editions und einige Originale auf meiner Home­page. Was sind die nächsten Projekte, auf die du dich nach diesem Interview stürzen wirst?Ich habe einige Aufträge in der Pipeline, die ich jetzt umsetzen will. Ich sitze auch an einem Buch, das ich illustriere und schreibe und das endlich fertig werden muss. Es handelt von einem Surf­Abenteuer, das schieflief und das ich mit ein paar Freunden selbst erlebt habe. Ich weiß noch nicht, ob ich das Buch jemals der Öffentlichkeit zugänglich machen werde – mal schauen. Aber es liegt mir sehr viel daran, es endlich fertig zu bekommen. Dann fliege ich die Tage nach Irland und nach Frankreich. Die Küste Irlands scheint mir eine gute Quelle für eine Menge neuer Ideen zu sein!
Lars Jacobsen
[ "andere sportarten", "Interview", "Kalifornien", "Kunst", "Sports", "surfen", "VICE Sports", "wellen", "Zeichnungen" ]
2017-06-30T09:34:52+00:00
2024-07-30T20:19:15+00:00
https://www.vice.com/de/article/der-surfer-der-surf-spots-als-grandiose-querschnitte-zeichnet/
Tschüss, Tofu: Ex-Veganer erklären, warum sie wieder Tier essen
Fructarier, Makrobiotiker oder Rohköstler – die Liste der verschiedenen Ernährungstypen ist lang, doch kein Begriff hat in den vergangenen Jahren so viel Aufmerksamkeit erregt, wie der Veganismus. Im Positiven wie im Negativen, schließlich dürften Veganer-Witze bei jüngeren Generationen schleichend die unermüdlichen Deine-Mutter-Jokes ablösen. Auch in Deutschland scheint der Veganismus ein stets wachsendes Phänomen zu sein – und das nicht nur in Berlin: Mittlerweile ernähren sich 1,3 Millionen Menschen in der Bundesrepublik frei von sämtlichen tierischen Produkten. Die Zahl der Menschen, die sich bewusst für eine vegane Ernährung entscheiden, soll seit 2010 jährlich um 15 Prozent steigen. So dogmatisch sich viele auch einem Leben ohne Tierleid verschrieben haben – manche beißen nach jahrelanger Abstinenz doch wieder ganz genüsslich in ein Mettbrötchen. Wir haben uns erklären lassen, warum. Mehr lesen: Eine Gruppe veganer Foodblogger glaubt, dass Menstruation eine Verschwörung ist Ich bin hauptsächlich vegetarisch aufgewachsen. Meine Mutter war früher lange im Tierschutz aktiv, weshalb zu Hause auch ohnehin viel Wert auf die Herkunft unserer Nahrung gelegt wurde. Mit 15 Jahren sah ich den Film Earthlings und stellte meine Ernährung auf vegan um – was ich allerdings nur einen Monat lang durchhielt. Mit 21 trat ich der Facebook-Gruppe “What Fat Vegans Eat” bei, weil ich daran interessiert war, wieder mal ein paar vegane Rezepte auszuprobieren. Ich koche leidenschaftlich gern und die Vielfalt der Gerichte in dieser Gruppe überraschte mich tatsächlich. Wenige Wochen später dachte ich mir: “Hey, es gibt jetzt viel mehr coole vegane Produkte als damals und eigentlich weiß ich, dass Veganismus ethisch schlauer ist.” Also stellte ich meine Ernährung im Herbst 2014 auf vegan um. Dazu kam, dass mein damaliger Partner sich von meinem Lebenswandel inspirieren ließ, was mich letztendlich dazu verleitete, am Ball zu bleiben. Außerdem ist Gemüse unfassbar günstig! Oft kam ich bei meinen Wocheneinkäufen mit weit weniger als 20 Euro hin und habe das ganze fast zwei Jahre lang durchgezogen. Dann kam mir meine Periode in die Quere. Mehr von MUNCHIES: Action Bronson macht das beste Sandwich der Welt Wegen meiner Kupferspirale habe ich mittlerweile sehr starke Regelblutungen, was dazu führte, dass meine Eisenspeicher irgendwann völlig leer waren. Ich verlor die Hälfte meiner Haare und konnte kaum mehr aufstehen. Als meine Mutter mich zum Arzt schleppte, diagnostizierte dieser eine akute Eisenmangelanämie. Neben Supplementen musste ich daraufhin möglichst viel Eisen aus tierischen Quellen zu mir nehmen, was eine weitaus höhere Bioverfügbarkeit als pflanzliche Eisenquellen hat. Letztendlich war mir meine Gesundheit wichtiger als moralische Überlegenheit. Natürlich kann man Eisenmangel auch rein pflanzlich bekämpfen. Da ich aber nebenbei noch mit einer alten Essstörung kämpfe, muss jede Ernährungsumstellung gut durchdacht sein. Eine Rückkehr zu einem omnivoren Lebensstil schien in dieser Hinsicht weitaus weniger riskant. Sollte es meine Gesundheit eines Tages zulassen, würde ich eine vegane Ernährung durchaus wieder in Erwägung ziehen, da ich Veganismus nach wie vor für die ethisch vertretbarste Lebensweise halte. Was allerdings nerven kann, ist die Überheblichkeit einiger Veganer gegenüber Omnivoren. Einige kündigten mir die Freundschaft – schließlich war ich damit eine Verräterin. Meine Eltern trennten sich, als ich 12 Jahre alt war. Kurze Zeit später lernte meine Mutter einen jungen Veganer kennen, der sich dann auch ziemlich schnell bei uns zu Hause einquartierte. Dank ihm fing auch meine Mutter plötzlich an, ihren Lebensstil umzustellen. Sie kochte nur noch vegan, kaufte nur noch vegane Kosmetikartikel und predigte ständig, wie schlecht es für meinen Energiefluss und mein Karma sei, dass ich nicht auf tierische Produkte verzichten will. Wenn du jahrelang so was hörst und für den Verzehr von nicht veganem Joghurt verachtende Blicke und Kopfschütteln erntest, fängst du irgendwann an, an dir zu zweifeln. Drei Jahre später entschied ich mich dazu, ebenfalls vegan zu leben und wurde zu einem richtigen Monster. Wenn jemand aus der Klasse in meiner Anwesenheit ein Salamibrötchen aß oder einen Schoko-Drink trank, rastete ich völlig aus. Ich beschimpfte diese Person als Tierquäler und Mörder und konnte mich kaum noch beruhigen. Ich verfiel in einen richtigen Wahn und kam teilweise erst wieder da raus, wenn die betroffene Person ihr Brötchen weglegte. Mehr lesen: Eine Zeitreise durch die schlimmsten Diättrends der Geschichte Insgesamt nahm ich fast zehn Jahre lang keine tierischen Produkte zu mir und hielt mich auch strikt daran. Bestand auch nur der geringste Zweifel, dass in einem Essen etwas Tierisches drin sein könnte, aß ich es nicht. Als ich mit 20 so langsam aus der Pubertät kam, bekam ich Zweifel daran, ob vegan zu leben immer noch das war, was ich wollte. Gleichzeitig konnte ich aber auch nicht von heute auf morgen wieder Milch trinken oder Joghurt essen – in der Familie und im Freundeskreis war ich schließlich als Hardcore-Veganerin bekannt. Ich blieb also vorerst beim Veganismus. Mit 25 lernte ich im Studium meinen jetzigen Mann kennen. Er war anfangs noch fasziniert von meiner Hartnäckigkeit, was das Umsetzen von meinen Prinzipien und Wertvorstellungen angeht, doch irgendwann störte er sich daran. Wir konnten nicht einfach spontan in ein Restaurant gehen, ohne dass ich vorher anrufen und nachfragen musste, ob es auch ein 100 Prozent veganes Menü gibt. Nach einem Jahr Beziehung stellte er mich dann vor die Wahl: entweder er oder dieser ganze Veganismus. Ich entschied mich für meinen Mann. Ich bin seit 10 Jahren Vegetarier und habe fast 4 Jahre lang vegan gelebt. Ausschlaggebend war der 18. Geburtstag meiner Cousine, an dem es Spanferkel gab. Klar, ich wusste immer, dass Fleisch von Tieren kommt, aber das in dieser Form noch mal gezeigt zu bekommen war für mich ein ganz krasser Aha-Moment. Seit diesem Tag hab ich nie wieder Fleisch angerührt und – da bin ich tatsächlich sehr sicher – werde es auch nie wieder. Der Weg zum Veganismus war aber ein etwas längerer. Ich hab mich in dieser Zeit viel mit Tierschutz beschäftigt, insbesondere mit PETA. Mit der Zeit kam die Erkenntnis: Nicht nur Fleisch ist Mord, Milch und Eier sind es genauso. Der Kühlschrank wurde noch leer gegessen, aber nichts Tierisches mehr nachgekauft. Mit der Zeit hab ich mich immer stärker in das vegane Leben reingesteigert. Wenn man will, findet man in fast allem etwas Tierisches. Apfelsaft kann mit Gelatine geklärt worden sein, zum Beispiel. Lustigerweise kommt fast immer von Fleischessern: “Ist das überhaupt vegan, was du da isst?” Foto: Tookapic | Pexels | CC0 In Internetforen habe ich aber auch sehr stark mitbekommen, wie heftig sich Veganer untereinander dazu drillen, bloß keinem Tier den minimalsten Schaden zuzufügen. Keine Ameisen erschlagen, die in der Wohnung herumlaufen, keine Zoobesuche – theoretisch muss jeder Kosmetik- oder Lebensmittelhersteller persönlich angeschrieben werden, um zu fragen, was in den Produkten ist. Ein furchtbarer Aufwand! Ich habe mich in meiner Zeit als Veganer auch oft über die Preise geärgert. Warum muss eine vegane Nuss-Nougat-Creme das Dreifache einer normalen kosten, nur weil kein Milchpulver drin ist? Veganer werden abgezockt, das ist leider so. Mich hat auch gestört, dass vegan sehr schwer umzusetzen ist, wenn man nicht immer jedes Essen für sich selbst zubereitet. Man ist total unflexibel und sehr eingeschränkt im Leben. Das ist so weit gegangen, dass ich, wenn ich mit Freunden unterwegs war, kaum noch etwas essen oder trinken konnte. Also habe ich irgendwann für mich entschieden, dass ich diesen Druck loswerden will. Mit ungefähr 8 Jahren habe ich angefangen, vegetarisch zu leben. Ich weiss nicht mehr, was genau der Grund dafür war, mir wurde jedoch erzählt, dass ich es einfach abgelehnt habe, Fleisch zu essen. Käse war dann aber mein Ersatz für alles. Später habe ich in der BRAVO einen Artikel über Vegetarier, in dem auch ein veganer Promi erwähnt wurde, gelesen und fand das unglaublich toll. Also habe ich angefangen, mich immer mehr und ausführlicher über Veganismus zu informieren. Ich war damals erst 15, deswegen war es natürlich sehr schwer, ernährungstechnisch alles so umzusetzen, wie ich es damals gerne gehabt hätte. Ich wurde jedoch sehr von meinen Eltern unterstützt und kann sagen, dass ich ungefähr vier Jahre lang zu 80 Prozent vegan lebte und komplett vegan dann drei Jahre lang. Mehr lesen: Manipulation, Lügen, Ausbeutung – ein Aussteiger über die korrupte Diätindustrie Durch die Beziehung zu meinem fleischessenden Freund wurde ich dann aber nach und nach wieder zum Allesesser. Mein Freund hat einen zweijährigen Sohn und wenn mal wieder “Papa-Wochenende” war und ich kochte, musste ich natürlich alles probieren. Mein Kompromiss mit mir selbst war allerdings, dass ich immer wissen will, wo meine Nahrung herkommt. Fleisch, Eier und Käse kommen vom Bauern aus der Region und es wird auch nur Saisongemüse aus Deutschland gekauft. Ich finde nach wie vor, dass sich jeder mit dem auseinandersetzen sollte, was er vor sich auf dem Teller liegen hat. Ersatzprodukte sind in meinen Augen genauso fragwürdig wie Billigfleisch vom Discounter. Trotzdem habe ich nicht vor, in nächster Zeit wieder vegan zu leben. Meinem Körper geht es gut und mit meinem Gewissen bin ich auch im Reinen – und das finde ich am Wichtigsten. Folgt Broadly bei Facebook, Twitter und Instagram.
Lea-Natascha Wyss
[ "Ernährung", "Feminisme", "Fleisch", "Kultur", "Tierschutz", "Veganismus" ]
2017-06-01T07:00:00+00:00
2024-07-30T20:08:14+00:00
https://www.vice.com/de/article/tschuess-tofu-ex-veganer-erklaren-warum-sie-wieder-tier-essen/
Warum man leicht den Führerschein verlieren kann, wenn man ab und zu kifft
Selbst die Experten der Grenzwertkommission bestätigen, dass man überhaupt erst ab über drei ng, also dem Dreifachen des aktuellen Grenzwerts, eine leichte Wirkung spürt und auf keinen Fall den Verkehr gefährdet. Dem Führerscheinentzug können Betroffene erst im Nachhinein widersprechen. Das macht das Wiedererlangen in den meisten Fällen zur Geduldsprobe. Was sollte man also tun? Zuerst mal: Das Wichtigste überhaupt: Drogen und Autofahren gehören nicht zusammen, wer den Joint vor Fahrtantritt oder hinterm Steuer raucht, darf sich über Sanktionen nicht wundern. Gefahren wird erst, wenn die Wirkung vollständig abgeklungen ist. Bei Polizeikontrollen werden offensichtlich Nüchterne gerne mal gefragt, wann sie denn den letzten Joint geraucht hätten. Darüber redet man mit Freunden, aber nicht mit der Polizei. Denn alleine das Eingestehen eines mehre Tage oder Wochen zurückliegenden Joints oder Haschkekses kann führerscheinrechtliche Konsequenzen mit sich ziehen. Als regelmäßiger Kiffer gilt man schon, wenn man mehr als einmal im Monat konsumiert. Wer in der Polizeikontrolle nüchtern ist, trotzdem aber einige Tage oder gar Wochen zurückliegenden Konsum einräumt, wird mit einer Blutprobe belohnt, bei der auch der THC-OOH-Wert gemessen wird. Dessen Aussagekraft ist unter Wissenschaftlern höchst umstritten und wird in vielen Ländern deshalb gar nicht bestimmt. In Deutschland kann ein THC-OOH-Wert von über 75 ng/ml Blut ebenso zum Verlust der Fahrerlaubnis führen wie eine Drogenfahrt. Hier hilft nüchtern fahren nicht, die Klappe halten hingegen schon. Oft weisen Beamte im Rahmen einer Kontrolle nicht darauf hin, dass der eingeforderte Urintest freiwillig ist. Ist der positiv, muss man sowieso mit zur Blutprobe. Die Messmethoden sind mittlerweile so genau, dass auch der Urintest auf Restspuren reagiert. Dieser so genannte “Cut Off”-Wert variiert innerhalb Deutschlands. Die Kontrollierten wissen aber vorher nie, wie hoch dieser Wert liegt. Ohnehin ist der Test nicht als Beweis vor Gericht anerkannt. Nicht selten zeigen die Tests auch noch falsche Ergebnisse, weshalb sie auch zukünftig nicht als Beweismittel gelten werden. Besteht die Polizei zusätzlich oder nach einem positiven Urintest auf eine Blutprobe, muss man dieser nicht zustimmen. Dazu bedarf es dann einer richterlichen Anordnung, die die Polizisten im Regelfall auch erhalten. Ein positiver Test erhärtet den Anfangsverdacht, ein negativer sorgt meist für freie Fahrt im Anschluss. Doch nur wer tagelang nicht gekifft hat, kann wirklich sicher sein, den Test zu bestehen. Schweiß- und Speicheltests fallen in die gleiche Kategorie: Sie dienen lediglich der Erhärtung eines Anfangsverdachts, sind aber vor Gericht nicht als Beweismittel zugelassen und haben hohe Messungenauigkeiten. Nur wer offensichtlich stoned ist, darf nach Rücksprache mit einem Richter mit zur Blutprobe genommen werden. Auch wenn die Polizei vorher Gras gefunden oder die Insassen beim Kiffen erwischt hat, liegt ein eindeutiger Verdacht auf eine Drogenfahrt vor. Alleine die Unterstellung des Konsum reicht allerdings nicht aus. Muss man mit zur Blutentnahme, ohne bekifft zu sein, sollte man die Beamten freundlich nach den genauen Kriterien ihrer Einschätzung fragen: Liegen Ausfallerscheinungen vor? Wenn ja, welche? Sind sie sprachlicher oder physiologischer Natur? Der so genannte “Pupillentest” ist nur eine der vielen Maßnahmen des so genannte “Torkelbogens”. Sie wird aber fast immer angeführt, um weitere Maßnahmen zu rechtfertigen. Denn im Lichte einer mitten ins Gesicht gerichteten Taschenlampe können große oder kleine, schnell oder langsam reagierende Pupillen schnell den passenden Verdachtsmoment ergeben, selbst wenn man lediglich geblendet ist. Man sollte darauf bestehen, dass nicht vorhandene Ausfallerscheinungen ebenso vermerkt werden wie die angeblich geröteten Augen. Wer die Aufgaben des Torkelbogens (Finger an die Nase, auf dem Strich laufen, kein eingeschränktes Sprachvermögen etc.) nach dem Anfangsverdacht meistert, hat gute Chancen, nicht zur Blutprobe zu müssen. Man kann die Beamten sogar auffordern, nicht nur mit der Maglite herumzufuchteln, sondern auch den Rest der Aufgaben und Fragen abzuarbeiten. Führerscheininhaber müssen auch für Drogendelikte Konsequenzen fürchten, wenn das Vergehen außerhalb des Straßenverkehrs stattgefunden hat. Der Besitz einer Blüte oder auch nur Angaben zum Konsum können selbst dann gegen einen verwendet werden, wenn das eigentliche Vergehen nichts damit zu tun hat, dass man gekifft hat und gleichzeitig gefahren ist. Die Angaben zur Konsumfrequenz können an die Führerscheinstelle weitergeben werden, die sich alsbald melden wird, ohne dass man je bekifft im Auto saß. Wer mit falschem Urin oder gar einem Silikonpenis einen Urintest verfälschen will, macht sich strafbar. Neben der Drogenfahrt kommt hier noch eine Straftat hinzu, für die man zusätzlich belangt wird und die es noch schwerer macht, den Führerschein wiederzubekommen. Die folgende Geschichte ist selbstverständlich nicht empfehlenswert. Niemand sollte Beweismittel vernichten. Und dazu aufrufen sollte man auch nicht. Hier eine Geschichte, die wirklich passiert ist: 2014 fuhr ein Mann in Berlin über eine rote Ampel, stocknüchtern. Die Polizei fand bei dem Mann circa drei Gramm Gras. Trotzdem sollte er pinkeln. Er fragte, ob die Polizistin und der herbeigeeilte Kollege irgendwelche Ausfallerscheinungen bei ihm feststellen konnten. Konnten sie nicht, wollen aber trotzdem, dass der Mann auf den Teststreifen pinkelt. Er weigerte sich und verlangte nach dem richterlichen Notdienst, zwecks Blutentnahme. Während er auf der Rückbank auf die telefonierenden Beamten wartete, sah er sein Gras verwaist auf dem Armaturenbrett des Einsatzwagens liegen. Er schnappte sich die Cannabis-Blüte und schlucke sie. Als die Polizistin zurückkam, kaute er noch. Die Blutprobe war jetzt sinnlos, denn selbst wenn er vor der Kontrolle gekifft hätte, wäre das nach dem Verschlucken einer Blüte im Rahmen einer Blutprobe nicht mehr nachweisbar. Als er dem Polizeiarzt 90 Minuten später gegenüber saß, wirkte das Gras noch nicht. Ein paar Wochen später bekam der Anwalt des Mannes insgesamt drei Briefe: die Einstellung des Verfahrens aufgrund der leeren Tüte mit Cannabis-Resten sowie die Eröffnung und die bald darauf folgende Einstellung eines Verfahrens aufgrund der “Verkehrsteilnahme unter Drogeneinfluss”. Den Grenzwert hatte er nach dem nächtlichen Hanf-Snack weit überschritten. Die Strafe in Höhe von 125 Euro sowie zwei Punkte für das Überfahren der roten Ampel waren schlussendlich die einzigen Konsequenzen. Eine Fahrt auf Drogen fand nie statt. Aber sagen wir so: Der leckerste Snack ist es sicher nicht. Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.
Michael Knodt
[ "Cannabis", "führerschein", "gras", "Jeden Tag 4/20", "polizei", "Stuff", "THC", "verkehrskontrolle", "Weed" ]
Drogen
2016-10-17T13:10:00+00:00
2024-07-30T22:42:05+00:00
https://www.vice.com/de/article/8g7d8v/dinge-die-kiffer-hinterm-steuer-beachten-sollten
Die geteilten Privattoiletten von AirWC sind die Krone der Sharing-Economy
Die Sharing Economy zieht ihre Kreise durch die unterschiedlichsten Bereiche unseres Lebens. Couchsurfing und Airbnb vermitteln weltweite Übernachtungsmöglichkeiten, Foodsharing bietet deine Kühlschrankreste feil und Car-, Bahn- und Taxisharing erklären sich von selbst. Mit Anwendungen wie Flushd und Airpnp bietet das Erfolgsmodell nun auch Lösungen für die drückenderen Probleme des Lebens und überträgt das Sharingbewusstsein auf die gemeinsame Nutzung von Toiletten in Privatwohnungen. Die Idee fäkaler Netzwerke hat mit AirWC nun einen weiteren Ableger gefunden. Vier Dollar veranschlagt die App als Preis für eine 15minütige Sitzung auf einem Privatklo der digitalen Kack-Community. Und  gegen einen kleinen Aufpreis steht dir der Wohnungsbesitzer sogar emotional unterstützend beim großen Geschäft bei. „Poop, flush, pay and off you go!” Mit dieser hochgradig pragmatischen Ansage überzeugt AirWC—und führt das Sharing-Konzept in bisher unbekannte Höhen. Von der vollständigen Realität der App könnt ihr euch im folgenden Video überzeugen: AirWC führt die Sharing Economy an ihre intimen Grenzen und unterscheidet sich trotz offen zur Schau getragener Ironie dennoch kaum von den ernst gemeinten Community-Geschwistern. Ich kann mich hier einfach nur dem Fazit anschließen, das CoExist über den eigentlich praktischen Toilettenaustausch zieht: „Du musst nur ein paar Kackwitzchen hinzufügen und schon wirkt die Sharing-Idee für Badezimmer komplett lächerlich.” Vielleicht hat der Netzwerkcharakter einfach gewisse Grenzen, vielleicht ist das aber auch der gemeinschaftliche Weg, der uns in eine gemeinsame Zukunft führt. Ein wenig Flexibilität ist manchmal halt einfach vonnöten.
Christine Kewitz
[ "Bedürfnisse", "Fäkalien", "Kultur", "Motherboard", "motherboard show", "netzwerk", "Tech" ]
Tech
2014-09-10T08:46:00+00:00
2024-07-31T04:13:29+00:00
https://www.vice.com/de/article/toiletten-sharing/
In rituellen Badehäusern orthodoxer Juden werden Kinder systematisch missbraucht
Rabbi Nuchem Rosenberg, der einsame Whistleblower unter den Satmar, einer mächtigen chassidischen Sekte, der kürzlich in Williamsburg, Brooklyn, Opfer eines Angriffs mit Bleichmitteln wurde. Fotos von Christian Storm. Rabbi Nuchem Rosenberg, 63 Jahre alt und mit einem langen, ergrauten Bart, setzte sich neulich mit mir hin, um zu erläutern, was er als „Fließband für Kindesmissbrauch“ bei Glaubensgemeinschaften fundamentalistischer Juden bezeichnet. Als Mitglied der chassidischen Satmar in Brooklyn, eines fundamentalistischen Zweigs orthodoxer Juden, entwirft und repariert Nuchem Mikwen nach den Gesetzen der Tora. Die Mikwe ist das zur Reinigung dienende jüdische Ritualbad. Fromme Juden sind angehalten, sich bei den verschiedensten Gelegenheiten in der Mikwe zu reinigen: Frauen müssen nach ihrer Menstruation baden und Männer vor den hohen Feiertagen wie Rosch ha-Schana und Jom Kippur. Viele fromme Juden reinigen sich auch vor und nach dem Sex und vor dem Sabbat. Bei einem Aufenthalt in Jerusalem 2005 begab sich Rabbi Rosenberg in eine Mikwe in Me’a She’arim, einem der heiligsten Viertel der Stadt. „Ich öffnete die Tür zu einem Dampfbad“, berichtete er mir. „Überall Wasserdampf, ich kann kaum sehen. Meine Augen gewöhnen sich, und da sehe ich einen alten Mann, mit einem langen weißen Bart, einen heilig aussehenden Mann, der im Wasserdampf sitzt. Auf seinem Schoß, den Blick von ihm abgewandt, sitzt ein vielleicht sieben Jahre alter Junge. Und der alte Mann hat Analsex mit diesem Jungen.“ Rabbi Rosenberg hielt kurz inne, sammelte sich und fuhr fort: „Der Junge war aufgespießt auf diesem Mann wie ein Schwein, und der Junge sagte nichts. Aber auf seinem Gesicht—Angst. Der alte Mann [schaute mich an] ohne jede Angst, so, als ob das alles ganz normal sei. Er hörte nicht auf. Ich war so wütend, dass ich ihn zur Rede stellte. Er nahm den Jungen von seinem Penis und ich nahm ihn zur Seite. Ich sagte diesem Mann: ,Das ist eine Sünde vor Gott, ein mishkovzucher. Sie zerstören den Jungen!‘ Er hatte einen Stock mit einem Schwamm zum Reinigen seines Rückens in der Hand, mit dem er mir ins Gesicht schlug: ,Wie kannst du es wagen, mich zu stören!‘ Ich hatte schon öfter von diesen Dingen gehört, es aber jetzt zum ersten Mal gesehen.“ Die Kindesmissbrauchskrise im ultra-orthodoxen Judentum hat, ähnlich wie die in der katholischen Kirche, in den letzten Jahren für reichlich schockierende Schlagzeilen gesorgt. In New York und in den orthodoxen Gemeinden in Israel und London haben Anschuldigungen wegen Belästigung und Missbrauch von Kindern stark zugenommen. Bei den mutmaßlichen Tätern handelt es sich um Lehrer, Rabbis, Väter, Onkel—männliche Autoritätspersonen. Bei den Opfern handelt es sich wie im Falle der katholischen Priester zumeist um Jungen. Rabbi Rosenberg glaubt, dass etwa die Hälfte der jungen männlichen Mitglieder der chassidischen Gemeinde in Brooklyn—der größten in den Vereinigten Staaten und eine der größten der Welt—bereits Opfer sexueller Übergriffe durch Ältere war. Ben Hirsch, Leiter von Survivors for Justice, einer Brooklyner Organisation, die sich für orthodoxe Missbrauchsopfer einsetzt, geht davon aus, dass die tatsächliche Zahl viel höher ist. „Allem Anschein nach haben wir es hier mit mehr als 50 Prozent zu tun. Es hat sich schon fast zu einem Initiationsritus entwickelt.“ Ultra-orthodoxe Juden, die offen über diesen Missbrauch sprechen, werden zugrunde gerichtet und von ihrer eigenen Gemeinde ins Exil verbannt. Dr. Amy Neustein, eine nicht fundamentalistische orthodox-jüdische Soziologin und Herausgeberin von Tempest in the Temple: Jewish Communities and Child Sex Scandals, erzählte mir von einer Reihe chassidischer Mütter in Brooklyn, die sich bei ihr beschwert hatten, dass ihre Ehemänner ihren Kindern nachstellen würden. Die Beschuldigten würden sich sehr schnell und effektiv mit orthodoxen Politikern und einflussreichen orthodoxen Rabbis zusammentun, „die großzügig an politische Vereinigungen spenden“. Ziel sei es, die Mutter aus dem Leben des Kindes zu verbannen. Rabbinische Gerichte sondern die Mütter aus, mit dauerhaften Folgen. Die Mutter ist „amputiert“. Rabbi Rosenberg inspiziert ein Bad für die rituelle Reinigung, die sogenannte Mikwe. 2005 wurde er Zeuge, wie ein Junge in einem solchen Bad vergewaltigt wurde. Vor sieben Jahren begann Rabbi Rosenberg einen Blog zu sexuellem Missbrauch in seiner Gemeinde und startete eine Hotline für sexuellen Missbrauch in New York. Er veröffentlichte Appelle auf Youtube, war auf CNN zu sehen und hat in den gesamten USA, Kanada, Israel und Australien Vorträge gehalten. Heute ist er der einsame Whistleblower unter den Satmar. Dafür wird er geschmäht, beleidigt, gehasst, gefürchtet. Er erhält regelmäßig Todesdrohungen. In jiddischen und hebräischen Zeitungen wurde er in Anzeigen, die von den selbst ernannten „großen Rabbis und rabbinischen Richtern der Stadt New York“ aufgegeben wurden, als „Stolperstein des Hauses Israel“ bezeichnet, der „beharrlich an seinem Rebellentum festhält“ und dessen „Stimme in vielen jüdischen Familien zu hören war, vor allem bei unschuldigen jungen Leuten … die geneigt sind, seinen verderblichen, rebellischen Reden Gehör zu schenken“. Flugblätter, die in Williamsburg und Borough Park, den Zentren der Ultra-Orthodoxen in Brooklyn, verteilt wurden, zeigen sein bärtiges Gesicht über dem sich windenden Körper einer Schlange. „Korrupter Denunziant“ heißt es auf einem der Flugblätter, gefolgt von der Erklärung, Rabbi Rosenbergs „Name soll für immer in der Hölle schmoren“. Wenn Rabbi Rosenberg in einer der Mikwen in Brooklyn baden möchte, ist er nirgendwo willkommen. „Er ist in der Gemeinde am Ende, ruiniert“, sagte ein Rabbinerkollege, der nicht möchte, dass sein Name genannt wird. „Er wird von niemandem angeschaut und wer mit ihm redet, darf dies nicht publik machen.“ Die einflussreichen Männer—und es sollte erwähnt werden, dass diese Gemeinde nahezu ausschließlich von Männern reguliert wird—die in dieser Welt des ultra-orthodoxen Judentums herrschen, hätten es lieber, wenn ihre Anhänger in blindem Glauben ihre Augen vor den Gräueln verschließen würden, die Rabbi Rosenberg offenlegt. Wie das katholische Establishment versucht auch das Rabbinat, die Opfer zum Schweigen zu bringen, die Täter zu schützen und mögliche Kritik an den institutionellen Praktiken abzuweisen. Als der Vater des siebenjährigen Jungen, den Rabbi Rosenberg aus dem Jerusalemer Badehaus gerettet hatte, seinen Sohn abholen kam, konnte er nicht glauben, dass sein Sohn vergewaltigt worden war. Vor Entsetzen zitternd schaffte er seinen Sohn fort, um ihn medizinisch versorgen zu lassen, und hatte trotzdem zu viel Angst, um formell Klage zu erheben. Ben und Survivors for Justice meinen dazu: „Die größte Sünde ist nicht der Missbrauch, sondern über den Missbrauch zu reden. Kinder und Eltern, die Anklage erheben, werden zerstört.“ Als Rabbi Rosenberg seine Bedenken gegenüber dem Rabbinat in Israel äußerte, wurde er von der erzkonservativen orthodoxen „Sitteneinheit“ mishmeres hatznuis angeklagt. Diese Einheit regelt, häufig durch Androhung von Gewalt, das richtige moralische Verhalten und die angemessene Kleidung zwischen Männern und Frauen. Rabbi Rosenberg zufolge handelte es sich bei dem Vergewaltiger, den er auf frischer Tat ertappte, um ein Mitglied der Sitteneinheit, die ihn des sittenwidrigen Vergehens beschuldigte, zuvor in Jerusalem in Begleitung einer verheirateten Frau die Straße hinabgegangen zu sein. „Aber Kinder zu missbrauchen, das ist in Ordnung“, fügt er hinzu. Der Missbrauch und seine Vertuschung sind Symptome eines umfassenderen Missstandes—genauer: Symptome einer gesellschaftlich verheerenden politischen Kontrolle durch religiöse Eliten. „Hier geht es nicht um einzelne abweichende Fälle oder eine altmodische Gemeinschaft, die nicht mit der Polizei über sexuelle Angelegenheiten sprechen möchte“, meint Michael Lesher, ein gläubiger Jude, der sexuellen Missbrauch unter Orthodoxen untersucht und Missbrauchsopfer juristisch vertreten hat. „Hier geht es um eine politische Ökonomie, die das orthodoxe Judentum mit anderen fundamentalistischen Glaubensbekenntnissen und Aspekten rechter Ideologien allgemein verbindet. Eine Ökonomie, in der es echte religiöse Werte nie nach oben schaffen werden, solange sie mit den Prioritäten verknüpft sind, die Status und Macht über die grundlegenden menschlichen Bedürfnisse der Verletzbarsten setzen.“ Michael, der gerade an einem Buch zu diesem Thema schreibt, merkte an, dass der berüchtigte Rabbi Elior Chen, der 2010 der bisher wohl schlimmsten Serie von Kindesmissbrauch in Israel überführt wurde, in öffentlichen Stellungnahmen von führenden ultra-orthodoxen Rabbis noch immer verteidigt wird. Neben anderen rechtlichen und ethischen Verbrechen zwang der Rabbi seine Opfer, Kot zu essen, unter dem Vorwand, dies sei notwendig, um die von ihm missbrauchten Kinder zu „reinigen“. Die Mikwe Israel in Boro Park, eine der vielen Mikwen, die Rabbi Rosenberg nicht mehr reinlassen. Ben zufolge war die ultra-orthodoxe Religionsgemeinschaft noch nie so repressiv wie heute. Großfamilien werden gefördert: Jedes Kind, dass den Chassidim geboren wird, gilt als „Finger im Auge Hitlers“. Ben erzählte mir auch, dass eine durchschnittliche chassidische Familie in Williamsburg aus neun Mitgliedern besteht und einige Familien mehr als 15 Kinder haben. Familien, die unter der Last einer wachsenden Schar an Kindern leiden, geraten bald in einen Armutskreislauf. Gleichzeitig herrscht eine extreme Geschlechtertrennung, wie sie in der Geschichte der Chassidim bisher einmalig ist. Allgemeinbildung wird nur eingeschränkt vermittelt, sodass die meisten Männer in der Gemeinde nur bis zur dritten Klasse zur Schule gegangen sind und absolut keine Sexualaufklärung erhalten haben. Säkulare Zeitungen sind nicht erlaubt, Internetzugang ist verboten. „Die Männer in der Gemeinde haben bewusst keine Bildung erhalten“, sagte Ben. „Wir haben hier eine infantilisierte Gesellschaft. Sie wurde darauf abgerichtet, nicht nachzudenken.“ Die Rabbis bestimmen über das Schicksal jedes einzelnen Mitglieds ihrer Gemeinde. Nichts geschieht ohne die Zustimmung des rabbinischen Establishments. Will ein Mann ein neues Auto kaufen, holt er sich Rat beim Rabbi. Will ein Mann heiraten, sagt der Rabbi ihm, ob er eine bestimmte Braut heiraten sollte oder nicht. Was die Frauen anbetrifft, so haben die nicht die Möglichkeit, den Rabbi irgendwas zu fragen. Michael erzählte mir, dass die derzeitige orthodoxe Führung, deren Wohlstand durch die Abgaben ergebener Anhänger stetig zunimmt, in politischer wie religiöser Hinsicht nach rechts drifte. Viele Rabbiner in New York halten die Fahne des Neoliberalismus hoch. „Alle englischsprachigen orthodoxen Publikationen, die ich kenne, haben während der Wahlen 2012 Romney unterstützt und sich gegen die staatliche Krankenversicherung ausgesprochen“, sagte er. Michael merkte auch an, dass das Problem nicht allein die Extremisten betrifft. „Das gleiche Muster, Opfern die Schuld zu geben, die Rabbis zu idealisieren, sodass Vertuschungen nicht einmal wahrgenommen werden, findet sich im gesamten orthodoxen Spektrum“, erzählte er mir. „Die orthodoxe Linke hat beschämend langsam auf den Missbrauch durch Rabbi Baruch Lanner oder den ähnlich gearteten Fall von Rabbi Mordechai Elon reagiert.“ Rabbi Lanner, ehemaliger Leiter einer Jeschiwa-Highschool in New Jersey, wurde 2000 für schuldig befunden, in den Jahrzehnten seiner Amtszeit Dutzende seiner Schüler sexuell missbraucht zu haben. Rabbi Elon, der Homosexualität öffentlich denunziert hatte, wurde letzten August in zwei Fällen der sexuellen Nötigung von männlichen Minderjährigen überführt. „Zu mir kommen Kinder mit ihren Eltern und sie bluten aus dem Anus“, erzählte mir Rabbi Rosenberg bei unserem Treffen. „Was sollen wir tun?“ Das ist natürlich die Kernfrage, auf die es noch keine Antworten gibt. Einige Wochen nach unserem Interview war Rabbi Rosenberg gerade in Williamsburg unterwegs, als ein Unbekannter sich ihm von hinten näherte und ihm einen Becher Bleichmittel ins Gesicht schüttete. Er kam mit Gesichtsverbrennungen ins Krankenhaus und war vorübergehend blind. Das also versteht man bei den Satmar als Gerechtigkeit: dass ein einst respektierter und jetzt aus der Gemeinschaft ausgeschlossener Rabbi auf offener Straße mit Chemikalien verbrannt wird. Später erzählte mir Rabbi Rosenberg, wie er einmal in Williamsburg von Jungen umringt worden sei. Die Jungen verfluchten ihn, drohten ihm und spuckten ihn an. Er fragte sich, wie viele von ihnen wohl missbraucht werden würden. Fotos von Christian Storm.
Christopher Ketcham
[ "Die „Hast du ein Problem, oder was?“-Augabe", "DIE WAS SCHAUST DU SO AUSGABE", "Jahrgang 7 Ausgabe 10", "Jahrgang 9 Ausgabe 11", "Juden", "Kindesmissbrauch", "Missbrauch", "News", "NSFW", "Sexueller Missbrauch", "VICE Magazine", "Was schaust du so Ausgabe" ]
Sex
2013-12-20T08:00:00+00:00
2024-07-31T05:40:10+00:00
https://www.vice.com/de/article/kindesmissbrauch-unter-ultra-orthodoxen-0000608-v9n11/
Der wahre Grund, warum Amazon Supermärkte eröffnet
Bild: Amazon Go | Screenshot YouTube Unkompliziertes Einkaufen ohne Schlange stehen—mit diesem Versprechen bewirbt Amazon sein neuestes Geschäftsmodell. In den vollautomatisierten Amazon Go-Märkten können Kunden Produkte einfach aus dem Regal nehmen und wieder aus dem Laden gehen, ganz ohne Warteschlangen und lästige Bezahlvorgänge, denn die Abrechnung erfolgt per App über das Amazon-Konto. Der erste Amazon Go Store wird 2017 in Seattle eröffnen, 2.000 weitere Läden sollen innerhalb der nächsten zehn Jahre in den USA folgen—auch eine Expansion nach Europa ist geplant. Mit Amazon Go möchte sich der Konzern als Player im Lebensmittel-Einzelhandel etablieren—und ruft damit viele Kritiker auf den Plan. Sofort nach der Veröffentlichung des Promo-Videos am Montag, wurden Stimmen laut, die den drohenden Stellenabbau in Supermärkten ankreiden. Auch wenn in dem Werbefilm noch einige Mitarbeiter durchs Bild huschen, ist diese Sorge nicht unbegründet. Schließlich sind in den automatisierten Amazon-Märkten keine Kassierer mehr nötig. Die Kritik greift dennoch zu kurz: Amazon geht es mit der Einführung seiner Supermärkte nicht in erster Linie darum, die Automatisierung voranzutreiben und Gehälter zu sparen. Amazons Ziel ist es, die letzten offenen Lücken in seiner kompletten Kundenbeobachtung zu schließen. Folgt Motherboard auf Facebook, Instagram, Snapchat und Twitter Natürlich spielen hochentwickelte Automatisierungsprozesse eine zentrale Rolle im Konzept der Amazon Go Märkte. Doch die Pläne des Konzerns gehen weit darüber hinaus, den Barista an der Ecke durch einen Kaffeevollautomaten zu ersetzen. Denn das ist eine Art der Automatisierung, mit der wir bereits sehr vertraut sind: Variables Kapital wird durch konstantes Kapital ersetzt—erstens, da Maschinen auf lange Sicht günstiger sind, als Mitarbeitern einen Stundenlohn zu zahlen, und zweitens weil sie ökonomisch mehr Planungssicherheit versprechen. Diese geringeren Personalkosten mögen ein netter Nebeneffekt von Amazons Geschäftsmodell sein, sie sind jedoch keinesfalls die Hauptmotivation für die Einführung von Amazon Go. Amazon verfolgt mit seinen Supermärkten einen größeren Plan: Sie wollen endlich das Online- und Offline-Kaufverhalten ihrer Kunden komplett verstehen. Denn auch wenn Amazon bereits sehr viel über seine Kunden weiß, sehen sie bislang nur einen Teil des Gesamtbildes. Sie sehen das Online-Verhalten ihres Kunden, wie er um vier Uhr morgens irgendetwas Belangloses kauft oder seinen Einkaufskorb mit vielen teuren Dingen füllt, die er sowieso nie kaufen wird. Doch was für Amazon mindestens genauso interessant ist—dem Konzern bisher aber verborgen bleibt—ist das Offline-Kaufverhalten des Kunden: Den Schokomuffin, den er sich jeden Mittwochnachmittag gönnt, oder die Kondome, die er noch schnell am Freitagabend kauft—eben all die vielen, kleinen Details, die das tägliche Leben ausmachen. Amazon hält sich bisher sehr bedeckt, welche Technologien in seinen Läden eingesetzt werden sollen. Daher ist es heute schwer abzusehen, welche Kundeninformationen in Zukunft gesammelt werden. Ein Patent, das letztes Jahr durch Recode an die Öffentlichkeit gelangte, deutet darauf hin, dass die Läden auch automatisierte Bildanalyseverfahren einsetzen könnten. Ein Amazon-Sprecher versicherte Motherboard jedoch in einer E-Mail, dass Gesichtserkennung, die Teil des Patents ist, in den Läden nicht zum Einsatz kommen wird. Klar ist dennoch, dass Amazon dank der Läden eines seiner wichtigsten Assets, die Analyse des menschlichen Konsumverhaltens, noch deutlich aufwerten kann. Kassierer durch Roboter zu ersetzen, ist nichts besonderes. Wie einfach das ist, haben zahlreiche Supermärkte längst durch die Einführung von Selbstbedienungskassen unter Beweis gestellt. Was die Amazon Go Märkte jedoch einzigartig macht, ist das äußerst effiziente und daten-orientierte Informationsnetz, das Amazon über das Offline- und Online-Kaufverhalten seiner Kunden spinnt. Von diesen ganzheitlichen Informationen wird Amazon immens profitieren: Optimierte Kundendaten ermöglichen verbessertes Marketing, genauere Empfehlungsfunktionen und eine lückenlose Versorgungskette. Für die Kunden wird das Einkaufen dank Amazon Go zumindest noch einmal deutlich bequemer—und sei es, weil man sich nie wieder ärgern muss, sich in der langsameren Schlange angestellt zu haben.
Jordan Pearson
[ "amazon", "Amazon Go", "arbeitsplätze", "Automatisierung", "Gesichtserkennung", "Kassierer", "Motherboard", "motherboard show", "seattle", "Supermärkte", "Tech" ]
Tech
2016-12-09T09:01:00+00:00
2024-07-30T22:59:35+00:00
https://www.vice.com/de/article/der-wahre-grund-warum-amazon-supermaerkte-eroeffnet/
The House of Shock Teaser
New Orleans ist der nächste Halt für Tim in der vierten Episode von On The Road. Hier trifft er den legendären Roadie Steve J in seiner neuen Bleibe, dem House of Shock. Steve arbeitete für Bands wie die Pantera und Black Sabbath und verbringt noch immer die meisten Zeit seines Lebens auf Tour, aber im Moment findet er es super, im gruseligsten und furchtergendsten Haus der Welt zu arbeiten.
[ "Marshall Headphones: On The Road - BRANDED", "Musik" ]
2011-12-02T00:00:00+00:00
2024-08-12T06:51:50+00:00
https://www.vice.com/de/article/season-2-the-house-of-shock-teaser/
Facebook macht euch zu Jedi
Foto: Star Wars/Facebook Es ist soweit. Star Wars: Episode VII—Das Erwachen der Macht steht nach einer gefühlten Ewigkeit kurz vor dem offiziellen Kinostart. Das ist nicht nur offline, sondern vor allem online ein ziemlich großes Event. Wie groß, das unterstreicht ein neues Facebook-Feature. Zuletzt konnte man sein Profilfoto aus Solidarität mit den Anschlägen von Paris in die französische Nationalfarbe tünchen (oder einfach alle Flaggen von betroffenen Ländern). Davor gab es Aktionen zur Unterstützung von Digital India oder der Homo–Ehe in den USA—mal mehr, mal weniger populär. Jetzt also Lichtschwerter. Inwiefern genau sich ein Ereignis wie der Kinostart des neuen Star Wars-Films mit Ereignissen von derartig gesellschaftlicher Bedeutung einreiht, ist natürlich fraglich. Man könnte sich aufregen. Man könnte aber auch mal nach „a long time ago in a galaxy far far away” googeln und sich einfach freuen. Gleichsetzen kann man hier nicht. Genau so wie man die Wichtigkeit eines Ereignisses nicht daran messen kann, ob es eine Profilfoto-Funktion auf Facebook oder eigene Emojis für Hashtags auf Twitter gibt. Das macht es aber kein bisschen weniger cool. Franz auf Twitter: @FranzLicht
Franz Lichtenegger
[ "Facebook", "Homo-Ehe", "Paris", "Star Wars", "Stuff", "Vice Blog" ]
2015-12-15T16:30:00+00:00
2024-07-31T01:22:34+00:00
https://www.vice.com/de/article/facebook-profilfotos-star-wars-248/
Deutsche Arzneimittel-Behörde will Kiffen auf Rezept wieder abschaffen
Cannabis als Medizin ist für manche deutsche Behörden ein ähnliches Thema wie der Klimawandel für die Autoindustrie: nervig, aber man muss sich damit beschäftigen. Besonders die Behörde, die in Deutschland Arzneimittel zulässt, macht den Eindruck, dass sie das Kiffen auf Rezept am liebsten wieder verbieten würde. Karl Broich, der Präsident des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erklärte jetzt in einem erstaunlich reaktionären Interview mit dem Handelsblatt, wie er das Thema sieht. Ihn und seine Behörde störe demnach vor allem, dass Patientinnen und Patienten in Deutschland legal Cannabis-Blüten konsumieren dürfen. Das würde er gerne ändern. “Unser Ziel ist es, dass wir mehr cannabisbasierte Fertigarzneimittel bekommen”, sagt Broich im Interview und meint damit offenbar verarbeitete Arzneien in Form von Pillen, Tropfen und ähnlichem. Bei diesen Standardprodukten könne man in Studien dann die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit erforschen. Dass Cannabis-Patienten momentan Gras von der Apotheke holen können, halte er für eine Übergangslösung: “Von diesem Sonderweg wollen wir als Zulassungsbehörde möglichst schnell weg.” Auch bei VICE: Der Grasschmuggel in den Sümpfen Floridas Dieses Interview zeigt einmal mehr, dass Cannabis ein ideologisch aufgeladenes Thema ist, zu dem extreme Meinungen kursieren: Manche Menschen sehen es als Allheilmittel, andere warnen davor, als wäre es Rattengift. Die Wahrheit liegt irgendwo dazwischen. Broich vertritt in dem Interview zumindest eine ziemlich konservative Weltsicht. Broich kritisiert, dass bei der Cannabis-Diskussion wirtschaftliche Interessen über denen der Patienten stehen und damit indirekt auch, dass Lobbyisten den Diskurs bestimmen. Damit hat er teilweise Recht. Aber auch Broich ist ein Lobbyist im Dienste seiner Behörde. Deren Interesse muss sein, möglichst umfassend alles in ihrem Zuständigkeitsbereich zu kontrollieren – und das ist natürlich OK. Aber aus dieser Perspektive wäre ein Zukunftsszenario, in dem sich Patienten ihre Medizin auf dem Balkon züchten, ein Alptraum. Und damit es gar nicht erst soweit kommt, schwingt Broich schwere rhetorische Keulen. “Jedes regulär zugelassene Arzneimittel, das solche Nebenwirkungen zeigt, würden wir sofort vom Markt nehmen”, sagt Broich im Interview und bezieht sich auf Studien, die nahelegen, dass Cannabis Psychosen auslösen kann. Wie stark vereinfachend diese Aussage ist, erwähnt er nicht. Viel irritierender ist allerdings, dass Broich eigentlich wissen müsste, dass es andere Medikamente gibt, die Psychosen auslösen können und die seine Behörde trotzdem nicht verboten hat. Besonders bei der Behandlung von Parkinson sind von Medikamenten ausgelöste Psychosen eine bekannte Nebenwirkung. Aber Broich scheint selbst eine selektive Wahrnehmung zu haben, gerade wenn es um Studien geht. “Cannabis wird ohne Wirksamkeitsnachweis eingesetzt”, sagt Broich und verallgemeinert auch hier auf eine Weise, die für jemanden in seiner Position irritierend ist. Erst als ihn die Interviewerin daran erinnert, dass es doch einige Studien zu der medizinischen Wirksamkeit von Cannabis gebe, lenkt er ein. Ja, es gebe gute klinische Befunde, dass Cannabis bei Spastiken, gegen Schmerzen und in der Krebstherapie helfe. “Aber die Diskussion läuft ja teilweise in die Richtung, dass man Cannabis geben muss, wenn man nicht ausschließen kann, dass es doch helfen könnte”, sagt Broich. Hier verschweigt er allerdings die umfangreichen Begründungen, die Ärztinnen und Ärzte jedes Mal liefern müssen, wenn sie Cannabis verschreiben. Und dass sie verpflichtet sind, bei jedem Patienten Daten über die Wirksamkeit zu sammeln und an Broichs Behörde zu liefern. Auch das müsste er eigentlich wissen. Folge Tim auf Twitter VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.
Tim Geyer
[ "420", "Cannabis", "gras", "hanf", "Marihuana", "Medizinisches Cannabis", "Weed" ]
Drogen
2019-04-23T12:33:12+00:00
2024-07-30T14:01:56+00:00
https://www.vice.com/de/article/deutsche-arzneimittel-behoerde-will-kiffen-auf-rezept-wieder-abschaffen/
Wir waren mit Marteria und Paul Ripke beim Super Bowl und haben über Politik im Sport geredet
Paul Ripke hat die beiden größten Boybands des Landes fotografiert: Die Toten Hosen und die Fußball-Nationalmannschaft. Dadurch und dank virtuoser Selbstinszenierungstechniken, hat er sich selber gewisse Posterboy-Qualitäten erarbeitet. Marteria ist Marteria. Zusammen sind sie die popkulturellen Statler und Waldorf des Fremdenverkehrs. Ständig auf Achse, ständig auch im Travel-Wettbewerb, jeder neue Stempel im Pass eine Trophäe. Beide auch ausgewiesene Sport-Geeks. Marteria mit Felderfahrung bei F.C. Hansa Rostock und im U17 Kader der Nationalmannschaft. Ripke eher jenseits der Seitenlinie ansässig mit der ratternden Kamera im Anschlag. Kurzum: Das Traumpaar für einen kleinen, von den Sportfreunden DAZN organisierten, öffentlichkeitswirksamen Ausflug zum Super Bowl. Auf dem Weg ins NFL-Finale drehen die beiden selbstverständlich die eine oder andere Aufwärmrunde. Klare Sache, immerhin herrschen hier in Minneapolis, Minnesota Tagestemperaturen um die -20 °C. Für Marten ist das ganze gleichzeitig Sondierungsreise. Im Herbst plant er bereits den nächsten Minnesota-Abstecher, wird dann aber wohl eher Angelruten-schwingend in der Nähe der Great Lakes aufzufinden sein. Die aktuell zu beobachtenden Disziplinen, in denen sich Ripke und Marteria hart battlen, beschränken sich eher auf Fastfood-Eatouts, Schneeballschlachten und Verwertungsduelle auf sämtlichen Social-Media-Plattformen. Am Abend vor dem Großereignis geht es erst mal Richtung Downtown ins Super Bowl Convention Center, einer Kreuzung aus Merch-Supermarkt, Kirmes und NFL-Erlebnispark. Dringlichstes Anliegen seitens Marteria: Ein Fieldgoal kicken und den hiesigen Lauchs zeigen, wo der Vollspann-Hammer hängt. Jedoch ist die Warteschlange vor den Spielfeldern in der riesigen Halle in Berghain-Längen zu messen. Dann doch lieber ein paar Blue-Screen-Fotos schießen lassen, in denen Ripteria lebensecht mitten aufs Spielfeld des U.S. Bank Stadiums geshoppt werden. Perfektes Instagram-Futter. Weiter geht’s ins Target Center, dem Stadion der Minnesota Timberwolves. Die NBA-Lokalmatadore sind seit elf Heimspielen ungeschlagen und sollen heute auch die New Orleans Pelicans vernaschen. Das Spiel profitiert vom Super Bowl-Hype und lockt mehr Promis als üblich in die Halle. In der ersten Reihe kumpelt Sting mit Shaggy. Durch das Halbzeitprogramm stolpert ein wie immer tadellos frisierter, aber ansonsten eher Skill-befreiter G-Eazy. Hoffentlich kein böses Omen für die morgige Halbzeit-Inszenierung. Mittlerweile im erforderlichen US-Sports-Vibe schwingend, ist dann doch noch etwas Zeit für Musikgeschichtstourismus. Vor dem Spiel steuern die beiden Paisley Park an, den für Prince erbauten Zehn-Millionen-Komplex, in dem der große Meister und Minneapolis’ berühmtester Sohn musizierte, aufnahm, probte, Videos schnitt, spleenige Inneneinrichtungsfantasien erblühen ließ, Tischtennis spielte, einfach nur feudal abhing und schließlich auch das Zeitliche segnete. Ein beeindruckender Rundgang mit einer großen Einschränkung: Fotografieren verboten. Es dürfte dem zu Lebzeiten schon öffentlichkeitsscheuen Pop-Exzentriker Recht sein, dass Instagram nicht mit Selfies aus seinen Gemächern geflutet wird. In seinen letzten Lebensjahren hatte er sich schließlich selbst aus sämtlichen Social-Media-Künstlerprofilen ausgeloggt. Ripke und Marteria kompensieren ihren Gram über das vereitelte Insta-Story-Footage in einem ausgiebigen Kaufrausch im Fanshop am Ende der Tour. Schließlich ist der Zeitpunkt gekommen. Musikhistorisch geprimed und fankurvenseitig aufgepeitscht, zücken wir das Aufnahmegerät und holen uns bei Marten und Paul bei einem Filterkaffee im Einwegbecher noch ein paar O-Töne zu diesem Spektakel ab. Noisey: Nach etlichen gemeinsamen Reisen jetzt also Minneapolis. Wie kommt’s?Marteria: Wir haben die Chance, den Super Bowl zu gucken. Und die Möglichkeit, ein bisschen Zeit miteinander zu verbringen. So oft sehen wir uns ja gar nicht.Paul Ripke: Wir stehen beide auf Sport. Versuchen auch immer, uns Spiele anzusehen, wenn wir irgendwo unterwegs sind. Wenn dann so jemand wie DAZN kommt und sagt: Hey, wollt ihr euch zusammen den Super Bowl angucken, dann denken wir da nicht wahnsinnig lange drüber nach. Marteria: Einen Superbowl zu sehen, steht ja bei vielen Leuten auf der Checkliste ihres Lebens. Und wir können das jetzt abhaken. VICE-Video: “Der echte Kenny Powers aus ‘Eastbound and Down’?” Was steht da bei euch sonst noch so drauf, auf dieser Liste?Paul Ripke: Hundert Länderpunkte schaffen auf jeden Fall. Marteria: Das Länderpunkte-Spiel ist bei uns sowieso das wichtigste. Wer schafft es, mehr Länder zu sehen. Ihr habt dann so Weltkarten, in die ihr Fähnchen reinspießt?Es gibt Scratchmaps, da rubbelst du die Länder ab.Paul Ripke: Marten hat Russland noch nicht. Da gibt’s dann irgendwann mal viel zu rubbeln. Marteria: Deswegen war ich auch noch nicht da. Keine Lust, da zwei Stunden an der Karte rumzurubbeln. Aber ich bin mittlerweile kurz davor. Würde gern Sibirien sehen. Auch die Mongolei. Und ich würde es gern sehen, bevor da irgendwelche Erdgasleitungen durchgeballert werden, die das Ökosystem zerstören. Und es gibt ja auch nicht mehr so viele Orte, an denen man sich als Reisender allein fühlen kann. Nordkanada vielleicht noch, oder ein Teil vom Amazonas. Dieses Gefühl, “Hoppla, hab mir das Bein gebrochen und das nächste Dorf ist 800 km entfernt”, bekommt man ja nur noch in wenigen Landstrichen. Jeder liebt dieses Gefühl …Ich finde das wirklich interessant. Auf unseren Reisen waren die Naturerlebnisse immer das Krasseste. Verrückte Orte und die Kultur der Menschen sind natürlich auch geil, aber die Natur kann am meisten beeindrucken. Zurück zum aktuellen Naturschauspiel: Super Bowl.Paul Ripke: Das ist das kommerziellste Ereignis der Welt. Ich bin mal gespannt, ob ich es gut oder schlecht finde, dass es dieses ganze Spektakel drumherum gibt und der Sport gar nicht mal im Mittelpunkt steht. Marteria: Ich frage mich vor allem, wie das wirkt, wenn am Anfang diese Jets über das Stadion düsen, das von einem Glasdach bedeckt ist. Oder Pink. Erst so politisch engagiert mit diesem “Dear Mr. President”-Song. Jetzt singt sie plötzlich die Nationalhymne. Diese Flaggen überall, dieser extreme Patriotismus, das wird schon ein verrückter Moment werden. Also euch interessiert das Spektakel auch mehr als das Spiel an sich.Paul Ripke: Bei mir ist das auf jeden Fall so. Marteria: Man muss sich da ja auch nichts vormachen. Am schlimmsten sind ja auch die Typen, die zwei Mal so ein Spiel gesehen haben und dann plötzlich die großen Football-Experten sind. Die Football-Liga in Deutschland hat 75 Zuschauer oder so. Der Sport ist einfach nicht in der europäischen Sportkultur verwurzelt. Es gibt ein paar amerikanische Mannschaften, die ich supporte, aber ich würde mich niemals Fan nennen. Dazu gehört dann schon etwas mehr. Was kann Football von Fußball lernen?Die Footballspieler sind schon gesundheitlich ziemlich am Arsch, sterben früh. Die Spieler in den Tackle-Positionen haben alle Hirnschäden. Die wissen alle, sie werden vielleicht nur sechzig Jahre alt und feiern es trotzdem richtig ab. Das ist schon ganz schön hart. Die Sportarten haben eigentlich auch nichts miteinander gemein, außer das elf gegen elf. Ansonsten ist es was ganz anderes. Stichwort Halbzeit-Show…Auf jeden Fall interessant. Justin Timberlake … Wird ja gerade so ein bisschen gebasht, der Gute. Was ist deine Meinung zum “Man Of The Woods”?Ich hab das Album noch nicht gehört. Fand den einen neuen Song ganz OK. Hab nicht ganz verstanden, warum da so viel Hate kam. Der war einfach nur zu lange weg. Der setzt sich ja nicht plötzlich hin und macht uncoole Musik. Der kann sich ja immer noch die krassesten Dudes aussuchen für die Beats und die Songs. Paul Ripke: Für mich ist “Cry Me A River” einer der wichtigsten Songs der letzten dreißig Jahre. Ich war echt Fan. Aber ich hab ihn mal live in Las Vegas gesehen und das war richtig Scheiße. Wie so eine Country-Revue. Klang Scheiße, hatte keine Eier. Was erwartet ihr von der Show?Marteria: Ich erwarte alles. Explosionen. Raketen. Es gibt nur ein Problem. Auch bei deutschen Meistertiteln hast du ja immer diese zwei Konfetti-Kanonen hinter den Emporen, auf denen die Mannschaften stehen. Dadurch, dass diese Dinger immer von unten gefilmt werden, sieht es immer so megakrass aus, wenn da Philipp Lahm die Meisterschale in die Höhe reißt und die Kanonen losballern. Aber vor Ort im Stadion sieht es so lächerlich aus. Das ist dann schon enttäuschend. Ich hoffe, dass sich dieser Effekt bei der Halftime Show in Grenzen hält. Paul Ripke: Also ich glaube, dass es nicht so saugeil wird im Stadion, weil JT momentan einfach nicht der aktuelle wahnsinnige Kanye West-Typ ist. Kanye in der Halftime-Show fände ich viel interessanter. Irgendwelche Tipps, was Song-Auswahl angeht? Wird es ein Prince-Cover geben?Marteria: Guter Punkt. Das kann natürlich sein. Auch wenn JT natürlich eher in der Tradition von Michael Jackson steht, aber wenn man in Minneapolis performt, wär das natürlich ganz clever. Paul Ripke: Also ich glaube, das wird im Stadion keine Offenbarung, einfach weil die Show fürs Fernsehen produziert wird. Meine Erfahrung mit Haltftime-Shows beschränkt sich allerdings auch nur auf Cro beim Viva Con Agua-Benefizspiel in Stuttgart, haha. Denke mal, dass die das hier schon etwas besser hinkriegen. Drei berühmte Söhne der Stadt Minneapolis: Richard Dean Anderson aka MacGyver, Prince und Charles M. Schulz, der Erfinder der Peanuts. Wer hat für euch die größte Bedeutung?Marteria: MacGyver, ganz klar. Prince natürlich einer der größten Musiker überhaupt, was Skills angeht, aber auch Wahnsinn, Talent und Selbstinszenierung. Wahnsinnstyp, aber wenn es um so ganz große Stars geht, war ich eher Fan von Michael Jackson. Oder Freddie Mercury. Und die Peanuts interessieren mich gar nicht. Hat aber wohl mit meiner Ossi-Vergangenheit zu tun. Das fand bei mir einfach nicht statt. Eher Digedags und Abrafaxe. Aber hallo? MacGyver und Kati Witt? Ist doch schon ne Eins, wenn das dein Mann ist. Hier hast du nen Tampon und ne Glühbirne – bau mir ein Snowboard. Der Kniefall vieler Spieler während der Nationalhymne als Protestgeste gegen Polizeigewalt an Afroamerikanern war in den letzten Wochen und Monaten ein Streitthema in den Medien. Trump hetzt pausenlos dagegen und will sogar, dass die Vereine die jeweiligen Spieler rausschmeißen. Wie politisch darf oder muss Sport sein?Paul Ripke: Sport muss politisch sein. Ich bin vor ein paar Jahren nach Amerika gezogen und habe den direkten Vergleich. Ich finde, in Deutschland wird sich im Sport und im Entertainment nicht genug politisch geäußert oder positioniert. Die Amis sind da etwas weiter. Hier am Tisch sitzt ja ein Musiker, der sich zum Glück auch politisch äußert. Aber wenn du dir die ganzen Nasen anguckst, die bei The Voice oder wo auch immer in der Jury sitzen … Bloß nicht zu irgendetwas äußern, weil man ja irgendwelche Fans verlieren könnte. Ich finde es auch schlimmer, wenn sich jemand gar nicht äußert, als mit einer Meinung, die mir selber vielleicht nicht passt. Dann kann man wenigstens was dagegen machen. Als mir hier am Anfang Trump-Anhänger begegnet sind, habe ich das erstmal nur gehatet. Irgendwann habe ich aber zumindest verstanden, wo das herkommt. Ich finde sie trotzdem noch Scheiße, aber immerhin gibt es ein Gespräch darüber. Marteria: Wir erleben ja momentan diese kritische Zeit, in der sich mehr Leute als man dachte von Rechtspopulisten angesprochen fühlen. In solchen Zeiten finde ich es geil und total wichtig, wenn Leute ihre Fresse aufmachen und irgendwie frech sind. So jemand wie Monchi [ Anm.: Sänger von Feine Sahne Fischfilet] zum Beispiel. Ich versuche das nach meinen Möglichkeiten, mache den Mund auf, wenn ich eine Meinung habe, habe einen Song auf der Platte, der “Links” heißt. Meine Wunschvorstellung von der Welt ist ja auch, dass jeder mit jedem fickt. Dass es einfach nur Menschen gibt, diese ganze Unterscheidung nach Rassen nervt doch ohne Ende. Das Gleiche mit Religion. In der Grundidee ja ganz gut, um etwas Gemeinschaftliches zu schaffen, aber in der Realität kommt auch nur Scheiße dabei heraus. Wir haben den Vorteil, dass wir schon an vielen verrückten Orten waren, auch in Krisengebieten und wenn du ein Mal in deinem Leben diese Krisen und dieses Leid gesehen hast, dann kannst du einfach nicht mehr in so einer ausgrenzenden AfD-Mentalität denken. Ein anderes Problem: Politisch sein und informiert sein, ist total wichtig. Auf der anderen Seite ist Politik auch einfach nicht cool und viel zu bieder. Deswegen haben viel zu wenig junge Leute Lust, sich damit zu beschäftigen. Du hattest ja Monchi erwähnt als jemanden, der in seiner Haltung frech ist. Das klingt ja fast schon niedlich und leicht. Tatsächlich ist politische Haltung ja eher ein Kraftakt. Feine Sahne sind ja das beste Beispiel. Ständig der Gegenwind nicht nur von Nazis, sondern auch von Behörden…Genau das ist das Geile an denen: dass immer auf alles eine Antwort kommt und sie sich nie klein machen. Wieder ein Buttersäure-Angriff, wieder schlagen die Nazis irgendwas kaputt und wieder bauen wir es zusammen wieder auf. Klar kostet das Kraft, du gewinnst daraus aber auch Energie, wenn du siehst, wie sich dann Strukturen vergrößern und der Stein langsam ins Rollen kommt. Bei mir war es ja so, dass ich diese regionale Aufbauarbeit oft unterschätzt habe. Dass wir dann gesagt haben, lass mal nach Afrika gehen und da irgendwas anschieben, kulturelle Projekte unterstützen und so weiter. Das hat uns in der Hinsicht etwas gebracht, dass wir die Welt mit anderen Augen sehen. Trotzdem ist genau dieser Ansatz aber vor der eigenen Haustür genauso wichtig. Folge Noisey auf Facebook, Instagram und Snapchat.
Andreas Richter
[ "Interviews", "Marteria", "Music", "NFL", "Noisey", "paul ripke", "Reisen", "Sport", "super bowl" ]
2018-02-08T15:19:45+00:00
2024-07-30T18:20:43+00:00
https://www.vice.com/de/article/wir-waren-mit-marteria-und-paul-ripke-beim-superbowl-und-haben-uber-politik-im-sport-geredet/
TOXIC: Gulf
Während sich der Rest der Welt über sterbende Pelikane aufregt, schickten wir Baby Balls runter nach Louisiana. Er sprach dort mit Menschen, die buchstäblich in Öl ersticken.
[ "News", "Toxic" ]
2010-06-23T00:00:00+00:00
2024-08-12T06:35:36+00:00
https://www.vice.com/de/article/toxic-gulf-1-of-3/
Das passiert, wenn das beste Restaurant der Welt nach Australien zieht
Noch ein paar Stunden vor der Eröffnung seines Pop-up-Restaurants in Sydney hat der wohl einflussreichste Koch der Welt wie wild mit einem grünen Phallus umhergewedelt. OK, es war kein Penis, sondern eine einheimische australische Frucht namens monstera deliciosa—wie passend—, die, bevor man sie essen kann, noch in Zeitungspapier eingewickelt reifen muss. Ansonsten enthält sie zu viel Oxalsäure, die zu Blasen und Verbrennungen im Mund führen könnte. Außerdem müssen die knallgrünen Schuppen in Kleinarbeit einzeln entfernt werden. René Redzepi wollte die penisförmigen Früchte des Köstlichen Fensterblatts, so der deutsche Name, unbedingt verwenden: „Komm schon!”, meinte er zu Thomas Frebel, dem Spezialisten in seinem Team für neue Gerichte. „Wir sind nicht bis hierher gefahren, um dann nur mit Möhren zu kochen.” Alle Fotos von Jason Loucas Sicher nicht. Redzepi hat sein berühmtes Restaurant noma kurzerhand von Kopenhagen nach Sydney verfrachtet. Von den heimischen Wänden geht es für ihn und sein Team in ihr vorübergehendes Zuhause am anderen Ende der Welt und zwar aus mehreren Gründen: damit seine Crew enger zusammenwächst und sie etwas über andere Teile der Welt lernen und—nicht ganz unerheblich—damit sie lernen, wie es ist, ein neues Restaurant zu eröffnen. Dieses Wissen wird ihnen 2017 noch nützlich sein, wenn das noma sich neu erfindet: Eine Neueröffnung als ausschließlich saisonales Restaurant mit eigener urbaner Farm und ganz neuen Gerichten steht ins Haus. Vor allem aber sind sie bis hierher geflogen, um sich von einheimischen Zutaten inspirieren zu lassen, wie eben der monstera deliciosa, die einfach nur abgefahren, aber auch wunderschön sind. Und genau das alles haben sie geschafft. Wir geben euch einen kleinen visuell-anekdotischen Einblick in die erste Verkostung vom noma in Australien: Macadamianüsse Fünfzehn Jungköche, 16 Kilo Macadamianüsse und zwei Stunden: Diese einfache Gleichung verrät ziemlich viel über das noma. Wie viele der Gerichte auf der neuen australischen Karte besticht auch der erste Gang vor allem mit seiner Einfachheit: In einer kristallklaren Flüssigkeit schwimmen kleine, weiße Münzen. Die Flüssigkeit ist eigentlich eine abgekühlte Brühe aus Spannerkrabben, die so rein ist, dass sie kein Wässerchen trüben könnte. Und die Münzen sind weiße Macadamianüsse, also eigentlich grün-weiße, mit ganz eigenem Geschmack—am besten beschreibbar als grün-nussig. Der Nussbauer hat sich ganz schön geärgert, dass er nicht selbst auf diese Art der Zubereitung gekommen ist. Weil das Gericht mit so wenig Schnickschnack auskommt, muss die Textur perfekt sein, damit es seine volle Wirkung entfalten kann. Deshalb sind am Eröffnungstag auch ganze neun Leute damit beschäftigt, alles frisch zuzubereiten—Nüsse schneiden à la minute. Redzepi beobachtet seine Zöglinge sorgfältig und wird schnell verärgert.„Hast du das gemacht?”, fragt er einen der Köche, der sein Vergehen wie ein elendes Häufchen zugibt. „Die sind zu dünn. Genau das solltet ihr doch nicht machen.” Er blickt seine Crew wütend an: „Ihr sollt doch nur Nüsse schneiden. Aber das hier ist eine Katastrophe.” Beeren Diese Beeren sind schon irgendwie wundersam: Muntries sehen aus kleine grüne Basketbälle und Riberries strahlen in kräftigem Rubinrot. Sie sind so dickfleischig und schmecken fast schon herzhaft, dass man seine Vorstellung von Beeren gar hinterfragen muss. Aber das Buschpflaumenpulver, eine wilde Pflaumenart so groß wie eine Olive, setzt dem wirklich die Krone auf. Die Buschpflaume, auch Gubinge genannt, wird zuerst püriert, dann getrocknet, sodass eine Art Puder entsteht, das geschmacklich an weiße Schokolade erinnert. „Bau bloß keinen Scheiß damit!”, meint Redzepi zu einem Koch, der das Puder gerade über ein paar Beeren gibt. „Das kostet 500 Dollar pro Kilo.” Just in diesem Moment geht die Lüftung an und die Küche verwandelt sich in diese eine Szene aus Die Stadtneurotiker, in der Alvy Singer bei einer Party niesen muss, und dabei einfach so Kokain im Wert von ein paar Tausend Dollar wegpustet. Überall liegt das weiße Zeug. Akaziensamen Akaziensamen sind ein bisschen wie die australische Buschvariante der Mohnsamen wie auf dem Brötchen. Sowas verwendet man nicht schüsselweise—es sei denn, man heißt René Redzepi. Sobald er hörte, dass Aborigines aus Akaziensamen Brot machten, dachte er, man könnte sie doch wie ganz normale Körner behandeln und sie ordentlich durchgaren. Vielleicht würde es zwar acht Stunden im Schnellkochtopf dauern, bis sie irgendwie essbar werden und selbst dann würden einige immer noch nicht richtig kaubar sein. Aber damit hätte man zumindest eine Art Haferbrei, den man in irgendwas einwickeln könnte. Saftige Meldenblätter zum Beispiel, das sieht das aus wie fruchtig-grüne Gnocchi. „Dieses Essen schmeckt richtig nach Wildnis, ganz anders als die Zutaten zu Hause”, meint Redzepi. „Ganz große Kunst.” Meeresfrüchte Dieses Gericht ist ein Tribut an den Køkkenmødding, einen Muschelhaufen, der durch die Muschelreste der Aborigines entstanden ist und der sich vor der Tür zum noma im Barangaroo Harbour befindet. Eine Einführung in die australische Muschelkunde. Auf jeder Muschel, und zwar einmal Pipi-Muschel und einmal Pferdehufmuschel, liegt ein hauchdünnes Blättchen. Dieses Blättchen ist einmal fröhlich-feixend um den Todeskäfig, den Cage of Death im Crocosaurus Cove in Darwin, herumgeschwommen. Hier werden unglaublich viele Freizeitaktivitäten angeboten: Kinder können junge Krokos füttern oder es gibt auch eine VIP-Fütterung mit ausgewachsenen Krokodilen. Aber die wahre Attraktion ist der Cage of Death, bei dem man sich in einem zylinderförmigen Behälter zu den schwimmenden Reptilien ins Wasser herablassen kann. Aber hier gibt es nicht nur Spiel, Spaß und Spannung: Gleichzeitig ist Crocosaurus Cove auch eine Tierzucht, die Krokodilhaut an Louis Vuitton liefert und nun eben auch Fett an ein bekanntes Restaurant aus Nordeuropa. Als das noma-Team den Betrieb besucht hatte, war der Besitzer gerade dabei zu schlachten. „Wir haben das Fett probiert und es hat fantastisch geschmeckt”, erinnert sich Beau Clugston. Er war sofort begeistert, denn er liebt Krokodile einfach. Aber mittlerweile bereut er es, glaube ich, weil es unglaublich schwierig ist, das ganze Fett herauszubekommen. Aus diesem Fett macht das noma-Team einen durchsichtigen Kristallsplitter, der dann auf die fünf Muscheln des Meeresfrüchte-Gangs gelegt wird. Wie schmeckt Krokodilfett? Ein bisschen wie Hühnchen, und nein, nicht weil alles irgendwie nach Hühnchen schmeckt, sondern weil die Krokodile bei Crocosaurus Cove genau das den ganzen Tag essen. Schneekrabben Die Schneekrabben, die das noma im Überfluss serviert, sind eigentlich keine, die leben nämlich im Nordatlantik. Die hier kommen von der Westküste Australiens und leben in Tiefen, wo kein Lichtstrahl mehr hinkommt, sodass diese Meereskreatur kreidebleich bleibt. Für die meisten Restaurants wäre dieses geisterartige (und falschbenannte) Krustentier, das in einer finsteren Unendlichkeit lebt, schon abgefahren genug für ein Gericht. Das noma toppt das Ganze allerdings mit einem leicht gebeiztem Ei und fermentiertem Kängurusaft. Ja, sie haben ein Känguru entsaftet, fragt nicht wie, nehmt das Gericht einfach als die noma-Version eines Surf-n-Turf hin. Pasteten „Ein Besuch in Australien geht nicht ohne Pasteten”, meint Beau Clugston, der für das noma die einheimischen Zutaten ausgekundschaftet hat. Und das stimmt: fleischgefüllte Pasteten in schmieriger Sauce findet man in jedem Café, jeder Bäckerei und jedem ranzig Büdchen an der Bushaltestelle zwischen Sydney und Perth. Die Version des noma ist natürlich alles andere als ranzig. Wer aber nicht geschickt genug ist, sollte lieber die Finger davon lassen, das Zeug kann giftig sein. Während er kleine grünlich-braune Teigscheiben (mit Meeresalgen) in Tarte-Förmchen drückt erklärt Clugston: „Das Wandelröschen ist eine einheimische Buschart.” Es wächst in jedem Vorgarten in Sydney. „Gleichzeitig ist es aber auch giftig, wenn auch nur die Blätter und nicht die Blüten.” Das noma-Team streut diese kleinen Blüten (OK, sie nehmen in Wahrheit natürlich eine Pinzette) über eine kleine tarteletteförmige Pastete mit Füllung aus Jakobsmuschel-Karamell, das wunderbar schmeckt, aber eigentlich eher eine Zufallsentdeckung war. „Das Eiweiß der Jakobsmuscheln passte einfach am besten zu den Blüten”, erklärt Clugston. Tomaten und Seeigel „Hier wollten wir einfach was mit Tomaten machen”, meint Redzepi. Marron Die wohl kniffeligste Zutat des Abends war der Marron, ein australisches Krustentier, das ein bisschen aussieht wie eine Languste. Serviert mit einem Löffel Ragout aus besonderem Gänsefleisch, einer der Lieblingsgänse der Aborigines, die sich hauptsächlich von Mangos ernährt, wird das Ganze in gegrillter Milchhaut eingerollt und mit einem geflochtenen Palmenblatt zusammengehalten. Bei diesem Gericht kann viel schiefgehen—und beim ersten Probeessen passierte genau das. Die Gäste versammelten sich zunächst draußen vor dem JOSPER-Ofen, wo schon die Kohlen für die Wraps vorgeheizt werden. Doch weil die Lüftung ausgefallen war, verbreitete sich überall Rauch. Die Milchhaut war zu feucht und klebte am Grill fest. Kim Mikkola aus Finnland, der für dieses Gericht zuständig war, hat sich heftig verzettelt. Und als alles angerichtet werden sollte, wurde es noch schlimmer: Die Palmenblätter sahen aus, als hätten Vorschulkinder sie zusammengeflochten. Allerdings ging das auf die Kappe des Service-Personals, das am nächsten Tag fleißig an den Tischen draußen saß und sich erneut daran versuchte. Kim Mikkola ging dieses Mal kein Risiko ein. Er hatte ursprünglich die Idee mit dem Flechten, sein Großvater hat das Gleiche mit Birkenrinde gemacht. Jetzt wachte er mit Argusaugen über die jungen Flechtkünstler. „Ich mache mir ständig Sorgen”, meint er. „Wenn man das nicht tut, genau an den Tagen, an denen man meint, alles unter Kontrolle zu haben, ist die Kacke am Dampfen. Aber wenn man immer hinterher ist und teilweise auch richtig gestresst, dann fügt sich alles magisch zusammen.” Abalone Das Gericht, das die Köche als „Hauptgericht” präsentierten, ist wieder mal eine Version eines australischen Grundnahrungsmittels: Schnitzel—ja, man mag es kaum glauben. Die Down-Under-Version, liebevoll schnitty genannt, wird aber nicht aus Kalb oder Schwein oder Huhn, sondern aus Abalone, Seeohren, gemacht, die in den Gewässern um Tasmanien gefischt werden. Die Seeohren bekommt das noma-Team von Red Claw Seafood und der Inhaber Richard Pinson war von der Idee begeistert: „Ich habe auch den Taucher heute Abend mitgebracht und er hat fast vor Freude geweint, als er das gegessen hat.” Und zu Recht: Dieses Gericht ist einfach nur köstlich. Das Team hat die Seeohren zunächst weichgeklopft und dann in Fett angebraten. Umhüllt wird das Ganze von australischen Wüstenlimetten und ein Mischung aus komisch anmutenden, leckeren Algen. „Die besten Fischstäbchen, die du jemals gegessen hast”, meint Redzepi. Obst In der Testküche in Kopenhagen stehen immer ein paar Äpfel auf der Anrichte, da bedient sich Redzepi regelmäßig. In Sydney wiederum steht eine Schüssel mit Wassermelonen, die gehen noch schneller weg, schließlich liebt Redzepi Wassermelonen. Zusammen mit Mango und Ananas wird daraus auch eine Art gaumenreinigender Zwischengang, der vor dem Dessert kommt. Die Farben sind so kräftig—kein Vergleich mit den Früchten zu Hause: Der knallpinke Würfel aus Wassermelone wird zudem mit dem Saft der Davidson-Pflaume mariniert. „So etwas Saures hast du bestimmt noch nicht gegessen”, beschreibt Redzepi seine Kreation. „Aber es passt wunderbar zu Wassermelone—ein Traumpaar wie Tomate und Mozzarella.” Lamington Natürlich hat sich das noma auch an Lamington gewagt, eine typisch australisches Konfekt. Mette Søberg tut alles, damit die kleinen Köstlichkeiten nicht dahinschmelzen, und das ist gar nicht mal so einfach. Ein Rührkuchenteig versetzt mit kleinen Luftbläschen, getränkt mit Tamarinden-Rum. Darüber werden eine Art Milchstreusel gestreut, die den sonst verwendeten Kokosraspeln ähneln. Deshalb müssen die kleinen Küchlein die ganze Zeit gekühlt werden, gefroren, aber nicht durchgefroren. „Diese Streusel sind sehr empfindlich. Um die Temperatur zu regulieren, könnte ich flüssigen Stickstoff nehmen”, erklärt sie und zeigt auf einen Kanister. „Dadurch werden sie allerdings hart. Wenn man zu viel davon nimmt, bleibt nur noch ein Eisklumpen übrig.” Nervös wischt sie sich mit der Hand über die Stirn. „Ja, man könnte sagen, ich pflege eine Hassliebe zu meinen Lamington.” Gaytime Die australische Version des bekannten Magnum-Eis heißt „Golden Gaytime” und auch hier hat das noma seine eigene Version kreiert, auch wenn sie den Namen ändern mussten, um nicht gegen das Urheberrecht zu verstoßen. „Thomas hatte diese grandiose Idee”, erzählt Pâtissier Malcolm Livingston. „Er wollte unbedingt Eis am Stil haben.” Also hat sich Livingston an die Arbeit gemacht und ein Eis aus Erdnussmilch kreiert, mit einem Kern aus Zitronenkaramell, und Freekeh, früh geerntetem und geröstetem Weizen. Dann wird alles in „Öl und geklärter Butter ertränkt”, bis es eine erschreckend genaue Ähnlichkeit mit Schokolade hat. So lecker, dass selbst Redzepi, der eigentlich nichts Süßes mag, davon nicht genug bekommen kann. „Jeden Tag mache ich vier extra für ihn”, meint Livingston, „zwei für jede Schicht.” Es gibt natürlich noch mehr. Typisch australische Getränke, zum Beispiel die noma-Version des Snakebite, eine Mischung aus Bier und Cider, die Böses ahnen lässt. Dann gibt es noch dieses fantastische Brot, an dem ein Koch wochenlang bis zur Perfektion gearbeitet hat. Eigentlich hoffte er, dass das Brot als eigenständiges Gericht mit selbst gemachtem Vegemite serviert werden würde, aber Redzepi meinte, dass es nicht auf die Karte passt, auch wenn es „das beste Brot in ganz Sydney ist”. Und dann sind da noch Petit-Fours mit Kräutern aus dem Buschland. Wenn man das alles isst, ist das, als würde man in einen Kaninchenbau fallen und in einer Welt landen, von der man nicht wusste, dass sie existiert. Eine Welt, so viel sei gesagt, ohne Möhren.
[ "Essen", "Food", "Munchies", "NOMA" ]
2016-03-17T13:00:13+00:00
2024-08-12T10:42:11+00:00
https://www.vice.com/de/article/das-passiert-wenn-das-beste-restaurant-der-welt-nach-australien-zieht-394/
Dieser Student fährt für 1323,50 Euro mit dem Taxi quer durch Deutschland – auf Kosten der Deutschen Bahn
Er sei noch nie in Norddeutschland gewesen, antwortet der Fahrer, als Sebastian Gosmann am Stuttgarter Bahnhof die Tür des Taxis öffnet und erzählt, dass sein Ziel am anderen Ende der Republik liegt. Sebastian Gosmann wollte nicht zu irgendeinem Hotel um die Ecke, nicht in die nächste Stadt oder zum übernächsten Kaff mit Bahnsteig, sondern nach Hause: “Ich muss nach Lübeck”, sagt der 26-Jährige. Der Taxifahrer nickt, fährt los und lässt den Motor bis Hamburg laufen – sieben Stunden lang, über 700 Kilometer. “Manchmal lohnt es sich, auf seine Rechte als Fahrgast zu beharren”, sagt Sebastian Gosmann. Der ICE des Jenaer Psychologiestudenten hatte 22 Minuten Verspätung auf der Strecke Friedrichshafen – Stuttgart, deswegen verpasste er seinen Anschluss in Stuttgart um ein paar Sekunden. Der Zug fuhr ab, als Gosmanns Finger noch auf dem Türöffner lagen. Gosmann hatte ein Ticket zur Mitnahme seines Mountainbikes – mit diesem konnte er den ganzen Tag keine andere Verbindung mehr nutzen. Wütend sei er zum nächsten Service-Schalter der DB gegangen und habe so lange auf die Mitarbeiterinnen eingeredet, bis sie ihm einen Taxigutschein in die Hand drückten. Dass das Ziel von Gosmann 700 Kilometer entfernt liegt, sollte den DB-Mitarbeiterinnen klar gewesen sein. Am Ende zeigte das Taxameter in roten Ziffern im Rückspiegel 1323,50 Euro an. Ob jemand einen Taxigutschein bekommt, werde im Einzelfall auf Grundlage der geltenden Fahrgastrechte entschieden, sagt ein Sprecher der Deutschen Bahn gegenüber VICE. Konkrete Aussagen zu solchen Einzelfällen könne er aber nicht machen, auch konkrete Zahlen zur Häufigkeit von Taxifahrten auf Kosten der DB könne er nicht nennen: “Das kommt vor allem in absoluten Ausnahmefällen vor, bei Streckensperrungen, Streiks, wegen Sturm oder Starkregen. Dann bekommen die DB-Kunden natürlich Taxigutscheine, wenn es keine andere Möglichkeit gibt, die Reise fortzusetzen”, sagt der Bahn-Sprecher. Unter der Frage “In welchen Fällen darf der Kunde ein Taxi nutzen?” steht in den Fahrgastrechten: wenn die planmäßige Ankunftszeit am Zielort zwischen Mitternacht und fünf Uhr morgens liegt. Oder bei einer Verspätung von mindestens einer Stunde am Zielbahnhof. Oder wenn ein Zug ausfällt und es sich dabei um die letzte fahrplanmäßige Verbindung des Tages handelt. Oder wenn der Zielbahnhof durch kein anderes Verkehrsmittels bis Mitternacht erreicht werden kann (weil man beispielsweise ein Fahrrad dabei hat?). Eigentlich werden nur 80 Euro pro Person für eine Fahrt von der Bahn übernommen. Ein kleines Sternchen zeigt jedoch an: Diese 80-Euro-Regel kann überschritten werden. Dann gilt Artikel 18 des Fahrgastrechteverordnungs-Anwendungsgeseztes: Das Eisenbahnunternehmen organisiert eine Alternative, wenn der Fahrgast nicht weiterfahren kann. Wer einen Taxigutschein bekommt, kann also in extremen Ausnahmen der DB-Mitarbeiter oder die DB-Mitarbeiterin entscheiden. Auch bei VICE: Riding for Jesus: Unterwegs mit einer christlichen Biker Gang Der Fall von Sebastian Gosmann ist extrem, es lohnt sich aber immer, seine Rechte als Fahrgast zu kennen – zum Beispiel wenn man das nächste Mal auf dem überfüllten Bahngleis steht und eine Stunde auf seinen Zug wartet. Denn: Ab 60 Minuten absehbarer Verspätung kann man sich den Fahrpreis für ein alternatives Verkehrsmittel erstatten lassen. Außerdem gibt es 25 Prozent des Fahrpreises als Entschädigung zurück, ab zwei Stunden Verspätung die Hälfte des Fahrpreises. Schon ab 20 Minuten ist die Zugverbindung aufgehoben. Seine Rechte kann man ein Jahr lang geltend machen, erst dann verjährt der Schadensersatzanspruch. Nach drei Monaten müssen die Beschwerden bearbeitet sein. Ansonsten vermittelt die Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr zwischen Bahn und Reisegast. Mit dem Taxifahrer habe er sich ganz gut verstanden, sagt Sebastian Gosmann. “Ab und zu hat er mit seiner Frau telefoniert, gesagt, dass er heute nicht mehr nach Hause komme.” Dann habe er Gosmann müde in Hamburg rausgelassen, die beiden hätten sich per Handschlag und mit Schulterklopfer verabschiedet. Auch in Hamburg hätte Gosmann erneut seinen Zug fast verpasst, der ihn um 23:23 Uhr mit dem Rad nach Lübeck bringen sollte. Doch der Zug stand noch und Gosmann kam nach Mitternacht an seinem Ziel an. Folge VICE auf Facebook , Instagram und Snapchat .
VICE Staff
[ "DB", "Deutsche Bahn", "Hamburg", "mountainbike", "stuttgart", "Taxis" ]
2018-08-07T10:43:00+00:00
2024-07-30T18:47:42+00:00
https://www.vice.com/de/article/43p7a3/zug-verspaetung-erstattung-kosten-ein-student-fahrt-fur-132350-euro-mit-dem-taxi-quer-durch-deutschland-deutsche-bahn
„Ich will sie brennen sehen!”—ein Interview mit Anonhi, der größten Stimme unserer Zeit
Wir schreiben den 7. November 2008—es sind drei Tage vergangen, seit Barack Obama die Wahl um das Amt des 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika vor John McCain für sich entscheiden konnte. Die damals noch unter dem Namen Antony Hegarty auftretende Sängerin und Künstlerin Anohni sitzt auf einem Stuhl und spricht mit einem Interviewer außerhalb des Sichtfeldes. Es geht um die Lyrics von Anohnis damals aktueller Single „Another World”—einer klagevollen Ballade um die Wahrscheinlichkeit einer anstehenden Apokalypse—und der Journalist fragt, ob sie denkt, dass die Wahl Obamas dabei helfen wird, eine Zeit des Friedens herbeizuführen. „Ich bin nicht wirklich qualifiziert, um über Politik zu sprechen”, antwortet sie mit einem schüchternen Lächeln. Später im Interview allerdings—Teil einer sechsteiligen Reihe des Amsterdamer Videoblogs FaceCulture—beginnt sie sich zu öffnen und gibt zu, dass sie extra am Tag der Bekanntmachung der Wahlergebnisse um 5:30 Uhr in Paris aufgestanden war, um die Nachrichten zu verfolgen. „Ich glaube, dass gerade alle sehr aufgeregt sind”, sagt sie und verweist schüchtern darauf, dass Obamas JFK-artigen Wahlkampfreden eine gute Prognose für alle vom Klimawandel bedrohten Erdenbürger abgeben würden, für die anhaltende Besetzung des Irak und für die Foltergerüchte um Guantanamo Bay. „Wir befinden uns in einer sehr kritischen Phase und dementsprechend brauchten wir das. Jeder auf der Welt muss einen potentiellen Hoffnungsschimmer sehen können.” Springen wir zum Frühling 2016. Schneller, als die Erde die Sonne ein weiteres Mal umrunden wird, wird Obama seinen Schreibtisch im Oval Office an einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin abtreten. Anohni, wie sich die Künstlerin jetzt nennt, steht kurz vor der Veröffentlichung ihres neuen Albums. Der Titel lautet HOPELESSNESS—und auch wenn es sich dabei ziemlich sicher nicht um eine konkrete Anspielung auf das Video-Interview von 2008 handelt, befindet sich die Künstlerin zweifelsohne Welten von dem verhaltenen Optimismus jener Tage entfernt. Das Album erscheint im Fahrwasser einer Oscar-Nominierung für „Manta Ray”—einen Song, den sie zusammen mit dem Komponisten J. Ralph für die Umweltschutz-Dokumentation Racing Extinction geschrieben hatte. Als erste Auskoppelung wurde passend zur Pariser Klimakonferenz im November 2015 die Lead-Single „4 Degrees” veröffentlicht. Darin spiegelt Anohni die Prognose vieler Wissenschaftler wider, dass die Erderwärmung viele Tier- und Pflanzenarten innerhalb der nächsten Jahrzehnte aussterben lassen wird. „I wanna hear the dogs crying for water/ I wanna see fish go belly-up in the sea”, singt Anohni, während ihre federnde Stimme beim Ankämpfen gegen die Synth-Bläser zu beinahe opernhafter Intensität anschwillt. „I wanna see them burn. It’s only four degrees.” Allein, was die Musik angeht, scheint sich Anohni heute weniger zurückhaltend zu zeigen, auch, was das Teilen ihrer politischen Ansichten betrifft. In den anderen Songs auf dem Album geht es in ähnlich anklagender Direktheit um den Drohnenkrieg, Überwachung durch Staat und Unternehmen, sowie die Todesstrafe. Selbst ein Singsang-artiges Klagelied mit dem Titel „Obama” ist darauf vertreten. Darin beschreibt sie, wie der Präsident ihrer Meinung nach bei der Umsetzung seiner Wahlversprechen versagt hat. Die Grenze zwischen Persönlichem und Politischem verwischt dabei zunehmend: In „Watch Me” singt sie aus der Perspektive einer Person, die das Gefühl hat, ständig beobachtet zu werden, während sie von Stadt zu Stadt, von Hotelzimmer zu Hotelzimmer reist—ja, selbst beobachtet wird, wenn sie sich Pornos anschaut. Man kann dabei nicht sagen, ob es sich bei dem Verfolger um einen Liebhaber oder einen Computer handelt, wobei diese Ambiguität schließlich folgendermaßen aufgelöst wird: „I know you love me / Cause you’re always watching me.” HOPELESSNESS ist das erste Album der in Großbritannien geborenen, in Kalifornien aufgewachsenen und in New York City lebenden Künstlerin, das sie unter ihrem selbstgewählten Namen als Transfrau veröffentlicht—einer feminisierten Version von „Antony”. Gleichzeitig stellt es auch eine auffällige Abkehr von dem Sound dar, den sie auf zahlreichen Welttourneen und den vier Studioalben mit ihrer Kammer-Pop-Bad Antony and the Johnsons zum Besten gegeben hat. Die spärlichen Klavier-Akkorde und zarten Streicher machen Platz für die facettenreichen Elektro-Produktionen ihrer Kollaborateure und Freunde Oneohtrix Point Never und Hudson Mohawke. Die düsteren Lyrics und die aus der Clubmusik stammende Instrumentation erschaffen gemeinsam ein eindringlich-kraftvolles Album—eins, dessen kumulativer Effekt als entwaffnend beschrieben werden kann; mit einem ekstatischen „zu viel.” Als ich Anohni Ende März in Manhattan für das Interview in einem Raum neben der Lobby des Roxy Hotels treffe, ist sie sichtbar nervös. Unser Gespräch ist nur eine von vielen Sachen, die sie noch zu erledigen hat, bevor sie zwei Tagen später nach Los Angeles zu den Oscars fliegt (letzten Endes wird sie den Flug absagen und einen langen Essay über ihre Beweggründe veröffentlichen). Sie scheint auch von dem emotionalen Gewicht überfordert zu sein, das der von ihr gewählte Themenkomplex mit sich bringt. Die Instrumentals, so sagt sie, seien eine Art „Trojanisches Pferd”, die sich der Sprache des zeitgenössischen Pop bedienen, um die Message des Albums möglichst weit hinaus in die Welt zu tragen. Nicht zuletzt ist in HOPELESSNESS ein Aufruf zum Handeln eingebettet—etwas, das sie selbst die „Eyes Wide Open”-Kampagne getauft hat. Es ist eine Bitte an uns, anzuerkennen wie unser Handeln als Menschheit unseren eigenen Untergang beschleunigt. „Mein Job ist es gerade, das System dahinter zu sehen. Wir haben es hier nicht bloß mit einer Reihe isolierter Vorfälle zu tun, die gleichzeitig schiefgehen”, erklärt sie. „Und wir sind als Teilnehmer Komplizen—gerade im Westen.” In unserem ausführlichen Interview—das im Laufe unseres Treffens und einem anschließenden Telefonat entstanden ist—spricht die Sängerin über ihre langjährige Affinität zur Clubkultur und elektronischer Musik, über die Anerkennung ihres neuen Namens und über die Gedanken, die sie dazu gebracht haben, ihre Augen weit zu öffnen. THUMP: Umweltzerstörung ist ein wiederkehrendes Thema auf HOPELESSNESS. Wann ist dir die Natur so wichtig geworden?Anohni: Nun, das hat schon in meiner Kindheit angefangen, als ich realisierte, dass es für mich keinen Platz in den judeo-christlichen Religionen gab—insbesondere dem Katholizismus. Wenn es nach meinen damaligen Lehrern und Priestern gegangen wäre, wäre meine Seele verdammt und ich würde in der Hölle landen. Soweit ich damals wusste, war ich einer der wenigen schwulen Menschen auf dieser Welt—abgesehen von den Menschen, die in den großen Städten der bourbonischen Plage zum Opfer fielen.Im Kalifornien der 80er gab es eine große heidnische Subkultur. Viele dieser Menschen gingen zu Versammlungen in den Bergen von Santa Cruz, lasen Bücher von Starhawk und interessierten sich generell für Mystizismus. Ich bin dadurch in einem Umfeld junger Erwachsener aufgewachsen, die solche Sachen gemacht haben, Musik hörten, in Clubs gingen und sich einfach anders kleideten. „Auf dem Album geht es viel um meinen eigene Mitschuld. Von wegen: Mir kann man nicht die Schuld am Klimawandel geben. Ich bin nicht verantwortlich für Obamas Drohnenkrieg. Aber ich benutze Flugzeuge; ich zahle Steuern. Wir sind alle Komplizen.”—Anohni Ich habe als Teenager Songs über die Umwelt geschrieben. Mitte der 80er begannen diese Artikel aufzutauchen—Vorhersagen darüber, wie die Welt in 20 Jahren aussehen würde. Die ganzen Informationen über den Klimawandel waren damals schon da. Ende der 80er starteten die Erdölunternehmen dann eine Kampagne, um Lügen und Verwirrung zu verbreiten. Und es passiert heute noch: Die Fehlinformationen, die ganze Werbung, um der instinktiven Meinung der Menschen entgegenzuwirken, dass das[, was geschieht,] gar nicht in ihrem eigenen Interesse ist.Manifest Destiny (eine amerikanische Doktrin aus dem 19. Jahrhundert, die die Expansion der USA als göttliche Bestimmung bezeichnete) hatte da immense Auswirkungen. Als Menschen aus Europa in das Land strömten, war es für sie, als wären sie in einem großen Tresorraum gelandet. Sie mussten nichts weiter tun, als die Einheimischen umbringen und das Land plündern. Dann konnten sie ihre Beute entweder horten oder sie in ihre Herkunftsländer zurückbringen. Das war damals schon kein neues Modell, aber Amerika ist ein Ort, wo es wirklich Fuß gefasst hat. Es wurde hier zu einem Gründungsprinzip—diese Art virulenter Herangehensweise an den Konsum von Human- und natürlichen Ressourcen; und natürlich dem Konsum von Umwelt. Spielt die Natur eine Rolle in deinem Alltag? Nicht in dieser idyllisch-ländlichen Art. Für mich ist die Natur kein Fleckchen unberührter Wildnis. Ich habe einen wesentlich animistischeren Ansatz, den ich von [dem japanischen Tänzer] Ōno Kazuo und meinen Butoh-Studien gelernt habe: Alles ist Natur. Selbst die kärgsten Landschaften sind eine Form von Natur, genau wie leblose Objekte. Als Ōno Kazuo durch eine Stadt tanzte, fragten sie ihn: „Warum tanzt du nicht durchs Land?” Und er sagte darauf: „Ich bin in der Natur und tanze durch diese Ruinen. Die Landschaft von Hiroshima ist Natur, ich bin ein Teil von ihr und ich kann nicht von ihr getrennt werden.”Dahinter steckt die Vorstellung, dass alles leidet und alles lebt—selbst alles, das stirbt, befindet sich in einem Lebenszyklus. Die Erde, die Elemente, alle übriggebliebenen Tiere, der Ozean—alles ist immer noch sehr lebendig und voller Magie. Selbst wenn dieser Ort hier eine Ödnis sein wird, wird er noch immer voller Magie sein. Die menschliche Tragödie besteht allerdings darin, diese Biosphäre zu verlieren—sie ist alles, was wir je gekannt haben. Sie ist die Wiege unserer Seele und bestimmt unsere Selbstwahrnehmung als Spezies. Wir haben uns in einem Paradies entfaltet, das wir rücksichtlos ausschlachten. Mir ist bei den Texten aufgefallen, wie sehr das Persönliche und das Politische miteinander verbunden sind. Ein großes Thema des Albums ist meine eigene Mitschuld. Welchen Teil spiele ich darin in der Art, wie ich an Dinge herangehe; in meiner Dysfunktion, meiner eigenen Zerrissenheit? Wie besteht meine Mitschuld darin, wie ich mich selbst belüge? Von wegen: Mir kann man nicht die Schuld am Klimawandel geben. Hinrichtungen sind nicht meine Schuld. Ich bin nicht verantwortlich für Obamas Drohnenkrieg. Aber ich benutze Flugzeuge; ich zahle Steuern. Wir sind alle Komplizen.Damit das alles nicht einfach so klingt, wie ich mich anhöre, wenn ich hier sitze und mit dir rede, personalisiere und erotisiere ich es. Mein Talent ist das Träumen und das Annehmen einer anderen Gestalt. [In „Drone Bomb Me”] kann ich also aus der Perspektive eines sieben Jahre alten Mädchens singen, dessen Mutter, Vater und Bruder bei einem Drohnenangriff getötet werden—und sie schaut in diese kleine Linse der Drohne und sieht den Soldaten in seinem Bunker in Nevada. Und das ist ihre erste Liebe: Der amerikanische Soldat, der sie umbringen will. Sie ist unschuldig. Und wenn du in diesem Alter radikal traumatisierst wirst, dann gehst du damit so um: Du nimmst es in dich auf und machst es zu einem Teil deiner Realität. Was könntest du als Land im Schilde führen, außer mich so sehr zu lieben, dass du mich töten willst?„Drone Bomb Me” habe ich aus einer Stimmung totaler Wut heraus geschrieben. Und als effeminierte und weibliche Person drücke ich meine Wut am effektivsten gerissen aus. Es ist kein offensiver Wutangriff: Es ist viel mehr eine stetige, stoische, wütende Beharrlichkeit. Ich adressiere dich vielleicht durch einen Schleier der Zärtlichkeit. Du bist mein Angreifer, wie soll ich dich auch sonst adressieren? Der sicherste Ort bei jedem Angreifer ist es, sich an sein Bein zu klammern. Und so verhalten wir uns in Amerika. Wir hoffen weiter, dass diese Unternehmen im Herzen nur unser Bestes wollen—diese gigantischen Datenbanken würden natürlich nie für bösartige Zwecke missbraucht werden. Ich finde, die Art wie sie uns nach und nach überzeugt haben, freiwillig unser Recht auf Privatsphäre aufzugeben, war ziemlich genial. Was hat dich zu der Entscheidung getrieben, diese Themen auf dem Album anzusprechen? Ich bin immer jemand gewesen, der gut darin war, die Verbindung zwischen Dingen zu erkennen: Ich bin eine Kollagenkünstlerin und mag es entsprechend gerne, Verbindungen zu ziehen und zu entdecken. Aber ich habe Musik bislang immer aus diesem inneren Safe-Space heraus erschaffen. Früher ging es mir bei meiner Musik darum, mich selbst zu heilen und diese Selbsthilfe mit anderen Menschen zu teilen. Diese Platte ist da sehr anders. Sie ist wie Jean Genets Stück Der Balkon. Genet habe ich ständig im Hinterkopf, weil er diese ganzen wunderschönen, wirklich nach innen gerichteten Bücher geschrieben hat. Und am Ende seines Lebens hatte er die Schnauze dermaßen voll, dass er sich mit den Black Panthers anfreundete und Schriften gegen das politische System verfasste. Ich würde sagen, dass sich Spuren davon auf dieser Platte wiederfinden: Verachtung und Wut. Worauf führst du diesen Richtungswechsel zurück? Ich habe wirklich viel Arbeit darein investiert, Trauer und das Verarbeiten von Trauer zu erforschen. Ich habe einen Song mit dem Namen „Another World” geschrieben. Ich habe aus meiner Verzweiflung im Angesicht einer langsam sterbenden Welt geschöpft. Das alles fing aber an, sich zu passiv, zu milde und zu ästhetisiert anzufühlen. Ich habe nie auf etwas Konkretes verwiesen. Und ich glaube nicht, dass es noch irgendeinen Nutzen für diese Art von Musik gibt. Es ist wie bei der Titanic: Du kannst dich auf das Deck der Titanic setzen und der schönen Musik zuhören—oder auch nicht.Ich bin unglaublich sauer über das ganze Zeug und ich hatte große Angst davor, irgendetwas davon anzusprechen. Und meine Angst war es am Ende, die mich dann doch dazu gebracht hat. Ich habe nämlich gemerkt, dass dort so viel Energie ist. Warum habe ich so große Angst davor, diese Wahrheiten auszusprechen? Habe ich Angst vor dem, was Chelsea Manning passiert ist? Ist es diese Kriegserklärung gegen Whistleblower während Obamas Amtszeit, die immer mehr von uns davor zurückschrecken lässt, offen zu reden? Ist es die Tatsache, dass du höchstwahrscheinlich ins Gefängnis kommst, wenn du dich den Protesten anschließt, und nicht weißt, wann du wieder rauskommst? „Als effeminierte und weibliche Person drücke ich meine Wut am effektivsten hinterlistig aus. Es ist kein offensiver Wutangriff: Es ist viel mehr eine stetige, stoische, wütende Beharrlichkeit. Ich adressiere dich vielleicht durch einen Schleier der Zärtlichkeit. Du bist mein Angreifer, wie soll ich dich sonst adressieren?”—Anohni Wie gehen wir mit dem drohenden Schatten dieser totalitären Regierung um, die so tut, als würde sie nur unser Bestes wollen—uns vermeintlich beschützen will? Und das nach acht Jahren Obama? Acht Jahren voller Hoffnung, Transparenz und dem Ende des Lobbyismus? Alles, was wir bekommen haben, waren acht Jahre voller Drohnenbombardements, Eskalation und armseliger überparteilicher Verhandlungen. Chelsea Manning ist die einzige, die wegen Kriegsverbrechen verurteilt wurde, und sie sitzt jetzt für 35 Jahre im Gefängnis. Dick Cheney, sitzt der im Gefängnis? Karl Rove? Irgendeiner von den Folterern von Guantanamo Bay? Guantanamo ist immer noch nicht geschlossen und jeder, der in den letzten acht Jahren eigentlich in Guantanamo gelandet wäre, ist stattdessen einfach durch eine Drohne exekutiert worden—mitsamt der ganzen Familien und allen Umstehenden. [Obama] hat vielleicht ursprünglich gute Intentionen gehabt, aber er hat uns enttäuscht. Ich weiß, dass du in der Vergangenheit gesagt hast, dass einige deiner Songs bis zu zehn Jahre brauchen, bis sie wirklich fertig sind. War das hier auch der Fall? Es geht um Dinge, über die ich mir seit etwa 15 Jahren Gedanken mache. Und ich habe sie innerhalb weniger Tage geschrieben—ein paar Lieder ausgenommen. Sie umfassen nämlich mein ganzes Denken, es ist ein Katalog meiner Ansichten. Ich habe also schon lange daran gefeilt. Sobald ich Hudson Mohawkes Tracks gehört hatte, hatte ich das Gefühl das perfekte Trojanische Pferd dafür gefunden zu haben. Die Fröhlichkeit der Tracks bildet das perfekte Gegenstück. Für gute Stimmung zu sorgen und gleichzeitig etwas so Krasses zu sagen, fühlte sich einfach richtig gut an. Das erste Mal, als wir diese Tracks ausprobiert haben, hat sich das einfach abgefahren angefühlt. Es hat etwas Triumphierendes, wenn man die Wahrheit in die Welt hinausschreit—wenn auch nur kurz. Die elektronische Instrumentation bedeutet einen großer Wandel für dich. Bist du als Teenager viel in Clubs gegangen? Ich bin in den Suburbs aufgewachsen und dort herrschte ein sehr anderes Klima. Ich hatte nicht das Privileg, an einem Ort zu leben, wo die Leute besonders aufgeweckt waren. Ich bin in der UC Santa Cruz zur Uni gegangen. Johanna Constantine, meine kreative Partnerin, und ich sind gemeinsam nach New York gezogen. Wir hörten eine Menge Platten wie die John Sex 12″s und Marilyn and the Movie Stars. Es gab da auch diesen Film namens Mondo New York und darin gab es Songs von Dean Johnson und seiner Band Dean and the Weenies; Joey Arias, Phoebe Legere und Karen Finley tauchten auch alle darauf auf. Ich veranstaltete mit meiner Freundin diese „Midnight Musicals”, als ich in Santa Cruz zur Uni ging. Ich hatte eine Dozentin, die meine Arbeit sah und sagte, „Du musst nach New York ziehen. Das ist der einzige Ort, wo Menschen solches Sachen machen.”Ich bin dann an der NYU in diesem Programm für experimentelles Theater gelandet und habe das für zwei Jahre gemacht. Die erste Nacht, die ich dort angekommen war, bin ich mit einem Freund von mir in den Pyramid Club gegangen. Wir hatten davon in der Zeitung gelesen und ich wollte hin, weil es dort eine Drag-Performance geben sollte. Das Pyramid war in den 80ern bekannt dafür, ein Queer/Punk Crossover Club zu sein. [Nachdem] ich nach New York gezogen war, veranstaltete ich meine ganzen Performances und Theateraufführungen in den Clubs. Ich war insgesamt etwa sechs oder sieben Jahre in der Clubwelt unterwegs. Es war diese Tradition von Underground Performance Kunst, die in den New Yorker Clubs der 80er vorherrschte und dann mit der Inspiration von Menschen wie Divine und John Waters Filmen kombiniert wurde. Als junger Mensch war ich wirklich darauf versessen, meinen Platz in dieser Welt zu finden—in der New Yorker Queer/Punk-Subkultur. Ich würde diese Phase auch „die Geschichte des Transvestitismus in der Avantgarde, als er sich mit dem Punk-Impuls in der Musik vermengte”, beschreiben. Welche Art von Clubmusik hast du denn gehört?Es gibt ein bestimmtes Oeuvre solcher Musik, das ich wirklich liebe. Da ist ein Typ, Bobby Orlando, der Divine und The Flirts produziert hat. Es sind die gleichen drei Akkorde mit der gleichen Art von Beat—diesem unverwüstlichen Discobeat der frühen 80er. Dünn und billig wie der klassische New York Sound eben. Die ersten paar Tracks auf der Technotronic-Platte waren bei ihrer Veröffentlichung auch unglaublich aufregend. Ich erinnere mich noch daran, wie ich als Erstsemester „Pump Up the Jam” gehört habe und mir dachte, „Oh mein Gott, das ist so großartig!”Der andere große Einfluss aus der Dance-Musik kam für mich von Savoy Publishing in Manchester, England. Das war ein super undergroundiger Verlag, der Cartoons und Comics druckte, sowie eine Reihe von Underground-Platten veröffentlichte. Und sie wurden immer wieder von der Polizei geschlossen und ihr ganzer Kram konfisziert, weil sie in England als „Anti-Society” galten. Savoy veröffentlichte diese bombastisch-billigen Dance-Tracks, mit den heftigsten Lyrics, gesungen von Rowetta Satchell, einer wunderbar rotzigen britischen Soulsängerin, die auch mit den Happy Mondays zusammen Musik gemacht hat. [Die] hatten diesen Song, der ging in etwa so: „Garbage man, shoot your load and let it go.” Wir waren total versessen auf diese Lieder. „Open your mouth, let me piss in it”—der Song hieß „Golden Showers”. Was dem vielleicht am Nächsten kommt, ist Lil Kim und das war zehn Jahre später.Meine Freundin Johanna lebte in Manchester und kannte die Typen—und sie war einer der wenige Menschen im Besitz dieser 12″s. Als wir unsere eigene Veranstaltung im Pyramid starteten, waren diese Platten ein weiteres ästhetisches Herzstück von Blacklips. Das war diese Performancegruppe, die ich mit etwa 12 anderen entrechteten jungen Menschen ins Leben gerufen hatte, die wir damals im East Village kennengelernt hatten. Wir spielten diese Tracks also nach einem Divine Song, den wir wiederum nach einem Lied von Chrisitan Death auflegten. Und es war die Idee von scharfen Reißzähnen, die hinter den eingängigen Dance-Beats hervorschimmerten. Das war der Hauptaspekt der Inspiration dahinter. Das war es auch, worauf ich versucht habe, mich hinzubewegen. Du willst die Leute ja aufmuntern—und wenn du mit den Vocals dann etwas Unfassbares sagst, dann schockiert das. Wie war die Zusammenarbeit mit Hudson Mohawke und OPN?Es hat mit mir und OPN angefangen. Wir wollten ursprünglich eine „Japan-Imation” machen. Wir hatten diesen Traum so ein Queen Millennia-artiges Projekt mit Vocals—also quasi eine Kitarō-Platte mit Gesang—zu machen, was wir, wahrscheinlich zum Glück, wieder verworfen haben. Ich habe ihm dann ein paar Songs gezeigt, die ich bereits aus eigenem Antrieb heraus geschrieben hatte—alle auf die für mich klassische Art mit Klavier. Wir fanden dabei ein paar Sachen, die uns wirklich gut gefallen haben—langsamere Lieder, eher Balladen—und die sind jetzt auch auf dem Album.Ich kam dann irgendwie mit Ross ins Gespräch und er schickte mir einen Track, auf den ich für sein Album singen sollte. Er schickte mir noch einen Haufen anderer Tracks dazu, die ich mir dann quasi unter den Nagel gerissen habe. Ich rief ihn und sagte: „Ich mache dir eine Gesangsspur auf den einen Track und ich glaube, dass dir das Ergebnis wirklich gefallen wird. Und ich singe dann auch über die sechs anderen Tracks, die du mir geschickt hast. Kann ich die für mein Album haben?” Ich fand seine Songs wirklich erfrischend. Sie sind so hymnenhaft, bombastisch und überhaupt ist sein Gespür für Akkorde wirklich gut. In seinen Sachen stecken echte Emotionen, er ist ein echter Magier.Das Material von Ross geht gradlinig in eine Richtung, da schwimmt nichts gegen den Strom. Dan [Lopatin, Oneohtrix Point Never] geht die Dinge wiederum unglaublich verwinkelt und kaleidoskopisch an. Wir hatten ein paar Sessions, bei denen alle dabei waren. Sonst habe ich ihnen auch oft Material geschickt und Dan arbeitete dann daran in seinem Studio oder mit mir—es war eine sehr andere Herangehensweise. Und ehrlich gesagt, habe ich auch viel allein daran gearbeitet. Ich habe wirklich lange daran gesessen, rumgemixt und rumgespielt, Vocals aufgenommen und Material, das für einen Track gedacht war ,auf einem anderen ausprobiert. Es hat insgesamt drei Jahre gedauert. Das Cover von Hopelessness Warum hast du dich dazu entschieden, mit Produzenten anstatt einer Band zu arbeiten?Meine Idee war es, ein wirklich künstlich klingendes Dance-Album mit den besten Werkzeugen zu kreieren, die mir zur Auswahl standen. Ich wollte die Aktualität des Pop, weil ich wusste, dass dieses Album ein Trojanisches Pferd werden würde. Und ich wollte, dass es „plastik” genug, süß genug und betörend genug ist, damit ich mit meinen Worten einen echten Gegenpol erschaffen konnte und die Menschen es noch immer in sich aufsaugen würden. Diese Gaswolke der Euphorie ist die perfekte Verpackung für die Message. Das klingt jetzt alles sehr manipulativ—und es ist manipulativ.Die Art von Musik, die ich vor fünf Jahren gemacht habe, ist mittlerweile etwas antiquiert. Menschen machen noch immer Musik mit Akustikinstrumenten und Streichern; es ist schön, aber es befindet sich in keinem Austausch mit der aktuellen Kommunikation. Alle hören Rihanna. Alle hören Beyoncé und Kanye West. Warum hast du das Album „Hopelessness” genannt?Weil ich so viel Hoffnungslosigkeit gespürt habe. Weil ich angesichts der Entwicklung, die unsere Spezies in Beziehung zum Rest unserer Biosphäre eingeschlagen hat, so viel Hoffnungslosigkeit verspüre. Gleichzeitig ist Hoffnungslosigkeit keine Tatsache, sie ist ein Gefühl. Und ich kann dieses Gefühl verarbeiten, so wie ich auch Trauer und andere Gefühle verarbeiten kann—und das Leben geht weiter.Ich stehe also komplett hinter dieser Eyes Wide Open Kampagne. Wie weit kann ich meine Augen öffnen, wie viel kann ich sehen—wohlwissend, dass ich nie alles sehen werde? Und wie viel kann ich im Laufe dieses Prozesses in mich aufnehmen und wie viel Raum kann ich für die Wahrnehmung einer Realität freimachen, die ständig expandiert—mit dem Ziel, dass andere Menschen nehmen, was ihnen gefällt, und den Rest übrig lassen? Um auf deinen Namenswechsel zu sprechen zu kommen: Hat man dich auch schon „Anohni” genannt, bevor du damit an die Öffentlichkeit gegangen bist? Ich habe meinen Namen nie gemocht und dennoch war dieser Name aus vielen verschiedenen Gründen immer tief in mir verwurzelt. Ich habe dann schließlich den Schritt gewagt und meine Freunde darum gebeten, mich Anohni zu nennen. Und dann habe ich meine Familie angerufen—meinen Bruder, meine Schwester und meine Mutter. Es war einfach eine natürliche Entwicklung. In meinem Fall gehe ich offensichtlich nicht durch eine tiefgreifende, körperliche Transformation, die dir die ganzen visuellen Indikatoren dafür liefern würde, dass „Ich jetzt eine Frau bin”, oder was auch immer. Ich habe das Gefühl, dass mein Weg als Transmensch ein anderer ist—und da draußen gibt es eine Menge Transmenschen wie mich. Ich bin nie ein Mann gewesen und ich habe immer schon gesagt, dass ich kein Mann bin. Aber ich habe mit diesem männlichen Namen gelebt und einfach nachgegeben, wenn Menschen über mich in der männlichen Form gesprochen haben. Ich habe mich etwas dafür geschämt, nach mehr zu fragen. Ich habe also endlich den Mut aufgebracht zu sagen „Ich will, dass ihr mich in weiblicher Form ansprecht, weil ich möchte, dass ihr mein Wesen respektiert. Ich bin ein Transgendermensch, der für sein feminines Wesen und Seite erkannt werden möchte.”Und das ist, was ich bin. Ich verfüge über eine etwas andere Stellung als viele Transfrauen, da ich eigentlich immer im System einer Frau operiert habe—abgesehen von meinen ersten paar Jahren in New York City, als ich im System eines schwulen Mannes operieren musste. Ich weiß also nicht, wonach ich fragen soll: Ich habe eine Einladung für ein Dinner für weibliche Oscar-Kandidatinnen bei Diane von Furstenberg bekommen. Ich bin wirklich schüchtern, wenn es um so etwas geht. Ich habe nämlich das Gefühl, dass sie nicht wirklich der Meinung sind, dass ich es tatsächlich verdient habe, dort zu sein. So mutig ich in der Vergangenheit auch gewesen bin, ist es für jemanden wie mich sehr schwer den Bereich einer Frau einzunehmen und diesen Platz auch einzufordern—natürlich macht mich das traurig. Ich stand immer außerhalb dieser Kreise, weil ich nicht das Gefühl hatte, in der Mitte der Frauen willkommen zu sein. Andererseits wusste ich auch, dass ich nicht auf die Männerseite gehöre. Das ist das Problem mit der Dualität. Auf dem Cover des Albums ist eine Mischung aus deinem Gesicht und dem von Model Liya Kebede zu sehen. Bei den Live-Auftritten werden mehrere Porträts von anderen Frauen projiziert, die parallel zum Konzert laufen—ähnlich, wie auch Naomi Campbell im Video zu „Drone Bomb Me” Playback zu deinem Song singt. Warum verwendest du die Körper anderer Frauen als Platzhalter für deinen? In den frühen 90ern gab es diese Dance-Grupp namens Black Box. Die hatten Songs mit Namen wie „Right on Time” und „Strike it Up”—das waren große Hits. Martha Wash von den Weather Girls hat bei denen gesungen. Sie ist diese große Afro-Amerikanerin und war wahrscheinlich schon Ende 30, als es aufgenommen wurde. Also haben sie ein Model in Paris engagiert, um in allen Videos Playback zu singen und das Gesicht der Band zu werden. Von der Platte wurden dann mehrere Millionen Exemplare verkauft und das Projekt wurde ein riesen Erfolg. Erst danach wurde bekannt, dass Martha Wash die eigentliche Sängerin war. Das Ganze endete in einem Skandal, Martha klagte und bekam eine Entschädigung. Es ging alles nur darum, ein Paket zu schnüren, das die Menschen auch kaufen würden. Und es sollte verlockend sein: Eine wunderschöne Frau, die mit einer wunderschönen Stimme singt. Das war ein interessantes Paradigma für mich.Wenn Menschen meine Musik durch ihre Wahrnehmung meines physischen Körpers erfahren, schränkt das oftmals ihre Möglichkeit ein, sich wirklich dafür zu öffnen. Sie hören es schließlich durch meine Körper-Identität hindurch. Durch die Live-Show habe ich ein Mittel, ein amorphes, feminines Orakel zu kreieren und die Vorstellungskraft des Publikums wieder zu öffnen. Ich habe das auch bis zu einem gewissen Grad schon bei [meiner 2004er Kollaboration mit Künstler Charles Bradley] Turning gemacht. Ich habe mit 13 Frauen zusammengearbeitet, von denen wir Porträts gemacht haben, die hinter mir projiziert werden. Und ich konnte fühlen, wie mich ihr Geist durchströmte. Ich konnte mich dadurch auch selbst verändern—man bekommt ein spektraleres Gespür für das eigene Selbst, das die Stimme projiziert. Ich bin nie wirklich an meinem physischen Körper als visueller Leiter meiner Stimme interessiert gewesen. Mir war nie wohl dabei, auf der Bühne zu stehen und irgendetwas zu verhandeln, das Menschen sehen. [zeigt auf sich selbst] Ich war nie gut darin, mich zu verkaufen. Es ist immer ein unglückliches Nebenprodukt meines Daseins als Sängerin gewesen. Für mich war das also ein Mittel, um meinen Körper von meiner Stimme abzulösen. Meine Idee dahinter war, mich selbst auszulöschen.Ich habe mir also Gedanken über erstrebenswerte Körper gemacht und durch die Arbeit mit verschiedenen Models habe ich in gewisser Weise Körper gefunden, die das Material viel kraftvoller präsentieren können als ich. Zum Beispiel ist da das Video mit Naomi Campbell. Jeder weiß, dass sie nicht den Song singt. Es ist nicht wie bei Black Box, weil jeder weiß, dass ich es eigentlich bin. Durch Naomi verändert sich der Song aber total und er wird viel universaler—sie ist schließlich eine Ikone der Schönheit und der Weiblichkeit. Und natürlich ist er so durch die populäre Wahrnehmung verschiedener Menschen und Identitäten beeinflusst. So, wie man jemand Schöneres oder Jüngeres, jemand Älteres, jemanden aus einem Transhintergrund oder jemand Schwarzes wahrnimmt—wie ändert das die Resonanz eines Songs? Es geht auch darum, wem wir vertrauen? Wen überhöhen wir? Wer hat eine größere moralische Autorität? Auf wessen Stimme hören wir eher? Um auf die „Eyes Wide Open” Kampagne zu sprechen zu kommen: Es fühlt sich an, als würde man auf eine Wiese gucken und versuchen, jeden einzelnen Grashalm wahrzunehmen. Hast du dir jemals Sorgen darum gemacht, dass das der schnellste Weg sein könnte, verrückt zu werden? Bis zu einem gewissen Grad stimmt das wohl. Was in meinen Augen aber wichtiger ist, ist akkurat seinen Einflussradius einzugrenzen und innerhalb dieses Radius zu arbeiten. Ich verfüge momentan über einen Einflussreich, in dem ich mit dir als Medienvertreterin spreche und innerhalb dessen wir potentiell einen noch größeren Radius bedienen könnten. Ich werde also wirklich versuchen, alles zu sagen, was mir wichtig ist.Ich suggeriere jetzt nicht, dass alle direkt tief in die Materie eintauchen. Ich bin noch neu dabei und ich bin überfordert. Aber ich fühle auch, dass das mein Vergnügen ist. Ich habe extrem großes Glück, eine Gelegenheit zum Reden zu haben. Ich bin wahrscheinlich einer der ersten Transmenschen, der überhaupt in so einem Rahmen sprechen kann. Es gibt natürlich auch Transgespräche in Hollywood, aber da dreht sich alles nur um Transthemen. Ich rede aus der Perspektive eines Transmenschen über die ganze Welt. Ich fühle mich de Göttin unglaublich verbunden. Ich bin der Erde sehr dankbar, dass sie mir diesen Moment geschenkt hat. HOPELESSNESS ist am 6. Mai bei Secretly Canadian und Rough Trade erschienen.
Emilie Friedlander
[ "ANOHNI", "Feature", "HOPELESSNESS", "Hudson Mohawke", "Interview", "Oneohtrix Point Never" ]
Music
2016-05-11T16:35:00+00:00
2024-07-30T23:19:55+00:00
https://www.vice.com/de/article/ein-interview-mit-anonhi-der-groessten-stimme-unserer-zeit/
“Mein Leben ist nicht euer Porno”: Südkoreanerinnen wehren sich gegen versteckte Kameras
Vergangenes Wochenende sind in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul Tausende Frauen in roter, schwarzer und weißer Kleidung zusammengekommen und haben die wohl größte von Frauen angeführte Demonstration in der Geschichte des asiatischen Landes veranstaltet. Warum sie auf die Straße gegangen sind? Um auf das in Südkorea weitverbreitete Problem der Spycam-Pornografie aufmerksam zu machen. Beim sogenannten “Molka” werden Frauen heimlich dabei gefilmt, wie sie zum Beispiel öffentliche Toiletten benutzen, Rolltreppen in U-Bahn-Stationen fahren oder einfach nur an ihren Schreibtischen sitzen. Bei der Veranstaltung trugen viele Demonstrantinnen Masken, um sich selbst vor Belästigungen und Online-Trollen zu schützen. “Mein Leben ist nicht euer Porno” stand auf einem der Plakate. Auf einem anderen: “Ich will ohne Bedenken kacken gehen können”. Mehrere Frauen rasierten sich zudem eine Glatze, um ihre Wut gegen die Regierung deutlich zu machen. “Die Angst der Frauen vor den sogenannten Spycams ist nicht unbegründet“, sagte Chang Dahye gegenüber der Website Korea Exposé. Sie ist Forscherin am Korea Institute of Criminology, “Dabei geht es nicht nur um Aufnahmen beim Sex. Frauen werden auch heimlich dabei gefilmt, wie sie auf die Toilette gehen”, erklärt sie. “Dazu kommen Fotos von Frauen in Bikinis, bei sich zu Hause oder auf der Straße. Auf der Seite Soranet können Männer außerden Bilder von ihren Freundinnen oder Frauen hochladen und andere User dann deren Genitalien bewerten lassen.” Das Problem ist inzwischen so groß geworden, dass Seoul schon einen nur aus Frauen bestehenden “Spycam-Suchtrupp” organisiert hat, der in öffentliche Toiletten nach den winzigen Kameras sucht. “Ich muss sicherstellen, dass keine Frau dabei gefilmt wird, wie sie sich erleichtert”, sagte ein Mitglied dieser Gruppe der Zeitung South China Morning Post im vergangenen Jahr. “Es ist komisch, dass es Leute gibt, die so etwas sehen wollen. Unsere Arbeit ist wichtig, damit sich Frauen wieder sicher fühlen können.” Im Dezember 2013 führte die Regierung Südkoreas eine weitere, wenn auch kontroverse Maßnahme gegen den verstörenden Trend ein: Das Korea Elevator Safety Institute brachte Warnschilder an, auf denen Frauen dazu aufgefordert wurden, beim Benutzen einer Rolltreppe ihren Rock zu bedecken. Viele kritisierten, dass man hier die Verantwortung an die Frauen abtrete, statt etwas gegen die eigentlichen Täter zu unternehmen. Daraufhin änderten die Verantwortlichen den Text. Wie die Zeitung Korea Times berichtet, sei die Zahl der Sexualverbrechen in Zügen zwischen 2012 und 2014 um 84 Prozent gestiegen – und die Hälfte dieser Fälle trug sich in U-Bahnen zu. Auch auf Broadly: Der qualvolle Kampf gegen Rachepornos Mehr als 200.000 Menschen unterschrieben eine landesweite Online-Petition, in der die südkoreanische Regierung dazu aufgefordert wurde, den Verkauf von Spycams zu verbieten und Personen härter zu bestrafen, die man beim illegalen Filmen erwischt (meistens kommen sie mit einer Geldstrafe davon). Im Mai startete das Ministry of Gender Equality and Family deswegen eine Initiative, bei der Opfern von digitalen Sexualverbrechen – inklusive Rachepornos und heimlich unterm Rock geschossenen Fotos – jetzt unter anderem eine Therapie, Hilfe beim Löschen der Bilder und Rechtshilfe zusteht. “Wer Opfer eines digitalen Sexualverbrechens wird, dem wird die Regierung helfen”, hieß es in einem dazugehörigen Statement. Wie die Autorin Yeji Lee in einem Artikel für 10 Magazin schrieb, haben viele Kritiker bemängelt, dass das Ministerium es nicht schaffe, langfristige Veränderungen zu bewirken. Laut Lee liege das wirkliche Problem beim Kampf gegen die Geschlechterungleichheit in Südkorea darin, “dass es sich zum Großteil nur um ineffektive, halbherzige Versuche handelt, bei denen es mehr darum geht, das öffentliche Image einzelner Politikschaffender aufzupolieren, anstatt wirklich gleiche Voraussetzungen zu schaffen.” Laut einer neuen Studie hatten rund ein Viertel aller 2015 gemeldeten Sexualverbrechen mit dieser Art der Überwachungskameras zu tun. Dazu wiesen die Demonstrantinnen beim aktuellen Marsch darauf hin, dass man sich beim Kampf gegen Molka auch mit dem institutionellen Sexismus befassen müsse. “Unschuldig, wenn du einen Penis hast, schuldig, wenn nicht”, rief eine der Frauen. “Ist es schon ein Privileg, ein Mann zu sein?” Dabei handelt es sich sehr wahrscheinlich um eine Anspielung auf einen Vorfall vom Mai, bei dem eine Frau verhaftet wurde, weil die Polizei der Überzeugung war, dass die Bilder eines männlichen Nacktmodels – ihres Kollegen – ohne dessen Zustimmung online gestellt hätte. Dieses Vorgehen der Beamten ist quasi das genaue Gegenteil von dem, was viele weibliche Opfer ähnlicher Vergehen erfahren. Katherina Moon ist Gender- und Frauenrechtsexpertin mit Fokus auf Südkorea am Wellesley College. Sie sagt, dass die Spycam-Epidemie möglicherweise damit zu tun habe, wie südkoreanischer Männer mit den bildungstechnischen, ökonomischen, sozialen und politischen Fortschritten südkoreanischer Frauen in den vergangenen zwei Jahrzehnten umgehen – auch wenn der Trend zum illegalen Filmen und Fotografieren relativ aktuell ist. Laut einer neuen Studie der Korean Women Lawyers Association hatten rund ein Viertel aller 2015 gemeldeten Sexualverbrechen mit dieser Art der Überwachungskameras zu tun. “Das ist ein sehr großer Anstieg im Vergleich zum Jahr 2006. Damals waren Spycams nur bei 3,6 Prozent aller Sexualverbrechen involviert”, sagt Moon. Diese neue Machtdynamik habe zusammen mit einer durch wirtschaftliche Schwierigkeiten verursachten “sozialen und psychologischen Krise” bei jungen Südkoreanern die perfekte Grundlage für Unsicherheiten geschaffen, fährt die Expertin fort. Der Spycam-Gebrauch könne da ein “mehr passiver als aggressiver Weg, diese maskulinen Unsicherheiten und die sozio-ökonomische Unzufriedenheit gegenüber Frauen auszuleben” sein. Vor allem in den jüngeren Generationen gebe es viele Südkoreaner, die Frauen dafür verantwortlich machen, dass sie keine Beziehung führen oder im Berufsleben das Nachsehen haben. “Auf eine gewisse Art und Weise”, sagt Moon, “sieht der durchschnittliche Südkoreaner solche Vergehen als eine einfache Möglichkeit an, sich dafür zu rächen und Genugtuung zu verspüren.” Folgt Broadly bei Facebook, Twitter und Instagram.
[ "Broadly Feminism", "Broadly Power", "Gender", "molka", "non-consensual porn", "porn", "Power", "revenge porn", "South Korea", "spy cam", "women" ]
2018-06-14T10:51:24+00:00
2024-08-12T08:06:53+00:00
https://www.vice.com/de/article/mein-leben-ist-nicht-euer-porno-suedkoreanerinnen-wehren-sich-gegen-versteckte-kameras/
Nein, ,Presse’-Redakteur Wolfgang Greber, Sie dürfen ihr Kind nicht schlagen!
Update: Die Presse hat sich Montagmorgen erstmals in ihrer Geschichte ​von den Aussagen eines Redakteurs distanziert. Wolfgang Greber ist ein Mann offener Worte. In einem Artikel, der am 30.11. in der Tageszeitung Presse erschienen ist, beschreibt er, ​wie er seinen dreieinhalb Jahre alten Sohn M. bestr​af​t. Greber selbst nennt seinen Sohn übrigens im Artikel beim vollen Namen, aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes des Kindes verzichte ich darauf. Greber erklärt in seinem Artikel ganz offen, welche körperliche Züchtigungen er durchführt: „Okay ist Übers-Knie-Legen.” Im nächsten Satz versucht Greber die Relativierung, denn er würde das Kind ja ohnehin „nur mit leichtem Klopfen” schlagen. Ihm ginge es darum, „das Kind in eine ,blöde’ Lage zu bringen”. Eine blöde Lage also. Ein anderes Wort dafür wäre vielleicht „Demütigung”. Diese Demütigung wird sich übrigens auch auf einer anderen Ebene noch ewig fortsetzen: Das Internet vergisst nicht, und so wird auch in vielen Jahren, wenn M. bereits größer geworden ist, im Internet zu finden sein, dass er als Kind geschlagen wurde. Doch offenbar ist das Ganze laut Greber gar nicht so schlimm: „meist müssen wir beide dann lachen”. Ob der Dreijährige eventuell weint, wenn er mal nicht lacht, während er geschlagen wird? Ob das Lachen des Kindes aus der Verzweiflung über die Situation erfolgt? Welche Traumatisierungen des Kindes aus dieser Demütigung erfolgen könnten? Dazu erfahren wir leider nichts von Greber. Greber hat aber auch noch anderes parat: „Ich stehe zum Ohrenzieher. Wozu ich wirklich stehe, ist der Ohrenzieher als strengste Sanktion: Da wird M. nach ,1, 2, 3′ am Ohr gezogen. Nicht fest, aber doch. Nun, nachdem seine Trotzphase, die moderat war, vorbei ist, ist das fast nimmer nötig. Die (seltene) Androhung wirkt heute noch immer.” Offenbar also zieht Greber so sehr an den Ohren, dass der Schmerz oder die Demütigung bereits so tief in das Gehirn eines dreijährigen Kindes eingeprägt sind, dass alleine die Androhung ausreicht, um das Kind zu disziplinieren. Greber hält in seiner Erziehung auch nichts von leeren Drohungen. Er schreibt: „Drohungen aber müssen (1) selten sein, denn Inflation frisst den Wert. Sie müssen auch (…) konsequent, konsequent und konsequent noch mal umgesetzt werden: Wer Strafe nicht vollzieht, macht sich unglaubwürdig.” Und dann geht es offenbar rund im Hause Greber: „Wir verhängen Strafen erst nach einigen Andeutungen, denen Anzählen folgt: ,1, 2, 3.’ Wird bei drei nicht gefolgt, kommt die Strafe garantiert, ohne Debatte und Mäßigung.” Um das klar auszusprechen: Greber wendet Gewalt an, so ​wie sie von Kinderschutzorganisationen beschrieben wird. Und selbstverständlich hat diese Gewalt Auswirkungen auf ein Kind. Neben den unmittelbaren Folgen, also dem Schmerz und der Demütigung, können ​auch langfristige Folgen wie Traumatisierungen entstehen. ​Auf der Beratungsseite Gewaltinfo.at findet sich dazu folgende Erklärung: „Jedes Gewalterlebnis—sei es verursacht durch die Natur (Naturkatastrophen) oder durch Menschen in Form von Kriegen, Geiselnahmen, Unfällen mit drohenden ernsthaften Verletzungen aber eben auch interpersonelle Gewalt—kann ein Trauma auslösen. Derartige Ereignisse können in einem Menschen extremen Stress auslösen und Gefühle der Hilflosigkeit oder des Entsetzens erzeugen, sowie das Selbst- und Weltbild dauerhaft erschüttern. Hierdurch können die normalen Verarbeitungsprozesse im Gehirn blockiert werden und es kommt zur Ausbildung von psychischen Symptomen. Wenn Kinder Gewalt erleben, nimmt ihre Psyche Schaden. Dies trifft besonders zu, wenn die Gewalt in der Familie ausgeübt wird—selbst dann, wenn sie ,nur’ Zeugen sind.” Wohlgemerkt: sogar dann, wenn die Kinder „nur” Zeugen sind. Der kleine M. allerdings ist nicht nur Zeuge, sondern selbst betroffen. Für Greber allerdings ist Kritik an körperlichen Bestrafungen „infantil-romantischer, militant-pazifistischer Irrglaube”. Da bleibt Greber hart: „da ändert auch das gesetzliche Gewaltverbot nichts”. Und spätestens nun wird die Sache endgültig skandalös. Denn Greber weiß offenbar ganz genau, was er tut und dass körperliche Gewalt gegen Kinder schlicht verboten ist. Er weiß also, dass er sich über geltende Gesetze zum Schutz von Kindern hinwegsetzt. Die rechtliche Situation in Österreich ist eindeutig. In Österreich ist jede Form von Gewaltanwendung gegen Kinder als Erziehungsmittel seit 1989 gesetzlich verboten. Im Februar 2011 wurde dazu sogar ein eigenes ​Bundesverfassungsgesetz über die Rechte der Kinder beschlossen: „Jedes Kind hat das Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, die Zufügung seelischen Leides, sexueller Missbrauch und andere Misshandlungen sind verboten.” ​Der Paragraf 137 des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches ergänzt: „Eltern haben das Wohl ihrer minderjährigen Kinder zu fördern, ihnen Fürsorge, Geborgenheit und eine sorgfältige Erziehung zu gewähren. Die Anwendung jeglicher Gewalt und die Zufügung körperlichen oder seelischen Leides sind unzulässig.” Greber ist somit nicht einfach ein von der Erziehung überforderter Vater, dem wie es so schön verharmlosend heißt, die Hand ausrutscht. Auch dafür gibt es keine Rechtfertigung. Doch Greber ist mehr. Er handelt aus Überzeugung und rechtfertigt in einer der großen Tageszeitungen des Landes ideologisch und mit abfälligen Bemerkungen gegen gewaltfreie Erziehung, warum es richtig ist, sein Kind zu schlagen. Das alles offenbar im Wissen, dass er damit gegen geltendes Recht verstößt. Dass gerade die Presse diesen Artikel abdruckt, ist eventuell kein Zufall. Viel ist in diesen Tagen von sogenannten Parallelgesellschaften die Rede. Nun, hier haben wir eine klassische Parallelgesellschaft. Das konservativ-christliche Milieu, wo die „alten” Werte noch hochgehalten werden. Und dieses Milieu findet sich medial in Österreich eben traditionell in der Presse wieder. Welche Methoden der Erziehung in vielen katholischen Internaten vorherrschen, wird ja immer wieder an ​tragischen Beispielen bekannt, die ans Licht der Öffentlichkeit geraten. Das Verhalten von Greber verstößt höchstwahrscheinlich gegen die geltende Gesetzeslage zum Schutz von Kindern. Greber schließt seinen Artikel mit den Worten: „Also wir denken, dass wir das alles schon halbwegs richtig machen.” Nein, Herr Greber, das tun sie nicht. Wenn du selbst mit Gewalt gegen Kinder konfrontiert bist, oder Hilfe bei der Erziehung suchst, findest du ​hier AnsprechpartnerInnen in deinem Bundesland. Hier könnt ihr Michael auf Facebook folgen. ​Titelbild via: aka Quique via photopin cc
Michael Bonvalot
[ "gewalt", "Kinder", "presse", "Stuff", "Vice Blog" ]
2014-11-30T16:27:00+00:00
2024-07-31T03:54:28+00:00
https://www.vice.com/de/article/nein-presse-redakteur-wolfgang-greber-sie-duerfen-ihr-kind-nicht-schlagen-504/
Zum Fest ein Klassiker: „Hooligan-Oma” stürmt in der portugiesischen Liga den Platz
Auch wenn das Video—ähnlich wie die Omi—nicht mehr taufrisch ist, können wir uns an ihrem beherzt-entrüsteten Auftreten auf dem Spielfeld gar nicht satt sehen. Darum haben wir uns—und euch—pünktlich zu Weihnachten dieses Bonbon made in Braga einfach nochmal schnüren müssen. Ist ja auch fies, ne alte Dame zu schubsen!
VICE Sports
[ "Braga", "Fußball", "Highlights", "Hooligans", "Klassiker", "Kurios", "oma", "Portugal", "Sports", "VICE Sports" ]
2015-12-23T17:40:00+00:00
2024-07-31T02:34:19+00:00
https://www.vice.com/de/article/zum-fest-ein-klassiker-hooligan-oma-stuermt-in-der-portugiesischen-liga-den-platz-347/
Warum ich CDs hasse und was sie mit mir angestellt haben
Ich hasse CDs. Compact Discs. Ich hasse sie. In meiner Band ist das der Dauerwitz. Unser Label presst ein paar CDs für Promozwecke und wir nehmen ein paar mit auf Tour falls irgendjemand – irgendwer – nicht weiß wie ein digitaler Download funktioniert. Jedes Mal, wenn unser Label uns fragt, wie viele CDs wir mit auf Tour nehmen wollen, knurre ich und rolle meine Augen. „Keine einzige. Ich will nicht eine dieser verfickten CDs haben.“Meine Band denkt, dass ich verrückt bin und das bin ich auch. Schließlich verkaufen wir tatsächlich auch CDs auf den Shows. Das verwirrt mich wirklich sehr. Ich verstehe nicht, warum man eine CD haben will, wenn man doch die Platte kaufen kann und den digitalen Download stattdessen kriegt. Ich meine, man braucht ja nicht gleich einen Plattenspieler, aber das Vinyl ist doch toll. Es sieht gut aus. Vinyl hält länger. Deswegen gibt es sie auch noch im Jahr 2012 und deswegen haben sie gerade auch ein kleines Comeback, während man auf CDs inzwischen nur noch seine Lines zieht. CDs sind tot, Spät-80er Dreck und ich wünschte, sie würden dahin zurück gehen wo sie herkommen (was in meinem Kopf die Hölle ist). Warum ich CDs so sehr hasse? Sie sind begrenzt. Man bringt eine mit ins Auto und dann sitzt man mit ihr fest. Eine Mix-CD zu machen ist mehr als nur dumm. Ein Mixtape zu benennen hat so eine selbstgemachte, persönliche Abgeklärtheit, wohingegen Songs in einen Ordner auf dem Desktop zu ziehen und dann auf „Kopieren“ zu klicken viel gelöster ist. CDs funktionieren schnell nicht mehr. Sie zerkratzen und springen, wenn man sie nur falsch anschaut. Man muss so sehr auf sie aufpassen. Und zum Schluss sind CDs einfach stur. Wenn eine CD in deinem Autoradio stecken bleibt, wird sie nie wieder herauskommen. Bei einer Kassette kann man ja wenigstens noch mit einem Schraubenzieher in dem Rekorder rumstochern oder mit den Fingern und solange manövrieren bis sie rausspringt, aber eine CDs ist so dünn und so zerbrechlich. Sie fährt in die Anlage rein und wenn sie nicht mehr rauskommen will, kommt sie auch nicht mehr. Im Ernst, CDs sind ein Stück Scheiße. Warum ich das schreibe? Naja, weil das Fass gerade zum Überlaufen gebracht wurde. Vorher habe ich sie toleriert, aber jetzt, seit diesem Nachmittag ist es vorbei. Das letzte, was ich vor der Tour noch machen musste, war eine große schwere Kiste voller CDs nach Seattle zu schicken. Als ich die Box hochhob und die Treppen runter zu unserem Auto stapfte, war ich kurz verleitet die Kiste einfach in den Flur zu schmeißen. Bevor ich die CDs losschicken konnte, musste ich zu unserem Proberaum, um die richtigen CDs zu bekommen und sie in die Hüllen zu packen, die ich in der Kiste hatte. Zu versuchen in der Nähe meines Proberaums zu parken ist ein Albtraum, weil die Gasse voller Straßenleute und Drogendealer ist, die in dem einzigen guten Parkplatz der Straße vor und zurück laufen. So wie Tauben bewegen sie sich nie rechtzeitig, wenn man auf sie zufährt. Ihr Ausweichmanöver passiert erst in letzter Sekunde und es ist ein Wunder, wenn niemand verletzt ist. Ich parkte, stellte die Parkuhr und rannte in unseren Proberaum. Nachdem ich die bescheuerten CDs geholt hatte, versuchte ich mein Auto mit dem Knopf am Schlüssel aufzuschließen. Wir haben uns gerade einen neuen Van gekauft. Es ist eine Familienkutsche, sehr schick. Es hat eine Fernbedienung zum Türen öffnen. Wusstet ihr, dass die fast genauso dumm sind wie CDs? Als ich aus dem Auto ausstieg, versuchte ich aufzusperren, aber nichts ist passiert. Die rote „Akku leer“ Lampe leuchtete auf. Scheiße. Ich musste also den klassischen Weg gehen und schloss die Fahrertür mit dem Schlüssel auf. Plötzlich ging der Alarm los. Es fing sanft an, ging aber dann in eine lärmende Sirene über, als ich an dem Knopf fummelte und versuchte es abzustellen. Warum ging der Alarm an? Ich hab das Auto mit dem Schlüssel geöffnet, nicht mit einer Brechstange. Ich bekam Panik, als die Leute, die vorbeigingen, anfingen mich anzustarren. Sogar die Drogendealer schrien mich an. „Mach deinen Scheißalarm aus, Mädchen!“ Die Frauen, die neben ihnen standen lachten und schrien mich auch an. „Komm schon, du Dummkopf!“Ich flippte aus und schrie sie mit einer ganzen Reihe „FUCK“s zurück an, während ich wie wahnsinnig in meinem Telefonbuch jemand suchte, den ich anrufen kann. Der Alarm ging immer noch. Ich steckte den Schlüssel in die Zündung. Nichts. Ich drückte auf allem rum. Jeden Knopf. Nichts, also rief ich den vorstädtischen Familientypen an, der mir den Van verkauft hatte, um ihn nach Hilfe zu fragen. Er erzählte mir, dass ihm das auch einmal passiert ist und das einzige, was man machen kann, ist die Batterie zu wechseln. Er schlug vor, dass ich zum nächsten Laden renne. Das hat er jedenfalls getan, als es ihm das eine Mal passiert ist, sagte er. Zwanzig Minuten später kam ich mit einer neuen Batterie zum Auto zurück. Ich musste durch ein komplettes Einkaufszentrum laufen, um sie zu finden, und musste verzweifelt die Mädchen vom japanischen Ein-Dollar-Laden anbetteln, dass sie mir helfen meine Fernbedienung zu öffnen, um herauszufinden, was für eine Batterie drinnen war. Wisst ihr wie schwer es ist eine winzig kleine Batterie für eine Fernbedienung in einem von Drogen belagerten Einkaufszentrum zu finden, in dem es nur Solarien, McDonalds Ein-Euro-Läden und ein paar seltsame Kioske gibt? Es ist schwer. Als ich durch das Einkaufszentrum rannte, rasend vor Wut, war das einzige, woran ich denken konnte die CDs. Ich habe ihnen eine Persönlichkeit gegeben und sie zum Leben erweckt. Das war ihre Schuld! Die bescheuerten hilfsbedürftigen CDs. Warum verschicke ich CDs? Ich hasse CDs. Ich bin fertig mit den Nerven. Als ich endlich zum UPS Laden kam, fing ich an die CDs in die CD Hüllen zu packen, total in Rage. Ich habe jede einzelne verflucht. Es könnte sein, dass die Leute schon geguckt haben, aber das war mir egal. Ich kam nicht mehr klar. Es hat 60$ gekostet die CDs zu verschicken. Ich hätte sie nach Seattle für deutlich weniger Geld treten können.Was ich wirklich an unserem neuen Auto hasse ist, dass es einen CD Player hat. Als ich von der Post nach Hause fuhr, fing die CD an zu wackeln. Ich nahm sie raus und schmiss sie in den Müll. Dummes Stück Scheiße, diese CD. @myszkaway
Mish Way
[ "CD", "Features", "Hass", "Mish Way", "Music", "Noisey", "Noisey Blog", "Vinyl" ]
2012-07-17T00:00:00+00:00
2024-07-31T05:58:54+00:00
https://www.vice.com/de/article/warum-ich-cds-hasse-und-was-sie-mit-mir-angestellt-haben/
Der Fußball braucht seine schrillen Originale
Er hat es wieder getan: Fotograf, Filmemacher, Pott-Kind und Fußball-Enthusiast Gerrit Starczewski widmet den wahren Helden der Kurven erneut einen Film. Pottoriginale 2, der in Zusammenarbeit mit Cutter Patrick Rönsch entstand und am 17. März im UCI Ruhr Park in Bochum uraufgeführt wird, ist eine Liebeserklärung an die Menschen, die langsam, aber sicher aus den Stadien verschwinden. Und aus dem Pott. Die Kutten, die Lederoutfits, die langen blonden Haare, die Schnauze. Das zeichnet sie aus, seine Originale. Wie den liebenswerten, dem Bier niemals abgeneigten Tankwart a.D.. Oder den VfL-Jesus, der mit 50 immer noch in der Bettwäsche seines Vereins schläft – und in ebenjenem Bett sogar eine Schalkerin vernascht. Oder den philosophierenden RWE-Sandy und wie sie noch alle heißen … Pottoriginale 2 lässt sie ausführlich zu Wort kommen und porträtiert feinfühlig seine emotionalen Protagonisten. Wir haben uns mit Gerrit Starczewski unterhalten, um herauszufinden, was seine Originale von durchschnittlichen RTL-Protagonisten unterscheidet und was Rockstar Pete Doherty in diesem Film zu suchen hat. Lest euch das ganze Interview über die Pottoriginale auf VICE Sports durch.
Lukas Krombholz
[ "Bochum", "esportes de verão", "fans", "Fußball", "ruhrpott", "Sport" ]
2017-03-19T18:30:00+00:00
2024-07-30T19:28:59+00:00
https://www.vice.com/de/article/warum-der-fussball-seine-schrillen-originale-braucht/
Oscar Santos ist herrlich oberflächlich
Als ich Oscar Santos, ein Fotograf in San Francisco, danach fragte, wie er seine Arbeit beschreiben würde, antwortete er: „Es regt mich immer verdammt auf, wenn Leute diese klassischen Fachausdrücke benutzten, wenn sie mit mir über Fotografie reden, und dann von Tiefenperspektive und anderem dummen Zeug redet, weißt du? Für mich geht’s in der Fotografie einzig um Licht und Oberfläche, weil es das ist, was wir sind.“ Das fand ich irgendwie ziemlich tiefsinnig. Viel Spaß mit seinen Fotos von heißen Frauen, die Drogen nehmen. Hier kannst du mehr von Oscars Arbeiten sehen. Natürlich kannst du ihm auch auf Twitter folgen: @AllWorkNoPay
[ "Fotos", "Odd Future Wolfgang Kill Them All", "Oscar Santos", "san francisco", "Vice Blog" ]
2012-11-30T08:00:00+00:00
2024-08-12T06:04:16+00:00
https://www.vice.com/de/article/oscar-santos-is-all-about-the-surface/
Für diesen asozialen Tackle gegen eine Schiedsrichterin wurde ein Rugby-Spieler für drei Jahre gesperrt
In der zweiten italienischen Rugby-Liga ist es zu einem schweren Zwischenfall gekommen. Bruno Andres Doglioli hat die Schiedsrichterin, Maria Beatrice Benvenuti, von hinten brutal umgecheckt. Laut der Gazzetta dello Sport erlitt sie dabei nur ein Schleudertrauma. Wenn man sich die Bilder anschaut, wie sie unkontrolliert auf den Boden fliegt, grenzt das fast schon an ein Wunder. Sie konnte das Spiel sogar noch bis zum Ende weiterleiten. Weiter geht es hingegen nicht für den Übeltäter. Denn den hat der italienische Rugby-Verband für drei Jahre aus dem Verkehr gezogen. „Der Italienische Rugby-Verband will mit dieser Bestrafung—der härtesten in den letzten 20 Jahren—ausdrücklich unterstreichen, dass er bei Regelverstößen—und vor allem Verstößen gegen die Grundwerte unseres Sports—eine Nulltoleranz-Politik verfolgt. Aufgrund seines Alters, Doglioli ist schon 33, ist es gut möglich, dass er nie wieder auf den Platz zurückkehren wird. Ist vielleicht auch besser so. Doglioli wollte sich übrigens nicht zu seinen Motiven äußern. Er hatte von Benvenuti eine gelbe Karte bekommen, die kann aber kaum seinen Ausraster erklären.
[ "andere sportarten", "bruno andres doglioli", "gewalt", "Highlights", "italian rugby", "rugby", "rugby highlights", "Sports", "VICE Sports" ]
2016-12-16T11:01:39+00:00
2024-08-12T11:16:08+00:00
https://www.vice.com/de/article/fuer-diesen-check-gegen-eine-schiedsrichterin-wurde-ein-rugby-spieler-fuer-drei-jahre-gesperrt-271/
Die unheiligen Selfie-Sticks von Rom
2014 stand Rom auf der Liste der meistbesuchten Städte der Welt auf Platz 14—in der EU sogar auf Platz 3. Früher war eine Digi-Cam noch das geläufigste Accessoire der Touristen in der italienischen Hauptstadt, aber das Smartphone hat die Kamera inzwischen schon längst abgelöst. Eine ganze Zeit lang wurden besagte Smartphones noch auf die berühmten und wunderschönen Bauwerke Roms gerichtet—eben wie damals die Kameras. 2015 hat sich das Bild allerdings verändert, denn jetzt stellen sich die Touristen selbst in den Fokus. Dieser Umstand macht den Selfie-Stick wohl zum Gewinner des Jahres. Mehr von Andreas’ Fotos findest du auf seiner Website.
Andreas Langeland Bjørseth
[ "Fotoreihe", "Fotos", "Italien", "ROM", "selfie", "Selfie Stick", "Touristen", "Urlaub", "Vice Blog" ]
2015-08-24T10:33:00+00:00
2024-07-31T01:28:53+00:00
https://www.vice.com/de/article/die-unheiligen-selfie-sticks-von-rom-462/
Rockerclubs und Deutschrapper: Die Chronologie einer innigen Liebe
Früher war alles besser. Motorradfahrende Familienväter mit dem nötigen Ehrenkodex sorgten für Ruhe auf dem Kiez und Rapper reichten sich in der Cypher nach dem Battle die Hände. Die Stieber Twins keepten es real und Frank Hanebuth sicherte mit seinen Jungs die Diskotüren der Republik. Friede, Freude, Eierkuchen. Wollten Motorradclubs Präsenz zeigen, sperrten sie ganze Straßenzüge ab und knatterten durch die City. Ansonsten waren die Rocker durchaus gerngesehene Gäste in Rathäusern und auf Straßenfesten. Etwas knorrige, aber eigentlich grundsympathische Typen. „Immer noch besser als die Albaner“ lautete der Tenor vielerorts. Wollte man sich wiederum im Rap-Game beweisen, forderte man David P oder MC Rene zum Freestyle-Battle heraus. Als MC konnte man damals auch noch ohne Probleme im Morgenmagazin auftreten, keine Moderatorin musste befürchten, dass Mütter gefickt werden. Potentielle HoGeSa-Fans vermissen heute die Zeit der „anständigen Rocker“, als die alte Garde noch das Sagen hatte. Und Menschen, die immer noch Cora E hören sind sehr traurig, dass ihre Musik so verhunzt wurde von diesen Typen, die nie Rilke gelesen haben und überhaupt nicht wissen, wer Torch ist. Das Problem an der Sache ist nur: Rocker waren noch nie anständige Typen. Auch damals schon verdienten sie ihr Geld mit Prostitution, Menschenhandel und Waffen. Und euer Rap? Der war halt größtenteils scheiße. Ab einem gewissen Zeitpunkt begannen Deutschrapper, sich mit breitgebauten Männern in ihren Videos zu schmücken. Ungefähr zeitgleich begann in Rockerclubs ein Umbruch, der dazu führte, dass die eher Rock- und Metal-affinen Motorradjungs der 90er durch eine neue Generation ersetzt wurden, die sich im Rap verwurzelt sah. Und da ein nicht unbedeutender Anteil der neuen Mitglieder weder ein Motorrad noch einen Führerschein besaß, musste eine neue Paradestrecke her, beziehungsweise ein Ort, an dem man der Außenwelt zeigen konnte: Wir sind jetzt da, wir haben Kutten, halt besser deine Fresse. Die tonangebenden Rapper wiederum kamen teilweise aus dem gleichen Milieu. Man kannte sich seit Kindheitstagen und konnte nun voneinander profitieren. Eine Hand wäscht die andere. Und wenn man sich nicht kannte, dann zahlte man eben einen gewissen Teil seines sauer verdienten Geldes für den im Deutschrap mittlerweile legendären „Rücken“. Aber wann und wo hat das alles eigentlich begonnen? Wir haben uns mal an einer kleinen Chronologie versucht. Einer der ersten, der die Kette rausholte und den Kragen hochschlug, war Bass Sultan Hengzt. Laut eigener Aussage und auch nach Meinung einiger „Experten“, das optische und teilweise auch inhaltliche Role Model für Bushido. BSH, wie er sich zwischendurch nannte, tauchte bereits in der ersten Staffel der HDF-Reihe von Aggro.TV mit den sogenannten Muchachos Boys aus Berlin-Neukölln auf, die bewiesenermaßen auch eine Menge Motorräder besaßen. Ich erinnere mich ebenfalls an ein Konzert in Berlin, wo die Gang ungefähr die Hälfte des Publikums ausmachte, und für schlechte Laune bei den eher pimpfigen Fans sorgte, da man weder über die Rocker rüber, noch an ihnen vorbei schauen konnte. 25 Euro rausgeworfen für den Anblick einiger schwarzer Kutten und ein paar ausrasierter Nacken. Na toll. Inzwischen bekommt man von der Verbindung nichts mehr mit, BSH hat relativ erfolglos versucht, Radiomusik zu machen und die Muchachos haben auf ihrer Facebookseite ganze 14 Likes angesammelt. Wenn sie nicht wesentlich cleverer als all die anderen Rocker sind, die regelmäßig ihr Gesicht in die Kamera halten und dem LKA damit eine Menge Arbeit ersparen, dann darf man davon ausgehen, dass Sie keine Rolle mehr spielen oder sich anderen MCs (doppeldeutig!) angeschlossen haben. Was den Mainstream betrifft, legen wir uns auf jeden Fall fest: Hengzt hat es erfunden, auch wenn es sicherlich andere Rapper gab, die sich vorher schon mit Rockern gezeigt hatten und die Muchachos eher eine Gang als ein MC waren. Das Video jedenfalls ist der Prototyp des klassischen HDF-Gewackels mit gefährlichen Dudes im Hintergrund. Ketten raus, Kragen hoch! Was in Berlin gut funktionierte, wurde in Düsseldorf natürlich übernommen. Auch Kollegah, damals noch etwas weiter entfernt vom „Überboss“, beschloss, sich ein paar Typen mit Kutten ins Video zu stellen. Merkwürdigerweise wirkt das Ganze ziemlich gecastet, ein wirkliches Drohszenario stellt sich irgendwie nicht ein, auch wenn lauchige Redakteure wie wir im Dunkeln die Straßenseite wechseln würden. Eine Symbiose aus Künstler und Club ist nicht erkennbar, eventuell liegt das aber auch an den „Werft die Hände in die Luft“-Moves der versammelten Meute, die teilweise doch eher nach Eckkneipe als nach Hantelbank aussieht. Auch Kolles Performance trägt nicht zum harten Rockerlook bei. Gezupfte Augenbrauen und Bräunungscreme, da kommt irgendwie keine Route 66-Stimmung auf. Zu keinem Zeitpunkt wird hier wirklich klar, um welche Gruppierung es sich in dem Video handelt, entweder, weil man darauf keine Lust hatte oder weil die Kutten aus dem Kostümverleih zusammengeklaut waren. Auf jeden Fall handelt es sich um Jungs aus dem Ruhrpott, na gut. Kollegah zeigt sich inzwischen nur noch mit Pelzmänteln und tschechischen Gogo-Tänzerinnen in seinen Videos. Zum Image des Übermächtigen passen keine breiteren Männer im Nacken. Hier dürfte es sich eher um eine Video-Beziehung handeln, so wie zwischen dir und deiner sympathischen Skype-Freundin aus Chile, die du neulich auf Chat-Roulette kennengelernt hast. Etwa zur gleichen Zeit begann auch Fler sich mit Rockern zu zeigen. (Eventuell hat Fler Rockerclubs auch Ende der 40er Jahre in den USA erfunden). Im Gegensatz zu seinen Vorgängern fuhr er jedoch gleich das ganz harte Kaliber auf: die Hells Angels Berlin aka NOMADS MC. Hauptsächlich befördert durch seinen Freund Beko, durfte Fler sich die Jungs ins Video stellen, mit denen man wirklich keinen Ärger haben will. Das Chapter um Kadir P., das in kürzester Zeit die Zügel an sich riss, gilt als eines der kompromisslosesten in Europa. In „Echte Männer“ versammelt er das Who-Is-Who der 81ers, samt eine für Irritationen sorgende Thor-Steinar-Jacke. Aber gut, provozieren will gelernt sein. Und Flizzy hat gelernt. Inwiefern es auch hier sinnvoll war, sich derart der Öffentlichkeit zu präsentieren und damit die Polizei und die Boulevard-Hauptstadtpresse zu provozieren, sei mal dahingestellt. Bald darauf überschlugen sich die Ereignisse, Fler wurde angeblich von Mitgliedern des Chapters angegriffen, dann behaupteten andere Rapper, er hätte gegen die einstigen Beschützer ausgesagt, schließlich zeigte er sich wieder mit seinem Kumpel Beko und die Stimmen der „Alle gegen Fler“-Fraktion wurden wieder leiser. Ein Großteil des Chapters sitzt inzwischen wegen Mord in einem Berliner Wettbüro. Alles in allem scheint es sich hier um eine ambivalente on/off-Beziehung zu handeln. Fler kokettiert stets gerne mit Symbolik und Optik der Rocker, behauptete jedoch immer wieder, mit alldem eigentlich nicht wirklich was zu tun zu haben und gar nicht zu wissen, was die da so machen. Aber wieso auch, Frank White jagt dich schließlich mit dem BMW, nicht mit der Harley. Hallo, Bree! Infolge der Rocker-Inflation im Deutschrap, begannen nun auch unzählige Member zu rappen. Das Netz quillt über vor schlecht produzierten Tracks und Videos, in denen sich immer mehr Kuttenträger ihrer Dorfgemeinschaft präsentieren. Wer weniger als 50 Schränke im Video hat, kann sich sofort verpissen. Und wir reden hier nicht von IKEA-Werbespots. Ein Club ohne eigenes Musikvideo ist kaum noch denkbar, aus sämtlichen Ecken des Landes melden sich die Harley-Fans. 90% der Tracks kann man sich leider keine zehn Sekunden anhören, ohne den Laptop an die Wand werfen zu wollen. Zu den wenigen Ausnahmen darf man Toni der Assi zählen, hier mit einem seiner ganz frühen Werke, dessen Refrain unglaublich sympathisch nach einer Super RTL-Cartoon-Serie klingt. Lange vor der PEGIDA-Fraktion sorgte er mit seiner merkwürdigen Fixierung auf Angela Merkel und seinen Wortschöpfungen für Aufsehen. Entsprungen ist er den Black Jackets, einer Türsteher-Gang aus Baden-Württemberg. Nicht nur durch seine Art zu rappen, auch durch seine unbestreitbaren Entertainerqualitäten und Lines wie, „Wir sind was anderes, anders wie die anderen / Wir sind kein Verein oder Kinder wo ‘ne Bande sind“ hat Toni sich einen Platz in unserem Herzen erspielt. Er dürfte dabei einer der Ersten gewesen sein, der ernsthaft den Sprung aus dem Rocker/Streetgang-Milieu ins Rap-Game geschafft hat. Wir lieben Angela Merkels große Liebe, besonders weil er sein erstes „Halt die Fresse“-Video allen „Homo-Dildo-Redakteuren“ widmete. Inzwischen erscheint Toni der Assi ab und zu auf der Bildfläche, um dann wieder für mehrere Monate zu verschwinden. Ein Umstand, der uns vermuten lässt, dass er in Sachen Street Credibility ganz vorne mit dabei ist. In letzter Zeit hat vor allem Manuellsens Verbindung zu Rockern für Gesprächsstoff gesorgt. Nicht nur, dass er immer wieder die 81 supportet und sich auch hin und wieder mit der Hells-Angels-Kutte zeigte. Zusätzliche Brisanz bekommt die Geschichte durch die Behauptung einiger Menschen, dass dunkelhäutige Mitglieder bei den Hells Angels generell verboten seien. Der in Berlin geborene Mühlheimer hat sich zu dieser Thematik immer wieder geäußert, teils mit klaren Bekenntnissen zum Club, teils mit dem Hinweis, er möchte dazu nichts sagen. Nichts Genaues weiß man. Dementsprechend reicht es ihm auch, in seinen Videos mit Anspielungen, Codes und einem ab und zu durchs Bild fahrenden Motorrad aufzuwarten. Fotos zeigen ihn hingegen mit Necati „Neco“ Arabaci, dem mutmaßlichen Präsidenten der „Nomads Turkey“, gesucht per EU-weitem Haftbefehl und laut Ermittlern hauptverantwortlich für den Krieg zwischen alter Garde und neuer Generation innerhalb der Hells Angels. Besonders auf Instagram präsentieren sich Manuellsen und zig weitere Angels zeigefreudig, posten unzählige Bilder von Treffen und Abzeichen, verlinken sämtliche Mitglieder oder Freunde und zeigen damit einmal mehr, dass es hier überhaupt nicht darum geht, im stillen Kämmerlein zu agieren. Präsenz, Einschüchterung und Dominanz, mit diesen Mitteln agieren Rockerclubs seit jeher. Darauf angesprochen, kommen meist die gleichen Antworten: Es gehe im Grunde nur un die „Bruderschaft“ und „Loyalität“. Manuellsen ist ein Gratwanderer, heute Rapper, morgen Rocker. Oder eben beides. Motorradclub hin oder her, zumindest hat Manuellsen mit seinem letzten Album Killemall endlich die Aufmerksamkeit bekommen, die er als MC durchaus verdient. Hellgate, habibi! Seit Neuestem sind nun auch die frisch gegründeten „Osmanen Germania“ fleißig am rappen. Der laut eigener Aussage harmlose Boxclub brüstet sich in den Clips zwar ebenfalls mit sämtlichen Delikten, die das Strafgesetzbuch so hergibt, besteht aber darauf, ein wohltätiger Verein zu sein. Optik und Symbolik sind allerdings auch hier ganz klar dem Rockermilieu entnommen. In martialischen und teils nationalistischen Videos präsentiert man sich als klassische Alpha-Tiere. Musikalisch bewegt sich das Ganze natürlich nicht auf dem Level der hauptberuflichen Rapper mit Rockerbezug. Generell scheint die Zeit der 500 Türsteher im Video im professionellen Bereich glücklicherweise etwas vorbei zu sein. Musikvideos dieser Art dienen eher als Image-Clip denn als wirklicher Einstiegsversuch in die Charts. 50.000 YouTube-Klicks scheinen den meisten genug Erfolg, man muss sich ja auch noch um sein Bike kümmern. Wenn man denn überhaupt eins hat. Jetzt auf VICE: Was wollen die „Osmanen Germania“ Auch inhaltlich unterscheiden sich die zahllosen Club-Songs nicht wirklich. Ein bisschen Steroide und Frauenhandel da, etwas Schutzgelderpressung hier. Mit Rap hat das Ganze ziemlich wenig zu tun, auch wenn sich Remzi in diesem Fall an atemberaubenden Tripletime-Rhymes versucht. Grund für die Rocker-Flaute im Rap ist sicherlich auch der Umstand, dass die Zeit des ganz großen Beefs im Rap vorbei ist. Endlos-Streitigkeiten, etwa zwischen Farid Bang und Fler langweilen nur noch, kein Mensch interessiert sich für Toonys Kontakte, die Szene ist breiter und vielfältiger geworden. Man darf sogar wieder mit guter Musik überzeugen. Übrig bleiben also ein Haufen Rocker-Member, die ihre Prägung und ihre Vorstellungen von Rap nicht mehr loswerden, und sich in wild zusammengeschnittenen Clips als Übermenschen präsentieren. Die richtigen Rapper sind größtenteils weitergezogen und hängen jetzt lieber mit Radiomusikern oder auf Twitter rum. Shit happens. ** Folgt Noisey bei Facebook und Twitter.
Georg Bakunin
[ "bass sultan hengzt", "Deutschrap", "Features", "gang", "Kollegah", "motorrad", "Music", "Noisey", "Rocker" ]
2016-02-25T06:00:00+00:00
2024-07-30T21:14:35+00:00
https://www.vice.com/de/article/rockerclubs-deutschrapper-damals-heute-chronologie-285/
Wir haben noch ein paar tolle Bilder von unserem Geburtstag bekommen
Analoge Bilder brauchen halt immer ein wenig länger. Deshalb gibt es auch erst heute diese Bilder von unserem fünften Geburtstag am 15.6. im Künstlerhaus. Alle anderen Bilder könnt ihr euch hier anschauen.
VICE Staff
[ "Fotos", "Künstlerhaus", "Photo", "Vice Blog", "Vice party", "VICE wird 5" ]
2012-06-18T22:00:00+00:00
2024-07-31T06:58:13+00:00
https://www.vice.com/de/article/wir-haben-noch-ein-paar-tolle-bilder-von-unserem-geburtstag/
Das Regime der Zentralafrikanischen Republik versklavt die eigenen Bürger
Alle Fotos von Christian Werner Aus der ,Wir haben euch vermisst’-Ausgabe Seit 2013 eskaliert in der Zentralafrikanischen Republik ein Bürgerkrieg zwischen der muslimischen Rebellenkoalition Séléka und den hauptsächlich christlichen Anti-Balaka, die lose mit der Regierung verbunden sind. Im Februar 2016 wurde Faustin-Archange Touadéra von der Union für die Erneuerung Zentralafrikas zum Premierminister gewählt, doch viele bezweifeln, dass er das gespaltene Land einen kann. Die Goldmine in Ndassima ist ein Paradebeispiel für die Probleme, die vor dem Land liegen: Seit dreieinhalb Jahren zwingen Séléka-Soldaten Zivilisten, nach Gold zu graben. Mit den Profiten finanziert die Séléka ihre Rebellion gegen die Regierung. Boda, Zentralafrikanische Republik— In Boda gibt es eine der größten muslimischen Enklaven. Die zentrale Moschee in Boda ist eine der wenigen, die den Konflikt überdauert hat. Gambo, Zentralafrikanische Republik—UN-Friedenstruppen kamen vor 16 Monaten in die Republik. In dieser Zeit ist es ihnen nicht möglich gewesen, die Bevölkerung zu beruhigen und Frieden herzustellen. Die kongolesischen UN-Truppen sollen Zivilisten und Zivilistinnen ermordet und vergewaltigt haben. Bambari, Zentralafrikanische Republik— Ein junger Christ wurde in einem Dorf in der Nähe von Bambari von mehreren Menschen angegriffen. Muslimische Séléka-Rebellen brannten sein Dorf nieder und töteten aus Rache viele der Bewohner. Dieser Mann hat überlebt. Bangui, Zentralafrikanische Republik—Am Flughafen M’Poko in Bangui landen die Flugzeuge direkt in einem riesigen Lager von intern Vertriebenen. Diese Menschen sind hierher geflohen, weil sie so näher an den MINUSCA-Einheiten der UN sind, die sie vor Angriffen schützen können. Bambari, Zentralafrikanische Republik — Aufgrund der heftigen Konflikte zwischen der hauptsächlich christlichen Gruppe der Anti-Balaka und den muslimischen Séléka haben die meisten jungen Männer zwei Jahre lang gekämpft, anstatt Landwirtschaft zu betreiben. Die größte Folge nach den vielen Todesfällen ist Mangelernährung.
Christian Werner
[ "boda", "Bürgerkrieg", "DIE WIR HABEN EUCH VERMISST AUSGABE", "Fotos", "gewalt", "gold", "Islam", "Jahrgang 10 Ausgabe 3", "Jahrgang 12 Ausgabe 1", "krieg", "Photo", "Photos", "Séléka", "terror", "UN", "VICE Magazine", "Zentralafrikanische Republik" ]
2016-05-14T05:00:00+00:00
2024-07-30T22:11:14+00:00
https://www.vice.com/de/article/zentralafrikanischen-republik-0001242-v12n1/
‘Fake News’-Debatte: Warum wir die Wahrheit nicht relativieren dürfen
Was “Fake News” sind, ist theoretisch nicht einfach zu beantworten, aber im Alltag ganz leicht zu definieren: “Fake News” sind immer die anderen. “Fake News” sind das, was die politischen Gegner verbreiten, die Trolle in Russland, die komischen Kids in Mazedonien, die dubiosen Internetseiten, die Reporter, die Donald Trump mit lästigen Fragen nerven. Der Begriff “Fake News” ist schon kurz nach seiner Ankunft im allgemeinen Sprachgebrauch ein Kampfbegriff geworden: Er wird nicht mehr benutzt, um ein konkretes, klar umrissenes Phänomen zu beschreiben, sondern um ihn jemandem um die Ohren zu schlagen. Folgt Motherboard auf Facebook, Instagram, Snapchat und Twitter In diesem Sinne lässt sich der Begriff “Fake News” auch gut fürs eigene Marketing benutzen. Verlage werben damit für sich, dass sie keine “Fake News” verbreiten. Regionalzeitungen schmücken sich mit dem Satz des SPD-Politikers Sigmar Gabriel: “Wer etwas gegen ‘Fake News’ machen will, soll einfach Regionalzeitungen abonnieren.” Mathias Döpfner, der Präsident des Zeitungsverlegerverbandes, sagt: “‘Fake News’ ist eben nicht professioneller Journalismus, sondern genau das Gegenteil”, und das stimmt natürlich. Aber es klingt gleichzeitig auch nach: Wir machen sowas nicht. “Fake News” erkennt man ganz einfach daran: dass sie die anderen verbreiten. Schön wär’s. In Deutschland hat die Bild-Zeitung einen jahrzehntelangen Vorsprung im viralen Verbreiten von Falschmeldungen, der von den schlimmsten “Fake News”-Online-Schleudern erst einmal aufgeholt werden muss. In Großbritannien gibt es das besonders eindrucksvolle Beispiel, dass viele hartnäckige Mythen über den angeblichen Irrsinn der EU Anfang der neunziger Jahre von einem jungen Brüssel-Korrespondenten des vermeintlich seriösen Daily Telegraph in die Welt gesetzt wurden. Sein Name: Boris Johnson – heute ist er Außenminister. Als das Recherchebüro Correctiv Anfang des Jahres als erste Redaktion in Deutschland bekannt gab, in Zusammenarbeit mit Facebook gegen “Fake News” kämpfen zu wollen, klang es, als müsse man sich um die etablierten Medien gar nicht kümmern. Die seien eher “Vorbilder im Umgang mit Falschmeldungen als Objekte der Fake-News-Entblößung”, hieß es damals. Das war treuherzig. Nicht nur, weil die etablierten Medien eine lange eigene Tradition der Falschmeldung haben, sondern weil die neuen Mechanismen, die die Verbreitung von Falschmeldungen begünstigen, für alle gelten. Deshalb ist es eine gute Idee, sich bei einer Untersuchung von “Fake News” auf Facebook nicht auf die üblichen Verdächtigen zu konzentrieren. Dass die irre Verschwörungstheorie sich besser verbreitet als die traurige, gefährliche Wahrheit über jemanden, der auf sie hereinfiel und deshalb mit einer Waffe ein Restaurant stürmte, zeigen die Zahlen der von “Epoch Times” geteilten “Pizzagate”-Geschichten. “Fake News” – das zeigt die Auswertung von Motherboard – zahlen sich aus. Auf Facebook lohnt es sich, eine Geschichte zu versprechen, die nicht oder nicht ganz stimmt: Sie wird dann häufiger geteilt, findet größere Verbreitung. Das ist natürlich weder eine Überraschung noch eine neue Erfahrung. Journalisten haben immer schon versucht, ihre Nachrichten möglichst aufregend klingen zu lassen, damit sie sich besser verkaufen. Die gleiche Strategie gilt auch im Social Media-Zeitalter – nur, dass der Effekt sich dadurch noch potenziert, dass der eingefangene Leser die Schlagzeile durch einen Klick gleich noch weitervertreibt. Die mächtigsten “Fake News” sind die, die unglaublich erscheinen, aber bestätigen, was wir immer schon geahnt haben. Sie geben einem vorhandenen Vorurteil eine neue Dimension. Es ist, einerseits, schwer, der Verführung zu widerstehen, von solchen klicktreibenden Tricks Gebrauch zu machen. Insbesondere wenn sich ihre Wirkung mit modernen Analysetools, die wie Chartbeat die eigene Reichweite in Echtzeit anzeigen, sofort messen lässt. Andererseits sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, den Boden der Wahrhaftigheit nicht zu verlassen, wenn das Geschäft der Journalismus ist und nicht die Propaganda und auch nicht die Klickmaximierung. Was bringt die Übertreibung, die aus einer wahren Aussage eine unwahre macht? Die Wirkung ist nicht immer so groß, wie ich sie erwartet hätte. Es wundert mich nicht, dass ein Artikel mit der (falschen) Überschrift “Europa verabschiedet sich von der Pressefreiheit” der meistgeteilte bei RT Deutsch im Untersuchungszeitraum war. Es wundert mich, dass der Artikel mit der (richtigen) Überschrift “EU-Parlament stimmt für Resolution, die zum Kampf gegen ‘russische Propaganda’ aufruft” nur ein paar Dutzend Mal seltener geteilt wurde. Dass die irre Verschwörungstheorie sich besser verbreitet als die traurige, gefährliche Wahrheit über jemanden, der auf sie hereinfiel und deshalb mit einer Waffe ein Restaurant stürmte, zeigen die Zahlen der von “Epoch Times” geteilten “Pizzagate”-Geschichten. Bezeichnend ist auch, dass es eine (falsche) Geschichte über die Abschaffung von Weihnachten unter die meistgeteilten Facebook-Posts im Untersuchungszeitraum geschafft hat: “Wir sind ein muslimisches Geschäft” heißt es in dem Facebook-Anreißer der Huffington Post. Der Anreißer baut auf der Mär auf, dass seit ein paar Jahren an allen Stellen im Land alles, was mit Weihnachten und unserer traditionellen christlich-hyperkommerziellen Version davon zu tun hat, im vorauseilenden Gehorsam entfernt wird. Dieser Glaube wird durch immer neue und überwiegend falsche oder mindestens missverständliche oder übertriebene Beispiele genährt. Das Beispiel zeigt auch, dass es falsch ist, sich beim Kampf gegen “Fake News” auf die Facebook-Mechanismen und die einzelnen übertriebenen Schlagzeilen zu konzentrieren. Die erfolgreichsten Lügengeschichten stehen auf den Schultern vieler vorhergehender Lügengeschichten. Man weiß als Journalist oft nicht, was die “Wahrheit” ist, aber man kann anerkennen, dass es sie gibt und sie nichts Relatives ist: Man kann versuchen, ihr so nahe wie möglich zu kommen. Auch dabei spielt wieder Bild eine größere Rolle: Immer wieder sind es ihre Aufreger-Geschichten, die von anderen Medien geteilt werden, im schlimmsten Fall noch weiter zugespitzt. Klassische übertrieben reißerische, irreführende oder falsche Medien-Meldungen sind oft der Treibstoff für die “Fake News”-Maschine Facebook. Bei Medien wie RT Deutsch oder Sputnik kommt natürlich noch ein klarer propagandistischer Spin hinzu. Nach der Auswertung von Motherboard sind von den untersuchten nachrichtlichen Facebook-Posts rund zehn Prozent falsch, rund zwanzig Prozent “na ja”. Das ist ein erschreckend hoher Wert. Aber auch die 15 bzw. 11 Prozent, die bei Focus Online Politik bzw. Bild als irreführend oder falsch klassifiziert wurden, sind viel zu hoch. Das Beispiel Spiegel Online zeigt, dass es kein Naturgesetz ist, dass jedes sechste oder neunte Ei faul sein muss. Es ist keine unvermeidliche Tatsache, dass ein erheblicher Teil dessen, was ein Nachrichtenmedium auf Facebook postet, ein bisschen “drüber” ist, weil es so verführerisch ist. Diese Kritik bedeutet nicht, dass nicht auch Fehler passieren dürfen. Die werden immer vorkommen. Es bleibt aber, wie es immer war, eine bewusste Entscheidung und ein Ausdruck von Qualität, ob ein Medium sich der Wahrheit verpflichtet fühlt. Und damit fängt es an: Als Nachrichtenseite dem Leitmotiv, die Wahrheit zu berichten, zu folgen. Ja, den Wert der Wahrheit nicht zu relativieren. Obwohl es im Nachrichtenalltag unübersichtlich, schnell und schmutzig zugeht. Man weiß als Journalist oft nicht, was die “Wahrheit” ist, aber man kann anerkennen, dass es sie gibt und sie nichts Relatives ist: Man kann versuchen, ihr so nahe wie möglich zu kommen. Und man kann anerkennen, dass Kategorien wie “richtig” oder “falsch” klare Kategorien sind und keine subjektiven Labels. Damit fängt es an. Autorenbild: Imago
Stefan Niggemeier
[ "Analyse", "bild", "Epoch Times", "Facebook", "fake news", "Falsches auf Facebook", "falschmeldung", "focus", "Medien", "Motherboard", "recherche", "RT", "Social Media", "Spiegel Online", "sputnik", "Tech", "Viral", "wahrheit" ]
Tech
2017-09-19T10:29:00+00:00
2024-07-30T20:46:44+00:00
https://www.vice.com/de/article/fake-news-debatte-warum-wir-die-wahrheit-nicht-relativieren-duerfen/
Auf diesem Schwarzmarkt verkaufen Teenager ‘Fortnite’-Accounts
Wenn jemand in deine Wohnung eingebrochen ist, merkst du das spätestens, sobald du in dein verwüstetes Wohnzimmer trittst. Bei Yasmin war das anders. Sie war live dabei. Obwohl keine Tür aufgebrochen, keine Vase umgeworfen und kein Kleiderschrank durchwühlt wurde, merkte Yasmin sofort, dass etwas nicht stimmte. Ein Fremder kaperte ihr Fortnite-Konto, Yasmin verfolgte alles in Echtzeit auf ihrem Smartphone. Es ist Dienstagvormittag, Februar 2019, als auf dem Smartphone der 21-Jährigen eine Nachricht erscheint: 99 Euro wurden ihrem PayPal-Konto abgezogen, von Epic Games, dem Unternehmen hinter Fortnite. Vergeblich versucht Yasmin sich, bei ihrem Epic-Games-Account einzuloggen, wie sie im Gespräch mit VICE berichtet. Dann blinkt eine weitere Meldung auf: Der Unbekannte hat erneut zugeschlagen, diesmal 30 Euro. Yasmin öffnet Twitter, um eine frustrierte Nachricht zu verfassen – und ist in bester Gesellschaft. Denn wer auf Twitter Begriffe wie “Fortnite account hacked” sucht, stößt auf die Geschichten von Hunderten Gamerinnen. Fremde haben ihre Passwörter geändert, ihre Freunde gelöscht, mit ihren verknüpften PayPal-Accounts Geld verpulvert. Der Fremde, der mit Yasmins PayPal-Zugang auf Shopping-Tour ging, ist Teil eines riesigen Schwarzmarkts für Fortnite-Accounts. Viele Kunden und Dealer sind keine Profi-Hacker, sondern Teenager mit kaum Programmier-Skills. Sie sind Scriptkiddies, die aus dem Kinderzimmer heraus mit dem Knacken von Fortnite-Accounts ihr Taschengeld aufbessern. In mehreren Wochen Recherche ist VICE der Spur der Fortnite-Dealer gefolgt, um die Dimension dieses Schwarzmarkts abzuschätzen. Von den Kinderzimmer-Knackern führt die Spur über Discord-Kanäle bis hin zu Telegram-Gruppen, in denen Dealer mit geklauten Fortnite-Accounts Tausend Euro pro Woche verdienen wollen. Vor der Polizei hat hier offenbar keiner Angst, man fühlt sich sicher. Fortnite kam im Juli 2017 auf den Markt, und es dauerte nicht lange, bis das Spiel Ziel von Crackern wurde – so nennt man Hacker, die sich auf digitale Einbrüche spezialisieren. Gehackte Accounts gibt es zwar, seit es Online-Gaming gibt. Doch noch nie war die Beute so groß, denn für das größte Online-Game, das es jemals gab, geben Spielerinnen und Spieler weltweit Milliarden aus. 2018 soll der Fortnite-Entwickler Epic Games drei Milliarden Dollar Gewinn gemacht haben. Richtig gelesen: Gewinn. Nicht Umsatz. Zwar gibt Epic Games den über 200 Millionen Spielern ausführlich Tipps, wie sie mit sicheren Passwörtern und Zwei-Faktor-Authentifizierung verhindern können, dass ihr Account geknackt wird. Aber solange solche Sicherheitsmaßnahmen freiwillig bleiben, finden Hacker weiterhin Opfer. Fortnite-Fans, unter ihnen viele Schülerinnen und Schüler, verbinden ihren Account mit ihren PayPal-Konten oder den Kreditkarten ihrer Eltern und tauschen Euros und Dollars in V-Bucks um, das ist die virtuelle Ingame-Währung von Fortnite. Damit kaufen sie virtuelle Gegenstände und Ausrüstung, sogenannte Skins. Einen Vorteil im Spiel haben sie dadurch nicht, aber der Avatar sieht schicker aus. Sie können sich optisch vom Rest der Spielenden abgrenzen, das bringt Aufmerksamkeit und Anerkennung: im Spiel, im virtuellen Freundeskreis, auf dem Schulhof. Ein kleines Taschengeld reicht aber nicht, um sich ständig neue Skins zu leisten, diese kosten gerne mal 20 Euro. Kein Wunder also, dass Hacker und Scriptkiddies mit krimineller Energie ihre Chance wittern: Sie packen altbekannte Cracking-Werkzeuge aus, knacken Accounts und verkaufen sie im Internet. Entstanden ist dabei ein hierarchisch organisierter Schwarzmarkt mit Top-Crackern an der Spitze, Großhändlern in der Mitte und kleinen Verkäufern, die ihre Ware marktschreierisch auf Twitter und Instagram anbieten. Hier gibt es Accounts mit seltenen Skins auch mal für wenige Euros. Ein Preis, der vielen Kundinnen und Kunden offenbar schmeckt, um ihre Freunde zu beeindrucken. Das Problem: Hinter jedem geknackten Account steht irgendein anderer Gamer, der abgezogen wurde. “Solange keine Polizei kommt, ist es OK” Um Fortnite-Accounts zu knacken muss man kein IT-Profi sein. Ein bisschen Taschengeld als Startkapital und der dringende Wunsch nach einem neuen Hobby reichen aus, um in der Cracker-Szene durchzustarten. Cracker besorgen sich in Foren und Chat-Gruppen sogenannte Combos, also Kombinationen aus Benutzernamen und Passwörtern. Diese Combos stammen meist aus Datenbanken mit gehackten Nutzerdaten, häufig E-Mail und Passwort, die nicht einmal etwas mit Fortnite zu tun haben müssen. Die Hoffnung der Cracker: Faule Gamer verwenden gerne identische Benutzernamen und Passwörter für mehrere Accounts. Oft genug lassen sich Accounts auf diese Weise durch simples Ausprobieren kapern. Der BBC-Journalist Joe Tidy hatte sich Ende 2018 mit den Fortnite-Crackern beschäftigt. Im Spiel will er einen der “erfolgreichsten Hacker” im Fortnite-Business getroffen haben: einen 17-jährigen Slowenen. Das BBC-Video sorgte in der Cracker-Szene für einige Belustigung – mehrere Cracker sagten gegenüber VICE, dass der Journalist lediglich an der Oberfläche des Schwarzmarkts gekratzt hätte. Tidy erklärt, der slowenische Cracker habe ihm Kontoauszüge gezeigt, die darauf hinweisen, dass manche der verkauften Accounts über Hundert Pfund wert seien. Insgesamt habe er 16.000 Euro eingenommen, prahlt der Cracker. Und Reporter Tidy kriegt die Kinnlade nicht mehr hoch: “Während wir uns unterhalten, wird klar, dass ich mich mit einem der größten Hardcore-Cracker da draußen unterhalte. Dieser Typ geht die Extra-Meile.” Tatsächlich ist es nicht schwer, diesen “Hardcore-Cracker” aufzuspüren: Sein Geschäftsmodell basiert nämlich darauf, dass seine Kunden ihn auf Twitter finden. Er lässt sich sogar Direktnachrichten schicken, ein Service für unzufriedene Kunden. Denn: Öffentliches Anschwärzen ist geschäftsschädigend. Auf eine Textnachricht reagiert der 17-jährige Jugendliche schon nach wenigen Sekunden. Vorsichtig ist er nicht, auch als wir ihm sagen, dass wir Journalisten sind. “Welche Infos brauchst du?”, fragt er. Wir fragen nach seinen Verkaufszahlen, warum er crackt, wie er lebt. Ausgelassen erzählt er aus seinem Leben: Die Schule schwänze er nicht, sagt er, aber das sei auch nicht nötig. Er brauche nur vier bis fünf Stunden Schlaf, in der restlichen Zeit cracke er Accounts, quasi als Nebenjob. Das Geld, das er einnimmt – an guten Tagen seien das über Hundert Euro –, gebe er wahllos für Schuhe, Markenklamotten, oder Technik, etwa einen dritten Monitor, aus. Seine Eltern würden sich keine Sorgen machen – sie verstünden aber auch gar nicht, was er an seinem Rechner genau mache. “Sie sagen, solange keine Polizei kommt, ist es OK”, schreibt er. Er schickt Screenshots, die die Verkaufszahlen seiner Online-Shops belegen sollen: Demnach macht er rund 15.000 Euro Umsatz bei etwa 2.700 Transaktionen. Das Geld habe er in rund einem halben Jahr damit verdient, dass er Gamern Login-Daten für gecrackte Accounts verkaufte. Es lässt sich nicht beurteilen, ob der Cracker die Screenshots manipuliert hat, um sich als besonders reich darzustellen. Mit Blick auf seine mehreren Zehntausend Follower auf Twitter und den durchschnittlichen Preisen von drei bis fünf Euro pro Account könnten die Zahlen aber durchaus stimmen. Der Slowene fühlt sich sicher, und damit ist er nicht allein. Die Szene hat eine überschaubare Größe und ist gut vernetzt. Die Cracker kennen sich zum Teil persönlich, haben sich in unzähligen Chatnachrichten beigebracht, wie man Accounts knackt. Ein Cracker aus Deutschland erzählt im Gespräch mit VICE über die Chatplattform Discord, wie er in die Szene kam: Freunde hätten ihn auf Twitter in einen Chat aufgenommen, in der sie sich Tutorials hin- und herschickten, neue Tools vorstellten, Tipps fürs Cracken gaben. Ein weiterer Cracker aus Deutschland schickt uns wie der Slowene Screenshots, die belegen sollen, wie viel er in seinem Shop verkauft. Demnach scheint er ähnlich viel Erfolg zu haben wie der Slowene. Durchschnittlich will er etwa 70 Euro am Tag mit dem Verkauf von gecrackten Accounts verdienen, an einem Tag seien es sogar rund 350 Euro gewesen. Auch bei ihm lässt sich aber nicht abschließend prüfen, ob die vorgezeigten Einnahmen echt sind. Die beiden deutschen Cracker sagen, sie sind 14 und 16 Jahre alt. Beim Gespräch über Discord muss einer kurz das Mikrofon ausschalten, weil seine Mutter etwas von ihm will. Was sie genau machen, wüssten ihre Eltern nicht, sagen sie. Sie verdienen sich schon länger in der Cracker-Szene ein zusätzliches Taschengeld. Der 14-Jährige habe mit elf mit dem Cracken von Minecraft-Accounts angefangen, also noch bevor es Fortnite gab. Große Strippenzieher sind die beiden crackenden Teenager aber auch nicht. Der Markt für gekaperte Fortnite-Accounts ist groß – und voll mit Betrügern. Sogenannte Scammer liefern die versprochene Ware einfach nicht und sacken das Geld ein. Andere Betrüger wollen offenbar nur Follower gewinnen und locken Fortnite-Fans mit Clickbait und falschen Verlosungen. Cracker wie die beiden deutschen Teenager investieren viel Zeit, um sich von den Betrügern abzuheben: In ihren Shops bitten sie ihre Kunden, ihren Service öffentlich auf Twitter zu loben. Das gibt Außenstehenden wiederum die Möglichkeit, zu erahnen, wie groß der Handel mit geknackten Fortnite-Accounts ungefähr ist. VICE wird auch in Zukunft über Hacking in der Gaming-Branche berichten. Wenn ihr Informationen dazu habt oder selbst betroffen seid, könnt ihr den Autoren Jan Lindenau direkt per E-Mail anschreiben. Die Händler legen in ihren Shops offen, dass alle Accounts gecrackt sind. Sie versprechen sogar eine Geld-zurück-Garantie, wenn die verkauften Login-Daten nicht stimmen. Die Käufer der Accounts sollen aber bloß nicht das Passwort ändern, heißt es. Sonst fällt den eigentlichen Besitzern sofort auf, dass der Account gehackt wurde, und sie lassen ihn sperren. Für den Kunden eines Crackers heißt das: Wenn er sich einen gehackten Account kauft, muss er hoffen, dass die Besitzerin ihn möglichst selten nutzt und von dem Hack nichts merkt. Schon kann er sich ab und zu in den fremden Account einloggen und seine Kumpel mit einem seltenen Skin beeindrucken. Nur, was sollte gerissene Gamer davon abhalten, doch das Passwort zu ändern? Häufig passiert genau das: Cracker und Käufer schließen die eigentlichen Besitzer aus ihrem Accounts aus und kaufen sich mit den verknüpften Bankaccounts rasch V-Bucks und Skins, die sie auch an andere Spieler verschenken können. In einer anderen Liga spielen die Großhändler, die bündelweise Fortnite-Accounts verkaufen. Die deutschen Cracker, mit denen VICE gesprochen hat, sprechen mit Ehrfurcht von spezialisierten Cracker-Foren und Telegram-Gruppen, wo sich diese Großhändler kontaktieren lassen. Hier treiben sich keine naiven Gamer mehr rum, die auf der Suche nach einem seltenen Account auf einen Twitter-Betrüger reinfallen. Händler müssten an die Admins der Telegram-Gruppen Geld zahlen, um dort ihr Angebot zu posten, erklären die Cracker. Kleinere Händler wie die deutschen Teenager lauern hier auf gute Angebote, die sie etwa via Twitter weiterverkaufen können. Die Preise in den Telegram-Gruppen sind im Vergleich niedriger, denn hier wird oft bündelweise eingekauft. Bezahlt wird meist nicht mehr über PayPal, sondern mit Kryptowährungen, vor allem Bitcoin. Einer der großen Händler lässt sich nach mehreren Anfragen zu einem kurzen Chat mit VICE überreden. Mehrere Cracker, mit denen wir vorher gesprochen haben, bezeichneten seinen Shop als den zeitweise größten in der Cracking-Szene. Der Händler ist sehr vorsichtig, kein Vergleich zu den Jugendlichen auf Twitter. Zuerst möchte er sich absolut sicher sein, mit einem Journalisten zu sprechen. Auf einer privaten Website, die eindeutig einem VICE-Autor zuzuordnen ist, sollen wir zu einem bestimmten Zeitpunkt ein bestimmtes Wort hinzufügen. Als das Wort erscheint, scheint der Dealer beruhigt zu sein. Er berichtet, auf dem Markt gebe es Hunderte Händler, die kaum Umsatz generieren würden. Wir fragen, wie er den slowenischen Jugendlichen einschätze, der laut BBC ein “Hardcore-Cracker” mit täglich Hundert Euro Umsatz sei. Der Großhändler antwortet mit nur einem Wort: “Winzig.” Mit seinem Shop will er mehrere Tausend Euro pro Woche umgesetzt haben – eine Aussage, die andere Cracker wiederum für realistisch halten. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist den Crackern bewusst, dass ihr Geschäft illegal ist. Einer erzählt von einer Hausdurchsuchung bei einem Bekannten, die allerdings nichts ergeben hätte. Fortnite-Entwickler Epic Games verbietet in den Nutzungsbedingungen den Handel mit Accounts. Und auch im Strafgesetzbuch gibt es einen Paragrafen für Computerbetrug, der nach Auffassung mehrerer Rechtsexperten auf das unbefugte Verwenden von Daten und damit auf das Cracken von Gaming-Accounts angewandt werden kann. Bekannt geworden ist allerdings noch kein Fall, in dem sich ein Fortnite-Cracker vor einem deutschen Gericht verantworten musste. Was machen die großen und kleinen Fortnite-Cracker eigentlich, wenn der Fortnite-Hype mal vorbei ist? Experten für Online-Kriminalität, wie etwa der britische Kriminalbeamte Ethan Thomas, der auch im BBC-Video auftritt, befürchten: Die Cracking-Szene könnte für manche der Einstieg in die Kriminalität sein. Als Yasmin, die 21-jährige Studentin, den Hack ihres Fortnite-Accounts bemerkte, reagierte sie sofort. Bei PayPal konnte sie die Transaktionen des fremden Nutzers rückgängig machen, die verlorenen 130 Euro waren am nächsten Tag schon wieder auf ihrem Konto. Auch den Hacker konnte sie schnell wieder aus ihrem Fortnite-Account aussperren: Zufällig hatte sie ihren Epic-Games-Account mit Facebook verknüpft und konnte auf diese Weise das Passwort ändern. Dann meldete sie den Vorfall dem Support-Team von Epic, das ihren Account sperrte, überprüfte und schließlich wieder freigab. Wir haben Epic Games in einer E-Mail am 11. März gefragt, wie viele gehackte Accounts seit Veröffentlichung des Spiels gemeldet wurden, wie das Unternehmen gegen diese Verstöße ihrer Nutzungsbedingungen und den Schwarzmarkt vorgeht. Wenn wir eine Antwort erhalten, werden wir den Artikel entsprechend updaten. Epic Games hatte lediglich im Jahr 2018 in einem Blogeintrag erklärt, wie Gamer ihre Accounts unter anderem vor Crackern schützen können: etwa mit Zwei-Faktor-Authentifizierung und einzigartigen Passwörtern. Yasmins Fortnite-Account dürfte in Zukunft vor Crackern sicher sein. Doch solange es weiterhin Gamer gibt, die bereit sind, für seltene Skins zu stehlen – und Gamer, die ihre Accounts nicht optimal absichern – wird der Schwarzmarkt weiter blühen, für Dealer, Kunden und Scriptkiddies. Folge Jan bei Twitter und VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.
Jan Lindenau
[ "Fortnite", "Gaming", "Hacking", "Kriminalität", "Motherboard", "Tech" ]
2019-03-13T09:56:34+00:00
2024-07-30T13:57:42+00:00
https://www.vice.com/de/article/fortnite-skins-kaufen-der-schwarzmarkt-gehackter-fortnite-accounts-schwarzer-ritter/
As I Lay Dying sind mit “My Own Grave” zurück, aber niemand sollte das feiern
Tim Lambesis, der vielleicht dümmste Kriminelle der Metalcore-Welt, brachte heute mit der kompletten alten Besetzung seiner Band As I Lay Dying den neuen Song “My Own Grave” samt Musikvideo heraus – und die Fans feiern es. Eigentlich verdient jeder eine zweite Chance im Leben. Aber der Typ? Wirklich? Nochmal zur Erinnerung: Lambesis wurde Anfang 2014 zu sechs Jahren Haft verurteilt, weil er einen professionellen Mörder beauftragt hatte, seine Frau zu töten. Die wollte sich nach acht Jahren Ehe wegen seiner Drogen- und Strippersucht von ihm trennen. Als gläubiger Christ konnte der Sänger seine Frau jedoch nicht selbst umbringen. Stattdessen heuerte der muskelbepackte Metaller dafür jemanden an. Blöd nur: Dieser “Jemand” war ein Undercover-Cop. Lambesis wurde kurz darauf festgenommen. Im Knast verweigerte man dem Anabolika-Fan jegliche Steroide, weswegen ihm Männerbrüste wuchsen. Deshalb verklagte er die zuständigen Ärzte. Erfolglos. Nach weniger als drei Jahren Haftstrafe wurde Lambesis im Dezember 2016 frühzeitig entlassen. Natürlich ist es für Fans immer scheiße, wenn die Lieblingskünstler sich plötzlich als unheimlich schlechte Menschen entpuppen. Es tat weh, als herauskam, dass der Frontmann der New Yorker Alternative-Rock-Band Brand New eine 15-Jährige sexuell belästigt hatte. Oder als Chris Brown Rihanna krankenhausreif prügelte. So gerne man die Musik mag, sie unbeschwert hören kann man dann nicht mehr. Erst recht nicht, wenn die Musik beispielsweise von Lostprophets-Sänger Ian Watkins kommt – 2014 kam raus, dass er vorhatte, ein Baby sexuell zu missbrauchen. As I Lay Dying galten als eine der größten Metalcore-Bands überhaupt und “Nothing Left” oder “A Greater Foundation” waren unfassbare Songs. Trotzdem konnten wir unser Bandshirt nach 2014 nicht mehr wirklich mit Stolz tragen. Ein Comeback des originalen Line-ups mit Lambesis als Sänger, Nick Hipa und Phil Sgrosso an der Gitarre, Josh Gilbert am Bass und Jordan Mancino an den Drums hätte also eigentlich erbärmlich scheitern müssen, ganz egal, wie gut es klingt. Hätten da nicht sämtliche Bandmitglieder und tausende Fans ihre Moral über Bord geworfen. Auf YouTube verzeichnet “My Own Grave” nämlich schon nach wenigen Stunden 10.000 Likes und gerade mal 100 Dislikes. Auch die Kommentare zeigen, dass es für viele Metalheads ein Leichtes war, ihr AILD-Shirt wieder aus dem Schrank zu holen und sich an den Riffs zu erfreuen: “Literally cried and did a happy dance! AILD is back!!!!! ” – Legalism Sucks “I honestly don’t care what Tim did at this point cause I listened to AILD since like middle school and I’m already gonna be 21 and I’ve been hopeing they do music again! Hella worth the wait! AILD is back!!! ” – Bunstrocity “YESSS OH MY GOD YESSSSS I’VE MISSED YOU AS I LAY DYING AND TIM I’M GLAD YOU’RE OUT! BEST METALCORE BAND IS BACK! ” – NoNamedMisfit “Its been long time that i didnt hear awesome guitar parts like this since the other bands keep playing a fcking boring 0-0-0-0 riff, thanks for making metalcore great again.” – Holaa Hey “MY FAVOUTIRE BAND IS BACK !!!!!!!!!!!!! LOVE IT !!!!!!!!!!!!!!! <3” – Anni Hammer Anscheinend kann man auch als fanatischer Christ mit Mordplänen auf seine Fangemeinde setzen. Am Ende ist es natürlich jedem selbst überlassen, ob er es mit seinem Gewissen vereinbaren kann, Musik von problematischen Künstlern zu hören, oder diese sogar zu heiraten. Richtig gelesen, der Frontmann soll im April 2017 auch schon eine neue Frau geehelicht haben. Na dann. ** Mehr zum Thema: Folge Noisey auf Facebook, Instagram und Snapchat.
Tina Blech
[ "as i lay dying", "Comeback", "Gefängnis", "metalcore", "Music", "Neue Musik", "Noisey", "Noisey News", "Problematic Bands", "tim lambesis" ]
2018-06-08T11:56:31+00:00
2024-07-30T18:39:10+00:00
https://www.vice.com/de/article/as-i-lay-dying-sind-mit-my-own-grave-zuruck-aber-niemand-sollte-das-feiern/
Schwule, die mit Frauen schlafen
Foto: Mattia Pelizzari | StocksyDieser Artikel ist zuerst bei Broadly erschienen. Während meines ersten Semesters am College hatte ich ein Date mit einem Typen namens Chris. Mit seiner schlanken, sportlichen Statur hatte er den Ruf, ein heißer Fang zu sein. Jeder schwule Typ am College wollte mit ihm ins Bett. Während unseres Dates fragte mich Chris dann plötzlich: „Hast du jemals mit einer Frau geschlafen?” Das hatte ich nicht, aber er erzählte mir, dass er schon mit drei Mädchen gevögelt hätte und es ganz gut fand. „Bist du bi?”, fragte ich ihn etwas verwirrt. Nein, Chris identifizierte sich selbst als eindeutig schwul, aber hatte zwischendurch auch Sex mit Frauen. Und er ist nicht der einzige. Viele schwule Männer schlafen mit Frauen, aber sie halten sich anlässlich ihrer sexuellen Vorlieben eher bedeckt. Schwule, die ihre Sexualität jenseits vom Schwanzlutschen oder die Beine breitmachen ausleben, umgibt nämlich ein gewisses Stigma. Online finden sich diese Leute in Foren wie EmptyClosets zusammen, um über ihre uneindeutige Sexualität zu sprechen. „Eine Menge von 100 prozentig schwulen Typen, die ich kenne, hatten in der Vergangenheit Sex mit Frauen, aber das liegt nur daran, weil sie von der Gesellschaft gesagt bekommen haben, dass es das Richtige ist”, schreibt ein Nutzer des Forums in einem Post. „Ihre ganzen Altersgenossen verloren nach und nach ihre Jungfräulichkeit und mit einem Mädchen zu schlafen, war wahrscheinlich auch eine Art, die eigene Sexualität zu verleugnen oder dagegen anzukämpfen.” Wenn die Gesellschaft Frauen pausenlos sexualisiert, ist es ganz natürlich für schwule Männer, neugierig darüber zu werden, was das alles soll. Experten glauben aber, dass sich Schwule aus wesentlich komplizierteren Gründen zu Frauen hingezogen fühlen. Dr. Chauntelle Tibbals, Soziologin und Autorin von Exposure: A Sociologist Explores Sex, Society, and Adult Entertainment, zufolge haben selbsterklärte Schwule aus zwei Gründen mit Frauen Sex: „Einmal ist da unsere uralte Unfähigkeit, Sexualität als komplexe, vielschichtige und sich in ständiger Entwicklung befindende Dimension des menschlichen Daseins wahrzunehmen”, erklärt sie mir. „Es gibt zum Beispiel nicht nur eine einzige Art, schwul zu sein. Dann ist da zweitens unsere tief in unserer Kultur verankerte Sehnsucht nach einer Antwort. Vielleicht ist es aber einfach so, dass es keine Antwort gibt. Oder die Antwort lautet einfach ‚komplexes sexuelles Verlangen’.” Wir könnten diese Jungs auch einfach als bisexuell abtun, aber sie selber bestehen darauf, als homosexuell wahrgenommen zu werden. Manche homosexuelle Männer versuchen sich vielleicht an Heterosex, weil unsere Kultur Männlichkeit bevorzugt und diese Maskulinität heterosexuell konnotiert ist. Tibbals erklärt: „Wie wir ja wissen, ist unsere Welt auch 2015 noch voller Wertungen, Unbehagen und einer ganzen Litanei an Ungleichheiten, die mit Macht, Geschlecht, Sexualität und Identität zusammenhängen.” Es ist gar nicht so einfach zu kommen, wenn du mit einem Mädchen vögelst: [eine Vagina ist] nicht ansatzweise so eng [wie ein Hintern]. Obwohl sie auch mit Frauen schlafen, merken die meisten Männer, dass der sexuelle Lustgewinn für sie beim Sex mit dem anderen Geschlecht eher beschränkt ist. Ich habe drei homosexuelle Männer gefragt, ob es sich für sie besser anfühlt, die Vagina einer Frau oder den Hintern eines Mannes zu penetrieren. Sie alle gaben mir die gleiche Antwort: „Hintern.” Laut Randy, einem 31-jährigen Schwulen, der an der Wall Street arbeitet, ist die Vagina das größte Hindernis am Sex mit Frauen. „Ein Hintern [fühlt sich besser an]—auf jeden Fall”, erklärt Randy. „Es ist gar nicht so einfach zu kommen, wenn du mit einem Mädchen vögelst: [eine Vagina ist] nicht ansatzweise so eng [wie ein Hintern].” Randy hat seit seinen frühen Teenagerjahren nicht davor zurückgescheut, sich um die Erfüllung seiner sexuellen Wünsche zu kümmern. Wie er mir erzählte, lutschte er zum ersten Mal einen Schwanz, als er mit einem Freund und einem Mädchen in einem leeren Kino saß. Das Mädchen hatte versprochen, den beiden einen zu blasen, wenn sie sich vorher gegenseitig einen runterholen. Später benutzte er das selbe Mädchen, um sich noch öfter an seinen besten Freund ranzumachen. Heutzutage hat er regelmäßig Sex mit einer Frau, aber sieht sich weiterhin als schwul. „Sex ist an sich schon sexy”, erklärt Randy. „Menschen sind sexy. Manchmal triffst du ein Mädchen und zwischen euch gibt es diese Chemie und ihr seid geil—es ist doch eigentlich gar nicht so ein schlechte Idee, wenn sie selber auch Lust hat.” Du verträgst nur eine bestimmte Zahl von Schwänzen, bis Typen anfangen, dich zu langweilen. Randy und die anderen beiden Männer suchen Sex mit Frauen, weil sie im Schlafzimmer eine Show abziehen wollen und Frauen als sexuell weniger aggressiv wahrnehmen. „Ich gehe normalerweise mit Frauen sanfter um als mit Männern”, sagt Randy. „Obwohl, wenn es richtig losgeht, dann hält auch eine Vagina ordentlich was aus.” Alle drei Männer sagen, dass sie sich an Muschis versuchen, wenn Penisse beginnen, sie zu langweilen. „Du verträgst nur eine bestimmte Zahl von Schwänzen, bis Typen anfangen, dich zu langeweilen”, sagt Lucas, 23. „Frauen sind eine nette Abwechslung von der Norm.” Lucas arbeitet als Escort und schläft mit Männern, um sich seinen Unterhalt zu verdienen. Über Jahre hatte er es für total abwegig gehalten, „mit verschiedenen Geschlechtern zu kopulieren”, aber sobald er „damit anfing, Leute nur als menschliche Wesen zu betrachten, gab es kein Problem mehr.” Lucas’ Antworten klingen vielleicht so, als würde er sich selbst als bisexuell bezeichnen, aber viele Männer haben weiterhin Sex mit Frauen und bezeichnen sich selbst als strikt homosexuell. Als ich Schwule fragte, warum sie das tun, variierten ihre Antworten von Frauen würden sich „weich” anfühlen, bis hin zu Frauen wären „emotional offener.” Sie vögelten vielleicht mit Frauen, aber in ihren Herzen und Schwänzen waren sie in erster Linie an Männern interessiert. Jahre nach unserem gemeinsamen Lunch fragte ich Chris, ob er immer noch mit einer Frau schlafen würde, obwohl er mittlerweile mit festem Freund, Haus und Hund etwas sesshafter geworden war. Auch jetzt schien er meine Frage naiv und belustigend zu finden. „Ja”, sagte er lachend. „Ich schätze, ich fühle mich noch immer zu Frauen hingezogen, aber nicht unbedingt auf eine sexuelle Art. Mir gefällt die Vorstellung davon, mit einer Frau zu schlafen besser als der Akt selbst. Ergibt das Sinn? Also, es klingt irgendwie ganz gut, bis du dann die Vagina siehst.”
Shawn Binder
[ "bisexuell", "Feminisme", "Frauen", "Homosexualität", "homosexuell", "Identität", "LGBT+", "schwul", "Sex", "Sexualität", "Stuff", "Vice Blog" ]
Sex
2015-10-16T04:22:00+00:00
2024-07-31T01:12:50+00:00
https://www.vice.com/de/article/schwule-mnner-die-mit-frauen-schlafen-512/
Fünf Gründe, warum du Telegram sofort löschen solltest
Telegram wird überbewertet. Wer einen weniger aufdringlichen Messenger als WhatsApp sucht, kann viele sichere Alternativen ausprobieren. Der Griff zu Telegram ist aber so schlau wie der Griff zum Fertig-Cheeseburger aus dem Supermarkt. Weltweit chatten mehr als 400 Millionen Menschen mit Telegram, so steht es auf der Website der Firma. Ein Grund für die Beliebtheit ist sicher auch das Outlaw-Image von Telegram. Der Gründer Pavel Durov hat Russland aus politischen Gründen verlassen, die Firma sitzt nun in Dubai. Mehrfach twitterte Durov darüber, wie Russland vergeblich versuche, Telegram zu blockieren. Dabei nutzte er den kämpferischen Hashtag #digitalresistace, digitaler Widerstand. Nimm das, Putin!  Auch Werbung lehnt Telegram kategorisch ab. “Gewinn machen wird niemals das Ziel von Telegram sein”, steht in den FAQ. Nimm das, Tech-Industrie!  Bei genauem Hinsehen zeigt sich aber: Ähnlich wie die kommerzielle Konkurrenz ist Telegram kein Musterschüler in Sachen Privatsphäre. Hinzu kommt, dass es auf Telegram vor Nazis und Verschwörungsideologen wimmelt – denn die Firma lässt ihrem Menschenhass auf öffentlichen Kanälen und Gruppen eine Menge Freiraum. Ob auch das zum Outlaw-Image gehört? Hier sind fünf Gründe, warum Telegram doch nicht der Alternativ-Messenger ist, auf den wir immer gewartet haben. Wenn man alle Spielereien beiseite lässt, haben Messenger nur einen wichtigen Job: Private Gespräche sollen privat sein. Die beste technologische Lösung dafür heißt Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Sie bewirkt, dass nur Sender und Empfänger eine Nachricht lesen können. Wer Ende-zu-Ende-verschlüsselte Daten abfängt oder auf dem Server des Anbieters durchstöbert, sieht nur Zeichensalat. Selbst WhatsApp nutzt diese sichere Art der Verschlüsselung seit 2016.  Telegram aber scheint diesen einen, wichtigen Job nicht so genau zu nehmen. Der Messenger bietet die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung nämlich nur an, wenn man sie für jeden Kontakt extra einschaltet. Wer also einfach drauf los chattet, verschickt seine Nachrichten ohne Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Das ist nicht nur unpraktisch, das ist fahrlässig. Wenn du Wert auf Privatsphäre legst, kannst du zwar die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung für jedes Gespräch einschalten. Aber du kannst nicht verhindern, dass dich irgendein Typ auf Telegram plötzlich ohne Ende-zu-Ende-Verschlüsselung anchattet und fragt, ob du noch Pepps hast. Telegram hat sich für diese unsichere Art zu chatten einen eigenartigen Namen ausgedacht: “cloud chat”. Das ist nicht nur wolkig formuliert, das ist ein sprachliches Ablenkungsmanöver. Bloß nicht sagen, dass deine Chats unzureichend verschlüsselt sind. Stattdessen unterstreicht Telegram, dass deine Gespräche in der “Cloud” liegen, also auf Telegram-Servern. Von dort lassen sie sich mit anderen Geräten synchronisieren. Das mag in manchen Fällen ein nettes Feature sein, als Standard-Einstellung ist es aber eher daneben. Die sicheren Chats nennt Telegram “secret chats”. Gruppen und Channels auf Telegram sind übrigens grundsätzlich nicht “secret”, also nicht Ende-zu-Ende-verschlüsselt. Das heißt, wenn du eine Telegram-Gruppe mit deinen besten Freundinnen hast, kommuniziert ihr dort weniger sicher als in einer WhatsApp-Gruppe. Eure Nachrichten, Fotos und Videos liegen dann ohne Ende-zu-Ende-Verschlüsselung auf Telegram-Servern. Natürlich versichert Telegram, dass diese Daten sehr gut geschützt werden. Besser wäre es aber, wenn ein Schutz der Daten gar nicht erst nötig wäre, weil sie für Dritte unlesbar verschlüsselt sind. “Entweder wir oder das Facebook-Monopol” In den Datenschutzbestimmungen schreibt Telegram auch noch, dass die “cloud chats” durchleuchtet werden dürfen: “Wir können auch automatisierte Algorithmen zur Analyse von Nachrichten in Cloud-Chats verwenden, um Spam und Phishing zu unterbinden”. Das bedeutet im Klartext: Telegram darf deine nicht Ende-zu-Ende-verschlüsselten Gespräche einer digitalen Rasterfahndung unterziehen. So viel zum Hashtag “digitaler Widerstand”. Recherchen von Motherboard aus dem Jahr 2018 konnten zudem belegen, dass deutsche Ermittler des BKA seit Jahren Telegram-Gruppen mit einem Trick ausspionieren konnten. Mit Ende-zu-Ende-Verschlüsselung wäre dieser Trick den Recherchen zufolge nicht möglich. Ende Oktober haben deutsche Ermittler mehrere Telegram-Gruppen hochgenommen, in denen offenbar unter anderem Drogen angeboten wurden. Telegram-Gründer Durov wird derweil nicht müde, Privatsphäre als hohes Gut anzupreisen. In einem öffentlichen Statement bezeichnet er Privatsphäre als Menschenrecht. Das bekräftigt er auch in Tweets, etwa, als ein indisches Gericht Privatsphäre als Grundrecht stärkte. Fünf von fünf Sternen für dieses Mindset – aber warum ist die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung bei Telegram nicht Standard?  In einer öffentlichen Streitschrift dreht Durov 2019 richtig auf und inszeniert die Konkurrenz zwischen Telegram und WhatsApp als Kampf zwischen Gut und Böse. WhatsApp könne “niemals sicher” werden, so der Telegram-Gründer. Durov behauptet, die Mehrheit des Internets werde vom “Facebook/ Instagram/ WhatsApp-Imperium” als “Geisel gehalten”. Sein Fazit: “Entweder wir oder das Facebook-Monopol. Es geht entweder um Freiheit und Privatsphäre oder um Gier und Heuchelei.” Die Streitschrift ist mindestens überspitzt und einseitig, teilweise übertrieben. Sie endet mit den Zeilen: “Das Zeitalter der Gier und Heuchelei wird enden. Eine Ära der Freiheit und Privatsphäre wird beginnen.”  Aha. Aber warum ist die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung bei Telegram dann nicht Standard? Das wäre doch mal ein erster Schritt in die Ära der Privatsphäre. Wir haben Telegram diese Frage per E-Mail gestellt und keine Antwort erhalten. Nicht nur WhatsApp möchte auf alle deine Kontakte zugreifen, Telegram auch. Der Messenger schnappt sich die Einträge in deinem Telefonbuch, inklusive der Namen, die du den Nummern zugewiesen hast. Ob “Mama”, “Papa”, “Blöder Ex” oder “Psychotherapie” – Telegram weiß Bescheid. “Wir speichern aktuelle Kontakte, um dich zu benachrichtigen, sobald sich einer deiner Kontakte bei Telegram registriert”, erklärt die Firma in den englischsprachigen Datenschutzbestimmungen. Klingt nach einem notwendigen Übel, aber das lässt sich auch anders lösen. Der Krypto-Messenger Signal zum Beispiel wandelt erfasste Kontakte in Zeichenwerte um, sogenannte Hashes, die sich nicht zurückrechnen lassen. Auf diesem Weg erfährt Signal dankenswerterweise nicht die Nummer vom blöden Ex. Wir haben Telegram gefragt, warum sie bei erfassten Kontakten nicht auch mit Hashes arbeiten. Eine Antwort gab es nicht. Ähnlich wie WhatsApp verzichtet Telegram nicht komplett darauf, Metadaten zu sammeln. Telegram darf laut Datenschutzbestimmungen etwa deine IP-Adresse erfassen. Mit IP-Adressen können Nutzerinnen und Nutzer geortet werden. Außerdem lassen sich damit Bewegungsprofile erstellen. Du verbringst die Wochentage in Berlin, die Wochenenden in Hamburg, fährst zwei Mal im Jahr nach Bielefeld? Anhand von IP-Adressen könnte Telegram das theoretisch nachvollziehen.  Und dann ist da noch diese befremdliche Formulierung in den Datenschutzbestimmungen von Telegram. Dort steht eine Aufzählung, welche Metadaten Telegram – mit einer Speicherdauer von bis zu einem Jahr – sammeln darf: deine IP-Adresse, welches Gerät du nutzt, “etc”. Bloß: Was steckt hinter “etc”? Metadaten sind gerade das Material, das Geheimdienste brauchen, um massenhaft Personen und ihre Kontakte zu durchleuchten. Schon der ehemalige NSA-Chef Michael Hayden hat gesagt: “We kill people based on metadata“. Es ist also sehr relevant, welche Metadaten eine Plattform genau erfassen darf und welche nicht. Wir haben Telegram per E-Mail gefragt, was mit “et cetera” gemeint ist. Blieb bisher unbeantwortet. Telegram ist zu einer der wichtigsten Plattformen für Rechtsextreme und Verschwörungsideologen geworden. Bei Facebook, Instagram und YouTube werden sie vermehrt rausgeschmissen, bei Telegram radikalisieren sie sich weiter. Im April 2018 empfahl die US-Neonazi-Website Daily Stormer ihren Lesern, zu Telegram zu wechseln.  Aktuell vernetzen sich in Deutschland zudem viele Menschen auf Telegram, die hinter der Corona-Pandemie eine Verschwörung wittern. Die Süddeutsche Zeitung hat in einer großen Datenrecherche Hunderte Anti-Corona-Gruppen und -Kanäle auf Telegram ausgewertet. Das Ergebnis: Auf Telegram vermischen sich diese Gruppierungen unter anderem mit Rechtsextremen und Anhängern der antisemitischen Verschwörungsideologie QAnon. Auch prominente Verschwörungs-Influencer wie Attila Hildmann und Xavier Naidoo setzen auf Telegram. Telegram kann sich seine Fans nicht aussuchen. Aber Telegram hat die Wahl, ob menschenfeindliche und in Deutschland illegale Inhalte online bleiben oder nicht. Die jüngsten Attentate von Rechtsterroristen haben gezeigt, wie rechtsextreme Verschwörungsmythen zu Gewalt führen können. Die mutmaßlichen Attentäter von Christchurch und El Paso haben sich in ihren Pamphleten auf solche Verschwörungsmythen bezogen. Die mutmaßlichen Attentäter von Hanau, Halle und München waren Rechtsradikale. Daraus scheint Telegram kaum sichtbare Konsequenzen zu ziehen. Im Februar diesen Jahres haben wir bei VICE recherchiert, wie Neonazi-Musik ungehindert auf Telegram kursiert. Die von uns gemeldeten Inhalte hatte Telegram nicht entfernt. Ähnlich enttäuschend ist die Bilanz einer größeren Stichprobe von jugendschutz.net: Die Autoren haben rund 200 Inhalte auf Telegram gemeldet, unter anderem wegen Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Holocaustleugnung und Volksverhetzung – also nach deutschem Recht mutmaßliche Straftaten. Laut jugendschutz.net hat Telegram aber rund 89% der gemeldeten Inhalte online gelassen. Fragen dazu habe Telegram nicht beantwortet. Dabei hat die Plattform längst bewiesen, dass sie auch in großer Zahl Gruppen und Kanäle löschen kann, wenn sie das möchte: Bei islamistischer Terror-Propaganda dokumentiert die Plattform transparent, wie viele Inhalte sie entfernt. Die Offenheit für Neonazis passt nicht ins Bild von Telegram als Kämpfer für Freiheitsrechte und Demokratie. Durov twitterte im August 2020, dass Telegram von der Demokratiebewegung in Belarus genutzt werde, Zensurversuchen zum Trotz. Auch bei den Protesten zum Schutz der Demokratie in HongKong spielte Telegram eine wichtige Rolle. Im Jahr 2017 schreibt Durov in einem Blogeintrag: “Telegram hat nie dem Druck von Behörden nachgegeben, die politische Zensur gefordert haben”. Redefreiheit sei einer der Werte, die Telegram verteidige. Nur Gewalt dürfe auf der Plattform nicht verbreitet werden, schreibt Durov. Genauso lautet auch eine der drei Regeln, die Telegram in seinen äußerst knappen Nutzungsbedingungen aufstellt.  Warum lässt Telegram also Neonazis und Verschwörungsideologen gewähren? Betrachtet die Plattform Rassismus und Antisemitismus etwa als – friedlich? Unsere Frage hierzu hat Telegram nicht beantwortet. Das wird dir sicher auch schon aufgefallen sein, wenn du diesen Text bis hierhin gelesen hast. Telegram ist extrem verschlossen, sobald Journalistinnen und Journalisten etwas wissen wollen. Das ist seltsam. Telegram positioniert sich immer wieder als Fan von Demokratie und Redefreiheit. Und Journalismus ist gelebte Demokratie und Redefreiheit. Eigentlich sollten Telegram und Journalisten also voll auf einer Wellenlänge sein. Eigentlich.  Im Februar 2020 wollten wir erstmals von Telegram wissen: Wieso toleriert Telegram in Deutschland Kanäle mit indizierter Neonazi-Musik? Keine Antwort. Im August haben wir öffentlich auf Twitter noch einmal nachgehakt. Keine Antwort. Nicht einmal inhaltsleere Statements von geschulten Pressesprechern. Einfach Funkstille. Im September hat sich plötzlich ein Telegram-Sprecher bei uns gemeldet. Auf unsere Frage zur Neonazi-Musik ist er aber nicht eingegangen. Stattdessen beschwerte er sich, dass wir einen falschen Link gesetzt haben in einem Text, der Telegram nur beiläufig erwähnt. Touché! Wir haben den Link korrigiert – und sofort geantwortet, dass es da ja noch unsere unbeantwortete Anfrage von Februar gibt. Ob Telegram jetzt antworten wolle? Funkstille.  Der Eindruck drängt sich auf, dass Telegram kritische Fragen gezielt ignoriert. Gruppen und Kanäle auf Telegram sind sehr praktisch, um in kurzer Zeit viele Menschen zu vernetzen und zu mobilisieren. Bei Telegram-Gruppen können bis zu 200.000 Accounts beitreten, Kanäle können unbegrenzt viele Abonnenten haben. Es gibt reichlich kostenlosen Speicherplatz, um Videos und Audio-Dateien zu teilen. Die Nutzerinnen und Nutzer sind untereinander zumindest ansatzweise anonym: Für einen fremden Telegram-Nutzer bist du zunächst nur mit Spitznamen sichtbar, außer aber, er hat deine Telefonnummer gespeichert. Was viele Aktivistinnen, Schwarzmarkt-Händler und Verschwörungsgläubige auf Telegram wohl nicht so auf dem Schirm haben: Sie befinden sich auf einem Präsentierteller. Und das liegt nicht nur an der fehlenden Ende-zu-Ende-Verschlüsselung. Kanäle und Gruppen auf Telegram können mithilfe von Programmierschnittstellen durchleuchtet werden. Mit etwas Programmierkenntnissen lassen sich etwa geteilte Nachrichten und Mitgliederlisten in Kanälen und Gruppen massenhaft auswerten. Es genügt, Gruppen beizutreten oder Kanäle zu abonnieren, um sie nach Querverweisen zu untersuchen. So lässt sich etwa nachvollziehen, welche Accounts in mehreren Gruppen Mitglied sind und von wo welche Nachrichten weitergeleitet werden.  In einer großen Datenrecherche hat die Süddeutsche Zeitung gezeigt, wie sich diese Einblicke für journalistische Zwecke einsetzen lassen. Andererseits können aber auch weniger freundliche Menschen und autoritäre Regime auf dieselbe Weise versuchen, Telegram-Nutzende zu durchleuchten.  Bei Facebook zum Beispiel wäre eine ähnlich umfassende Analyse nur mit sehr viel Mühe möglich. Das soziale Netzwerk unternimmt viel, um automatisierte Datenabfragen zu verhindern. Wir haben gefragt, ob auch Telegram etwas tun möchte, damit sich solche Analysen weniger leicht durchführen lassen. Keine Antwort. Um im Alltag bequem und mit möglichst viel Privatsphäre mit den eigenen Kontakten zu schreiben, ist Telegram einfach nicht die beste Wahl. Einen Blick wert sind stattdessen Signal, Threema oder Wire. In jeder Hinsicht perfekt ist übrigens kein Anbieter. Diese detaillierte Tabelle von 12 Apps im Vergleich zeigt, welche Vor- und Nachteile selbst die vorbildlichsten Messenger haben. Eines muss man Telegram aber lassen: Der Hybrid aus Messenger und sozialem Netzwerk ist ein wahnsinnig spannender Akteur in der Netzkultur. Mal dient Telegram als Plattform für Drogendealer, mal für Verschwörungsideologen, mal für demokratische Widerstandskämpfer. Über Telegram-Gründer Pavel Durov, der die Plattform offenbar mit seinem Vermögen am Laufen hält, könnte man eine Netflix-Serie drehen: Der einstige Gründer des Facebook-Konkurrenten vKontakte wird häufig als russischer Mark Zuckerberg bezeichnet; seit seiner Flucht aus Russland hat Telegram angeblich in verschiedenen Ländern seinen Hauptsitz gehabt, unter anderem in Berlin. Es lohnt sich also, zumindest aus der Ferne zu verfolgen, was rund um Telegram passiert, man muss ja nicht gleich seine Familie und Freunde auf die Plattform mitnehmen. Folge Sebastian auf Twitter und VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.
[ "Datenschutz", "Messenger", "Motherboard", "Privatsphäre" ]
Tech
2020-11-03T06:45:00+00:00
2024-08-12T07:20:52+00:00
https://www.vice.com/de/article/jgqqv8/telegram-datenschutz-warum-es-nicht-besser-als-whatsapp-ist
Endlich! Hier ist der Noisey Guide zu Miley Cyrus
Als Hannah Montana 2006 startete, wurde die Serie aus drei Gründen schnell zu einem integralen Bestandteil der Kindheit westlicher Millenials: Die Witze waren phänomenal, es hat sowohl Blonde als auch Brünette angesprochen, weil sie insgeheim beides war, und jeder—wirklich JEDER—träumt als Teenager davon, ein geheimer Popstar zu sein. Wenn du dir die Verläufe der Karrieren von Lindsay Lohan, Britney Spears, Justin Bieber oder anderen Kinderstars ansiehst, dann war es wahrscheinlich unausweichlich—wenn nicht sogar vorhersehbar—dass Miley Cyrus zum Aushängeschild für Nippel-Pasties, eine Psychedelia-Platte mit Wayne Coyne rausbringen und die VMAs mit Dreadlock-Extensions und einer Auswahl an Outfits moderieren wird, die nur als „Cyberdog auf 70er-Revival“ beschrieben werden können. Aber selbst diese Vorhersehbarkeit hat das Interesse nicht geschmälert. Egal, ob es ihre Kleidung (oder das Fehlen von selbiger), ihr Feminismus oder—Gott bewahre—ihre Musik ist, die Miley Cyrus, die wir heute kennen, neigt dazu, einigen Leuten vor den Kopf zu stoßen. Viel von der Kritik zielt auf den Image-Wandel ab, der mit ihrem vierten Studioalbum Bangerz einherging und mit dem sie vom unschuldigen Teenager scheinbar über Nacht zu einem 20-jährigen „schlechten Einfluss“ wurde. Wenn man bedenkt, dass das Video zu „We Can’t Stop“ das erste war, das wir seit „Who Owns My Heart“ von 2010 von ihr gesehen haben—in dem das Auffälligste war, dass sie ein paar Mesh-Bandanas mit Perlenketten kombiniert hat—dann war der Richtungswechsel so drastisch, dass selbst der unerschütterlichste Liberale einen Moment brauchte, um seine Gedanken zu sammeln. In einer britischen Studie wurden vor Kurzem 2287 Eltern gefragt, welches prominente Vorbild ihnen am meisten Sorgen macht und 78 Prozent haben Miley Cyrus als negativen Einfluss auf ihre Kinder genannt. Zu diesen Ergebnissen sagte Chris Johnson, Leiter der Studie, gegenüber MailOnline: „Sie hat bei Hannah Montana als perfektes Teenager-Idol angefangen und als sie ein gewisses Alter erreicht hatte, hat sie beschlossen, sich von diesem sauberen Tennie-Image zu verabschieden […] Es ist für gewöhnlich nicht der Traum von Eltern [für ihre Kinder], dass sie leichtbekleidet herumstolzieren und ihr Leben mit Partymachen verschwenden.“ Aber auch wenn das ein wichtiger Aspekt ist, es gibt noch viel mehr an Miley als die Wahl ihres Erscheinungsbilds. In den letzten zwei Jahren haben wir gesehen, wie Mileys Name mit Debatten über Feminismus, kulturelle Aneignung, Sexualität und Altersfreigaben für Musikvideos in Verbindung gebracht wurde. Dasselbe könnte man über andere weibliche Popstars sagen—Katy Perry, Rihanna, Beyoncé, um nur ein paar zu nennen—und vieles davon hat mit der gestiegenen Wahrnehmung dieser Themen allgemein zu tun, aber in den letzten zwei Jahren haben wir auch gesehen, wie Miley zunehmend selbstsicher, engagierter und direkter geworden ist. Von ihren familienfreundlichen Anfängen als Hannah Montana bis zu ihrer derzeitigen Rolle als Gender-Provokateurin auf einer Mission, die Welt zu verändern: die Entwicklung von Miley Cyrus’ Karriere war mit Fragen bezüglich Sexualität, Identität und Authentizität aufgeladen. Es ist eine der interessantesten Verwandlungen, die die Mainstream-Musikwelt seit den Zeiten von Napster gesehen hat und unser Noisey-Guide beginnt hier. Das waren die sprichwörtlichen guten alten Tage. Eine Zeit der Unschuld und des Optimismus, in der Dancepop-Songs mit Texten wie „Get up / Get loud / Start pumpin’ up the party now“ nichts anderes als aufrichtig waren, mit Plattitüden wie „Pink ist nicht bloß eine Farbe, es ist eine Einstellung!“ um sich geworfen wurde und Cyrus und ihr damaliger Freund Nick Jonas einen Purity Ring getragen haben, bevor er zum König der Twinks wurde—und Miley zu daten noch als Zeichen von Anständigkeit angesehen wurde. Was für eine Zeit. Mit Miley in der Figur von Miley Stewart—die ein Doppelleben als typischer Teenager am Tag und als berühmte Popsängerin bei Nacht führt—und ihrem echten Vater/Manager Billy Ray Cyrus in der Rolle als ihr Vater/Manager, war Hannah Montana wie eine moderne Übertreibung von Kim Wildes „Kids In America“. Es war eine die Familienwerte propagierende Darstellung des Teenagerlebens im Jahr 2006 voller Slapstick, übertriebenem Schauspiel und Lachern vom Band, bei dem Billy Rays ekelhafter Unterlippenbart die ganze Zeit im Hintergrund herumschwirrte. Es war eine in allen Belangen harmlose Sendung, da sie alles konventionell Idyllische am Aufwachsen in irgendeiner amerikanischen Kleinstadt repräsentiert hat. Es war der Gegenentwurf zu anderen Teenager-Dramas, die zu der Zeit auf Sendung waren—Skins, Gossip Girl und Misfits—die jeden erdenklichen elterlichen Albtraum thematisiert haben. Nie zuvor hat ein Künstler oder eine Künstlerin versucht, sich so offensichtlich neu zu definieren wie Miley Cyrus, als sie Meet Miley Cyrus veröffentlicht hat, ein Doppelalbum, bei dem die erste CD als Soundtrack für die zweite Staffel Hannah Montana diente und die zweite Mileys Debütalbum darstellte. Bis zu diesem Punkt war Miley ein 14-jähriges Mädchen, das eine 16-jährige Figur gespielt hat—und diese Veröffentlichung hat den Moment markiert, an dem ersteres angefangen hat, letzteres zu überstrahlen, da Miley ihre eigene Teenagerzeit als Mädchen begonnen und die Möglichkeiten für eine Karriere abseits ihrer Fernsehrolle ausgetestet hat. Das Ergebnis wurde mit gemischten Gefühlen aufgenommen, Kathi Kamen Goldmark von Common Sense Media hat es zum Beispiel als „künstlichen und überproduzierten“ Versuch bezeichnet, der „jeden mit einem etwas erwachsenerem Musikgeschmack irritieren würde.“ Es wurde später mit Vierfach-Platin ausgezeichnet. Nimm das, Kathi. Wie auch immer, es hat funktioniert, denn was als nächstes folgen sollte, war eine der meistverkauften Singles in der Geschichte der Charts. Ruhen wir uns für einen Moment aus und würdigen diesen einwandfreien Hit, bei dem sie sich sehr wahrscheinlich über die Beziehung zu Nick Jonas auskotzt. Wir schreiben immer noch das Jahr 2008, Miley hat ihren Namen offiziell in „Miley Ray Cyrus“ geändert, ihr zweites Album veröffentlicht—bewusst als Breakout betitelt—und die erste Kontroverse ausgelöst, nachdem sie nackt und nur mit einem Seidentuch bedeckt für Fotos von Annie Leibovitz posiert hat, die in der Vanity Fair erschienen sind und den Anfang von vielen, vielen Vorfällen, die mit ihren Brüsten zu tun haben, darstellen sollte. Die Leute haben Miley immer noch als Hannah Montana betrachtet—und genau genommen war sie das auch noch, denn die Serie lief noch bis 2010—aber sie hat außerhalb dessen auch ihre eigene Agenda entwickelt. i-D: Miley Cyrus engagiert sich gegen Jugendobdachlosigkeit Als 2009 dann „Party in the USA“ erschien, hatten wir schon angefangen, Miley als eigenständigen Popstar und nicht als Schauspielerin, die einen solchen spielt, wahrzunehmen. Bis heute wurde das Video zum Song fast 500 Millionen mal angeklickt und es ist offensichtlich warum. Diese „And a Jay-Z / Britney song was on“-Refrains sind die unausgesprochene Definition von „Guilty Pleasure“—auf einer Stufe mit den Refrains von Hansons „MMMbop“ und Justin Biebers „Baby“—aber sie sind noch dazu genial. Zu dieser Zeit war Miley die absolute Verkörperung des durchschnittlichen Teenager-Mädchens, das sich den Weg durchs Leben mit einer Mischung aus Druck, Heimweh und emotionaler Verwirrung wegen der Jungs bahnt. Der Nennwert ist vielleicht gering, aber der Text zu „Party in the USA“ erinnert uns alle, egal ob Teenager-Mädchen oder alter Mann, daran, dass dich nichts besser von deinen Sorgen ablenkt, als dein Lieblingslied auf dem iPod, im Club oder auf dem Smartphone zu hören. Zwischen 2010 und 2013 hat die Welt nicht besonders viel von Miley mitbekommen, bis auf ein paar Auftritte bei American Idol und RuPaul’s Drag Race und hier und da ein paar Cover—und dieses großartige Video, in dem sie bei ihrem 18. Geburtstag Bong raucht, währen ROCKMUSIK läuft. In der Rückschau können wir diese Phase nur als Zeit der Selbstreflexion, Rebellion und Wiedergeburt bezeichnen (und als lange überfällige Pause). Dann hat sie bei RCA Records unterschrieben, um Bangerz zu veröffentlichen. Wenn es irgendwelche Anzeichen für die bevorstehende Ohrfeige gab, die Miley dem Gesicht der Popkultur verpassen sollte, dann war Künstler zu covern, die hauptsächlich für Leder und Schmollmund bekannt sind, Salbei zu rauchen und einen Vertrag mit einem Label zu unterschreiben, bei dem auch A$AP Rocky, Kesha, Christina Aguilera zu Zeiten von Stripped und Britney zu Zeiten von Britney Jean unter Vertrag waren, ein einleuchtender Indikator. Trotzdem, auch für jemanden, der all diese Anzeichen gedeutet hat, war es nicht möglich, emotional auf die Flut an Social-Media-Shitstorms vorbereitet zu sein, die folgen sollten. Hier kommt der Teil, den alle kennen; die Zeit, von der es mich nicht überraschen würde, wenn sie einige mit posttraumatischer Belastungsstörung zurückgelassen hat. Zuerst kam das Video zu „We Can’t Stop“, was dreieinhalb Minuten lang zeigt, wie Miley diverse Gegenstände und Leute im Haus bespringt; dann kam der Auftritt bei den VMAs mit Robin Thicke—die Choreografie, die eine Menge Essays inspirieren sollte—gefolgt vom Video zu „Wrecking Ball“, in dem Miley dreieinhalb Minuten lang genau das macht, was du nicht mit kalten und harten Oberflächen machen solltest, wenn du keine Blasenentzündung bekommen willst. Die Veränderung, die Bangerz bei Miley bewirkt hat, hat sie mit einem Mal zum Sorgenkind der Musikindustrie werden lassen. Das Wort „problematisch“ war noch nie so omnipräsent und damit einher ging ein Level an Charakter-Analyse, das vorher nur wenigen Popstars zuteil wurde: Artikel, die sie angreifen, Artikel, die sie verteidigen, Sinead O’Connor, die sie in einem offenen Brief als „Hure der Musikindustrie“ bezeichnet und tausende Leute, die ihr sagen, wie viel besser sie doch die Figur, die sie als Kind gespielt hat, im Vergleich zu der scheinbar authentischsten Repräsentation ihrer wirklichen Persönlichkeit, fanden. Es hörte nicht auf. Aber es hat auch funktioniert. Der besagte Auftritt bei den VMAs wird als Schlüsselmoment in der Karriere von Cyrus angesehen. Wenn es vorher irgendeinen Zweifel an ihrer Identität gab, dann hat dieser Auftritt sie so weit wie möglich von ihrer Rolle als Hannah Montana entfernt und ihr ihre neue als „kontroversester“ Popstar der jüngeren Geschichte eingebracht. Nicht zu vergessen auch die als einer der mächtigsten; nach vierjähriger Abstinenz hat Miley es 2014 auf Platz 17 der Forbes-Liste der einflussreichsten Prominenten gebracht. Als sie 2010 noch „Hannah Montana-Kohle eingefahren hat“ war sie auf Platz 13. Der Auftritt hat diejenigen schockiert, die Cyrus für den Archetypen eines Tweens gehalten haben, eine Art Papis Liebling mit Disney-Vertrag und Purity Ring, aber zumindest können wir an diesem Punkt sagen, dass Miley selbst für ihr Image verantwortlich ist. Gegenüber Jimmy Kimmel hat sie dieses Jahr gesagt: „Mein Vater mag es sicherlich lieber, wenn ich meine Titten zeige und ein guter Mensch bin, als wenn ich mein T-Shirt anhabe und ein Arsch bin.“ An diesem Punkt ihrer Karriere ist Miley medial gesehen durch die Decke gegangen, der Grund war allerdings, dass die meisten Leute von ihr angewidert waren. Alles, was sie getan hat, hat sie mit so viel Spektakel überzogen, dass du dich wirklich konzentrieren musstest, um die Kreativität zu sehen, die die treibende Kraft hinter all den nackten Ärschen war. Die Bangerz-Tour wurde von John Kricfalusi visuell gestaltet, dem Erschaffer von Ren und Stimpy, der sie dafür genutzt hat, um eine Reihe angsteinflößender Animationen samt Dildo-Gliedmaßen und geilen Tieren zu zeigen. Sie hat auch ihre ersten Schritte im HipHop gewagt, indem sie auf Tracks von Snoop Dogg, will.i.am und Mike Will Made It zu hören war. Patrick Ryan von USA Today schreibt Cyrus sogar zu, mit ihrer Kollaboration zu Mike Will Made Its Prominenz beigetragen zu haben, indem er sagt, dass sein Mitwirken als ausführender Produzent ihm geholfen hat, „in einer Zeit, in der viele Produzenten wieder in den Hintergrund gerückt sind, als interessanter Charakter an die Spitze zu gelangen“. Es ist schwierig, das Ausmaß an Kontroverse zu verarbeiten, das Miley Cyrus während der Bangerz-Kampagne hervorgerufen hat, indem sie außer Grills kaum etwas anderes getragen, alles in ihrer Reichweite (Abrissbirnen, überdimensionale Hotdogs) bestiegen und das Wort „Twerken“ ins Wörterbuch gebracht hat. Wenn du bei Google nach „Miley Cyrus Skandal“ suchst, dann bekommst du über 32 Millionen Ergebnisse und ein Großteil davon stammt aus dem Jahr 2013. Es gab danach ein paar Monate, in denen es ziemlich einfach war, jedes Video, jeden Auftritt, jede Grimasse als gedankenlose Provokation abzutun. Aber je mehr Zeit verging, desto deutlicher wurde, dass Miley—auch wenn viel von dem, was sie tat, nicht zu rechtfertigen war—ein Bewusstsein für soziale Themen hat, das nicht unbedingt von ihr erwartet oder verlangt wurde. In einem Interview mit Out hat sie gesagt: „All diese Dinge, die ich mache, bekommen diese Aufmerksamkeit. Aber was mache ich, wenn ich einmal die Aufmerksamkeit habe?“ Die Antwort darauf ist eindeutig: Obdachlosigkeit unter Jugendlichen in den USA ansprechen, indem sie Jesse Helt—einen der beinahe 114.000 obdachlosen Männer und Frauen, die im Moment in Kalifornien leben—zu den VMAs einlädt, damit er an ihrer Stelle den Award entgegen nimmt; eine Stiftung ins Leben rufen, um obdachlose Jugendliche aus der LGBT-Community zu unterstützen; „Backyard Sessions“ mit LGBT-Künstlerin Laura Jane Grace performen; das Verschwimmen von Geschlechtsidentitäten preisen; die Tatsache, dass nicht alle von ihren Beziehungen heterosexuell waren, sowie offenbaren und ansprechen, dass Hannah Montana ihr unrealistische Schönheitsideale vermittelt hat, was zu Komplexen wegen ihres Körperbilds und Angstzuständen geführt hat. Außerdem gab es das Paper Magazine-Feature, bei dem sie nackt mit einem Schwein posiert und etwas, das aussieht wie ein Handyanhänger, an ihren Schamhaaren hängt, und worin sie gegen christlichen Fundamentalismus wettert. Daran ist nichts besonders schockierend, bis du dir bewusst wirst, dass ihre Heimatstadt Nashville mitten im Bible Belt liegt, Sitz der National Baptist Convention ist und fast nur aus Leuten besteht, die es nicht besonders lustig finden, wenn Figuren aus dem alten Testament als „scheiß Santa und die Zahnfee“ bezeichnet werden. OK, als Moderatorin der VMAs 2015 hat sie nicht so überzeugt. „Ihre Parodien sind nicht angekommen, ihre Monologe waren schwerfällig und ihre Outfits haben auf schlechte Art und Weise Vaporwave-College-Kunst nachgeahmt.“ Außerdem wurde sie von Nicki Minaj vor laufenden Kameras zusammengefaltet. Ihr habt es alle gesehen, es war eine beschissene Show. Halten wir uns also nicht lange damit auf und reden wir über die merkwürdigere Tatsache, dass sie ein Album mit Flaming Lips-Frontmann Wayne Coyne namens Miley Cyrus & Her Dead Petz aufgenommen und in Eigenregie veröffentlicht hat. Vor der Veröffentlichung hat Coyne zu Billboard gesagt: Sie macht diese Pop-Sache so gut, also fühlt es sich immer noch nach Pop an, aber etwas klüger, trauriger, mehr mit echter Vision. Vieles davon erinnert mich an Pink Floyd und Portishead“—und er hat nicht Unrecht, aber er hätte genauso gut noch 20 Minuten weiter machen und das grenzenlose Spektrum anderer Einflüsse, die in dieses 23-Song-Album gepackt wurden, aufzählen können. Miley Cyrus & Her Dead Petz ist die Art von Album, die nur in einer Zeit entstehen kann, in der der kommerzielle Erfolg von Mixtapes, Soundcloud-Produzenten und App-basierten Veröffentlichungen uns dazu zwingt, zu überdenken, wie ein Album definiert wird. Es ist ein Album der „Post-Album“-Ära. Die Tatsache, dass sowohl Big Sean als auch Ariel Pink darauf zu hören sind, ist ein recht guter Indikator dafür, wo Miley sich mittlerweile positioniert; irgendwo zwischen einer Produktion von Mike Will Made It und der Art von experimentellem Pop, den nur John Maus raushauen kann, weil er gleichzeitig so direkt und mehrdeutig ist, dass wirklich unmöglich zu sagen ist, ob er es ernst meint oder nicht. Miley auf der anderen Seite hat all die subtilen Nuancen von Donald Trumps Präsidentschafts-Kampagne. Aber Extravaganz war schon immer ihr Ding, egal ob es das inszenierte Drama von Hannah Montana war oder ob sie es mit einem riesigen Schaumstoff-Finger auf der Bühne getrieben hat. Miley Cyrus & Her Dead Petz dient vor allem als Beweis dafür, wie sehr sie mittlerweile nach ihren eigenen Regeln spielt—auch wenn sie wirklich einen Editor hätte gebrauchen können. Das Album hat all den unbedachten Freiheitsdrang von jemandem, der sein ganzes Leben beraten und eingeschränkt wurde und es endlich auf eigene kreative Faust versucht. Das macht Dead Petz nicht zu einem technisch guten Album, aber es ist ein Zeichen der Unabhängigkeit und wie Meaghan Garvey es bei Pitchfork schreibt: „Wahrscheinlich wird Cyrus darauf zurückblicken und darüber lachen. Sie hat etwas über sich selbst und das Erschaffen von Kunst gelernt und macht weiter, so wie sie es mit Bangerz von 2013 gemacht zu haben scheint.“ Bei Hannah Montana unternimmt Miley Stewart große Anstrengungen, um ihre wahre Identität zu verstecken, aus Sorge, dass die Leute sie nur mögen, weil sie berühmt ist, wenn sie ihr Geheimnis kennen. Jetzt scheint sie sich von dieser sorgfältig erschaffenen Figur, die ihre Teenager-Jahre definiert hat und anschließend so lange im öffentlichen Bewusstsein herumgeschwirrt ist, verabschiedet zu haben. Miley Cyrus ist an einem Punkt angekommen, an dem sie ihre eigene Identität fest im Griff und unter Kontrolle hat und ihr ist scheißegal, ob du sie magst oder nicht. Folgt Emma bei Twitter. ** Folgt Noisey bei Facebook und Twitter.
Emma Garland
[ "Bangerz", "Billy Ray Cyrus", "Brüste", "dead petz", "Features", "Hannah Montana", "LGBT+", "Miley", "Miley Cyrus", "Music", "Nacktheit", "Nippel", "Noisey", "Noisey Guide", "Noisey Guides", "Provokation", "The Noisey Guide to", "wayne coyne", "Wrecking Ball" ]
2015-09-29T06:30:00+00:00
2024-07-31T00:16:35+00:00
https://www.vice.com/de/article/der-noisey-guide-zu-miley-cyrus-845/
Der ECHO hat entschieden, ob &#8216;JBG3&#8217; als &#8220;Album des Jahres&#8221; nominiert bleiben darf
In der Causa ECHO-Ethik-Beirat versus JBG3 ist eine Entscheidung gefallen. Nachdem Anfang März die Liste der Nominierten für den diesjährigen Echo veröffentlicht wurde, kam wenige Wochen später der Dämpfer für das Rap-Duo Kollegah und Farid Bang. Aufgrund der Textzeile “Mein Körper definierter als Auschwitzinsassen” sollte geprüft werden, ob ihr Album JBG3, das in den Kategorien “Album des Jahres” und “Hip-Hop/Urban National” nominiert ist, überhaupt zur Wahl stehen dürfe. Der Vorwurf: Die Grenze zwischen künstlerischer Freiheit und gesellschaftlich nicht hinnehmbaren Äußerungen werde mit solchen Lines überschritten. Jetzt ist die Entscheidung gefallen: JBG3 wird weiterhin nominiert bleiben. “Nach sorgfältiger Befassung mit dem Gesamtprodukt JBG3 von Kollegah & Farid Bang hat der ECHO-Beirat mehrheitlich entschieden, dass im Song ‘0815’ der Bonus-EP § 185 die künstlerische Freiheit nicht so wesentlich übertreten wird, dass ein Ausschluss gerechtfertigt wäre – auch, wenn es sich um einen Grenzfall handelt”, steht es auf der ECHO-Website. Wolfgang Börsen, Sprecher des ECHO-Beirats fügt an: “Die Wortwahl einiger Texte […] ist provozierend, respektlos und voller Gewalt. Sie als Stilmittel des Battle-Raps zu verharmlosen, lehnen wir ab und möchten an dieser Stelle unsere deutliche Missbilligung gegenüber der Sprache und den getroffenen Aussagen unterstreichen.” Er fährt fort: “Nach intensiver und teilweise kontroverser Diskussion sind wir dennoch mehrheitlich zu dem Ergebnis gekommen, dass ein formaler Ausschluss nicht der richtige Weg ist. Wir nehmen wahr, dass nicht nur in der Musik, sondern auch in anderen Bereichen der Kultur, wie in Film, Theater und Malerei, eklatante Tabubrüche zunehmend zu den Merkmalen der Kunstfreiheit gehören. Auch sehen wir, dass Hass und Gewalt im gesamten medialen Umfeld zunehmen. Wir halten diese aktuelle Entwicklung in unserer Gesellschaft für bedenklich und falsch und beobachten mit großer Sorge die Aufwärtsspirale, die sich auch in der verbalen Missachtung von Gesetzen ausdrückt.” Kollegah hat seit der Ethik-Prüfung turbulente Tage durchlebt. Die ihn kritisierenden “Mainstream-Medien” (Wortlaut Kollegah) wie BILD und RTL haben in Kollegah hinsichtlich populistischer Meinungsmache einen ebenbürtigen Gegner gefunden, der sich mit Geld, Follower-Power und Instagram- bzw. YouTube-Account gegen den Gegner ins mediale Feld wirft. Kann man schockiert und gefrustet drüber sein, dass der Rapper etwa Journalisten 25.000 Euro bietet, wenn diese “objektiv” über eine Verschwörungstheorie berichten. Oder man nimmt es wie 3Plusss mit Humor und hofft mit tränenden Augen, dass auch dieser Spuk hoffentlich bald vorbei sein wird und es allen wieder besser geht. Vor allem Kollegah. freie presse hierzulande wird nur noch durch kollegah aufrechterhalten der geld bietet für seiner subjektiven meinung nach objektive artikel über verschwörungstheorien aus schlecht ausgeleuchteten youtube news und videos mit pics von prominenten kommentiert von computer stimmen wenn ich das richtig verstanden habe beginnt der große kampf gegen die bösen verlogenen mainstream medien laut kollegah damit dass ich rtl auf instagram eine nachricht schreibe und ihm einen screenshot schicke OK LETS GO mein twittergrind der letzten tage war eine täuschung.. wollte die lügenpres äh mainstream medien anlocken. hat geklappt 😡 pic.twitter.com/TpH9Kr481e is this the real life pic.twitter.com/Nef3ruCD6B Es war übrigens nicht das erste Mal, dass der ECHO ein bereits nominiertes Album im Nachhinein prüfen ließ. Mit JBG3 treten Kollegah und Farid Bang in die glorreichen Fußstapfen von Frei.Wild, die nach ihrer Prüfung 2014 wie der Boss und Banger ebenfalls trotzdem antreten durften. ** Mehr zum Thema: Folge Noisey auf Facebook, Instagram und Snapchat.
Noisey Staff
[ "Antisemitismus", "Echo", "Ethik", "Farid Bang", "Index", "JBG3", "Kollegah", "Music", "Noisey", "Noisey News" ]
2018-04-06T11:16:10+00:00
2024-07-30T18:29:52+00:00
https://www.vice.com/de/article/der-echo-hat-entschieden-ob-jbg3-als-album-des-jahres-nominiert-bleiben-darf/
Vanja klagt gegen Deutschland: &#8220;Ich bin inter, nicht Frau&#8221;
Intersexuelle können ihre Geschlechtsangabe rückwirkend frei lassen. Vanja will mehr | Foto: pexels Vanja (26) wollte als “inter” ins Geburtenregister eingetragen werden, laut Genanalyse ist Vanja weder Mann noch Frau. Der Bundesgerichtshof erklärte: Das ist nicht möglich. In Deutschland leben nach Angaben der Bundesregierung etwa 8.000 bis 10.000 Intersexuelle. Interessenverbände schätzen die Zahl auf bis zu 80.000. Aktuell können sie das Feld Geschlecht freilassen, der BGH sagt, das reiche, um gleichberechtigt zu sein. Vanja jedoch möchte inter angeben können. Vor zwei Jahren stellte sie ihren ersten Antrag ans Amtsgericht Hannover, im September will Vanja Verfassungsbeschwerde einreichen. VICE: Hallo Vanja, seit heute weißt du: Der Bundesgerichtshof hat die Klage zurückgewiesen. Ein Rückschlag? Vanja: Ich habe natürlich schon gehofft, dass der BGH unseren Antrag annimmt, aber ich habe damit gerechnet, dass die Entscheidung vor das Bundesverfassungsgericht geht. Es geht schließlich um eine neue Option, sein Geschlecht anzugeben, das ist keine kleine Sache. Du willst mit der Klage bis vor das Bundesverfassungsgericht. Warum hast du angefangen zu klagen? Ich stand vor der Frage, meinen Geschlechtseintrag ändern zu lassen. Dort steht weiblich. Im Alltag werde ich eher als männlich zugeordnet. Die Änderung ist viel bürokratischer Aufwand. Ich dachte also: Wenn schon, dann möchte ich auch als das bezeichnet werden, was ich bin, und zwar intersexuell. Wie sprechen dich andere an? “Er”? “Sie”?Menschen, die mich besser kennen, versuchen, die Pronomen abzuwechseln oder wegzulassen, tendenziell aber eher “Er”. Wir klagen jetzt seit zwei Jahren. Ich bin froh, dass ich das mit anderen gemeinsam mache. Müsste ich da alleine durch, wäre das sehr anstrengend. Für die anderen ist es entweder persönlich relevant, inter als Geschlecht angeben zu können, oder sie unterstützen den Schritt einfach. In Ländern wie Australien ist Intersexualität als Geschlechtsangabe eine Option. In Deutschland können Intersexuelle das Feld Geschlecht leer lassen, auch nachträglich. Hast du dir das überlegt? Als ich zum ersten Mal vor der Frage stand, gab es die Option noch gar nicht. Aber nein, dieses Weglassen, die Leerstelle, fühlt sich nicht gut an. Alle andere können mit Selbstbewusstsein sagen: Ich bin Frau, ich bin Mann. Also muss ich auch sagen können, dass ich inter bin. Mit staatlicher Anerkennung wird es, denke ich, auch einfacher zu zeigen, dass es uns wirklich gibt. Das wir nicht “eigentlich Frau” oder “eigentlich Mann” sind. Was heißt es, intersexuell zu sein? Wir sind Menschen, die biologisch nicht auf allen Ebenen in eine Kategorie—weiblich oder männlich—passen. Das liegt an Chromosomen, Hormonen oder der Anatomie, also ob der Mensch Brüste, Eierstöcke, Vagina, Hoden oder Penis hat. Es ist oft nicht einfach, weil es überall nur zwei Optionen gibt: im Sportclub, in der Umkleide, auf öffentlichen Toiletten. Wann hast du gemerkt, dass du intersexuell bist? Als ich in die Pubertät kam. Beziehungsweise eben nicht in die Pubertät kam, weil die entsprechenden Hormone bei mir nicht da waren. Bei anderen kann man das schon im Kindesalter sehen. Jetzt wollt ihr die Klage bis vor das Bundesverfassungsgericht bringen. Dein Gefühl? Es ist das höchste Gericht in Deutschland. Ich bin aufgeregt.
Sofia Faltenbacher
[ "Bundesgerichtshof", "Deutschland", "Geschlecht", "Intersexualität", "Klage", "LGBT+", "LGBTIQ+", "LGBTQ", "News", "Sexualität", "Vice Blog" ]
2016-08-08T05:00:00+00:00
2024-07-30T22:10:51+00:00
https://www.vice.com/de/article/bgh-lehnt-drittes-geschlecht-ab-so-geht-es-weiter
Frauen reden anders über ihr erstes Mal als Männer
Auch wenn es weit verbreitet ist: Grundlegend macht es keinen Unterschied, ob man sich mental auf sein erstes Mal vorbereitet hat oder nicht. Dem gesellschaftlichen—und geschichtlichen—Konsens zufolge, ist es nämlich fast immer eine Enttäuschung. Egal, ob man nun eine feine Dame aus dem viktorianischen England, eine Anhängerin der sexuellen Revolution aus dem San Francisco der 70er-Jahre oder ein verunsichertes Teenager-Mädchen aus Berlin ist. Tatsächlich spannend ist allerdings, wie man als Person anschließend mit dem lebensverändernden Ereignis umgeht. Jodi McAlister, eine Doktorandin der Macquarie University, hat vor Kurzem eine Arbeit darüber geschrieben, wie die „Entjungferungsbeichte” mit der Zeit zu einem ganz eigenen Genre wurde. Sie ist der Meinung, dass die Enttäuschung unter anderem daher rührt, dass wir dazu neigen, Liebe als unumstößliche Voraussetzung für das erste Mal zu sehen. „Liebe ersetzt die Ehe als Begründung dafür, dass wir Sex haben wollten, aber es gibt kein Zertifikat, das einem bestätigt: ‚Ja, Liebe ist Teil dieser Beziehung und deswegen zählt es.’ In vielen Geschichten von Frauen geht es darum, dass sie gedacht haben, dass sie jemanden lieben würden, sich am Ende aber rausstellt, dass es nicht die ‚richtige’ Person oder der richtige Moment war.” Eine aktuelle Studie, an der 364 College-Studenten teilgenommen haben, stützt McAlisters These. Forscher des Hanover College haben festgestellt, dass Frauen im Vergleich zu Männern mehr sexuelle Schuldgefühle haben, besonders Frauen, die religiös erzogen wurden. „Das legt nahe, dass die Gesellschaft Frauen noch immer Schuldgefühle einimpft”, heißt es in der Studie. Mehr lesen: Deine Gene können den Zeitpunkt deiner Entjungferung mitbestimmen Männer dagegen sprechen über ihr erstes Mal in der Regel sehr viel positiver, ganz egal ob sie sich mit der Person, von der sie entjungfert wurden, nun in besonderer Weise verbunden gefühlt haben oder nicht, so McAlister. „Für Männer scheint es keine so große Rolle zu spielen, ob sie nun verliebt waren oder nicht”, sagt McAlister. Es gibt auch Grund zu der Annahme, dass Männer über ihr erstes Mal lügen, sagt McAlister, „und zum Beispiel damit angeben, dass sie ihr erstes Mal mit einem Pornostar hatten, als sie 14 waren.” McAlister ist über 600 verschiedene Entjungerungsgeschichten aus allen Epochen gegangen, um zu verstehen, wie und warum wir von dem ersten Mal erzählen, als wir Sex hatten. Einiger dieser Erzählungen sind ziemlich grauenvoll. Anfang des 20. Jahrhunderts waren Entjungferungsgeschichten oft „blutrünstig” mit „brutalen Männern und sehr viel Blut überall”, sagt McAlister. „Frauen haben fast immer davon erzählt, was für eine Schändung es war und weil es eine Zeit war, in der es so gut wie keine richtige sexuelle Aufklärung gab, wussten die Frauen auch nicht, womit sie rechnen sollten.” Für den Horror, den die Frauen durchgemacht haben, können zum Teil auch die viktorianschen Pamphlete und Bücher verantwortlich gemacht werden. Diese Texte versuchten Frauen auf ihre Hochzeitsnacht vorzubereiten, führten aber nur dazu, dass sie noch paranoider wurden und sie wegen ihrem Körper nur noch mehr verwirrt waren. Das 1891 erschienene Buch The Rights of Women and Their Sexual Relations von Karl Heinzen riet Frauen beispielsweise, sich vor ihrer sexuellen Premiere besser nicht allzu wohl in ihrer Haut zu fühlen, weil Männer nichts so verrückt macht, wie weibliche Scham: „Diese Scham ist … eine natürliche Folge emotionaler Zuneigung, wenn man kurz davor ist, einen neuen Lebensabschnitt zu betreten. Es hat nichts mit dem Bewusstsein oder der Angst zu tun, etwas unsittliches offenbart zu bekommen. Sie ist die Zierde jeder Frau und ihr Fehlen ist Beweis für ihre Stumpfsinnigkeit und Derbheit”, schreibt Heinzen. Sogenannte Experten hatten die absonderlichsten Ideen, was es bedeutete, bis zu einer schicksalhaften Hochzeitsnacht keusch zu bleiben. Jungfräulichkeit war allerdings nicht nur etwas körperliches, sondern auch etwas spirituelles, wie die mittelalterliche und viktorianische Literatur feststellte. Selbst wenn du noch nie von einem Mitglied des anderen Geschlechts angefasst wurdest, war es möglich, seine Jungfräulichkeit zu verlieren, weil man einen unreinen Gedanken hatte. In einem Brief an den Herausgeber einer britischen Zeitung aus dem Jahr 1730 hieß es, dass Bücher von Autorinnen wie Eliza Haywood und Delarivier Manley „mehr Jungfrauen ruinierten als Maskenbälle und Bordelle”, erklärt McAlister gegenüber Broadly. Folgt Broadly bei Facebook, Twitter und Instagram. McAlister glaubt, dass sich an der furchteinflößenden Sprache um den Verlust der Jungfräulichkeit bis zu Marie Stopes Buch Married Love aus dem Jahr 1918 nicht viel verändert hat. Es folgte auf Margaret Sangers 1916 erschienenes Werk What Every Girl Should Know, was sich gegen die Normen der viktorianischen Gesellschaft auflehnte. Sanger vertrat die Meinung, dass auch Frauen ihren Sexualtrieb genießen konnten. Eine weitere Veränderung fand während der sexuellen Revolution statt, als die, die sich von der Gesellschaft unterdrückt fühlten, rebellierten, indem sie offen über ihre sexuellen Beziehungen sprachen. McAlister legte ihren Fokus auf eine neuere Erscheinung: Bücher über das erste Mal, die in den 90ern geschrieben wurden. Einige dieser Bücher sind wie Lehrbücher gestaltet und verbinden Entjungferungsgeschichten mit Epilogen von Sexexperten. Während der Entwicklung dieses Genres, so McAlister, verloren sie allerdings ihren belehrenden Charakter und entwickelten sich immer mehr zu einem anthropologischen Interesse. Es ist aber auch deshalb faszinierend, weil wir vorher nicht darüber sprechen konnten und jetzt können wir es. „Menschen wollen nach wie vor wissen, wie andere Leute ihr Jungfräulichkeit verloren haben, weil sie wissen wollen: ‚Habe ich es richtig gemacht? Bin ich normal?’ Es ist aber auch deshalb faszinierend, weil wir vorher nicht darüber sprechen konnten und jetzt können wir es”, sagt sie. Das heißt aber nicht, dass wir dadurch komplett sexuell aufgeklärt geworden sind. Selbst in Jugendzeitschriften geht es meist nur darum, Teenager zu versichern, dass ihre Aufregung vor dem ersten Mal ganz normal ist, anstatt ihnen wirklich sinnvolle Ratschläge zu geben. Vielleicht liegt das daran, dass es verschiedene Wege gibt, um zu verhindern, dem Ereignis irgendeine künstliche Bedeutung zuzumessen: Das erste Mal fühlt sich immer wie eine große Sache an, beinahe so, als würde es den Erfolg all deiner zukünftigen Begegnungen vorhersagen. Mehr lesen: Wie verlieren Lesben ihre Jungfräulichkeit? Wie wir unsere sexuellen Erfahrungen geistig festhalten, hat laut McAlister einen wichtigen Einfluss darauf, wie groß unser Schuldgefühl und unsere Scham in Nachhinein sind. Sie beschreibt drei Level von sogenannten „sexuellen Skripten”, die wir verwenden, um von unseren sexuellen Erfahrungen zu erzählen: dem kulturellen Level oder der dominanten Erzählweise; dem interpersonellen Level oder der Erzählweise, die man unter Freunden oder vor Menschen in seinem Umfeld verwendet; und dem intrapsychischen Level oder unserer eigenen persönlichen Fantasien. Welches Level die Leute zur Priorisierung wählen, hängt ganz von ihnen ab. „Bei passiven Geschichten wird das kulturelle Skript angewandt und impliziert ein hohes Maß an Scham”, sagt McAliste. „Bei aktiven spielt das intrapsychische Level eine wichtigere Rolle und die Geschichten sind meist positiver.”
[ "Broadly Culture", "Broadly Sex", "das erste Mal", "Experten", "Feminisme", "Frauen", "geschichte", "gesellschaft", "Jungfräulichkeit", "Kultur", "Sex", "Teenager" ]
2016-10-26T06:55:00+00:00
2024-08-12T11:46:25+00:00
https://www.vice.com/de/article/frauen-reden-anders-ueber-ihr-erstes-mal-als-maenner/
Tokio Hotel laden zum exklusiven Summercamp, ihr müsst nur sehr reich sein
Die Kräne der Eisenstadt Ferropolis werden jeden Sommer an drei Festival-Wochenenden von wummernden Bässen erschüttert. Erst vom With Full Force, dann vom splash! und schließlich vom Melt!. Dieses Jahr haben sich jedoch Tokio Hotel dazwischen gedrängt, um zusammen mit 500 absoluten Hardcore-Fans ihr “TH Summercamp” zu feiern. Hardcore, weil wirklich nur solche Leute die Tickets kaufen werden, die die Band der Kaulitz-Brüder abgöttisch lieben. Drei Nächte lang kann man entweder für 799 Euro im eigenen Zelt oder für 3.599 Euro im “luxuriösen Tipi” pennen. Ein (!) Konzert, täglich drei Mahlzeiten und professionelles Foto-Shooting mit der Band sind inklusive, alle Getränke außer Wasser müssen nochmal extra an der Bar gekauft werden. Cheers. Angekündigt hatte die Pop-Band das alles gestern begeistert via Instagram und Facebook. Die Preise sind jedoch recht ernüchternd. Zwar wird den Käufern eine “magische Reise” versprochen, andere Bands oder genaue Infos, was genau in den vier Tagen voll “einzigartiger Unterhaltung, unvergesslichen Überraschungen und Highlights” passiert, gibt es aber nicht. Tokio Hotel werden eben ein Konzert spielen und man solle sein ablenkendes Smartphone lieber zu Hause lassen, was anderes verspricht der eso-verschwurbelte Infotext bisher noch nicht. Das Feedback auf Facebook fällt vernichtend aus. “Das ist nichts FÜR die Fans, ich finde es geht GEGEN Fans”, lautet ein Top-Kommentar. Ein anderer Fan schreibt, dass sie die Band aufgibt. Sänger Bill wird die Kommentare unter seinem Instagram-Post zum Summercamp nicht grundlos ausgestellt haben (auch auf dem offiziellen Band-Account kann man beide Posts zum Camp nicht kommentieren). Immerhin verrät Bill in seiner Insta-Story, dass die Band gerade wohl im Studio an neuen Songs arbeitet. Ausgerichtet wird das Camp vom Berliner Unternehmen Treehouse Ticketing. Die waren schon auf den letzten Touren der Band für die Ticket-Upgrades – Foto-Shooting, Poster, VIP-Pass etc. – zuständig. Sie kümmern sich auch um die Konzerte von MC Fitti, Lena Meyer-Landrut oder … Oomph!. Geld verdienen mit exklusiven Leckereien für die wahren Fans können die also. ** Mehr zum Thema: Folge Noisey auf Facebook, Instagram und Snapchat.
Noisey Staff
[ "FErropolis", "Music", "Noisey", "Noisey News", "Summercamp", "ticketpreise", "tokio hotel" ]
2018-05-23T10:41:35+00:00
2024-07-30T18:36:37+00:00
https://www.vice.com/de/article/tokio-hotel-laden-euch-in-ihr-exklusives-summercamp-ihr-musst-nur-sehr-reich-sein/
Über Betrunkene kann man ruhig lachen, ist halt nur scheiße
Es ist schwer, wirklich schwer, die Fassung nicht vor Lachen zu verlieren, wenn man sieht, wie da jemand vom Feuerwasser angeschossen gegen seine Schlagseite und die Gravitation ankämpft. Und wie er eisern seine Aktentasche festhält, bis zu dem Moment, wo er seine Hose verliert und sein Gesicht mit dem Straßenasphalt eine Symbiose eingeht: Eine Ambivalenz tut sich in unserem Innern auf, weil irgendwie witzig sind sie ja schon, die alkoholbedingten Eskapaden, traurig aber auch. Es ist ähnlich wie mit all den TV-Trash-Formaten: Man lacht über Bauern, die Frauen suchen, oder lacht über Maria, die auch mal Klopapier isst, wenn sie keine Eimer voll Eukalyptus-Bonbons mehr im Haus hat. Gleichzeitig schwingt immer das Bewusstsein mit, dass es vielleicht besser wäre, doch nicht zu lachen. Ähnlich verhält es sich mit Meldungen, wie der vom am Mittwoch umgekippten Post-LKW—wie sich rausstellte, war der Fahrer voll wie ‘ne Hupe; er hatte sich auf 2,4 Promille hochgetankt. Falls die — Berliner Zeitung (@berlinerzeitung)21. Juli 2016 Zum Glück war es nur ein Baum, auf dem er seine Karre geparkt hatte und keine Mutter mit Kind. — Polizeireporter-BM (@PolReporter)20. Juli 2016 Neben Zucker, Internetpornos und Facebook ist Alkohol die wohl größte Volksdroge—auch deshalb werden Meldungen über neue Promillerekorde neben der Entrüstung mit einem Schmunzeln wahrgenommen; es wird das weggelacht, was man selbst nur zu gut kennt. Aber auch da gibt es ein Gefälle vom maximal Humorvollen bis hin zum ausschließlich Tragischen. Amüsant ist zum Bespiel die Anekdote vom polnischen Hammerwerfer Pawel Fajdek: Nachdem er bei den Olympischen Spielen in Peking mit 80,88 Metern die Goldmedaille gewonnen hatte, ist er zur Feier des Tages erstmal einen trinken gegangen. Als er schließlich völlig dicht zurück ins Hotel fahren wollte, hat er den Taxifahrer mit seiner Goldmedaille bezahlt. Und vielleicht ließe sich mit viel Mühe auch noch etwas Humoristisches im dem Vorfall des OP-Arztes an der Ulmer Fachklinik finden, der sich mit 2,4 Promille im Operationssaal an die Arbeit machte und sein Zustand nur deshalb bemerkt wurde, weil er irgendwann einfach zusammengebrochen ist—bis zu dem Moment muss er sich ziemlich beachtlich im Griff gehabt haben. Wenn man dann aber erfährt, dass er kurz vor dem anlaufenden Gerichtsprozess Suizid begangen hat, wird es schwer, über den Mediziner zu lachen. Promillerekorde im Verkehr sorgen auch regelmäßig für bedächtigen Beifall. In Russland klemmte sich ein Mann mit 12 Promille ans Steuer, und nein, es war nicht dieser Vollprofi hier: Der angebliche Weltrekord liegt übrigens nicht viel höher darüber: 12,3 Promille. Aufgestellt im zentralpolnischen Dorf Skierniewice. Wäre nie gemessen worden, wenn der Betrunkene nicht von einem Auto angefahren worden wäre und die Ärzte im Krankenhaus eine Blutentnahme vorgenommen hätten. Wo aber jegliche Ambivalenz zwischen Humor und Tragik in ausschließlich Trauriges übergeht, ist der Fall eines betrunken auf die Welt gekommenen Babys. In der Universitätsklinik im polnischen Lodz brachte eine Mutter ihr Kind mit 4,5 Promille auf die Welt. Sie selbst war kurz zuvor mit 2,6 Promille in einem Schnapsladen zusammengebrochen und ins Krankenhaus gebracht worden. Bedarf keiner weiteren Worte.
VICE Staff
[ "abhängigkeit", "Alkohol", "besoffen", "Drogen", "Rausch", "Rekorde", "saufen", "Stuff", "suff", "Vice Blog" ]
2016-07-21T14:30:00+00:00
2024-07-30T22:06:11+00:00
https://www.vice.com/de/article/ueber-besoffene-zu-lachen-kann-witzig-sein-wenn-es-nicht-scheisse-waere/
Fragen, die Deutschlands Hysterie um das Karriereende von Totilas aufwirft
Foto: imago/nph Man hat es als erklärtes Pferdemädchen nicht immer ganz leicht. Wenn man zugibt, einmal die Woche zum Reiterhof zu fahren, wird man wahlweise ausgelacht oder die Leute glauben, dass man gerade einen Witz gemacht hat. Vor allem aber versteht absolut niemand, wenn man geplante Aktivitäten am Wochenende absagt, weil man unbedingt irgendeinen Reitsport-Entscheid gucken möchte. Am vergangenen Wochenende fand in Aachen die Europameisterschaft in diversen Reitdisziplinen (unter anderem auch in der Dressur) statt und während ich mich schon darauf eingestellt hatte, mich durch diverse Pferde-Websites klicken zu müssen, um an die aktuellsten Ergebnisse zu kommen, wurde mein Newsfeed plötzlich mit einer Meldung nach der anderen geflutet. Totilas, der vor einigen Jahren mit seinem damaligen Reiter Edward Gal Rekorde brach und in der öffentlichen Wahrnehmung zum Wunderpferd mutierte, musste wegen einer Verletzung am Hinterbein aus dem Wettbewerb zurückgezogen werden. Dass der Hengst, der vor einigen Jahren für 10 Millionen Euro nach Deutschland verkauft wurde, nicht mehr in den Spitzensport zurückkehren wird, steht mittlerweile fest. Ob FAZ, Süddeutsche oder Bild: Jeder hatte plötzlich eine Meinung zu dem Rappen, dessen Paradedisziplin mittlerweile von seinem tierischen Konkurrenten Valegro dominiert wird. Wenn nun also auf allen Portalen von einem niemals so dagewesenen Wunderpferd gesprochen wird, dann stimmt das nicht. Andererseits ruft eben auch kein anderer so sehr das alte Kleinmädchen-Traumbild des großen, wunderschönen schwarzen Hengstes wach wie Totilas. Eine Art leichtfüßiger Black Beauty auf Steroiden. Bei all der hysterischen Berichterstattung gab es da allerdings noch die ein oder andere Frage, die bei den poetisch verklärten Abgesängen auf die gequälte Kreatur hintenan geblieben sind. Viel war in Zusammenhang mit Totilas’ Auftritt bei der EM von „Taktunreinheiten” die Rede (vom ZDF recht einfach in diesem Video erklärt). Es gibt in jeder Gangart nämlich eine bestimmte Reihenfolge, in der die Hufe des Pferdes abfußen. Ist die gestört, kann das gesundheitliche Gründe haben, ist in vielen Fällen aber ein Reiterfehler und kann beispielsweise daran liegen, dass das Tier vorne zu sehr festgehalten wird oder aufgrund falscher Handhabung verspannt ist. Wenn ein Pferd im Stehen allerdings besagtes Bein entlastet, weil es offensichtlich Schmerzen hat—dann ist es lahm und sollte von vornherein vom Wettbewerb ausgeschlossen werden. In der Dressur, gerade auf diesem Level, ist es erklärtes Ziel, dass das Pferd mit seinen Hinterbeinen unter den eigenen Schwerpunkt tritt und somit den Großteil der Last aufnimmt. Das ist ziemlich anstrengend, gerade wenn es an Figuren geht, die einen hohen Grad an Versammlung erfordern. Deswegen wirken Grand-Prix-Dressurpferde im Vergleich zu ihren Sportkollegen in anderen Disziplinen so bullig. Wo Springpferde vor allem eine gut gewinkelte, muskulöse Hinterhand brauchen und Vielseitigkeitspferde leicht und ausdauernd sein müssen, sind Dressurpferde eine Mischung aus Gewichtheber und Balletttänzer. Vergleichbar ist dabei eine Übung wie die Piaffe, bei der das Pferd „bergauf” auf der Stelle tritt, mit Squads. So wie man jemanden mit verstauchter Hand nicht zum Gewichtheben antreten lassen würde, darf ein Pferd nicht zu sportlichen Höchstleistungen gezwungen werden, wenn es eine Verletzung an dem Körperteil hat, das den Großteil der Last trägt. Mir kann wirklich niemand erzählen, dass das nicht für jeden vor Ort absolut ersichtlich war. Foto: imago/Stefan Lafrentz Gut. Nachdem das Blatt bereits zu Totilas-Hochzeiten fragte, ob man aus dem Dressur-Crack und der Galopprenn-Stute Danedream ein „Mega-Wunder-Pferd” züchten könnte (die Antwort lautet: Nein. Eine Kreuzung aus Formel-Eins-Wagen und Maybach gewinnt nämlich auch keinen Blumentopf), schoss sie in der allgemeinen medialen Hysterie jetzt den absoluten Vogel ab. Mit „Geht das Millionen-Pferd in Sex-Rente?” wurde die voraussichtliche Zukunft des Tieres als reiner Zuchthengst überschrieben und wer bereits von Fotokollagen des Rappen mit Sextouristenoutfit kurz vor Besteigung (haha!) des nächstem Bumsbombers nach Thailand träumt—wendet euch an die Kollegen der Bild. Die haben da sicherlich schon was vorbereitet. „Pferde abzusamen ist nicht gefährlicher, als auf der Bundesstraße Fahrrad zu fahren.” Es gibt verschiedene Menschen, die ihren Beitrag dazu geleistet haben, dass Totilas vielleicht nie wieder ein Dressurviereck betreten wird. Die aktuellen Besitzer des Tieres, die mit aller Macht an alte Erfolge anknüpfen wollten. Die Verantwortlichen vor Ort, die ein offensichtlich lahmes Pferd an den Start gingen ließen. Bei all der berechtigten Kritik kommt eine Person allerdings überraschend gut weg: Edward Gal, der Totilas ausgebildet und zu Weltruhm geritten hat. Edward von Gal mit Glock’s Undercover, der aus dem Maul blutet. Foto: imago/Eibner Der Mann, der mit der niederländischen Equipe bei der EM am Wochenende die Goldmedaille gewann und seit Jahren für seine Verwendung der „Rollkur” in der Kritik steht—bei dem das Pferd extrem „eng eingestellt” wird. Das bedeutet: Statt den Kopf so zu tragen, dass das Genick den höchsten Punkt darstellt und sich die Nase an der Senkrechten (oder je nach Tempo und Lektion leicht davor befindet), wird dem Pferd der Kopf an die Brust gezogen. Das sorgt für eine Überdehnung (Hyperflexion) der Halsmuskulatur und führt dazu, dass das Pferd nicht nur Schmerzen hat, sondern den Kommandos seines Reiters mehr oder minder hilflos ausgeliefert ist. Das Ergebnis sind verspannte Pferde, deren hakeliges, spektakuläres Luft-Treten nichts mehr mit natürlichen Bewegungsabläufen zu tun hat—und bei denen die Gefahr besteht, dass sie bereits in jungen Jahren „platt”, also mehr oder minder lahm geritten sind. Ist ein Pferd auf diese Art und Weise ausgebildet, ist es nur schwer, mit anderer Reitweise ähnliche „Leistungen” abzurufen. Man könnte also sagen: Als Sportpferd war Totilas’ Schicksal ziemlich früh besiegelt. Mit seinem neuen Championatspferd Undercover wurde Gal während seines laufenden Ritts disqualifiziert, weil der Hengst aus dem Maul blutete. Ein heimlich aufgenommenes Video, was jetzt auf Facebook die Runde macht, zeigt, wie der Reiter Tage vorher den Kopf des Tieres deutlich an die Brust zieht. Niemand schreitet ein. Nicht die Stewards, die derartiges Verhalten ahnden müssten (die Hyperflexion des Halses ist auf deutschen Abreiteplätzen bis zu einer Dauer von acht Minuten erlaubt), nicht die Umstehenden Pferdeverständigen. Wer die Geschichte des gequälten Wunderpferds erzählt, muss bei Gal und seinen Methoden anfangen. Vergesst das Berghain, Galopprennen sind der neue Place To Be. Wie eingangs bereits erwähnt: Es interessieren sich in aller Regel nicht so wahnsinnig viele Leute für Reitsport. Dass Totilas als Thema so viele Leute darauf aufmerksam macht, was in der Dressurszene seit Jahren falsch läuft, ist somit eine durchaus positive Entwicklung. Wenn öffentlicher Druck dazu führt, dass vor und hinter den Kulissen ab jetzt genauer hingeguckt wird, um das Image des Sports nicht vollends an die Wand zu fahren, sehen wir zukünftig vielleicht deutlich weniger gequälte Pferde mit blauen Zungen und kaputten Beinen. Wie es anders geht, zeigte am selben Wochenende übrigens Ingrid Klimke, die Platz 1 und 2 der Vielseitigkeitsprüfung belegte. Ihre Tiere waren entspannt, losgelassen, zufrieden. Und auch Totilas wäre es zu gönnen, dass er endlich wieder Pferd sein kann. Mit täglichem Auslauf und Kontakt zu anderen Pferden. Mit der Möglichkeit, von der Welt mehr zu sehen als die Innenwände seiner Boxen oder den Sand des Dressurvierecks.
Lisa Ludwig
[ "aachen", "Deutschland", "em", "Europameisterschaft", "Fragen", "hengst", "pferde", "reiten", "Reitsport", "Sport", "Tiere", "Vice Blog" ]
2015-08-18T11:54:00+00:00
2024-07-31T01:38:51+00:00
https://www.vice.com/de/article/fragen-die-deutschlands-hysterie-um-das-verletzte-wunderpferd-totilas-aufwirft-999/
Der spezielle Deal zwischen US-Drogenfahndern und dem Sinaloa-Kartell
Agenten der US-Drogenfahndung bei der Auslieferung des mexikanischen Chef-Schmugglers Gilberto Guerrera (via DEA) Katapulte. Spezial-Pfefferoni. Dünen-Offroader. Millionen-Dollar-U-Boote. Hochwertige Drogentunnel. Trucks zum Bohren professioneller Pipelines. Dies sind nur einige der genialen Methoden, mit denen das Sinaloa-Kartell die hohe Kunst des Drogenschmuggels perfektionieren will. Die mexikanische Organisation hat es auf diesem Wege zum wohl fortschrittlichsten, mächtigsten und größten Drogenhändler der Welt gebracht.  Eine bahnbrechende Untersuchung durch El Universal hat nun bewiesen, dass es einen Deal zwischen Sinaloa und der US-Drogenfahndungsbehörde bzw. dem US-Justizministerium gab. US-Beamte haben scheinbar über mehrere Jahre ihre Augen bezüglich der Operationen des Kartells zugedrückt und im Gegenzug Informationen über rivalisierende Banden erhalten. Nach ausführlichen Interviews mit mexikanischen und amerikanischen Beamten, die mit der Angelegenheit vertraut sind, und der Einsicht in Gerichtsdokumente, konnte El Universal ein von 2000 bis 2012 andauerndes Arrangement bestätigen. Es ist aber unklar, wie es heute um das Verhältnis steht—El Universal konnte keine Schlüsse bezüglich des aktuellen Status des Deals ziehen. Was wir aber aufgrund der Untersuchung wissen, ist, dass die US-Drogenfahnder der DEA sich wiederholt mit führenden Sinaloa-Mitgliedern getroffen haben, und zwar ohne die mexikanischen Behörden zu informieren. Dieser Vorgang ist nicht nur ungewöhnlich, sondern auch ein klarer Verstoß gegen bilaterale Vereinbarungen. Wenn du erfahren möchtest, wieso die DEA zwölf Jahre lang mit dem mexikanischen Drogenkartell kooperierte, kannst du auf Motherboard weiterlesen. 
Brian Anderson
[ "dea", "Drogen", "Drogenhandel", "Mexiko", "Motherboard", "Tech", "usa" ]
2014-01-15T14:00:00+00:00
2024-07-31T03:15:22+00:00
https://www.vice.com/de/article/motherboard-der-spezielle-deal-zwischen-us-drogenfahndern-und-dem-sinaloa-kartell/
Video: Martin Sonneborn hat gerade mit seiner Rede der ganzen EU eine Schelle gegeben
Wenn Martin Sonneborn im EU-Parlament eine Rede hält, ist das so, als würde jemand zum Wiener Opernball im Monstertruck vorfahren. Der Europaparlamentarier und Parteivorsitzende von der Partei Die PARTEI hat in nur 90 Sekunden alles zusammengefasst, was in der EU schiefläuft. “In den letzten drei Jahren habe ich als EU-Abgeordneter großartige Arbeit geleistet”, eröffnet Sonneborn seine selbstherrliche Rede. “Ich habe die Engländer nach Hause geschickt, ich habe Martin Schulz entmachtet und zum SPD-Kanzlerkandidaten degradiert. Und ich habe dafür gesorgt, dass Kanzler-Altlast Helmut Kohl vom Netz genommen, demontiert und witwen-gesichert endgelagert wird.” Zwar sei er daran gescheitert, dem Orbán-Regime und der polnischen “Piss-Partei” demokratische Grundwerte zu vermitteln. Auf eine andere Idee, welche die EU von seiner Partei übernommen habe, sei er aber besonders Stolz: “Eine Mauer um Europa.” Außerdem erinnert er daran, dass seine Partei, so wie die christlichen Unionsparteien eine Obergrenze für Flüchtlinge gefordert habe: “Deutschland soll jährlich nicht mehr aufnehmen müssen als das Mittelmeer.” Nach Sonneborns Rede hallen nur vereinzelt Buhrufe durch den fast leeren Saal. Vielleicht hatten die Parlamentarier von Sonneborn auch nichts anderes erwartet, vielleicht verstehen sie aber auch, was Zynismus ist. Doch wo wir schon bei zweifelhaften Parteien sind, will auch Manfred Weber von der CSU noch etwas sagen. Denn einen Punkt an Sonneborns Rede findet er trotz Meinungsfreiheit kritikwürdig. Klar, das mit den vielen toten Flüchtlingen ging zu weit, denkt ihr jetzt. Aber nein! “Wenn man über einen Toten so spricht, wie der Herr Sonneborn gerade über Helmut Kohl gesprochen hat, dann ist das inakzeptabel”, sagt Weber. Damit beweist er nur, dass es gar nicht so schlecht ist, wenn jemand wie Sonneborn klarstellt, um welche unbequemen Themen es in der EU wirklich gehen sollte. Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.
VICE Staff
[ "Bundestagswahl 2017", "Die partei", "Martin Sonneborn", "Politik" ]
2017-09-13T15:17:23+00:00
2024-07-30T20:45:08+00:00
https://www.vice.com/de/article/59dz98/video-martin-sonneborn-hat-gerade-mit-seiner-rede-der-ganzen-eu-eine-schelle-gegeben
Wie sprechen Jugendliche wirklich?
Foto: VICE Media Letztes Jahr wurde „Selfie” knapp vor „Fail” zum österreichischen Jugendwort des Jahres gewählt. Dass die Wahl ausgerechnet auf das schnelle Selbstporträt gefallen ist, gibt einem den Eindruck, dass das Jugendwort des Jahres von Außerirdischen—oder zumindest sehr alten Leuten—bestimmt wird, die sich irgendwie über YouTube und Facebook-Schnellrecherche ein Bild der Jugendgeneration machen müssen (bevor die mittägliche Sonden-Untersuchung ansteht). Tatsächlich wird das Wort, Unwort sowie der Spruch und Unspruch des Jahres von der Forschungsstelle für österreichisches Deutsch an der Karl-Franzens-Universität in Graz ermittelt und stellt dabei sowas wie einen sprachlichen Jahresrückblick dar, der Fehltritte und Besonderheiten in der hiesigen Sprachwelt einfangen soll. Doch zwischen den ziemlich treffenden Wörtern des Jahres Frankschämen (2013) und situationselastisch (2014) wirken die Jugendwörter sehr allgemein, plump und irgendwie auch schlampig ausgewählt. Das ist aber nicht unbedingt die Schuld der Forschungsstelle für österreichisches Deutsch: Jedes Jahr kann man online Vorschläge einsenden und abstimmen, das letzte Wort hat eine mehrköpfige Jury. Dass dabei auch Probleme auftauchen können, findet man auch in der offiziellen Hintergrundgeschichte des österreichischen Jahresworts: Die Gefahr, dass man dabei daneben liegt, ist groß, da man vielleicht das eine oder andere aus zeitlicher Begrenzung nicht ausreichend wahrgenommen hat. In Wirklichkeit ist Jugendsprache ziemlich flüchtig und sehr schwer einzufangen. Auf der Uni würde man dazu „ephemerisch” sagen, besonders hip ist das aber nicht. Sie zeichnet sich vor allem durch Übertreibungen, Ironie und das allgemeine Spiel mit der Sprache aus. Aber wie sehen das eigentlich Jugendliche selbst? Ich habe mich mit ein paar tighten Jünglingen—nein Moment, das klingt fürchterlich—Ich habe mich also mit ein paar freshen Kids unterhalten um zu sehen, bei wem es läuft, wer eher so der Hurensohn ist und was sie eigentlich zum Jugendwort 2014 sagen. In einem Punkt sind sie sich alle einig, Selfie wirkt so, als ob sich das sehr alte Leute ausgesucht haben. Sie verstehen darunter kein Jugendwort sondern einen allgemeinen Begriff, der lustigerweise noch dazu von älteren Menschen sehr oft falsch verwendet wird—ein gescheiterter Versuch, cool zu sein. Die meisten halten das sowieso für nicht bestimmbar. So wird zum Beispiel „Bitch” anscheinend viel öfter verwendet als Selfie und auch irgendwie als besonderer Ausdruck gesehen. Auch „aufbitchen” (im Sinne von sich schönmachen) ist mir aufgefallen. Bitch bitte. Dabei werden eigentlich fast alle Begriffe und Redewendungen sowohl ernst als auch ironisch gemeint, obwohl der Schwerpunkt auf der ironischen Seite liegt. Hurensohn und Spast werden dabei vor allem unter Jungs gern verwendet, sind allerdings selten böse gemeint. Gefällt mir. Die befragten Burschen meinten auch „Prollotürkisch” ist ziemlich beliebt. „Hey Bruda, kommst du” oder „Ja Lan, ich schwör herst” waren aber auch schon zu meiner Zeit der Renner (in Deutschland heißt das ganze übrigens Kanak Sprak). Überhaupt haben sich Bruda, Brudi und Bro irgendwie in der Jugendsprache etabliert, was bei letzterem natürlich hauptsächlich über das Internet und US-amerikanische Popkultur zu uns gekommen ist. Englisch hat im Vergleich zu damals einen größeren Stellenwert und so gehören Sätze wie „Lookst du mal in den Kühlschrank?” oder „Throw mir mal den Ball zu” zu halbwegs normalen Satzkonstruktionen. Immerhin spielt man noch mit Bällen, irgendwie beruhigend. Das verhasste Akronym „Yolo” wird fast ausschließlich ironisch gemeint, um die (fehlende) Waghalsigkeit von diversen Unterfangen zu unterstreichen. „Das Yoghurt ist abgelaufen, egal—yolo!”. Redet so etwa die Jugend von heute? Ungenuss. Von den 12 Befragten, von denen übrigens keiner wusste, dass man selbst an der Abstimmung teilhaben kann, sagten immerhin drei dass das Jugendwort „Swagolicious” sein sollte und zwei davon waren für „Swagetti Yolonaise”. Einen vollständigen Satz mit Swagetti Yolonaise bilden konnte trotzdem niemand. Zwei der 12 sehen mit „läuft bei dir” —der Sieger in Deutschland—das richtige Jugendwort des Jahres. Die Kids und Jugendlichen meinen, dass fast immer das Internet und/oder (Musik)Videos für die Sprache ihrer Generation verantwortlich sind. Mal ordentlichen twerken oder ein Babo sein. Einer der Jungs meinte, „dass sehr beliebte Musiker wie Moneyboy an sowas Schuld sind”. Ich habe lange versucht es zu ignorieren, aber Irgendwie überkommt mich der schleichende Verdacht, dass Moneyboy vermutlich wirklich für ein gutes Drittel der österreichischen Jugendwörter verantwortlich ist—auch wenn mit ihnen trotzdem niemand Sätze bauen kann. Weiters tut sich die Frage auf, ob eine Trennung zwischen Österreich und Deutschland überhaupt sinnvoll ist. In Deutschland kümmert sich ja der Langenscheidt-Verlag um das Jugendwort des Jahres, dazu passend kommt jedes Jahr ein Wörterbuch mit den gängisten Redewendungen raus. Ob sie mit Sätzen wie „Yo, letztens richtig tight über die Street gesteppt und auf meinem ichhandy getippt yo” oder diesem Promotion-Video jugendsprachlich danebenliegen, müsst ihr entscheiden. Aber die Antwort ist ja. Fazit ist, dass sich Jugendsprache nur schwer einfangen lässt und auch nicht besonders gut in kleine Wörterbücher stecken lässt. Sie unterscheidet sich oft nicht besonders stark von gängigen Redewendungen oder Slangwörtern, wenn man nicht gerade einen Satz bildet, der in Echt so nie gesagt werden würde. Jugendsprache als solches gibt es vermutlich nicht und man müsste zwischen jeder Menge verschiedenen Mileus und Szenen unterscheiden, abgesehen davon dass man wohl jedes einzelne Bundesland extra untersuchen müsste. Damals als ich noch ein cooler Teenie war, hat man „ur gut” oder „ur dirty, oida” gesagt—danke, Xtina. So kann es also gut sein, dass das Jugendwort 2015 irgendein Wort wird, das wir schon seit Jahren kennen. Wie wäre es mit Twerking? Oder Ungenuss? Am Ende wird es vermutlich eh wieder irgendein Wort, mit dem niemand zufrieden sein wird. Oder I’m in love with the coco. Schiebt mit Adrian krassen Abfuck auf Twitter: @doktorSanchez
Adrian Aranyos
[ "Fail", "jugendsprache", "Jugendwort", "langenscheidt", "selfie", "Stuff", "Vice Blog" ]
2015-01-21T13:05:00+00:00
2024-07-31T00:32:42+00:00
https://www.vice.com/de/article/wie-sprechen-jugendliche-wirklich-571/
So sagst du erfolgreich &#8216;Sorry&#8217;: Der Guide nach Mark Zuckerberg
Jeder von uns baut mal Scheiße, das lässt sich nicht vermeiden. Umso besser also, wenn man weiß, wie man sich richtig entschuldigt. Denn das ist eine Kunst, die einen im Leben wirklich weiterbringt: Wer sich gut entschuldigt, der kann Beziehungen reparieren, wirkt reif, reflektiert und bescheiden und ist am Ende drei Milliarden Dollar reicher. Das ist zumindest gerade Mark Zuckerberg passiert. Der Facebook-Gründer hat sich gestern zum ersten Mal einer Anhörung vor dem US-Kongress gestellt, um sich dafür zu entschuldigen, dass eine externe Firma die Daten von mindestens 50 Millionen Facebook-Nutzern (wenn nicht mehr) einsammeln und zu Geld machen konnte. Und Zuckerberg hat das so gut gemacht, dass nicht nur die US-Abgeordneten offenbar zufrieden waren, sondern auch die Börse: Nach einem massiven Kurssturz in den letzten Wochen ging der Aktienkurs von Facebook nach der Anhörung um vier Prozent nach oben, was Zuckerberg um die drei Milliarden Dollar reicher machte. Ein guter Grund, sich bei dem Mann ein paar Tricks abzuschauen: Zuckerberg beweist, dass man die Demut nicht spontanen menschlichen Regungen überlassen sollte. Öffentliche Auftritte sind für ihn immer eine Herausforderung, weil er ungefähr so viel zwischenmenschlichen Charme besitzt wie ein Retina-Scanner. Aber weil er um seine Schwächen weiß, hat der Facebook-Gründer sich von einem ganzen Team von Kommunikationsberatern und Coaches drillen lassen, um menschlicher und nahbarer zu wirken. Das hat auch ganz gut funktioniert – in gewissen Grenzen: Smile. pic.twitter.com/UlAsPamyPM Nichts lässt einen Konflikt schneller eskalieren, als wenn sich eine Seite nicht ernst genommen fühlt. Zuckerberg ist das bewusst, als Besitzer eines Vermögens von rund 70 Milliarden Dollar hatte er es bis zu diesem Zeitpunkt ja auch nicht nötig gehabt, Kritiker ernst zu nehmen. Vor allem deutsche Politiker haben sich in der Vergangenheit immer wieder beschwert, dass sie sich von Facebook-Vertretern wie Vollidioten behandelt fühlen. Nun steht allerdings Zuckerbergs Lebenswerk auf der Kippe, das heißt, er muss seine Methode anpassen. Dadurch, dass er jetzt persönlich erschienen ist, hat Zuckerberg dem US-Kongress signalisiert, dass er das Anliegen für voll nimmt. Die haben sich allein darüber schon enorm gefreut. Ein Senator grüßte den Facebook-CEO sogar von seinem 13-jährigen Sohn Charlie, weil der “sehr engagiert auf Instagram” sei. Die Abgeordneten machten es Zuckerberg nicht immer leicht, sie als ebenbürtige Gesprächspartner für Digitalthemen ernst zu nehmen: Einer fragte zum Beispiel wiederholt, ob die Firma denn die “E-Mails” lesen könne, die er über WhatsApp verschicke. Zuckerberg gelang es trotzdem außerordentlich gut, geduldig die Fassade von respektvoller Hilfsbereitschaft zu wahren – was aber auch einfach daran liegen könnte, dass er augenscheinlich kaum Zugang zu menschlichen Emotionen wie zum Beispiel Schadenfreude hat. “Das war mein Fehler, und es tut mir leid”, sagte Zuckerberg in seiner vorbereiteten Eröffnungsrede. “Ich habe Facebook gegründet, ich leite es, und ich bin verantwortlich für alles, was hier passiert.” Das kam natürlich gut an: Kein Wegducken, keine Ausflüchte, der Mann steht zu seinen Fehlern. Andererseits ist es aber auch eine wunderbare Methode, um Verantwortungsbewusstsein zu simulieren, ohne irgendwas an den Verhältnissen ändern zu müssen. Facebook wird weiter die Daten über Nutzer sammeln, teilweise ohne deren Einverständnis oder ohne dass sie überhaupt ein Profil auf der Plattform haben. Und auch wenn Zuckerberg immer wieder betont, dass die Nutzer die Kontrolle über ihre Daten haben müssen, wird er wohl nie freiwillig erlauben, dass Nutzer ihre Daten, Fotos, Erinnerungen und Posts dann auch wirklich besitzen – und damit zum Beispiel zu anderen Plattformen umziehen können. Dass Zuckerberg so vollmundig die Verantwortung übernimmt, bringt dem Nutzer am Ende bis auf einige sinnvolle Updates also erstmal wenig. “Facebook ist eine idealistische und optimistische Firma”, erklärte Zuckerberg, man habe nie etwas anderes gewollt als “Menschen verbinden”. (Dass die Seite ursprünglich mal entwickelt wurde, damit Harvard-Studenten ihre Kommilitonen nach Hotness bewerten können, erwähnte er überraschenderweise nicht.) Aber mittlerweile, so der reuige Facebook-Chef, habe man gemerkt: “Es reicht nicht, Menschen zu verbinden, wir müssen auch sichergehen, dass diese Verbindungen positiv sind.” Die Botschaft ist klar: Blauäugig und voll guten Glaubens haben die cleveren Tüftler von Facebook sich daran gemacht, ein tolles System zu bauen, mit dem sich Menschen auf der ganzen Welt “verbinden” können. Allein, die Menschen waren nicht gut genug für das System. Sie verbinden sich zwar, aber offenbar auch, um sich gegenseitig mit Fake News, Gemeinheiten und russischer Propaganda zu bombardieren. Der einzige Fehler von Facebook, so der edle Gründer kopfschüttelnd, war also, zu naiv an das Gute im Menschen zu glauben. Was dabei unter den Tisch fällt: dass die Algorithmen der Plattform de facto unsere schlechtesten Seiten ansprechen – um aus unserer Empörung, unserer Wut und unserem Hass “Engagement” zu machen. Das ist es, was der stets freundlich blinzelnde Zuckerberg in seiner Entschuldigung natürlich nicht unbedingt breittreten wollte. Aber deswegen kannst du ja auch von ihm lernen: Die Kunst der überzeugenden Entschuldigung liegt in der selektiven Darstellung der Wahrheit. Folge VICE auf Facebook, Instagram und Snapchat.
Matern Boeselager
[ "Cambridge Analytica", "Facebook", "Mark Zuckerberg" ]
2018-04-11T10:28:20+00:00
2024-07-30T18:30:35+00:00
https://www.vice.com/de/article/so-sagst-du-erfolgreich-sorry-der-guide-nach-mark-zuckerberg/