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“Die Reformlüge”
Albrecht Müller, “Die Reformlüge – 40 Denkfehler, Mythen und Legenden, mit denen Politik und Wirtschaft Deutschland ruinieren”. Einige kurze Information zu meinem neuen Buch: Es ist bei Droemer in München erschienen. 416 Seiten. € 19.90. Erstverkaufstag: 24.8.2004 – ISBN 3-426-27344-6 Buchvorstellung am 30.8. mit Horst Seehofer und Wibke Bruhns Zum Inhalt und Charakter des Buches: Das Buch widerspricht der Hauptthese der öffentlichen Debatte um Reformen und der immer wieder verbreiteten Hoffnung, mit der Auflösung des sogenannten Reformstaus und mit Strukturreformen könne die wirtschaftliche Belebung und der wirtschaftliche Wiederaufstieg unseres Landes erreicht werden. Der Autor hält dies für eine fixe Idee, der die Mehrheit unserer Eliten und der Mainstream der Meinungsführer in Politik, Wirtschaft, Medien und Wissenschaft inzwischen verfallen sind. Es wird gezeigt, dass hinter diesem gelungenen Brainwashing einzelne Interessen stecken, dass die Durchsetzung dieser Interessen aber nur möglich war und ist, weil wir insgesamt einer Fülle von Denkfehlern, Mythen und Legenden aufsitzen. Im Kern des Buches werden 40 dieser Denkfehler, Mythen und Legenden analysiert. Sie bestimmen den Alltag unserer öffentlichen Debatte. Anders als die vielen Bücher, die in den letzten Monaten zum gleichen Thema erschienen sind1, ist dieses Buch nicht auf dramatisierende Schwarzmalerei angewiesen. Es ist konstruktiv und optimistisch. Es widerlegt zum Beispiel die Untergangsvorstellungen zur demographischen Entwicklung, zu den Wachstumschancen, zur mangelnden Wettbewerbsfähigkeit, zur angeblichen Erosion des Normalarbeitsverhältnisses u.a.m und beschreibt die Sozialstaatlichkeit als eine moderne und erhaltenswerte Regel unseres Zusammenlebens. Der rote Faden: »Und wenn alle anderen die von der Partei verbreitete Lüge glaubten – wenn alle Aufzeichnungen gleich lauteten –, dann ging die Lüge in die Geschichte ein und wurde Wahrheit.« George Orwell, 1984 Der Spruch zum Buch: »Wäre es nicht an der Zeit, nach fünfzig erfolgreichen Jahren Bundesrepublik die Strukturen neu zu entwerfen?« Josef Ackermann, Vorstandssprecher der Deutschen Bank Die Liste der 40 analysierten Denkfehler, Mythen und Legenden A. Vier Mythen, die neuen Herausforderungen betreffend 1.»Alles ist neu.« 2.»Die Globalisierung ist ein neues Phänomen.« 3.»Wir brauchen die permanente Reform.« 4.»Wir leben in einer Wissensgesellschaft! Wir leben in einer Dienstleistungsgesellschaft!« B. Drei Mythen, die demographische Frage betreffend 5.»Wir werden immer weniger!« 6.»Wir werden immer älter. Der Generationenvertrag trägt nicht mehr.« 7.»Jetzt hilft nur noch private Vorsorge.« C. Zwölf Mythen, die Themen Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung betreffend 8. »Wachstum bringt es nicht.« 9.»Die Produktivität ist zu hoch.« 10.»Die Zeiten, als man aus dem Vollen schöpfen konnte, sind vorbei.« 11.»Wir leben über unsere Verhältnisse.« 12.»Ganze Branchen brechen weg.« 13.»Wir sind nicht mehr wettbewerbsfähig.« 14.»Wachstum ist auch ökologisch nicht vertretbar.« 15.»Konjunkturprogramme sind Strohfeuer.« 16.»Wir sind national nicht mehr handlungsfähig.« 17.»Wir leben vom Export.« 18.»Inflation ist unsozial.« 19.»Steigende Aktienkurse sind gut.« D. Zehn Mythen, die Löhne und den Arbeitsmarkt betreffend 20.»Wir können nur das verteilen, was wir vorher erwirtschaftet haben.« 21.»Arbeit muss billiger werden!« 22.»Die Lohnnebenkosten sind zu hoch.« 23.»Die Beiträge für die Rentenversicherung dürfen nicht über 20Prozent steigen.« 24.»Der Arbeitsmarkt ist zu unflexibel.« 25.»Wir müssen länger arbeiten.« 26.»Wir sind ein Gewerkschaftsstaat.« 27.»Das Normalarbeitsverhältnis – ein Auslaufmodell.« 28.»Wir brauchen mehr Selbständige.« 29.»Wir brauchen wieder eine Elite.« E. Elf Mythen, den Komplex Schulden, Staatsquote und Sozialstaat betreffend 30.»Wir sind überschuldet.« 31.»Wer spart, baut Schulden ab.« 32.»Mehr Eigenverantwortung, weniger Sozialstaat.« 33.»Sozial ist, was Arbeit schafft.« 34.»Leistung muss sich wieder lohnen.« 35.»Steuersenkungen schaffen Investitionen und Arbeitsplätze.« 36.»Der Staat ist zu fett geworden.« 37.»Deregulierung und Privatisierung sind angesagt.« 38.»Subventionen sind unsozial.« 39.»Wir setzen auf die Zivilgesellschaft.« 40.»Die Kosten der deutschen Einheit – ausgeblendet!« Das Vorwort: Dieses Buch ist in gewissem Sinn eine Auftragsarbeit. Es ist auf Anregung von Freunden geschrieben worden, die sich der herrschenden öffentlichen Debatte gegenüber hilflos fühlen. Sie sind einem wahren Bombardement von Publikationen ausgesetzt – von Meinhard Miegel und Oswald Metzger, von Hans-Werner Sinn und Gabor Steingart, von Arnulf Baring und Frank Schirrmacher und vielen anderen. Immer wieder lesen und hören sie, wie schlecht es uns geht und dass wir Reformen brauchen. Viele meiner Freunde sind beeindruckt davon, als wie dramatisch unsere Lage geschildert wird. Zugleich spüren sie aber, dass daran irgend etwas nicht stimmt. Sie haben ein offenes Ohr für das Wort »Reform«. »Reformpolitik«, das hört sich gut an. Aber der ökonomische Erfolg bleibt bislang aus, das Land taumelt von einer Reform zur nächsten und versinkt zusehends in Orientierungslosigkeit und Depression. Diese Erfolglosigkeit ist um so bemerkenswerter als die Meinungsführer im Lande nahezu einhellig dieselben Rezepte propagieren. Ökonomisch nicht besonders vorgebildete Politiker, auch Intellektuelle und sogenannte Experten, Journalisten und die erwähnten Autoren verordnen dem Land tiefgreifende Strukturreformen, also den Abbau und den Umbau des Sozialstaates in einem Ton, als hätten ihre Konzepte sich längst als die einzig richtigen und wahren erwiesen. Dass ein Teil der Wissenschaft und ein Teil der Wirtschaftsverbände diese Reformen für richtig halten, ist ihr gutes Recht. Doch gehört zu einer wirklichen Debatte nicht der Austausch konträrer Meinungen? Kann es wirklich sein, dass in der Wirtschaftspolitik gilt, was es auf keinem anderen Politikfeld gibt: die eine, seligmachende Erkenntnis? Kann es wirklich sein, dass das, was so lange Jahre funktionierte, nämlich die soziale Marktwirtschaft bundesdeutscher Prägung, von heute auf morgen obsolet ist? Machen die Vorschläge zur Erneuerung unseres Gesellschaftssystems wirtschaftlich überhaupt Sinn? Und wie kann der »normale Bürger«, der nicht Ökonomie studiert hat, nachprüfen, ob die Argumente, die in der Debatte verwendet werden, auch wirklich stimmen? Alternativen werden kaum angeboten, es sei denn, man studiert auch kleinere Publikationen, die abseits des Mainstreams liegen. Hier setzt mein Buch an. Es soll all jenen Fakten und Argumentationshilfen geben, die das Gefühl haben, dass die eingeschlagene Linie nicht stimmen kann, und die nicht Spielball derer sein wollen, die in der Öffentlichkeit das große Wort führen. Nicht nur sogenannte Linke oder Gewerkschafter oder sozial Engagierte, auch Konservative und rational denkende Unternehmer tun sich mit dem niedrigen Niveau und der Einseitigkeit der öffentlichen Debatte schwer. Für sie ist dieses Buch. Die gängige Reformpolitik leidet nicht nur unter einem Defizit an Gerechtigkeit. Genauso schlimm ist ihre Unwirksamkeit. In Deutschland wird seit gut zwanzig Jahren auf neoliberale Weise reformiert. Ohne nachhaltigen Erfolg. Die wirtschaftliche Lage wurde immer kritischer. Dass die neoliberale Bewegung dennoch die Herrschaft über das Denken erreicht und behalten hat, ist eine strategische Meisterleistung. Wer verstehen will, warum bei uns parteiübergreifend Reformen gefordert und gemacht werden, die nichts bringen, muss diese Strategien durchschauen lernen. Darum analysiere ich auch die Methoden und Hintergründe dieser gekonnten Meinungsprägung. Seit Beginn meiner beruflichen Tätigkeit als junger Nationalökonom an der Münchner Universität und dann später als Mitarbeiter von Karl Schiller, Willy Brandt und Helmut Schmidt beschäftigt und fasziniert mich dieser Fragenkomplex: der Zusammenhang zwischen öffentlicher Meinung und der Qualität politischer Entscheidungen. Wie kommen wir zu guten, erfolgversprechenden und zukunftsweisenden politischen Entscheidungen? Welche Rolle spielen dabei die öffentliche Meinung und die Medien? Wer prägt die öffentliche Meinung, und wie geschieht das? Werden wir manipuliert, und wie können wir uns gegebenenfalls dagegen wappnen? Als mich der damalige Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller (SPD) 1968 als Ghostwriter nach Bonn holte, hatte er zusammen mit dem damaligen Finanzminister Franz-Josef Strauß (CSU) die erste Wirtschaftsrezession der Bundesrepublik gerade erfolgreich überwunden. Mit Konjunkturprogrammen und vor allem mit Stimmungsmache. Plisch und Plum, wie Schiller und Strauß liebevoll spottend genannt wurden, hatten mit Parolen wie »Die Richtung stimmt« und »Die Pferde müssen wieder saufen« und mit unendlich vielen, Optimismus verbreitenden Zahlen die öffentliche Meinung und vor allem die Unternehmer davon überzeugt, dass es aufwärts geht. Innerhalb von zwei Jahren war die Rezession überwunden. Wer das erlebt hat oder im Rückblick erfährt, muss sich im Hinblick auf heute fragen: Warum machen wir’s nicht wieder so? Was ist anders? Wie kommt es zu der fast schon hysterisch pessimistischen Stimmung, die uns heute zu schaffen macht? Woran scheitern die zaghaften Versuche der Bundesregierung, gegen Mutlosigkeit und Schwarzmalerei anzugehen? Ist die nun schon seit Anfang der neunziger Jahre währende Unfähigkeit, die Kapazitäten unserer Volkswirtschaft voll zu nutzen und genügend Arbeitsplätze zu schaffen, sachlich bedingt oder ist sie eher die Folge einer irregeleiteten Meinungsbildung und Entscheidungsfindung? Willy Brandt, mit dem ich ab 1970 als sein Wahlkampfmanager und später als Planungschef im Bundeskanzleramt arbeitete, war in seinen guten Zeiten ein Meister darin, die Öffentlichkeit von der Richtigkeit einer politischen Entscheidung zu überzeugen. Beispielsweise kämpfte er die Versöhnung mit unseren östlichen Nachbarn und die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze auch gegen eine zunächst widerstrebende und skeptische Öffentlichkeit durch. Hätte er sich dem Mainstream angepasst, hätten wir noch lange auf das Ende der Ost-West-Konfrontation warten müssen. Auch zu seiner Zeit haben große Interessen immer wieder versucht, über die Beeinflussung der öffentlichen Meinung Einfluss auf die Politik zunehmen. Meist ist es Brandt gelungen, diese Versuche abzuwehren, beispielhaft im Wahljahr 1972. Warum ist das heute soviel anders? Warum bestimmen heute die Interessen der Topeliten so sehr die öffentliche Debatte und damit auch weitgehend die politischen Entscheidungen? Zu Willy Brandts Zeiten spielte der Begriff »Reformen« ebenfalls eine zentrale Rolle. Reformen waren damals aber in der Regel Veränderungen zu Gunsten breiter Kreise der Bevölkerung. Ganz anders in unserer Zeit. Heute gehen sie vor allem zu Lasten der mittleren und unteren Einkommen. Ist dieser politische und semantische Wandel sachlich bedingt? Helmut Schmidt, für den ich ab 1974 als Planungschef im Bundeskanzleramt tätig war, führte 1976 den Begriff »Modell Deutschland« in die öffentliche Debatte ein. Das war eine gedankliche Klammer für unsere auf Dialog und Verständigung setzende Rolle in der Welt einerseits und die soziale Prägung unseres Landes und seinen wirtschaftlichen Erfolg andererseits. Soziale Gerechtigkeit, soziale Sicherheit und sozialer Friede seien wichtige Bedingungen für das wirtschaftliche Wohlergehen, lautete einer der zentralen Gedanken. Damals war es möglich, Mehrheiten für diesen Gedanken zu gewinnen. Es war auch möglich, wenigstens größere Teile der Eliten und der Meinungsführer in den Medien und in der Wissenschaft, in der Wirtschaft und im Bürgertum dafür zu erwärmen, dass auch die Bessergestellten es besser haben in einem Land, in dem es einigermaßen gerecht zugeht. Wie kommt es, dass dies heute ganz anders gesehen wird? Ist das Einsicht? Ist es das Ergebnis von Propaganda und Manipulation? Muss das »Modell Deutschland« Vergangenheit sein? Wie spielen hier Meinungsmache und Sachzwang zusammen? Welche Rolle spielen Interessen? Sozialstaatlichkeit und soziale Sicherheit waren integrale Bestandteile dieses Gesellschaftsmodells. Die Mehrheit der Menschen sieht das auch heute noch so. Das Grundgesetz will es nach wie vor so. Wie kommt es, dass das Wort »Sozialstaat« bei den Meinungsführern dennoch einen so schlechten Klang bekommen hat? Wie ist es möglich, dass die übliche Finanzierung sozialstaatlicher Leistungen über Beiträge, dass die Lohnnebenkosten eine so überaus negativ besetzte Karriere in der politischen Debatte machen konnten? Was an dieser Entwicklung ist sachlich bedingt? Was ist die Folge von Öffentlichkeitsarbeit, von Manipulation oder sogar von »Brainwashing«? Mitte der siebziger Jahre hatten wir schon einmal eine öffentliche Diskussion um das sogenannte demographische Problem; vom »sterbenden Volk« war die Rede; einige Demographen und der Innenminister empfahlen eine Geburtenprämie von 2000 DM. Der damalige Bundeskanzler hat anders reagiert als der heutige. Helmut Schmidt machte sich damals Sorgen um die weltweite Bevölkerungsexplosion, er empfahl anderen Regierungen eine Politik zur Geburtenkontrolle und kritisierte den Papst, weil die katholische Kirche in ihrem Einflussbereich die notwendige Geburtenkontrolle so sehr erschwerte. In Anbetracht dieses Versuchs der deutschen Regierung, für Geburtenkontrolle bei anderen zu werben, hielt er es für unglaubwürdig und nicht möglich, zu Hause eine aktive Geburtenpolitik zu betreiben. Deshalb dämpfte und beruhigte er die öffentliche Debatte. Heute reagieren die Meinungsführer und die Bundesregierung ganz anders. Die Diskussion um das demographische Probleme verläuft ausgesprochen emotional. Die zuständige Ministerin setzt sich mit der Gründung einer Aktionsgemeinschaft an die Spitze einer aktiven Bevölkerungspolitik. Wie kommt es zu dieser so anderen politischen Reaktion? Welche Rolle spielt die öffentliche Debatte und wer speist sie? Ist diese Reaktion sachlich bedingt oder von Interessen bestimmt? Sind die so vehement verbreiteten Sorgen überhaupt berechtigt? Ist die heute gängige Behauptung, das sogenannte demographische Problem zwinge zu tiefgreifenden Strukturreformen, die sozialen Sicherungssysteme seien so nicht mehr haltbar, sachlich begründet oder ist sie ein Propagandatrick? Wenn ich an einige frühere Vorgänge erinnere, will ich nun partout nicht den Eindruck erwecken, früher sei alles besser gewesen. Ich will damit lediglich bewusst machen, wie sehr heute politische Entscheidungen von der öffentlichen Meinung abhängen, und wie sehr deshalb auch die Qualität der politischen Entscheidungen von der Qualität der Meinungsbildung bestimmt wird. Diese Meinungs- und Willensbildung wird heute in starkem Maße von den Medien geprägt. Um die Qualität der Meinungsbildung ist es aus verschiedenen Gründen nicht zum besten bestellt. Sie leidet unter dem Zugriff großer Interessen. Wer politisch etwas erreichen will, versucht, die öffentliche Meinung zu beeinflussen und notfalls auch zu manipulieren. Ein Indiz dafür ist, dass jener Wirtschaftszweig, der dabei hilft, beachtlich expandiert: Public Relations. Die Qualität der Meinungsbildung leidet weiter darunter, dass es den Zielpersonen der Meinungsbeeinflussung – uns allen – zunehmend an Durchblick mangelt. Die allgemeine öffentliche Debatte verlagert sich nämlich zusehends in den Bereich der Ökonomie. Vielen Menschen sind wirtschaftspolitische Zusammenhänge fremd, und sie sind unsicher, was man ihnen nicht verdenken kann. Da sie sich aber verständlicherweise trotzdem ein Urteil bilden wollen, werden sie leicht zum Opfer von Interessen und von weitverbreiteten Klischees und Denkfehlern. Im November 1999 habe ich für das Kritische Tagebuch – eine Sendereihe des Westdeutschen Rundfunks – fünf der gängigen Behauptungen über die Ursachen unserer wirtschaftlichen Probleme analysiert, und dabei beschrieben, welche Vorurteile und Denkfehler diesen Behauptungen zugrunde liegen. Im Gespräch mit Freunden ist daraus eine lange Liste geworden. Sie wollten von mir, dem Nationalökonomen, wissen: Kommen wir wieder runter von den Milliardenschulden des Staates? Sind wir national noch handlungsfähig? Ist der Bedarf nicht schon lange gesättigt? Haben die Gewerkschaften nicht viel zuviel Macht? Wie werden wir mit der sinkenden Geburtenrate fertig und können wir das Problem der Überalterung überhaupt noch lösen? Und stimmt es oder stimmt es nicht, wenn gesagt wird, die Globalisierung sei eine neue Herausforderung, Konjunkturprogramme wirkten nicht, wir lebten über unsere Verhältnisse, der Staat sei zu »fett«, die Lohnnebenkosten seien unser Schicksal? Und so weiter und so fort. Die 40 verbreitetsten Denkfehler und Vorurteile, Lügen und Legenden sind in Teil II dieses Buch skizziert und analysiert. Da ich nicht annehme, dass sich jeder Leser mit allen Vorurteilen, die die öffentliche Debatte prägen, gleichermaßen auseinandersetzen will, ist dieser Teil so aufgebaut, dass Sie ihn wie ein Nachschlagewerk benutzen können. Hier finden Sie auch Daten und Analysen wirtschaftlicher Zusammenhänge, mit deren Hilfe Sie die gängigsten Legenden als solche enttarnen können; zugleich finden Sie hier Argumente, um in der Diskussion um Reformen und den richtigen Weg in die Zukunft zu bestehen. Ich verbinde damit die Hoffnung, dass dieses Buch einen Beitrag zu einer rationaleren öffentlichen Debatte leistet, indem es Anstöße für kritisches Fragen gibt. Ich will nicht die Indoktrination der einen Seite durch eine andere ersetzen. Ich will dazu ermuntern, sich selbst ein Bild zu machen und hinter die Kulissen der Meinungsbildung zu schauen. Die Reformer haben ein Handicap. Um den angeblichen Reformstau als glaubwürdig erscheinen zu lassen, müssen sie unser Land in schwarzen Farben malen, und sie tun das mittels einer Fülle von dramatisierenden Veröffentlichungen. Der Sinn dieser Schwarzmalerei wird jedoch inzwischen von vielen Menschen hinterfragt. Dem entspricht die Grundlinie dieses Buches. Es ist optimistisch und konstruktiv und widerspricht der destruktiven Grundeinstellung der heute führenden Eliten.
Albrecht Müller
Albrecht Müller, "Die Reformlüge - 40 Denkfehler, Mythen und Legenden, mit denen Politik und Wirtschaft Deutschland ruinieren". Einige kurze Information zu meinem neuen Buch: Es ist bei Droemer in München erschienen. 416 Seiten. € 19.90. Erstverkaufstag: 24.8.2004 - ISBN 3-426-27344-6 Buchvorstellung am 30.8. mit Horst Seehofer und Wibke Bruhns Zum Inhalt und Charakter des Buches: D ...
[ "Müller, Albrecht", "Reformlüge", "Reformpolitik", "Reformstau" ]
[ "Sozialstaat", "Strategien der Meinungsmache", "Veröffentlichungen der Herausgeber", "Wirtschaftspolitik und Konjunktur" ]
26. August 2004 15:51
https://www.nachdenkseiten.de/?p=92&share=email&nb=1
Arbeitskräftemangel in der Zukunft? (Teil II)
In Teil I wurde dargestellt, wie aus einem rechnerischen Minus von 34 Prozent der 20- bis 65-Jährigen bis zum Jahr 2060 durch das Mitbedenken von ein paar schlichten Tatsachen ein jährliches Absinken von 0,23 Prozent wird. Warum macht man diese dramatisierenden Zahlenspiele? Natürlich wissen die Schöpfer der demografischen Horrorszenarien selbst, dass sie weder 50 Jahre in die Zukunft blicken können[1], noch dass Ihre Daten wirklich Anlass zur Panik bieten. Sie benutzen die Zahlen lediglich, um die Öffentlichkeit in ihrem Sinne zu manipulieren – kein wirklich seltenes Phänomen in unserer Republik[2]. Nur mithilfe des Demografie-Hammers war es möglich, den massiven Einstieg in die private Absicherung für das Alter durchzusetzen. Hauptgewinner dieser Strategie waren bekanntlich die Versicherungen und die Arbeitgeber, die mit diesem Einstieg eine Deckelung ihres Beitrages für die gesetzliche Rente erreichen konnten. Immerhin wurde für die Sicherung von Milliardengewinnen schon Schlimmeres getan, als harmlose Bevölkerungsdaten zu einem Instrument für dramatisierende Gedankenspiele umzufunktionieren. Von Klaus Bingler und Gerd Bosbach. Leider führte die Angst vor der demografischen Entwicklung auch dazu, dass das klare Denken erschwert wird. Ansonsten könnte man sich verdeutlichen, dass die angeblich zu wenigen Kinder in Deutschland nicht zu überfüllten Kindergärten, Schulen und Hochschulen führen können. Und dass es keine sinnvolle Sparmaßnahme ist, diesen Kindern zu wenig Bildung zukommen zu lassen, sondern dass genau dies zu den zukünftigen Versorgungsproblemen führen kann, welche die Panikmacher der „Demografie“ (Anmerkung: gemeint ist ja genau genommen die demografische Entwicklung, daher Anführungszeichen) in die Schuhe schieben. Und frei von Angst könnte man erkennen, dass eine „Sockelarbeitslosigkeit“ von offiziell etwa drei Millionen Menschen nicht zu dem angeblich knapp werdenden Arbeitskräftepotenzial passt. Solche offensichtlichen Widersprüche – einerseits die Angst vor zu wenigen Versorgern in der Zukunft, andererseits die mangelnde Bereitschaft, heute die späteren Versorger richtig auszubilden; einerseits die Furcht vor zu wenig Arbeitskräften, andererseits die Bereitwilligkeit, sich mit einer Sockelarbeitslosigkeit von offiziell 3 Millionen Menschen abzufinden[3] – werden mithilfe demografischer Schwarzmalerei übertüncht. Bevor wir uns einem weiteren großer Irrtum in der Diskussion – dem viel zu hoch eingeschätzte Stellenwert von Bevölkerungszahlen für eine gesellschaftliche Entwicklung – zuwenden, sollten wir das Bisherige noch einmal kurz festhalten: Mit Zukunftsdaten für die Bevölkerung in Deutschland wird ständig Angst gemacht. Dabei werden folgende elementare Selbstverständlichkeiten ausgeblendet: eine kleinere Bevölkerung braucht auch weniger Arbeitskräfte; bei Arbeitskräftemangel müsste man für 2060 die schon beschlossene Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre berücksichtigen; für die sich aus den Berechnungen ergebende Entwicklung haben wir 52 Jahre Zeit. Würde man dies unter Zugrundelegung der Daten, welche die Angstmacher anführen, berücksichtigen, bliebe lediglich ein Absinken des Arbeitskräftepotenzials von 0,23% pro Jahr übrig. (Siehe hier) Sicherlich kein Anlass zur Dramatik. Demografisierung einer Diskussion Viele gesellschaftliche Entwicklungen werden heute eng mit der Entwicklung der zukünftigen Bevölkerungszahlen in Zusammenhang gebracht. „Wegen der vielen Älteren müssen wir …“, „Aufgrund der niedrigen Geburtenrate von 1,4 Kindern pro Frau ist es unumgänglich…“ und – wie am Anfang beschrieben – „Wegen des drohenden Absinkens des Erwerbspotenzials ist …“ – das sind Floskeln, die aus der heutigen Diskussion nicht mehr weg zu denken sind. Im Kern wird damit die Bevölkerungsentwicklung als die mit Abstand wichtigste Einflussgröße für unsere Zukunft betrachtet. Es ist kaum einsichtig, warum die vielen anderen Einflussgrößen, wie die Entwicklung von Arbeitslosigkeit, die Bildung der Bevölkerung, die Entwicklung der Wirtschaft anderer Länder oder Kontinente, die wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen unserer Verantwortlichen, die Entwicklung der Finanzmärkte und der Umwelt usw. usf. von einer weit untergeordneten Bedeutung sein sollen. Noch nicht einmal zusammen sollen sie angeblich so wichtig sein wie die Demografie! Schon ein Blick auf die im letzten Jahrhundert erzielten wirtschaftlichen und sozialen Erfolge, die trotz Alterung und einer abnehmenden Zahl von Kindern möglich waren, widerlegt die eindimensionale Schuldzuweisung eindrucksvoll.[4] Aber selbst wenn man der Demografie eine überragende Bedeutung für unsere Zukunft zubilligt, stößt man auf große Widersprüche. Nehmen wir also kurz an, dass Alterung, mehr Rentner und wenige Kinder das Hauptproblem der wirtschaftlichen Entwicklung seien. Und wenn wir auf die Kinderzahl pro Frau schauen, so versucht man uns „demografisch“ weißzumachen, dass die für Deutschland berechneten 1,4 Kinder pro Frau[5] ein Riesenproblem seien, oft als „unvollständige 2/3-Gesellschaft“ tituliert und mit drohendem Untergang assoziiert.[6] Soweit die Angst und nun die Fakten: Deutschland hat nach offiziellen Berechnungen diese 1,4 Kinder pro Frau jetzt schon seit 1970, also etwa zwei Generationen lang. Seitdem hat sich Bevölkerungszahl aber nicht drastisch dezimiert, sondern ist von 78,1 Millionen auf 80,8 Millionen (31.12.2013) gewachsen. Und die wirtschaftliche Leistung hat sich nach Abzug der Preissteigerungen weit mehr als verdoppelt![7] Übrigens liegen in Frankreich die Geburtenzahlen seit längerem bei etwa 2 Kindern pro Frau. Geht es den Menschen deshalb dort wirtschaftlich besser? Nein, reine Demografiedaten sagen wenig über den wirtschaftlichen Zustand einer Gesellschaft, die „Demografisierung“ der Diskussion ist ein grober Fehler. Wir sollten ohne Demografie-Angst die Diskussion darüber, was unsere Gesellschaft bestimmt, neu starten, und dann zu eigenen Schlüssen kommen. Ein letztes Wort zur merkwürdigen Diskussion über Bevölkerungspyramiden: Nach üblicher Interpretation gingen diese von der Form einer gesunden Tanne langsam aber dramatisch in eine Urnenformen über. Aber was bedeutet die Pyramide in Form einer Tanne? Zunächst werden viele Kinder geboren, von diesen stirbt bereits ein großer Teil in jungen Jahren. Jahr für Jahr sterben mehr Menschen eines Jahrgangs. Da im Alter nur noch sehr wenige von ihnen übrig bleiben, ist die Spitze ziemlich dünn. Dieses Modell ist nicht unbedingt als besonders menschenfreundlich einzustufen. Und wirtschaftlich sind, wie oben beschrieben, die „Gesellschaften mit der Tanne“ auch viel schlechter dran. Der letzte Abschnitt belegt eindeutig: Auch rein demografisch betrachtet, ist eine Unterlegenheit älterer Gesellschaften nicht festzustellen, ganz im Gegenteil. Die Kinderzahl pro Frau als Indikator für das soziale Wohlergehen ist ebenfalls kein geeignetes Kriterium. Die Demografisierung lenkt somit nur von anderen, wichtigeren Problemen ab. Mit diesem Artikel soll vor der weit verbreitete „Demografie-Angst“ gewarnt werden. Das heißt aber nicht, dass die Alterung einer Gesellschaft keine Probleme aufwirft. Nur sind das bei weitem nicht die Hauptprobleme. Wenn wir erfolgreich an diesen Hauptproblemen arbeiten würden, z.B. die Arbeitslosigkeit abbauen, unsere Jugend ausreichend qualifizieren, den großen Reichtum in unserer Gesellschaft wieder mehr für Soziales und die Infrastruktur nutzen würden, wäre mehr als genug da, um eine wachsende Zahl Älterer nicht als Belastung empfinden zu müssen. Der gesamten Beitrag [PDF – 143 KB]
Gerd Bosbach
In Teil I wurde dargestellt, wie aus einem rechnerischen Minus von 34 Prozent der 20- bis 65-Jährigen bis zum Jahr 2060 durch das Mitbedenken von ein paar schlichten Tatsachen ein jährliches Absinken von 0,23 Prozent wird. Warum macht man diese dramatisierenden Zahlenspiele? Natürlich wissen die Schöpfer der demografischen Horrorszenarien selbst, dass sie weder 50 Jahre in die Zukunft bl ...
[ "Kinderlosigkeit", "Lügen mit Zahlen", "Reservearmee" ]
[ "Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik", "Demografische Entwicklung", "Fachkräftemangel", "Kampagnen/Tarnworte/Neusprech" ]
25. November 2014 9:53
https://www.nachdenkseiten.de/?p=24069&share=email
Wir wünschen Ihnen das erdenklich beste und vor allem ein friedliches neues Jahr
In den letzten Jahren war der Wunsch nach Frieden etwas, dessen Erfüllung man zumindest für unser Land einigermaßen beruhigt unterstellen konnte. Jetzt hat sich das leider verändert. Die Sorgen sind nicht unbegründet. Umso mehr wünschen wir uns alle zusammen, dass wir hier in Europa nicht auch noch in einen Krieg schlittern und wir wünschen vor allem den bisher betroffenen Menschen in den anderen Ländern, dass Wege zum Frieden gesucht und gefunden werden. Wir NachDenkSeiten-Macher – und dazu gehören viele von unseren Lesern, die oft täglich oder unregelmäßig Informationen beisteuern – wollen mit Aufklärung, mit Informationen und mit Dahinterleuchten unseren kleinen Beitrag zu einer besseren und friedlicheren Welt leisten. Selbst wenn man bezweifeln kann, dass dies irgendeine Wirkung zeigt, es bleibt uns gar nichts anderes übrig, als auf dem gleichen Weg weiterzugehen. In diesem Sinne herzliche Grüße Lars Bauer, Webmaster, Jens Berger, Redakteur, Albrecht Müller, Herausgeber von www.NachDenkSeiten.de und von den regelmäßig zum Gelingen der NachDenkSeiten wesentlich beitragenden Mitwirkenden Lutz Hausstein, JK, Christian Reimann, André Tautenhahn, Sabine Tober, Jörg Wellbrock und Jens Wernicke. PS: Hinweis an unsere Leserinnen und Leser: Wir machen bis zum 4. Januar Pause. Sollten Sie Entzug verspüren, dann scrollen Sie doch einfach mal ein wenig zurück und sehen oder hören sich in Ruhe noch einmal Video-Hinweise oder Audio-Podcasts an. Sie werden sicherlich noch viele andere interessante Beiträge finden, die im Trubel des Alltages untergegangen sind.
Redaktion
In den letzten Jahren war der Wunsch nach Frieden etwas, dessen Erfüllung man zumindest für unser Land einigermaßen beruhigt unterstellen konnte. Jetzt hat sich das leider verändert. Die Sorgen sind nicht unbegründet. Umso mehr wünschen wir uns alle zusammen, dass wir hier in Europa nicht auch noch in einen Krieg schlittern und wir wünschen vor allem den bisher betroffenen Menschen in den ande ...
[ "in eigener Sache" ]
[ "Aktuelles", "Aufbau Gegenöffentlichkeit" ]
23. Dezember 2015 16:05
https://www.nachdenkseiten.de/?p=29710&share=email&nb=1
Scheuklappen
… verpasst man Pferden, die auf optische Reize in ihrer Umgebung empfindlich reagieren. Man engt ihren Gesichtskreis ein und verhindert damit, dass die Tiere über Gebühr nervös werden, eben scheuen und nicht mehr das tun, was sie tun sollen. Denn sie sollen gefälligst ihre Arbeit machen und beherrschbar bleiben. Eine Glosse von Michael Fitz. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Podcast: Play in new window | Download So oder so ähnlich scheint das Credo unserer Leitmedien in Bezug auf den Umgang mit Informationen und der Meinungsbildung gegenüber der Masse der Bevölkerung zu lauten. Bloß nicht vollständig informieren, die jüngste Geschichte einfach partiell ignorieren oder so zurechtbiegen, dass sie in das aktuell zu transportierende Weltbild passt, und vor allem Weglassen. Einseitige Propaganda für die so arg freiheitliche und demokratiewillige ukrainische Regierung allerorten. Weil wir, also die Ukraine, der Ami, die NATO und wir, sind nämlich die Guten! Man kann im Netz inzwischen, wenn man denn will, ältere Beiträge von diversen öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten z.B. aus dem Jahr 2014 finden, wo das alles noch ganz anders tönt. Wo noch durchaus kritische Journalisten sich Gedanken gemacht haben, wie das denn mit dem Maidan-Putsch, dem Krim-Referendum und all dem, was da passiert ist, zu werten wäre. Da sind Hintergrundfakten zusammengetragen worden, die nach wie vor gültig und verifizierbar sind, aber die passen halt nicht mehr hinein in das gewollte Hier und Heute! In das stark vereinfachte Weltbild vom bösen Putin und den guten Westlern. So einfach geht das. Inzwischen ignoriert man wichtige Bausteine und Epochen der deutschen Außenpolitik. Entspannung, Friedenspolitik, so wie Brandt, Bahr, Genscher und selbst Kohl, der unbedingt Kanzler der Einheit werden wollte, sie betrieben haben, finden sich jetzt in der „Schmuddelecke“. Ne, ne, war ja alles falsch, großer Fehler … Man sieht ja, wie Putin jetzt … blabla. Ja, und die Grünen? Was, zum Teufel, interessiert mich meine Überzeugung von gestern? Wenn ich heute Waffenlobbyist sein kann, scheiß‘ ich doch auf Pazifismus. Schlecht wird es einem. Nach noch nicht mal 10 Minuten BR24 am Stück ist mir das schon deutlich zu viel der immer gleich klingenden, erschreckend undistanzierten Agenturmeldungen, der Propaganda, der Massen-Manipulation, die hier ohne irgendein Fünkchen Selbstkritik betrieben wird. Ganz zu schweigen von den durchweg „atlantisch“ gepolten Spitzenkräften bei Heute und Tagesschau. Verlautbarungs-Journalismus nennt man das. Da springt einen die ganze Arroganz einer sich als elitäre Speerspitze der Meinungsmache verstehenden Journaille förmlich entgegen. Ernsthaft, glauben die denn wirklich allesamt, was sie da tagtäglich kolportieren und, garniert mit meist sehr echt wirkender Empörung, dem Otto-Normal-Verbraucher zum Abendbrot auftischen? Unverbesserlicher Optimist, der ich bin, habe ich noch nie geglaubt, dass das Wahl-Volk so dumm sein kann, wie es hier täglich, stündlich verkauft wird. Es werden täglich immer mehr Menschen, die dieses, inzwischen ja auch wirklich leicht zu durchschauende, arg schwarz/weiß gefärbte Märchen vom bösen Russen, der den ersten Krieg nach 1945 auf europäischem Boden leichtfertig vom Zaun gebrochen hat, unhinterfragt schlucken. Bei all der Kriegstreiberei gerät das Thema Corona – für viele gottlob, aber für die meisten leider – ins Hintertreffen. Hier herrscht auch Krieg, schon lange! Während immer namhaftere, beherzte Forscher, Wissenschaftler und Ärzte vermehrt eine evidenz-basierte Aufarbeitung der Maßnahmenpolitik der vergangenen zwei Jahre fordern, befinden sich die Verantwortlichen in der Politik in einer Mischung aus nach außen zur Schau getragenem Daueralarmzustand und innerer, verbissener Abwehrschlacht. Diese etwas militaristische Ausdrucksweise sei mir verziehen, aber wenn Sie das den ganzen Tag hören und sehen müssen! Das Framing anders Denkender übernehmen verlässlich Leit- und soziale Medien. Nein, um Gottes willen, man will doch nichts aufarbeiten, man möchte nicht wissenschaftlich auswerten und evaluieren. Natürlich nicht. Denn dabei kämen vielleicht ein paar durchaus peinliche Dinge ans mediale Tageslicht. Z.B., dass die hochgepriesenen Impfstoffe weder so wirksam waren wie behauptet, noch so harmlos wie versichert. Auch Wurscht, die Anleger in Pharma-Aktien haben doch ihre horrenden Kursgewinne längst versilbert … oder nicht? Herr Montgomery hat natürlich schon immer gewusst, dass es keinen Impfstoff ohne Nebenwirkungen gibt! Punktum, Kinkerlitzchen, überempfindliches, querdenkendes Patientenpack!! Nein und nochmals nein! Das will man jetzt nicht alles auf dem Tisch haben … und am Ende die bittere Pille vielleicht sogar noch selbst schlucken müssen!? Auch nicht, dass die Sache mit den Masken in Bayern nicht nur ein paar versprengte böse Buben betrifft, sondern eben fast die gesamte CSU-Parteiprominenz … inklusive Scheuer! Schwamm drüber, da muss man sich in Bayern keine Sorgen machen, Hauptsache, das Oktoberfest findet statt! Also hier in München, nicht etwa in Dubai. Oans, Zwoa, Gsuffa! In Bayern hat man schon ganz andere Dinge unter den Teppich gekehrt. Da hilft man sich schon mal fraktionsübergreifend und zündet für den politischen Gegner auch mal eine Nebelkerze, um von der ganz großen Sauerei abzulenken. Interessiert ja auch die gesamte Journaille nicht wirklich, die sind alle mit Propaganda für Herrn Melnyk und Mr. Biden beschäftigt. Schnappatmung bekomme ich dann aber schon, wenn ich unsere grüne Außenministerin ganz staatsmännisch auf Englisch parlieren höre. Nie wieder wird es in Deutschland Öl und Gas aus Russland geben. Äh?? Woher weiß die das und wie kann man so einen Satz sagen, wenn man Chef-Diplomatin einer der führenden Industrienationen dieser Welt ist? Und sicher ganz dringend müssen jetzt die Gesundheitsminister beraten und beschließen, was sie beschließen können, solange das Baby gerade mal noch Pandemie heißt und sie nicht von den sich immer mehr und drängender ermittelten, sich auftürmenden wissenschaftlichen und evidenzbasierten Fakten ausgebremst werden. Die WHO wird ja gottlob weltweit und dank Bill Gates bald dafür sorgen, dass das auch so bleibt. Und natürlich die Faktenchecker von ARD und ZDF. Auch ein Propaganda-Krieg. Da redet man ausschließlich und nur über die Entwicklung und Beschaffung von Impfstoffen und wie man die Bevölkerung am besten unter Kontrolle halten kann. Logo! Mit Lockdowns, als gäbe es nirgendwo auf der Welt Medikation gegen COVID, vorbeugende Maßnahmen oder gar alternative Behandlungsmethoden … das ist alles böses Mittelalter, gel? Ich habe mir das Urteil des BVerfG zur Sterbehilfe sehr aufmerksam durchgelesen. Sie wissen schon, das Urteil, das Herr Spahn, der deutsche Ex-Gesundheitsgott, einfach ohne nennenswerte Gegenwehr in den Medien wegignoriert hat. Offenbar zählt hier die Entscheidungsfreiheit des Individuums, seinem Leben ein Ende zu setzen, mehr als die Regulierungswut und die Verantwortungshoheit des Staates. Natürlich nicht für Herrn Spahn, sondern lediglich für das BVerfG … ist ja auch nur eine der wichtigen Säulen unserer freiheitlichen Grundordnung. Interessant, dass die Herren und Damen, womöglich noch des gleichen Senats, einen so drastischen Eingriff in die persönliche körperliche Unversehrtheit des Bürgers wie eine Impflicht, auch eine einrichtungsbezogene, verfassungsrechtlich für unbedenklich halten. Inzwischen weiß man, spätestens seit Omikron, dass all die wunderbaren Impfstoffe vielleicht gegen einen schweren Verlauf schützen, aber auch der vierfach geimpfte Michel genauso infektiös und infizierbar ist wie der ungeimpfte. Vielleicht sogar noch mehr? Nun gut, auch das Verfassungsgericht kann ja nicht jede beliebige Information zum entscheidenden Thema haben … oder doch? Es geht ja nur um bürgerliche Grundrechte, wie beim Sterben auch. Die werden das schon richtig machen, wenn der mediale Druck entsprechend hoch ist und sie vorher zum Essen im Kanzleramt geladen werden. Wer oder was schützt uns, die Bürger, eigentlich vor diesem Staat? Dann doch Scheuklappen? Titelbild: Mangostar/shutterstock.com
Michael Fitz
… verpasst man Pferden, die auf optische Reize in ihrer Umgebung empfindlich reagieren. Man engt ihren Gesichtskreis ein und verhindert damit, dass die Tiere über Gebühr nervös werden, eben scheuen und nicht mehr das tun, was sie tun sollen. Denn sie sollen gefälligst ihre Arbeit machen und beherrschbar bleiben. Eine Glosse von Michael Fitz. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügb ...
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23. Mai 2022 8:43
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Credit-Suisse-Turbulenzen – die Bankenkrise erreicht Europa
Nach den Pleiten und der bedrohlichen Schieflage einiger US-Banken ist nun mit der Credit Suisse eine der größten europäischen Banken in bedrohliche Schieflage geraten und musste heute Nacht durch einen 50-Milliarden-Franken-Kredit der Schweizer Nationalbank gerettet werden. Das kommt keinesfalls überraschend. Die Credit Suisse gehört seit mehr als einem Jahrzehnt zu den Großbanken mit höchsten Risikoprofil und dem schlechtesten Management und gilt neben der Deutschen Bank als größte „Skandalnudel“ in der Branche. Der Abstieg der Bank ist ein Abstieg in Raten, doch die Credit Suisse gehört immer noch zu den zehn europäischen Banken mit dem größten systemischen Risiko. Ein unkontrollierter Bankrott würde nicht nur eine neue Finanzkrise auslösen, sondern auch die Schweiz in eine elementare Krise stürzen. So weit werden es die Eidgenossen nicht kommen lassen. Wie hoch die Rechnung für die Schweizer Steuerzahler ausfallen wird, ist ungewiss. Vielleicht sind die goldenen Zeiten der reichen Alpenrepublik bald vorbei. Von Jens Berger. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Podcast: Play in new window | Download Wer an die Schweiz denkt, denkt nicht nur an Alpen und Heidi, sondern auch an bestimmte Wirtschaftszweige, für die die Schweiz weltweit bekannt ist – ihr Käse, ihre Schokolade, ihre Luxusuhren, aber auch ihre als besonders seriös geltenden Banken. Letzteres ist jedoch ein Trugbild, das längst nichts mehr mit der Realität zu tun hat. Im Vergleich zu jeder deutschen Volksbank oder Sparkasse ist die Credit Suisse, die neben der etwas größeren UBS den Kern des Schweizer Bankensystems bildet, eine unseriöse Zockerbude, die nicht nur mit zahlreichen Drogenbaronen, Menschenhändlern und Autokraten Geschäfte macht, sondern zudem auch eine Zockerbude ist, wie sie das Finanzcasino selten gesehen hat. Letzteres gibt es zwar in Frankfurt, London und New York auch, doch die Credit Suisse hat ein besonderes Alleinstellungsmerkmal – der Begriff „Risikomanagement“ scheint dort unbekannt zu sein. Doch der Reihe nach. Bis zur Jahrtausendwende war die 1856 als Schweizer Kreditanstalt gegründete heutige Credit Suisse in der Tat eine normale Schweizer Bank. Man führte diskrete Nummernkonten und gewährte Anonymität – dies wussten beispielsweise während des Dritten Reichs nicht nur von den Nazis verfolgte Juden, sondern auch ihre Mörder sehr zu schätzen. Erst 1997 entschädigte man auf internationalen Druck hin die Opfer des Holocausts, deren geraubtes Vermögen im Wert von mehreren hundert Millionen Euro von Nationalsozialisten in der Schweiz gebunkert wurde. Später fokussierte man sein „Privatkundengeschäft“ dann auf Steuerhinterzieher und die dubiose Kundschaft aus aller Herren Länder, die samt ihrer finanziellen Rücklagen lieber im Dunkeln bleibt. Woher das „gute“ Image „seriöser“ Schweizer Banken kommt, ist vor diesem Hintergrund ein Rätsel. Verschwiegen waren sie ja, die Schweizer Banker, aber seriös? Ende der 1990er begann jedoch – angefangen mit dem Druck der USA – das berühmt-berüchtigte Schweizer Bankgeheimnis zu bröckeln und zumindest die meisten westlichen Staaten machen es ihren Steuerhinterziehern durch zahlreiche der Schweiz aufgezwungene Abkommen immer schwerer, sich über Schweizer Banken ihren Steuerpflichten zu entziehen. Dafür sprangen dann andere Akteure ein, aber das ist ein anderes Thema. Wollten die Schweizer Banken weiterhin den Wohlstand der Alpenrepublik sichern, brauchten sie neue Betätigungsfelder. Bei der Credit Suisse begann diese Neuorientierung in den frühen Nullerjahren und wurde ab 2007 durch den US-Amerikaner Brady Dougan konsequent umgesetzt. Man ließ das Privatkundengeschäft, also die Betreuung mehr oder weniger seriöser, sehr reicher Kunden, und das langweilige Universalbankgeschäft auf dem Schweizer Heimatmarkt nebenher weiterlaufen, baute jedoch mit frischem Kapital die Investmentbanksparte massiv aus. Fünf Jahre später war die Credit Suisse einer der größten Investmentbanken. Parallelen zur Deutschen Bank sind durchaus zu erkennen. Wer sich in der Finanzwelt nicht so gut auskennt, mag mit dem Begriff „Investmentbank“ ja was Positives verbinden – was ist so schlecht daran, wenn eine Bank sich um Investitionen kümmert? Doch weit gefehlt. Um traditionelle Investitionen kümmern sich Universal- und Geschäftsbanken; Investmentbanken spielen vielmehr mit allen erlaubten und vielen nicht erlaubten Finanzinstrumenten im globalen Finanzcasino mit. So auch die Credit Suisse. Man drehte nun am ganz großen Rad und zockte, was das Zeug hält. Nach acht Jahren an der Firmenspitze zog sich Brady Dougan zurück. Er hatte etwa 160 Millionen Franken als Vergütung erhalten, der Börsenkurs der Credit Suisse verlor in diesem Zeitraum stolze 70 Prozent. Sein Nachfolger Tidjane Thiam setzte ebenfalls voll aufs Investmentbanking, war vier Jahre an der Firmenspitze, bekam dafür 64 Millionen Franken und die Credit-Suisse-Aktie verlor weitere 40 Prozent. Nun übernahm ein gewisser Thomas Gottstein, der nur ein Jahr bleiben durfte, dafür aber immerhin auch 3,8 Millionen Franken absahnte und der Bank die größten Verluste in ihrer Geschichte beibrachte. Im März 2021 musste die Bank zähneknirschend eingestehen, dass ihre Risikokontrolle bei den Geschäften mit dem Partnerunternehmen Greensill Capital, einer als „Lieferketten-Finanzierer“ getarnten Zockerbude, komplett versagt hatte. Man hatte dem Fonds von Greensill stolze 10 Mrd. US-Dollar Anlegergelder meist vermögender Credit-Suisse-Kunden vermittelt und davon haben sich rund drei Mrd. US-Dollar bei der Pleite von Greensill in Luft aufgelöst – obgleich das Geld ja nie weg ist, sondern nach der Pleite ganz einfach anderen Personen gehörte. Das sahen die Privatkunden der Credit Suisse natürlich nicht so gerne. Da hätten sie ja auch gleich Steuern in ihren Heimatländern bezahlen können. Eine vermeintlich seriöse Schweizer Bank, für die Risikokontrolle ein Fremdwort ist und die ihren Premium-Kunden halbseidene Zockerpapiere vermittelt? In der Folge setzte eine Kapitalflucht ein. Die Eigenkapitaldecke der Credit Suisse schmolz genau so schnell wie ihre Einlagen. Einen Monat später musste man dann noch die Hiobsbotschaft verkünden, dass man sich mit einem Hedgefonds namens Archegos Capital ziemlich verspekuliert hatte. Die Credit Suisse gab diesem Fonds offenbar schier unglaubliche Kreditlinien, die das Fremdkapital für grotesk gehebelte Spekulationen mit Optionen und Derivaten darstellten. Archegos ging bankrott, 4,7 Mrd. US-Dollar der Credit Suisse waren weg und so langsam fragte sich auch der Verwaltungsrat, was das Risikomanagement der Credit Suisse eigentlich den lieben langen Tag so macht. Die Verantwortlichen für Risikomanagement und Compliance wurden entlassen, die Probleme setzten sich jedoch fort und das Eigenkapital schmolz weiter und weiter. Dass in den Folgemonaten zahlreiche Leaks, eine Verurteilung wegen Zusammenarbeit mit einem bulgarischen Drogenhändlerring und jüngst Probleme mit sanktionierten russischen Oligarchen, deren Yachten man finanziert hatte, den Ruf weiter ramponierten, ist eher anekdotisch. Ein echtes Problem für die Credit Suisse war vor allem ab dem Herbst 2022 eher, dass kaum jemand mehr den Beteuerungen des Managements glaubte, die auch heute noch das Märchen einer grundsoliden, gut finanzierten Bank erzählen. Als dann vor wenigen Wochen auch noch der größte Aktionär, eine saudische Geschäftsbank, die Reißleine zog und verkündete, sie wolle kein Geld mehr nachschießen, setzte der Bank Run auf Raten ein, der wohl für jede Bank ein Albtraum ist. Einlagen wurden abgezogen, Aktien verkauft. Spätestens jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit, bis das Kartenhaus zusammenbricht. Gestern war es dann soweit. Spekulationen machten die Runde, die Aktie der Credit Suisse brach noch einmal zweistellig ein. Nun war die einstige Großbank, die mal über 100 Mrd. Franken wert war und eine irrwitzige Summe von 1,4 Billionen Schweizer Franken in ihrer Bilanz hatte, nur noch weniger als neun Mrd. Franken wert. Um dies ins Verhältnis zu setzen: Das heute Nacht vereinbarte Kreditfenster der Schweizer Nationalbank hat somit ein mehr als fünfmal so hohes Volumen, wie die Credit Suisse überhaupt wert ist. Wie man angesichts dieser Zahlen auch nur im Ansatz denken kann, die Credit Suisse würde irgendwelche Eigenkapital- und Bilanzrichtlinien einhalten, ist ein absolutes Rätsel. Nach den – nicht tagesaktuellen – Zahlen des Center for Risk Management Lausanne weist die Credit Suisse derzeit einen „Hebel“, also ein – nicht risikogewichtetes – Verhältnis zwischen Eigen- und Fremdkapital, von einem zu fünfzig Franken auf. Verluste werden immer mit dem Eigenkapitalanteil verrechnet. Die Credit Suisse müsste also technisch in Konkurs gehen, wenn sie die von ihr gehaltenen Papiere und vergebenen Kredite nur um durchschnittlich zwei Prozent abschreiben müsste. Wenn die Bank ihre Papiere also beispielsweise um 3 Prozent abschreiben würde, müsste sie einen Verlust ausweisen, der größer ist als ihr gesamtes Eigenkapital – dann hätte sie ein „negatives Eigenkapital“, die Schulden wären also größer als das Vermögen. Umgangssprachlich heißt dies „Pleite“. Bei den Risikopositionen der Schweizer Banker erscheint ein solches Szenario keinesfalls ausgeschlossen. Wir haben es also nicht – wie unisono die Credit Suisse und die Schweizer Nationalbank verkünden – mit einem Liquiditätsproblem, sondern mit einer dramatischen Schieflage zu tun, die nur mit sehr viel Fantasie nicht in einem Bankrott endet … sofern die Bank nicht mit Steuermitteln refinanziert und dann wohl zerschlagen wird. Wie hoch die damit verbundenen Kosten für die Schweiz sein werden, ist ohne näheren Einblick in die Bilanzen der Credit Suisse unmöglich zu sagen. 2022 hatte die Bank noch eine Bilanzsumme von 531 Milliarden Franken. Das sind natürlich nicht nur Schrottpapiere und ein möglicher Verkauf der Investmentbank-Sparte dürfte auch einiges an Geld in die Kassen spülen. Aber eine höhere zweistellige Milliardensumme könnte schon fällig werden. Und das sind nur die direkten Kosten. Es ist fraglich, ob der Finanzplatz Zürich mit dem Verschwinden der Großbank Credit Suisse seine Rolle wird behalten können und was es für die Schweiz bedeutet, wenn die stetigen Finanzströme zum Stillstand kommen. Nur mit Emmentaler, Schoggi und Rolex wird die Schweiz ihren extrem hohen Lebensstandard jedenfalls nicht halten können. Dass die Credit-Suisse-Krise Auswirkungen auf andere europäische Banken haben wird, ist wahrscheinlich. Schließlich ist die Credit Suisse als eine der größten europäischen Banken mit ihrem Geschäft weit vernetzt. Sowohl die EZB als auch die Bank of England und die FED in den USA haben bereits die Finanzinstitute in ihrem Einflussgebiet diskret aufgefordert, sämtliche Positionen mit der Credit Suisse zu melden. Man darf gespannt sein, wen es als nächstes erwischt. Ein heißer Tipp wäre ja die zweite Skandalnudel im europäischen Finanzwesen – die Deutsche Bank. Auch hier haben sich über Jahrzehnte Zockermentalität, mangelndes Risikomanagement und fehlende Kontrolle durch die Politik zu einer gefährlichen Melange vereint. Christian Lindner sollte sich schon mal anschnallen. Titelbild: rarrarorro/shutterstock.com
Jens Berger
Nach den Pleiten und der bedrohlichen Schieflage einiger US-Banken ist nun mit der Credit Suisse eine der größten europäischen Banken in bedrohliche Schieflage geraten und musste heute Nacht durch einen 50-Milliarden-Franken-Kredit der Schweizer Nationalbank gerettet werden. Das kommt keinesfalls überraschend. Die Credit Suisse gehört seit mehr als einem Jahrzehnt zu den Großbanken mit höchste ...
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16. März 2023 11:47
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„Warum die Qualität im Journalismus abnimmt
Längst nicht alles, was heute als qualitativer, faktenorientierter Journalismus verkauft wird, ist dies auch tatsächlich. Der Einfluss von Unternehmen und Institutionen auf scheinbar unabhängige Journalisten nimmt immer weiter zu.“ Diesen Hintergrundbeitrag der Medienjournalistin und „Freischreiberin“ Brigitte Baetz übernehmen wir, weil er interessant und NachDenkSeiten-einschlägig ist, in die NDS-Rubrik Andere interessante Beiträge. Hintergrund 20.11.2009 · 18:40 Uhr Warum die Qualität im Journalismus abnimmt Von Brigitte Baetz Längst nicht alles, was heute als qualitativer, faktenorientierter Journalismus verkauft wird, ist dies auch tatsächlich. Der Einfluss von Unternehmen und Institutionen auf scheinbar unabhängige Journalisten nimmt immer weiter zu. Der beste Job der ganzen Welt: einmal für sechs Monate ein Internet-Tagebuch führen. Auf Hamilton Island vor der Küste Australiens. Mit einem Gehalt von umgerechnet 78.000 Euro. Der Sieger aus über 35.000 Bewerbungen weltweit, der vor den Kameras der amerikanischen Nachrichtenagentur Associated Press schließlich sein Traumhaus am Strand bezog, konnte sich freuen. Noch mehr freuen aber konnte sich die Tourismusbehörde von Queensland. Mit einem Werbebudget von nur rund einer Million Dollar hat sie weltweit Schlagzeilen gemacht. Die großen internationalen Fernsehsender berichten, die BBC dreht eine Dokumentation, für Zeitungen und Radiosender wird das Great Barrier Reef vor der australischen Küste zu einem exotischen Paradies, weil – wie die Wochenzeitung “Die Zeit” es formuliert, “die Sehnsucht hier so viel Platz hat”. Die erfolgreiche Kampagne zur Steigerung des Reisegeschäfts gewinnt in diesem Jahr auf dem Werbefestival von Cannes gleich drei Goldene Löwen. Die Kunst, eine Werbebotschaft als Nachricht zu platzieren, ist allerdings nicht nur auf die Tourismusbranche beschränkt. Sie ist hier nur besonders gut zu beobachten. Der Reisejournalismus etwa gilt wie der Automobiljournalismus als besonders anfällig für Werbebotschaften. Da die Redaktionen selbst kaum noch Fahrtkosten erstatten, nutzen Journalisten die Möglichkeit kostenloser Pressereisen oder Autotests der Anbieter. Die Unternehmen und Länder, die solche Reisen veranstalten und interessante Themen anbieten, setzen damit längst den Trend in der Berichterstattung. Wie der Leipziger Journalistikprofessor Michael Haller feststellt, sind gut ein Viertel der Reiseartikel in deutschen Regionalzeitungen das Ergebnis erfolgreicher PR, erfolgreicher Public Relations. Was in den Randgebieten des seriösen Journalismus seit Jahren stillschweigend hingenommen wird, greift inzwischen auch auf die allgemeine Publizistik über: die Themensetzung durch PR-Agenturen, Lobbyisten und Unternehmen. Das reicht von offener und konkreter Einflussnahme – also dem Schalten von Anzeigen in einem passenden redaktionellen Umfeld – bis hin zu verdeckter PR. Eine kleine Bürowohnung in der Kölner Innenstadt, die Zentrale von LobbyControl. Ein kleiner gemeinnütziger Verein, der nach eigenen Worten “über Machtstrukturen und Einflussstrategien in Deutschland und der EU aufklären” will. Die Initiative mehrerer Wissenschaftler versucht mit einem geringen Budget, hauptsächlich finanziert durch Spenden, Methoden der Manipulation aufzudecken. Ulrich Müller, der geschäftsführende Vorstand: In diesem Jahr hat LobbyControl aufgedeckt, wie PR-Firmen und sogenannte “Think Tanks” im Auftrag der Bahn versuchen, die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Um ihre eigene Privatisierung voranzutreiben und den Tarifkonflikt mit den Lokomotivführern in ihrem Sinne zu begleiten, hat das Staatsunternehmen insgesamt 1,3 Millionen Euro gezahlt – unter anderem für Straßenumfragen, wie sie vom selbst ernannten Think Tank “Berlinpolis” durchgeführt wurden. “Berlinpolis” sieht sich als unabhängige Denkfabrik, die junge Experten und Führungskräfte zusammenbringt. Ihr Vorsitzender Daniel Dettling trat und tritt selber gern in Talkshows und Diskussionsrunden auf und schreibt Kolumnen in Zeitungen und Magazinen, in denen er für die Privatisierung der Bahn eintritt – ohne dabei offen zu legen, dass er selbst von dem Unternehmen bezahlt wird. Auch die Umfragen, die verdeckt und im Auftrag der Bahn lanciert werden, greifen bestimmte Medien gerne auf. Dabei wird die Fragestellung so gewählt, dass die Antwort immer ganz nach dem Geschmack der Bahn ausfällt. Die Umfragen produzieren dann Schlagzeilen wie: “Bundesbürger haben kein Verständnis für neuen Streik der Lokführer.” Dass Journalisten bei Themen am Ball bleiben, nachhaken, recherchieren, wird immer seltener. Der Redaktionsalltag, in dem immer weniger fest angestellte Journalisten immer mehr Arbeit leisten müssen, lässt meist keine Zeit dazu. Recherche ist zeitaufwendig, teuer und man weiß im Einzelfall nie, ob sie zu wirklich verwertbaren Ergebnissen führt. Der Journalismus steckt in einer Strukturkrise. Weniger Anzeigen in den Blättern als noch vor Jahren, sinkende Abonentenzahlen und die immer stärker werdende Konkurrenz durch das Internet untergraben die alten Grundlagen für Qualität: nämlich Unabhängigkeit, Geld und Zeit. Tom Schimmeck, ehemals Spiegel-Redakteur und Mitbegründer der Berliner taz beklagt vor zwei Wochen beim Mainzer Mediendisput, dass die Journalisten inzwischen in einem realitätsfernen Raum arbeiteten. Auch Volker Lilienthal, Professor für Qualitätsjournalismus an der Universität Hamburg, beklagt mangelnden Tiefgang und fehlende Recherche. Während die fest angestellten Journalisten in den finanziell und personell immer schlechter ausgestatteten Redaktionen zunehmend Verwaltungs- und Produktionsarbeit leisten müssen, werden Beiträge und Artikel mehr und mehr von freien Journalisten verfasst – bei immer weiter sinkenden Honoraren. Ein stetig wachsendes kreatives Prekariat, so Tom Schimmeck: Bei sinkendem Einkommen seine Unabhängigkeit zu behalten, ist nicht leicht. Zumal in der PR-Wirtschaft wesentlich höhere Honorare gezahlt werden. Nicht wenige freie Journalisten stocken deswegen ihr Einkommen mit Aufträgen aus der PR auf. Der Kodex der Vereinigung “Netzwerk Recherche” – ‘Journalisten machen keine PR’ – wird deshalb in der Branche als naiv und wirklichkeitsfern angesehen. Doch Günter Bartsch, Geschäftsführer von Netzwerk Recherche und selbst freier Journalist sagt: Doch nicht alle Journalisten sehen diesen Konflikt. Was im Video wie ein journalistischer Beitrag aussieht, ist PR im Auftrag der “Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft”, einer Organisation des Bundesverbandes der Metallarbeitgeber. Im Vorfeld der Bundestagswahl wirbt sie drei freie Journalisten an, um sie auf Deutschlandtour zu schicken. In Videoreportagen sollen die das Thema Soziale Marktwirtschaft unter die Leute bringen – ganz nach den Plänen der Organisation. Den Journalisten wird dabei in Aussicht gestellt, durch ihre Arbeit auch in Verbindung mit anderen Medien zu kommen, ganz konkret zu dem Zeitschriftenmagazin “Neon”, der “Zeit”, zur Bildzeitung und den Sendungen “Anne Will” und “titel, thesen, temperamente”. Das Problem, das sich hinterher dabei herausstellt: diese Medien wissen gar nichts von einer Kooperation. Die Hoffnungen angeworbener Journalisten werden zunichte. Schon einmal war die “Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft” mit Schleichwerbung in der ARD-Serie “Marienhof” negativ aufgefallen. Weniger Staat, mehr Markt, mehr Unternehmerfreundlichkeit – dafür hatte sie in gekauften Dialogen der Vorabendserie geworben. Und nun auch in den Videobotschaften der Journalisten, die sich ganz begeistert darüber zeigen, welche Möglichkeiten ihnen die “Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft” bietet: Der Journalist im Gespräch mit dem Berater Roland Berger. Für den Vorsitzenden des Berufsverbandes Freier Journalisten unter der Bezeichnung “Freischreiber”, Kai Schächtele ist das Bekanntwerden der Deutschlandtour seiner Kollegen nicht nur ein PR-Desaster für die “Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft”. 30.000 bis 50.000 PR-Mitarbeitern stehen hierzulande rund 48.000 hauptberufliche Journalisten gegenüber. Während die Zahl derjenigen, die vom Journalismus überhaupt noch leben können, zurück geht, steigt die Zahl der PR-Beschäftigten. In den USA hat sich das Zahlenverhältnis längst zugunsten der PR verschoben. Die Tendenz zum sogenannten Nutzwertjournalismus, mit dem sich die Verlage mehr Werbeeinnahmen erhoffen, fördert dabei die Nähe zur PR und weicht den Standard der journalistischen Unabhängigkeit auf. So Günter Bartsch vom “Netzwerk Recherche”. Doch auch PR in eigener Sache ist erwünscht. Das Badische Tagblatt beispielsweise stellt seinen freien Mitarbeitern einen Zusatzverdienst in Aussicht: die Werbung von Abonnenten. Auch dies eine Aufweichung von Standards, meint der Journalist Benno Stieber: Die Unabhängigkeit von Journalisten wird immer stärker ausgehöhlt. Allerdings glaubt Günter Bartsch vom Netzwerk Recherche, dass das teilweise auch auf die Trägheit mancher seiner Journalistenkollegen zurückzuführen ist. Eine angeblich wissenschaftliche Kontroverse, die sofort wieder Schlagzeilen macht. Dass die Wissenschaftler mit der Solariumindustrie in Verbindung stehen, hätte man allerdings leicht mit einer einfachen Recherche über Suchmaschinen im Internet herausfinden können, meint Bartsch. Sägen die Medien also selbst an dem Ast auf dem sie sitzen, wie es der Leipziger Journalistikprofessor Michael Haller behauptet? Und wie kann die Trennlinie zwischen PR und redaktioneller Unabhängigkeit wieder eindeutiger gezogen werden, wenn die Etats der Redaktionen leer und die der PR voll sind? Volker Lilienthal, Professor für Qualitätsjournalismus in Hamburg, setzt auf die Selbstheilungskräfte der Branche und eine kritischen Öffentlichkeit. © 2009 Deutschlandradio
Albrecht Müller
Längst nicht alles, was heute als qualitativer, faktenorientierter Journalismus verkauft wird, ist dies auch tatsächlich. Der Einfluss von Unternehmen und Institutionen auf scheinbar unabhängige Journalisten nimmt immer weiter zu.“ Diesen Hintergrundbeitrag der Medienjournalistin und „Freischreiberin“ Brigitte Baetz übernehmen wir, weil er interessant und NachDenkSeiten-einschlägig ist, in d ...
[ "Berger, Roland", "Netzwerk Recherche", "Think Tanks", "Vierte Gewalt" ]
[ "Lobbyorganisationen und interessengebundene Wissenschaft", "Medien und Medienanalyse", "PR" ]
21. November 2009 14:07
https://www.nachdenkseiten.de/?p=4353
Bernhard Trautvetter
Bernhard Trautvetter, Jahrgang 1954, ist ehemaliger Berufsschullehrer, Friedensaktivist, Mitglied in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten (VVN), Experte für Friedenspädagogik und Friedenspolitik in der GEW Nordrhein-Westfalen, Lyriker und Bildgestalter.
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14. Juni 2021 10:01
https://www.nachdenkseiten.de/?gastautor=bernhard-trautvetter&paged=8
Sozialstaat
Vier von fünf Bundesbürgern halten das „Sparpaket“ für sozial unausgewogen und sie haben Recht. Die Ärmsten der Armen und die Arbeitnehmer werden die Hauptlast der Krise bezahlen. Von einem „fairen Ausgleich“ zwischen Sozialkürzungen und Belastungen „der Wirtschaft“, über den Kanzlerin Merkel gesprochen hat, kann keine Rede sein. Die Gewinner der Finanzspekulationen bleiben ungeschoren, die Verluste tragen die Arbeitslosen und die sozial Schwachen. Wolfgang Lieb
NachDenkSeiten - Die kritische Website
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02. September 2010 8:30
https://www.nachdenkseiten.de/?cat=145&paged=107
Die Begegnung und der öffentliche Raum werden zu Unrecht verteufelt
Seit nunmehr fast zwei Jahren gilt das Zusammentreffen von Menschen als gefährlich, wird ein Großteil des Pandemiegeschehens im Gedränge von Einkaufsstraßen, Konzerten, in Schulen sowie generell in Innenräumen vermutet. Seit fast zwei Jahren gilt auch die strikte Selbstisolation im Falle eines positiven Testergebnisses als probates Mittel zum Schutz der Gesellschaft – sogar bei Minderjährigen und Pflegebedürftigen. Dabei zeigen international publizierte Kontaktverfolgungsstudien, dass ein deutliches Mehr an Begegnung möglich wäre. Von Sandra Reuse. Der Einzelhandel und viele Dienstleister, wie etwa Friseure und die Gastronomie, aber auch Kulturbetriebe mussten 2021 erneut auf ein florierendes Weihnachts- und Silvestergeschäft verzichten. Viele Hunderte Millionen Euro gingen dabei kleinen und mittelständischen Betrieben verloren bzw. landeten beim Onlinehandel, der jedoch überwiegend über Plattformen mit Sitz außerhalb Deutschlands, zumeist auch Europas, organisiert ist. Aber ist der öffentliche Raum überhaupt ein relevanter Ort des Infektionsgeschehens? Kann ein gesund wirkender Mensch ohne Symptome todbringende Viren verbreiten? Und sind tatsächlich die Ungeimpften bedeutende Treiber der Pandemie? Wo spielt sich das Infektionsgeschehen hauptsächlich ab? Was wissen wir überhaupt? Trotz immenser Ausgaben zur Bekämpfung der Pandemie und ihrer wirtschaftlichen Folgen wissen wir immer noch erschreckend wenig darüber, wo und in welchen Zusammenhängen sich das Infektionsgeschehen hauptsächlich abspielt. Das liegt vor allem daran, dass sich Übertragungen oder auch „Spreading Events“ nicht „beobachten“ lassen – sie können nur im Nachhinein rekonstruiert werden. Dabei entstehen immer wieder Wissenslücken, die zu Fehlannahmen über die Notwendigkeit und Wirksamkeit von Maßnahmen führen können. Werden Bürger in Deutschland positiv getestet, versuchen zumeist die Gesundheitsämter herauszufinden, mit wem und bei welcher Gelegenheit die Infizierten Kontakt hatten. Doch in Regionen bzw. Phasen mit hohen Inzidenzen war eine systematische Nachverfolgung oft nicht möglich, allein schon weil die personelle Ausstattung der zuständigen Behörden nicht gegeben war. Hinzu kommt, dass z.B. Restaurantbesitzer, Sportstudiobetreiber oder Schulleiter bzw. Lehrer Angaben über das Kontaktverhalten Dritter machten, die das tatsächliche Geschehen allenfalls näherungsweise abbilden können. Natürlich berichten auch befragte „Positive“ und ihre Kontaktpersonen nicht immer vollständig und wahrheitsgemäß, was sie gemacht und wen sie getroffen haben, weil sie z.B. Angst vor Strafe haben. Dies kann zu Verzerrungen in der Wahrnehmung führen, wo und wie sich das Infektionsgeschehen tatsächlich abspielte. Die öffentliche Debatte in Deutschland ist seit fast zwei Jahren geprägt davon, dass ein Großteil der Virusverbreitung im öffentlichen Raum vermutet wird: in Geschäften und im Gedränge von Einkaufsstraßen, sowie vor allem in Schulen und generell in Innenräumen. Seit fast zwei Jahren gilt auch die strikte Selbstisolation im Falle eines positiven Testergebnisses als probates Mittel – ohne dass mit der gebotenen Sorgfalt geprüft wurde, ob nicht auch infizierte Personen unter gewissen Vorsichtsmaßnahmen am öffentlichen Leben teilhaben können. Für die Betroffenen führte das nicht selten zu großen seelischen Qualen mit teilweise nachhaltigen gesundheitlichen Konsequenzen. Einsamkeits- und Ausgrenzungserfahrungen, Suchtverhalten, Neurosen, Angstzustände bis hin zu schweren Depressionen gehören zu den Folgen. Hinzu kamen existenzielle Schwierigkeiten bei der Verfolgung einer Selbstständigkeit und Probleme, die eigene Familie und pflegebedürftige Angehörige zu versorgen. Das ist ein hoher Preis, den die Gesellschaft Millionen von Einzelnen aufgebürdet hat. War er und vor allem ist er, auch angesichts neuerer Erkenntnisse zum Infektionsgeschehen, weiterhin gerechtfertigt? Es gibt mittlerweile eine ganze Reihe systematischer Studien zur Verbreitung von SARS-CoV-2, die herausarbeiten, wo, wie und bei wem sich Menschen angesteckt haben und welche Art von Begegnungen wie riskant ist. Sie wurden allerdings größtenteils im Ausland durchgeführt und fanden – trotz Publikation in internationalen Fachmedien – in der deutschen Diskussion bislang kaum Berücksichtigung. Gibt es ein relevantes Ansteckungsgeschehen an der frischen Luft? Solche Fragen lassen sich damit eigentlich klar beantworten: Nein, so etwas wird durch Studien nicht belegt. Bis auf ein Restrisiko, das niemals auszuschließen ist – natürlich kann es passieren, dass eine Person einer anderen ins Gesicht niest oder hustet – kann man ziemlich sicher sein: An der frischen Luft besteht so gut wie keine Ansteckungsgefahr. Das gilt nach Studienlage vollkommen unabhängig von der Anzahl der versammelten Menschen und im übrigen auch dann, wenn keinerlei AHA-Regeln eingehalten werden. Das ist das Ergebnis einer großangelegten internationalen Metaanalyse, die im Februar 2021 im Journal of Infectious Diseases veröffentlicht wurde. Im Rahmen dieser Arbeit wurden zehntausende von Studien zu Übertragungsereignissen in Innen- und Außenräumen zunächst auf die Qualität der Fallbeschreibung überprüft. In die weitere Analyse wurden ausschließlich Studien einbezogen, die ein Peer-Review-Verfahren durchlaufen hatten. Insgesamt fanden sich so wenige Berichte über „Corona“-Außenübertragungen, dass auch Fallstudien zur Übertragung anderer respiratorischer Viren analysiert wurden, wie etwa Influenza-, Adeno- und Rhinoviren. Als Outdoor-Aktitivitäten wurden sowohl Arbeits- als auch Freizeit- und Feierzusammenhänge definiert. Den Autoren der Metaanalyse zufolge, Bulfone et. al., kam es bei allen bis dahin vorliegenden Studien selbst bei eintägigen Massenveranstaltungen im Freien noch nie zu einem nennenswerten Übertragungsgeschehen von respiratorischen Viren. Bei mehrtägigen großen Veranstaltungen wie Festivals und Camps spielten sich die wenigen berichteten „Ausbrüche“ in Übernachtungskabinen oder z.B. bei der Zuganreise ab (Link) Die Übertragungswahrscheinlichkeit an der frischen Luft wird nicht nur dadurch gemindert, dass ausgeatmete Viren und andere Partikel sehr viel schneller verweht werden, auch das UV-Licht verringert die Virus-Lebensdauer (natürlich nur am Tag). Untersuchungen, die eine mehrstündige bis sogar mehrtägige Viruslebensdauer auf Flächen nachwiesen, fanden unter Laborbedingungen statt und sind auf Außenbereiche mit u.a. ständig schwankenden Temperaturen nicht zu übertragen; zudem ist bis heute unklar, wie hoch die Viruslast sein muss, die für eine Ansteckung nötig ist. Schlussfolgerung: Die Beschränkungen von Weihnachtsmärkten und Silvesterfeiern sowie der Teilnehmerzahl von Außenveranstaltungen aller Art sind nach wissenschaftlicher Literaturlage eigentlich nicht zu rechtfertigen. Dies gilt selbstverständlich auch für Demonstrationen. Keine Evidenzbasierung gibt es auch für die Vorschrift, im Freien eine Maske zu tragen – ganz egal ob im Park, auf dem Parkplatz eines Discounters, auf dem Schulhof oder auf dem zugigen Bahnsteig im öffentlichen Nahverkehr. Aber auch zum Übertragungsgeschehen in Innenräumen gibt es sehr viel detailliertere Erkenntnisse, als die aktuellen Maßnahmen vermuten lassen: Wie intensiv muss eine Begegnung sein, um eine Übertragung wahrscheinlich zu machen? In dieser durch die staatlichen Behörden offenbar rigide umgesetzten Kontaktverfolgungsstudie aus Singapur wurden gleich zu Anfang der Pandemie insgesamt 1114 nachweislich infizierte Personen und 7770 enge Kontakte befragt und untersucht. Darunter waren 1863 Haushaltskontakte, 2319 Arbeitskontakte und 3588 „Sozialkontakte“. Im Schnitt hatte jede infizierte Person rund 7 Kontakte. Von den 7700 engen Kontakten hatten sich 97 Prozent nicht angesteckt. Die 188 Zweitinfizierten wurden eingehend befragt und es ergab sich, dass die so genannte „secondary attack rate“ mit 5 bis 9 % am höchsten im gemeinsamen Haushalt war, gefolgt von jeweils 1-3 % bei Arbeitskontakten wie bei Kontakten im sozialen Umfeld. Als risikosteigernd bei den Haushaltskontakten wirkten sich das gemeinsame Schlafen in einem Zimmer sowie längere Gespräche über 30 Minuten aus. Bei Kontakten zwischen Freunden oder Bekannten erhöhte sich das Übertragungsrisiko vor allem durch das Zusammensein mit mehreren Infizierten, durch gemeinsame Autofahrten, sowie wiederum durch längere Gespräche über 30 Minuten. Das gemeinsame Einnehmen einer Mahlzeit, die gleichzeitige Nutzung von Wasch- bzw. Toilettenräumen oder ein zufälliges Zusammentreffen wurden hingegen nicht als risikosteigernd identifiziert. Daraus lässt sich schließen, das vor allem intensivere Kontakte mit einer infizierten Person das Übertragungsrisiko steigern, keinesfalls jedoch jegliche Art von Zusammenkunft. Dazu scheinen vor allem längere Gespräche ohne Abstand oder aber auch Körperkontakte zu gehören, wie sie dem Vernehmen nach vor allem bei Erwachsenen beim gemeinsamen Schlafen gelegentlich stattfinden sollen. Das bloße Zusammensein im gleichen Raum, die Begegnung im Waschraum, ja nicht einmal das gemeinsame Leben in derselben Wohnung scheint das Infektionsrisiko signifikant zu steigern. International publizierte Haushaltsstudien, bei denen alle Mitbewohner einer erstinfizierten Person in verschiedenen zeitlichen Abständen getestet wurden, bestätigen das. Insbesondere Kinder und Jugendliche sind offenbar sehr viel seltener als Zweitinfizierte betroffen, auch wenn sie im engen Kontakt mit einem infizierten Erwachsenen leben. Welche Rolle spielt das Alter bei der Ansteckungsgefahr und bei den Pandemieverläufen? Tatsächlich belegen mittlerweile zahlreiche Studien, darunter auch eine unter Beteiligung des Bonner Virologen Hendrik Streeck, ein mit dem Lebensalter ansteigendes Infektionsrisiko. So ergab eine differenzierte, neuere Untersuchung der Heinsberger Karnevalssitzung im Februar 2020 ein mit jedem Lebensjahrzehnt um 28 Prozent wachsendes Infektionsrisiko. Die allermeisten der bei diesem „Superspreadingevent“ anwesenden Kinder hatten sich trotz mehrstündiger Anwesenheit nicht angesteckt. Das galt im übrigen auch, als sie nach der Karnevalsfeier mit infizierten Angehörigen in Quarantäne saßen (Link). Hier findet sich eine internationale Metaanalyse zu Infektionsclustern in Haushalten, die das geringere Ansteckungsrisiko von Kindern ebenfalls bestätigt. Zudem legt sie nahe, dass nur ein absoluter Bruchteil der Übertragungen (3,8 Prozent laut Berechnung) zwischen Menschen, die zusammenleben, von Kindern ausgeht (Link). “Die Datenlage zeigt, dass Infektionen sehr viel häufiger von Erwachsenen auf Kinder übertragen werden als umgekehrt. Aktuelle Arbeiten zeigen eine Ansteckungshäufigkeit von Kind zu Kind von nur 0,3 Prozent gegenüber 4,4 Prozent bei Erwachsenen“, fasste eine Stellungnahme der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin (DAKJ) von November 2020 zusammen. Die zugrundeliegende Studie von Macartney et. al. findet sich hier. Es wäre daher an der Zeit, zu akzeptieren, dass Jüngere und insbesondere Kinder nur eine untergeordnete Rolle bei der Verbreitung des Virus spielen und das Thema Schulschließungen endlich ad acta zu legen. Ein Blick auf das internationale Pandemiegeschehen zeigt ein klares Muster: Länder mit einer im Schnitt jüngeren Bevölkerung sind sehr viel besser durch die Pandemie gekommen sind als Länder mit vielen Älteren. Dies gilt im übrigen, was bislang kaum diskutiert wird, unabhängig von der jeweils erreichten Impfquote. Mehr noch: Es gibt offenbar keinen kausalen Zusammenhang zwischen einer hohen Impfquote und niedrigen Inzidenzen. Bestes Beispiel dafür ist Gibraltar, das laut Behördenauskunft eine Impfquote von 100 Prozent hat: Es gehört laut der Website „Corona-in-Zahlen.de“ derzeit sogar zu den fünf Ländern weltweit mit den höchsten Infektionsraten (22,4 Prozent mit Stand vom 18.12.21). Die Webseite verwendet nach eigenen Angaben Zahlen von „Our World in Data“, der John-Hopkins-Universität sowie dem Robert Koch-Institut als Berechnungsgrundlage. Im Niger, das eine Impfquote von 1,9 Prozent hat, lag die 7-Tage-Inzidenz der Neuinfektionen, abgerufen am selben Tag, bei 0, im Sudan ebenso, in Algerien mit einer Impfquote von 12 Prozent bei 3,9 und im ebenfalls sehr jungen Pakistan (Impfquote 26 Prozent) bei 0,8. In diesem Interview mit Welt-TV vom 1. Dezember 2021 führt der zu diesem Zeitpunkt noch amtierende Afrika-Beauftragte Günter Nooke die geringen Erkrankungs- und Sterberaten in Subsahara-Afrika auf die durchschnittlich sehr junge Bevölkerung zurück, die trotz einer relativ hohen „Durchseuchung“ wenig vom Virus betroffen gewesen sei: „Das heißt, viele sind infiziert worden, haben das aber im Großen und Ganzen nicht so bemerkt“ (vgl. ab Min. 2:37) Nooke weiter: „Und das hat eben nicht dazu geführt, anders als Herr Drosten am Anfang vermutet hat, dass es Hunderttausende Tote in Afrika gegeben hat, die Leichen in den Straßen hat es nicht gegeben“. Er fügt hinzu: „Allerdings haben wir natürlich viel zu wenig Daten“. Zu den altersbezogenen Verläufen von Covid-19 gibt es jedenfalls hinreichend Daten. Es ist klar erwiesen, dass Kinder und Jugendliche, aber auch junge Erwachsene, bislang ganz überwiegend milde Verläufe hatten und dementsprechend auch die Intensivbetten nicht belasteten. Zum Beispiel zeigt ein auch von der STIKO zitierter systematischer Review, der internationale Studien mit Daten von insgesamt 7.480 Personen von 0 bis 18 Jahren einschloss, dass nur bei 0,7 Prozent von nachweislich infizierten Kindern und Jugendlichen ein kritischer Covid-19-Verlauf erfolgte, 2 Prozent erkrankten schwer, kein Kind bzw. Jugendlicher starb (Link). Welche Rolle spielt die Viruslast, der man ausgesetzt ist? Und welche Rolle spielen Aerosole? Die bisherigen Hygienemaßnahmen in Deutschland sowie der zurückliegende Silvesterlockdown (auch wenn er so nicht genannt wurde) basieren auf der Annahme, schon die bloße Anwesenheit eines Infizierten im Raum stelle ein signifikantes Risiko dar. Dagegen sprechen viele Fallbeispiele aus der Praxis ebenso wie auch die vorangehend zitierten Kontaktverfolgungsstudien. Eine weitverbreitete Befürchtung, die von Experten im Frühjahr 2020 formuliert wurde und die sich seither hartnäckig hält, ist die, dass das Virus mit Aerosolen durch die Luft reist. Zwar wurde dies in laborphysikalischen Studien bestätigt. Doch bis heute ist nicht bewiesen, dass auf diese Weise tatsächlich auch Infektionen übertragen werden können. Einzige Ausnahme: Es sind Klimaanlagen im Spiel, die einen hohen Anteil der Raumluft rezirkulieren, und es befinden sich gesundheitlich anfälligere, insbesondere ältere oder kranke Personen über längere Zeit in der Nähe der entsprechenden Luftausgänge. Diese Konstellation ist aber vor allem für Krankenhäuser oder Pflegeheime relevant und nicht für Kaufhäuser, Kulturveranstaltungen oder Schulen. Dennoch hält sich diese überaus pessimistische Annahme der stetig lauernden Aerosol-Gefahr seit ihrem ersten Aufploppen im April 2020. Ja, sie wurde sogar durch die Vermutung immer weiter ins Negative gesteigert, eine luftgetragene Verbreitung könne auch durch asymptomatische Personen erfolgen, denen man keine Erkrankung ansieht. Die mit Corona verbundene Gefahr wurde dadurch sozusagen „doppelt unsichtbar“. Gesunde Menschen und insbesondere Kinder, die häufig nur leichte oder asymptomatische Verläufe haben, wurden fortan unter Generalverdacht gestellt. Doch zu dieser wirklich bedrohlich wirkenden Erzählung findet sich keine empirische, also tatsächlich beobachtete Evidenz. Insbesondere wurde bis heute offenbar nicht systematisch überprüft, ob die über Aerosole transportierbare Virenlast wirklich ausreicht, um eine normal immunstarke Person anzustecken. Wenn man sich bewusst macht, dass es gerade diese Erzählung ist, auf deren Basis ganze Wirtschaftsbereiche dicht gemacht und Millionen von Menschen ausgegrenzt wurden (und werden), dann erstaunt schon die Hybris, mit der Wissenschaftler/innen diese vermeintliche „Wahrheit“ kommunizierten: „The world should face the reality“ lautet etwa die Überschrift dieses Artikels, der laut „google scholar“ schon über 1200 Mal zitiert worden ist: „Airborne transmission“ sei ein „Fakt“, der einen hohen Anteil des Übertragungsgeschehens bei SARS-CoV-2 erkläre (Link). Die meistzitierten Fachartikel zum Thema Aerosolübertragung verblieben komplett im Konjunktiv Die meistzitierten Fachartikel zu diesem Thema formulierten diesen Übertragungsweg jedoch lediglich als Hypothese, verblieben also komplett im Konjunktiv. Auch geht es in den jeweils beschriebenen Fallbeispielen keineswegs um „asymptomatische“ Index Cases. Vielmehr bedarf es offenbar doch hustender und niesender Erkrankter, die mit Schwung virenbeladene Maxi- und Minitröpfchen versprühen, damit Viren weiter fliegen. Bei den wissenschaftlich sauber dokumentierten „Ausbrüchen“ von Innenraumübertragungen kommt bei genauerer Betrachtung eigentlich nie ausschließlich eine Aerosolübertragung in Frage. So wurden beispielsweise bei dem immer wieder zitierten Chor-Event in Skagit / Washington auch Snacks geteilt, Teilnehmer/innen saßen zusammen und klönten, zudem gab es mindestens einen symptomatischen Fall und das Infektionsgeschehen verteilte sich auf insgesamt zwei Treffen. Medienberichte fassten das Geschehen jedoch immer wieder so zusammen, als hätten sich die Chorteilnehmer über ein einmaliges gemeinsames Singen angesteckt (Link). Das Zusammentreffen aller drei Bedingungen – das heißt, ein tatsächlich asymptomatisch Infizierter hat nachweislich eine andere Person in einem Innenraum angesteckt, ohne dass sich eine Gelegenheit zur Tröpfchenübertragung (wie etwa durch Anhusten oder bei einem längeren Gespräch) ergab – ist bis heute nicht belegt. Natürlich ist eine solche Übertragungsmöglichkeit nicht ausgeschlossen. Sie ist aber nicht wahrscheinlich genug, um fundamentale Beschränkungen im öffentlichen Raum zu rechtfertigen. Welche Rolle spielen asymptomatisch Infizierte? Diese bereits oben erwähnte Studie zeigt, dass asymptomatisch Infizierte nur ausgesprochen selten die Ursache von Infektionsclustern sind, d.h. eine größere Zahl von anderen Personen oder überhaupt andere anstecken (Link). In dieser Studie wurden 9,8 Millionen Einwohner/innen aus Wuhan > 6 J. nach dem Ende des Lockdowns im Frühsommer 2020 auf Covid-19 getestet; im Falle eines positiven Testes wurden ihre Kontakte nachverfolgt und ebenfalls getestet. Dabei wurden insgesamt 300 asymptomatische Fälle identifiziert. Unter deren insgesamt 1.174 engen Kontakten fanden sich keine weiteren Infizierten; die 300 „Asymptomatischen“ hatten also niemanden angesteckt. Die Autoren zogen das Fazit: Verglichen mit symptomatischen Patienten haben asymptomatische, mit Sars-CoV-2 infizierte Personen in aller Regel nur eine sehr geringe Viruslast und können maximal für kurze Zeit für andere ansteckend sein. Ein Link zu dieser in „Nature“ veröffentlichten Studie findet sich hier . Welche Rolle spielen Ungeimpfte? Und welche die verschiedenen Virusvarianten? Dass die Wirkung der bisher verfügbaren Covid-19-Impfstoffe nicht 1:1 mit der klassischer Impfstoffe verglichen werden kann, ist mittlerweile bekannt. Insbesondere schützt die Impfung offenbar nur teilweise vor einer Ansteckung und verhindert damit auch nicht die Weitergabe durch Geimpfte. Dieser in „The Lancet“ veröffentlichten britischen Haushaltsstudie von September 2021 zufolge wurde jedenfalls bei Personen mit Impfdurchbrüchen eine ebenso hohe Viruslast gemessen wie bei Ungeimpften. Dementsprechend steckten sich auch genauso viele engere Zweitkonktakte bei infizierten Geimpften an wie bei infizierten Ungeimpften (Link zur Studie). Auch ergaben sich bei den Geimpften keine Unterschiede hinsichtlich der produzierten Viruslast nach Impfstatus bzw. Abstand zur letzten Impfung. Interessanterweise unterschied sich die produzierte Viruslast auch nicht nach der Virusvariante (es wurden Personen mit Pre-Alpha-, Alpha- und Deltavarianten-Infektion untersucht, Omikron war noch nicht in Umlauf): Das aber würde bedeuten, dass die immer wieder produzierten Schlagzeilen über neue, noch ansteckendere Coronavarianten größtenteils Fehlalarm waren. Zumindest für die Gruppe der Kinder kann dies im Nachhinein als bestätigt gelten – für diese wurde schon bei der Beta-Variante behauptet, sie würden sich nun vermehrt anstecken und im Krankenhaus landen, was nicht der Fall war. Auch bei der Delta-Variante und bis jetzt bei Omikron scheint es keine erhöhte Gefahr zu geben, dennoch fordern Lehrerverbände schon wieder Schulschließungen. Versuch eines Fazits: Ein deutliches Mehr an Miteinander wäre möglich – und ein Mehr an Selbstverantwortung Relevant für eine Rückkehr zur Normalität im öffentlichen Raum ist vor allem die mit „Corona“ verbundene Ansteckungs- und Übertragungsgefahr. Wie die oben zusammengefassten Studien zum Infektionsgeschehen zeigen, spielen asymptomatische Personen – also Mitmenschen, die gesund wirken und sich auch so fühlen – entgegen der weitläufigen Annahme – nur eine geringe Rolle bei der Virusverbreitung. Das Gleiche gilt für Kinder und Jugendliche – siehe die obigen Ausführungen zur Bedeutung der Altersunterschiede beim Pandemiegeschehen. Kinder und generell Jüngere sind (vermutlich aufgrund ihres guten Immunsystems, sofern es intakt ist) den vorliegenden Daten zufolge weniger gefährdet, sich anzustecken. Sie geben das Virus aber auch seltener weiter als Erwachsene, selbst wenn sie infiziert sind. Es wurde auch immer wieder zu Unrecht befürchtet, Kinder und Jüngere könnten stark erkranken und die Intensivstationen füllen, was bis heute auch angesichts neuerer Virusvarianten nicht eingetreten ist. Auch die Übertragung von SARS-CoV-2 über Aerosole wurde, wie gezeigt werden konnte, offenbar stark überschätzt. Wer sich die (wenigen) zugrundeliegenden Fallstudien anschaut, stößt schnell auf die Erwähnung schlecht funktionierender Klimaanlagen – wie etwa auch beim Karneval in Heinsberg, dem Chortreffen in Skagit sowie Ausbrüchen in Pflegeheimen oder Krankenhäusern wie etwa hier. Diese Problematik betrifft aber nur einen Bruchteil öffentlicher Orte, lässt sich technisch regeln und ist vor allem für mehrstündige Ereignisse relevant. Die Heinsberg-Studie zeigt dabei, dass regelmäßige Pausen an der frischen Luft das Ansteckungsrisiko sogar bei hoher Virenbelastung der Raumluft signifikant mindern können. Überhaupt legt die Studienlage nahe, dass individuelles Verhalten einen großen Beitrag zur Risikosteigerung oder -minimierung hat. Es sind offenbar weniger die größeren Menschenmengen, sondern vor allem intensivere Kontakte mit einer infizierten Person, die das Übertragungsrisiko steigern. Das aber lässt sich steuern und sollte stärker der Selbstbestimmung und Eigenverantwortung jedes Einzelnen überlassen werden. Quarantänepflichten – insbesondere für Kinder und Jugendliche, aber auch für Menschen ohne Symptome – sollten schnellstmöglich überdacht werden. Es gibt auch keinerlei wissenschaftliche Evidenz, dass hierbei zwischen Geimpften und Ungeimpften unterschieden werden sollte. Ein deutliches Mehr an Miteinander ist möglich – und das ist doch ein positiver Ausblick auf 2022. Titelbild: View Apart / Shutterstock
Sandra Reuse
Seit nunmehr fast zwei Jahren gilt das Zusammentreffen von Menschen als gefährlich, wird ein Großteil des Pandemiegeschehens im Gedränge von Einkaufsstraßen, Konzerten, in Schulen sowie generell in Innenräumen vermutet. Seit fast zwei Jahren gilt auch die strikte Selbstisolation im Falle eines positiven Testergebnisses als probates Mittel zum Schutz der Gesellschaft – sogar bei Minderjährigen ...
[ "Exklusion", "Impfungen", "Morbidität", "Virenerkrankung" ]
[ "Gesundheitspolitik" ]
04. Januar 2022 9:05
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Christoph Butterwegge: Argumente gegen das bedingungslose Grundeinkommen
Sowenig eine Kopfpauschale im Gesundheitssystem der unterschiedlichen finanziellen Leistungsfähigkeit von Krankenversicherten gerecht würde, sowenig eignet sich jedoch das Grundeinkommen, um die tiefe Wohlstandskluft in der Gesellschaft zu schließen. Letztlich würde es als Kombilohn für alle wirken. Weil das Existenzminimum seiner Bezieher/innen gesichert wäre, könnten diese noch schlechter entlohnte Jobs annehmen, wodurch den Unternehmen mehr preiswerte Arbeitskräfte zur Verfügung stünden und die Gewinne noch stärker steigen würden. Gleichzeitig wäre die Regierung nicht nur ihrer Pflicht zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit enthoben, sondern auch die Durchsetzung weitreichender Deregulierungskonzepte möglich. Christoph Butterwegge hat uns eine Langfassung seines am 24. Mai 2007 in der taz erschienenen Aufsatzes zur Verfügung gestellt. Christoph Butterwegge Kombilohn für alle? Argumente gegen das bedingungslose Grundeinkommen In jüngster Zeit ist das bedingungslose Grundeinkommen, sei es als „Bürger-“ bzw. „Existenzgeld“, als „Sozialdividende“ oder als „negative Einkommensteuer“, fast zu einem politischen Modethema avanciert. Dass die unter dem Kontrolldruck ihrer ARGE (Arbeitsgemeinschaft von Bundesagentur für Arbeit und örtlicher Sozialbehörde) bzw. ihrer Optionskommune stehenden Bezieher/innen von Arbeitslosengeld II und ihre organisatorischen Netzwerke hierin eine Alternative zu bedürftigkeitsgeprüften Transferleistungen sehen, ist wenig verwunderlich. Viele vom patriarchalischen Wohlfahrtsstaat à la Bismarck enttäuschte Frauen wiederum hoffen, auf dem Weg über das Grundeinkommen ihre Abhängigkeit vom (Ehe-)Partner beenden und eine längst überfällige eigenständige soziale Sicherung erlangen zu können. Dass die Forderung nach dem Grundeinkommen in unterschiedlichen politischen Lagern (von der FDP über die CDU und die Bündnisgrünen bis zur Linkspartei) Resonanz findet, liegt vermutlich daran, dass es Gerechtigkeitsvorstellungen eines utopischen Sozialismus mit bürgerlichen Gleichheitsidealen und aus Sicht neoliberaler Ökonomen bewährten Funktionselementen der Marktökonomie verbindet. Es muss darum gehen, den bestehenden Wohlfahrtsstaat durch sinnvolle Reformen weiterzuentwickeln und ihn an die veränderten Arbeits- und Lebensbedingungen einer postindustriellen Gesellschaft mit selbst im Wirtschaftsaufschwung nur geringfügig sinkender Massenarbeitslosigkeit, bis in die Mittelschichten reichenden Verarmungstendenzen, Millionen prekären Beschäftigungsverhältnissen sowie ökologischen Verwerfungen anzupassen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde den Sozialstaat aber nicht „vom Kopf auf die Füße stellen“ (Reinhard Loske, grüner Bundestagsabgeordneter), sondern ihm den Todesstoß versetzen. Denn er könnte die neben der Armutsbekämpfung für einen Wohlfahrtsstaat konstitutiven Funktionen der Lebensstandardsicherung im Falle sozialer Existenzrisiken (z.B. Krankheit, Invalidität und Arbeitslosigkeit) sowie des Ausgleichs zwischen Arm und Reich noch unzureichender als bisher oder – wenn die Sozialversicherungen zugunsten des Grundeinkommens entfallen, wie in den einflussreichsten Modellen vorgesehen – gar nicht mehr erfüllen. Da nicht nur die Armut, sondern parallel dazu auch der Reichtum in einer früher unbekannten Weise wächst, ist die soziale Polarisierung neben der Prekarisierung das Kardinalproblem unserer Gesellschaft und vornehmlich mehr ausgleichende Gerechtigkeit nötig. Sowenig eine Kopfpauschale im Gesundheitssystem der unterschiedlichen finanziellen Leistungsfähigkeit von Krankenversicherten gerecht würde, sowenig eignet sich jedoch das Grundeinkommen, um die tiefe Wohlstandskluft in der Gesellschaft zu schließen. Letztlich würde es als Kombilohn für alle wirken. Weil das Existenzminimum seiner Bezieher/innen gesichert wäre, könnten diese noch schlechter entlohnte Jobs annehmen, wodurch den Unternehmen mehr preiswerte Arbeitskräfte zur Verfügung stünden und die Gewinne noch stärker steigen würden. Gleichzeitig wäre die Regierung nicht nur ihrer Pflicht zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit enthoben, sondern auch die Durchsetzung weitreichender Deregulierungskonzepte möglich. Wenn (fast) alle bisherigen Transferleistungen in einem Grundeinkommen aufgingen, hätten Neoliberale ihr Ziel erreicht, das traditionsreiche Sozialversicherungssystem zu zerstören und könnten den Systemwechsel noch dazu als Wohltat für die Bedürftigsten hinstellen. Seine grünen Befürworter wie Reinhard Loske erhoffen sich von dem garantierten Mindesteinkommen paradoxerweise eine Lockerung jener Verbindung zwischen Sozialleistungen und Erwerbsarbeit, die ihre Partei z.B. durch die Kopplung von „aktivierendem“ Leistungsbezug und Gegenleistungen (1-Euro-Jobs) bei Hartz IV erst vor kurzem in nie gekannter Rigidität gestrafft hat. Selbst wenn die Arbeitslosen durch ein von der Erwerbsarbeit abgekoppeltes Grundeinkommen materiell besser als bisher abgesichert wären, was im Modell des thüringischen Ministerpräsidenten Dieter Althaus (CDU) nicht der Fall ist, bliebe das Problem ihrer sozialen Ausgrenzung bestehen. Während sich eine bedarfsorientierte soziale Grundsicherung in den Bismarck’schen Wohlfahrtsstaat einfügen lässt und eine solidarische Bürgerversicherung dessen sinnvolle Erweiterung bzw. logische Fortentwicklung wäre, erscheint das Grundeinkommen in diesem Sicherungssystem als Fremdkörper. Davon hätten weder Unter- noch Mittelschichten die geringsten Vorteile zu erwarten, würde ihnen doch mehr „Eigenverantwortung“ zugemutet und die Hauptlast der Kosten aufgebürdet. Denn als geeignete Finanzierungsform werden fast ausnahmslos indirekte Steuern vorgeschlagen. Das über eine drastisch erhöhte Mehrwertsteuer finanzierte Grundeinkommen dient als Hebel, um die Lohn- und Einkommen- wie auch die Unternehmensteuern schrittweise abzuschaffen. Götz W. Werner, Gründer und Geschäftsführender Gesellschafter der dm-Drogeriemarktkette, rückt die Finanzierung des bedingungslosen Grundeinkommens so stark in den Mittelpunkt, dass es fast scheint, als bezwecke er weniger die Befreiung der Menschen vom Arbeitszwang als die steuerliche Entlastung der Unternehmer. Denn an die Stelle der Einkommen- soll eine von ihm allein für „sozial gerecht“ erachtete „Ausgabensteuer“ treten, wodurch das Grundeinkommen, als bloße „Rücküberweisung des Grundfreibetrages“ (Werner) interpretiert, zum Abfallprodukt seiner steuerpolitischen Reformkonzeption degeneriert. Folgt man nicht der Standortlogik, wonach die Mehrwertsteuer im Unterschied zu den gesetzlichen Lohnnebenkosten (Sozialversicherungsbeiträgen) auch die ausländischen Unternehmen trifft, sondern der sozialen Gerechtigkeit als Richtschnur, scheidet die Mehrwertsteuer als Finanzierungsquelle aus, weil sie keine Rücksicht auf die unterschiedliche Leistungsfähigkeit der ihr unterworfenen Bürger/innen nimmt und besonders kinderreiche Familien trifft, die in Relation zu ihrem niedrigen Einkommen einen relativ hohen Konsumgüterbedarf haben. Ob ein bedingungsloses Grundeinkommen sinnvoll, finanzierbar und realisierbar ist, erscheint fraglich. Es dürfte kaum die Zustimmung einer Mehrheit der Bevölkerung finden, weil für sie die Bedürftigkeit seiner Empfänger/innen und die Frage eine Schlüsselrolle spielen, warum jemand in eine Notsituation geraten ist. Das nicht auf Erwerbsarbeit gegründete und „leistungslose“ Einkommen bleibt deshalb wohl eine Utopie, die nur von wirtschafts- und sozialpolitischen Nahzielen wie einem gesetzlichen Mindestlohn, Arbeitszeitverkürzungen und einer Grundsicherung ablenkt, die ihren Namen verdient. Prof. Dr. Christoph Butterwegge, lehrt Politikwissenschaft an der Universität zu Köln. Zuletzt erschien sein Buch „Krise und Zukunft des Sozialstaates“ in 3. Aufl. mit einer Kritik an derPolitik der Großen Koalition.
Christoph Butterwegge
Sowenig eine Kopfpauschale im Gesundheitssystem der unterschiedlichen finanziellen Leistungsfähigkeit von Krankenversicherten gerecht würde, sowenig eignet sich jedoch das Grundeinkommen, um die tiefe Wohlstandskluft in der Gesellschaft zu schließen. Letztlich würde es als Kombilohn für alle wirken. Weil das Existenzminimum seiner Bezieher/innen gesichert wäre, könnten diese noch schlechter en ...
[ "Existenzminimum", "Kombilohn", "Umsatzsteuer", "Verteilungsgerechtigkeit" ]
[ "Grundeinkommen", "Soziale Gerechtigkeit", "Ungleichheit, Armut, Reichtum" ]
28. Mai 2007 10:35
https://www.nachdenkseiten.de/?p=2364&share=email
Norman Birnbaum ist tot.
Er starb am 4. Januar im Alter von 92 Jahren. Norman Birnbaum war ein großer Freund unseres Volkes und Europas, er sorgte sich um eine friedliche und solidarische Entwicklung. Er ist der Mensch mit dem größten Wissen, dem ich je begegnet bin. Kein formales Wissen. Er kannte die politischen Strömungen in Europa besser als die meisten von uns, in den USA sowieso. Und er war eng verbunden mit jenen, die die Welt im guten, im fortschrittlichen und solidarischen Sinne verändern wollten und wollen. Norman Birnbaum war Gesprächspartner bei zwei Pleisweiler Gesprächen und Autor von Kolumnen in den NachDenkSeiten. Schade, dass er gegangen ist. Wir hätten ihn gerne noch einmal hier gehabt. Albrecht Müller. Für alle Freundinnen und Freunde dieses großen Menschen sind hier ein paar Zeugnisse seines Wirkens und Nachrufe zusammengestellt:
Redaktion
Er starb am 4. Januar im Alter von 92 Jahren. Norman Birnbaum war ein großer Freund unseres Volkes und Europas, er sorgte sich um eine friedliche und solidarische Entwicklung. Er ist der Mensch mit dem größten Wissen, dem ich je begegnet bin. Kein formales Wissen. Er kannte die politischen Strömungen in Europa besser als die meisten von uns, in den USA sowieso. Und er war eng verbunden mit j ...
[ "Birnbaum, Norman", "Nachruf" ]
[ "einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte" ]
08. Januar 2019 9:00
https://www.nachdenkseiten.de/?p=48300&share=email&nb=1
einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte
Pedro Castillo war Ende letzten Jahres unter höchst fragwürdigen Umständen zunächst als Präsident abgesetzt und dann inhaftiert worden. Das spanische Portal El Salto konnte ihm eine Reihe von Fragen übermitteln, die der Politiker aus dem Hochsicherheitsgefängnis in Barbadillo beantwortete. Castillo sieht sich noch immer als verfassungsgemäßer Präsident und prangert die von der Interimspräsidentin Dina Boluarte ausgeübte Repression gegen die anhaltenden Proteste an. Zudem verweist er auf die Rolle transnationaler Konzerne sowie der USA und EU bei seiner Absetzung. Das Interview liegt nun auch in deutscher Übersetzung vor und sei allen ans Herz gelegt, die die derzeitige Situation in Peru besser verstehen wollen. Von Julio Zamarrón.
NachDenkSeiten - Die kritische Website
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26. Februar 2023 14:00
https://www.nachdenkseiten.de/?cat=198&paged=20
Suchergebnisse armut
Hier finden Sie einen Überblick über interessante Beiträge aus anderen Medien und Veröffentlichungen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (AT)
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15. August 2019 8:48
https://www.nachdenkseiten.de/?s=armut&Submit_x=0&Submit_y=0&paged=128
Steuersenkungen
Der Markt kann alles besser? Der amerikanische Nobelpreisträger für Wirtschaft, Joseph E. Stiglitz, entzaubert die Marktapologeten. Seit Jahren hören wir von unseren Wirtschaftssachverständigen oder von dem laut BILD “klügsten Wirtschaftsprofessor”, dem ifo-Chef Hans-Werner Sinn immer nur das gleiche Klagelied: Eine zu hohe Staatsquote und eine aufgeblähte Staatsbürokratie seien eine der Hauptursachen für die wirtschaftlichen Probleme Deutschlands. Überregulierung, Bürokratie, zu hohe Steuern fesselten die Marktkräfte. In der internationalen wirtschaftswissenschaftlichen Debatte spielen zwar unsere Ökonomen seit Jahrzehnten keine Rolle mehr, aber deren Marktgläubigkeit wird in den deutschen Medien und von der deutschen Politik kritiklos nachgeplappert. Die Thesen vom “verloren gegangenen Gleichgewicht zwischen Markt und Staat” und die “Alternative zum Diktat des Marktes”, wie sie der amerikanische Nobelpreisträger für Wirtschaft, Joseph E. Stiglitz entwickelt, werden bei uns nicht zur Kenntnis genommen.
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10. Mai 2004 13:22
https://www.nachdenkseiten.de/?tag=steuersenkungen&paged=12
Neoliberale Meinungsmache – die alten, bösen Lieder wollen nicht verstummen
Wer geglaubt hat, die Zunft der neoliberalen Meinungsmacher hätte auch nur klitzekleine Lehren aus der fortwährenden Eurokrise gezogen, musste sich in den letzten Tagen wohl von der düsteren Realität eines Besseren belehren lassen. In einem sorgsam choreographierten Tremolo prasselte am Wochenende ein ganzer Gewitterregen mit neoliberalen Forderungen auf uns ein: Erhöhung des Renteneintrittsalters, Kombilöhne, Lockerung des Kündigungsschutzes, Aushöhlung der Renten- und Krankenversicherung und die Stärkung des Niedriglohnsektors. Die alten, bösen Lieder wurden nicht zu Grabe getragen, sondern erfreuen sich pünktlich zu Beginn des Wahlkampfs größter Vitalität. Und ihre Interpreten sind die altbekannten: Sowohl die Bertelsmann-Stiftung, das Institut zur Zukunft der Arbeit, das Hamburgische WeltWirtschaftsInstitut und die Initiative Neue Soziale Markwirtschaft stehen bereits mit frischen „Studien“ in den Startlöchern. Von Jens Berger Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Podcast: Play in new window | Download Eine vollständige Liste mit allen vertonten Beiträgen der NachDenkSeiten finden Sie in unserem Podcastverzeichnis. Der Audiopodcast ist auch mit geeigneter Software als RSS-Feed verfügbar und kann auch kostenlos über den iTunes-Store abonniert werden. Das Lied vom zu niedrigen Renteneintrittsalter Es ist, als befände man sich in einer Zeitschleife. Die Bertelsmann-Stiftung prophezeit in einer aktuellen Studie die „Kernschmelze“ des Rentensystems und empfiehlt der Politik, das Renteneintrittsalter auf mindestens 69 Jahre zu erhöhen. Ins gleiche Horn blies am Wochenende Bernd Zimmermann vom Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA), der die Rente mit 70 für „unabdingbar“ hält. Man fühlt sich, als sei man in einer Zeitschleife gefangen, in der mit immer den gleichen, falschen Argumenten immer absurdere „Reformen“ gefordert werden. War gestern die Rente mit 67 „unabdingbar“, ist es heute die Rente mit 70. Die immer gleichen, falschen Argumente wurden schon von Albrecht Müller in seinem 2004 erschienenen Buch „Die Reformlüge“ widerlegt und die dazugehörige Rubrik auf den NachDenkSeiten enthält mittlerweile dutzende Beiträge zum Thema. Das hat die Protagonisten für eine Rentenkürzung, die mit dem Begriff „Erhöhung des Renteneintrittsalters“ kaschiert wird, jedoch nicht beeindruckt. Schon in wenigen Jahren werden Bertelsmann, IZA und Co. sicher die Rente mit 75 mit exakt der gleichen Begründung für „unabdingbar“ halten und zur Agenda 2030 blasen. Da spielt es dann auch keine Rolle, dass die Rentenkassen momentan derart prall gefüllt sind, dass die schwarz-gelbe Koalition im kommenden Jahr die Rentenbeiträge senken will. Diejenigen, die stets die alten, bösen Lieder singen, waren schon immer jedem besseren Argument gegenüber verschlossen. Das Lied vom schädlichen Mindestlohn Die Rolle des Tenors im aktuellen Agenden-Chor nimmt heute der Wirtschaftsweise Christoph Schmidt ein. Neben einer Senkung der Renten plädiert der neoliberale Ökonom auch für eine weitere „Lockerung“ des Kündigungsschutzes und eine Senkung des Arbeitsgeberbeitrags zur gesetzlichen Krankenversicherung. Das sagt Schmidt natürlich nicht direkt, er spricht diplomatischer von einer „prozentualen Beteiligung der Patienten an den Kosten“, was schlussendlich jedoch auf ein und dasselbe hinausläuft. Besonders angetan hat es Schmidt die Diskussion um den Mindestlohn, den er für eine „große Gefahr“ hält. Die alten, bösen Lieder, die immer gleiche alte Leier. Schon vor vier Jahren kommentierte einer unserer Leser in den Hinweisen des Tages einen Gastartikel von Schmidt zum selben Thema mit dem Satz: „Deutsche Neoliberale haben nichts Neues zu melden. Im besagten Artikel kann man wieder die ganze verstaubte Litanei der Immergestrigen lesen“. Dem ist wenig hinzuzufügen, außer das SPIEGEL Online diese verstaubte Litanei auch heute noch heute noch willig verbreitet und den Vorbeter dieser Litanei mit dem Prädikat „Top-Ökonom“ ausschmückt. Vor vier Jahren fragte sich Albrecht Müller – auch am Fallbeispiel Christoph Schmidt – auf den NachDenkSeiten, ob wir denn „ohne eine Art Kulturrevolution die Plage der herrschenden Ökonomen nicht loswerden“. Diese Frage muss man sich auch heute noch stellen und wahrscheinlich werden wir uns diese Frage auch noch in einigen Jahren stellen. Schmidt hat sich erwartungsgemäß als fakten- und lernresistent erwiesen und die „Journalisten“, die ihm stetig eine Bühne für seine Litaneien bieten, scheinen ebenfalls eine hartnäckige Plage zu sein. Auch wenn es heutzutage dutzende Studien aus der gesamten Welt gibt, die Schmidts Thesen zum Mindestlohn ad absurdum führen, besitzen solch neoliberale Meinungsmacher immer noch die Lufthoheit über den Stammtischen der selbsternannten Qualitätsmedien. Das Lied von Subventionen für den Niedriglohnsektor Und wenn der Chor einmal wieder die alten, bösen Lieder intoniert, dürfen natürlich auch nicht die wackeren Sängerknaben vom Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI) und der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) fehlen. Die stimmten unisono am Wochenende wieder einmal ihr altbekanntes Klagelied an, nach dem Hartz-IV-Empfänger „kaum finanzielle Anreize“ hätten, die Erwerbslosigkeit zu verlassen. Von einem angemessenen Mindestlohn, der dieses vermeintliche Problem mit einem einzigen Handschlag aus der Welt schaffen würde, wollen die Totengräber der sozialen Marktwirtschaft freilich nichts wissen. Stattdessen schlagen sie – wie schon zig Male zuvor – Kombilöhne und Lohnsubventionen vor. Der Steuerzahler soll also Arbeitgeber, die es nicht für nötig halten, ihren Mitarbeitern einen menschenwürdigen Lohn zu zahlen, auch noch bezuschussen? Diese Idee, die eigentlich jedem halbwegs Vernunftbegabten nur ein Kopfschütteln abringen sollte, hat Albrecht Müller auf den NachDenkSeiten bereits vor sieben Jahren entsprechend kommentiert. In der neoliberalen Meinungsmache scheint jedoch die Regel zu gelten: Je dümmer eine Idee ist, desto begeisterter wird sie von den Medien aufgenommen. Um die Flamme der ökonomischen Unvernunft nicht erlöschen zu lassen, haben HWWI und INSM nun eine weitere „Studie“ zu diesem Thema veröffentlicht. Muss man da gespannt sein? Nein, es wird der gleiche alte Wein in neuen Schläuchen sein. Die alten, bösen Lieder werden hierzulande wohl nie zu Grabe getragen werden. Links aus der Lobbypedia zu den im Artikel genannten Personen und Institutionen:
Jens Berger
Wer geglaubt hat, die Zunft der neoliberalen Meinungsmacher hätte auch nur klitzekleine Lehren aus der fortwährenden Eurokrise gezogen, musste sich in den letzten Tagen wohl von der düsteren Realität eines Besseren belehren lassen. In einem sorgsam choreographierten Tremolo prasselte am Wochenende ein ganzer Gewitterregen mit neoliberalen Forderungen auf uns ein: Erhöhung des Renteneintrittsal ...
[ "Kündigungsschutz", "Mindestlohn", "Rentenalter" ]
[ "Audio-Podcast", "Lobbyorganisationen und interessengebundene Wissenschaft", "Neoliberalismus und Monetarismus", "Strategien der Meinungsmache" ]
13. März 2013 11:31
https://www.nachdenkseiten.de/?p=16501&share=email&nb=1
Wirtschaftssanktionen
„Muss sich Europa zwischen Eurasien und den USA als Handelspartner entscheiden?“ – das war die Leitfrage einer Veranstaltung des sogenannten „WCR-Kaminabends“, die am 21. Juni in Berlin stattfand. Gast und Interviewpartner war Dr. Gregor Gysi, außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Die LINKE. Von Alexander Neu.
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23. Juni 2023 11:00
https://www.nachdenkseiten.de/?tag=wirtschaftssanktionen&paged=11
Trump, Donald
Seit vergangenem 1. Dezember und für die kommenden sechs Jahre hat die Republik Mexiko einen neuen Präsidenten. Den ersten „genuinen Linken“ in ihrer Geschichte, so wird im Land selbst und weltweit angemerkt. Ein Bericht von Frederico Füllgraf.
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15. Dezember 2018 11:45
https://www.nachdenkseiten.de/?tag=trump-donald&paged=19
Services
Wer in diesen Tagen den Fernseher einschaltet, landet beinahe zwangsläufig beim Sitzungskarneval. Und wer davor sitzenbleibt in der Hoffnung, zwischen folkloristischen Tanz- und Musikeinlagen eine seltene Perle einer gelungenen politischen Büttenrede zu entdecken, dem möchten wir stattdessen Urban Priols Rückblick auf das Jahr 2016 empfehlen, den neuesten Beitrag unserer Service-Rubrik „Doku interessanten Kabaretts“. Dort, in der Service-Rubrik, haben wir auch weitere satirische Highlights für Sie zusammengestellt. Von Carsten Weikamp.
NachDenkSeiten - Die kritische Website
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24. Februar 2017 8:58
https://www.nachdenkseiten.de/?cat=1999&paged=8
digitaler Euro
Bares ist Wahres. Ein schöner, altmodisch klingender Satz tönt einem da in den Ohren. Schaut man sich im Alltag um, wenn es ans Bezahlen geht, erfolgt das neben Münzen und Scheinen ebenso mit Karte, Kreditkarte, Girokarte, Master, Silber, Gold, Platin – ganz leicht, ganz bequem. Zunehmend. Doch das Digitale hat seine Tücken. Ein paar Wortfetzen aus einem Bankgespräch weckten in mir Zweifel, ob die Bürger nicht nach und nach ihre Souveränität und geschäftsmäßige Unabhängigkeit verlieren, wenn in unserer regeldurchfluteten, in Echtzeit kontrollierten Leistungsgesellschaft – auch in Sachen Geld – dereinst ausschließlich nur noch auf digital gesetzt, bestimmte Zahlungsmittel vorgeschrieben sind und damit mehr Kasse gemacht wird und so die Interessen der Bürger und ihre etwaigen Einwände außen vor bleiben. Ein gesundes Misstrauen der mündigen Bürger ist geboten und auch das Festhalten am guten alten Bargeld neben anderen Zahlungsarten ist nicht altmodisch, sondern überlebensnotwendig und würdevoll. Ein Kommentar von Frank Blenz. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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18. November 2022 9:13
https://www.nachdenkseiten.de/?tag=digitaler-euro
SPD
Was ist los in der SPD? Seit Monaten hören wir Aussagen aus der Führungsriege der Sozialdemokraten, die eine dezidierte Militarisierung deutscher Außen- und Sicherheitspolitik einfordern, um Deutschland zu einer „Führungsmacht“ aufzurüsten. So erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz auf der jüngsten Bundeswehrtagung, er wolle die „Bundeswehr zur am besten ausgestatteten Streitkraft in Europa machen“ und dabei daran festhalten, dass zwei Prozent des BIPs jährlich in den Militäretat fließe. Ob die europäischen Nachbarn, die vielleicht nicht ganz so geschichtsvergessen sind, das begrüßen, dürfte abzuwarten bleiben. Von Alexander Neu. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
NachDenkSeiten - Die kritische Website
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20. September 2022 9:00
https://www.nachdenkseiten.de/?cat=191&paged=3
Assange weiterhin in Haft, Journalisten aufgerafft?
Am Donnerstag, den 29. Oktober, hieß es für Julian Assange und die weiteren Beteiligten, wieder den aller vier Wochen stattfindenden Haftprüfungstermin wahrzunehmen. Fast ein bisschen wie „Dinner for One“, aber leider bitterer Ernst. Am Abend hatte dann der irisch/britische Journalistenverband eine Zoom-Konferenz für Mitglieder ausgerichtet und hiervon war ich dann schon eher positiv überrascht. Ein Bericht, diesmal aus dem Heimbüro in Irland, von Moritz Müller. Gestern regnete es auch in London, aber trotzdem war der harte Kern der dortigen Unterstützer der Pressefreiheit, diesmal wieder vor dem altbekannten Westminster Magistrates Court, versammelt (Video). Diesmal hatte das Gericht den Nichtregierungsorganisationen und sonstigen Beobachtern, die aus der Ferne beobachten wollten, komplett den Hahn zugedreht. Somit war es Journalisten vor Ort und sechs „sonstigen“ Beobachtern vorbehalten, das zweiminütige Geschehen zu beobachten. Auf die Besuchertribüne gelangten unter anderem Assanges Vater John Shipton und die Vertreterin von Reporter ohne Grenzen, Rebecca Vincent, die nach der Anhörung auch ein kurzes Statement abgab. Julian Assange, der per Video zugeschaltet war, durfte seinen Namen und sein Geburtsdatum sagen. Sein Verteidiger Edward Fitzgerald QC (Queen‘s Counsel) war persönlich anwesend, genau wie der Anklagevertreter Joel Smith QC. Die einzige Überraschung war, dass nicht die Bezirksrichterin Vanessa Baraitser, die seit letztem Jahr das Verfahren führt, anwesend war, sondern Richter Ikram. Mir schwant aber, dass sie dies am 1. Oktober im Old Bailey schon angekündigt hatte. An diesem Donnerstag vor vier Wochen verließ ich schockiert und desillusioniert das Gericht und trat, anders als Julian Assange, ins Freie. Die Sonne war gleißend, die Unterstützer machten berechtigterweise einen Heidenlärm und mir war, als hätte mich jemand ausgespien. Die letzten Tage im Old Bailey waren erfüllt von ärztlichen Zeugenaussagen über Assanges Gesundheitszustand und die barbarischen Haftbedingungen, die ihn in den USA erwarten würden. Auch die absolute Verletzung seiner Privatsphäre durch die wahrscheinlich von US-Diensten beauftragte Überwachung rund um die Uhr kam zur Sprache. Dazu ist in Spanien gerade ein Verfahren anhängig, dessen Ergebnis hoffentlich noch Einfluss auf das Assange-Verfahren haben wird. Darüber wird beizeiten zu berichten sein. Ich war nur Beobachter und man mag sich eigentlich gar nicht vorstellen, wie Julian Assange sich in dieser ausweglosen Situation fühlt. Das Schlimme ist ja, dass er damit nicht alleine ist auf unserer im wahrsten Sinne verrückten, aus den Fugen geratenen Welt, sondern dass überall Personen zu Unrecht oder unverhältnismäßig im Gefängnis sitzen. Auch sonst hat ja die Ungerechtigkeit auf der Welt seit Beginn des diesjährigen Ausnahmezustandes konsequent zugenommen und ganze Bevölkerungsgruppen und Länder werden ökonomisch geopfert, anstatt kompensiert zu werden für die herrschenden Corona-Maßnahmen, während die reicheren Teile der Gesellschaft gelinder wegkommen bzw. sich das Geld in die Taschen scheffeln. Hier als Randnotiz: Laut einem Tweet der Londoner Rettungssanitäter hat sich die Zahl der Selbsttötungen und Versuche seit dem letzten Jahr fast verdoppelt und in den letzten fünf Jahren mehr als verdoppelt. Zurück zur Anhörung am Donnerstag: Assange muss weiterhin in Haft bleiben und der nächste Haftprüfungstermin ist am 26. November. Die Verteidigung beantragte eine Woche Verlängerung, um ihr Schlussplädoyer einzureichen. Dies sollte eigentlich bis zum 30. Oktober geschehen sein, aber die Gefängnisbehörden hatten es bis zum Tag davor nicht geschafft, Julian Assange den Computer zukommen zu lassen, auf dem sich dieses Dokument befindet, und er konnte es somit nicht kommentieren oder absegnen. Hier erklärt sein Vater diesen Vorgang. Einmal mehr fragt man sich, ob es sich um eine weitere „Panne“ und Unfähigkeit handelt oder eine gezielte Strategie. Nach zwei Jahren der intensiven Beschäftigung mit der Materie drängt sich bei mir eher letzterer Eindruck auf, und damit stehe ich nicht allein. Web-Konferenz Am Donnerstagabend gab es dann eine vom Journalistenverband NUJ ausgerichtete Videokonferenz für NUJ-Mitglieder, deren Fortgang in diesen düsteren Zeiten eine angenehme Überraschung war. Aus Dublin moderierte der irische Generalsekretär Seamus Dooley und es sprachen der NUJ/IFJ-Prozessbeobachter Tim Dawson, Assanges langjährige Anwältin Jennifer Robinson und der ehemalige Guardian-Herausgeber Alan Rusbridger, der als Erster das Wort ergriff. 2010 hatte er mit Julian Assange und Wikileaks zusammengearbeitet, als es um die Berichterstattung über Kriegsverbrechen und Korruption ging. Dann hatten sich die beiden aber überworfen und in den letzten Jahren kam von Rusbridger keine oder kaum Unterstützung für Assange. Deswegen war es wohltuend, dass er die Schwierigkeiten entgegen seiner sonstigen Gewohnheit nur minimal erwähnte und sich uneingeschränkt für Julian Assange und gegen eine Auslieferung aussprach. Er scheint nun auch erkannt zu haben, welches Damoklesschwert mit dem Assange-Verfahren über dem Enthüllungsjournalismus schwebt. Er fand deutliche Worte für die Absurdität der Tatsache, dass hier ein australischer Staatsbürger von der britischen Justiz im Namen der USA verfolgt wird. Dass er wenig über die Zeugenaussagen, die im September im Old Bailey gemacht wurden, wusste, fand ich etwas überraschend, und auch seine Begründung, dass es keine minutiöse Berichterstattung gab, klang nicht überzeugend. Er hat natürlich recht, dass die Mainstreammedien im Vereinigten Königreich quasi einen Blackout hatten, wenn es um den Inhalt des Verfahrens ging, aber bei Craig Murray oder auf den NachDenkSeiten und hier sehr detailliert hätte ein erfahrener Journalist wie Rusbridger schon etwas finden können. Außerdem hätte er auch mal bei Gericht vorbeischauen können und ich hätte ihm gern meinen Platz überlassen, falls er trotz seines britischen NUJ-Ausweises keinen Zugang zur Pressetribüne gefunden hätte. Aber er hat sicherlich sehr viel um die Ohren und sein Appell für Einigkeit und einen gemeinsamen Kampf für Pressefreiheit kann ich voll und ganz unterstützen. Wie gesagt, er fand deutliche Worte für vieles, was sich im Moment in dieser Richtung ereignet, wie z.B. den Umgang mit Staatsgeheimnissen oder dass Staaten sich in Gespräche von Journalisten mit Rechtsanwälten, Doktoren, Priestern und sonstigen Quellen einschalten. So etwas sei vor 20 Jahren nicht vorstellbar gewesen. Er machte wirklich überzeugend den Eindruck, als sei er über diese Entwicklung genauso bestürzt wie überrascht. Er war auch sehr deutlich in seiner Einschätzung, dass das, was Assange vorgeworfen wird, eigentlich guter journalistischer Alltag sein sollte und kein Verbrechen. Es ging hier um Quellenschutz und dass Quellen ermuntert werden, mehr Material zu liefern. Hoffentlich folgen seinen Worten Taten bzw. öffentliche Worte. Nach Rusbridger kam Tim Dawson zu Wort, der tatsächlich im September jeden Tag bei der Anhörung zu sehen war. Er machte dort einen eher unbeteiligten Eindruck, was aber vielleicht eine Täuschung war, denn in der NUJ-Konferenz sprach er sehr bildhaft und emotional von seinen Eindrücken und der Barbarei, die in dem Verfahren durchschimmerte. Er kritisierte die möglichen Haftbedingungen in den USA als unvorstellbar grausam und hielt auch mit seiner Meinung über Assanges De-facto-Isolation über viele Monate im Hochsicherheitsgefängnis in London nicht hinter dem Berg. Dawson erwähnte auch, dass sich Assanges Gesundheitszustand im Krankentrakt in Belmarsh rapide verschlechterte und sich dieser merkwürdigerweise verbesserte, als Assange (durch eine Petition der Mithäftlinge, Anm. MM) wieder in eine „normale“ Zelle verlegt wurde. Etwas nebulös war seine Schilderung über die Vorgänge, welche zur Veröffentlichung von unredigierten Dokumenten im Jahre 2011 führten. Es ist ein zentraler Vorwurf der US-Anklage, dass Assange hiermit Personen, die erwähnt wurden, gefährdet habe. Mein Eindruck im Old Bailey war der, dass nicht Wikileaks, sondern die Webseite Cryptome diese Dokumente zuerst veröffentlichte, diese Dokumente noch immer dort zu finden sind und die Herausgeber deswegen noch nie von der Justiz belangt wurden. Die Verfolgung von Assange scheint tatsächlich von langer Hand geplant, doch dazu mehr weiter unten. Außerdem erscheint es sehr klar, dass die Guardian-Journalisten David Leigh und Luke Harding in einem Buch das Passwort zu diesen Dateien veröffentlichten, während Assange in der Zwischenzeit versuchte, zuständige US-Stellen zu warnen. Tim Dawson nannte den ganzen Vorgang nur einen „cock-up“, also dass es vermurkst wurde, und sprach sich dafür aus, dass potentielle Unterstützer in den Reihen der Journalisten in dieser dringenden Zeit ihre Energie nicht mit der Klärung dieser Fragen verschwenden sollten. Auch ich habe schon des Öfteren in diese Richtung plädiert und dass die freiheitsliebenden Reporter, Aktivisten und Nachrichtenkonsumenten an einem Strang ziehen sollten und man sich für die Freilassung von Julian Assange einsetzen sollte. Dreckige Wäsche kann man waschen, wenn er sich in besserer Gesundheit an einem sicheren Ort befindet. Dieser Ort ist wegen der Tendenzen der verschiedenen US-Administrationen, sich überall als Weltpolizist aufzuspielen, wahrscheinlich gar nicht so einfach zu finden. Das Angebot des Kantons Genf, Assange Asyl zu gewähren, ist hier vielleicht ein erster Ansatzpunkt. Auf die Frage, warum so wenig über Assange in den weitverbreiteten Medien zu finden ist, antwortete Dawson, dass viele Herausgeber ihre Leser nicht langweilen wollten. Leider hat er hier teilweise recht bzw. es geschieht in dieser Affäre nicht dauernd wieder etwas Aufregendes. Entgegnen würde ich, dass die tägliche Monotonie, die Assange seit nunmehr fast 10 Jahren durch die Einschränkung seiner Freiheit erfährt, für ihn extrem aufwühlend sein muss, und es die Sache von gutem Journalismus sein sollte, dies irgendwie einfallsreich zu vermitteln. Auch ich bin mir bewusst, dass ich in dieser ganzen unsäglichen Geschichte oft über das Gleiche schreibe und ich hoffe, meine Leser verzeihen mir dies. Ich will einfach nur vermitteln, dass es jeder und jedem, ob Journalist oder nicht, ähnlich gehen kann, wenn man die Machthabenden gegen sich aufbringt oder auch nur, wenn man zur falschen Zeit am falschen Ort ist oder der falschen Bevölkerungsgruppe angehört. Das war wohl schon immer so, mal mehr, mal weniger, man kann bei der Geschichte von Jesus Christus anfangen und dies weiter verfolgen über die Legende von Michael Kohlhaas und die Dreyfus-Affäre bis zu Sophie Scholl und Chelsea Manning. Ob und wie man die gegenwärtigen Entwicklungen, die uns Individuen immer mehr zum Spielball werden lassen, noch stoppen bzw. berichtigen kann, weiß ich selbst auch nicht. Aber in meinen optimistischeren Momenten versuche ich dennoch, Artikel wie diesen zu schreiben, weil ich hoffe, dass es vielleicht etwas nützt, und weil ich mich schäme, wie wir Menschen diesen Planeten ruinieren. Andererseits liegt es vielleicht auch einfach in unserer Natur, dass wir uns so entwickelt haben. Trotzdem blöd, dass es z.B. hier in Irland in den 80er Jahren noch über 500 Fließgewässer gab, die als makellos galten, während es nunmehr nur noch 20 sind. Es wäre schön, wenn doch noch Toleranz und Mitgefühl die Oberhand gewinnen würden, aber dazu müssten wir auf dieser mittlerweile sehr vollen Erde wohl erst einmal Teilen lernen und dass in vielen Situationen weniger mehr ist. Nach Dawson kam Jennifer Robinson an die Reihe. Sie, die Julian Assange nun seit zehn Jahren zur Seite steht, machte wie immer einen äußerst kompetenten Eindruck. Sie gab Auskunft über den Stand der Dinge, dass die schriftlichen Schlusseingaben der Verteidigung in Arbeit seien, dass die Anklage antworten müsse und dass zum 4. Januar die Bekanntgabe der Entscheidung über eine Auslieferung erwartet werde. Sie sagte, dass beide Seiten eine Berufung angekündigt hätten, und hoffte, dass diese im Fall, dass Assange verliert, zugelassen werde. Die Tatsache, dass die USA drei verschiedene Anklageschriften eingereicht hätten, sei ein Novum und keinem im vielköpfigen Anwaltsteam sei so etwas schon einmal untergekommen. Die dritte Anklageschrift habe man Assange erst zu Beginn der Anhörung im September mitteilen können und es habe keine Zeit für das Team gegeben, sich hierauf vorzubereiten. Robinson gab ihrer Hoffnung Ausdruck, dass auch der Supreme Court, also die übernächste Instanz, sich für diese Fragen interessiert. Zum Abschluss schrieb sie den zuschauenden Journalisten ins Stammbuch, dass diese sich nicht mit der Frage aufhalten sollten, was genau Journalismus sei und ob Assange Journalist sei. Er habe übrigens einen australischen und einen internationalen Presseausweis und wir Journalisten sollten lieber aufpassen, dass der Fall Assange nicht zu einer irreparablen Erosion der Pressefreiheit beitrage. Jennifer Robinson fand hier wirklich sehr deutliche Worte. Hoffentlich treffen sie auf offene Ohren und des Weiteren bleibt zu hoffen, dass die Zuschauer des Seminars sich jetzt hinsetzen und versuchen, ihren Lesern/Zuschauern die weitreichenden Aspekte der Assange-Affäre eindringlich und fesselnd darzustellen. Auch der Gastgeber Seamus Dooley, dem ich vorher noch nicht begegnet war, machte einen souveränen und integren Eindruck. Er unterstrich noch einmal, dass seine Gewerkschaft absichtlich keine rechtliche Definition für Journalismus hat. Ganz zum Abschluss griff er dann doch noch mal die Passwort/Guardian/Wikileaks-Geschichte auf, was wohl ein Indiz für seine Sichtweise der Vorgänge ist. Außerdem kündigte er an, dass eine Aufzeichnung der Konferenz auf der NUJ-Webseite veröffentlicht werden wird. Wie gesagt, insgesamt hinterließ die Konferenz einen positiven Eindruck, auch wenn ein paar kontroverse Details der Einigkeit willen beiseitegelassen wurden, aber das ist momentan wohl auch nötig. Wikileaks-Verfolgung Zu guter Letzt sei hier noch einmal darauf hingewiesen, dass die Verfolgung von Assange kein Zufall ist, der sich aus den angeblichen Sexualdelikten in Schweden ergeben hat, sondern dass vielmehr schon seit 2008 ein Strategiepapier existiert, welches die Affäre im Groben vorzeichnet. Die Autoren des Dokuments hatten erkannt, dass die Grundpfeiler des Ansehens von Wikileaks Vertrauen und Glaubwürdigkeit sind. Die Schlussfolgerung der Autoren ist es, dass die USA darauf abzielen sollten, diese Grundpfeiler zu unterminieren und Whistleblowern und deren Publizisten das Leben möglichst schwer zu machen, um potentielle Nachahmer abzuschrecken. 2010 wurde Wikileaks über Kontensperrungen und Blockade von Spendenmöglichkeiten wenigstens temporär die finanzielle Basis entzogen. Auch der private US-Geheimdienst Stratfor beteiligte sich an den Verfolgungsphantasien gegenüber Assange. So schrieb der Stratfor-Vizechef Burton angeblich: „Assange wird im Gefängnis eine nette Braut hermachen. Fick den Terroristen. Er wird bis an sein Lebensende Katzenfutter essen.“ (“Assange is going to make a nice bride in prison. Screw the terrorist. He’ll be eating cat food forever.”) Stratford wollte 2012 die Authentizität dieser geleakten Dokumente weder bestätigen noch dementieren. Auch die Nutzung des Spionagegesetzes von 1917 gegen Assange nimmt die derzeitigen Entwicklungen vorweg. Diese Strategien wurden wohlgemerkt unter Obama entwickelt und dieser kam in der gestrigen NUJ-Konferenz eher zu gut weg. Allerdings äußerte sich zum Glück auch niemand naiv-euphorisch über die Aussichten von Assange unter einer möglichen Joe-Biden-Administration. Es wäre interessant zu sehen, was das eventuell nach den US-Wahlen ausbrechende administrative Chaos für das britische Auslieferungsverfahren bedeutet. Wie viele potentielle Whistleblower und Journalisten durch die Verfolgung von Assange und Wikileaks eingeschüchtert wurden, wird sich im Nachhinein nicht mehr quantifizieren lassen, aber die Rufmordkampagne gegen Assange hat über weite Strecken funktioniert und funktioniert bei vielen Menschen immer noch. Allerdings sind die Aussagen der obigen Journalisten und Gewerkschafter ein Zeichen, dass hier eine Änderung im Gange ist. Auch die Reaktionen der Passanten auf Unterstützeraktionen haben sich innerhalb der letzten 2 Jahre zum Positiven gewendet und die Kommentare, die ich in London auf der Straße hörte, waren zu allergrößten Teil positiv. Ob das alles reicht, um eine Auslieferung zu verhindern, wird sich zeigen müssen. Der Rauswurf von Jeremy Corbyn aus der Labour Party durch seinen Nachfolger Keir Starmer lässt nichts Gutes erahnen. Keir Starmer war der Leiter des Crown Prosecution Service CPS (britische Strafverfolgungsbehörde), die wiederholt die schwedischen Stellen zur weiteren Verfolgung von Assange ermunterte. Genug spannender Stoff also auch für Mainstreammedien … Titelbild: Alexandros Michailidis/shutterstock.com
Moritz Müller
Am Donnerstag, den 29. Oktober, hieß es für Julian Assange und die weiteren Beteiligten, wieder den aller vier Wochen stattfindenden Haftprüfungstermin wahrzunehmen. Fast ein bisschen wie „Dinner for One“, aber leider bitterer Ernst. Am Abend hatte dann der irisch/britische Journalistenverband eine Zoom-Konferenz für Mitglieder ausgerichtet und hiervon war ich dann schon eher positiv überrasch ...
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02. November 2020 10:07
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Grenada: Echos einer von den USA vereitelten sozialen Revolution
Ein “Gespenst” tauchte auf der Insel auf. Es hatte jedoch wenig oder gar nichts mit Marx, Engels oder Gramsci zu tun, aber alles mit Frantz Fanon. Grenada war einige Jahre lang das Symbol für ein alternatives Amerika. Diese Karibikinsel erinnert eindringlich an die Lehren von Fanon, Malcolm X und all jenen, die es gewagt haben und es immer noch wagen, die imperialen Strukturen infrage zu stellen. Von Alex Santos Roldán. Die Monroe-Doktrin ist wieder in aller Munde. Trumps “Make America Great Again” fordert nun schamlos die völlige Unterordnung der westlichen Hemisphäre unter Washington. Es folgen weitere Erklärungen in diesem Sinne, von der Annexion Kanadas und Grönlands über die Wiedererlangung der Kontrolle über den Panamakanal bis hin zur Unterdrückung der lateinamerikanischen Kriminalität mit Waffengewalt. Überflüssig. Das ist das am besten geeignete Adjektiv für eine solche Aneinanderreihung von Behauptungen. Keiner der genannten Orte läuft Gefahr, sich unmittelbar von der US-Hegemonie zu emanzipieren und eine Bedrohung darzustellen. Die Trump-Rhetorik reagiert auf die multipolare Bedrohung mit einer “hegemonialen Angst” um die Kontrolle über den Kontinent. Nichts davon ist neu. Vor mehr als 40 Jahren mussten die USA bereits vor ihrem Niedergang gerettet werden. Damals war es Ronald Reagan, der mit einem neoliberalen Schockplan zur Rettung eilte. Seine Präsidentschaft markierte den Höhepunkt der amerikanischen Vormachtstellung, legte aber paradoxerweise den Grundstein für die tiefste Krise, die das Land je erlebt hat. Welche Bedrohung rechtfertigte eine solche Reaktion? Ein wesentlicher Teil der Antwort liegt auf einer kleinen Insel in der Karibik: Grenada. Die USA verteidigen … wovor? Am Morgen des 25. Oktober 1983 erwachte die Insel Grenada mit einer Militärflotte vor ihrer Küste. An Bord befanden sich 7.000 US-Marineinfanteristen und 300 Soldaten der Karibischen Friedenstruppe (Caribbean Peace Force, CPF). Sie sollten General Hudson Austin stürzen und die Demokratie wiederherstellen. Und sie schafften es. In einem dreitägigen Konflikt, der eher einer Polizeiaktion als einem Krieg ähnelte, führten sie die Mikronation wieder in die liberale Ordnung zurück. Eine eklatante Verletzung der Souveränität eines Staates, die rund hundert Menschenleben kostete, löste nur verhaltene Reaktionen seitens Großbritanniens und der Vereinten Nationen aus. Verurteilungen, die, wie Ronald Reagan es ausdrückte, „ihn beim Frühstück überhaupt nicht gestört haben”. Der Präsident zeigte Stärke und die Insel kehrte in die mediale Nichtbeachtung zurück. In den Geschichtsbüchern würde folgende Rechtfertigung stehen: Die Invasion sei notwendig gewesen, um die kommunistische Aggression in Amerika einzudämmen, da das Land eine kubanisch-sowjetische Basis sei, die als Kommunikationsverbindung zwischen Moskau und dem Sandinismus in Nicaragua diente. Im Mittelpunkt all dieser Argumentation stehen der internationale Flughafen Point Salines und die Länge seiner Landebahn, denn seine 2.700 Meter repräsentierten die Verwirklichung eines neuen Projekts für das Land. Die “Insel der Gewürze” befand sich mitten in einem gesellschaftlichen Umbruch. Das Land, das gezwungen war, sich auf diesen landwirtschaftlichen Sektor zu spezialisieren und dessen Bevölkerung aus Nachfahren versklavter Menschen bestand, begann sein souveränes Abenteuer mit dem Versuch, sowohl internationale Partner als auch Einnahmequellen zu diversifizieren. Daher die Notwendigkeit eines neuen Flughafens, der angesichts des Aufkommens einer neuen Industrie funktionsfähig sein könnte: des Tourismus. In Washington entschied man sich jedoch, den Zweifel als unwiderlegbaren Beweis zu betrachten. Sowjetische Militärtransportflugzeuge konnten dort landen, wo auch kommerzielle Flüge landeten, da die in beiden Fällen erforderlichen Landebahngrößen ähnlich sind. Der vor Ort verfasste Bericht des demokratischen Kongressabgeordneten Ronald Dellums, der auf den zivilen Charakter der Einrichtungen hinwies, spielte kaum eine Rolle. Ebenso wenig war die Beteiligung kapitalistischer Länder wie Kanada oder Großbritannien am Bau oder an den Versuchen des Parlaments von Maurice Bishop von Bedeutung. Die Bedrohung durch den Kommunismus überschattete alles. Aber welche Rolle spielte Grenada im Bürgerkrieg in Nicaragua? Sicherlich eine begrenzte. Die geografische Lage sprach gegen jede Art von internationaler Verschwörung, die das karibische Land mit Nicaragua in Verbindung bringen wollte. Zwischen den Küsten beider Nationen liegen etwa 2.600 Kilometer, doppelt so viel wie zwischen dem mittelamerikanischen Land und Kuba. Diese Entfernung steht in krassem Gegensatz zur Durchlässigkeit der Grenze zu Costa Rica. Managua brauchte Grenada nicht, um dem Ansturm Washingtons und der Contras zu widerstehen – wie es auch Moskau nicht brauchte. Ein Kreml, der in ein Blutbad in Afghanistan verwickelt war, der sich mit dem Niedergang seines Wirtschaftsmodells und dem Machtvakuum auseinandersetzen musste, das durch den Tod Leonid Breschnews entstanden war, begann, sich in seine Einflusssphäre zurückzuziehen. Somit war der einzige Akteur, der direkt an einer kommunistischen Regierung in St. George’s interessiert war, Havanna, das einen kleinen Partner für seine Sache gewinnen konnte. Aber wie 60 Jahre zeigen, hat Kuba allein nicht genug Kraft, um das geopolitische Paradigma in Amerika zu verändern. Das Gespenst des Kommunismus schwebte nicht mehr über dem Kontinent. Dennoch lag Reagan nicht völlig falsch. Ein “Gespenst” tauchte auf der Insel auf. Dieses hatte jedoch wenig oder gar nichts mit Marx, Engels oder Gramsci zu tun, aber alles mit Frantz Fanon. Die “weißen Masken” abnehmen Nicaragua, Kuba, der Kalte Krieg, Ronald Reagan, der Kreml … davon handelt die Invasion von Grenada (1983) nach der westlichen Darstellung. Es ist paradox, dass unter den Ursachen für die Invasion selbst keine der konjunkturellen und strukturellen Dynamiken der Insel berücksichtigt wird. Die lebhafte politisch-soziale Realität des Landes und ihre politischen Auswirkungen auf den gesamten Kontinent bleiben hinter einer vereinfachenden Darstellung verborgen. In der Kolonie zeigt sich die Realität nackt. Die Aufklärung wurde in Stücke gerissen, als sie mit der Realität der Bantusklaven in der Karibik in Berührung kam. Während in Paris, London und Genf über den Begriff der Humanität nachgedacht wurde, widersprachen auf den Plantagen Tausende von Sklaven mit ihrem Schweiß und Blut jeder diesbezüglichen Überlegung. Es dauerte nicht lange, bis die Ideen der Metropole den Interessen des Kolonialkapitalismus widersprachen. Grenada, das bis dahin ein bloßes Objekt der Auseinandersetzung zwischen Frankreich und Großbritannien gewesen war, versuchte, Haiti nachzueifern und eine Schwarze Republik aus ehemaligen Sklaven zu errichten. Unter der Führung von Julien Fédon stellten die schwarzen Massen das System infrage. Ihre Revolution konnte der Unterdrückung durch die Supermächte nicht länger als ein Jahr standhalten, aber ihr Vermächtnis überdauerte die Jahrhunderte. Die revolutionäre Tradition der Antillen führte zu den Werken von Frantz Fanon. Der Philosoph aus Martinique fasste zusammen, was die Grundlage des gesamten rassistischen Systems ist, das in ganz Amerika vorherrscht: die psychologische Unterwerfung der Nicht-Weißen unter die Standards der Weißen. Die “weißen Masken” mussten auf dem Weg zur Emanzipation der nicht-weißen Völker heruntergerissen werden. Diese Prämisse war Ursache und Ursprung der Invasion. Grenada schritt unter der Führung des Labour-Politikers Eric Gairy in die Unabhängigkeit, in der Absicht, einen friedlichen Übergang zu gewährleisten, der die Rollen Washingtons und Londons in der Karibik nicht beeinträchtigen würde. Das revolutionäre Erbe zwang ihn jedoch, von diesem Weg abzuweichen. Das neokoloniale Projekt sollte die gewaltsame Unterdrückung der Opposition durch die “Mongoose Gang” erfordern[1]. Und  wieder floss das Blut. Maurice Bishop, ein revolutionärer Anführer, der seine Reden auf Fanon und die afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen stützte, erhob sich gegen Gairy. Als Führer des sozialistischen New Jewel Movement (NJM) verkörperte Bishop die Hoffnungen der Massen auf Emanzipation. Seine Proklamationen machten ihn im kollektiven Unterbewusstsein von Grenada zu einem Synonym für Veränderung und Ermächtigung. Bishop und seine Bewegung mussten unterdrückt werden. Im Büro des Premierministers wurden die Pläne für seine Verhaftung fertiggestellt, als Gairy beschloss, einen offiziellen Besuch in New York zu machen. Das war sein Ende. Die Revolutionäre waren ihm voraus und führten einen Staatsstreich durch, der die Kräfte der Exekutive hinwegfegte. Die Revolution war kurz, aber erfolgreich: Es wurden ein kostenloses und universelles Bildungs- und Gesundheitssystem eingeführt, strategische Wirtschaftssektoren verstaatlicht, der soziale Wohnungsbau vorangetrieben und die internationalen Beziehungen diversifiziert. So war Grenada vier Jahre lang das genaue Gegenteil seiner ehemaligen Metropole. Während Reagan im Namen der Freiheit den Sozialstaat zerstörte und im Krieg gegen Drogen die afroamerikanische Bevölkerung ruinierte, bot Bishop dieser Gemeinschaft ein emanzipatorisches Modell. Und die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Die US-Regierung verhängte eine Handelsblockade und eine diplomatische Isolation, was die ideologischen internen Streitigkeiten innerhalb des NJM verschärfte. In einer Sackgasse steckend, eskalierten die Spannungen um Fragen der marxistischen Reinheit der Revolution. Die Flexibilität und das politische Kapital von Bishop wurden von Teilen der Partei und des Militärs, die eine Annäherung an das sowjetische Format forderten, mit Misstrauen betrachtet. Das Experiment kam zu seinem Ende. Bernard Coard und Hudson Austin, Vertreter der Partei bzw. der Streitkräfte, setzten Bishop ab und verhafteten ihn. Die Bevölkerung erhob sich und befreite ihren Anführer vorübergehend aus dem Gefängnis. Aber nichts davon half. Die Armee eröffnete das Feuer auf die Menge und der Regierungschef von Grenada wurde hingerichtet. Reagan hatte diese Partie gewonnen. Nachdem die Regierung von Grenada delegitimiert und mit Blut befleckt worden war, dauerte es nicht lange, bis die Räder des nordamerikanischen Neokolonialismus die Supermacht an die Spitze einer Koalition stellten, die die “Freiheit” vor sowjetischem Interventionismus “verteidigen” sollte, indem sie auch nur den geringsten Akt afroamerikanischer Souveränität auslöschte. Echos von Grenada in der Ära Trump Ronald Reagan und Donald Trump haben etwas gemeinsam: Beide sind geborene Verkäufer. Und ihr Produkt ist der “amerikanische Traum” – ein Traum, der sich aus einer Mischung aus kapitalistischem Individualismus, protestantisch-christlicher Moral und rassistischer Gesellschaftsstruktur zusammensetzt. Alles verschmolzen und zusammengefasst unter dem Begriff der Freiheit. Offensichtlich hat die Freiheit nur eine Farbe: Weiß. Die USA sind selbst eine große “weiße Maske”, die es auf die eine oder andere Weise schafft, dass die einheimische Bevölkerung, ehemalige Sklaven und Einwanderer aller Herkunftsländer die Ambitionen, Ängste und Sorgen ihrer politischen und intellektuellen Eliten als ihre eigenen annehmen. Diese Strategie ist das wirksamste Instrument, über das das Weiße Haus bei der Herrschaft über die westliche Hemisphäre verfügt. Wenn der Status quo bedroht ist, wird daher eine bedrohlichere Maske hergestellt, die massenhaft in der Gesellschaft verteilt und ins Ausland exportiert wird. Auf diese Weise wird von Argentinien bis Deutschland dafür gestimmt, bestehende Mängel mit einem aggressiveren Auftreten zu kaschieren. Aber es gibt keine Maske, die den Verfall verschleiern kann. China dominiert mit seinen Exporten den Weltmarkt bei Weitem, einschließlich der Hälfte des amerikanischen Kontinents. Ebenso wenig gibt es eine Maske, um eine Million Menschen unter den eigenen Ideen zu homogenisieren. Angesichts der Proklamationen von Trump, Bukele, Milei und Co. wird es immer Grenada geben. Grenada als Symbol eines alternativen Amerikas. Grenada als zuverlässige Erinnerung an die Lehren von Fanon, Malcom X und all jenen, die es gewagt haben und es immer noch wagen, die imperiale Struktur infrage zu stellen. Schwarze, gelbe und braune Stimmen, die die Echos einer vereitelten Revolution wiedergeben, die noch eine Verabredung mit der Geschichte hat. Übersetzung: Vilma Guzmán, Amerika21. Titelbild: Grafik zur geplanten US-Invasion von Grenada (Operation Urgent Fury) – Quelle: Joint Military Operations Historical Collection (JMOHC) – gemeinfrei.
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Ein "Gespenst" tauchte auf der Insel auf. Es hatte jedoch wenig oder gar nichts mit Marx, Engels oder Gramsci zu tun, aber alles mit Frantz Fanon. Grenada war einige Jahre lang das Symbol für ein alternatives Amerika. Diese Karibikinsel erinnert eindringlich an die Lehren von Fanon, Malcolm X und all jenen, die es gewagt haben und es immer noch wagen, die imperialen Strukturen infrage zu stell ...
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12. April 2025 12:00
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Soziale Herkunft bestimmt Schulart
Oder: Wie sich dank der Mehrgliedrigkeit und inneren Beschaffenheit des Schulsystems soziale Ungleichheit reproduziert. Von Jens Wernicke Bildungsreservenausschöpfung als Standortfaktor So beginnt die Zusammenfassung einer aktuellen Sonderauswertung der Ergebnisse des Mikrozensus zum „Sozioökonomischen Status von Schülerinnen und Schülern 2008 [PDF – 208KB]“, die in Ausgabe 2/20101[1] der Schriftenreihe „Wirtschaft und Statistik“ (S. 138 – 149) des Statistischen Bundesamtes veröffentlicht wurde. Die Studie der Sozialwissenschaftlerin Daniela Nold geht von der Prämisse aus, dass das „Ausschöpfen von Bildungsreserven von großer Bedeutung für die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft“ sei, da, „Innovation und Fortschritt entscheidende Faktoren der Wettbewerbsfähigkeit“ (S. 138) seien[2]. So reden zwar oft auch die Regierungen hierzulande, gleichzeitig wird üblicherweise aber behauptet, dass ein Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und dem Besuch einer Schulart eigentlich nicht bestünde und es jedenfalls keine entsprechenden empirischen Daten gäbe bzw. geben könne[3]. Die amtliche Repräsentativstatistik Mikrozensus bestätigt die soziale Selektivität des Bildungssystems Anders die Autorin dieses Textes. Ihr Fazit lautet: Bezogen auf das gesamte Bundesgebiet stellt die Autorin fest, dass bundesweit 24 Prozent der Schülerinnen und Schüler an Grundschulen aus finanziell armen Verhältnissen stammen; an Hauptschulen liegt diese Quote bei knapp 37 Prozent und an Gymnasien bei nur 16,2 Prozent (Tabelle 8, S. 146). Es bildet sich also in der Mikrozensus-Sonderauswertung Folgendes ab: Hauptschulen besuchen überdurchschnittlich viele Kinder aus armen Elternhäusern, an Gymnasien sind diese Kinder hingegen stark unterrepräsentiert. Die Chancen der einen… Exemplarisch ergibt eine Detailauswertung für das Bundesland Hessen, die dem Autor vorliegt, dabei folgendes Bild: Schülerinnen und Schüler, deren Eltern einen Volks- oder Hauptschulabschluss haben, machen 20,4 Prozent der Gesamtheit hessischer Schülerinnen und Schüler aus. Während sich dieser Anteil in der Grundschule mit 18,2 Prozent der dortigen Schülerinnen und Schüler noch widerspiegelt, ändert sich dies nach der Grundschule massiv: Sage und schreibe 40,7 Prozent der Hauptschülerinnen und Hauptschüler sowie gerade einmal 9,2 Prozent der Gymnasiastinnen und Gymnasiasten haben Eltern mit Volks- respektive Hauptschulabschluss. Kinder, deren Eltern einen Volks- bzw. Hauptschulabschluss haben, besuchen also doppelt so häufig eine Hauptschule und nur halb so häufig ein Gymnasium wie es ihrem Anteil an der Gesamtheit entspricht. …sind das Spiegelbild der Chancen der anderen Kinder, deren Eltern über Fachhochschul- oder Hochschulabschluss verfügen, machen 39,6 Prozent an der Gesamtheit der Schülerinnen und Schüler aus; ihr Anteil an den der Grundschülerinnen und Grundschüler liegt bei 44,1 Prozent. Der Anteil auch dieser Gruppe der Kinder in der Grundschule entspricht also in etwa ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung. Auch hier ändert sich nach der Grundschule das Bild jedoch schlagartig: 59 Prozent der Gymnasiastinnen und Gymnasiasten und nur 12 Prozent der Hauptschülerinnen und Hauptschüler haben Eltern mit diesem Bildungshintergrund. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder von Eltern mit einem Hochschulabschluss ein Gymnasium besuchen, liegt also etwa fünfzig Prozent über Durchschnitt, während die Wahrscheinlichkeit, dass diese Kinder auf die Hauptschule gehen, bei nur etwa einem Drittel des Durchschnitts liegt. Kinder mit armer bzw. „bildungsferner“ Herkunft gehen in Hessen also etwa sechsmal so wahrscheinlich auf eine Hauptschule wie solche aus einem Akademikerhaushalt und letztere dreimal so wahrscheinlich aufs Gymnasium wie erstere. Während aus der bundesweiten Gesamtheit von Schülerinnen und Schülern 9,1 Prozent der sozialen Risikogruppe (beide Elternteile oder Alleinerziehende: erwerbslos oder Nichterwerbsperson), 12,4 der kulturellen Risikogruppe (beide Elternteile oder Alleinerziehende: höchster schulischer und/oder beruflicher Abschluss unter ISCED 3) und 23,6 Prozent der ökonomischen Risikogruppe (weniger als 60 Prozent des Familienäquivalenzeinkommens) angehören, sind es an Hauptschulen alsdann 15,6 Prozent der Schülerinnen und Schüler, die der sozialen, 26,9 Prozent, die der kulturellen, und 37 Prozent, die der ökonomischen Risikogruppe angehören. Hessen steht weit schlechter da als der Bundesdurchschnitt: Ganze 21,7 Prozent aller hessischen Hauptschüler werden der Gruppe mit einem hohen sozialen Risiko, 35 Prozent der Gruppe mit einem hohen kulturelles und 45,4 Prozent der Gruppe mit einem hohen materielles Risiko qua Lebens- und Familiensituation zugerechnet. Die armen, sozial und kulturell benachteiligten Kinder und Jugendlichen werden zwar deutschlandweit „in die Hauptschulen kanalisiert“. Das Land Hessen ist hierbei aber deutlich „effizienter“ als der Bundesdurchschnitt. Konservativ-liberale Erklärung ist „Klassenrassismus“ Wenn solche Befunde seitens der herrschenden Politik oder vorherrschenden Wissenschaftsansätze überhaupt zur Kenntnis genommen werden, so endet an dieser Stelle üblicherweise bereits die „Analyse“. Die soziale Aufteilung der Bildungschancen für Kinder und Jugendliche wird in der Regel als „naturwüchsig“ weil genetisch bzw. biologisch determiniert interpretiert und gerechtfertigt. Das Erklärungsmuster lautet dann: Dumme Eltern kriegen eben dumme Kinder, kluge Eltern hingegen kluge – qua „Begabung“, die sich vererbt. Schluss. Nicht nur, aber auch der FDP-Politiker Daniel Bahr brachte diese spezielle Lesart sozialer Ungleichheit einmal auf den Punkt[4], indem er sagte: “In Deutschland kriegen [schlicht] die Falschen die Kinder”. Die soziale Aufteilung, welche das Bildungssystem qua Form und Funktionalität de facto erst generiert, werden also einfach mittels des Denkmusters von „Eignung“ und „Begabung“ erklärt – und damit gleichzeitig legitimiert. Soziale Selektion, strukturelle Benachteiligung von Kindern und Jugendlichen mit nicht-„bürgerlicher“ Herkunft, aus ärmeren Verhältnissen, mit anderem kulturellen Hintergrund – all das gibt es für solche Leute oftmals nicht. Schuld an der Ungleichheit im vermeintlich „begabungsgerechten“ mehrgliedrigen Schulsystem sind dann die Benachteiligten selbst: Sie sind zu dumm oder unbegabt und daher für ihr Scheitern am Bildungsaufstieg selber schuld – das war`s. Der französische Soziologe Pierre Bourdieu spricht diesbezüglich zu Recht von einer Art »Klassenrassismus« […], der es den Herrschenden seit Jahrhunderten ermöglicht, sich selbst bar jeder Grundlage als Wesen höherer Art und Wertigkeit zu begreifen und die von ihnen Beherrschten als ›dummes Pack‹ anzusehen“[5]: Statt sich selbst als Nutznießer einer willkürlichen gesellschaftlichen Ordnung zu begreifen, die sie qua Struktur wie Inhalt stets aufs Neue privilegiert, inszenieren sie sich als qua Geburt und Leistung „Besondere“ und legitimieren hierdurch auch und vor allem die soziale und materielle Deklassierung der „restlichen“ Bevölkerung, welche die breite Mehrheit ausmacht. Kritik der Begabungsideologie als notwendige Voraussetzung für gesellschaftliche und bildungspolitische Erneuerung In der durchaus gängigen Alltagsvorstellung und jenen wissenschaftlichen Lehren, die solche Alltagsvorstellungen bedienen, ist “Begabung” dabei eine nicht weiter rückführbare natürliche, also angeborene Disposition, die zur Entäußerung besonderer Leistungen auf dem Feld dieser Begabung befähigt. Im Unterschied zu Leistungen, die auf der Beobachtungsebene liegen, ist “Begabung” ein Konstrukt, das zur Erklärung von beobachteten Leistungen herangezogen wird. Begabung ist also nicht etwas, das man beobachten kann, sondern etwas, mit dem man Beobachtetes deutet, interpretiert, erklärt. Das Zirkuläre dieses Denkens liegt darin, dass von einer bestimmten Leistung unvermittelt auf eine bestimmte Begabung geschlossen wird, diese Begabung aber wiederum als Ursache der Leistung genommen wird. Andersherum: Den Begabungsbegriff zu problematisieren, schließt keineswegs notwendig ein, Leistungsunterschiede zu leugnen. Problematisiert werden damit allein die wissenschaftliche Dignität und die gesellschaftliche Funktionalität einer biologisch-genetischen Erklärung von Leistungsunterschieden. Die Funktion dieser Erklärung besteht in der Naturalisierung von Unterschieden und der damit erleichterten Sortierung von Individuen. Deswegen ist dieses Denken auch so reaktionär wie unwissenschaftlich: Mit einem Rückgriff auf Begabungsunterschiede wird jedes wissenschaftliche Weiterfragen nach Gründen von Leistungsunterschieden aufgrund einer dogmatischen, d.h. selbst nicht wissenschaftlich begründbaren , Vorentscheidung abgeschnitten. Allen Untersuchungen zum Trotz ist es dabei bis heute nicht gelungen, “Begabung” unabhängig von beobachtbaren Leistungen bzw. Leistungsunterschieden empirisch zu verifizieren. Über eine diesbezügliche menschliche Naturgrundlage lassen sich deshalb nur gattungsallgemeine Aussagen machen. Insofern enthält die Aussage Charles Bukowskis, der gesagt haben soll: “Die meisten Menschen werden als Genies geboren, aber als Idioten beerdigt”, eine wissenschaftlich fruchtbarere und gesellschaftlich fortschrittlichere Fragestellung als das, was bildungspolitisch von vielen Liberalen und Konservativen derweil zur Verteidigung des dreigliedrigen Schulsystems in Stellung gebracht wird. Sie stellt aber zugleich auch eine pointierte Kritik des skizzierten „klassenrassistischen“ Bildungsverständnisses dar: Mittels der Struktur des Schulsystems wird einem großen Teil der Kinder und Jugendlichen ihr Potential, ihre Neugier, ihre Chance auf Erwerb weitgehender, qualitativ höherwertiger Bildung, im Sinne Bukowskis also ihre „Genie“ genommen bzw. die Entwicklung desselben unmöglich gemacht – und den dann „Abgehängten“ später vorgeworfen, sie selbst trügen hierfür die Verantwortung. Das Ganze ist das Unwahre Tatsächlich jedoch gilt, was Bourdieu in seinem geistreichen Buch „Wie die Kultur zum Bauern kommt“ (S. 39) so pointiert formuliert: Dass die formale Struktur des dreigliedrigen Schulsystems für eine sozial selektive Verteilung der Schülerinnen und Schüler auf Haupt- und Realschulen sowie Gymnasien sorgt ist hierbei allerdings nur ein Teil des Problems. Das „Ganze“ jedoch, im Sinne Adornos das Unwahre, gilt es immer wieder herauszuarbeiten, zu betonen und kritisieren: Es ist die Ideologie vom „nationalen Wettbewerbsstaat“ und seiner Logik, die Kinder und Jugendliche nur noch als Produktivkräfte und deren Wissen als Standortvorteile im internationalen Wettbewerb zu klassifizieren. Diese Ideologie bedient sich „klassenrassistischen“ Vorurteilen von einer biologischen, genetischen und/oder natürlichen Determiniertheit der Verteilung vermeintlicher Dummheit und Klugheit im Lande, die de facto wiederum nur die Verteilung von Armut und Reichtum auf viele bzw. wenige legitimiert. Dass Kinder armer Herkunft in der Regel keine gesellschaftlich anerkannten „Genies“ werden, liegt gerade nicht an deren mangelnder Motivation (wie dies bspw. Initiativen wie „Teach First“ oder in Teilen auch „Arbeiterkind“ suggerieren und kolportieren), und auch nicht an einer natürlichen „Begabung“ oder „Eignung“, sondern vor allem daran daran, dass die Oberen in einer pyramidenförmig organisierten Gesellschaft ihren gesellschaftlichen Rang und den ihres Nachwuchses verteidigen und die mit ihrer sozialen Stellung verbundenen Privilegien niemals freiwillig zur Disposition stellen oder einem wirklichen Leistungswettbewerb aussetzen wollen. Insofern sind auch die meisten aktuellen Debatten über „Reformen“ des Bildungswesens kritisch zu sehen, wenn diese nicht zumindest auch die „Leistungen“ der im Bestehenden Bildungs(un)wesen Erfolgreichen, aus denen sich in der Regel eben die Eliten in Wirtschaft und Politik rekrutieren, problematisieren. Will sagen: Die Entscheider im Lande, sind die, die sich in der Regel für etwas „Bessres“ weil „leistungsfähiger“ halten; solange dieses Denken nicht in Frage gestellt wird, reproduziert sich die soziale Selektivität und Entmündigung, also der „Klassenrassismus“ im Sinne Bourdieus immer wieder aufs Neue. So „kommt es [dann dazu], dass – für die spezifischen kulturellen Erbschaften einzelner gesellschaftlicher Klassen oft blind – die politischen Kämpfe zwischen mutmaßlich ‚linken’ (egalitären) und ‚rechten’ (marktliberal-konservativen) Kräften bildungspolitisch zwar auf Verschiedenes abzuzielen meinen, in ihrer unfaire Bedingungen reproduzierenden und konservierenden Wirkung jedoch nur zwei Seiten einer Medaille sind: Die Infragestellung bspw. der universitären Hierarchien mit dem Argument der Demokratisierung und die Verteidigung eben dieser mit dem Argument der Qualität der Lehre, bilden de facto ein Kräftepaar, das in Bezug auf das, was das Wesentliche am Bildungssystem ist – nämlich die Produktions- und Vermittlungsweisen von Wissen und Wissenschaft – den Status quo zementiert. Die – ‚politische’ – Frage ist schlicht falsch gestellt, der Kampf wird auf dem falschen Felde geführt. Oder um es anders auszudrücken: Wo die fundamentale gesellschaftliche Funktion des Bildungswesens die Verteilung einer Vielzahl von Arbeitskräften auf stets nur wenige hohe, einige mittlere und endlos viele niedere gesellschaftliche Positionen ist, fruchten rein formal daherkommende Forderungen nach ‚sozialer Öffnung’ der [Schulen und] Hochschulen, wie sie [seit ehedem] von Studierendenverbänden [allzu oft] erhoben werden, wenig. Denn selbst wenn man dieselben für doppelt so viele Kinder aus der beherrschten Klasse öffnete, würden diese ob des dort gültigen Systems kultureller Blindheit und Benachteiligung in der Regel doch (nur wieder) zu Verlierern gemacht.“ [6] Um nicht missverstanden zu werden: Die Öffnung des Bildungssystems ist eine zentrale Voraussetzung, wenn die Segmentierung der Gesellschaft überwunden werden soll. Sie ist jedoch keineswegs hinreichend Durchlässigkeit und Chancengleichzeit herzustellen, da die sozioökonomische Verteilung von Macht und Einkommen eben nicht an Schulen und Hochschulen entschieden wird, wie man uns immer wieder weiszumachen versucht. Oder, wie Bourdieu es in „Die feinen Unterschiede“ formuliert: Danksagung: Viele Gedanken und Impulse zur Kritik am Begabungsbegriff sind Artikeln und Schriften von Prof. Dr. Morus Markard[7] entnommen, der dem geneigten Leser und der geneigten Leserin unbedingt zur Lektüre weiterempfohlen wird.
Jens Wernicke
Oder: Wie sich dank der Mehrgliedrigkeit und inneren Beschaffenheit des Schulsystems soziale Ungleichheit reproduziert. Von Jens Wernicke Bildungsreservenausschöpfung als Standortfaktor „Nach Artikel 26 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte soll jeder – unabhängig von Alter, Geschlecht und sozialer Herkunft – Zugang zu Bildung haben. Vergleichsstudien wie PISA oder IGLU zeigen j ...
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06. Mai 2010 9:05
https://www.nachdenkseiten.de/?p=5422
„Das waren mehr als Zufälle beim NSU“
Die Aussage von Beate Zschäpe hat sie selbst und alle Ungereimtheiten und Absurditäten der offiziellen Version zu bestätigen versucht. Irgendetwas stimmt hier ganz und gar nicht. Und hat offenbar noch nie gestimmt. Etwas ist faul am „NSU“. Die Hypothese etwa, die beiden anderen Neofaschisten des vermeintlichen Trios hätten einfach Selbstmord begangen, ist längst grundlegend ins Wanken geraten. Gemutmaßt wird zudem, dass der Verfassungsschutz für das Wirken und Morden dieses Untergrundnetzwerkes deutlich mehr Verantwortung trage als bisher bekannt geworden ist, ja, dass Zschäpe mit diesem womöglich sogar unter einer Decke steckt. Über die nach wie vor vorhandenen offenen Fragen und Ungereimtheiten zum Thema sprach Jens Wernicke mit Clemens Binninger, CDU-Bundestagsabgeordneter und Vorsitzender des 3. Untersuchungsausschusses zur Casa „NSU“. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Podcast: Play in new window | Download Herr Binninger, Sie machen sich als Vorsitzender des inzwischen 2. Untersuchungsausschusses zum Thema für eine weitere Aufklärung des NSU-Komplexes stark. Warum ist das wichtig? Warum tut Aufklärung not? In der vergangenen Legislaturperiode fehlte uns die Zeit, um alle offenen Fragen abzuarbeiten. Deshalb hatten wir zu Beginn dieser Legislaturperiode eine Berichterstatterrunde im Innenausschuss gebildet, in der wir neue Erkenntnisse besprochen und bewertet haben. Aber auch hier sind viele Fragen unbeantwortet geblieben, weshalb wir jetzt fraktionsübergreifend einen neuen Untersuchungsausschuss eingesetzt haben. Wir sind nicht die besseren Ermittler, aber wir gehen jetzt der Frage nach, ob alles getan wurde, um die Hintergründe aufzuklären. Wir wollen nicht, dass es uns bei der NSU-Mordserie so geht wie beim Oktoberfestattentat, wo man noch 30 Jahre später darüber spekuliert und jetzt mühsam versucht, noch offene Fragen zu beantworten. Was genau sind denn die Dinge, die offensichtlich unstimmig sind, für Sie? Und was irritiert Sie wie andere hieran? Während sich der erste NSU-Untersuchungsausschuss schwerpunktmäßig auf die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden konzentriert hat, geht es jetzt nicht darum, nochmal das x-te Behördenversagen aufzudecken. Dieses Mal steht die Arbeit im Untersuchungsausschuss unter der Leitfrage: „War es wirklich nur ein Trio?“. Da habe ich nämlich Zweifel. Wir wollen uns auch mit ganz konkreten Ereignissen beschäftigen. Besonders mit den Vorfällen am und um den 4. November 2011, das betrifft den Tod von Böhnhardt und Mundlos in Eisenach und die Explosion in dem Wohnhaus des Trios in Zwickau. Abgesehen davon werfen für mich insbesondere auch die Mordfälle in Kassel und Heilbronn oder die Rolle der V-Leute immer noch Fragen auf. Könnten Sie eine dieser Unstimmigkeiten bitte etwas genauer ausführen? Was genau wird behauptet – und warum kann dem höchstwahrscheinlich nicht so sein? Nehmen Sie den Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter in Heilbronn. Der Generalbundesanwalt geht von Mundlos und Böhnhardt als Tätern aus. Zeugen haben aber unabhängig voneinander mehrere blutverschmierte Personen unmittelbar nach der Tat gesehen. Daraufhin wurden Phantombilder erstellt und keines dieser Phantombilder sieht Mundlos oder Böhnhardt ähnlich. Auch der stark frequentierte Tatort, die Opferauswahl, fehlende DNA und Fingerabdrücke von Mundlos und Böhnhardt sind starke Indizien dafür, dass diese Tat nicht nur von zwei Personen begangen worden sein kann. Beim Bombenanschlag in Köln 2004 wurde eine Nagelbombe verwendet und eine Videokamera hielt womöglich die beiden Täter fest. Wenn man den Bombentyp in der Tatmitteldatei finden und Neonazis zuordnen kann und wenn die zwei Gefilmten ebenfalls als Neonazis identifizierbar sind – dann ist man doch wohl sowohl dem politischen Motiv als auch den möglichen Täter dicht auf der Spur? Was meinen Sie? Die Verbrechen des NSU waren für die Ermittler aufgrund der geringen Spurenlage schwer aufzuklären, das muss man fairerweise auch deutlich sagen, aber den Fall in Köln hätte man aufklären können. Wären die Begriffe „männlich“ – was ja offenkundig war –, „fremdenfeindlich“ – naheliegend aufgrund der Tatort- und der Opferauswahl – sowie „Koffer“ – die Bombe wurde in einem Koffer transportiert – in die Sprengstoffdatei des BKA eingegeben worden, dann wären unter anderem auch die Namen von Böhnhardt und Mundlos aufgetaucht. Es war fatal, dass man diese Ermittlungsansätze nicht genutzt hat. Im Mordfall in Kassel 2006 gibt es keine Beweise, Zeugen oder Spuren, die auf eine direkte Täterschaft der beiden NSU-Mitglieder schließen lassen. Ganz im Gegensatz dazu führen Indizien, Spuren und Zeugenaussagen zu einem Verfassungsschutzmitarbeiter, der sich zur Tatzeit in einem Internetcafé aufgehalten haben soll. Was macht ein Polizist bei einer solchen Beweislage unter Beachtung der Ermittlungsgrundsätze und bei Anwendung einer Wahrscheinlichkeitsprognose, die eine Täterschaft begründet? Herr T. stand unter Mordverdacht und die Kollegen aus Hessen haben damals völlig zu Recht sehr intensiv ermittelt. Allerdings ließ sich der Tatverdacht nicht erhärten. Ungeachtet dessen bleiben bis heute Zweifel an seinen Aussagen, verstärkt durch abgehörte Telefongespräche oder eine E-Mail von der Vorgesetzten des Herrn T., die erst vor einigen Monaten bekannt geworden sind. Deswegen sehe ich auch noch so viele Unklarheiten hinsichtlich des Mordes an Halit Yozgat in Kassel. Haben Sie eine Erklärung, wie es zu derlei unwahrscheinlichen Erklärungen kommen konnte? Ich meine: Diese ganzen Unstimmigkeiten – sind die nur eine Reihe von Zufällen? Was mutmaßen Sie? Zufälle kann es immer geben, aber dass es so viele sein sollen, halte auch ich für unwahrscheinlich. Ich warne aber vor zu viel Spekulation. Mutmaßungen und Behauptungen, wie es war, bringen die Aufklärung sicher nicht weiter. Letztlich geht es darum, die Punkte, die noch so viele Fragen aufwerfen, genauer zu untersuchen, um überprüf- und belegbare Antworten zu erhalten. Was täte für eine umfassende Aufklärung des NSU und seiner Morde aktuell denn not? Was bräuchten der Ausschuss und seine Mitglieder? Wichtig wird vor allen Dingen sein, dass auch dieser Ausschuss parteipolitische Interessen beiseitelässt und fraktionsübergreifend zusammenarbeitet, denn das hat den letzten Untersuchungsausschuss so stark gemacht. Dann kann man viel schaffen. Ich bezweifle auch nicht, dass das gelingt, denn der Aufklärungswille ist bei allen Fraktionen da. Und wie kann oder könnte diese Aufklärung gelingen – bei all den Steinen, die den Aufklärern hier offenbar in den Weg gelegt werden? Sicherlich wird der Erfolg der Ausschussarbeit auch von der Qualität der Zeugenaussagen abhängen. Im letzten Untersuchungsausschuss war das teilweise gezeigte angebliche Unwissen über die rechte Szene nur schwer nachvollziehbar. Nach anfänglichen Startschwierigkeiten haben wir am Ende aber doch vieles bekommen und vieles erfahren. Ich bin daher zuversichtlich, dass wir auch dieses Mal mit den Behörden zu einem guten Klima gelangen, in dem alle zur Aufklärung beitragen. Ich bedanke mich für das Gespräch und wünsche viel Erfolg in Bezug auf den Untersuchungsausschuss. Und auch in Bezug auf die diesbezüglich gute fraktionsübergreifende Zusammenarbeit. Clemens Binninger ist Polizeioberrat a.D. und war 20 Jahre lang im aktiven Polizeidienst. Anschließend wechselte er für drei Jahre als Referent ins Innen- und später ins Staatsministerium Baden-Württemberg. Seit 2002 ist er Mitglied des Deutschen Bundestages und vertritt als direkt gewählter Abgeordneter den Wahlkreis Böblingen. In dieser Legislaturperiode ist er Mitglied im Innenausschuss, Vorsitzender des 3. Untersuchungsausschusses – “Terrorgruppe NSU II” – sowie Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Weitersehen und -lesen: Die Anstalt vom 17. November 2015 über den NSU Weitere Veröffentlichungen von Jens Wernicke finden Sie auf seiner Homepage jenswernicke.de. Dort können Sie auch eine automatische E-Mail-Benachrichtigung über neue Texte bestellen.
Jens Wernicke
Die Aussage von Beate Zschäpe hat sie selbst und alle Ungereimtheiten und Absurditäten der offiziellen Version zu bestätigen versucht. Irgendetwas stimmt hier ganz und gar nicht. Und hat offenbar noch nie gestimmt. Etwas ist faul am „NSU“. Die Hypothese etwa, die beiden anderen Neofaschisten des vermeintlichen Trios hätten einfach Selbstmord begangen, ist längst grundlegend ins Wanken gerate ...
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04. Januar 2016 9:30
https://www.nachdenkseiten.de/?p=29881
Karin Leukefeld analysiert einen Grundsatzartikel des SPD-Außenpolitik-Experten Mützenich zu Syrien
Im IPG-Journal der Friedrich-Ebert-Stiftung (SPD) erschien am 18. September eine ausgesprochen flache Kritik am sogenannten „vorschnellen Nein“ der SPD-Führung zur Beteiligung an der geplanten weiteren Militärintervention in Syrien. Da fühlte sich der für die Außenpolitik verantwortliche stellvertretende Fraktionsvorsitzende Mützenich offensichtlich verpflichtet, eine Korrektur nachzuschieben. Diese war jedoch nur in der Überschrift und oberflächlich betrachtet aus einem anderen Holz geschnitzt. Sie steckt voll von zweifelhaften Behauptungen und Klischees. Da der Text von Mützenich vermutlich als Leitlinie des Denkens zu Syrien gedacht ist, haben wir die Syrien-Expertin Karin Leukefeld um eine Analyse gebeten. Hier ist sie. Albrecht Müller Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Podcast: Play in new window | Download Ein sehr interessanter, aktueller und aufschlussreicher Text: Karin Leukefeld: Deutschland will einen „Platz an der Sonne“ und bei der Aufteilung Syriens ganz vorne mit dabei sein. Frieden schafft man so nicht. „Luftschläge sind kein Ersatz für Syrienstrategie“ stellte der SPD-Außenpolitiker Rolf Mützenich kürzlich in einem Beitrag für das Magazin „Internationale Politik und Gesellschaft“ (IPG) der Friedrich-Ebert-Stiftung (SPD) fest. Was für eine erfreuliche Feststellung mag man angesichts der mehr als kriegsmüden Menschen in Syrien denken. Endlich mal jemand, der nicht von mehr militärischer Einmischung, sondern von einer „Strategie für Syrien“ spricht. Vielleicht hat der Mann einen Friedensplan ausgearbeitet? Will er der Eskalationsstrategie gar eine Strategie des Dialogs entgegensetzen? Hat er sich vielleicht daran erinnert, dass man Frieden mit Feinden, nicht aber mit Freunden schafft? Doch was der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag in Berlin dann anzubieten hat, ist ernüchternd. Es geht nicht um Dialog oder um Deeskalation in Syrien, es geht um „Keine Zukunft für Assad“ und Hilfe gibt es erst, „wenn ein glaubwürdiger politischer Prozess in Syrien unter der Ägide der Vereinten Nationen umgesetzt wird.“ Der Krieg in Syrien wird nicht nur durch fortlaufende Waffenlieferungen und Luftschläge, nicht nur durch Besetzung und Vertreibung verlängert. Auch die westliche „Wir-geben-die-Richtung-an“-Haltung und die Absicht, Völkerrecht lieber zu verändern anstatt mit allen Ecken und Kanten zu respektieren, werden den Menschen in Syrien nicht helfen. Solange deutsche Politiker sich weigern anzuerkennen, dass ihre Strategie des „Regime Change“ in Syrien nicht nur gescheitert ist, sondern die Glaubwürdigkeit deutscher und europäischer Außenpolitik in Syrien und in der Region zerstört hat, solange wird der Krieg weitergehen. Mit deutschen Waffen, mit deutschem Geld, mit deutschen Ideen, die aus der Zeit des Ersten Weltkrieges stammen könnten. Deutschland will einen „Platz an der Sonne“ und bei der Aufteilung Syriens ganz vorne mit dabei sein. Frieden schafft man so nicht. Das CDU-geführte Verteidigungsministerium „prüft“ bereits, welche militärische Beteiligung seitens der Bundeswehr in Syrien denkbar und möglich ist, die SPD schaltet noch auf Rot. Rolf Mützenich ist der außenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion und lieferte die Vorlage dafür, wie die SPD das vielfach kritisierte rasche „Nein“ der Parteivorsitzenden Andrea Nahles zu einem möglichen Militäreinsatz der Bundeswehr in Syrien argumentativ untermauern soll. Im Resümee lässt Mützenich keinen Zweifel, dass die SPD – ob militärisch oder nicht – von einem „Regime-Change“ in Syrien nicht abzurücken gedenkt. Dafür bemüht er die „verfassungsrechtlichen Grundlagen“ Deutschlands und verweist auf das Völkerrecht und auf das Parlamentsbeteiligungsgesetz. Klischees statt Tatsachen Mützenich: „Die Empörung über das skrupellose Vorgehen des syrischen Diktators mit Unterstützung Russlands und des Iran ist ohne Frage gerechtfertigt. Und ganz ohne Zweifel ist der Einsatz von Chemiewaffen ein internationales Verbrechen. Wir tun unser Möglichstes, damit niemand erneut in Idlib oder anderswo diese geächtete Waffe einsetzt. Insbesondere die syrische Regierung, aber auch der IS haben dies laut UN-Recherchen nachweislich in der Vergangenheit getan.“ Hier benutzt der SPD-Außenpolitiker gleich eine ganze Reihe von Klischees. Der Präsident Syriens wird als „Diktator“ bezeichnet, Russland und Iran gehen „skrupellos“ vor, weil sie ihn unterstützen. Er ignoriert dabei Tatsachen, die unter dem Aspekt des Völkerrechts von Bedeutung sind. 1. Bashar al Assad wurde gemäß der syrischen Verfassung gewählt und tut als Präsident genau das, was als Oberkommandierender der Streitkräfte seine Aufgabe ist. Er hat die Armee beauftragt, Syrien gegen Angriffe international als terroristisch gelisteter Gruppen zu verteidigen. 2. Russland und der Iran sind auf Einladung der syrischen Regierung in Syrien, das entspricht dem Völkerrecht. Mützenich erwähnt chemische Waffen, die „insbesondere“ von der syrischen Regierung, aber auch vom IS“ eingesetzt worden seien. Das hätten „UN-Recherchen nachweislich“ ergeben. Mützenich bezieht sich auf Interpretationen verschiedener UN- und Hilfsorganisationen, die von westlichen Regierungen übernommen wurden. Er übergeht, dass ein solcher Nachweis bisher eben nicht von der zuständigen Organisation für den Schutz vor Chemiewaffen (OPCW) erbracht wurde. Das Mandat, mit dem die OPCW gemeinsam mit der UN in Syrien agierte, sah die Zuweisung von Verantwortung für einen Einsatz explizit nicht vor. Mützenich spricht sich zwar gegen „Luftschläge“ in Syrien aus, lässt aber die Beteiligung der Bundeswehr an der von den USA geführten internationalen „Anti-IS-Allianz“ in Syrien unerwähnt. Diese Allianz, der Deutschland angehört, verfügt weder über ein UN-Mandat noch über eine Einladung der völkerrechtlich legalen syrischen Regierung. Deutschland beteiligt sich also bereits an einer militärischen Intervention in Syrien und unterstützt und billigt damit nicht nur eine Besatzung von Teilen des Landes, sondern auch die illegale Errichtung von Militärbasen. Dass auch die SPD diesem Einsatz zugestimmt und ihn wiederholt verlängert hat, widerspricht der Aussage, die SPD könne einer „militärischen Vergeltung“ oder einer „irgendwie zusammengestellten ‚Koalition der Willigen‘“ nicht zustimmen, wie Mützenich schreibt. Das Gewaltverbot sei ein Grundpfeiler der internationalen Friedensordnung. Ohne „völkerrechtliche Legitimation (…) können wir keinem bewaffneten Einsatz deutscher Streitkräfte in Syrien zustimmen“, führt er aus. Und fügt hinzu: „Schon gar nicht angesichts ernst zu nehmender Berichte, wonach ein Staatschef in einer vergleichbaren Situation offensichtlich die Liquidierung politischer Akteure forderte.“ Der anonyme Staatschef, der laut Mützenich die Liquidierung „politischer Akteure“ fordert, ist vermutlich US-Präsident Donald Trump. Laut einem Kapitel in dem neuesten Buch „Fear“ (Angst) des US-Journalisten Bob Woodward soll Trump – der dementiert das – die Ermordung des syrischen Präsidenten Bashar al Assad gefordert haben. Sein Verteidigungsminister Jim Mattis habe ihn ausgebremst, so Woodword. Doch nicht nur US-Präsident Trump, auch der israelische Minister für Energie- und Wasserversorgung, Yuval Steinitz, drohte, den syrischen Präsidenten zu ermorden. „Wenn der syrische Präsident Baschar al-Assad dem Iran weiterhin erlaubt, auf syrischem Territorium zu operieren, wird Israel ihn liquidieren und sein Regime stürzen”, sagte Steinitz israelischen Medien zufolge im Mai 2018. Sowohl gegenüber den USA als auch gegenüber Israel – zwei Staaten also, die mal mit Drohnen, mal mit Agentenkommandos nach dem Motto „Rise and Kill First“ weltweit Menschen ermorden – ist die Bündnistreue in Berlin, auch bei der SPD „Staatsräson“. Wer vom Völkerrecht spricht Wer vom Völkerrecht und Syrien spricht, muss im Jahr 2011 anfangen. Der innersyrische Konflikt um Reformen, mehr politische und wirtschaftliche Teilhabe war eine innenpolitische Angelegenheit. Rat von befreundeten Staaten hinter den Kulissen hätte den diplomatischen Gepflogenheiten entsprochen und wäre möglich gewesen. Was aber geschah, war eine nie dagewesene Einmischung, die erst gegen diplomatische Regeln und sehr bald gegen das Völkerrecht verstieß. Die Botschafter der USA, Frankreichs und Deutschlands besuchten Protestveranstaltungen und trafen sich mit Oppositionellen. Im Frühsommer 2011 wurde im französischen Außenministerium die Marschroute für Syrien vorgegeben, wie in dem bemerkenswerten Buch „Les chemins du Damas“ von den französischen Journalisten Christian Chesnot und George Malbrunot zu lesen ist. In dem Kapitel „Eine Rauferei im Quay d’Orsay“ wird beschrieben, wie es bei einer Diskussion über die Lage in Syrien zuging. Der damalige französische Botschafter in Damaskus, Eric Chevallier, erklärte dabei laut Augenzeugen: „Das Assad-Regime wird nicht stürzen und Assad ist stark“, er werde im Amt bleiben. Wiederholt hatte Chevallier das auch in seinen Berichten aus Damaskus geschrieben und war dafür nach Paris zurückgerufen worden. Nun wiederholte er bei dem Treffen im Außenministerium seine Meinung und betonte, er sei in Syrien vor Ort und könne es beurteilen. Daraufhin wurde er vom Präsidentenberater für den Mittleren Osten, Nicolas Galey, unterbrochen: „Reden Sie keinen Quatsch. Wir sollten uns nicht an die Fakten halten, sondern müssen über unsere Nasenspitze hinaussehen.“ Chevallier untermauerte seine Position und berichtete von Gesprächen, die er mit Oppositionellen in Syrien geführt habe. Erneut wurde er von Galey, dem Beauftragten des damaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy, abgekanzelt: „Ihre Informationen sind uns egal, sie interessieren uns nicht. Bashar al-Assad muss stürzen und er wird stürzen.“ Ein anderer Teilnehmer des Treffens, der Stabschef des Außenministers, Hervé Ladsous erinnert sich, dass Galey offensichtlich „nicht gekommen war, um an der Diskussion teilzunehmen, sondern um eine bestimmte Mission zu erfüllen: die Sichtweise durchzusetzen, dass der Sturz von Assad unausweichlich ist“. Jeder müsse verstehen, dass eine andere Meinung diesbezüglich im französischen diplomatischen Corps nicht geduldet werde. Diese Passage ist umso interessanter, als die Botschafter Frankreichs, Großbritanniens und Deutschlands damals nahezu zeitgleich von ihren Regierungen zu Beratungen zurückgerufen wurden. Was spielte sich wohl im Auswärtigen Amt in Berlin ab? Kurz darauf wurde, mit Unterstützung westlicher und der Golfstaaten in der Türkei die „Freie Syrische Armee“ gegründet und die ersten Lieferungen von Waffen über die Grenzen aus der Türkei, Libanon, Jordanien und durch die irakische Wüste waren auf dem Weg. Islamistische Kämpfer wurden rekrutiert und aus Jordanien und der Türkei nach Syrien geschmuggelt. Ausführliche Auskunft darüber gab der damalige Außenminister Katars, Scheich Hamad bin Jabbar al Thani, im Oktober 2017 im katarischen Fernsehen. Junge Syrer, die sich in oppositionellen Parteien engagierten, berichteten der Autorin damals, man habe ihnen aus dem Libanon Kameras, Computer, Fotoapparate geschickt mit genauen Anweisungen, wie sie eine wenn auch kleine Menschenmenge filmen und dann die Aufnahmen per Internet und Twitter an Organisationen im Ausland zur weiteren Bearbeitung schicken sollten. Es sei ihnen merkwürdig vorgekommen, daher hätten sie den Kontakt abgebrochen. Durch die mediale Einflussnahme und die massiven Waffenlieferungen wurde die Lage in Syrien eskaliert. Syrien hat unzählige Male beim UN-Sicherheitsrat dagegen protestiert. Die Antwort aus Deutschland war eine Initiative bei der EU, Sanktionen gegen Syrien zu verhängen. Umgang mit UNO und Völkerrecht Mützenich: „Natürlich ist und bleibt es ein Problem, wenn der Sicherheitsrat aufgrund eines Vetos nicht in der Lage ist, bei schwersten Menschenrechtsverletzungen und Massenmord einzugreifen. Zu Recht haben deshalb renommierte Völkerrechtler dazu aufgerufen, „verstärkt über die institutionell ‚schonendsten‘ Wege eines behutsamen Rechtswandels nach(zu)denken“, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet. Wenn es uns nicht bald gelingen wird, an vielen Orten der Welt dem Recht des Stärkeren das Recht der Völkergemeinschaft entgegenzusetzen, werden wir Jahrzehnte der Anarchie erleben.“ Sollte ein renommierter Außenpolitiker sich nicht erst einmal fragen, warum Russland und China – denn sie sind gemeint – ihr Veto einlegten? Sicherlich nicht, um „schwerste Menschenrechtsverletzungen und Massenmord“ zu schützen. Russland legte unzählige Vorschläge vor, wie die verfahrene Situation in Syrien völkerrechtlich legal geklärt werden könne. Anders als die westlichen Veto-Mächte bezogen Russland und China zudem stets die Position Syriens mit ein. Der syrische UN-Botschafter Bashar al Jaafari hat seit 2011 in hunderten Briefen und Erklärungen den Sicherheitsrat über das Geschehen in Syrien informiert, ohne dass die westlichen Veto-Mächte (USA, Großbritannien und Frankreich) davon Notiz genommen hätten. Ihre Vertreter verließen teilweise sogar den Raum, wenn Al Jaafari sprach. Da die westlichen Veto-Mächte von ihren Forderungen nicht abrücken wollten, blieb Russland und China häufig kein anderer Weg, als das Veto einzusetzen, um eine weitere Eskalation zu vermeiden. Die Warnung: „Wenn es uns nicht bald gelingen wird, an vielen Orten der Welt dem Recht des Stärkeren das Recht der Völkergemeinschaft entgegenzusetzen, werden wir Jahrzehnte der Anarchie erleben.“ Doch wer sind die „Stärkeren“, die nach seiner Darstellung das „Recht der Völkergemeinschaft“ außer Kraft setzen? Sind es die Veto-Mächte oder diejenigen, die rotierend alle zwei Jahre einen Sitz im Sicherheitsrat einnehmen, wofür sich Deutschland aktuell wieder bewirbt? Um die UN-Charta und die daraus hervorgegangenen Verträge zu stärken, müssten die „stärkeren“ Staaten die UN-Charta respektieren. Und sie müssten sich damit abfinden, dass sie gleichwertig mit den anderen UN-Mitgliedsstaaten sind, egal ob sie USA oder China, Saudi Arabien oder Deutschland heißen. Mützenich: „Was wir in Syrien erleben, ist ein kollektives Versagen und sich schuldig machen der so genannten „internationalen Gemeinschaft“. Das Land ist zum Spielball geopolitischer Konflikte geworden. Russland, Iran, USA, Israel, die Türkei – alle mischen mit und heizen den Krieg weiter an. Und die Vereinten Nationen und die Europäische Union sehen hilflos zu und können nichts anderes tun, als sich dauerhaft “besorgt” zu äußern.“ EU und Deutschland sind nicht hilflos, Deutschland und zwei weitere europäische Staaten – Großbritannien und Frankreich – gehören zu den „führenden westlichen und arabischen Staaten“, die eine „neue Verfassung für Syrien“ fordern, wie es die Deutsche Presseagentur am 27. September meldete. 2012 gehörten diese „führenden Staaten“ zu den „Freunden Syriens“. Daraus wurde in den folgenden Jahren eine „Kerngruppe“ aus elf Staaten, bei denen Deutschland mit den Vereinigten Arabischen Emiraten zum Kassenwart über einen millionenschweren Unterstützungsfonds für die syrische Opposition aufstieg. Anfang 2018 traf sich in Washington eine „Kleine Syrien-Gruppe“, in der fünf Staaten – USA, Großbritannien, Frankreich, Jordanien und Saudi Arabien – darüber berieten, wie sie ihren Einfluss und ihre Interessen in Syrien gegen die Astana-Gruppe, Russland, die Türkei und Iran in Syrien durchsetzen könnten. Im Sommer 2018 wurde Deutschland in die „Kleine Syrien-Gruppe“ aufgenommen mit der besonderen Aufgabe, die Türkei aus der Astana-Gruppe wieder herauszubrechen und aus dem Einflussbereich Russlands zurück ins westliche Lager zu bringen. Kooperation statt Konfrontation Der Westen habe „keine vernünftige Antwort auf die Allianz gefunden, die Russland und der Iran mit Assad geschlossen haben“, beklagt Mützenich. Wäre denn eine Kooperation mit der Allianz in Syrien nicht vernünftig gewesen, um den Krieg zu beenden? Die Astana-Gruppe hat es geschafft, durch Verhandlungen und Dialog die Gewalt und die Frontlinien in Syrien fast vollständig zu reduzieren. Idlib wäre der nächste Schritt gewesen, doch der Westen und die Golfstaaten sind noch immer nicht bereit, ihre Niederlage einzugestehen und mit dem Astana-Bündnis zu kooperieren. Der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian warnte vor dem Angriff auf Idlib, weil dort Terroristen und Islamisten, darunter auch Franzosen seien. Bei einem Angriff würden sie für Europa eine ernste Gefahr darstellen, sollten sie aus Idlib herauskommen. Angebote zum Abtransport von international als terroristisch gelisteter Gruppen sind nicht bekannt. Die „Kleine Syrien-Gruppe“ hält vielmehr bis heute – trotz des bekannten Einflusses von Al Qaida dort – an den von ihnen unterstützten so genannten „moderaten“ bewaffneten Gruppen in Idlib fest, um ihren kostspielig über Jahre hin aufgebauten Einfluss in der nordwestsyrischen Provinz nicht zu verlieren. Deutschland ist als Mitglied der „Kleinen Syrien-Gruppe“ an dem geostrategischen Machtspiel um Syrien beteiligt und sieht keineswegs „hilflos“ zu. Mützenich ist sich sehr wohl bewusst, welchen Einfluss Deutschland und seine Verbündeten nehmen können: „Deutschland ist schon jetzt der größte Geber und hat zuletzt auf der Brüsseler Syrien-Konferenz im April 2018 eine weitere Milliarde Euro für Syrien und die Nachbarländer bis 2020 zugesagt. Seit 2012 hat die Bundesregierung bereits Mittel in Höhe von 4,56 Milliarden Euro für die Flüchtlinge in Syrien und den angrenzenden Ländern zur Verfügung gestellt. Die von Putin gewünschte Hilfe beim Wiederaufbau Syriens ist jedoch nur denkbar, wenn Russland eine politische Lösung unter Ägide der Vereinten Nationen unterstützt. Sie muss zudem die Sicherheit und die Rechte von Millionen Syrern garantieren, die vor Baschar al-Assad und russischem Bombardement fliehen mussten.“ Erbetene Hilfe beim Wiederaufbau in Syrien knüpft Mützenich selbstbewusst an Bedingungen, die aber haben mit der UN-Sicherheitsratsresolution 2254 wenig zu tun. Die Resolution 2254 ist Grundlage der Genfer Gespräche, darin heißt es ausdrücklich, dass die politische Transformation in Syrien ein „Prozess unter Führung der Syrer“ ist. Von einer „Ägide der Vereinten Nationen“, von der Mützenich spricht, also von einem UN-Mandat, unter das Syrien gestellt werden soll, ist nicht die Rede. Einzig die Wahlen, die in Syrien durchgeführt werden sollen, sollen von der UNO unterstützt werden. Weiter fordert Mützenich, eine politische Lösung solle „die Sicherheit und die Rechte von Millionen Syrern garantieren, die vor Baschar al-Assad und russischem Bombardement fliehen mussten“. Was aber ist mit den Menschen, die vor den bewaffneten Gruppen flohen, vor der Nusra Front, dem Islamischen Staat, der Armee des Islam oder einer der anderen Hunderten Kampfgruppen? Was ist mit den Menschen, die aufgrund der Sanktionen Arbeit und Lebensgrundlage verloren? Was mit denjenigen, die von Kämpfern entführt und jahrelang gefangengehalten wurden, wie der Leiter der Staatlichen Syrischen Textilorganisation, Zuhair Ali, seine Frau und zwei Kinder? Auch zum Einsatz von chemischen Waffen in Syrien äußert Mützenich sich: „Experten der Vereinten Nationen und der Organisation für das Verbot von Chemiewaffen konnten in den allermeisten Fällen der Assad-Regierung den Einsatz von Giftgas nachweisen, so bei dem verheerenden Chemiewaffenangriff mit über 80 Toten im April 2017 in Chan Scheichun.“ Diese Aussage ist falsch. Erstens fand nicht in allen Fällen von Chemiewaffeneinsätzen in Syrien überhaupt eine Untersuchung statt, zweitens hatte die zuständige Organisation (OPCW) lediglich ein Mandat um herauszufinden, ob überhaupt chemische Kampfmittel eingesetzt wurden, nicht aber, wer sie eingesetzt hat. Bei dem Vorfall in Khan Sheichun im April 2017 wurde besonders deutlich, wie mit dem vom UN-Sicherheitsrat beschlossenen Auftrag für die gemeinsame UN-OPCW-Mission umgegangen wurde. Unmittelbar nach dem Vorfall in Khan Sheichun wurde die OPCW von Syrien und Russland eingeladen, das Geschehen vor Ort zu untersuchen. Doch bevor das entschieden und umgesetzt werden konnte, wurde der Militärflugplatz, auf dem nach US-Angaben angeblich die syrischen Kampfjets mit den chemischen Waffen beladen worden sein sollen, auf Anordnung von US-Präsident Donald Trump mit 48 Cruise Missile von US-Zerstörern im östlichen Mittelmeer bombardiert. Proben, die angeblich vom Ort des Geschehens in Khan Sheichun stammten und später untersucht wurden, wurden von Oppositionellen und Kämpfern, von Beteiligten also, eingesammelt und an die Türkei übergeben, die wiederum die oppositionellen Kämpfer unterstützt. Das Procedere widerspricht den strengen OPCW-Regeln, wonach Proben in bestimmter vorgeschriebener Weise und nur von autorisierten OPCW-Inspektoren gesammelt werden dürfen. Diese haben aber weder den Ort des Geschehens in Khan Sheichun noch die syrische Luftwaffenbasis jemals persönlich betreten. Der Vorgang führte dazu, dass Russland im Sicherheitsrat ein verändertes, konkreteres Mandat für die UN-OPCW-Mission anstrebte. Die westlichen Veto-Mächte weigerten sich und drängten darauf, das bisherige Mandat zu verlängern. Ein Alternativvorschlag Russlands wurde abgelehnt, Russland legte sein Veto ein. Eine andere Art von Krieg Wenn Mützenich schreibt, es sei „natürlich legitim, alle möglichen Optionen zu prüfen“, meint er militärische Optionen. Aber wie kann die Prüfung militärischer Optionen legitim sein, wenn sieben Jahre lang nicht einmal eine der vielen nicht-militärischen Optionen zur Deeskalation des Geschehens in Syrien in Betracht gezogen wurde? Beispielsweise hätte Deutschland die von Geheimdiensten überwachten Personen stoppen können, die über die Türkei nach Syrien und in den Irak abreisten. Deutsche Behörden hätten (islamische) Hilfsorganisationen, die in Deutschland Geld sammelten, um bewaffnete Gruppen in Syrien zu versorgen, stoppen können. Man hätte die Botschaft in Damaskus wiedereröffnen, Delegationen als Zeichen des guten Willens nach Damaskus schicken können. Deutschland hätte die alljährliche Verschärfung der EU-Wirtschaftssanktionen – die so genannten „Einseitigen Strafmaßnahmen“ – gegen Syrien ablehnen können. Wirtschaftliche Sanktionen, zumal gegen ein Entwicklungsland wie Syrien, sind eine andere Art von Krieg. Die Schäden und das Leid treffen jeden einzelnen Syrer aufgrund der zusätzlichen militärischen Konfrontation in ihrem Land besonders hart. Es dürfte auch Mützenich bekannt sein, dass die UN-Organisation für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung in West-Asien (ESCWA) bereits (2016) die Sanktionen scharf kritisierte und feststellte, dass sie „jeden einzelnen Syrer treffen“ und selbst humanitäre Hilfe in Syrien behinderten. Im Mai 2018 reiste der UN-Sonderbeauftragte für die negativen Auswirkungen einseitiger Strafmaßnahmen auf die Menschenrechte, Idriss Jazairy, durch Syrien, um die Auswirkungen der Sanktionen zu überprüfen. Auch er legte einen scharfen Bericht vor und zeigte sich „zutiefst besorgt darüber, dass die einseitigen Strafmaßnahmen zum anhaltenden Leid des syrischen Volkes beitragen.“ Sein Bericht, sein Appell an die verantwortlichen Staaten (EU), die Sanktionen zumindest zu überdenken, blieb ohne Erfolg. Ende Mai 2018 wurden von der EU – mit der Stimme Deutschlands – die Sanktionen gegen Syrien um ein weiteres Jahr verlängert und erneut verschärft. Die Toten „Die allermeisten der über 450 000 Toten in Syrien sind von Assad und seinen Verbündeten durch Fassbomben und Artillerie umgebracht worden“, schreibt Mützenich und bedient erneut das bekannte Feindbild, wonach „Assad sein Volk tötet“ und seine Verbündeten für den Krieg und das große Sterben in Syrien verantwortlich sein sollen. Das sagt die syrische Opposition, aber entspricht das auch den Tatsachen? Zu den Verbündeten Syriens gehören Russland und der Iran und die libanesische Hisbollah. Diese Verbündeten sind auf Bitten der syrischen Regierung im Land und damit legal. Unter Führung Russlands, das erst im September 2015 militärisch in Syrien eingriff, wurde zwar gezielt und massiv gekämpft. Gleichzeitig hat Russland sich im und mit dem Bündnis wie kein anderer Akteur für Verhandlungen und für Deeskalation eingesetzt. Seit 2014 hat Präsident Assad eine Amnestie erlassen, wonach diejenigen, die ihre Waffen niederlegen und den Kampf einstellen, straffrei bleiben. Das 2012 neu gegründete Ministerium für nationale Versöhnung, geführt von einer oppositionellen syrischen Partei, hat unzählige Verhandlungen zwischen den Fronten vorbereitet und geführt. Russland hat ein „Zentrum für die Versöhnung der verfeindeten Seiten in Syrien“ eingerichtet. Dessen Mitarbeiter waren überall präsent, verhandelten Waffenniederlegungen und vermittelten Waffenstillstände. Warum würdigt Mützenich diese Bemühungen nicht? Er erwähnt sie noch nicht einmal. Stattdessen macht er „Assad und seine Verbündeten“ für „die allermeisten Toten“ verantwortlich. Doch auf welche Quellen beruft er sich, welche Statistiken liegen ihm vor? Und wie viel sind „die Allermeisten“? Wer von Toten in Syrien spricht, muss alle Akteure und Opfer benennen. Während die Opposition fast ausschließlich von getöteten Zivilisten, besonders von getöteten Kindern, sehr selten aber von getöteten Kämpfern spricht, schweigt die andere Seite – der syrische Staat – sich seit 2012 über eigene Opferzahlen weitgehend aus. Kein militärischer Akteur nennt in einem Krieg die tatsächlichen Zahlen der Toten aus den eigenen Reihen. Staaten meiden die Angabe von Zahlen, um die eigene Schwäche zu verbergen. Oppositionelle übertreiben dagegen die Zahlen von getöteten Zivilisten oft, um internationale Empörung, mehr humanitäre Hilfe und im besten Fall ein militärisches Eingreifen zu provozieren. Die Autorin verfolgte in Syrien die Zahlen der getöteten syrischen Soldaten, die 2012 noch täglich veröffentlicht wurden. Damals verließen nach Auskunft eines Arztes bis zu 60 Särge die Militärkrankenhäuser jeden Tag. In der südsyrischen Stadt Sweida wurden täglich bis zu 6 Beerdigungen öffentlich angekündigt. Beerdigt wurden junge Männer, die in den syrischen Streitkräften gedient hatten. Und in der Küstenregion fanden in manchen Dörfern täglich bis zu 10 Beerdigungen statt, berichteten Anwohner. Junge Frauen, die in der Zigarrenproduktion in Latakia beschäftigt waren, berichteten von Massakern in ihren Dörfern, bei denen Brüder, Väter, Ehemänner von bewaffneten Kämpfern ermordet worden waren. Eine Frau, die in einem kleinen Straßencafé arbeitete, berichtete der Autorin, sie habe vier ihrer fünf Söhne in diesem Krieg verloren – alle dienten in der syrischen Armee. Eine Schätzung unterschiedlicher Mitarbeiter von UN- und anderen internationalen Organisationen und von syrischen Politikern in Damaskus, die von der Autorin befragt wurden, kommt zu dem Schluss, dass mehr als ein Drittel der Toten in Syrien Angehörige der syrischen Streitkräfte sind. Ein weiteres Drittel sind Kämpfer der verschiedenen Gruppen, die von der Türkei, dem Westen, den Golfstaaten und Israel bewaffnet und finanziert werden oder wurden. Die Zahl der getöteten Zivilisten könnte ein weiteres Drittel ausmachen, die Zivilisten starben auf beiden Seiten der Frontlinien. Zur Erinnerung – Helmut Schmidt: „Lieber 100 Stunden umsonst verhandeln als 1 Minute schießen.“ Zur Erinnerung an den völkerrechtlichen Umgang mit Syrien sei hier der Artikel 2 der UN-Charta erwähnt, in dem Handlungsgrundsätze für die UN-Mitgliedsstaaten genannt werden. (1) Die Organisation beruht auf dem Grundsatz der souveränen Gleichheit aller ihrer Mitglieder. (3) Alle Mitglieder legen ihre internationalen Streitigkeiten durch friedliche Mittel so bei, dass der Weltfriede, die internationale Sicherheit und die Gerechtigkeit nicht gefährdet werden. (4) Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt. Alle drei Grundsätze werden in Syrien seit 2011 von den USA, den Golfstaaten, Europa und der Türkei missachtet. Auch die mehr als 700 Artillerie- und Luftangriffe Israels auf Syrien brechen diese Grundsätze der UN-Charta und das Völkerrecht. Die UN-Charta verpflichtet die Mitgliedsstaaten ohne Ausnahme zum Frieden. Diplomatie zur Lösung von Konflikten ist nicht „frustrierend“, wie Mützenich meint, sondern ohne Alternative. Diplomatie ist eine Herausforderung, der Politiker sich stellen müssen. Sonst haben sie ihren Auftrag verfehlt. Altkanzler Helmut Schmidt hat das auf eine kurze Formel gebracht: „Lieber 100 Stunden umsonst verhandeln als 1 Minute schießen.“
Karin Leukefeld
Im IPG-Journal der Friedrich-Ebert-Stiftung (SPD) erschien am 18. September eine ausgesprochen flache Kritik am sogenannten „vorschnellen Nein“ der SPD-Führung zur Beteiligung an der geplanten weiteren Militärintervention in Syrien. Da fühlte sich der für die Außenpolitik verantwortliche stellvertretende Fraktionsvorsitzende Mützenich offensichtlich verpflichtet, eine Korrektur nachzuschieben. ...
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[ "Außen- und Sicherheitspolitik", "Audio-Podcast", "Militäreinsätze/Kriege", "SPD", "Strategien der Meinungsmache" ]
01. Oktober 2018 10:21
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Ursula Engelen Kefer: Rüttgers Vorstoß, die Dauer des Arbeitslosengeldes I für ältere Arbeitnehmer bis auf 24 Monate zu verlängern, ist reiner Populismus.
Anstelle populistischer Effekthascherei sollte alles getan werden, das Vertrauen der Arbeitnehmer in die Arbeitslosenversicherung wieder herzustellen, die Beschäftigungschancen älterer Arbeitnehmer zu verbessern und die ungerechte Behandlung älterer Arbeitsloser zu beseitigen. Letzteres darf jedoch nicht auf dem Rücken der Jüngeren abgeladen werden, die angesichts von Strukturwandel und einer falschen Wirtschaftspolitik gleichfalls nicht für ihre Arbeitslosigkeit verantwortlich gemacht werden können. Ein Beitrag der ehemaligen Verwaltungsratsvorsitzenden der Bundesagentur für Arbeit und früheren DGB-Vizechefin Ursula Engelen-Kefer. Rüttgers Bohren in der Gerechtigkeitswunde Von Ursula Engelen-Kefer Das Erstarken rechtsradikaler Parteien – wie zuletzt der Einzug der NPD in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern – und die Zunahme der „Partei“ der Nichtwähler sollte für die Politik ein deutliches Alarmzeichen sein. Die Verunsicherung breiter Bevölkerungsschichten über die als ungerecht empfundenen Reformen – so zeigen letzte Umfragen – führt zu wachsenden Zweifeln am Funktionieren unserer Demokratie und schürt Zukunftsängste bei Alt und Jung. Die etwas bessere Wirtschaftskonjunktur mit höheren Steuereinnahmen, leichten Zuwächsen bei der Beschäftigung und einem Rückgang bei der Arbeitslosigkeit sollten zu einer nüchternen Analyse genutzt werden, um die Reformpolitik vom „Kopf auf die Füße“ zu stellen. An Stelle Arbeitnehmer, Arbeitlose, Kranke und Rentner immer mehr zur Ader zu lassen, müssen unumgängliche Anpassungslasten zumindest gerecht in der Gesellschaft verteilt werden. Gerade eine Große Koalition sollte mit ihrer Zweidrittelmehrheit dazu die notwendige Kraft haben und auch einsetzen können. Für viele Arbeitnehmer sind die widersprüchlichen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungen schwer nachvollziehbar: die Gewinne der DAX-Unternehmen steigen, die Steuern sprudeln, bei der Bundesagentur für Arbeit gibt es aller Voraussicht nach einen zweistelligen Milliarden-Überschuss. Und im Kontrast dazu ist die Übergangsfrist bei der Verkürzung des Bezuges von ALG I für ältere Arbeitnehmer ausgelaufen. In Zukunft werden Arbeitnehmer bis zum Alter von 55 Jahren bereits nach einem Jahr Arbeitslosigkeit zu Hartz IV-Empfängern und die über 55-jährigen stehen nach 18 Monaten vor diesem schmerzhaften sozialen Absturz. In der Vergangenheit wurde die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes für über 45-Jährige stufenweise bis auf 32 Monate erhöht. Danach gab es für diese Altersgruppe einen Anspruch auf zeitlich unbegrenzte Arbeitslosenhilfe. Diejenigen, die lange Jahre gearbeitet und Beiträge geleistet sowie ordentlich ihre Steuern bezahlt hatten, wurden somit vielfach vor dem für sie schmachvollen Gang zum Sozialamt bewahrt. Nun gibt es das berechtigte Argument, dass die lange Bezugsdauer von ALGI und die unbegrenzte Leistung der ehemaligen Arbeitslosenhilfe der „Verjüngungspolitik“ in den Unternehmen zu Lasten der Sozialversicherung Vorschub leistete. Die im europäischen und internationalen Vergleich außerordentlich niedrige Erwerbsbeteiligung der über 50-Jährigen und noch mehr der über 55-jährigen Arbeitnehmer – gerade einmal ein Drittel – sowie der hohe Anteil der Älteren an der Arbeitslosigkeit – über ein Viertel – sind handfeste Hinweise auf das immer frühere Herausdrängen Älterer aus dem Erwerbsleben. Hier müsste daher zuallererst angesetzt und die Wirtschaft zu einem sozial und ökonomisch verantwortlichen Umgang mit älter werdenden Arbeitnehmern veranlasst werden. Werden die Daumenschrauben allerdings – wie das jetzt geschieht – in erster Linie bei den älteren Arbeitnehmern selbst angezogen – durch die drastische Verkürzung der Bezugsdauer von ALG I und durch den Zwang in die vielfach entwürdigende Hartz IV-Situation, also den Abstieg in die Sozialhilfe, macht man die Opfer der „Verjüngungspolitik“ auch noch zu gedemütigten Tätern. Jedem Politiker, der dies noch nie getan hat, ist anzuraten, sich einmal im Jobcenter Berlin-Neuk ölln in die Schlange der ALG II-Empfänger aus unterschiedlichsten sozialen Milieus und verschiedenster Erwerbsbiografien einzureihen. Auch die Lektüre der anonymen „Amtsbriefe“ – mit denen ohne Ansehen des Einzelfalls die Aufgabe der Wohnung erzwungen wird – würde manchen die Augen öffnen. Wie muss sich zum Beispiel ein ehemaliger Maschinenschlosser fühlen, der 35 Jahren hart „malochte“ und ordentlich seine Steuern und Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zahlte, der dann wegen Betriebsaufgabe den Job verlor, und trotz hunderten von Bewerbungen –weil zu alt – nicht mehr eingestellt wurde? Hier ist die CDU in NRW ohne Zweifel bei vielen Arbeitnehmern, die „ihr Leben lang die Knochen hingehalten haben“, in eine immer noch schmerzende Gerechtigkeitswunde gestoßen. Sie hat den Nerv vieler Arbeitnehmer und Arbeitslosen getroffen, wenn sie jetzt vorschlägt, die Dauer des Arbeitslosengeldes I für diejenigen bis auf 24 Monate zu verlängern, die mehr als 15 Jahre lang in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben. Natürlich wäre ein solcher Vorschlag glaubwürdiger, wenn Ministerpräsident Rüttgers auch sagen würde, wie hoch die zusätzlichen finanziellen Belastungen für die Arbeitslosenversicherung wären, und vor allem wer sie finanzieren soll. Dabei werden die zusätzlichen Kosten der Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I sowie der erweiterten Anrechnung des Schonvermögens auf über eine Mrd. Euro geschätzt. Dieser Sinneswandel der CDU ist höchst erstaunlich, denn gerade aus ihren Reihen kamen zu Zeiten von Rot-Grün immer wieder die schärfsten Kürzungsforderungen beim ALG I und die lautesten Drohgebärden gegenüber Arbeitslosen. Zudem war es vor allem CDU-Unterhändler Roland Koch, Ministerpräsident von Hessen, im Vermittlungsausschuss zu Hartz IV zu „ verdanken“, dass zusätzliche Verschärfungen für ALG II-Empfänger durchgesetzt wurden. Vor diesem Hintergrund kommt es nicht überraschend, dass sich nach Rüttgers Vorstoß sogleich Freunde in der Schwesterpartei CSU meldeten und Aufkommensneutralität für jede Änderung beim ALG I-Bezug anmahnte. Dies heißt im Klartext nichts anderes, als dass die verlängerten ALG I-Leistungen für Ältere zu geringeren Leistungen für Jüngere führen würden. Dies würde die Existenzängste jüngerer Arbeitnehmer und ihrer Familien verstärken und den Generationenkonflikt verschärfen. . Wenn Rüttgers es mit seinem plötzlich entdeckten sozialen Gewissen für die Arbeitslosen wirklich ernst meinte, müsste er noch viel Überzeugungsarbeit in den eigenen Reihen leisten. Bislang ist sein Vorschlag für die verunsicherten Arbeitnehmer und die Arbeitslosen ein „Danaergeschenk“, weil es Hoffnungen weckt und die Spaltung zwischen Jüngeren und Älteren vertiefen könnte. Das im Zusammenhang mit dem kommenden CDU Parteitag soziale Pathos könnte in einer weiteren Enttäuschung für die Menschen enden. In Anbetracht der verbesserten Finanzlage von Bundesregierung – und vor allem auch der Bundesagentur für Arbeit- sind im Interesse der Arbeitnehmer und der Glaubwürdigkeit der Politik genauso wenig populistische Geschenke wie die schroffe Zurückweisung einer Verlängerung des ALG I-Bezuges für ältere Arbeitnehmer zu rechtfertigen. Bei so einschneidenden Veränderungen – wie sie durch Hartz IV herbeigeführt wurden – ist es wahrlich keine Schande, wenn sich die Politik zu notwendigen Korrekturen entschließen würde. Dazu gehört in jedem Fall die Verlängerung des ALG I- Bezuges für ältere langjährig Beschäftigte, allerdings ohne eine Verschlechterung der Leistungen für die Jüngeren. Auch ein dreißigjähriger Arbeitnehmer muss in unserem grundgesetzlich verankerten Sozialstaat das Recht haben, im Fall der Arbeitslosigkeit die Existenz für sich und seine Familie zu sichern. Will die Politik tatsächlich die Existenzsorgen jüngerer Arbeitnehmer und ihrer Familien verschärfen? Zur Finanzierung brauchten noch nicht einmal die Überschüsse bei der BA in Anspruch genommen werden. Ein stufenweises Abschmelzen des fragwürdigen Aussteuerungsbetrages von 4 bis 5 Mrd. Euro – 10 000 Euro pro Arbeitslosen, der nicht nach 12 Monaten vermittelt werden konnte – könnte hierzu ebenfalls finanziellen Spielraum bieten. Damit würden diese Mittel wieder denjenigen zugute kommen, die sie aufgebracht haben und wegen ihrer altersbedingt länger andauernden Arbeitslosigkeit am nötigsten brauchen. Völlig absurd wäre es, wenn der Aussteuerungsbetrag auch noch auf 14 000 Euro angehoben werden sollte, wie es offensichtlich von einigen „Haushältern“ in Regierung und in den Fraktionen des Bundestags vorgesehen war. Vorschläge, für langjährig Beschäftigte und versicherte Arbeitslose den Aufstockungsbetrag beim Übergang vom ALG I auf ALG II zu erhöhen, wäre nur die zweitbeste Lösung. Dies würde die finanzielle Not ein wenig lindern können, jedoch nichts an dem oft entwürdigenden „tiefen Fall“ auf den Hartz IV-Sozialhilfestatus verhindern. Wenn die Politik jetzt vor dem Hintergrund der hohen Überschüsse der BA (über 10 Mrd. Euro) die Beiträge zur BA nicht, wie bisher geplant um 2 Prozent, sondern um 2,3 Prozent absenken will, geht sie überdies ein hohes Risiko ein. Da nur ein Prozent der Beitragssenkung über die Erhöhung der Mehrwertsteuer ausgeglichen werden soll, muss die BA die Absenkung von 1,3 Prozent selbst finanzieren. Hierbei handelt es sich um den stolzen Betrag von ebenfalls etwa 10 Mrd. Euro. Überschüsse in dieser Größenordnung lassen sich aber in den weiteren Jahren nur dann erzielen, wenn das derzeitige Wirtschaftswachstum über Jahre anhielte – eine Annahme, die schon für das nächste Jahr nach den meisten Konjunkturprognosen in Frage gestellt wird. Darüber hinaus ist nach dem „Preis“ für die hohen Einsparungen bei der BA zu fragen: Ein Teil ist sicherlich den wirksamen Organisationsreformen zur Verbesserung der Arbeitsvermittlung zuzurechnen und sollte auch fortgeführt werden. Eine offene Flanke bleibt jedoch auch für die ALG I-Empfänger die bislang unbefriedigende Eingliederung der benachteiligten Personengruppen – Geringqualifizierte, Behinderte und wiederum vor allem die Älteren. Hier gibt es ohne Zweifel Nachholbedarf mit finanziellen Anforderungen. Der politischen Glaubwürdigkeit würde es dienen, wenn diese für viele Arbeitslose schmerzliche Lücke bei der beruflichen Eingliederung geschlossen werden könnte. Umgekehrt würde die Politik und die BA noch mehr Schaden leiden, wenn in den nächsten Jahren weitere finanzielle Löcher aufgerissen und die arbeitsmarktpolitischen Leistungen zusammengestrichen würden. Verlässlichkeit und Beständigkeit sind auch bei Arbeitslosenversicherung und Arbeitsmarktpolitik am ehesten geeignet, weitere Verunsicherung vieler Arbeitnehmer zu verhindern. Notwenig ist, anstelle populistischer Effekthascherei alles dafür zu tun, die Beschäftigungschancen älterer Arbeitnehmer zu verbessern und die ungerechte Behandlung älterer Arbeitsloser zu beseitigen. Dies darf jedoch nicht auf dem Rücken der Jüngeren abgeladen werden, die angesichts von Strukturwandel und Abbau von Arbeitsplätzen gleichfalls nicht für ihre Arbeitslosigkeit verantwortlich gemacht werden können.
Ursula Engelen-Kefer
Anstelle populistischer Effekthascherei sollte alles getan werden, das Vertrauen der Arbeitnehmer in die Arbeitslosenversicherung wieder herzustellen, die Beschäftigungschancen älterer Arbeitnehmer zu verbessern und die ungerechte Behandlung älterer Arbeitsloser zu beseitigen. Letzteres darf jedoch nicht auf dem Rücken der Jüngeren abgeladen werden, die angesichts von Strukturwandel und einer ...
[ "Rüttgers, Jürgen", "Reformpolitik", "Verteilungsgerechtigkeit" ]
[ "Arbeitslosigkeit", "Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik", "Generationenkonflikt" ]
07. November 2006 17:11
https://www.nachdenkseiten.de/?p=1841
Hannes Sies
Hannes Sies schreibt als Autor für NachDenkSeiten, Demokratisch-links, Scharf Links, Telepolis, Le Bohemien, Neue Rheinische Zeitung und andere. Buchbeitrag in: K.-J. Bruder/A. Bruder-Bezzel: Macht – Wie die Meinung der Herrschenden zur herrschenden Meinung wird, Westend Verlag, 2021.
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11. August 2022 10:08
https://www.nachdenkseiten.de/?gastautor=hannes-sies
Unsere Medien – seit 2014 auf seltsame Weise umgedreht
Wie wir werden Sie auch vielen Menschen begegnen, die unhinterfragt glauben, was ihnen heute zum Gesamtkomplex Ukraine/Russland/NATO/USA aufgetischt wird. Wenn diese Ihre Mitmenschen noch ein bisschen bereit sind, hinzuschauen und zuzuhören, dann zeigen Sie ihnen doch zwei einschlägige Dokumente: ein Video mit Ausschnitten aus Monitorsendungen aus dem Jahr 2014 und einen Artikel der Süddeutschen Zeitung von 2019 über die Hintergründe der Wahl des jetzigen Präsidenten der Ukraine, Selenski. Albrecht Müller. Es ist erstaunlich, es ist fantastisch und bedrohlich, wie völlig anders die Mehrheit unserer Medien nur wenige Jahre später ausgerichtet ist. Da ist offensichtlich viel Medien- und PR-Arbeit geleistet worden. Es fällt im Video auch auf, wie anders, um wieviel differenzierter auch die zitierten Wissenschaftler und Experten damals noch gesprochen haben.
Albrecht Müller
Wie wir werden Sie auch vielen Menschen begegnen, die unhinterfragt glauben, was ihnen heute zum Gesamtkomplex Ukraine/Russland/NATO/USA aufgetischt wird. Wenn diese Ihre Mitmenschen noch ein bisschen bereit sind, hinzuschauen und zuzuhören, dann zeigen Sie ihnen doch zwei einschlägige Dokumente: ein Video mit Ausschnitten aus Monitorsendungen aus dem Jahr 2014 und einen Artikel der Süddeutsch ...
[ "Monitor", "Selenskyj, Wolodymyr", "SZ", "Ukraine" ]
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05. März 2022 16:09
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„Vielen Dank für Ihre unermüdliche Aufklärungsarbeit“, schrieb gerade in den letzten Tagen eine unserer Leserinnen. Die Nutzung des Mediums NDS und die Zustimmung wächst. Die NachDenkSeiten ziehen weitere Kreise. Das freut uns schon deshalb, weil damit die Chance größer wird, dass Sie als Leserin und Leser auf ähnlich gut informierte und kritische Zeitgenossen treffen und sich austauschen können. Diese Chance wollen wir erhöhen. Dazu unten mehr. Wir danken für die bisherige Unterstützung des Fördervereins und bitten zugleich jetzt wie in jedem Jahr um eine besondere Spende. Die Arbeit der NachDenkSeiten wird durch Tausende von Kleinspendern finanziert. Regelmäßige Großspender oder institutionelle Spender gibt es nicht. Damit ist die Unabhängigkeit unserer Redaktion garantiert. Das ist großartig. Aber wir kommen nur über die Runden, wenn sich möglichst viele NachDenkSeiten-Nutzer zur Jahreswende einen besonderen Ruck geben. Wir bitten unsere bisherigen Spender um einen großzügigen Aufschlag. Und wir bitten vor allem jene, die sich bisher noch nicht zur finanziellen Unterstützung entschließen konnten, dies jetzt zu tun, einmalig und regelmäßig. Wir sprechen damit nur jene Leserinnen und Leser an, die sich eine Unterstützung finanziell leisten können. Alle anderen sollen wie bisher ohne schlechtes Gewissen unsere Texte lesen können. Diese Solidarität der Spendenden mit den anderen war bisher möglich und so soll es auch weiter sein. Damit Sie sich ein bisschen an anderen Kosten zur Information orientieren können, schreiben wir hier auf, was die Nutzer anderer Medien bezahlen müssen: Vergleichen Sie jetzt einfach mal, was die NachDenkSeiten z.B. am 14.11.2019 alleine in der Zusammenstellung „Hinweise des Tages“ bieten. Dazu kommen unsere eigenen Beiträge und Artikel von Gastautoren. Dank Ihrer bisherigen Unterstützung konnten wir verschiedene Leistungen ausbauen – beispielsweise das Videoangebot, die Möglichkeit zum Ausdrucken gestalteter Artikel, die Zusammenstellung und Veröffentlichung von Leserbriefen, die Betreuung von Gesprächskreisen usw. „Einzeln sind wir Worte, zusammen ein Gedicht“ Auffallend oft schreiben uns Leserinnen und Leser, sie seien froh, dass es die NachDenkSeiten gibt. Sie fühlten sich deshalb nicht mehr so alleine. Wir können das gut nachempfinden. Denn wir wissen aus eigener Erfahrung, dass erstaunlich viele Menschen davor zurückschrecken, das politische Geschehen und die etablierten Medien kritisch zu hinterfragen. Sie wollen dazugehören. Manche reagieren abweisend bis aggressiv auf Versuche, die Zusammenhänge kritisch und korrekt darzustellen. Deshalb wollen wir daran arbeiten, ein eigenes Milieu, eine Heimat für jene aufzubauen, die sich den kritischen Verstand und damit auch die Freiheit ihres Denkens erhalten haben und weiter erhalten wollen. Das kostet Kraft und kostet Geld. Aber wir wollen es schaffen, mit Ihnen, den NachDenkSeiten-Leserinnen und -Lesern zusammen diese kritische Gegenöffentlichkeit aufzubauen. Auch diesem Ziel dient Ihre finanzielle Unterstützung. Hier noch einmal der Weg zur Spende. Herzliche Grüße
Redaktion
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[ "in eigener Sache", "Spendenaufruf" ]
[ "Aufbau Gegenöffentlichkeit" ]
15. November 2019 9:20
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Aktuelles
Im Kalten Krieg existierten in Westeuropa zahlreiche Untergrundorganisationen, die im Fall eines sowjetischen Überfalls hinter der Front als Partisanen Sabotageaktionen ausführen sollten. Dazu wurden Kämpfer geschult und geheime Erddepots mit Waffen, Sprengstoff und Funkgeräten angelegt. In der Bundesrepublik unterstand diese Stay-Behind-Truppe dem Auslandsnachrichtendienst BND, der eigentlich im Inland gar nicht aktiv werden sollte. Das alles geschah hinter dem Rücken der dafür zuständigen parlamentarischen Kontrollgremien, denn auch ein möglicher Putsch gegen gewählte Politiker wurde erwogen. Erst Anfang der 1990er Jahre flogen die illegalen Netzwerke auf und es dauerte mehr als 20 Jahre, bis der BND Akten zu diesen freigab. Über den aktuellen Forschungsstand zum Thema sprach Jens Wernicke mit dem Filmemacher und Journalisten Ulrich Stoll, der gemeinsam mit dem Geheimdienstexperten Erich Schmidt-Eenboom soeben ein Buch zum Thema veröffentlicht hat.
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27. November 2015 10:05
https://www.nachdenkseiten.de/?cat=105&paged=47
Die Existenzkrise der EU
Nach der Entscheidung vom 23. Juni verlässt mit Großbritannien erstmals ein Mitgliedsland die EU. Auch Linke sprachen sich in der vorausgegangenen Kampagne für den Austritt aus. Einige sehen im Brexit bereits den Beginn der Auflösung der Union, da weitere Länder diesem Beispiel folgen könnten. Die andauernde Krise um Griechenland offenbart exemplarisch die Schwächen des Eurosystems: Statt zu sozialer und ökonomischer Konvergenz unter den Euroländern beizutragen, führt es zur Auseinanderentwicklung von Löhnen und Produktivität. Neben Griechenland sind auch Portugal, Spanien und selbst Italien hiervon betroffen. In einigen Ländern mehren sich daher bereits die Forderungen, nicht nur die Eurozone, sondern auch die EU zu verlassen. Es sei dringend an der Zeit, offensiv „Gegen eine EU der Banken und Konzerne und für Solidarität und Demokratie“ einzutreten, meint auch Winfried Wolf, Autor von „Die griechische Tragödie. Rebellion, Kapitulation, Ausverkauf“ und Chefredakteur von Lunarpark21 – Zeitschrift zur Kritik der globalen Ökonomie, im Interview mit Jens Wernicke. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Podcast: Play in new window | Download Herr Wolf, Sie sind einer der herausgebenden Autoren von „FaktenCheck: Europa“, einer Zeitschrift, die gerade mit der zweiten Ausgabe erschien und in ganz Deutschland verteilt wird. Worum geht es dabei? „Europa“ bzw. die „Europäische Union“ sind ja Begriffe, die von vielen Mythen und Legenden umrankt sind. Eine dieser Legenden ist die Gleichsetzung des geographischen Begriffs mit der politischen Einheit EU, die wiederum in der Namensgebung eine „Union“ für ganz Europa, also einschließlich Schweiz, Norwegen, Island und vor allem Ukraine, Weißrussland und Russland, behauptet. Noch ohne Berücksichtigung des Brexit steht die EU mit 508 Millionen Einwohnern allerdings nur für gut 60 Prozent der europäischen Bevölkerung mit 820 Millionen Einwohnern. Nach vollzogenem Brexit werden es nur noch rund 55 Prozent sein. Es handelt sich dabei übrigens um dasselbe Konstrukt, das auch mit der Staatenbundbezeichnung „USA“ praktiziert wird. Wobei wir hier in der Regel mit der Begrifflichkeit „US-amerikanisch“ in aller Regel noch die Anmaßung zu relativieren versuchen, dass „Amerika“ sich ausschließlich auf die USA beschränkt. Ein weiterer Mythos, der mit „Europa“ und der „EU“ verbunden ist, bezieht sich auf die griechische Götterwelt und die in dieser auftretenden Gestalt Europa, der heimlichen Geliebten von Zeus. Eng damit zusammenhängend gibt es dann die vielfach vorgetragene Behauptung, die EWG, später die EG und heute die EU stünden für Demokratie, wobei in jüngerer Zeit hinzugefügt wird, dass schließlich die „Wiege der Demokratie“ in Griechenland zu finden sei. Liest man die Gründungstexte der EU, also die Römischen Verträge aus dem Jahr 1957 als Grundlage der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft EWG, fällt allerdings auf, dass die Worte „Demokratie“ oder „demokratisch“ dort gar nicht vorkommen. Erst im Maastrichter Vertrag – inzwischen als „Vertrag über die Europäische Union“ bezeichnet – gibt es ein Bekenntnis zu den „Grundsätzen der Freiheit, der Demokratie und der Achtung der Menschenrechte“. Was davon allerdings zu halten ist, hat die Sendung „Die Anstalt“ in ihrer Folge „Grand Hotel Europa“ wunderbar seziert. In einem Satz: Demokratie ist, was die Eliten darunter verstehen. Da geht es dann folgelogisch primär um Profite und kaum überhaupt mehr um soziale Standards und Lebensabsicherung. Beispielsweise in Griechenland, zu welchem Sahra Wagenknecht im NachDenkSeiten-Interview bereits vor einiger Zeit konstatierte: „Von Demokratie kann in Griechenland keine Rede mehr sein.“ So ist es, Demokratie wird zunehmend nur noch als „Standortnachteil“ und Wirtschaftsbremse interpretiert und überall dort bekämpft, wo sie die Profite der Reichen und Mächtigen bedroht. Und was in Griechenland geschah und noch immer geschieht, ist, davon dürfen wir ausgehen, auch nur ein autoritär-neoliberaler Testballon, dessen Etablierung nur die Probe ist, derlei Entrechtung der arbeitenden Bevölkerung auch andernorts in der EU zu etablieren. Winfried Wolf: Griechenland unterm Hammer: Scheitern des Reformismus? Viele behaupten aber, die Bevölkerung in Griechenland hätte das so gewollt – und überhaupt sei alternativlos, was dort aktuell geschieht. Beide Aussagen sind falsch. 2015 erlebte Griechenland eine Art demokratisches Desaster: Dort sagte der demos, das Volk, im Referendum vom 5. Juli, mit 61,3 Prozent „Ochi“, also „Nein“ zu einem weiteren „Memorandum“, einem dritten Spardiktat der EU. Doch die Europäische Union bzw. die EU-Institutionen in Brüssel und die Bundesregierung in Berlin ignorierten diese Entscheidung souverän und zwangen der griechischen Regierung am 13. Juli 2015 eben ein solch neues, nochmals härteres Spardiktat auf. Gegen das klare Votum der Bevölkerung hiergegen, eine Tatsache, die gern in Vergessenheit gerät. Vor diesem Hintergrund ist es im Übrigen grotesk, dass der scheidende US-Präsident Barack Obama am 15. November in Athen eine Rede zum Thema Demokratie hielt, die er als eine Art Vermächtnis seiner Amtszeit ansieht. Er ging in der Rede nicht auf das Referendum ein und auch nicht darauf, dass die USA damals, vermittelt über ihren starken Einfluss auf den IWF, es in der Hand gehabt hätten, eine solche Verletzung elementarer Demokratie-Grundsätze zu verhindern. Hier ist im Übrigen der Vergleich mit Großbritannien interessant. Am 23. Juni 2016 sprach sich mit 51,9 Prozent der Stimmen eine wesentlich knappere Mehrheit für den wesentlich weiterreichenden Schritt eines Austritts aus der EU aus. Doch seither sind sich alle relevanten Kräfte in der EU und in Großbritannien einig: Brexit heißt Brexit. Die unterschiedliche Bewertung der zwei angeführten Referenda hat offensichtlich wenig mit Demokratie und viel mit wirtschaftlichem Gewicht zu tun. Etwas, das im Übrigen auch bereits Anfang der 1990er Jahre demonstriert wurde, als die Däninnen und Dänen solange über den Maastrichter Vertrag abstimmen mussten, bis das Ergebnis im Sinne der Mainstream-EU passend war. Und was dann vor wenigen Wochen nochmals verdeutlicht wurde, als die wallonische Regionalregierung, die gewagt hatte, CETA abzulehnen, solange gegrillt wurde, bis sie sich eines Schlechteren besann. Vor dem Hintergrund dieser immer deutlicher zutage tretenden antidemokratischen Entwicklungen, die beständig von Propaganda begleitet werden, die den europäischen Bevölkerungen den Geist vernebeln soll, hatten ein paar Freunde und ich im Frühjahr 2015 die Publikation Faktencheck: HELLAS ins Leben gerufen, die mit ihren fünf Ausgaben eine addierte Auflage von immerhin 240.000 Exemplaren erreichte und mit Übersetzungen in fünf Sprachen erschien. Unser Folgeprojekt FaktenCheck: EUROPA erschien mit der ersten Ausgabe bewusst zum Jahrestag des Griechenland-Referendums, Anfang Juli 2016, und trägt den Untertitel: „Gegen eine EU der Banken & Konzerne – für Solidarität und Demokratie“. Denn es muss etwas geschehen gegen diese EU der Konzerne, die sich mehr und mehr abzeichnet, und wir bemühen uns hier um Aufklärung sowie die Widerlegung von Mythen und Propaganda, die dringend notwendig erscheint. Und überhaupt ist „die EU“ kein linkes Projekt und war das auch nie… Inwiefern? Nun, historisch… Die Römischen Verträge mit dem Vorläufer der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl stehen in einer langen Tradition deutscher Eliten-Politik. Nur wenige Wochen nach Beginn des Ersten Weltkriegs, am 7. September 1914, formulierte der AEG-Industrielle Walter Rathenau: Und in einer Denkschrift des Auswärtigen Amtes vom 9. September 1943 wurde formuliert: Das heißt: Aufgeklärte deutsche Unternehmer wollten bereits im Ersten Weltkrieg – und wohlgemerkt als Resultat des Angriffskriegs! – eine „Union des alteuropäischen Körpers“ unter deutscher Dominanz schaffen. Dieses Ziel wurde vom NS-Regime auch mit dem Zweiten Weltkrieg verfolgt. Natürlich gab es gewaltige Brüche in der deutschen Geschichte; ich will hier nicht behaupten, dass sich die EU direkt aus den im Ersten und Zweiten Weltkrieg formulierten Kriegszielen ableiten ließe. Dennoch gibt es eben diese lange Tradition von „Europastrategien des deutschen Kapitals“ – so ja auch der Titel einer 1100-seitigen Dokumentensammlung, die Reinhard Opitz zusammengestellt hatte und der die beiden Zitate entnommen sind. In welcher Situation befindet sich die EU heute und wie bewerten Sie den innerlinken Streit, ob mit dieser EU, wie wir sie haben, eine linke Utopie jemals verwirklichbar sein wird? Ich bin mir unsicher, ob es jemals größere linke Utopien gab, die sich mit den Projekten EWG, EG und EU verbanden. Es war wohl vielmehr so, dass die Linke den Prozess der behaupteten europäischen Einigung zur Kenntnis nahm und diesen dann weder kritisch noch euphorisch begleitete; die Marxistinnen und Marxisten sahen hierin wohl eine Art objektive Tendenz des Kapitals. Es gab ja auch ein Vierteljahrhundert lang kaum eine Debatte darüber, dass diese EU keinerlei demokratische Legitimation hatte. Die erste Europawahl fand 1979 statt Wenn die Sozialdemokratie und die Friedrich-Ebert-Stiftung in den 1970er und 1990er Jahren in größerem Maß in der EG bzw. in der EU aktiv wurden, dann gingen damit damals bereits problematische und wenig demokratische Tendenzen einher. So ging es bei entsprechenden Interventionen in Spanien und Portugal etwa darum, gegen die starken Positionen der jeweiligen Kommunistischen Partei und der kommunistisch geprägten Gewerkschaften, die erhebliche Verdienste im Kampf gegen das Caetano-Regime und gegen den Franco-Faschismus errungen hatten, mit viel Geld anzugehen, starke sozialdemokratische Parteien aufzubauen und für einen Eintritt in die EU und eine Stärkung der Nato zu werben. Die derart aufgebauten sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien müssen heute als extrem korrupt und als machtversessen bezeichnet werden. Eine wirkliche innerlinke Debatte über die EU entwickelte sich dann erst in den 1990er Jahren, weitgehend als Reaktion auf den Maastrichter Vertrag. In den 1990er Jahren zeigte sich auch, dass ausgerechnet die EU in Europa spalterisch auftrat: Es waren die EU im Allgemeinen und die deutsche Regierung im Besonderen, die maßgeblich dazu beitrugen, dass damals Jugoslawien in ein halbes Dutzend Einzelstaaten aufgespalten, die gesamte Region in Kriege und Bürgerkriege gestürzt und der Lebensstandard der dort lebenden Menschen teilweise drastisch gesenkt wurde. Das war besonders tragisch, weil es mit der strikt föderal ausgerichteten Bundesrepublik Jugoslawien immerhin ein halbes Jahrhundert lang geglückt war, die Region Balkan, auf der sich zuvor mehr als 150 Jahre lang unterschiedliche Volksgruppen blutig bekämpft hatten, zu befrieden, wofür auch mehr als sieben Millionen interethnische Mischehen Zeugnis ablegten. Der Höhepunkt dieses spalterischen Vorgehens der EU auf dem Balkan war dann der völkerrechtswidrige Kosovo-Krieg, in dem deutsche, britische, italienische, französische und spanische Kampfflugzeuge – zusammen mit dem „Marktführer“ auf diesem Gebiet, den USA – überwiegend zivile Strukturen mit Bomben belegten. Es ist bezeichnend, dass der einzige echt europäische Konzern, den es bislang überhaupt gibt, als Resultat dieses Krieges entstand – und dass es sich dabei mit EADS um einen Rüstungskonzern handelt. Es war im Übrigen der Ex-BND-Agent Erich Schmidt-Eenbohm, der im Detail darlegte, dass der deutsche Geheimdienst BND im Verbund mit den Geheimdiensten Österreichs und Italiens seit dem Tod von Marschall Tito im Jahr 1980 systematisch auf eine Aufspaltung Jugoslawiens hingearbeitet hatte, um dann in den 1990er Jahren schließlich Vollzug melden zu können. In seinem Buch „Der Schattenkrieger – Klaus Kinkel und der BND“ stellt Schmidt-Eenboom fest: So sehr die Aufspaltung Jugoslawiens eine Scheidewende und der Kosovo-Krieg einen Tabubruch darstellten, so gab es damals in der EU doch gleichwohl nur erste Risse, die auf eine kommende, umfassende Krise hindeuteten. Nochmals zwei Jahrzehnte später erleben wir jedoch eine tiefe ökonomische, soziale und politische Krise dieser EU, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schließlich zu einem Aufbrechen der Eurozone, zu einem Ende des Euro als Einheitswährung für eine große Zahl von EU-Mitgliedsländern und möglicherweise sogar zu einer Auflösung der EU führen wird. Zum Thema EU gibt es eine rege linke Debatte. Die Positionen, soweit ich sie nachzuvollziehen vermag, sind „Wer gegen die EU ist, ist völkisch und nationalistisch; wir müssen für eine soziale EU streiten“ auf der einen und „Mit dieser EU ist nichts Soziales mehr zu realisieren, wer diese Mär weiter kolportiert, macht sich mit der Macht der Banken und Konzerne und den diese schützenden Legenden nur gemein“ auf der anderen Seite. Oskar Lafontaine hat diesbezüglich schon vor Längerem ein „Ende des Euro“ gefordert. Wie bewerten Sie diesen Disput? Wir sollten die Themen Euro und EU voneinander trennen. Eine Debatte über die EU als Ganzes mit der Forderung, aus dieser auszutreten, fand bislang hierzulande kaum statt. Das britische Ja zum Brexit hat jetzt auch diese Debatte auf die Tagesordnung gesetzt. Dabei entschied das Thema EU in der Ukraine über Krieg und Frieden. Es war dort die 2013/14 von Brüssel und Berlin ultimativ vorgetragene Forderung, das Land solle in die EU eintreten und gleichzeitig die privilegierten Beziehungen zu Russland aufgeben, die zur Spaltung des Landes und zu den bekannten kriegerischen Auseinandersetzungen geführt hatten. Das Brexit-Ja in Großbritannien wiederum kann noch enorme Turbulenzen bewirken. In Schottland wurde damit die Forderung nach Abspaltung vom United Kingdom erneut auf die Tagesordnung gesetzt. In Bälde könnte sich auch die Forderung nach einer Einheit Irlands stellen. Immerhin gestatteten die EG/EU, dass es mit Großbritannien einen Mitgliedsstaat gibt, der sich mit Nordirland faktisch eine innereuropäische Halbkolonie hält. Übrigens wurden in den Römischen Verträgen in einem „Annex IV“ mehr als ein halbes hundert „Überseegebiete“ aufgeführt, für die der EWG-Vertrag ganz oder in Teilen Gültigkeit haben sollte. Es handelte sich dabei überwiegend um Kolonien und Halbkolonien der EWG-Mitgliedstaaten – zum Beispiel Belgisch-Kongo oder Französisch-Äquatorial-Afrika oder das zu den Niederlanden gerechnete Neu Guinea. Es waren dann nicht hehre europäische Prinzipien, die zur Entkolonialisierung geführt hatten, sondern der antikoloniale Kampf der betreffenden Völker. Völlig übersehen in der grundsätzlichen Debatte EU Ja oder Nein wird, dass diese Frage für ein europäisches Land jüngst existentielle Bedeutung erhielt: für Island. Dieser Inselstaat stand vor einem Jahrzehnt an der Schwelle zu einem EU-Beitritt. Dann geriet Island in eine hausgemachte Finanzkrise. Das Land konnte die Krise in nur vier bis fünf Jahren überwinden – mit Maßnahmen wie einer drastischen Abwertung der Währung und der Verstaatlichung des Bankensektors. Als EU-Mitgliedsland oder gar Eurozonenland hätte Island deutlich weniger Chancen gehabt, die Krise zu bewältigen. Dies wird deutlich, wenn man die beiden Inselstaaten Island und Zypern miteinander vergleicht: Zwei weitgehend gleich große Inselrepubliken, beide gerieten in eine hausgemachte Finanzkrise. Island konnte sich, wie beschrieben, aus eigener Kraft aus dieser Krise befreien. Im EU-Land Zypern, zugleich Mitglied der Eurozone, kam es nach Ausbruch der Krise zu massiven Interventionen seitens der EU und der Troika. Das Land wurde zu einem Sparprogramm gezwungen, ähnlich den Memoranden, die Griechenland auferlegt wurden. Das Ergebnis ist eine ständig steigende Arbeitslosenquote – von 2010 auf 2015 etwa von 6,3 auf 16 Prozent – eine Verdopplung der öffentlichen Schulden und deutliche Einschnitte beim Lebensstandard der Bevölkerung. Wie dies von Leuten wie Flassbeck, Lafontaine oder Wagenknecht immer wieder richtig betont wird, spielt der Euro für die Eurozonen-Peripherie-Länder eine die Krisentendenzen verschärfende Rolle. Das ist inzwischen so deutlich, dass auch Linke, die am Euro festhalten wollen, das einräumen. Der Parteichef der LINKEN, Bernd Riexinger, sagte jüngst: An sich ist das ja eine klare Ansage, die klare Kante erfordern sollte. Doch Riexinger argumentiert im Anschluss: Tatsächlich können wir Riexingers wesentliche Aussage, wonach mit dem Euro „die Schwachen schwächer und die Starken stärker“ werden, auf drei Ebenen konkretisieren: hinsichtlich der sozialen, der ökonomischen und der politischen Realität. Soziale Realität: Wir haben inzwischen in allen Peripheriestaaten der Eurozone – und dazu zähle ich Frankreich, Spanien, Portugal, Irland, Italien, Zypern und Griechenland – eine deutlich überproportionale Arbeitslosenquote. Vor allem haben wir dort eine skandalös hohe Jugendarbeitslosigkeit, die bei 35 bis 50 Prozent liegt. In all diesen Ländern kam es zu einem Reallohnabbau. Ökonomische Realität: Alle Eurozonen-Peripherieländer erleben seit Einführung des Euro eine beschleunigte Deindustrialisierung und einen rasanten Verlust ihrer Wettbewerbsfähigkeit. So wurde zum Beispiel in Italien die Autoproduktion seit Einführung des Euro von jährlich 2 Millionen Kraftfahrzeugen auf weniger als 750.000 im Jahr 2016 reduziert. Während Fiat die Kfz-Fertigung im Euroland Italien herunterfährt, erhöht es diese in Polen – nicht Eurozone – und bei der Fiat-Tochter Chrysler in den USA. Weniger prominent, aber ebenfalls eindrucksvoll: Seit 2004 wurde in Italien die Fertigung von Kühlschränken von 30 Millionen auf weniger als 10 Millionen geschrumpft. Politische Realität: Parallel mit der Einführung der Einheitswährung wurde die Eurogroup als Treffen der Finanzminister der Eurozone eingeführt. Eine Eurogroup ist als EU-Institution nirgendwo in den EU-Verträgen vorgesehen und schon gar nicht demokratisch legitimiert. Doch die Eurogroup agiert inzwischen wie ein geheim tagendes Politbüro der EU. Die von der EU und dem IWF installierte Troika wiederum agiert im Auftrag der Eurogroup u.a. in den Peripherie-Ländern. Sie verordnete dort Radikalkuren, die in Widerspruch zu den Grundsätzen der EU stehen. So nennt die EU als offizielle Ziele eine allgemeine „Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitskräfte“ und die „Verringerung des Abstands zwischen den einzelnen Gebieten“. Die Maßnahmen der Eurogroup und der Troika haben die entgegengesetzte Intention und Wirkung. Meine Bilanz lautet: Das Projekt EWG war von Anfang kein demokratisches oder allgemein fortschrittliches Vorhaben. In den 60 Jahren, in denen dieses Projekt vorangetrieben wurde, kam es zu keiner Demokratisierung. Seit mindestens 15 Jahren und weitgehend seit Einführung des Euro kommt es in der EU, wie beschrieben, zu Verschlechterungen hinsichtlich der ökonomischen Lage bei rund einem Drittel der EU-Mitgliedsländer und zu einer Verschlechterung der sozialen Lage bei rund der Hälfte der in der EU lebenden Menschen. Insbesondere gibt es in der gesamten EU einen allgemeinen Demokratieabbau. Es ist die EU selbst, die spaltet. Ich sehe keine Chance für eine demokratische Revitalisierung der EU. Harald Schumann: “Macht ohne Kontrolle – die Troika” Wenn die EU, wie wir sie kennen, aber zunehmend zur Geißel der Finanzeliten wird und deren Wirken mit bisherigen Praxen kaum aufzuhalten ist – nun, was tun wir dann als Demokraten und Basisbewegte, welche Art Widerstand organisieren wir? Notwendig sind Aufklärung und Gegenformation. Erforderlich ist eine offene Debatte über die EU und ein Ende mit der Tabuisierung einer linken EU-Kritik. Die Behauptung, eine solche Kritik spalte oder man arbeite damit den Rechten in die Hände, ist falsch. Das verkrampfte Festhalten an der Möglichkeit einer „Demokratisierung der EU“ trägt vielmehr zur Stärkung der rechten und faschistischen Positionen bei. Auf diese Weise bleibt die Kritik von EU und Euro das Monopol der Rechten. Das heißt natürlich auch, dass die Entwicklung eines linken Gegenmodells zur bestehenden kapitalistischen Gesellschaft mit ihren Nationalstaaten und supranationalen Blöcken wie NAFTA und EU erforderlich ist. Ein solches Gegenmodell einer solidarischen, nichtkapitalistischen Gesellschaft kann sich jedoch nur aus den konkreten Kämpfen heraus entwickeln. Diese Kämpfe sind aktuell defensiver Art: CETA und TTIP bekämpfen. Dem Aufstieg der Rechten und Faschisten begegnen. Sich für eine solidarische Praxis gegenüber den Geflüchteten engagieren. Sich gegen die kapitalistischen, zerstörerischen Großprojekte wie Airportausbau, Stuttgart 21, Braunkohleabbau und atomares Endlager zur Wehr setzen. Vor allem aber gilt es, alle unsere Kräfte darauf zu konzentrieren, dass die Kriegsgefahr gebannt, die Rüstungsexporte eingestellt und die Auslandseinsätze der Bundeswehr beendet werden. Für das Letztere gibt es klare Mehrheiten in der Bevölkerung. Dieses Thema muss auch als Lackmus-Test für jede Art linker Ablösung der gegenwärtigen Regierung, also für Rot-Rot-Grün, gelten. Gibt es etwas, das jeder Einzelne von uns tun kann, um den Eliten bei ihrem Schalten und Walten ggf. ein wenig „Sand im Getriebe“ zu sein? Ich glaube, dass jeder Einzelne in seinem Umfeld konkrete Betätigungsfelder finden wird für ein soziales und solidarisches Engagement, wie ich es eben skizzierte. Oft eröffnen sich auch erstaunliche, neue Möglichkeiten. Als wir Ende 2015 im Rahmen einer Bilanz, die die Griechenland-Solidaritätskomitees zogen, das Projekt vorstellten, die Zeitung FaktenCheck: HELLAS in ein mehr allgemeines Projekt FaktenCheck: EUROPA zu überführen, da meldeten sich Leute aus Wuppertal. Sie schlugen vor, für ihre Stadt dann eine eigene ergänzende Zeitung zu machen, in der gewissermaßen das neoliberale Modell der EU-Politik für die Verhältnisse in Wuppertal das Hauptthema ist. Gesagt, getan. Seit Mitte November gibt es FaktenCheck: WUPPERTAL. In Wuppertal wird seit dem 15. November eine 12-seitige Zeitung verteilt, diese besteht als „Buch 1“ aus der vierseitigen FaktenCheck: WUPPERTAL und als „Buch 2“ aus der 8-seitigen FaktenCheck: EUROPA Nummer 2. Die – aus meiner Sicht ganz ausgezeichneten! – Texte in FaktenCheck:WUPPERTAL entstanden vor Ort – in einer neuen Bündnisstruktur, in der die meisten relevanten linken Kräfte in Wuppertal zusammenfanden. Wir als „Zentralredaktion“ konnten wesentliche Hilfe dafür leisten, dass dieses lokale Projekt auch konkret umgesetzt werden konnte – unter anderem, indem wir die Gestaltung und den Druck von FaktenCheck: WUPPERTAL organisierten. Die Wuppertaler und wir sind der Meinung: Solch eine Publikation als Kombi von FaktenCheck: Europa und lokaler ergänzender, aber autonomer Publikation sollte Schule machen. Und wir ermuntern dazu, im Frühjahr 2017, wenn Nummer 3 von FaktenCheck: EUROPA erscheint, in mehreren Städten solche lokale Zeitungen ins Leben zu rufen und weitere „Huckepack“-Publikationen mit FaktenCheck: EUROPA ins Leben zu rufen. Ich bedanke mich für das Gespräch. Winfried Wolf, Jahrgang 1949, ist Diplompolitologe und Dr. phil. Er war von 1994 bis 2002 Bundestagsabgeordneter für die PDS und ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat von Attac. Er verfasste eine größere Zahl von Büchern zu Weltwirtschaft und Globalisierung sowie zu den Themen Auto, Verkehr und Bahn. Seine jüngste Veröffentlichung ist „Die griechische Tragödie. Rebellion, Kapitulation, Ausverkauf“. Er ist Chefredakteur von Lunapark21 – Zeitschrift zur Kritik der globalen Ökonomie.
Jens Wernicke
Nach der Entscheidung vom 23. Juni verlässt mit Großbritannien erstmals ein Mitgliedsland die EU. Auch Linke sprachen sich in der vorausgegangenen Kampagne für den Austritt aus. Einige sehen im Brexit bereits den Beginn der Auflösung der Union, da weitere Länder diesem Beispiel folgen könnten. Die andauernde Krise um Griechenland offenbart exemplarisch die Schwächen des Eurosystems: Statt zu ...
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14. Dezember 2016 9:21
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Deutsche Kaltschnäuzigkeit: Der 80. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion.
Die Verweigerung eines offiziellen Gedenkens an den 22. Juni 1941 entspricht einer kühlen Siegermentalität, ist Abweisung deutscher Schuld an diesem Vernichtungsfeldzug. Und der Akt offenbart ein Dilemma der Bundesrepublik. Von Irmtraud Gutschke. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Podcast: Play in new window | Download Am 22. Juni jährt sich zum 80. Mal der Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion. Die Fraktion „Die Linke“ hatte dazu eine Gedenksitzung im Parlament beantragt. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble wies dies bekanntlich mit der Begründung zurück, man „wolle an der bisherigen parlamentarischen Übung einer ungeteilten Erinnerung an den gesamten Verlauf des Zweiten Weltkriegs und des von ihm ausgegangenen Leids festhalten“. Von einem Bundestagspräsidenten kann man erwarten, mit Bedacht zu formulieren. Mit Bedacht wurde deutsche Schuld in den Hintergrund gerückt: Es sei eben „der Krieg“ gewesen, der all das Leid verursacht hat. Andernfalls hätte man in der BRD die Kriegstreiber und Kriegsgewinnler zur Verantwortung ziehen und sich nicht mit den Nürnberger Prozessen zufriedengeben müssen. Man hätte den Weg struktureller gesellschaftlicher Veränderungen gehen müssen, die in der DDR radikal in Gang gesetzt, in der alten Bundesrepublik vage angedacht, aber nicht verwirklicht worden sind. Man möchte lieber von den Westmächten befreit worden sein Und was verbirgt sich hinter der nebulösen Formulierung „Übung einer ungeteilten Erinnerung an den gesamten Verlauf des Zweiten Weltkriegs“? Ganz einfach: Das offizielle Berlin verweigert das Eingeständnis, dass die Sowjetunion in diesem Krieg die größten Opfer gebracht und zum Sieg über das Naziregime einen besonderen Beitrag geleistet hat. Was ebenfalls westdeutscher Tradition entspricht. Man möchte lieber von den Westmächten als von der Sowjetunion befreit worden sein. Die Nazi-Ideologie vom „bolschewistischen Untermenschen“ lebte unterschwellig fort und konnte nahtlos in einer antikommunistischen Opferrolle aufgehen. Vornehmlich den „Amerikanern“ fühlte man sich für die „Freiheit“ zu Dank verpflichtet. Sogar der Begriff „Holocaust“ für den Völkermord an den Juden ist ja aus den USA gekommen – 1979 durch eine von NBC produzierte vierteilige Fernsehserie. Eli Wiesel nannte sie eine „Seifenoper“. Der in Hollywood-Manier inszenierte Vierteiler war bewusstseinsprägend, indem er Empathie mit den Opfern weckte. Doch die Täter blieben fern gerückt. Über den systemischen Wurzeln dieser Verbrechen lag ein Schleier. Angesichts von sechs Millionen ermordeten Juden hat sich die Bundesrepublik immer wieder demonstrativ an die Seite Israels gestellt, als dessen Schutzmacht sich die USA sahen. Die Schuld an den 27 Millionen Toten – zwei Drittel davon Zivilisten – in der Sowjetunion rückte in den Hintergrund. Ganz einfach, weil die Anti-Hitlerkoalition keinen Bestand hatte und bald ein Kalter Krieg begann, der die deutsch-deutsche Grenze zur Frontlinie machte. Gorbatschows Illusionen Gorbatschows einseitiger Versuch, die Konfrontation zu beenden, ist im besten Falle illusionär gewesen. Er brauchte dringend wirtschaftliche Unterstützung für sein verschuldetes Land, sah die Chance auf ein Ende des Wettrüstens und hatte die Idee eines gemeinsamen europäischen Raumes von Lissabon bis Wladiwostok. Der aus heutiger Sicht naive Traum endete mit dem Zerfall der UdSSR und mit dem Vorrücken der NATO in viele jener Staaten und Gebiete, die vorher mit ihr verbunden gewesen waren. Die in der BRD genährte Vorstellung, die Maueröffnung sei durch eine friedliche Revolution in der DDR bewerkstelligt worden, ist eine nationalistische Fiktion. Ohne die sowjetische Zustimmung wäre die deutsche Vereinigung nicht zustande gekommen. Um seine mindestens blauäugige Hoffnung, die Deutschen würden sich dankbar erweisen, wurde Gorbatschow geprellt. Seine westdeutschen Gesprächspartner können sich auf die Schultern klopfen, wie bedingungslos er ihnen vertraute, dass die Preisgabe der DDR auch für die DDR-Bürger am besten sei. Denjenigen noch einen Schutz zu geben, welche die DDR im Sinne des sowjetischen Bündnisses gestützt hatten, interessierte ihn nicht. Er vermochte es wahrscheinlich auch nicht mehr. Deutsch-sowjetische Freundschaft im Osten nicht nur Staatsraison So wie die DDR durch den Beitritt zur BRD „geschluckt“ wurde, ist ihren Bürgern auch das dort herrschende außenpolitische Freund-Feind-Schema übergestülpt worden. Auch das ist ein Grund, warum sich gerade viele Ostdeutsche mit bundesdeutscher Politik nicht identifizieren können. Deutsch-sowjetische Freundschaft war ja nicht nur Staatsraison, sondern für viele auch Herzenssache gewesen. Gorbatschows Vision eines gemeinsamen „europäischen Hauses“ war von solcher Strahlkraft, dass ihr Scheitern zur deutschen Schuld gegenüber den Russen hinzukommt. Deutschland wird nie wirklich vereint sein, wenn solcherlei ostdeutsche Befindlichkeiten nicht ernstgenommen, ja unterdrückt werden. DDR-Vergangenheit für alle möglichen Probleme der Gegenwart haftbar zu machen, hat sich eingebürgert. Westdeutsche sind fein raus, angeblich brauchen sie nichts zu revidieren. Fein raus sind sie in gewisser Weise auch nach Kriegsende gewesen. Der Osten zahlte Reparationen an die vom Krieg gebeutelte UdSSR, der Westen hatte den Marshallplan. Die mit vielen strategischen und wirtschaftlichen Hintergedanken gezahlten 13,12 Milliarden Dollar zwischen 1948 bis 1952 zeigten Wirkung im Interesse der USA am freien Handel und an Europa als Exportmarkt. Vor allem aber dienten sie dazu, das gibt sogar Wikipedia zu, „die politische und wirtschaftliche Lage zu stabilisieren, um den sowjetischen Einfluss in Europa einzudämmen“. Mit dem Marshallplan ist es vorbei, doch die gegen Russland gerichtete Tendenz US-amerikanischer Politik ist geblieben. Und ich mache mir keine Hoffnung, dass sich nach dem Gespräch der beiden Präsidenten Putin und Biden daran grundsätzlich etwas ändert. Deutschland bleibt in den Mustern des Kalten Krieges gefangen Deutschland als Verbündeter der USA bleibt in den Mustern des Kalten Krieges gefangen. Wer auch immer Schäubles Absage formulierte, hat in Gedanken nach Washington geschaut, wie die Worte dort wohl aufgenommen werden, und in diesem Zusammenhang, auch nach Warschau, Kiew, Riga, Vilnius, Tallinn, die ja als Bollwerk gegen Russland dienen sollen. Wobei in diesen Staaten, Ironie der Geschichte, immer noch nicht begriffen wurde, dass sie „dienen“. Zum eigenen Vorteil zu handeln, gelingt ihnen nur insoweit, wie sie das transatlantische Interesse wachhalten können. Von vermeintlicher russischer Bedrohung zu faseln, weckt vielleicht tatsächlich Mitgefühl bei Europapolitikern, die selbst in solchen Vorstellungen aufgewachsen sind. Man wundert sich ja immer wieder über die menschliche Fähigkeit, sich Realität zurechtzubiegen. Dass dies auch verbürgte historische Fakten betrifft, mag man kaum glauben und muss sich doch eingestehen, dass die Deutung von Geschichte mit gegenwärtigen machtpolitischen Interessen zusammenhängt. Am 19. September 2019 verabschiedete das EU-Parlament eine Resolution, die Hitler und Stalin gleichermaßen die Schuld am Kriegsausbruch zuwies. Der ausführliche Text kann auf der Webseite des EU-Parlaments nachgelesen werden. 535 Abgeordnete stimmten für diese Entschließung, 66 dagegen und 52 enthielten sich der Stimme. Wobei allein schon der Titel verräterisch ist: „Bedeutung des europäischen Geschichtsbewusstseins für die Zukunft Europas“. Es ist also nicht von historischen Tatsachen die Rede, sondern von der Widerspiegelung derselben im Sinne eines politischen Ziels. Wie zynisch hier Geschichte instrumentalisiert wurde, lag offen zutage. Es wurde hingenommen, vielleicht auch mit dem Hintergedanken, denjenigen eine verbale Genugtuung zu geben, die ständig klagten und forderten, und gleichzeitig Russland einen Schlag zu versetzen. Dass es eine tiefe Beleidigung war, ein Schlag ins Herz geradezu, musste man wissen. In seiner Ansprache zum „75. Jahrestag des Großen Sieges: Gemeinsame Verantwortung vor Geschichte und Zukunft“ am 19. Juni 2020 setzte sich Wladimir Putin detaillierter als erwartet mit der Verzerrung von Fakten auseinander. Ausführlich belegte er, wie bei der Zergliederung der Tschechoslowakei auch Polen agierte und wie Großbritannien und Frankreich die Tschechen und Slowaken im Stich ließen, „mit dem Ziel, dass Deutschland und die Sowjetunion unvermeidlich aufeinanderstoßen und einander ausbluten könnten“. Auch deutsch-englische Kontakte gab es hinter den Kulissen, wohingegen die trilateralen Verhandlungen von Vertretern Frankreichs, Großbritanniens und der UdSSR bewusst verzögert wurden. „In der entstandenen Situation unterzeichnete die Sowjetunion den Nichtangriffspakt mit Deutschland faktisch als Letztes der europäischen Länder, und das vor dem Hintergrund der realen Gefahr, mit einem Zweifrontenkrieg konfrontiert zu werden – mit Deutschland im Westen und Japan im Osten, wo bereits intensive Kämpfe am Fluss Chalcha stattfanden.“ Die Neuordnung Europas nach 1990 als erneute Demütigung Russlands Der Hitler-Stalin-Pakt vom August 1939 mit dem geheimen Zusatzprotokoll ist in der DDR kaum thematisiert worden. Auch der Zusammenhang zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg sollte keine Rolle spielen. Die Klage über verlorene deutsche Gebiete unterlag dem Verdikt des Revanchismus. Die „nationale Demütigung“ Deutschlands durch den Versailler Vertrag, so Putins Einschätzung, habe den „Nährboden für radikale und revanchistische Stimmungen“ gebildet. „Paradoxerweise trugen westliche Staaten, vor allem Großbritannien und die USA, direkt oder indirekt dazu bei“, indem sie in deutsche Rüstungsproduktion investierten. Dass die Grenzziehungen durch die Siegermächte des Ersten Weltkriegs zu „Zeitminen“ wurden, betraf, ungesagt, ebenso den Friedensvertrag von Brest-Litowsk, durch den Russland 26 Prozent seines damaligen europäischen Territoriums verlor, wo mehr als ein Drittel der Bevölkerung lebte. Tatsächlich hat Stalin davon einiges wieder rückgängig gemacht, was heutigen Nationalisten in Osteuropa Wasser auf die Mühlen gibt. Die Neuordnung Europas nach 1990 ist eine erneute Demütigung Russlands gewesen. Die Verweigerung eines offiziellen Gedenkens an den 22. Juni 1941 entspricht kaltschnäuziger Siegermentalität, ist Abweisung deutscher Schuld an diesem Vernichtungsfeldzug, der das Ziel hatte, „Osteuropa bis zur Linie Astrachan-Archangelsk zur Kolonie“ zu „machen, um eine Basis für den Aufstieg zur Weltmacht zu gewinnen“ (Hans-Heinrich Nolte). Und es ist wohl auch ein untergründiger Versuch, den Makel des Verlierers loszuwerden, weil die Sowjetunion der Okkupation widerstand. Wie bundesdeutsche Politiker vom hohen Ross herab Russland auf eine geradezu unerträgliche Weise zu belehren trachten, gehört zu dieser Logik. Heiko Maas’ Schachzug In der Öffentlichkeit fast unbemerkt hat es, wie auf der Webseite des Bundestages nachzulesen, am 9. Juni eine Debatte zum Thema gegeben, die das politische Dilemma offensichtlich werden ließ. Außenminister Maas sprach zwar davon, dass mit dem Überfall auf die Sowjetunion das „mörderischste Kapitel“ des Vernichtungskriegs im Osten Europas begann, welcher der „Versklavung und Auslöschung ganzer Staaten und Völker“ dienen sollte, unternahm dann aber einen geschickten Schachzug, um den „30 Millionen Menschen, die in Mittel- und Osteuropa ihr Leben lassen mussten“, den Mord an 27 Millionen in der Sowjetunion zu subsumieren. Geradezu himmelschreiend war es in diesem Zusammenhang, wie er die „eklatanten Verletzungen“ des Völkerrechts durch die Regierungen von Belarus und Russland anprangerte, die neonazistischen Umtriebe in der Ukraine aber durch Schweigen rechtfertigte. Dass Dietmar Bartsch für die Fraktion „Die Linke“ NATO-Manöver im Osten Europas kritisierte, ist auf der Webseite des Bundestages verschwiegen und nur in einem analytischen Artikel von Dagmar Henn auf „rt.de“ nachzulesen. Deutsche Peinlichkeit. Auch wenn ich immer noch die Hoffnung habe, dass Bundespräsident Steinmeier zum Gedenken an den 22. Juni 1941 noch eine würdige Rede hält, die Bundesrepublik hängt immer noch ihrem russophoben, antikommunistischen Schatten aus Nazizeiten an und macht zudem – sich teils gegen eigene Interessen im Kielwasser der USA bewegend – nicht immer den Eindruck, ein wirklich souveräner Staat zu sein. Titelbild: horyd yury / Shutterstock
Irmtraud Gutschke
Die Verweigerung eines offiziellen Gedenkens an den 22. Juni 1941 entspricht einer kühlen Siegermentalität, ist Abweisung deutscher Schuld an diesem Vernichtungsfeldzug. Und der Akt offenbart ein Dilemma der Bundesrepublik. Von Irmtraud Gutschke. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Am 22. Juni jährt sich zum 80. Mal der Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjet ...
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15. Juni 2021 9:10
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Deutsches Fernsehen schweigt zum Mordfall Scheremet in Kiew
Am 12. Dezember veranstaltete die ukrainische Polizei in Kiew eine große Pressekonferenz, auf der die Verhaftung von fünf Ultranationalisten bekanntgegeben wurde. Die Verhafteten werden verdächtigt, dass sie den Mord an dem liberalen Journalisten Pawel Scheremet in Kiew ausgeführt haben. Wenn in Kiew fünf Ultranationalisten verhaftet werden, weil sie im Verdacht stehen, dass sie einen liberalen Journalisten in Kiew ermordet haben, berichtet das deutsche Fernsehen nicht. Von Ulrich Heyden aus Moskau. Der 44 Jahre alte Scheremet starb am 20. Juli 2016 im Stadtzentrum von Kiew durch eine Bombe, die unter seinem Auto befestigt war. Vertreter des ukrainischen Innenministeriums sprachen nach dem Mord von einer „Moskauer Spur“, ohne irgendwelche Beweise zu nennen. Dann wurden die Ermittlungen drei Jahre lang verschleppt. Nun, wo Wolodymyr Selenski neuer Präsident ist, wurden der Öffentlichkeit in Kiew plötzlich die Ergebnisse einer sehr aufwendigen Ermittlung präsentiert. Bei der Präsentation der ukrainischen Polizei wurde das abgehörte Telefongespräch der Verdächtigen Julia Kosmenko vorgespielt. Die Verdächtige, die von Beruf Kinder-Chirurgin ist, soll die Bombe unter dem Wagen von Scheremet platziert haben. Sie sagt in einem Telefongespräch, man müsse „die Buchweizen-Anbauer“ (eine Anspielung auf die Ukrainer) „in Bewegung bringen”. Auf Kiew müssten „fünf, sechs Grad-Raketen niedergehen“. Um die ukrainische Hauptstadt „tut es mir absolut nicht leid“. Gut wäre es auch, ein „sakrales Opfer“ zu finden, etwa „eine Mutter mit Kind“. Die abgehörten Äußerungen zeigen nach Meinung der Ermittler, dass die Beschuldigten Kiew mit Terrorakten destabilisieren wollten. Wer der Auftraggeber der Festgenommenen ist, sagten die Ermittler nicht. Das deutsche Fernsehen schweigt Wenn die ukrainische Polizei in Kiew eine Pressekonferenz zu so einem brisanten Fall veranstaltet und auf dieser Pressekonferenz der ukrainische Innenminister Arsen Awakow und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenski höchstpersönlich auftreten, müsste es da in den deutschen Medien nicht gründliche Berichte geben? Doch keins der großen Medien, die 2016 über den Mord an Scheremet noch ausführlich berichteten, informierten ihre Leser über die Verhaftung von fünf Tatverdächtigen aus dem Lager der ukrainischen Nationalisten, bis auf die FAZ und „die tageszeitung“. Gibt es bei dieser Nachrichtenauswahl eine Logik? Ja! Nachrichten, welche die Notwendigkeit von Sanktionen gegen Russland unterstreichen, bringt man gerne. Nachrichten, die diese Notwendigkeit in Frage stellen, drückt man weg. So einfach ist das. Hier die Belege: Ende Mai 2018 berichteten deutsche Medien mit großen Schlagzeilen, der kreml-kritische Journalist Arkadi Babtschenko, der aus Russland in die Ukraine übergesiedelt war, sei in Kiew ermordet worden. Kurze Zeit später stellte sich heraus, dass Babtschenko quicklebendig ist und der Mord eine Inszenierung des ukrainischen Geheimdienstes war, angeblich um Attentäter dingfest zu machen. Der ukrainische Geheimdienst hatte sich komplett blamiert. Und diese Tatsache mussten die großen deutschen Medien eingestehen. Doch die Korrespondentin des Deutschlandfunks schaffte es im ARD-Presseclub, auch in dieser eindeutigen Situation die Ukraine als Opfer darzustellen. Adler sagte, „also meiner Ansicht nach hat sich der ukrainische Geheimdienst da völlig in die Spielregeln des russischen Geheimdienstes beziehungsweise auch des Kreml begeben und hat gedacht, diesen Krieg zu führen, so wie er in Russland geführt wird, hat mit den gleichen Waffen sozusagen zurückgeschlagen.“ Angebliche Repressalien gegen Scheremet in Russland Zurück zum Fall Pawel Scheremet. Der war – ähnlich wie Babtschenko – kreml-kritisch und 2014 aus Russland in die Ukraine übergesiedelt. Die „Tagesschau“ hatte nach dem Mord an Scheremet angedeutet, dass er Opfer russischer Häscher wurde. „Der gebürtige Weißrusse war 2014 in die Ukraine gekommen. Zuvor hatte er in seiner Heimat und in Russland investigativ gearbeitet und dort Repressalien erfahren.“ Welche Repressalien das waren, sagt die „Tagesschau“ nicht. Es gab diese Repressalien nicht. Scheremet hat sich selbst außerhalb des russischen Konsenses gestellt, indem er behauptete, die „Annexion der Krim“ und die „Unterstützung der Separatisten in der Ostukraine“ sei „ein blutiges Abenteuer der russischen Politik“. Deshalb bekam er keine Aufträge mehr von russischen Fernsehkanälen. Als am 12. Dezember 2019 fünf Personen, die in der Ost-Ukraine gegen Separatisten gekämpft hatten, wegen des Verdachts auf die Beteiligung am Mord an Scheremet verhaftet wurden, schwieg die „Tagesschau“. Auch „Der Spiegel“ und die „Süddeutsche Zeitung“ schwiegen. Dabei hatten diese drei Medien noch ausführlich über die Ermordung von Scheremet berichtet (Tagesschau, Der Spiegel, Süddeutsche Zeitung). Die Online-Ausgaben von ZDF, Die Welt und Die Zeit berichteten nur über die Verhaftung von fünf „Verdächtigen“. Über die politische Gesinnung der Verhafteten stand in diesen Meldungen kein Wort. Andrei Antonenko – Rock-Musiker – Kaempfer und Hauptverdaechtiger im Mordfall Pawel Scheremet – Screenshot Youtube-Kanal Extra-News Dabei hatte die ukrainische Polizei über den Hauptverdächtigen des Mordes an Scheremet, den Rockmusiker Andrej Antonenko von der Band Riffmaster, einen Bericht vorgelegt, in dem es heißt, “er war Anhänger ultranationalistischer Ideen, er kultivierte die arische Rasse, er teilte die Gesellschaft nach dem Prinzip der nationalen Zugehörigkeit ein, er bemühte sich, in der Gesellschaft Aufmerksamkeit für seine Ideen zu bekommen.” Die Sprachregelung für Faschisten in der Ukraine hat ZDF-Moderator Claus Kleber bereits 2014 klargestellt und daran halten sich alle Medien. Kleber: „In der Ukraine gibt es diese Faschisten nicht – zumindest nicht an verantwortlicher Stelle in Kiew.“ Die Wahrheit nur für Auserwählte Nur eine kleine Schicht von besonders Interessierten darf in Deutschland die Wahrheit über die Ukraine erfahren. Die taz berichtete korrekt unter der Überschrift „Spur führt nach rechts“. „Immer wieder waren die Mörder Scheremets im Umfeld russischer oder weißrussischer Dienste vermutet worden (…) Doch die mutmaßlichen Mörder sollen aus dem rechtsradikalen Milieu der ukrainischen Freiwilligenverbände kommen. Es seien, so Ewgenij Kowal, die Krankenschwester einer Fallschirmjäger-Einheit, Jana Dugar, die an der Kiewer Kinderklinik Ochmatdet tätige Kinderchirurgin und Kämpferin Julia Kusmenko, der Musiker und Freiwilligenkämpfer Andrej Antonenko und das Ehepaar Wladislaw und Inna Grischtschenko, ebenfalls Angehörige eines in der Ostukraine kämpfenden Freiwilligenverbandes.“ Die Kinder-Chirurgin Julia Kosmenko soll die Bombe unter dem Auto des Journalisten befestigt haben – Foto privat Die FAZ schreibt, „die Festnahmen stellen die ukrainische Gesellschaft auf eine harte Probe. Nicht nur, weil alle fünf Verdächtigen im Krieg gegen die prorussischen Separatisten in der Ostukraine im Einsatz waren – und damit eigentlich großes Ansehen genießen. Noch unangenehmer ist, dass mindestens ein Täter aus dem rechtsradikalen Milieu der ukrainischen Freiwilligenverbände stammen soll.“ Warum gerade jetzt das Ermittlungsergebnis? Die Ereignisse in Kiew rund um die Ermittlungen zum Scheremet-Mord sind einzigartig und deuten auf einen neuen Stil in der ukrainischen Politik hin. Es ist das erste Mal, dass ein Mordfall, für den bisher „von Moskau gesteuerte Täter“ verantwortlich gemacht wurden, nun ukrainischen Nationalisten angelastet wird. Und es ist das erste Mal seit dem Staatsstreich in der Ukraine, dass die ukrainische Polizei die Verfolgung im Fall eines Journalisten-Mordes als großes öffentliches Ereignis zelebriert. Warum werden gerade jetzt die mutmaßlichen Täter im Mordfall Scheremet genannt? Die Anklage gegen die Nationalisten kommt zu einer Zeit, wo Präsident Selenski unter dem Druck der Nationalisten steht, die den Truppenabzug an der Grenze zu den abtrünnigen Gebieten im Osten des Landes aktiv sabotieren. Das juristische Vorgehen gegen die Nazi-Nationalisten ist ein Versuch der Macht in Kiew, Nationalisten und Rechtsradikalen Grenzen aufzuzeigen. Auffällig ist allerdings, dass der ukrainische Innenminister Arsen Awakow nicht ausschließen will, dass es doch eine „russische Spur“ gibt. Der Innenminister tut so, als ob es möglich ist, dass ukrainische Nationalisten Befehle aus Moskau ausführen. Dass die fünf Verdächtigen des Mordes an Scheremet überführt werden, ist noch unsicher. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an den Mord an dem pro-russischen Journalisten Oles Busina, der im April 2015, unmittelbar nachdem sein Name auf der berüchtigten Website „Mirotworets“ auftauchte, erschossen wurde. Zwei Rechtsradikale wurde des Mordes verdächtigt. Sie saßen einige Zeit unter Hausarrest, der dann aber aufgehoben wurde. Ukrainische Faschisten haben die Macht auf der Straße, Gerichte kuschen Als Beweis dafür, dass es in der Ukraine kein faschistisches Problem gibt, wird von deutschen „Ukraine-Experten“ seit fünf Jahren immer die gleiche Geschichte erzählt: Faschisten in der Ukraine haben keine Wahlerfolge. Es gäbe diese Faschisten zwar, aber sie seien ohne Einfluss. Doch die Wahrheit sieht anders aus. Auf den Straßen der Ukraine regiert der ultranationalistische Mob. In den ukrainischen Gerichten gibt man diesem Druck nach. Ultranationalisten überfielen den kritischen Journalisten Ruslan Kotsaba. Ihm droht ein neues Verfahren wegen Landesverrats. Ukrainische Ultranationalisten verhinderten im Dezember 2015 im Malinowski-Gericht von Odessa, dass Anti-Maidan-Aktivisten gegen Kaution freigelassen wurden. Sie zwangen die Richter im Gerichtssaal, ihren Rücktritt zu unterschreiben. In Kiew belagerten Ultranationalisten am 20. Mai 2014 das Petscherski-Gericht und erzwangen die Freilassung des Maidan-Aktivisten Sergej Chodjak, der am 2. Mai 2014 in Odessa mit einer Pistole auf Anti-Maidan-Demonstranten und Polizisten schoss (Minute 8:20). Im November 2016 erklärte der ukrainische Kultusminister Jewgeni Nischuk in einer Fernseh-Talkshow, bestimmte Gebiete in der Zentral- und Ost-Ukraine seien “genetisch unrein”. Gemeint waren die Gebiete mit einem hohen Anteil russischsprachiger Bevölkerung. Nach Protesten entschuldigte sich Nischuk. Er sei falsch verstanden worden. Im Mai 2018 wurde der ukrainische Konsul in Hamburg, Wasil Maruschinez, vom Dienst suspendiert. Der Grund: Der ukrainische Video-Blogger Anatoli Schari hatte aufgedeckt, dass Maruschinez auf seiner Facebook-Seite erklärt hat, es sei „ehrenhaft“, ein Faschist zu sein. Wasil Maruschinez – ehemaliger Konsul der Ukraine in Hamburg – Quelle: Soziale Medien Wie die ukrainische Internetplattform Ukrainski Nowini am Dienstag berichtete, darf Maruschinez seinen Dienst jetzt wieder aufnehmen und weiter als Diplomat arbeiten. Das ukrainische Berufungsgericht sah in den Äußerungen des ehemaligen Konsuls keinen Verstoß gegen den Eid von Staatsbediensteten. Maruschinez bekommt eine Entschädigung in Höhe von 8.300 Euro. Wer jedoch in der Ukraine „kommunistische Symbole“ zeigt, wird bestraft. Wie die ukrainische Internetplattform Strana.ua am Montag berichtete, hat das Ismailski-Gericht im Gebiet Odessa einen Mann auf Bewährung verurteilt, weil dieser am 9. Mai (der in der Ukraine von Regierungsgegnern als Siegestag gefeiert wird) an seinem Fahrrad eine Flagge mit rotem Stern, Hammer und Sichel und den Worten „Vaterländischer Krieg“ befestigt hatte und damit durch sein Dorf fuhr. Es versteht sich von selbst, dass keines der großen deutschen Medien über die hier angeführten konkreten Fälle berichtet hat. Titelbild: president.gov.ua/CC BY-SA-4.0
Ulrich Heyden
Am 12. Dezember veranstaltete die ukrainische Polizei in Kiew eine große Pressekonferenz, auf der die Verhaftung von fünf Ultranationalisten bekanntgegeben wurde. Die Verhafteten werden verdächtigt, dass sie den Mord an dem liberalen Journalisten Pawel Scheremet in Kiew ausgeführt haben. Wenn in Kiew fünf Ultranationalisten verhaftet werden, weil sie im Verdacht stehen, dass sie einen liberale ...
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19. Dezember 2019 10:00
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Ankündigung des Video-Films “Der Fall Anatoli Schari: Totgeschwiegen und lebensbedrohlich” – Verhindern wir die Auslieferung des ukrainischen Video-Bloggers Anatoli Schari!
Der ukrainische Investigativ-Videoblogger Anatoli Schari hat die Gründung der oppositionellen „Partei Schari“ initiiert. Der Partei Schari wird aber das Leben schwer gemacht, Anfang des Jahres begann ein Verbotsverfahren. Gegen Schari — der seit 2011 in der EU lebt — leitete der ukrainische Geheimdienst SBU im Februar ein Strafverfahren wegen Landesverrates ein. Zu dem Prozess in Kiew wollte Schari nicht fahren, denn er fürchtet in der Ukraine um sein Leben. Das Video unter dem Titel “Der Fall Anatoli Schari: Totgeschwiegen und lebensbedrohlich“ enthält ein längeres Interview mit Schari und Interviews mit den Bundestagsabgeordneten der Partei Die LINKE, Dieter Dehm und Andrej Hunko. Von Ulrich Heyden, Moskau. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Podcast: Play in new window | Download Sie kennen Anatoli Schari nicht? Kein Wunder, die großen deutschen Medien berichten nicht über ihn. Aber man sollte ihn kennen. Der 42 Jahre alte ukrainische Investigativ-Videoblogger, der seit 2011 in der Europäischen Union lebt, fühlt der Regierung in Kiew auf den Zahn. Täglich bringt er auf seinem Video-Kanal Beiträge, die Poroschenko, Selenski und die ukrainische Regierung zur Weißglut treiben. Sein Kanal hat heute 2,4 Millionen Abonnenten. Anatoli Schari hat außerdem 2019 in der Ukraine die Gründung der oppositionellen „Partei Schari“ initiiert. Die Partei hat sich an Kommunal- und Parlamentswahlen beteiligt, Abgeordnete der Partei sitzen in mehreren Kommunalparlamenten und nach Umfragen könnte es sein, dass die Partei bei der nächsten Wahl die Fünf-Prozent-Hürde überspringt. Anhänger der „Partei Schari“ mit Eisenstangen verfolgt Der Partei Schari wird aber das Leben schwer gemacht. Anfang des Jahres begann gegen die Partei ein Verbotsverfahren. Im Juni 2020 verfolgten rechtsradikale Schläger Anhänger der Partei in der ostukrainischen Stadt Charkow mit Eisenstangen. Dem Koordinator der Partei Schari, Nikita Roschenko, wurden sieben Rippen gebrochen. Die Polizei, die erst von „Hooliganismus“ sprach, erklärte später, dass es ein Mordversuch war. Gegen Schari selbst leitete der ukrainische Geheimdienst SBU im Februar dieses Jahres ein Strafverfahren wegen Landesverrates ein. Zu dem Prozess in Kiew wollte Schari nicht fahren, denn er ist sich sicher, dass er in der Ukraine nicht länger als 24 Stunden überleben wird. Der Nationale Korpus – eine rechtsradikale ukrainische Organisation – forderte in Kiew öffentlich und ungestraft den Tod des Bloggers. In einem Kiewer Untersuchungsgefängnis werde er sterben, ist sich Schari sicher. Man werde behaupten, er habe Selbstmord begangen. Ukrainische Rechtsradikale tauchen vor dem Haus von Schari in Katalonien auf Wie real die Gefahr einer Mord-Attacke ist, zeigte sich im Sommer letzten Jahres. Da tauchten dreimal hintereinander ukrainische Rechtsradikale vor dem Haus von Schari in Katalonien auf. Seitdem habe er für sich und seine Familie eine private Wachfirma angeheuert, erzählt der Blogger. Die örtliche Polizei hat ein Untersuchungsverfahren zu den angereisten ukrainischen Rechtsradikalen eingeleitet. Der ukrainische Blogger lebt seit einem Jahr im Dauerstress. An allen Fronten versucht man ihm das Leben schwer zu machen. Jetzt ist sogar der Status des Bloggers als politischer Flüchtling in der EU gefährdet. Ende Mai berichtete die regierungsnahe „Ukrainskaja Prawda“, dass Litauen, wo Schari 2012 den Status des politischen Flüchtlings bekam, ihm den Status entzogen und ihn zur unerwünschten Person erklärt hat. Das bedeutet, dass der Blogger jederzeit aus Spanien an die Ukraine ausgeliefert werden kann. Das Einzige, was jetzt noch hilft, ist eine breite Informationen der Öffentlichkeit. Politiker in Europa müssen für Schari eintreten, auch wenn sie ihn politisch nicht unterstützen. Es geht um das Menschenrecht auf Leben und das Recht der Meinungs- und der Pressefreiheit. MdB Diether Dehm: „Wir brauchen neben den LINKEN auch Abgeordnete von SPD und CDU“ Ich habe deshalb zusammen mit Tom Wellbrock auf dem Video-Blog „Neulandrebellen“ ein Video zum Fall Schari veröffentlicht. Das Video unter dem Titel “Der Fall Anatoli Schari: Totgeschwiegen und lebensbedrohlich“ enthält ein längeres Interview mit Schari und Interviews mit den Bundestagsabgeordneten der Partei Die LINKE, Diether Dehm und Andrej Hunko. Diether Dehm sagte in dem Interview: Andrej Hunko meint, es gibt Chancen, eine drohende Auslieferung von Schari zu verhindern: Während das Europäische Parlament schweigt, erfährt Schari viel Unterstützung von Journalisten und Menschenrechtlern. Der Leiter der katalanischen Behörde für Zivil- und politisches Recht hat Shari Unterstützung zugesichert. Unterstützt wird der Journalist auch von der Menschenrechtsorganisation „Solidaritätsnetz“ in Bern. Kritisch über die Angriffe auf Shari berichteten spanische Medien wie El Pais und El Taquigrafo, deutsche Medien wie die Berliner Zeitung, Telepolis, Junge Welt und die tschechische Zeitung Halo Novyny. Was wird Schari vom ukrainischen Geheimdienst eigentlich vorgeworfen? Es geht im Wesentlichen um drei Vorwürfe. Angeblich hat Schari mit seinen Berichten die Verteidigungsmoral der ukrainischen Armee untergraben. Man wirft ihm Anstachelung von Nationalitätenkonflikten vor, weil der Blogger in seinen Videos Menschen zu Wort kommen lässt, die mit dem neuen ukrainischen Sprachengesetz nicht einverstanden sind, nach dem Russisch aus dem öffentlichen Leben verbannt wird. Drittens wird Schari vorgeworfen, dass er angeblich „Russlands Informations-Attacken gegen die Ukraine“ unterstützt. Schari ist russischsprachiger Ukrainer. Schon seine Großeltern schrieben auf Russisch. Und er erinnert sich, dass er in seiner Jugend, also während der Sowjetzeit, das traditionelle ukrainische Wyschywanka-Hemd trug. An eine Unterdrückung der ukrainischen Kultur während der Sowjetzeit kann er sich nicht erinnern. Was aber jetzt in der Ukraine laufe, sei mit Sicherheit eine Unterdrückung der russischen Kultur und Sprache. Nach der Volkszählung von 2001 waren 17 Prozent der Bürger der Ukraine russischer Abstammung. Medien-Kampagnen gegen Schari in der Ukraine Um Schari in der Öffentlichkeit zu diskreditieren, arbeiten die ukrainischen Medien sehr aktiv. So wurden verschiedene Gerüchte und Behauptungen in Umlauf gebracht, zu denen ich den Blogger für unser Video befragte. Ob er Selenski im Wahlkampf tatsächlich unterstützt habe, wollte ich von Schari wissen. Ja, er habe während der Wahl 2019 nur den damaligen Präsidenten Poroschenko unter Feuer genommen, antwortete der Blogger. Als Selenski siegte, habe er ihm sogar gratuliert, sei aber dann nach der Wahl schwer enttäuscht worden. Heute sagt Schari, Selenski habe seine Wähler von Anfang an getäuscht. Auch er selbst habe sich täuschen lassen. Auch fragte ich Schari, ob er noch zu seinen Äußerungen von 2009/2010 stehe, als er sich über Roma und Homosexuelle abwertend äußerte. Der Blogger antwortete, er sei in der Sowjetunion aufgewachsen. Seit er in der Europäischen Union lebe, habe sich seine Einstellung zu Homosexuellen und Roma total verändert. Auch habe er zahlreiche Videos veröffentlicht, in denen er den Terror ukrainischer Rechtsradikaler gegen Roma in Kiew angeprangerte. Schließlich wollte ich von dem Blogger wissen, ob es stimme, dass er ein wohlhabender Mann sei. Schari sagte auf die Frage, er habe ein Haus und eine Wohnung gekauft. Dass er aber Immobilien in mehreren Ländern besitze, sei eine Lüge. Es ging los mit dem Brand im Gewerkschaftshaus von Odessa Schari berichtet, dass er mit dem Video-Bloggen erst 2014 angefangen habe. Eines seiner ersten Videos war zum Brand des Gewerkschaftshauses in Odessa. Dieses Video erreichte in wenigen Stunden mehrere hunderttausend Aufrufe. 2014 habe sich gezeigt, dass es für einen kritischen russischsprachigen Blog für Menschen in der Ukraine eine große Nachfrage gibt. Und so habe er begonnen, damit auch Geld zu verdienen. Aber mit diesem Geld unterstütze er auch notleidende Menschen in den Gebieten Lugansk und Donezk und Menschen in der Ukraine, die sich lebenswichtige medizinische Operationen nicht leisten könnten. Außerdem finanziere er ein Video-Bildungsprogramm zur Geschichte der Ukraine, zur Persönlichkeitsentwicklung und anderen Fragen. Wer mehr zum Fall Schari wissen will, kann sich unser Video angucken, es weiterempfehlen und eine eigene Aufklärungsarbeit starten. #FreeSchari Titelbild: Screenshot Neulandrebellen
Ulrich Heyden
Der ukrainische Investigativ-Videoblogger Anatoli Schari hat die Gründung der oppositionellen „Partei Schari“ initiiert. Der Partei Schari wird aber das Leben schwer gemacht, Anfang des Jahres begann ein Verbotsverfahren. Gegen Schari — der seit 2011 in der EU lebt — leitete der ukrainische Geheimdienst SBU im Februar ein Strafverfahren wegen Landesverrates ein. Zu dem Prozess in Kiew wollte S ...
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12. August 2021 9:00
https://www.nachdenkseiten.de/?p=75095
Leserbriefe zu „Entlassungen, Kontosperren, Verachtung wegen der Nationalität, Boykotte, Ausschlüsse – dem Russen soll es an den Kragen gehen“
Frank Blenz weist in diesem Beitrag auf das Ausmaß der Maßnahmen gegen Russland und seine Staatsbürger hin. Sie reichen u.a. von der Kultur über Sport bis hin zum Warenboykott. Auch die Tourismusbranche mische mit, wenn Fans im Europapark einen neuen Namen für die von „Nord Stream“ gesponserte Achterbahn fordern würden. Zu lesen sei auch, dass russische Gäste aus einem Restaurant in Baden-Württemberg ausgesperrt würden. Abschließend wird festgestellt, dass die „Verrohung der Gesellschaften weltweit und hierzulande“ in vollem Gange sei. Danke für vielen interessanten Leserbriefe. Es folgt nun eine Auswahl. Zusammengestellt von Christian Reimann. 1. Leserbrief Vielen Dank für den Artikel, der spricht mir aus der Seele. Seid längerem bin ich stiller Leser der Nachdenkseiten, da man hier auch mal Meinungen lesen kann die abseits vom Mainstream sind. Schon bei der Diskussion um Corona war mir aufgefallen das sich in unserem Land etwas verändert hat. Plötzlich war es kein Problem eine Gruppe von Menschen aus der Gesellschaft auszuschließen, zu diskriminieren und mit allen möglichen Titeln zu beschimpfen und fast niemand störte sich daran, während man sich Regenbogenfahnen aufs Gesicht malte als Zeichen gegen Diskriminierung. Was jedoch jetzt geschieht in Richtung Russland ist meines Erachtens nicht mehr hinnehmbar. Nicht falsch verstehen auch ich verurteile Russlands Einmarsch in die Ukraine so wie ich jede kriegerische Handlung gegen ein anderes Land verurteile egal von wem sie ausgeht. Doch was jetzt passiert grenzt für mich schon an Volksverhetzung. Als mich ein Arbeitskollege auf den Vorgang des Restaurants in Baden-Württemberg aufmerksam machte, war mein erster Gedanke, Fake News,  nicht in Deutschland nicht schon wieder. Leider wurde ich eines besseren belehrt als ich die Meldungen in den Nachrichtensendungen verfolgte. Da ich auch die Foren z.B. von der Tagesschau Online verfolge war ich entsetzt was da plötzlich möglich war zu schreiben wenn es nur gegen Putin geht. Plötzlich ist es kein Problem mehr einen gewählten Präsidenten eines anderen Landes als Faschisten, Unterhosenvergifter, irren Massenmörder und schlimmeres zu beschimpfen. Auch ist es kein Problem User welche das Problem differenzierter sehen als „Putin hat schuld“, zu beleidigen und zu beschimpfen. All das obwohl sich gerade die Öffentlich Rechtlichen überall als Moralapostel aufspielen die sich den Kampf gegen Hass und Hetze im Netz auf die Fahnen geschrieben haben. Das schlimme daran ist, das all das was gerade passiert genau in das Bild passt welches mein Großvater mir über das 3. Reich erklärte. Sicher werden viele sagen jetzt übertreibt Er aber. Mag sein aber mir macht die ganze Entwicklung Angst und ich bin entsetzt das sich nur so wenige Menschen dem entgegenstellen. Hinterher haben wir dann wieder von nichts gewusst. Mit freundlichen Grüßen Falk Böttger 2. Leserbrief Hallo Nachdenkseiten, zum Artikel: “Entlassungen, Kontosperren, Verachtung wegen der Nationalität, Boykotte, Ausschlüsse – dem Russen soll es an den Kragen gehen” Ja, „WIR SCHAFFEN DAS“ – müssen wir doch nur früher Eingeübtes aktualisieren. Stellen Sie sich einen jüdischen Dirigenten vor, der im Nazireich gar die Musik eines jüdischen Komponisten hätte spielen wollen. „DAS GEHT GAR NICHT!“ Und gelernt ist gelernt. Endlich sind wir wieder da angekommen, wo wir uns richtig wohlfühlen.  Da ist nun die Welt wieder in Ordnung. Und diesmal nicht nur in Deutschland, sondern beinahe weltweit. „WIR SIND GLATZE“ freuen sich nun die WIRKLICHEN Neonazis – endlich geht es den Untermenschen an den Kragen. Und leider hilft es auch nicht, seinem ENTSETZEN Luft zu machen, denn das kommt gegen die allgemeine Freude nicht an, die das Auftreten von Baerbock vor der UNO feiert. Ja, da hat sie es dem Reich des Bösen mal so richtig gezeigt, was eine Harke ist. So wird denn WAHNSINN – erneut! – zur STAATSRAISON. Beste Grüße, Johannes Kießling 3. Leserbrief Sehr geehrter Herr Blenz, meiner Ansicht nach geht in Ihrem Artikel Einiges erheblich durcheinander. Individuelle Boykott-Maßnahmen gegen Personen, nur weil sie Russen sind, sind natürlich abzulehnen und ein Unding. Das muss man scharf kritisieren, da gibt es keine zwei Meinungen. Was aber ja auch getan wird, wie an denen von Ihnen selbst angeführten Beispielen in Bezug auf jenen unmöglichen Restaurantbesitzer deutlich zu sehen. Zum Fall Gergijev, hat unter anderem die – Ihnen vermutlich nicht sehr sympathische – Website “Achse des Guten” Kommentare veröffentlicht, die an Schärfe und Deutlichkeit der Kritik nichts zu wünschen übrig lassen und denen ich persönlich mich vollinhaltlich anschließen würde. Die anderen von Ihnen genannten Beispiele gehören aber, wie ich finde, zu einer gänzlich anderen Kategorie. Wenn private Institutionen, Firmen und Geschäfte von sich aus Ihre Beziehungen zu Russland abbrechen, ist das ihr gutes Recht, und ebenso der Ausschluss russischer Vereine von Sportveranstaltungen. Es liegt auf der gedanklichen Linie der verhängten Sanktionen, die besagt: Ein Staat und dessen Regierung, der sich mit einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg aus dem Kreis des internationalen Rechts verabschiedet hat – deshalb hinkt auch Ihre Parallele zu China gewaltig, was den in seinem Fall nicht analog vollzogenen sportlichen Boykott angeht – , wird den Preis dafür in Form der ökonomischen Konsequenzen zu tragen haben (und dazu gehört der Wirtschafts- und Öffentlichkeitsfaktor Sport zweifelsohne dazu; zumindest kann man den den Verbänden keinen Vorwurf machen, wenn sie das so beurteilen.) Was Sie zur Causa Schröder schreiben, finde ich darüber hinaus schon einigermaßen sonderbar: Das liest sich so – und soll sich auch so lesen – , als hätte es da gewissermaßen eine von oben angeordnete Strafmaßnahme gegen Schröder gegeben und die betreffenden Mitarbeiter seien quasi auf höhere Weisung von ihm “abgezogen” worden. Das ist nicht der Fall. Sie haben von sich aus gekündigt, weil sie offensichtlich nicht länger für diesen Mann arbeiten wollen – wozu sie gleichfalls alles Recht der Welt haben (und nebenbei mein volles Verständnis). Bei dem, was gerade an Barbarischem in der Ukraine passiert, ist es im Übrigen schon fast komisch, wenn Sie neben vage erwähnten “andauernden Kriegen” als die nächstliegenden Belege für die “Verrohung der Gesellschaften weltweit und hierzulande” ausgerechnet diese breit ausgemalten Beispiele aus der völligen Peripherie der Sachlage als Beleg anführen. Aber nun ja: die Argumentation von linker (und die ins gleiche Horn tutende von rechter) Seite kommt mir ohnehin so vor, als würde jemand auf eine Waage, auf deren einer Seite ein Zentergewicht liegt, auf die andere eines von anderthalb Gramm legen und behaupten, nun sei die Bilanz mehr oder weniger ausgeglichen – denn es lägen ja auf beiden Seiten die Gewichte in gleicher Anzahl. Es grüßt Sie Patrick Lindner 4. Leserbrief Moin liebes Team der NDS. Vorab meinen Respekt und Dank für Ihre Arbeit. Sich Tag für Tag mit dem zu beschäftigen, was Politiker sich ausdenken und über die Medien verbreiten, das ist eine Leistung die ich sehr hoch schätze. . Und jetzt zu Ihrem heutigen Artikel … den Russen soll es an den Kragen gehen. Konnte man, als C noch das beherrschende Thema war, doch feststellen, daß es plötzlich salonfähig war, Menschen zu beschimpfen nur weil sie anderer Meinung waren so erlebe ich jetzt einen wahren Dammbruch. Politiker und Medien vereint und ich habe das Gefühl, jeder möchte den anderen noch übertreffen was Diffamierung, Hass und Hetze angeht. Der Artikel passt auch sehr gut zu dem, was mir heute Morgen, nachdem ich die Bilder von den gestrigen Demos nochmal geistig verarbeitet hatte, Sorgen bereitet. Es sind sehr viele Jugendliche und sogar Kinder dabei. Ich unterstelle mal, daß doch die meisten sich noch kein eigenes Bild von den Geschehnissen und Hintergründen machen können. Sie werden in meinen Augen instrumentalisiert nach dem Motto „Russland und vor allem Putin ist das Böse. Wie soll da jemals wieder ein vernünftiges Miteinander entstehen? Betrifft es doch gerade die heranwachsende Generation und deren Zukunft. Ein Aspekt, der meiner Meinung nach bisher kaum Beachtung gefunden hat. Vielleicht ist es ja mal ein Thema, sich grundsätzlich mit den sozialen und finanziellen Folgen des derzeitigen Handelns der Regierungen für die nächsten Generationen zu beschäftigen? Bleiben Sie am Ball. Viele Grüße Reinhard Rödenbeck 5. Leserbrief Sehr geehrte Herausgeber der Nachdenkseiten, seit nunmehr mehreren Jahren lese ich regelmäßig ihre Seite und bin dankbar für die von Ihnen geleistete, unermüdliche Aufklärungsarbeit. Wenn es das Ziel vorher war, in Russland in irgendeiner Form einen Regime-Change durchführen zu können, dann dürfte das wohl mittlerweile unmöglich sein. Was passiert denn mit einem Volk, dass als gesamtes in Sippenhaft genommen wird? Wenn es sieht, dass ihm nur noch Hass entgegenschlägt? Es wird sich geschlossen hinter seine Führung (Putin) stellen. Wenn es so etwas wie eine Opposition in Russland gab, ist diese spätestens jetzt quasi nicht mehr existent. Man gewinnt den Eindruck, dass wir es doch mit einer latent vorhandenen Russophobie in Europa zu tun hat, auch wenn ich mich persönlich bisher der Existenz einer solchen verweigert habe. Ich sehe hier erschreckende Parallelen zu einer der dunkelsten Zeiten Europas. Wenn das kein offen zur Schau gestellter Rassismus ist…was ist es dann? Das Beispiel des Chef-Dirigenten ist doch nichts anderes als eine moderne Form der Inquisition – Schwöre ab oder stirb! Ich bin einfach nur fassungslos. In was für einem Zustand befindet sich unsere Gesellschaft mittlerweile? Mit freundlichen Grüßen S. Gabriel 6. Leserbrief Liebe Nachdenkseiten, sehr geehrter Herr Benz, vielen Dank für Ihren Bericht, der ja immerhin auch den einen oder anderen Lichtblick enthält. Ich fürchte dennoch, wir sind endgültig im Totalitarismus angelangt. Ich leite Ihnen eine Email meiner Rektorin weiter; im Original und von meiner Dienstadresse aus, sonst würde man es mir nicht glauben. Aus genau den Gründen, die sie in Ihrem Artikel beschreiben, bitte ich jedoch darum, dass, wenn Sie diesen Vorgang veröffentlichen, das dann bitte vollständig anonymisiert zu tun. Ganz herzlichen Dank für Ihre Arbeit. Wenn es die Nachdenkseiten nicht gäbe, würde ich vor Einsamkeit und Verzweiflung an der Welt irre werden. Beste Grüße Sehr geehrte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, anlässlich der russischen Invasion der Ukraine hat die Allianz der Wissenschaftsorganistationen in einer Stellungnahme vom 25. Februar die Entschlossenheit ihrer Mitglieder verkündet, die intensive wissenschaftliche Zusammenarbeit mit ukrainischen Partnern fortzusetzen. Darüber hinaus hat die Allianz der Wissenschaftsorganisationen bereits zum jetzigen Zeitpunkt empfohlen, wissenschaftliche Kooperationen mit staatlichen Institutionen und Wirtschaftsunternehmen in Russland mit sofortiger Wirkung bis auf weiteres einzufrieren. Deutsche Forschungsgelder sollen Russland nicht mehr zu Gute kommen und es sollen keine gemeinsamen wissenschaftlichen und forschungspolitischen Veranstaltungen stattfinden. Neue Kooperationsprojekte sollten aktuell nicht initiiert werden. Vor diesem Hintergrund möchten wir einen Überblick über laufende und bereits in Vorbereitung befindliche Projekte an der Universität Greifswald gewinnen, die mit ukrainischen, russischen oder belarussischen Partner*innen durchgeführt werden bzw. durchgeführt werden sollen. Falls Sie mit Partner*innen in den genannten Ländern in einem oder mehreren Projekten zusammenarbeiten, teilen Sie dem Rektorat für jedes Projekt bitte folgende Informationen bis zum 4. März 2022 an (…) mit: Projekttitel Mit freundlichen Grüßen 7. Leserbrief Sehr geehrtes Team von den Nachdenkseiten,   ich arbeite nicht für, aber auf dem Gelände eines namhaften Forschungszentrums in Deutschland. Heute Morgen wurde über den internen Newsletter folgendes bekannt gegeben: Des Weiteren werden die konkreten Schritte beschrieben, wie die Kooperation zu sämtlichen russischen Partnern und sogar “jegliche Kommunikation, gleich welcher Art“  einzustellen. Daraufhin habe ich einen Brief an den Vorstandsvorsitzenden verfasst, welchen ich Ihnen zur Veröffentlichung auf den Nachdenkseiten anbieten möchte: Im Moment hadere ich noch mit mir, ob ich diese Mail absenden soll, besonders nach der Lektüre des Artikels von Frank Blenz. Das Forschungszentrum ist zwar nicht mein Arbeitgeber, aber trotzdem kann man mir das Leben hier noch schwerer machen, als es schon ist. Oder die Mail an meinen Professor weiterleiten, welcher bis jetzt sehr rücksichtsvoll war. Zudem bin ich nicht geimpft gegen Covid und damit nicht in einer starken und sicheren Position. Gleichzeitig ertrage ich es nicht mehr, die geballte Faust in der Tasche haben. Dies habe ich nun zwei lange Jahre getan und auch das hat mir, neben den Maßnahmen, meine psychische Gesundheit geraubt. Deswegen bitte ich um Verständnis, dass der Name des Forschungszentrums “geschwärzt” wurde und mein Name nicht veröffentlich werden soll. An dieser Stelle möchte ich Ihnen herzlichst Danken für Ihre unermüdliche Arbeit der Aufklärung. Leider wird sie mit jedem Tag wichtiger. In einer idealen Welt würde man die Nachdenkseiten nur wegen der guten Artikel besuchen und nicht, weil es die einzige Möglichkeit ist, an echte Information zu kommen. Hochachtungsvoll, N. N. 8. Leserbrief Sehr geehrter Herr Blenz, nach 2 Jahren Hass und Verachtung für “Coronaleugner” und “Impfverweigerer” wundert mich das nicht. In meinen schlimmsten Alpträumen sehe ich schon wieder paramilitärische Schlägertrupps, die jeden zusammenschlagen, der sich nicht offen gegen Putin stellt. Gibt es dann wieder Straßenschlachten, diesmal zwischen “Russlandverstehern” und “Putingegnern? Ich frage mich schon, ob ich irgendwann gezwungen sein werde, meinen Vornamen zu ändern, ich heiße Natascha, obwohl ich nur einen innerdeutschen Migrationsgrund habe und keinen russischen. Hoffentlich werden diese Alpträume nicht zur Realität. Ich bin zu jung, um mich bewusst an den kalten Krieg zu erinnern. Aber aus Erzählungen weiß ich, dass es solche Hetzen gegen Russen damals nicht gab. Wie soll so noch ein friedliches Miteinander möglich sein? Liebe Grüße Natascha Hübner 9. Leserbrief Sehr geehrter Herr Blenz, vielen Dank für diesen Artikel. Ich bin selbst entsetzt, mit welcher Hetze gegen Russland und seine Staatsangehörigen oder Institutionen, welche von Russland finanziert werden, „geschossen“ wird. Offenkundig haben die „Schiessenden“ in der Corona-Krise gelernt, wie man mit Kanonen auf Spatzen schiesst und wenden dies nun eins zu eins auf eine Konfliktpartei in einer militärischen Krise an. Und wieder sind nur die Einen die Guten und die Anderen die Bösen. Die gesellschaftliche Spaltung und das Wiederfinden von Mass und Ziel scheinen zu einem Dauerzustand zu werden bzw. In unerreichbare Ferne gerückt zu sein. Was ist aus Deutschland nur geworden? Mit freundlichen Grüßen T. Preuß 10. Leserbrief Es ist erschreckend, wie schnell eine angeheizte Stimmung umkippen kann. Bezüglich der BDS-Kampagne haben sich viele Leute in den letzten Jahren stark gemacht, dass Boykotte von israelischen Waren als ein “Kauft nicht beim Juden” besondersin Deutschland ja gar nicht ginge. Bei einem “Kauft nicht beim Russen” gibt es anscheinend keinen Widerspruch. Gibt es eigentlich noch Vorgänge in diesem “besten Deutschland aller Zeiten”, die nicht vor Doppelmoral triefen..? Firmen, die dabei mitspielen, sind mir zwar suspekt, aber im Grunde erwarte ich nichts anderes von ihnen. Netto hat absolut kein Interesse an den vermeintlich hehren Zielen dieser Aktionen… sie springen legiglich auf den Meinungszug auf, von dem sie sich aktuell Marketingvorteile versprechen. Morgen sieht das wieder anders aus. Leider dürfte das den meisten nicht auffallen, immerhin ist es jetzt endlich wieder erlaubt jemanden offen zu hassen und es ist regierungsseitig und medial abgesegnet. Keine Gefahr, in der Gesellschaft dafür abgestraft zu werden. Wurde die Mehrheit der Bevölkerung jetzt also tatsächlich umgedreht, wie manche Schreiber schon frohlockt haben? Sind “wir” wieder offiziell Russenhasser? Waren die letzten 30 Jahre einfach nur ein Ausrutscher? Bezüglich der Regierung kann man das sicherlich ganz klar mit einem “Aber sowas von!” beantworten, aber ich hoffe, für die Bürger war es “nur” eine Art Karnevalsersatz und sie kommen wieder zur Besinnung aus Ihrem Rausch… allerdings ist meine Hoffnung angesichts der Erfahrung der letzten zwei Jahre eher begrenzt. Wir haben jetzt eine Regierung, die jede Resthemmung fallen gelassen hat und offen auf Feindkurs eingeschwenkt ist und wenn sie sich der Zustimmung einer Mehrheit gewiss ist, wird die Zukunft noch dunkler als sie aus wirtschaftlichen Gründen sowieso schon sein wird. Mit fast schon verzweifelten Grüßen, Richard Spiller 11. Leserbrief Sehr geehrtes Team der Nachdenkseiten. Man könnte meinen, dass die Coronapandemie in Sachen Ausgrenzen erst nur eine kleine Übung war, die nun in einen neuen Rassismus führt. In einen neuen Rassismus bislang ungeahnten Ausmaßes, jetzt halt gegen “die Russen”. Das schlimme ist, es stört sich kaum jemand dran, schließlich hat man ja schon acht Jahre lang weg gesehen, während Faschisten und Bandera-Fanatisten in der Ukraine die Donbassbevölkerung terrorisieren und nach und nach ausrotten. Mit Unterstützung der vorherigen und jetzigen Regierung. Ich bin zwar kein Russe, aber in den letzten Tagen bekam auch ich verbale Angriffe zu spüren. Es ist offensichtlich meinen Mitmenschen ein Dorn im Auge, weil ich einen Druschba-Anstecker an der Jacke trage und damit den Völkerfreundschaftsgedanken offenbare, den ich momentan wichtiger denn je finde. Die Verbalattacken gegen mich mögen gewiss noch harmlos sein, aber ich kann durchaus nachempfinden, wie sich russischstämmige Mitmenschen hierzulande fühlen dürften, wenn ihnen der blanke Hass entgegenschlägt. Das macht mich traurig und ich schäme mich dafür, dass es so etwas im besten Deutschland aller Zeiten wieder gibt und salonfähig geworden ist. Immerhin ist es Genugtuung für mich, dass ich all jenen von denen ich weiß, die Grünen gewählt zu haben, nun genüsslich nochmal aufs Butterbrot schmieren kann, wovor ich sie vor der Bundestagswahl gewarnt habe. Sei es die gefährliche Vasallentreue der transatlantischen Sprechpuppe im Außenministerium und weiteren Mitgliedern der ehemaligen Umwelt- und Friedenspartei als auch, die rapide steigenden Energiepreise bzw fehlende Energiesicherheit. Mit freundlichen Grüßen Helge Bilau 12. Leserbrief Liebes Team, es ist gut, dass es in diesen Zeiten die Nachdenkseiten gibt. So wie heute muss es zum Beginn des Ersten Weltkrieges gewesen sein. Hass und Hysterie bestimmen die Medien und die Politik. Da wird in München der Chefdirigent der Münchener Philharmoniker entlassen, weil er Putin nahesteht und die Medien klatschen Beifall. Vor der UNO Vollversammlung sagt Außenministerin Baerbock an Russland gewandt, „Ihre Panzer bringen kein Wasser, keine Babynahrung, keinen Frieden“, und die Medien klatschen Beifall. Mit ihrer Binsenweisheit hat Baerbock zwar recht aber haben etwa Nato- und US- Panzer in Jugoslawien, im Irak, in Afghanistan Wasser, Babynahrung und Frieden gebracht? EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen spricht sich dafür aus, die Ukraine umgehend in die EU aufzunehmen und die Medien klatschen Beifall. Bundeskanzler Scholz will mal eben so zusätzlich 100 Milliarden Euro für Rüstung ausgeben, und die Medien klatschen Beifall. Fast alle im Bundestag vertretenen Parteien wollen Waffen an die Ukraine, mitten hinein in einen heißen Krieg, liefern, und die Medien klatschen Beifall. Wenn ich die letzte Sitzung des EU Parlaments sehe und höre, den kitschtriefenden Pathos spüre, der da durch den Saal waberte, diese aufgesetzte Einigkeit gegen den Feind Russland, macht mir das Angst. Ich bin kein EU Gegner. Aber wenn am nächsten Sonntag darüber abgestimmt würde, ob Deutschland die EU verlassen soll, ich würde nicht zögern und mit ja stimmen. Die völlig unkritische undifferenzierte Berichterstattung aller Medien macht fassungslos. Russland wird dafür kritisiert, dass seine Bürger über die staatlich kontrollierten Medien einseitig informiert werden. Was unterscheidet uns da heute von Russland? Nicht ein Sender, nicht eine Zeitung, nicht eine Zeitschrift befasst sich ernsthaft mit der Frage, wer verfolgt welche Interessen im Ukraine Krieg? Wem nützt der Krieg? Wer sind die Gewinner, wer die Verlierer? – Es wird in erschreckender Einmütigkeit verkündet, Russland, genannt Putin, habe die kleine wehrlose Ukraine militärisch überfallen, um zu verhindern, dass sich hier ein freier demokratischer und friedlicher Rechtsstaat entfaltet. Der Westen, d.h. USA, EU und Nato müssen alles tun, um Freiheit und Demokratie zu schützen. Hier Gut, da Böse – so simpel die verlogene Geschichte, die die Medien verbreiten. Ohne die Nachdenkseiten würde ich heute manchmal an meinem eigenen Geisteszustand zweifeln. Die Nachdenkseiten beweisen mir täglich, dass sich eben nicht ganz Deutschland im Krieg gegen das vermeintlich Böse befindet. Vielen Dank Tobias Riegel, Jens Berger, Albrecht Müller, Frank Blenz, Rainer Werning und allen anderen Autoren für kritische lesenswerte Beiträge in dieser verrückten Zeit. Mit besten Grüßen Thomas Arnold 13. Leserbrief Sehr geehrter Herr Blenz, bitte entschuldigen Sie zuerst, dass ich hier nicht mit meinem Namen unterschreiben will. Aber wie Ihr Artikel schon aufzeigt, sind derzeit Menschen, die Russland nicht aufgeben wollen, Feinde Deutschlands, des Westens, des Friedens, der Demokratie und überhaupt … Ich lebe in Ostdeutschland und hatte zu DDR-Zeiten immer Probleme mit der verordneten deutsch-sowjetischen Freundschaft. Man kann Freundschaft meiner Meinung nach nicht institutionalisieren. Aber natürlich habe ich mich immer für die großartige russische Kultur und Geschichte interessiert. Ist das jetzt alles nichts mehr wert? Nein, das kann und will ich nicht glauben! Ich jedenfalls trete jedem entgegen, der Menschen für etwas büßen lassen will, was sie nicht zu verantworten haben. Wenn die Russen 1945 so gehandelt hätten, gäbe es uns heute nicht mehr! Meine Mutter hat andere (positive) Erfahrungen mit einem russischen Soldaten als Kind gemacht, der ihr ein Brot geschenkt hat, und eine Kollegin erzählte gestern erst von ihrem Onkel, der als Verwundeter in russischer Kriegsgefangenschaft von einer russischen Ärztin einfach mal 17 gemacht wurde, statt 18 und deshalb nach Hause entlassen wurde. Die anderen sind vermutlich nach Sibirien gekommen. Und selbst meine Großmutter hat immer gesagt: Die Russen haben uns nicht bombardiert oder mit Tieffliegern beschossen. Das waren nur die Briten und Amerikaner. Damit ich richtig verstanden werde: Natürlich haben auch russische Soldaten 1945 geplündert, vergewaltigt und gemordet. Aber nicht auf Befehl, sondern demoralisiert, aus Rache oder eigenem Antrieb. Solche schrecklichen Szenen aber gab und gibt es in allen Kriegen der Weltgeschichte. Deshalb gehört der Krieg geächtet, aber nicht ein ganzes Volk, dessen Machthaber einen Krieg beginnt! Danke für Ihren Artikel, Herr Blenz, und danke den Nachdenkseiten für immer wieder nachdenklich stimmende Artikel! Alles Gute! W. 14. Leserbrief Sehr geehrter Herr Blenz, wenn ich die gesellschaftlichen und politischen Aktionen und Reaktion in Bezug auf den Krieg in der Ukraine betrachte, komme ich nicht umhin, Parallelen zur Corona-Pandemie zu sehen. In beiden Fällen lauten die Sätze und Sprüche, die weltweit von Politikern geäußert werden, bis auf die Kommata gleich. In beiden Fällen wirken die Reden wie von einem Regisseur an alle Beteiligten verteilt und auswendig gelernt. Es wurde schon sehr früh vom “Krieg gegen das Virus” geredet. Menschengruppen wurden und werden gegeneinander aufgewiegelt und als unversöhnliche Gegner etabliert. Eine bestimmte Gruppe Menschen wurde und wird vom öffentlichen Leben ausgeschlossen, als “Feind” und sogar als “Mörder” bezeichnet. Es gibt noch etliche weitere Gemeinsamkeiten, die in diese Betrachtungsweise passen. Die meisten Leser werden wohl sagen, das alles sei doch ein wenig weit hergeholt, Corona und Krieg haben doch nichts miteinander zu tun. Mag sein. Aber ich finde es schon auffällig, daß just in dem Moment, da ein großer Krieg in Europa ins Haus steht, das Virus plötzlich uninteressanter, weil “harmloser”, geworden ist. Waren die Maßnahmen “gegen das Virus” nur so etwas wie eine Generalprobe? Sind wir jetzt “weichgekocht” genug für den nächsten Akt der Zerstörung der Gesellschaft? Hat das Narrativ rund um Corona jetzt ausgedient? Oder, um es mit Schillers Worten zu sagen: Ein(e) jede(r) möge sich eine eigene Meinung dazu bilden. Besonders schlimm finde ich jedoch, daß all die restriktiven Maßnahmen, negativen Botschaften und staatlich angeordneten Diskriminierungen und Diffamierungen in den Köpfen der Menschen auf fruchtbaren Boden gefallen zu sein scheinen und der Druck, der von der Politik auf die Bevölkerung “zum Schutz vor Corona” ausgeübt wurde, jetzt quasi weitergereicht wird: waren es vor kurzem noch die nicht Geimpften, die als “Feinde der Demokratie” bezeichnet und entsprechend behandelt wurden, sind es jetzt plötzlich, wie in den Siebzigerjahren, wieder die Russen. Es würde mich nicht wundern, wenn diejenigen, die sich jetzt lauthals über den Ausschluss von russischen Bürgern aus Teilen der Gesellschaft freuen, genau die gleichen sind, die noch vor ein paar Tagen “2G”-Schilder an Kneipen, Kinos und Theater bejubelten und in jede Kamera ihre Erleichterung darüber kund taten, daß die nicht Geimpften “Volksschädlinge” jetzt nirgends mehr hinein dürfen. Und die wenigen, die sich völlig zurecht über die Hetze gegen russische Mitbürger aufregen, schwiegen vor ein paar Tagen noch wie ein Grab, wenn sie ein “2G”-Schild sahen. Diskriminierung? Nicht doch! Die können sich doch impfen lassen! Aber die Ukrainer, die haben jetzt unsere volle Solidarität verdient! Nieder mit den bösen Russen! Prominente und “Künstler”, die noch vor wenigen Tagen gegen Ungeimpfte wetterten, entdecken jetzt plötzlich ihr Herz für die Ukraine. Musiker, die — wenn’s hochkommt — für einen halben Tag in der Ukraine waren, um ein Musikvideo zu drehen, fühlen sich “unheimlich solidarisch” mit dem Land. Haben diese Leute überhaupt irgend etwas von dem Land und seinen Menschen gesehen außer ihren Drehort und die mitgebrachten Kameraleute? Können diejenigen, die sich mit der Ukraine solidarisieren, das Land überhaupt auf dem Globus finden? Doppelmoral, wohin man blickt! Die Weigerung, sich Argumente der Gegenseite auch nur anzuhören, ist eine weitere Gemeinsamkeit, die Corona und der Krieg teilen. Es gibt in beiden Fällen nur eine einzige Wahrheit, und wer die nicht teilt oder anderer Meinung ist, gehört automatisch zu “den Bösen”. Wer den Meinungskorridor verlässt, wird zum Paria. Es ist ungeheuerlich, was in diesem Land passiert. Ja, gleiches passiert auch anderswo, aber gerade “wir Deutsche” präsentieren uns immer als besonders weltoffen und Vorbild für andere. Wann handeln wir auch dementsprechend? Um es mit einem weiteren Zitat zu sagen: Heinrich Heine bedauerte in seinem Gedicht “Nachtgedanken” einst die lange Trennung von seiner Mutter, aber nichts beschreibt die Emotionen beim Gedanken an dieses Landes seit einiger Zeit besser als diese ersten Zeilen seines Gedichts. Wann hören wir auf, uns manipulieren zu lassen, damit wir wie Tiere niederen Instinktes übereinander herfallen? Wann hören wir auf, Sündenböcke, die uns für das Versagen der Politik präsentiert werden, als Sündenböcke zu akzeptieren? Wann hören wir auf, ein ganzes Volk für die Handlungen der politischen Führung verantwortlich zu machen? Wann fangen wir an, uns gegenseitig (wieder) als Menschen zu betrachten und zu behandeln? Was wäre wohl gewesen, wenn die gesamte Welt 1999 allen Deutschen ihren Hass entgegen geschleudert hätte, nur weil ein gewisser Herr Schröder deutsche Soldaten in den Krieg gegen ein souveränes Land geschickt hatte? Schon die Soldaten hatten damals wegen der Wehrpflicht nur zwei Möglichkeiten: entweder gehorchen oder Kriegsgericht. Die deutsche Bevölkerung hatte aber gar keine Wahl und noch weniger Mitspracherecht. Bevor heute also mit den Fingern auf russische Bürger gezeigt wird, sollten diese Finger dringend zu den eigenen Nasen geführt werden! Mit freundlichen Grüßen, Wolfgang Klein Anmerkung zur Korrespondenz mit den NachDenkSeiten Die NachDenkSeiten freuen sich über Ihre Zuschriften, am besten in einer angemessenen Länge und mit einem eindeutigen Betreff. Es gibt die folgenden E-Mail-Adressen: Weitere Details zu diesem Thema finden Sie in unserer „Gebrauchsanleitung“.
Redaktion
Frank Blenz weist in diesem Beitrag auf das Ausmaß der Maßnahmen gegen Russland und seine Staatsbürger hin. Sie reichen u.a. von der Kultur über Sport bis hin zum Warenboykott. Auch die Tourismusbranche mische mit, wenn Fans im Europapark einen neuen Namen für die von „Nord Stream“ gesponserte Achterbahn fordern würden. Zu lesen sei auch, dass russische Gäste aus einem Restaurant in Baden-Würt ...
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[ "Leserbriefe" ]
04. März 2022 12:08
https://www.nachdenkseiten.de/?p=81532&share=email
Orientierungslos im Propagandawald
In den Vereinigten Staaten vollzieht sich unter der Präsidentschaft von Donald Trump derzeit ein umfassender innen- und außenpolitischer Wandel. Betroffen ist die Haltung zum Krieg in der Ukraine, zu Russland und China, zum Außenhandel, zur Einwanderung, zu etablierten Medien, zum Einfluss der eigenen Geheimdienste sowie zur Gesundheitspolitik. Während die innenpolitische Wendung in den USA nur indirekt Auswirkungen auf die Politik in Europa hat, würfelt die Neuausrichtung der US-Außenpolitik derzeit die politische Agenda vieler europäischer Länder durcheinander. Von Karsten Montag. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Podcast: Play in new window | Download In zwei Beiträgen werden der politische Wandel in den USA, dessen mögliche Gründe sowie die Auswirkungen auf die Politik in Europa und Deutschland näher beleuchtet. In diesem ersten Teil wird auf die 180-Grad-Wende der US-Führung unter Präsident Donald Trump hinsichtlich des Krieges in der Ukraine und der Beziehungen zum Kreml eingegangen. Bei genauem Hinsehen lassen sich Hinweise erkennen, dass die außenpolitische Wende der Vereinigten Staaten im Grunde nur ein Taktikwechsel einer übergeordneten, langfristigen geopolitischen Strategie darstellt. Offenbar ohnmächtig, dagegen etwas zu unternehmen, versuchen die politischen Verantwortlichen in den Machtzentren Europas, den Taktikwechsel ihres vermeintlichen transatlantischen Verbündeten für eigene Zwecke zu instrumentalisieren. Bei der Analyse wird deutlich, dass die Vertreter der EU und ihrer mächtigsten Mitgliedstaaten der US-Strategie nichts entgegenzusetzen haben. Stattdessen machen sie den Eindruck, den amerikanischen und ihren eigenen Propagandalügen zu glauben. Das US-Friedensangebot an Moskau Geht man – wie viele Kommentatoren außerhalb des medialen Mainstreams – davon aus, dass es sich bei dem bewaffneten Konflikt in der Ukraine in erster Linie um einen Stellvertreterkrieg zwischen den USA und Russland handelt, ist es nur konsequent, dass die US-Führung über die Köpfe der Regierenden der Ukraine und der übrigen westlichen Verbündeten hinweg direkt mit dem Kreml über einen Frieden verhandelt. Aus den Details des derzeit diskutierten Vorschlags Washingtons für ein Friedensabkommen geht hervor, dass die USA die Krim als russisches Territorium anerkennen und die russischen Eroberungen im Osten und Süden der Ukraine faktisch akzeptieren wollen. Zudem würden die Vereinigten Staaten sich dazu verpflichten, einen NATO-Beitritt der Ukraine zu blockieren und die US-Sanktionen gegen Russland aufzuheben. Schlussendlich sieht der Plan eine erneute Zusammenarbeit zwischen Russland und den USA in Schlüsselsektoren wie Energie und Landwirtschaft vor und signalisiert damit eine strategische Wiederaufnahme der Wirtschaftsbeziehungen. Die geplante wirtschaftliche Kooperation soll sich offenbar auf die Bereiche Energie und kritische Mineralien konzentrieren. Konkret geht es um die Erschließung von Öl- und Gasvorkommen sowie von Vorkommen seltener Erden in der Arktis. Die US-Führung soll sogar vorgeschlagen haben, dass US-Firmen in russische Projekte investieren. Im Kontrast dazu hat sich die Außenhandelspolitik der USA gegenüber China deutlich verschärft. Seit April gelten Einfuhrzölle für viele chinesische Produkte von 145 Prozent. Die Regierung in Peking hat mit Gegenzöllen und offenbar einem generellen Ausfuhrverbot seltener Erden reagiert. Zudem gibt es Hinweise, dass die US-Führung Zollandrohungen gegen andere Länder nutzt, um deren wirtschaftliche Kooperation mit China zu reduzieren. Gründe für den außenpolitischen Wandel Vordergründig rechtfertigt Trump seine Haltung zum Krieg in der Ukraine mit dem Argument, das sinnlose Töten beenden zu wollen. Obwohl dies auf den ersten Blick ehrenvoll erscheint, wird es sicherlich nicht der Hauptgrund für die veränderte US-Position gegenüber Russland und der Ukraine sein. Denn Ähnliches gilt auch für den Konflikt zwischen den Israelis und Palästinensern. Doch hier unterstützt Trump offen Israel, das vor dem Internationalen Gerichtshof des Völkermords angeklagt ist, sowie dessen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, gegen den vom Internationalen Strafgerichtshof ein Haftbefehl wegen des Verdachts auf Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erlassen wurde. Die tatsächlichen Gründe für den Wandel der US-Außenpolitik sind eher in der Situation an der Front in der Ukraine sowie in einer angepassten geopolitischen Taktik zu suchen. Nach mehr als drei Jahren Krieg und Waffenlieferungen sowie Hilfeleistungen an die Ukraine im Wert von mehreren Hundert Milliarden Dollar zeichnet sich bereits seit über einem Jahr ab, dass Russland den Krieg auf dem Schlachtfeld gewinnt. Die relativ geringen russischen Geländegewinne sowie wiederholte ukrainische Gegenoffensiven haben in der Vergangenheit dazu geführt, dass westliche Politiker und Journalisten von einer Pattsituation in der Ukraine gesprochen haben. Dabei wird jedoch übersehen, dass die russische Führung spätestens seit Ende 2022 die Strategie gewechselt und sich auf einen langwierigen Abnutzungskrieg eingestellt hat. Russland hat seitdem sukzessive seine Rüstungsindustrie ausgebaut und seine Armee vergrößert. Damit hat das Land den Westen in eine schwierige Situation gebracht, denn offensichtlich lässt sich das Blatt in der Ukraine nur noch wenden, wenn deren Verbündete neben weiteren Waffenlieferungen auch eigene Soldaten an die Front schicken. Aufgrund des immensen Eskalationspotenzials einer derartigen Entscheidung bis hin zu einem Atomkrieg besteht nicht nur die Gefahr, dass der Widerstand in der westlichen Bevölkerung wächst. Auch die wichtigsten wirtschaftlichen Verbündeten Russlands – China und Indien – würden sich bei einer drohenden Niederlage der russischen Armee höchstwahrscheinlich deutlicher gegen den Westen positionieren und in den Konflikt eingreifen. Denn es ist kaum zu erwarten, dass diese beiden Länder auf die für die Entwicklung ihrer Volkswirtschaften wichtigen Öl- und Gaslieferungen aus Russland verzichten oder diese unter westlicher Kontrolle sehen wollen. Eine vereinigte Front auf dem eurasischen Kontinent gegen den Westen kann jedoch nicht im geopolitischen Interesse der USA liegen. Hintergründe der geopolitischen Strategie der Vereinigten Staaten Die wichtigste geopolitische Strategie der USA zur Wahrung ihrer Vormachtstellung in der Welt ist seit dem Zweiten Weltkrieg die Verhinderung einer wirtschaftlichen und militärischen Supermacht auf dem Eurasischen Kontinent. Dies wird in den Theorien des niederländisch-amerikanischen Geostrategen Nicholas Spykman deutlich, die Grundlage der Eindämmungspolitik im Kalten Krieg waren. Sämtliche großen Stellvertreterkriege dieser Zeit fanden an den Grenzen der Einflussgebiete der Sowjetunion und Chinas statt. Diese Strategie findet sich zudem bei dem ehemaligen US-Sicherheitsberater Zbigniew Brzeziński wieder. Mit dem Ende des Kalten Krieges und der wirtschaftlichen Öffnung Russlands und Chinas für den Westen änderte sich die geopolitische Lage jedoch schlagartig. Während die USA die damalige Schwäche Russlands nutzten, um ihre militärische Präsenz im Nahen Osten und damit den Zugriff auf die dortigen Öl- und Gasvorkommen zu stärken, intensivierte sich die wirtschaftliche Kooperation zwischen Europa, Russland und China. Spätestens nach der Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin im Deutschen Bundestag 2001 müssen bei den amerikanischen Geostrategen die Alarmglocken geklingelt haben. Der damals noch junge Putin sprach von einer Vereinigung Europas mit den „russischen menschlichen, territorialen und Naturressourcen sowie mit den Wirtschafts-, Kultur- und Verteidigungspotenzialen Russlands“. Trotz der Lippenbekenntnisse zum transatlantischen Bündnis war es unter der Annahme, dass die USA weiterhin eine wirtschaftliche und militärische Supermacht auf dem Eurasischen Kontinent verhindern wollten, nur konsequent, gegen eine wachsende Kooperation der EU mit Russland zu opponieren. Sanktionsdrohungen gegen den Bau von Nord Stream 2 waren nur ein Mittel der Vereinigten Staaten, um einen Keil zwischen die sich intensivierenden Beziehungen der europäischen Staaten mit ihrem großen Nachbarn im Osten zu treiben. Deren Ziel war es ausdrücklich, Europa von der russischen Gasversorgung abzuschneiden und stattdessen den Export amerikanischer Gaslieferungen zu fördern. Deutlich effektiver war in dieser Hinsicht die NATO-Osterweiterung, die unweigerlich zur Überschreitung roter Linien in Moskau führen musste. Mit der Erklärung auf dem NATO-Gipfel 2008 in Bukarest, den Beitritt Georgiens und der Ukraine zu begrüßen, war diese Linie erreicht. Trotz der deutlichen Warnungen Russlands ließen insbesondere die USA nicht locker, unterstützten den gewaltsamen Putsch in der Ukraine 2014 und bauten zusammen mit ihren europäischen Verbündeten die militärische Kooperation mit Kiew aus. Im politischen und medialen Mainstream in den USA und Europa wird behauptet, dass das direkte militärische Eingreifen Russlands in den Bürgerkrieg in der Ukraine 2022 unprovoziert gewesen sei – auch wenn dies selbst von renommierten westlichen Beobachtern bestritten wird. Dass das Eingreifen unvorhersehbar war, würde jedoch historischen Tatsachen widersprechen. Denn es waren die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel sowie der damalige französische Präsident Nicolas Sarkozy, die 2008 auf dem NATO-Gipfel in Bukarest einen konkreten Plan für die Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO verhindert haben – um Russland nicht zu provozieren. Mit dem direkten Eingreifen der russischen Armee in der Ukraine, den EU-Sanktionen gegen Russland und der Sprengung der Nord-Stream-Pipelines 2022 ist die Zusammenarbeit der EU mit Russland endgültig zu Grabe getragen worden. Das politische Vertrauen ist auf beiden Seiten auf nicht absehbare Zeit zerstört. NATO-Engagement in der Ukraine bereits seit 2014 Vorausgesetzt, dass die NATO-Osterweiterung bewusst von den USA instrumentalisiert wurde, um einen Keil zwischen Russland und den Rest Europas zu treiben, lässt sich eine konsequente Verfolgung dieses Vorhabens über alle US-Präsidenten seit Bill Clinton feststellen. Letzterer hatte bereits den Widerstand des damaligen russischen Präsidenten Boris Jelzin gegen die NATO-Osterweiterung ignoriert und das Interesse einer Aufnahme Russlands in die NATO laut einer Aussage Putins abgeblockt. Der ehemalige US-Präsident George W. Bush hat auf dem NATO-Gipfel in Bukarest 2008 auf eine sofortige Aufnahme der Ukraine und Georgiens in das westliche Verteidigungsbündnis gedrängt. Der ehemalige US-Präsident Barack Obama rief die NATO 2014 dazu auf, die Ukraine militärisch gegen Russland zu stärken. Er unterstützte die Ukraine zwischen 2014 und 2016 bereits mit über 600 Millionen Dollar – unter anderem in Form von militärischen Gütern. In seine Amtszeit fällt auch die amerikanische Beteiligung am gewaltsamen Umsturz in Kiew, der im Westen als „Maidan-Revolution“ und demokratische Wende dargestellt wird. Auch die Kooperation zwischen der Regierung in Kiew mit der CIA lässt sich bis in das Jahr 2014 zurückverfolgen. In die erste Amtszeit von US-Präsident Donald Trump fällt die Belieferung der Ukraine mit Panzerabwehrwaffen. Der auf ihn folgende US-Präsident Joe Biden hat bereits als Vizepräsident unter Obama eine Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO unterstützt. Laut einer Aussage des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj hat Biden seine Unterstützung für die Aufnahme der Ukraine in das westliche Verteidigungsbündnis Ende 2021 bekräftigt – noch vor dem direkten militärischen Eingreifen Russlands in den Bürgerkrieg in der Ukraine. „If you can’t beat them, join them“ Ganz sicher nicht im Sinne der US-Geostrategen war, dass es der russischen Regierung unter Wladimir Putin gelingt, sowohl den Stellvertreterkrieg in der Ukraine zu gewinnen als auch den westlichen Sanktionen zu widerstehen. Zumindest auf dem Papier hätte die russische Armee den Waffensystemen der NATO weit unterlegen sein müssen. Die atemberaubende Geschwindigkeit, mit der Russland die intensiven Handelsbeziehungen mit der EU durch die wirtschaftliche Kooperation mit China und Indien ersetzt hat, lässt zudem vermuten, dass es vor dem direkten militärischen Eingreifen in der Ukraine Absprachen zwischen Moskau, Peking und Neu-Delhi gegeben haben muss. Deutlich lieber hätten die geostrategischen Drahtzieher in den USA es sicherlich gesehen, wenn die russische Armee den Konflikt in der Ukraine verloren hätte und die russische Wirtschaft aufgrund der westlichen Sanktionen zusammengebrochen wäre. Das hätte zu innenpolitischen Spannungen in Russland sowie zu einem Regierungswechsel führen können. Ähnlich wie nach dem Ende des Kalten Krieges, als Russlands Wirtschaft am Boden lag, hätte die US-Führung mit einer neuen, westlichen Investitionen gegenüber aufgeschlossenen Regierung in Moskau Abkommen zur Ausbeutung der Ressourcen des Landes treffen können. Mit dem Zugriff auf russische Bodenschätze hätten die USA sowohl ihre europäischen „Partner“ als auch China – ein weiterer Mitbewerber um die wirtschaftliche Vormachtstellung in der Welt – in Schach halten können. Offensichtlich ist dieses Kalkül nicht aufgegangen. Der derzeitige Taktikwechsel der USA erfolgt ganz nach dem englischen Sprichwort „If you can’t beat them, join them“ – wenn ein Gegner zu stark ist, um ihn zu besiegen, dann verbünde dich mit ihm. Das kaum zu übersehende Ziel dieser Wendung ist es, in erster Linie einen Keil zwischen die stark gewachsenen wirtschaftlichen Beziehungen Russlands mit China zu treiben. Dazu passt auch, dass die USA exorbitante Einfuhrzölle auf chinesische Produkte erheben, jedoch keine auf russische. Geht es den Vereinigten Staaten weiterhin darum, eine wirtschaftliche und militärische Supermacht auf dem Eurasischen Kontinent zu verhindern, dann gilt es, das im BRICS-Zusammenschluss formalisierte Bündnis zwischen China, Russland, Indien und weiteren Staaten auf der größten zusammenhängenden Landmasse der Welt aufzuspalten. Die USA haben Europa strategisch vollkommen ausmanövriert Ein ähnlicher Wechsel der außenpolitischen Ausrichtung erscheint derzeit innerhalb der EU weit entfernt. Hierzu bedürfte es eines umfassenden und konfliktbehafteten Politikwechsels in den europäischen Machtzentren sowie der Bereitschaft Russlands, sich noch einmal auf die wechselhaften und von den USA leicht zu manipulierenden politischen Ziele seiner westlichen Nachbarn einzulassen. Zudem haben sich viele europäische Staaten von US-Gaslieferungen abhängig gemacht und – wie in Deutschland – umstrittene LNG-Terminals errichtet. Ein abrupter Wechsel unter den jetzigen politischen Verantwortlichen würde die von ihnen verbreiteten Narrative der vergangenen Jahre – von der Verteufelung Russlands bis zur Glorifizierung der „regelbasierten internationalen Ordnung“ – unglaubwürdig machen und der Opposition dagegen Auftrieb verleihen. Die größtenteils von den USA übernommenen Erklärungsmuster haben bereits aufgrund einer weitreichenden politischen und medialen Aufklärung abseits des Mainstreams an Überzeugungskraft verloren. Die russische Einmischung in die westliche Politik basiert fast ausschließlich auf Spekulationen, die an vielen Stellen widerlegt wurden. Die „regelbasierte internationale Ordnung“ ist wiederum nichts anderes als eine rechtliche Fiktion, um Pflichten wie das Friedensgebot, die sich aus internationalen Verträgen wie der UN-Charta ergeben, öffentlichkeitswirksam zu umgehen. Der gesamte moralische Unterbau westlicher Außenpolitik erscheint dadurch zu Recht ausgehöhlt. Dass viele europäische Entscheidungsträger in politischen Schlüsselpositionen das einfache amerikanische Prinzip von Teilen und Herrschen auf dem Eurasischen Kontinent nicht durchschauen oder sich damit zugunsten ihrer politischen Karriere arrangiert haben, lässt sich nur mit dem immensen politischen, wirtschaftlichen, medialen und kulturellen Einfluss der USA in Europa erklären. Anders ist nicht zu verstehen, warum sie Industrieländer wie Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien, die auf günstige Energielieferungen aus dem Ausland angewiesen sind, von einem ihrer wichtigsten Lieferanten getrennt haben und die physische Unterbrechung der Lieferungen, die Sprengung der Nord-Stream-Pipelines, nicht aufklären. Die vorgeschobenen Gründe verblassen angesichts der vielen Völkerrechtsbrüche der USA, die zu keiner einzigen Sanktion geführt haben. Stattdessen treten die Verantwortlichen die Flucht nach vorn an und lassen mit der bereitwilligen Unterstützung regierungsnaher Medien keine Gelegenheit aus, die alten Narrative aufrechtzuerhalten, einen bevorstehenden Angriff Russlands auf weitere europäische Länder zu behaupten und zusätzlich die neue US-Regierung anzugreifen. Wenn dahinter überhaupt eine Strategie zu erkennen ist, dann ist es aus Sicht des Mitherausgebers des Overton-Magazins und ehemaligen Chefredakteurs von Telepolis das Bestreben, die Einheit der EU zu zementieren und eine größere Unabhängigkeit von den USA voranzutreiben. Der geopolitische Analyst Alexander Mercouris erkennt dahinter den Versuch, Großbritannien wieder in die europäische Staatengemeinschaft aufzunehmen. Der Schweizer Jacques Baud, ehemaliger Geheimdienstmitarbeiter seines Landes, stellt fest, dass Europa weder eine einheitliche Strategie noch ein gemeinsames Ziel verfolgt, um seinem schwindenden Einfluss in der Welt Einhalt zu gebieten. Zudem erfüllen die mächtigsten EU-Staaten mit ihren massiven Rüstungsvorhaben und einer möglichen Wiedereinführung der Wehrpflicht weitere Forderungen der USA: eine Erhöhung der Rüstungsausgaben auf bis zu fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts sowie eine eigenständige europäische Verteidigungsfähigkeit. In den Vereinigten Staaten wird bereits darüber diskutiert, US-Truppen aus Europa abzuziehen. Statt sich für ein friedliches Ende des Konflikts in der Ukraine einzusetzen, was vorrangiges Interesse europäischer Staaten sein sollte, scheinen die politischen und medialen Meinungsführer sich im eigenen Propagandawald verlaufen zu haben. Wie geht es auf kurze Sicht weiter? Derzeit zeichnen sich vier mögliche Szenarien ab: Das erste Szenario erscheint aktuell als das wahrscheinlichste, das vierte als das unwahrscheinlichste, glaubt man den Aussagen von Donald Trump zum Stand der Verhandlungen sowie seinen Äußerungen zur Verantwortung der Biden-Regierung für den Krieg und zur Friedensbereitschaft der Ukraine. Das Zweite und Dritte ist jeweils gleichermaßen nicht unwahrscheinlich. Es ist schwer zu sagen, ob die europäischen Länder bisher mit der Entsendung von eigenen Truppen nur hoch gepokert haben oder nicht. Für den Einsatz der Truppen spricht, dass man die europäische Aufrüstung der eigenen Bevölkerung besser verkaufen kann, wenn die Soldaten von der russischen Armee angegriffen werden und es zu Opfern kommt. Dagegen spricht, dass die Truppen höchstwahrscheinlich nicht kriegsentscheidend sein werden und Russland seine Verbündeten wie Nordkorea auch um Unterstützung bitten könnte. Selbstverständlich sind auch Nuancen zwischen den Szenarien möglich. Auffällig ist jedoch, dass bei keinem eine Entspannung zwischen der Mehrheit der europäischen Staaten und Russland in Aussicht steht. Dass es zu einer europäischen Aufrüstung kommt und damit möglicherweise zu weiteren Spannungen oder einem eventuellen Wiederaufflammen des Krieges in der Ukraine, erscheint derzeit am wahrscheinlichsten. Wäre eine andere Politik Europas möglich gewesen? Die europäischen Staaten hatten nach dem Ende des Kalten Krieges durchaus die Wahl, eine europäische Sicherheitsarchitektur gemeinsam mit Russland aufzubauen, anstatt die NATO-Osterweiterung voranzutreiben. In der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die 1995 aus der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) hervorgegangen ist, waren neben allen europäischen Staaten auch die Nachfolgestaaten der Sowjetunion sowie die Vereinigten Staaten und Kanada vertreten. Doch anstatt sich mithilfe dieses Gremiums auf eine dauerhafte friedliche Koexistenz mit Russland zu konzentrieren, sind die europäischen Staaten zweigleisig gefahren. Sie haben einerseits die wirtschaftliche Kooperation mit Russland ausgebaut und andererseits die NATO bis an die Grenzen Russlands erweitert. Statt sich aus den Völkerrechtsbrüchen der USA seit 1999 herauszuhalten, haben sie diese größtenteils bereitwillig unterstützt – und damit auch gegen die Interessen Russlands gehandelt. Statt sich an die UN-Charta zu halten, die auch von der Sowjetunion, deren Nachfolger Russland ist, unterzeichnet wurde, haben sie ihre Handlungen mit dem Befolgen der „regelbasierten internationalen Ordnung“ gerechtfertigt. Der Begriff steht unter anderem für eine Weltordnung unter der Führung der USA. Mit den Erfolgen Russlands auf den Schlachtfeldern der Ukraine, mit dem Widerstehen der russischen Wirtschaft gegen die westlichen Sanktionen bei gleichzeitigen Wirtschaftseinbußen im Westen sowie mit dem Politikwechsel in den USA stehen die politischen Entscheidungsträger in den Machtzentren Europas nun vor dem Scherbenhaufen einer verfehlten Politik. Es rächt sich nun, nicht eine eigenständige europäische Sicherheitspolitik betrieben zu haben, sondern auch stets die geopolitischen Interessen der USA befriedigt zu haben. Es ist schwer vorstellbar, wie ein Politikwechsel in Deutschland, Frankreich und Großbritannien ohne ein Ablösen der etablierten Parteien von der Macht vonstatten gehen soll. Der designierte neue deutsche Außenminister Johann Wadephul (CDU) hat in einem Telefonstreich seine Haltung zum großen Nachbarn im Osten preisgegeben: Schlussbemerkung Die in diesem Beitrag angestellten Analysen und Überlegungen dienen dazu, rationale Erklärungen für die Verhaltensweisen von Regierungen und überstaatliche Institutionen zu finden. Sie sollen ausdrücklich nicht dazu dienen, Völkerrechtsbrüche und Kriegsverbrechen öffentlich zu billigen, zu leugnen oder gröblich zu verharmlosen. Der Autor verurteilt sämtliche Völkerrechtsbrüche und Kriegsverbrechen, unabhängig davon, ob sie von Russland, der Ukraine, den USA, Deutschland oder anderen Staaten begangen werden. Krieg ist ein Versagen der Diplomatie und sollte aus Sicht des Autors niemals ein Mittel zur Durchsetzung politischer Interessen sein. Titelbild: Rokas Tenys/shutterstock.com
Karsten Montag
In den Vereinigten Staaten vollzieht sich unter der Präsidentschaft von Donald Trump derzeit ein umfassender innen- und außenpolitischer Wandel. Betroffen ist die Haltung zum Krieg in der Ukraine, zu Russland und China, zum Außenhandel, zur Einwanderung, zu etablierten Medien, zum Einfluss der eigenen Geheimdienste sowie zur Gesundheitspolitik. Während die innenpolitische Wendung in den USA nu ...
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02. Mai 2025 10:00
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Cum-Ex-Skandal: „Es kann zweifelsfrei bewiesen werden, dass Bundeskanzler Olaf Scholz vor dem Untersuchungsausschuss gelogen hat“
Die parlamentarische Sommerpause ist noch nicht zu Ende, die erste Sitzungswoche des Bundestags beginnt am 4. September, doch mit der Ruhe im Kanzleramt dürfte es bereits jetzt vorbei sein. Die Affäre um die Warburg-Bank, deren krumme Cum-Ex-Geschäfte und die bis heute nicht abschließend geklärte Rolle von Olaf Scholz in dem Skandal hat eine neue Wendung erfahren. Laut dem Finanzexperten Fabio de Masi, der in seiner Zeit als Abgeordneter der Linksfraktion die Aufklärung zur Causa maßgeblich mit ins Rollen gebracht hatte, belegen neue Dokumente „zweifelsfrei“, dass Kanzler Scholz vor dem Untersuchungsausschuss zur Warburg-Affäre im August 2022 gelogen hat. Rücktrittsforderungen werden laut. Von Florian Warweg. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Podcast: Play in new window | Download Am Abend des 22. August 2023 veröffentlichte der Finanzexperte Fabio de Masi, der zuvor auch als wissenschaftlicher Mitarbeiter von Sahra Wagenknecht tätig war, folgenden umfangreichen Tweet, in welchem er unter anderem erklärte: Diese Darlegung auf X-Twitter führte er in einem Essay mit dem Titel „Warburg-Affäre: Der Beweis, dass der Kanzler lügt“ noch weiter aus. Die Lüge des Olaf Scholz Um zu verstehen, wie und in welcher Form der amtierende Kanzler den Untersuchungsausschuss angelogen hat, muss man einige Jahre zurückgehen. Ende 2019 erklärte der Hamburger Senat nach vorheriger Rückfrage beim damaligen Bundesfinanzminister Scholz auf eine Anfrage der Linken in der Bürgerschaft, es hätte zu keiner Zeit ein Treffen zwischen Scholz (als Erster Bürgermeister von Hamburg von 2011 bis 2018) und dem Aufsichtsratsvorsitzenden der Warburg-Bank, Christian Olearius, gegeben. Wenige Monate später, im Februar 2020, mitten im laufenden Wahlkampf zur Hamburger Bürgerschaft, veröffentlichten ZEIT und NDR Auszüge aus Dokumenten (Tagebuch des Privatbankers Olearius), aus denen hervorging, dass Scholz sich entgegen der bisherigen Darstellung sehr wohl Ende November 2017, mitten im aufgeflogenen Steuerskandal, zumindest einmal mit dem Miteigner der Warburg-Bank getroffen hatte – in seinem Amtszimmer. Erst nach dieser Veröffentlichung räumte Scholz das Treffen ein – und ließ über seinen damaligen Pressesprecher im Finanzministerium (heute im Amt des Regierungssprechers), Steffen Hebestreit, Folgendes verlautbaren: Scholz wird infolge der Enthüllung, die ordentlich für Unruhe im politischen Berlin sorgt, gleich zwei Mal (Frühjahr und Sommer 2020) im Finanzausschuss des Bundestages zu der Thematik befragt. Er bestätigt dort zwar das Treffen im November 2017 mit Verweis auf einen angeblichen Kalendereintrag (das wird noch relevant im weiteren Verlauf!), betont aber, dass er selbst keinerlei eigene Erinnerungen an das Treffen habe, und verschweigt, apropos Erinnerungslücken, zu diesem Zeitpunkt den Abgeordneten, dass es bereits zuvor (2016) Treffen mit Olearius im Hamburger Rathaus gab. Dies wird er erst später einräumen. Mittlerweile weiß die Öffentlichkeit: Scholz traf sich in seiner Zeit als Hamburger Bürgermeister mindestens drei Mal mit Christian Olearius, und das zu einem Zeitpunkt, als gegen die Warburg-Bank bereits wegen massiver Steuerhinterziehung ermittelt wurde. Laut mehreren Medienberichten gibt es zudem Vermerke der Generalstaatsanwaltschaft Köln, die darauf hindeuten, dass es noch weitere Treffen zwischen Scholz und dem Privatbanker in dessen Villa in Blankenese gab. Der Bankier suchte laut seinen eigenen Tagebuch-Aufzeichnungen die Unterstützung von Scholz, um eine Rückforderung des Finanzamts im mittleren zweistelligen Millionenbereich wegen der illegalen Cum-Ex-Geschäfte zu verhindern oder zumindest abzumindern. Ob dies mit oder ohne Hilfe von Scholz geschah, ist bis heute nicht abschließend geklärt. Fest steht aber, das Finanzamt Hamburg verzichtete kurz nach dem Treffen von Scholz mit Olearius tatsächlich darauf, Forderungen in Höhe von weit über 40 Millionen Euro einzutreiben. Insgesamt betrugen die Steuerschulden der Bank bundesweit 170 Millionen Euro. Dekonstruktion der Lügen von Scholz und seinem Pressesprecher Doch zurück zur zuvor zitierten Aussage von Scholz‘ Pressesprecher. An der Korrektheit von dessen Darstellung bestehen erhebliche Zweifel, de Masi spricht in diesem Zusammenhang davon, dass dies „mehrfach gelogen“ sei, und führt dies auch aus: Es liege, so der Finanzexperte weiter, auf der Hand, dass Scholz den Kalendereintrag vorgetäuscht habe, um später noch die Option Erinnerungslücke anführen zu können, falls die weiteren Termine noch entdeckt werden würden. Scholz, so die Erläuterung von de Masi, konnte zu dem Zeitpunkt ja nicht einschätzen, was noch in den konfiszierten Tagebüchern des Warburg-Miteigners stand und bis zu welchem Grad Journalisten dazu Zugang hatten. Überprüfen wir nun, soweit möglich, die drei von de Masi angeführten Punkte: Alle verfügbaren Informationen bestätigen diese Darlegung von de Masi: Im April 2021 schickte, wie unter anderem auch DER SPIEGEL berichtet, die langjährige Büroleiterin von Scholz, Jeanette Schwamberger, ein Schreiben an den Untersuchungsausschuss in Hamburg. In diesem berichtet sie über den Umgang mit dem Terminkalender und erklärt, als Scholz 2018 von Hamburg nach Berlin gewechselt sei, habe man die Daten aus den Jahren 2014 bis 2018 „in den Ministerkalender in Microsoft Outlook übertragen“. Dazu ergänzt sie dann allerdings, und jetzt wird es interessant: In einer internen Mail, datiert auf den 25. April 2021, die dem STERN vorliegt und nicht vom Bundeskanzler dementiert wurde, äußert sich seine Büroleiterin noch expliziter und erklärt, sie habe „noch nie“ einen Termin mit Olearius von November 2017 im Kalender gesehen. Hintergrund der Aussage? Am 30. April 2021 war Scholz vor dem Untersuchungsausschuss in Hamburg geladen. Für diesen Zweck verfasste sein damaliger Staatssekretär Wolfgang Schmidt, der als engster Vertrauter des jetzigen Bundeskanzlers gilt, in Zusammenarbeit mit Scholz‘ Büroleiterin einen Sprechzettel für ihn. Darin heißt es unter anderem als Formulierungsvorschlag, der per Mail an Schwamberger geht: Darauf antwortet Scholz‘ Büroleiterin laut der dem STERN vorliegenden Mail an Schmidt und Hebestreit um 22:30 Uhr: Später dann im Untersuchungsausschuss auf den nicht belegbaren Kalendereintrag angesprochen, präsentiert Scholz eine sehr eigenwillige Erklärung. Bedingt durch IT-Probleme im Finanzministerium seien im Kalender ab Mitte Oktober 2017 „ausschließlich Termine meines Amtsvorgängers, Bundesminister Altmaier“ zu finden. Weiter führt er aus: Doch diese Scholz’sche Version wird durch Ermittlungen des Landeskriminalamts (LKA) Nordrhein-Westfalen zumindest teilweise in Frage gestellt, denn das LKA hatte im Laufe der Untersuchungen zu Cum-Ex ein damaliges E-Mail- und Kalender-Postfach von Scholz zu seiner Zeit als Bürgermeister beschlagnahmt und dies mittlerweile ausgewertet. Diese Auswertung ist einsehbar. Für den fraglichen 10. November 2017 sind dort genau acht Termine festgehalten, beginnend von 9 Uhr morgens bis 23 Uhr abends. Aufgeführt werden an Terminen unter anderem der Besuch eines Forschungszentrums sowie die Eröffnung einer Fachkonferenz. Doch was fehlt, ist ein Termineintrag für das Treffen mit dem Warburg-Vertreter. Ebenso präsentiert sich die Lage zu den von de Masi aufgeführten Punkten 2 und 3. Denn seit letzter Woche liegt eine weitere Antwort des Hamburger Senats auf eine Anfrage der dortigen Linksfraktion vor, die wissen wollte, wieso der Senat Ende 2019 das mittlerweile eingeräumte Treffen zwischen Olearius und Scholz dementiert hatte. Die Antwort hat es in sich. Der Senat räumt in seiner Antwort ein, dass er damals gar keinen Zugriff mehr auf den Kalender von Scholz gehabt habe, da dieser zu diesem Zeitpunkt bereits in Berlin als Finanzminister tätig war. Zwar habe man entsprechend bei ihm im Bundesfinanzministerium nachgefragt, aber eine Rückmeldung sei „innerhalb der für die Beantwortung der Schriftlichen Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit nicht erfolgt“. Die Auskunft, dass es keinerlei Gespräche gegeben habe, hätte man dann auf der Grundlage gegeben, „weil grundsätzlich der Erste Bürgermeister in einem steuerlichen Verfahren nicht beteiligt ist“. Alles spricht gegen die Version von Scholz Wir können festhalten: Alles spricht für die Darlegung von de Masi und alles gegen die Wahrhaftigkeit der Erklärung von Hebestreit im Namen des jetzigen Bundeskanzlers und auch bezüglich Scholz‘ eigener Aussagen vor dem Finanzausschuss des Bundestages sowie, in seiner Implikation noch gravierender und strafrechtlich relevant, gegenüber dem Hamburger Untersuchungsausschuss. Auf Grundlage dieses neuen Erkenntnisstandes gerät die gesamte bisherige Argumentationsgrundlage des amtierenden Kanzlers endgültig ins Wanken. Denn Scholz räumte zwar häppchenweise und nur nach medialem Druck zumindest drei Treffen mit dem kriminellen Banker ein, berief sich dabei aber immer auf angebliche Kalendereinträge. Eigene Erinnerungen, so betonte er es immer wieder vor dem Bundestag und dem Hamburger Senat, hätte er an keines der Treffen. Dieses Vorgehen legt nahe, so auch die Einschätzung von de Masi in seinem erwähnten Twitter-Beitrag, dass Scholz sich von Beginn an alle drei Treffen erinnert hat und der vorgetäuschte Kalendereintrag nur der Option Erinnerungslücke diente, falls die Treffen aufgedeckt werden würden. De Masi kommt in einer Stellungnahme gegenüber den NachDenkSeiten zu dem Schluss, dass das Verhalten von Scholz sowohl politische wie strafrechtliche Konsequenzen haben muss, und hält den Kanzler für nicht mehr tragbar: Titelbild: Shutterstock / photocosmos1
Florian Warweg
Die parlamentarische Sommerpause ist noch nicht zu Ende, die erste Sitzungswoche des Bundestags beginnt am 4. September, doch mit der Ruhe im Kanzleramt dürfte es bereits jetzt vorbei sein. Die Affäre um die Warburg-Bank, deren krumme Cum-Ex-Geschäfte und die bis heute nicht abschließend geklärte Rolle von Olaf Scholz in dem Skandal hat eine neue Wendung erfahren. Laut dem Finanzexperten Fabio ...
[ "Cum-Cum/Cum-Ex", "De Masi, Fabio", "Scholz, Olaf", "Untersuchungsausschuss" ]
[ "Audio-Podcast", "einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte", "Lobbyismus und politische Korruption", "Steuerhinterziehung/Steueroasen/Steuerflucht" ]
24. August 2023 9:00
https://www.nachdenkseiten.de/?p=102845
Leserbriefe zu „Angst machen mir die Ja-Sager und Mitläufer“
Jens Berger hat in diesem Beitrag einen „subjektiven Kommentar“ verfasst und die größer werdenden Gräben der Lager in der Corona-Zeit beklagt. Auf der einen Seiten formieren sich – unterstützt von Medien und Politik – Bürger zu einer „staatstragenden ´Solidar- und Schicksalsgemeinschaft´“ oder „großen Volksgemeinschaft“. Jeder Widerspruch von der anderen Seite wird „mit strengeren Maßnahmen, Ausgrenzung und Sanktionierung“ beantwortet. Das und die große Anzahl der „Ja-Sager und Mitläufer“ machen Jens Berger Angst. Abschließend stellt er fest: „Demokratie lebt vom Diskurs und von der Debatte. Wenn wir beide unterdrücken, bewegen wir uns in sehr gefährliches Fahrwasser und zeigen, dass wir nichts aus unserer Geschichte gelernt haben.“ Zahlreiche Leserinnen und Leser der NachDenkSeiten haben uns eine Email geschickt und darin ihre Meinungen mitgeteilt. Es folgt eine Auswahl der Leserbriefe. Wir bedanken uns sehr für die eingereichten Antworten. Zusammengestellt von Christian Reimann. 1. Leserbrief Lieber Jens Berger, vielen Dank für diesen “subjektiven” Kommentar! Er ist mir aus der Seele geschrieben! Ich kann diese ganzen “Katastrophen-Meldungen” zu den “unglaublich gestiegenen” Corona-Zahlen auch nicht mehr hören. Da wird durch die Medien von morgens bis abends Angst verbreitet, immer nur Angst, Angst, Angst. Und das hat natürlich eine Wirkung. Wir sind zwar noch weit von der Infektionenzahl entfernt, die erneute Einschränkungen eventuell erforderlich machen, aber das wird von den meisten Bürgern nicht mal mehr überprüft. Ich höre von Freunden auch immer nur “… aber die Zahlen steigen wieder”. Da spricht immer diese Angst aus den Worten, Angst, die im letzten halben Jahr systematisch aufgebaut wurde. Rainer Mausfeld hat ja lange vor Corona bereits über die Angsterzeugung zur Machterhaltung geschrieben. Wenn man ihn allerdings jetzt zitiert, ist man gleich Verschwörungstheoretiker oder Schlimmeres. Da wird eine Impfung in Aussicht gestellt, die es “so schnell” nicht geben wird,  und wir sollten auch alle nicht auf einen Impfstoff vertrauen, der nicht so getestet worden ist, wie es erforderlich ist. Neben den vielen, die ständig nur warnen,  gibt es ja auch andere, die nicht im Ruf stehen (jedenfalls bisher!) Verschwörungstheoretiker zu sein, z.B. Hendrik Streeck oder auch der Drosten-Vorgänger Detlev Krüger. Aber solche Stimmen erhalten eben nicht den gleichen großen Raum in der öffenlichen Berichterstattung wie bekannte TV-Virologen oder andere virtuelle Virologen … z.B. aus der SPD. Ich habe auch den Eindruck, daß unser gesellschaftliches Miteinander immer schwieriger, weil eben so angstbelastet, wird. Ich erlebe immer häufiger, daß mir auf der Straße, auf Bahnhöfen oder anderen öffentlichen Plätzen entgegenkommende Passanten hektisch ausweichen, das Gesicht abwenden oder sogar stehenbleiben, so als würden sie in mir ein Hochrisiko sehen, dem sie unbedingt ausweichen müssen. Derartige Situationen habe ich nicht mal im März erlebt … aber da war offensichtlich der Angstaufbau noch nicht so erfolgreich. Ich halte dieses neue Virus auch für gefährlich. Ob es gefährlicher ist, als bisherige bekannte Viren, kann ich als Nicht-Virologe nicht bewerten. Mir erscheint aber die Aussage von Hendrik Streeck, daß wir mit diesem Virus leben müssen, so wie wir auch alle bisherigen Viren in unseren Alltag integrieren mußten, sehr viel realistischer, als auf eine Impfung zu vertrauen, von der niemand weiß,  ob und wann sie eventuell kommt. Die unaufgeregte Art und Weise, wie Prof. Streeck seine Meinung äußert, unterscheidet ihn in äußerst angenehmer Weise von den übrigen Star-Virologen, die ständig in den Medien zitiert werden. Hätte man Prof. Streeck eine ähnlich große Medienplattform wie anderen geboten, dann hätte wahrscheinlich auch diese neue Virus-Angst die Bevölkerung nicht in diesem Maße erfassen können, sondern wäre durch eine realistische Gefahreneinschätzung ersetzt worden. Und es wäre auch dringend erforderlich, daß die Regierung nicht nur von Virologen beraten wird, sondern daß auch andere Experten gehörten werden, wie Soziologen, Pädagogen, Juristen, Psychologen, Ökonomen, auch Mediziner anderer Fachrichtungen, wie z.B. Pathologen,  Sozial- und Geisteswissenschaftler usw.  Dadurch könnten Kollateralschäden wenigstens in Grenzen gehalten werden. Zum Beispiel halte ich die Maskenpflicht für Schulkinder in NRW während des Unterrichts für Kindesmißhandlung, für nichts anderes. In diesem Fall wird nirgendwo erwähnt, daß es bei stundenlangem Tragen der Maske dringend erforderlich ist, diese nach mindestens 2 Stunden zu erneuern … aber es geht ja nur um Kinder … und die haben bei uns ja keine Lobby. Ja, leider hat die von der Bundesregierung gewünschte Schockwirkung auf die Bevölkerung viel Erfolg gehabt. Es bleibt zu befürchten, daß die daraus resultierende Angst nicht so schnell verschwinden wird, mit allen auf unser Zusammenleben negativen Auswirkungen. Wie Sie sehr richtig schreiben: “Es ist kein Zeichen einer lebendigen Demokratie, wenn man am liebsten jeden Widerspruch gegen ein “gesundes Volksempfinden” mit strengeren Maßnahmen, Ausgrenzung und Sanktionierung ausmerzen will”. Beste Grüße Petra Schubert 2. Leserbrief Lieber Herr Berger, ich danke Ihnen für Ihren Artikel, in welchem Sie Ihre eigene Angst und Besorgnis mit uns Leserinnen und Lesern teilen. Das hat mich berührt. Es ist ja genau das, was uns als Menschen auch miteinander verbindet. Jeder von uns trägt Angst in sich und ist herausgefordert damit gut umzugehen. Ganz besonders natürlich in persönlichen oder kollektiven Krisen. Was können wir uns für Ersatzwelten, künstliche Blasen und auch Spaltungen ersparen, wenn wir Menschen wieder damit beginnen empathisch und respektvoll einander unsere wahren Gefühle zu zeigen. Ist das leicht? Nein, denn wir alle sind ja ordentlich konditioniert worden. Aber der Weg, genau das wieder zu lernen, der lohnt sich. Es ist ein wunderbares Gefühl des Friedens, wenn diese ewig nach noch mehr Ersatzbefriedigung schreiende Leere in so vielen von uns Menschen, auch durch authentische Begegnungen, Heilung erfährt. viele Grüße, Christiane Fänder 3. Leserbrief Lieber Herr Berger, geschätztes Team der NachDenkseiten,   Ihr Artikel zu dem Thema Angst vor Ja-Sagern und Mitläufern spricht mir aus dem Herzen und ich werde das Gefühl nicht los, dass wir in eine dystopische Zukunft steuern.   Neben meiner Tätigkeit als Arzt im Krankenhaus bin ich leidenschaftlicher Kirchenmusiker und vermisse die vokale Kirchenmusik insbesondere  Bachs Kantaten geradezu existentiell. Wie mag es erst denen gehen, die davon leben müssen. Singen, was bekanntermaßen das Immunsystem stabilisiert und stärkt, wird auf einmal gebrandmarkt und gilt schlechthin als Risikofaktor. Wie lange mag das noch so gehen ?   Wird sich die Situation wirklich erst entspannen, wenn ein Impfstoff da ist (Zitat Merkel)? Ich mag es kaum glauben und bin ob der medialen Kommunikation nach wie vor verzweifelt. Leider bleibt es ja auch mit einigen (ehemaligen) Freunden oder Verwandten schwierig bis unmöglich sachlich und fragend zu debattieren.   Dem ursprünglichen  Vorsatz, nach wissenschaftlicher Evidenz zu handeln, und die auf Evidenz basierenden Entscheidungen mit den betroffenen Menschen zu kommunizieren, wird ja schon lange nicht mehr gefolgt.   Vielmehr werden wieder neue steigende Infektionszahlen beschworen und auf die neue, 2. Viruswelle verwiesen. Der Angst -und Panikmodus der Mainstreammedien wird eher gerade wieder angeworfen Wenn man zum Beispiel die 29.Kalenderwoche betrachtet, in der deutschlandweit 500000 (1/2 Millionen!!!) PCR-Teste gefahren wurden und dann in den Nachrichten von 3400 Neuinfektionen spricht, ohne das die dringend notwendige Bezugsgröße genannt wird, ist das nicht seriös um nicht zu sagen perfide. Bei einer Spezifität der durch die Ringversuche verifizierten PCR Teste ( es gibt inzwischen zahlreiche  Teste) kann man günstigstenfalls von 98,4% ausgehen. – Das heisst, bei 100 Testen bekomme ich 1,5 falsch positive Ergebnisse, bei 10000 werden es bis zu 150 falsch positive und bei 500000 Testen bewegt man sich im Bereich der falschpositiven Teste, das heisst ein Großteil der vermeldeten 3400 positiv Getesteten gehört wohl dazu. Hier von Infektionszahlen zu sprechen ist nicht lauter. Im Moment hat man das Gefühl, dass Massenteste eine Scheindynamik erzeugen.   Aus medizinischer Sicht sollte ja sowieso nur von Bedeutung sein, wieviel Menschen wirklich (symptomatisch) erkranken. So habe ich als Arzt gelernt und so versuche ich meinen Beruf auch zu leben.    Diese steigenden positiven Testzahlen als Argumente für eine Maskenpflicht in den Schulen herzunehmen ist hanebüchend und dient eben nur der oben beschriebenen weiteren Erzeugung von Angst und Panik. Das dies zudem in NRW geschieht mag ich kaum glauben.  Gerade von Herrn Laschet, den ich bisher als sehr seriös und moderierend erlebt habe, hätte ich das nicht erwartet. Von wem werden die Politiker nur beraten. Wo ist das mathematische Basiswissen (Dreisatz) hängen geblieben.   Schon jetzt ist bei vielen Kindern zu beobachten, dass die Maskenpflicht zu schwerwiegenden psychischen Störungen führt. Nachgewiesen ist zudem, dass infolge ständiger CO2- Rückatmung die Konzentrationsleistung deutlich nachlässt, abgesehen von zunehmender Angstentwicklung. Kürzlich sprach ich einen Bekannten, der bei einer kardialen Vorkrankung auf dem Ergometer 175 Watt gefahren ist und dabei eine Maske tragen musste. Das finde ich unglaublich und geradezu unethisch. In der Klinik begegneten mir in der letzten Woche  2 Patienten, bei denen sich durch die Maskenpflicht eine schwere Angst-und Panikstörung auf eine vorbekannte Depression entwickelt hat. Sie verlassen quasi ihr Haus nicht mehr.   Die Alltagsmasken haben eine Porengröße, die nicht schützen vor Nanopartikeln wie Coronaviren  oder Aerosolen in der Luft , und im Alltag bei überwiegend unsachgemäßem Gebrauch zu Keimschleudern verkommen. Herr Professor Dr. Drosten hat  selbst in einem Interview Anfang 2020 im RBB (Thadeusz) verkündet, das die Infektion mit der Maske nicht aufgehalten wird und die technischen Daten dazu nicht gut seien. Woher kommt jetzt der Sinneswandel von Professor Drosten und anderen Medizinern (Prof. Montgomery)? Hat sich die evidente Studienlage zu Masken so grundlegend geändert? Mir ist nicht bekannt, dass es grundlegende neue Erkenntnisse zum Thema Alltags- und Stoffmasken gegeben hat, vielmehr scheinen mir die insbesondere psychischen Folgeschäden um so gravierender. Die Folgen werden auf Jahre spürbar bleiben.   Ich bin erstaunt geradezu entsetzt, wieviele Menschen sich dem Maskenball und den Einschränkungen so klaglos ergeben und die liberalen Geister, die es zum Glück noch gibt, beschimpfen. Das Zitat von Benjamin Franklin “Wer die Freiheit aufgibt um mehr Sicherheit zu gewinnen, wird am Ende beides verlieren”  ist  aktueller denn je. Wie utopisch dagegen  der Glaube, sich vor Viren überhaupt in Sicherheit bringen zu können.   Für heute verbleibe ich mit freundlichen Grüßen und gebe trotz aller Dystopie die Hoffnung nicht auf, dass der gesunde, gerne auch wissenschaftlich unterlegte, Menschenverstand wieder mehr Zulauf gewinnt.  Das gilt insbesondere auch für die Mainstreammedien.   Dr.Sebastian Hinz 4. Leserbrief Lieber Jens Berger, dieser Artikel spricht mir aus der Seele. Auch ich habe solche Leute in den letzten Wochen mit Grausen beobachtet: Leute, die, nachdem die Fensterputzer die Büros abgearbeitet haben, in der Verwaltung anrufen (und so laut sprechen, dass ich es im Nachbarbüro höre): “Ich habe ja nichts gegen Ausländer, aber diese Fensterputzer sind hier ohne Masken in die Büros gekommen.” Leute, die mit Maske Fahrrad fahren. Leute, denen die verordneten Regeln noch nicht streng genug sind. Solche Leute finde ich erheblich gruseliger als irgendwelche spinnerten Reichsbürger oder Impfgegner. Ich bin in dem Zusammenhang auf den Begriff des “Normopathen” gestoßen. Natürlich wird er inhaltlich seinem medizinischen Klang nicht gerecht, aber er beschreibt doch sehr treffend solche Leute, die ängstlich darauf bedacht sind, sich so zu verhalten, wie man es von ihnen erwartet. Was Reza Madjderey und H.J. Maaz dazu geschrieben haben, dürfte die Lektüre lohnen. Zumal – und auch das haben Sie ja treffend geschrieben – die “Normopathen” m.E. weitaus gefährlicher sind als die Spinner. Man blicke nur auf die vieldiskutierte Corona-Demo in Berlin: Da demonstrierten auf der einen Seite Menschen mit extrem unterschiedlichen politischen Standpunkten friedlich und tanzend miteinander für Freiheit, Grundgesetz und Selbstverantwortung. Dafür wurden sie geschäht von Menschen, die für mehr Repression durch einen noch autoritäreren Staat eintreten. Ich für meinen Teil weiß, von welcher Seite ich einen neuen Faschismus befürchte. Mit besten Grüßen, Konrad Lehmann 5. Leserbrief Sehr geehrter Herr Berger, danke für Ihren guten Artikel. Es war nach längerer Nachdenkseitenabstinenz der erste Artikel, den ich wieder gelesen habe. In diesem Zusammenhang fände ich noch ein anderes Thema erwähnenswert. Ich habe gestern im Radio gehört, daß die Bertelmannstiftung ein Studie gemacht hat zu dem Thema “Wie hat sich die Coronakrise auf den Zusammenhalt in der Gesellschaft ausgewirkt?” Natürlich kam heraus, daß Corona den Zusammenhalt in der Gesellschaft gestärkt hat. Ich sehe darin eine bodenlose Manipulation der Bürger.   Auf der Pro-Seite (mehr Zusammenhalt durch Corona) stehen nur die Hilfsaktionen und so Dinge wie Singen auf dem Balkon, womit uns das Fernsehen in Dauerschleife bewiesen hat, wie toll anheimelnd und gefühlsselig es ist, wenn wir uns widerstandslos den Forderungen nach Distanzierung ergeben. Die Beispiele wurden aufgeblasen und der Eindruck erweckt, es bestünde nicht weniger Gemeinsamkeit, sondern mehr.   Das stimmt allerdings gar nicht. Zwei (Gegen)Beispiele dazu: Dem alten Mütterchen, die früher wegen jedem Stück Butter zum Einkaufen gegangen ist, weil sie da Leute getroffen hat, mit denen sie Neuigkeiten ausgetauscht hat oder bloß einfach das Gefühl des Eingebundenseins in den Ort gefestigt hat, war nicht geholfen, wenn irgendwelche Helfer aus so toller Solidarität ihr die Einkäufe erledigt haben, weil sie sich ja schonen muß und zur Risikogruppe gehört. Das sind für alte Menschen oft lockere Bekanntschaften, da kann man nicht sagen, dann ruf diese Leute eben an. Das würden die nicht machen. Aber vermutlich hat das bei besagter Studie als ein Mehr an Zusammenhalt gezählt.   Das andere Beispiel kenne ich aus meiner Erfahrung als Lehrerin. Viele arme Kinder, vor allem auch Kinder mit Migrationshintergrund hat der Lockdown und die eingeschränkte Beschulung danach abgekoppelt. Auch hier sind die zufälligen, “leichten” Begegnungen, das wesentliche Element. Versteht einer im Unterricht eine Sache nicht, SIEHT das vielleicht der Nachbar und sagt: “Schau mal her, das mußt du so machen”. Es entsteht Dankbarkeit und es entsteht ein Geflecht von Fäden von echtem Zusammenhalt. Auch diese Schüler nehmen zuhause nicht telephonisch oder per Whatsapp Kontakt mit anderen auf. Schüler haben mir erzählt, wenn man im Klassenchat zuviel schulisches fragt, wird man als penetrant gerüffelt.   Ich habe zunehmend das Gefühl in einer unwirklichen Welt zu Leben, in der die Stellen, die das können, manipulieren was das Zeug hält. Umso wohltuender ist es, dann wie von Ihnen einen Artikel zu lesen, wo auch mal diese falsche Wirklichkeit hinterfragt wird.   Viele Grüße Ursula Falger 6. Leserbrief Sehr geehrter Herr Berger,   der Titel Ihres Artikels trifft m.E. den Nagel auf den Kopf und ist auch meine Meinung! Ergänzend zu Ihrem meines Erachtens sehr guten Text möchte ich jedoch versuchen zwei Dinge näher zu beleuchten die mir in ihrem Text nicht deutlich genug zum Ausdruck kommen.     Zu 1.): Herr Berger, Sie schreiben: “Fragt man die Anhänger strenger Regeln und Maßnahmen nach ihrem Motiv, so hört man oft, es ginge um Solidarität. Das ist kein schlechter Punkt, sind es doch in der Tat fast ausschließlich Angehörige bestimmter Risikogruppen, für die Covid-19 eine ernste Gefahr für Leib und Leben darstellt.” Beide Sätze halte ich für richtig. Doch teilen m.E. die “Anhänger strenger Regeln und Maßnahmen” nicht Ihre Einschätzung des zweiten Satzes, dass “.. fast ausschließlich Angehörige bestimmter Risikogruppen, für die Covid-19 eine ernste Gefahr für Leib und Leben darstellt.”. Und genau das ist mit der Hauptgrund für die Spaltung der Bevölkerung und den daraus folgenden Aggressionen. Die einen wie z.B. Sie und ich sehen hauptsächlich Risikogruppen als gefährdet und die anderen z.B. “die Anhänger strenger Regeln und Maßnahmen” folgen dem öffentlichen Narrativ das alle Menschen durch Covid19 mit dem Tod bedroht sind. Wäre das öffentliche Narrativ das “fast ausschließlich” nur besondere Risikogruppen mit einschlägigen Vorerkrankungen zu schützen sind, sähen echte solidarische Maßnahmen einer echt auf Solidarität und Deeskalation (und nicht auf Spaltung und Aggression) setzende friedliche Politik und die damit einhergehende (Hof)Berichterstattung in den Leitmedien anders aus. Es würde sicherlich nicht ein ganzes Volk/ganze Völker in Geiselhaft genommen und sie ihrer Grundrechte beraubt werden.   Zu 2.) Herr Berger, Sie schreiben: “Seit nunmehr Jahrzehnten wurde unsere Gesellschaft getreu dem neoliberalen Ideal auf Individualismus getrimmt. Ein Jeder sollte seines eigenen Glückes Schmied sein, Solidarität galt als Auslaufmodell. Damit konnten sich zum Glück sehr viele Bürger nicht anfreunden. Das Unwohlsein blieb dabei in vielen Fällen jedoch im Verborgenen.” Auch diese Sätze halte ich für richtig. Hieraus entspringt m.E. jedoch auch der “Hunger” der Bevölkerungsmehrheit nach Zusammenhalt/nach Solidarität, der, wie jetzt durch Covid19 und dem damit verbundenen (m.E. falschen – siehe weiter oben unter Punkt 1.) öffentlichen Narrativ der verantwortlichen Politik und den Leitmedien bewußt geweckt bzw. als Köder ins Spiel gebracht wird. Der “Hunger” nach Solidarität/Zusammenhalt in der Bevölkerungsmehrheit wird somit von der Politik und den Leitmedien (die seit Jahrzehnten eine dies verhindernde Politik machen) im Sinne des momentan öffentlichen Narrativs das alle Menschen von Covid19 mit dem Tod bedroht sind geschickt instrumentalisiert. Die Solidarität, welche dem momentan öffentlichen Narrativ folgt das alle Menschen durch Covid19 stark durch Tod und Leid bedroht/gefährdet sind, ist eine vergiftete Solidarität!    Das Volk (insbesondere Ja-Sager und Mitläufer) ist letztendlich der Vollstrecker jeglicher Politik – und ist sie noch so menschenverachtend! Ohne den “Rückhalt” der (zu) oft (manipulierten) schweigenden Mehrheit ist auch eine menschenverachtende Politik nicht möglich – so sie denn als menschenverachtend erkannt wird! Je politischer/je breiter informiert der/die einzelne ist, je besser wird menschenverachtende Politik enttarnt und verhindert. Denn nur entpolitisierte/nicht breit informierte/nicht selbst denkende Menschen können manipuliert werden. Das klingt hart, ist aber m.e. die Wahrheit und von mir niemandem gegenüber despektierlich gemeint! Es ist nie zu spät   Herzliche Grüße Andreas Rommel 7. Leserbrief Wieso, liebe Nachdenkseiten-Macher*innen,   betont Ihr – oder gar Jens Berger selbst? – diesen Beitrag explizit als “subjektiv”? Klingt da nicht schon bei Euch selbst genau die dort dargestellte verbreitete Angst durch und damit ein erster Schritt zu “stoischer obrigkeitshöriger Gleichgültigkeit” und “sentimentale Larmoyanz bis hin zu schon fast militanter Unterstützung”?   Freundlich grüßt Euch Oswald Pannes Anmerkung Jens Berger: Lieber Herr Pannes, diese Ergänzung war von mir selbst gewählt, da es sich hier um einen Meinungsbeitrag handelt, den ich zuvor nicht mit dem gesamten Team abgesprochen habe und daher nicht weiß, ob er die „Redaktionsmeinung“ in allen Punkten wiedergibt. Ich spreche also für mich und nicht für „die NachDenkSeiten“. Da dieses Thema auch unsere Leser sehr polarisiert, hielt ich diese Anmerkung im diesem Fall für sinnvoll. Beste Grüße Jens Berger 8. Leserbrief Hallo Herr Berger, hier einige meiner Gedanken zu Ihrem Beitrag „Angst machen mir die Ja-Sager und Mitläufer“ Diese Angst, die Sie empfinden, habe ich schon seit Monaten. Davor schüttelte ich immer nur den Kopf angesichts der Hysterie, die anfing, langsam um sich zu greifen und hoffte auf die Besinnung der Politiker und meiner vielen Mitmenschen. Nun empfinde ich einfach nur noch Wut und Ohnmacht. Ich gebe Ihnen recht, wenn Sie das Gefühl bekommen, dass sich hier extreme Lager bilden, die eine vernünftige Debatte mehr und mehr unmöglich machen. Doch wie ich schon einmal schrieb: Divide et impera. Vielleicht haben einige in Ihrer Redaktion damals gedacht, dass ich mit meiner Einschätzung, was das derzeitige Stadium des Kapitalismus angeht, ein wenig übertreibe. Aber ich bleibe dabei – und leider fühle ich mich in ihr durch jeden neuen Tag bestätigt. Einstein sagte einmal sinngemäß: „Mit welchen Waffen der 3. Weltkrieg geführt werden wird, weiß ich nicht. Ich weiß nur, womit man den 4. führen wird: mit Heugabeln.“ In meinen Augen ist das Rätsel um die Waffen des 3. Weltkrieges gelöst…. Es braut sich ein Tsunami zusammen, der – gemeinsam mit dem an den Finanzmärkten aufziehenden – alle unsere zivilen Errungenschaften hinwegfegen wird. Ja, es tut weh, derartige Gedanken zuzulassen. Aber die Vogel-Strauß-Methode war in der Vergangenheit schon immer die, die im Endeffekt Kriegen, Not und Armut den Boden bereitet hat. Nun aber eine kleine Anekdote zur Ermutigung: Der Verkäufer in einem Schreibwarengeschäft hatte auf seinem Verkaufstresen das Buch „Corona – Fehlalarm?“ von Herrn Bhakdi provokativ ausgestellt. 2 junge Frauen vor mir trugen keine Maske und der Verkäufer hatte einen schwarzen Faschingszylinder vor Mund und Nase gesetzt. Ich fragte, ob er das Buch gelesen hätte. Er bejahte und ich erwiderte daraufhin hörbar laut: „Der Hammer, nicht wahr? Muss man unbedingt gelesen haben!“ Hinter mir standen noch 3 weitere Kunden… Haben sie gehört, wurden sie nachdenklich? Ich weiß es nicht. Es bleibt nur zu hoffen. Beste Grüße M.R. 9. Leserbrief Sehr geehrter Herr Berger, endlich wird wohl auch dem letzten “aufrechten” Linken deutlich, dass es jetzt nicht mehr um “links” oder “rechts” geht, sondern dass das stimmt, was wir  und viele ander schon seit März-April beobachteten, dass es um “oben” gegen “unten” geht, um einen Krieg der Regierung gegen das Volk. Aus dem Staatsbürger wurde der Untertan. Dem dienten und dienen die Maßnahmen, die Sie als “unvernünftig” betrachten. Das Erstaunliche ist aber immer noch, dass fast das gesamte “juste milieu” diese Entwicklung nicht wahrhaben will. Wo sind denn die großen Ankläger, die immer gegen “rechts” kämpften? Haben die denn nicht gemerkt, was sich hier seit März 2020 abspielt? Sind die so ideologisch verbohrt, dass sie die Veränderungen nicht wahrhaben wollen? Eine Korrektur: Die Gräben werden tiefer nicht durch die Gegner der Diktatur, sondern durch die andauernde Hetze in den öffentlichen Medien sowie die Dauerpanikerzeugung. Und dies wird noch zu Zuständen wie im 3. Reich führen. Horst Eberhard Richter schrieb in der einleitung zu seinem Buch: “Damals war es Friedrich” : “Damals waren es die Juden… Heute sind es dort die Schwarzen, hier die Studenten… Morgen werden es vielleicht die Weißen, die Christen oder die Beamten sein…” Jetzt sind es die Kritiker, die Zweifler, die Gegner der “Coronadiktatur”. G. N 10. Leserbrief Danke, Herr Berger, für Ihren ‘subjektiven’ Kommentar. Demokratie braucht nicht nur Widerspruch, sondern auch Alternativen.Die Alternativen haben wir schon lange ausgerottet (alternativlos), jetzt ist der Widerspruch dran. ‘Da gibt es keinen Widerspruch’, kennen wir doch alle. Und wenn das nicht reicht, kommt die Angst vorm ‘schwarzen Mann’. Brave Kinder wissen längst, dass der Unsichtbare alles sieht, sonst wären sie nicht so brav. Die Extra-Portion bekommen sie, wenn sie besonders brav sind oder jemanden verpetzen. Ängste können sehr sinnvoll sein. Auch Sie haben Angst. Aber Angst kann lähmen. Wozu noch wild zappeln, wenn man doch gefressen wird? Nur wenn man denkt, es gäbe eine Alternative, wird man wieder lebendig. Also, wo ist die Alternative? Suchen wir sie! Die Zerfleischerei macht uns nur negativ. Wir sind dem Mittelalter doch schon einmal entkommen! Bleiben Sie gesund! Andreas Hellmann 11. Leserbrief Segr geehrte Mitarbeiter der Redaktion Nachdenkseiten,   der Beitrag „Ja-Sager“ zu all den netten Verfügungen in Bezug auf CoviD-19 ist ein interessantes Dokument.   Jedoch muss ich immer wieder feststellen, dass die“ Deutschen“ es nicht fertig gebracht haben gewissen politischen Strukturen den Notwendigkeiten der Entwicklung der Zeit anzupassen. Mit anderen Worten, die Chance im Zuge der Ereignisse um 1789 in Frankreich zu ergreifen und den  Obrigkeitsstaat abzuschaffen. Gewiss, die französische Revolution brachte Entwicklungen in der Gesellschaft zum Vorschein, die man heute als nicht erstrebenswert bewertet. Davon war einer der Auswüchse die Anwendung von „Madame“ auf den Hinrichtungsstätten der französischen Hauptstadt und anderswo.  Eines aber muss man in diesem Zusammenhang wissen:       Menschen werden immer missbraucht in politischen Spielchen. Damals wie auch heute.  Deutschland hat Duckmäuser, Frankreich Gelbwesten.. Mit freundlichen Grüßen, W.Schuckmann 12. Leserbrief Lieber Herr Berger, danke für diese Worte. Sie sprechen mir aus der Seele. Ich teile diese Angst und blicke besorgt in die Zukunft. Ich weiß nicht, was ich als einzelne Person dagegen tun kann. Ich fühle mich so ohnmächtig.  Mit freundlichen Grüßen  J. K.  13. Leserbrief Sehr geehrter Herr Berger, vielen Dank für Ihren Kommentar. Wie so oft kann ich Ihnen in weiten Teilen zustimmen. Ich möchte nur eine kleine Ergänzung vorschlagen: Sie schreiben von den Folgen der neoliberalen Indoktrination in Deutschland, die Gehorsam und Folgsamkeit bei den Menschen hier im Land haben entstehen lassen. Das ist durchaus richtig, steht aber auch in guter Tradition: Im Kaiserreich (insb. im Wilhelminismus), in der Weimarer Republik und in den beiden Nachkriegsstaaten gab es immer Bemühungen, den Kritikern mächtiger Zirkel das Wasser abzuschneiden. Bis 1918 schützte sich der Adel vor der Sozialdemokratie, danach schützte die Sozialdemokratie den Kapitalismus vor der Bevölkerung. (In der DDR schützte sich die Nomenklatura vor der Bevölkerung.) Gedankliches Duckmäusertum und vorauseilender Gehorsam sind nichts Neues, wie auch schon Heinrich Manns “Untertan” gezeigt hat. Umso wichtiger ist es, dass es Stimmen wie die Ihre und die der Nachdenkseiten gibt, die sich dem Hauptstrom des Zeitgeists kritisch entgegen stellen. Ich hoffe, Ihnen ist bewusst, dass Sie in der Tradition der Weltbühne stehen. Machen Sie weiter so. Mit freundlichen Grüßen F. Engel 14. Leserbrief Sehr geehrter Herr Berger, Es ist gut zu lesen, dass es in diesem Wahnsinn noch Leuchttürme der Vernunft gibt! Nebenbei, auf RT-deutsch wurden Sie gerade gewürdigt als sie einzige Quelle im deutschen Medienwald, die die Ankündigung Putins zur Registrierung des russischen Corona-Impfstoffs korrekt wieder gegeben hat. Es ist schon beklemmend zu beobachten, wie sich die Gesellschaft spalten lässt und immer mehr zersplittert. Allerdings hat das Ego-Mantra des Neoliberalismus 40 Jahre lang Vorarbeit geleistet. Das ist keine Verschwörung, das geht schleichend. Ist aber umso wirksamer, weil man gar nicht mehr merkt wie man einer abartigen Ideologie folgt. Auf der Demo in Berlin waren (auch) ehrenwerte Menschen. Ich kenne einen davon persönlich. Was aber über die Medien rüber kommt, auch über die “alternativen”, ist eher ein Bild von Verwirrung und Forderungen, die dem System nicht weh tun, wie “das Menschenrecht auf keine Maske tragen”. Was man von der Politik fordern müsste, Sie haben es erwähnt. Aber solange das kein Thema ist, ist die Sache für die Herrschenden doch eine Win-Win-Situation, die Systemkonformen stützen die Politik und die Kritiker setzen auf Themen, die nicht weh tun. Wie der Staat reagiert wenn es ernst wird, haben wir z.B. bei Stuttgart-21 gesehen. Trotz allem Pessimismus bei dem Wahnsinn, setze ich noch Hoffnung auf kritische Stimmen wie die Ihre und auf die Vermutung, dass es davon viel mehr gibt, als das Trommelfeuer der Mainstreampropaganda uns weismachen will. Noch einmal nebenbei: Inzwischen gibt es eine von einschlägigen NGOs gesponserte Demoindustrie. In Belarus wird gerade eine “Orangene Revolution” angezettelt und in Bulgarien versuchen bezahlte Hooligans seit über einem Monat die Regierung zu stürzen, ohne irgendein politisches Programm. Herzliche Grüße, Rolf Henze 15. Leserbrief Lieber Herr Berger, Sie sprechen mir aus der Seele. Dass man der Corona-Politik gegenüber keine Kritik üben darf, ohne angegriffen zu werden, habe ich schon länger begriffen. Dass die Medien der Politik nach dem Mund reden und nicht minder stark jedem, der es wagt, Fragen zu stellen – auch seriöse Wissenschaftler – auf übelste Weise diffamieren, war die nächste bittere Erfahrung. Aber das Schlimmste für mich ist, dass der Großteil der Bevölkerung all das brav nachplappert, die Linie absoluten Gehorsams fährt, in Kontrollwahn verfällt und andere Menschen maßregelt und denunziert. Selbst die, die man für intelligent gehalten hat und mit denen man interessante Gespräche führen konnte, wirken wie „umgedreht“, wie „ausgetauscht“. Ich komme mir vor in einem schlechten Science-Fiction-Film. Und weil ich in der Minderheit bin, bin ich der Alien. So fühle ich mich jedenfalls in zunehmendem Maße. Allein mit Angst kann ich mir dieses gleichförmige Verhalten der Massen nicht erklären. Mir kommt es vielmehr so vor, als kämen da wieder altbekannte unangenehme Züge der Deutschen zum Vorschein, und zwar solche, die wir schon aus dem Nazi- und Stasi-Regime kennen. So etwas kommt doch nicht aus dem Nichts. Es wurde ja beide Male zu wenig aufgearbeitet – wurde da etwas „vererbt“? Ich habe mich bisher immer gefragt, wie es den Nazis gelungen ist, (fast) ein ganzes Volk hinter sich zu bringen. Jetzt fange ich erstmals an zu begreifen, dass und wie es möglich ist, große Teile der Bevölkerung zu manipulieren und dafür zu sorgen, dass sie das eigenständige Denken abstellen – und wie schnell das geht. Und das ist eine Erkenntnis, die mir wehtut und mir große Angst macht. Nichts ist mehr wie früher und ich frage mich, wie wache, kritikische und sensible Menschen unter diesen Bedingungen weiterhin ein gutes Leben führen können, es wirkt alles wie vergiftet. Und man weiß nicht, was noch geschehen wird. Gäbe es die alternativen Medien wie die Nachdenkseiten nicht, würde ich womöglich verrückt werden, wäre zumindest vollkommen entmutigt. Insofern mal ein großes Dankeschön an die Autoren hier. Ute Wolter 16. Leserbrief Danke Herr Berger, Sie haben mir aus der Seele geschrieben. Mehr gibt es zu Ihrem hervorragenden Meinungskommentar nicht zu sagen. Mit besten Grüßen Marco Merten 17. Leserbrief Sehr geehrter Herr Berger,   ja, ich kann die ganzen Meinungsmeldungen zu Corona auch langsam nicht mehr hören. Sie beklagen zwar, dass die Gräben „zwischen den Lagern“ immer tiefer werden, aber Sie tragen leider mit Ihrem Kommentar, den Sie dankenswerterweise ja selbst als subjektiv bezeichnen, kein Stück dazu bei, die Gräben zuzuschütten.   Was mir ganz besonders auffällt, ist folgender Umstand, der jegliche Differenzierung vermissen lässt: Wieso wird immer behauptet, die Personen, die klaglos beim Einkaufen, in Ämtern und im ÖPNV den Mund-Nasen-Schutz korrekt(!) aufsetzen, würden dies tun weil sie Nichts davon ist korrekt. Wirklich fast alle in meinem Umfeld setzen die nervige Maske auf, um einen erneuten Ausbruch der Infektionen und eine erneute Einschränkung ihrer Freiheiten („Lockdown“) zu verhindern. Ist das wirklich so schwer zu begreifen?   Und vor diesem Hintergrund kann man dann auch mit allen diskutieren, ob man Schulen und Kitas schließen sollte, warum diese Regierung Alleinerziehende, Wirte und Künstler im Regen stehen lässt, usw. usf. Was man aber nicht tun kann, und leider tun sich Nachdenkseiten da in letzter Zeit immer unrühmlicher hervor, ist, die reale Gefahr dieses Virus immer wieder zu relativieren, und dadurch die Gefahr verschärfter Maßnahmen zu erhöhen. Es hat sich an der grundlegenden Erkenntnis nämlich immer noch nichts geändert: Das Virus ist für die meisten in unserer Gesellschaft nicht besonders gefährlich und für die wenigstens tödlich. Durch seine sehr hohe Infektiosität breitet er sich aber extrem schnell aus, wenn man nicht aufpasst – mit den bekannten Folgen für alle, auch die Jungen und Fitten –  wie man im März in Europa und aktuell in Amerika beobachten kann.   Ich möchte Sie wirklich bitten, diesen letzten Punkt nicht immer wieder unter den Tisch fallen zu lassen, und so tun, als könnten wir einfach wieder zur Normalität zurückkehren. Die Hinweise des Tages sind in dieser Hinsicht in letzter Zeit eine Zumutung, und ich weiß jetzt schon, dass morgen die Einzelmeinung eines jungen schwedischen Assistenzarztes eine prominente Leseempfehlung erhalten wird. Und auch die Bebilderung ihres Artikels zu den „Ja-Sagern und Mitläufern“ haut voll daneben. Die Düsseldorfer Rheintreppen mussten mehrfach von der Polizei geräumt werden, da sich dort ähnlich wie vor der Frankfurter Oper das Partyvolk getroffen hat. Und zwar, ja, mit der erwartbaren Konsequenz steigender Infektionszahlen. Die jungen Leute sitzen nicht in den aufgemalten Kreisen, weil sie solche tollen obrigkeitshörigen Mitläufer sind, sondern weil die Nicht-Versteher solche Maßnahmen nötig gemacht haben. Leider.   In diesem Sinne,   ihr immer noch kritischer, aber artig Maske tragende Leser, Christian Mielke 18. Leserbrief Sehr geehrter Herr Berger, Ihr Artikel „Angst machen mir die Ja-Sager und Mitläufer“ spricht uns aus der Seele! Meine Frau und ich waren bis vor kurzem noch ganz normale Menschen mittleren Alters „aus der Mitte der Gesellschaft“, mit erwachsenen Kindern, beruflich eingebunden, menschenfreundlich, umweltfreundlich usw. usf. Bitte glauben Sie uns! Allerdings erlauben wir uns, unseren gottgegebenen Verstand einzuschalten und uns wirklich umfassend (auch abseits des gleichgeschalteten Mainstreams) zu informieren… Wie dieses Land politisch, sozial und wirtschaftlich zerstört wird, wie sich die Menschen verblöden lassen und sich kritiklos und stumpfsinnig dahin peitschen lassen, wohin man uns von oberster Stelle aus alle haben will! Warum hat denn keiner „seinen Mausfeld“ („Warum schweigen die Lämmer?“) gelesen?! Als an unser rechtsstaatlich verbrieftes Recht des Grundgesetzes glaubende Menschen konnten wir den Zwangsmaßnahmen nicht weiter zusehen und setzten uns anfänglich in unserem kleinen Ort, zusammen mit wenigen anderen netten Menschen auf die Straße: friedlich, freundlich – meditierend für das Grundgesetz. Im sog. „Gelben Blatt“ konnten wir später lesen, dass Spinner, Verschwörungstheoretiker und Nazis demonstriert hätten… Am 1. Oktober bei einer Grundgesetz-Demo auf dem Lande, zusammen mit ca. 200 netten Leuten aus allen Schichten: große Freude über die 1,3 Mio. superfriedlichen Menschen, die zeitgleich in Berlin auf die Straße gingen! (Wenn man die Videos von Berlin auf YouTube anschaut, kommen einem fast die Tränen, was für wunderbare Menschen dort als aufrechte Bürger waren, was ja auch die beiden mutigen Polizisten öffentlich bestätigten – und prompt beruflich schikaniert werden!) In den Nachrichten/Zeitungen hört man, dass es sich nur um 20.000 gewalttätige Idioten, Verschwörungstheoretiker, Reichsbürger, Nazis … (habe ich an dieser Stelle noch ein paar typische Mainstream-Beschimpfungen vergessen?! Entschuldigung: der Antisemit hat noch gefehlt) gehandelt habe… Wahnsinn: durch solche systematischen Lügen der Massenmedien und der Politik gehört man plötzlich zu einer allgemein verächteten Spezies Mensch und ist umgeben von Sauerstoff-inhibierten Mainstream-Mitläufern und -Denunzianten, die vermutlich so lange panisch im Lockdown leben möchten, bis der Tod ausgerottet ist… Dass das Leben dabei zugrunde geht – ein Verbrechen insbesondere an den Kindern! – mag niemand sehen… Lieber Herr Berger – auch wir haben Angst! Nicht vor Corona – aber vor unseren Politikern, gewissenlosen Journalisten und ignoranten befehlsempfangenden Mitmenschen! Wir haben zwar „die Gnade der späten Geburt“ – aber genau so muss es damals gewesen sein! Ich muss an die Geschwister Scholl denken (und bekomme Tränen in die Augen): die konnten auch nicht anders, als zu tun: wir sehen alle noch ihre Flugblätter fliegen… für die sie mit dem Leben bezahlen mussten… Gottseidank sehen wir auch heute viele wackere Menschen, die auch viel riskieren (Beruf, Ansehen, kriminelle Zwangsmaßnahmen wie Einweisung in die Psychiatrie etc. pp.), um Nein! zu sagen, um für unsere freiheitlichen Werte einzustehen, um den Schwachsinn der ganzen unseriösen unwissenschaftlichen Corona-Zwangs-Argumentation aufzudecken und aufzustehen gegen die offensichtlich geplante Errichtung einer Lockdown-, Überwachungs- und Zwangs-Impf-Diktatur! Er ist wieder da: „Wollt ihr die totale zweite Welle?!“ Man hört sie schon heranrauschen… Mein Gott, hat es die Menschheit immer noch nicht begriffen: der Mensch lebt nicht vom Klopapier allein! Herzlichen Dank für Ihre Arbeit und herzliche Grüße von Ihrem NDS-Unterstützer K.S. 19. Leserbrief Sehr geehrter Herr Berger, es folgt mein persönlicher Blick auf die AHA Empfehlungen, Vorgaben und meine subjektive Angst, Sorge und „ehrlich“ empfundene Verantwortung für meine Familie, Mitmenschen und mich. Sie bemerken die vorsichtige Formulierung meiner Kritik zu Ihrem Kommentar. Hier ein Beispiel: Kann man die Solidarität gegenüber der einen Gruppe mit der Solidarität gegenüber der anderen Gruppe verrechnen? Ich empfinde diese Frage – so gestellt – sowieso problematisch, da nicht eindeutig beantwortbar, zumindest für mich oder wenn doch, dann mit erkennbarer Zuordnung meiner politischen Haltung – die ist „links“! Des Weiteren sprechen Sie von : zusammenrotten ängstlicher Bürger…. , Bedrohung, Hysterie, Maßnahmen, Sanktionen, Gefahr für die Volksgemeinschaft und eine Gesellschaft die keinen Widerspruch duldet – ein Sprachduktus, der mich doch irritiert! Wenn es so wäre, dass kein Widerspruch geduldet würde, dann fänden keine Demos statt; sie würden untersagt und weggeknüppelt, so geschehen in Belarus – ich überspitze jetzt! Nochmal zu meiner Person: Ich bin Risikopatient, würde an keiner Demo teilnehmen in denen ersichtlich Rechtsradikale, Linksradikale, Antisemiten oder die AfD zu erkennen sind! Ich trage einen Mund-Nasenschutz und versuche meine Mitmenschen und mich zu schützen! Was den Mund-Nasenschutz in den Schulen anbetrifft, da attestiere ich den Verantwortlichen fehlende Konzepte etc., das habe ich in einem anderen Leserbrief begründet. Das Verbot der Kontaktaufnahme zu Angehörigen in Seniorenheimen und Pflegeeinrichtungen, das hat mich tief getroffen und hätte vermieden werden können, wenn FFP 2 Masken genügend vorhanden gewesen wären! Und auch jetzt nicht ausreichend vorhanden sind! Tanz und Vergnügen, auch das ist mir nicht so fern, dass ich es mir nicht auch wünschte und selbstverständlich jedem gönne! Ich will jetzt nicht auf alles eingehen – Kultur, so wichtig für mich, dass sie einen besonderen Blick bedarf! Meine Einwendungen sind nur der Versuch einer vielleicht nachdenkenswerten Kritik auf Ihren ganz persönlichen Kommentar. Mir ist bewusst, wie schwierig und polarisierend und oft aggressiv sich Befürworter und Ablehner – ich spreche ausdrücklich nicht von Gegnern – gegenüberstehen! Ich wünsche uns, dass wir gesund diese Zeit überstehen! Und ein bisschen Bescheidenheit und Innehalten, das könnte hilfreich sein! Mit freundlichen Grüßen M.R. 20. Leserbrief Sehr geehrter Herr Berger, ich empfand es sehr wohltuend, wie Sie Ihrem Herzen mal Luft gemacht haben – das befreite sicher Sie selbst, macht aber auch anderen Menschen, wie mir z. B., Mut und gibt Hoffnung in diesen schweren Zeiten, weil gerade ein komplexes Thema einer differenzierten Betrachtung bedarf.  Angenehm überrascht war ich über Ihren Vergleich mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001, weil sich mir kürzlich auch Parallelen zu diesem Ereignis aufdrängten. Um nicht in den Verdacht eines Verschwörungstheoretikers zu geraten, lassen Sie mich meine Sichtweise mal im Fantasy-Genre schildern: Als hineinstürzende Flugzeuge die zwei höchsten Türme des großen Reiches zerstörten, sagte der Herrscher: Da ist das Böse! Doch fürchtet Euch nicht. Gebt mir Euer Geld und Eure Daten, und ich werde das Böse bekämpfen und besiegen. Und er ließ seine Melder diese Botschaft verkünden und führte fortan Krieg gegen das Böse, mit Millionen von Toten, auch 500.000 getötete Kinder waren es wert, diese Kriege zu führen und Sanktionen zu verhängen (Albright). Und obwohl sich die Zahl der Terroranschläge und -Toten seitdem vervielfachte (de.statista.com/statistik/daten/studie/576834/umfrage/terroranschlaege-nach-weltregionen/), ließen sich die Menschen nicht ihre Lebensfreude nehmen und länger von der Angst beherrschen.  Da tauchte plötzlich in einem anderen Land des Bösen ein Tod bringendes Virus auf und als dieses auch die Menschen in unserem Land befiel, sagte die Herrscherin (nach Ende des Karnevals und wichtiger Wahlen!): Da ist der Tod! Doch fürchtet Euch nicht. Gebt mir Euer Geld und Eure Daten, und ich werde den Tod bekämpfen und besiegen, so ihr meinen Weisungen folgt, denn ich vertraue meinen Sehern und so vertraut auch ihr ihnen. Und sie ließ ihre Melder diese Botschaft verkünden und führte fortan Krieg gegen den Tod. Große Angst breitete sich aus, und fast alle folgten ihr, und Ketzer wurden nicht nur tot-geschwiegen sondern auch öffentlich auf medialen Scheiterhaufen gegrillt. Dank ihrer Maßnahmen, die fast alle befolgten, wurde das Virus eingedämmt, doch die zweite Welle wart schon am Horizont gesichtet. So wich diesmal n i c h t die Angst vor der Lebensfreude, sondern angesichts der bevorstehenden Todesgefahr übernahmen jetzt in Überzahl die besonders Verantwortungsbewussten selbst die Kontrolle. Die verfolgten jedweden Zweifler und Andersdenkenden, meldeten ihn oder grenzten ihn aus. Da lehnte sich die Herrscherin zufrieden zurück, denn sie wähnte sich jetzt in der Hoffnung, nun nur noch vereinzelt ihre Häscher aussenden zu müssen, weil das Volk jetzt selbst entsprechend auf seine Gesundheit und deren Gefährder achteten würde. Und die Menschen huldigten der Herrscherin, so sie ihnen doch auch die Erlösung durch ein baldiges Wunderheilmittel verkündete und ihnen Almosen zuteil werden ließ, die erst deren Kinder und Enkel zurückzahlen müssten. Und das Volk rief: „Hosianna! Ehre sei der Herrscherin in der Höhe.“ und „Wir wählen Dich wieder!“ Und die Freude hielt an, bis … (to be continued). Meine Befürchtung ist jedoch, dass auch wenn in Zukunft alle Menschen dieser Erde durchgeimpft sein sollten, es nicht wenige geben wird, die sich freiwillig auch weiterhin an die AHA-Regeln halten werden. Und dies wird auch erwünscht sein, heißt doch der Mund-Nase-Schutz (MNS) inzwischen schon ALLTAGS-Maske. Wird der MNS erstmal als Alltagsgegenstand deklariert, ist wohl kaum zu erwarten, dass dieser Gegenstand des Alltags aus diesem wieder verbannt werden wird. Denn warum sollte man etwas verbannen, was zum „normalen“ täglichen Leben gehört wie die Motorradhelm- oder die Anschnallpflicht in Kraftfahrzeugen.  Das mag jetzt vielleicht sehr hypothetisch und überspitzt klingen, aber hat nicht der österreichische Gesundheitsminister Anschober in einem Interview in 3sat kürzlich für das Tragen von MNS so argumentiert, dass selbst bei abflauender Corona-Gefahr immer irgendwelche Viren durch die Luft schwirrten, zum Beispiel Rhinoviren (also Husten, Schnupfen, Heiserkeit).  Aber genug der Spekulationen, ich wollte nur aus meiner Sicht ansatzweise andeuten, wohin sich manches entwickeln könnte, wenn nicht Vernunft in die Debatte kommt, und dazu haben Sie, Herr Berger, mit Ihrem Artikel dankenswert beigetragen. Als Nicht-Journalist bin ich zum Glück in der Lage, das Mainstream-„Dauerfeuer“ auszublenden und mich fast ausschließlich in den Nachdenkseiten und den dort verlinkten Quellen meiner Wahl zu informieren. Vielen Dank auch an die Redaktion – sie machen aus meiner Sicht den besten Job in dieser Zeit. Und danke auch für den tollen Artikel über Lisa Eckhart, weil: Das Wichtigste im Leben ist neben der Liebe der Humor.  In diesem Sinne: Machen Sie weiter so, lassen Sie sich nicht entmutigen und – bleiben Sie heiter – trotz alledem! Mit solidarischen Grüßen  A. Muschiol 21. Leserbrief Lieber Herr Berger, zur Ergänzung Ihres Artkels “Angst machen mir die Ja-Sager und Mitläufer” (Chapeau!!) empfehle ich einen Artikel von CJ Hopkins (Zone 23) mit dem Titel “Invasion of the New Normals”, erschienen im Off-Guardian, einem den NDS durchaus geistesverwandten Blog: off-guardian.org/2020/08/10/invasion-of-the-new-normals/ Was, wie Sie schreiben, Politologen den “Rally-’round-the-Flag-Effekt” nennen, benennt Hopkins ohne grosse Umschweife als “Totalitarianism”. Mit besten Grüssen Hans-Georg Stork 22. Leserbrief Sehr geehrter Herr Berger,   ich war Teil der “Zwanzigtausend” in Berlin!   Herzlichen Dank für Ihren Artikel in den heutigen NachDenkseiten, die ich täglich lese.   Ihr Artikel spricht mir aus der Seele.   Vor der sogenannten Corona-Pandemie habe ich für den Publizisten und Journalisten Julian Assange demonstriert, indem ich an Mahnwachen in Hannovers Innenstadt bei Candles4Assange.eu aktiv teilnahm. Julian Assange sitzt weiterhin in Isolationshaft im Hochsicherheitsgefängnis HMP Belmarsh,   Insofern hat es mich besonders gefreut, dass Sie auf Assange und die Ungerechtigkeit gegen ihn als Journalisten in Ihrem Artikel hinwiesen.   Ich bin historisch sehr gut belesen, fortgeschrittenen Alters und hochschulgebildet.   Daher kenne ich die sozialen Verhältnisse in Deutschland vor der Wende, vor Hartz IV, vor der Privatisierung der Bahn mit Verkauf von über 150.000 “Werkswohnungen”, vor der Privatisierung der Post (Aktie Gelb!), der Stadtwerke, der Krankenhäuser usw. usf. Ich erinnere sogar noch das Fuhramt meiner Stadtverwaltung (1968); die holten Müll und Sperrmüll ab, die Kollegen dort hatten unbefristete Arbeitsverträge und “ernährten ihre Familien”.   Kurz gesagt habe ich den Neoliberalen Rollback seit der Einverleibung der DDR, mit seinen Protagonisten Schröder, Biedenkopf, Stoiber, Scholzomat, Peer Steinmeier oder hieß der Frank-Walter Steinbrück (?), –  sie sehen schon, die Polit-Chargen und Charaktermasken werden zusehends austauschbarer – zunehmend bestürzt verfolgt.   Der Begriff “Reform” war schon “verbrannt”; nun wird das Wort Solidarität in orwellscher Manier als Neusprech umgedeutet.   Nicht mit mir.   Jeden Samstag übe ich mein Grundrecht nach Art. 8 GG aus.   Wir seh´n uns in der einen oder der anderen Stadt – auf der Straße.   Sie erkennen mich daran, dass ich nicht maskiert bin.   Mit sehr dankbaren und herzlichen Grüßen auch an den mutigen Albrecht Müller   Peter Thomas Klyk 23. Leserbrief Sehr geehrter Herr Berger, sie haben meiner Meinung nach eine sehr gute Analyse geschrieben. Ich habe mir aufgrund der jetzt durchlebten Zeit nochmals “Die Geschichte eines Deutschen” von Sebastian Haffner vorgenommen. Unglaublich die Konformität vieler Facetten seiner Geschichte .Wir sind allerdings nicht in einer Vorbereitung auf Krieg sondern wir führen schon Krieg, Krieg gegen einen Virus (sagt selbst der französische Präsident) .Dazu bedarf es einer treuen und ergebenen Volksgemeinschaft , die nichts hinterfragt.(verlangt auch RKI-Chef Wieler). Äußeres Zeichen ist die Maske, der moderne Gesslerhut. Tragt die Maske tönt es aus allen Medien, nicht etwa stärkt euer Immunsystem obwohl der Krieg doch für die Volksgesundheit geführt wird. Die Einschränkung des “Privaten”, wie Haffner es beschreibt, hat schon sehr bedrohliche Formen angenommen.  Sehr optimistisch blicke ich nicht in die Zukunft, auch wenn die Lektüre der Nachdenkseiten sehr oft Zuversicht vermitteln. Dafür recht herzlichen Dank. J.Liepelt 24. Leserbrief Sehr geehrter Herr Berger, in Ihrem heutiger Beitrag zu obigem Thema finde ich mich an vielen Stellen wieder und danke Ihnen dafür ganz herzlich. Meine Freunde und Bekannten, die meisten jenseits der Siebzig, manche sogar, wie ich, jenseits der achtzig, gehen unisono nicht nur vollkommen konform mit den Corona-Maßnahmen, sondern lassen auch nicht den leisesten Zweifel an deren Legitimität zu. Eine andere Meinung wird mit großer Vehemenz unter Vorhaltungen der Verantwortungslosigkeit auf keinen Fall zugelassen. Alle haben Kinder und Enkelkinder, wobei für einige demnächst wieder Schule und Kita beginnt oder bereits begonnen hat. In einem Fall muss das Kind (Erstklässer) sowohl während des Unterrichts als auch  auf dem Schulhof eine Maske tragen. Auch daran wird keine Kritik zugelassen.  Ist die Angst vor Ansteckung so groß, dass man solche Monstrositäten befürwortet? Es sieht ganz danach aus. Traurig. Gruß G. Fernekes 25. Leserbrief Sehr geehrter Herr Berger, vielen Dank für Ihren sehr gut geschrieben Artikel. Was mir bei den von Ihnen als “Ja-Sager” und “Mitläufer” titulierten besonders Sorge macht ist folgendes: Niemand von ihnen will wahrnehmen, dass es um die Demokratie in diesem Land wirklich nicht mehr zum besten steht Sein Grundrecht auf freie Meinungsäußerung wahrzunehmen kann in D also schon zum Existenzverlust oder zu drastischen Sanktionen des Arbeitgebers führen – das ist bittere Realität. In einem ebenfalls interessanten Beitrag vor einigen Tagen wurde festgestellt, dass Protest und Kritik an den aktuellen Corona-Maßnahmen hauptsächlich von Wissenschaftler, Journalisten und Personen der Öffentlichkeit kommt, die Ihre Karriere hinter sich haben (Hr. Bhakdi, Herr Püschel, Herr Wodrag, usw.) – alle anderen Wissen spätestens seit den letzten 14 Tagen, dass man sich der Karriere zuliebe besser nicht zu weit aus der Deckung trauen sollte. Die Leitmedien begleiten diese Entwicklung aber bereitwillig mit einer Berichterstattung, die der von Ihnen beschrieben Gruppe suggeriert, die betroffenen hätten die Sanktionen verdient, es geschehe ihnen zurecht – das ist das besonders traurige. Mit freundlichen Grüßen Viktor Csepregi 26. Leserbrief Hallo und guten Tag an die NDS, ich möchte an dieser Stelle meinen Dank für diesen scharfsinnigen und eben doch gar nicht so “subjektiven” Text von Herrn Berger aussprechen. Im Laufe der “Covid-19-Pandemie” sind wir doch nunmehr an einer Stelle angekommen, die dazu herhalten könnte, unsere als hochentwickelt geltende Gesellschaft vollständig zu sprengen – zu stark sind doch wohl schon die unterschiedlichen Meinungen bis in fast den letzten Bekannten- und/oder sogar Freundeskreis in Bezug auf die regierungsseitig “angeordneten” Maßnahmen. Schlicht: eine Entwicklung hin zu mehr Solidarität, geschweige denn zu einer sinnstiftenden Debatte in puncto zukünftiger Gesellschaftsentwicklung bleibt trotz der offensichtlichen und massiven “Einbrüche” und eingetretener bzw. noch zu erwartender “Miseren” immer noch gedeckelt. Warum wohl? Weil das System – selbst wenn krisengeschüttelt und möglicherweise weit über den Zenit seiner Macht – doch noch stabil genug scheint, um mit genau den von Jens Berger mit Recht als angstmachend beschriebenen Ja-Sagern und Mitläufern auch noch den wirklich letzten Zipfel des Planeten zu rocken und auch jeden Erdbewohner zu seinen Gunsten auszuwringen. Es hat vor einer gewissen Zeit einen verlinkten Text über die NDS-Plattform gegeben (Telepolis?), in dem sich ein Autor damit beschäftigt hat, ob wir uns am Anfang oder schon inmitten einer Revolution befinden – ein interessanter Gedankengang wie ich mit diesem Aktualitätsbezug finde ! Es wäre nämlich – auch wegen der neben “COVID-19” auch noch anstehenden und immer komplexer werdender Probleme wie Klimakatastrophe, Waldsterben, ziviler wie militärischer atomarer Bedrohung, Bodenerosion, Kampf ums Wasser und um Ressourcen, angezettelter Kriege, massenhaften Migrationsströmen usw. und so fort ohnehin SYSTEMISCH UND UNTER DEN UNS BEKANNTEN POLITISCHEN WIE WIRTSCHAFTLICHEN GRUNDZÜGEN SO GUT WIE ILLUSORISCH, DARAN ZU GLAUBEN, DASS SICH DAS ZUM GUTEN WENDET. Und eben da bin ich Herrn Berger für seine “subjektiven” Einwände so dankbar, die wir durchaus mal objektiv weiterdenken könnten: So lange eine politische Kaste es nicht für nötig hält, “Gesamt-Gesellschafts-Politik” mit Weitsicht und Gespür zu kreieren und solange es Ja-Sager und Mitläufer gibt, die bedingungslos folgen und jedwede demokratische und damit sinnvolle Auseinandersetzung unreflektiert mit Füßen treten, so lange MACHT DAS WAHRSCHEINLICH IMMER MEHR MENSCHEN ANGST ! Hoffentlich beizeiten dann mal Mehrheiten !!! MfG. Rolf Röhrig 27. Leserbrief Sehr geehrter Herr Berger,   müssen wir Leser der Nachdenkseiten uns Sorgen machen, dass Sie wie Volker Pispers die Nase voll haben ob der herrschenden und nicht beizukommenden Zustände in dieser Republik? Ich hoffe nicht!   Nun einige Anmerkungen zu Ihrem Artikel, der mich doch sehr überrascht und manchmal entsetzt hat.   Solidarität ist sehr wohl erstmal eine einbahnstraße in der Erwartung,dass die anderen sich in umgekehrter Situation auch solidarisch verhalten und mich unterstützen. Wie ich mich den von Ihnen angeführten personengruppen solidarisch verhalten soll, erschließt sich mir nicht. Ich kann mich allerdings verantwortungsvoll verhalten, indem ich eine Maske trage und alle anderen vor meinen Viren schütze.   Wir haben doch längst Lockerungen umgesetzt ohne Politiker, Medien und andere zu bemühen oder auf deren gerede oder geschreibsel zu warten. Wir setzen die Masken draußen ab, wir weichen auf Gehwegen kaum noch in großem Bogen aus oder gehen auf die andere Straßenseite, wenn uns jemand entgegen kommt. Wir sitzen draußen in Restaurants und Cafes ohne Maske, weil die größte Angst, Corona zu erwischen, überwunden ist. Jetzt geht es darum wie wir aus diesem Lockdown rauskommen. Wir experimentieren. und wie das mit experimenten so ist weiß keiner wie sie ausgehen.   Ich wüßte nicht, dass ich mich durch die Ereignisse des 11.9.2001 in irgendeiner Gefahr in Deutschland sah. Ich sehe mich allerdings gefährdet durch Maskenignoranten und Coronaskeptiker und -leugner.   Entweder ist Covid-19 gefährlich oder das Virus ist es nicht. Warum haben alle südostasiaatischen Staaten schnell umfassende Maßnahmen ergriffen,um die Ausbreitung von Covid-19 unter Kontrolle zu bekommen? Weil sie blöd sind?   Blöd in diesem Sinne ist nur diese unsägliche Maskendiskussion, die mit den ersten Leugnern namens Spahn und Wieler anfing und nun bei diesen Demonstranten gelandet ist, die sich jedem vernünftigen Argument und jeder logischen Konsequenz verweigern.   Ich sehe nicht, dass sich diese Demonstranten irgendwelche Sorgen um unsere Demokratie machen. Ich sehe nur brutalen, verantwortungslosen Individualismus.   Mit freundlichen Grüßen Reinhard Hennig 28. Leserbrief Sehr geehrter Herr Berger, vielen Dank für ihren “sehr subjektiven Kommentar”, der sich sehr mit meinem Empfinden deckt. Was mich in der aktuellen Situation am meisten betroffen macht, ist die Vergesslichkeit der Menschen. Vergessen die Zeiten, in denen bestimmte Gruppen gekennzeichnet wurden (siehe MVP und das Vorhaben negativ getestete Schüler mit einem grünen Punkt zu versehen). Vergessen die Zeiten einer staatlichen Überwachung/Förderung von Denunziantentum und auch vergessen die Zeiten, in denen gegen diese Überwachung (und andere Dinge) demonstriert/gekämpft wurden, nur um sich Jahre später freiwillig in eine neue Überwachung zu begeben. Anfang des Jahres hätten die Maßnahmen mangels besseren Wissens durchaus Sinn gemacht. Wie in Deutschland üblich, wurde sich aber erst einmal im eigenen Glanz gesonnt und die Entwicklung verschlafen. Daher haben wir, trotz aktuell besseren Wissens, mittlerweile längere und großflächigere Maßnahmen zu ertragen als in China, dem bösen Klassenfeind, der ja wohl alles falsch gemacht hat, was das Krisenmanagementrepertoire so hergibt. Zumindest wenn man unseren MSM glaubt. Ich für meinen Teil bin seit Anfang an Maskenverweigerer, da ich seit jeher (schlecht begründeten) Maßnahmen kritisch gegenüber stehe. Manch einer mag nun sagen: “Was für ein Idiot”. Mag sein. Wenn ich aber Berichte höre, in denen nichtvorhandene (Corona-) Hygiene in Sachsens Asylbewerberheimen als “Risiko des Lebens” für die Bewohner abgetan werden und mir als Bürger dieses Landes die Entscheidung, ob ich für mich ein Risiko eingehe oder nicht, durch Zwangsmaßnahmen verweigert wird, so ist das doch eine Einteilung von Menschen in “Kann bleiben” und “Kann weg”. Wieder was, das in Vergessenheit geraten ist. Daher werde ich mich wohl am 29.08. mit all den “CovIdioten” gleich machen und nach Berlin fahren, immer im Hinterkopf habend, das jeder das Recht auf freie Meinungäußerung hat. Auch wenn ich nicht jede Meinung der Mitdemonstranten gutheißen muß. Auch ein Konzept, das vor lauter Panik zunehmend vergessen wird. Mit freundlichen Grüßen, D. Rohr 29. Leserbrief Liebe NDS-Redaktion, alles Leben ist Leiden – oder leben wir hier heute ein besseres, längeres, freieres und glücklicheres Leben als je zuvor in der Geschichte der Menschheit. Menschen riskieren ihr Leben im Mittelmeer, um in unserer “Corona-Diktatur” leben zu dürfen. Absurd ist nicht die Maskenpflicht – absurd ist das Theater, das um die Einhaltung von allersimpelsten Infektionsschutzmaßnahmen gemacht wird. Eine Pocken-Impfpflicht gab es schon in der 1. Demokratie Deutschlands, der Weimarer Republik bis in die neuzeitliche Bundesrepublik (bis 1982). Impfverweigerer konten theoretisch bis zu 14 Tagen inhaftiert werden. Hat aber niemanden gekratzt damals. Auch in der DDR – Sozialismus ist die bessere Prophylaxe – gab es 17 Pflicht-Impfungen. Und man war stolz auf den medizinischen Fortschritt. Man war nicht mehr gewillt jährlich 2000 – 4000 Polio-Erkrankungen und 250 Todesopfer hinzunehmen. Aus einer Arbeiterbewegung ist die gewerkschaftlich-genossenschafliche Volksfürsorge gegründet worden, die dafür gesorgt hat, dass sich auch die Allerärmsten impfen lassen konnten. Wir sind so verstrickt in die neoliberale Denkweise, dass es einer intellektuellen Anstrengung bedarf, um sie sich vor Augen zu führen. “Kinder sind ein Armutsrisiko”, “Kinder sind eine Belastung für die Eltern” – WIRKLICH? Liegt das an den Kindern oder an den gesellschaftlichen Bedingungen? Kinder haben haben ein Recht auf Bildung, deswegen muss man sie (auch schon unter drei Jahren) unbedingt ErziehungsexpertInnen anvertrauen – mag sein, aber geht es dabei wirklich um Bildung oder sollen sie nur einer ökonomischen Verwertungslogik unterworfen werden? Kinder sollen rund um die Uhr betreut werden, damit Eltern zumeist unter prekären Bedingungen ungestört arbeiten gehen können. Über eine “Herdprämie”, damit sie auch zu Hause betreut werden können, wird gar nicht mehr nachgedacht. Viele Grüße Michael Wrazidlo 30. Leserbrief Guten Tag Herr Berger,   der Beitrag ist wohl als Provokation gedacht!? Ja was sonst: es ist «ein sehr subjektiver Kommentar». Eigentlich sollte darauf niemand reagieren, aber ich muss mal «Luft» ablassen  … Jeder hat die Verantwortung, sich und andere zu schützen. Die eigene Freiheit hört da auf, wo die eines anderen beginnt. Die Infektionszahlen steigen. Wieso sind positive Entwicklungen bzw. Verhalten nicht einmal Grund für eine Nachricht!? Das vermisse ich bei Euch! Tendenziell habt ihr mehr Platz für die Leugner, die ja zum Glück nur eine Minderheit (0.02%?) in DE sind. Mit dem Virus müssen wir leben – die nächsten Jahre. Was wäre, wenn ich Ihnen sage: ich komme aus der Zukunft und weiss, dass 1Mrd. Menschen sterben werden bis Ende 2020, wenn die Hygiene-Regeln nicht konsequenter eingehalten werden. Würde sich Ihre Kommunikation und Einstellung ändern?   Wenn nicht, bitte ich Sie, einmal eine andere Flughöhe einzunehmen und das ganze «von oben» zu betrachten. Oftmals verliert man sich im Klein-klein und verliert den Blick. Allerdings ist das ja genau Euer Job: das Klein-klein sezieren. Sorry! Nur, diese komischen Beiträge von Euch, mit n.m.M. gefühlten Sympathien für Egoisten und unvernünftige Menschen, lassen mich darüber nachdenken, den Kontakt mit Euch zu beenden. Über viele Jahre war ich immer froh, dass es NDS gibt. Blasen-Leben(?) … Egal! Der Gurt im Auto wird auch von allen akzeptiert! Und so sollte es auch mit den 3 kleinen Vorgaben sein: Maske, Abstand, Hände waschen. Wollen Sie denn der Grund sein, dass ihr «Chef» Albrecht Müller einen Schlauch im Hals hat und im Koma die Nachdenkseiten an Sie übergibt? Das ist böse, aber kurz-und-spitz. Der Virus mag keine Hitze, gem. Prof. Timo Ullrichs, aber auf Kälte «fährt er ab». Wie stellen Sie sich die Eskalation im Herbst/Winter vor? Bitte an Zusammenhänge, Vergangenheit, Zukunft, oben/unten, rechts/links denken … wie Sie das machen sollen, keine Ahnung.   Niemand lebt im luftleeren Raum. Jeder hat seine Erfahrungen, Vorbilder usw. Apropos gute/positive Vorbilder. Wo sind die Vorbilder für diese Krise, die uns inspirieren? In manchen Gegenden in Asien werden von den Leuten Masken getragen aus Höflichkeit, um andere nicht anzustecken? Das ist Rücksichtsvoll! Leben denn in Europa/NoAmerika alles nur Egoisten?! Dann soll die Menschheit eben untergehen! Vielleicht können die Menschen, die auf dem Planet Mars leben, als Vorbild herhalten? ? Könnte man mal drüber nachdenken, was man dort mit Masken-Verweigerern und Virus-Verschwörern macht.      Es geht doch nicht um die Massen an Kranken, die eventuell in Krankenbetten dahin siechen! Es geht um die Schwere der Krankheit im Vergleich zu allen anderen. Allein eine Impfung bzw. gute Medikamente können das ganze wieder auflösen! Das ist die EINZIGE LÖSUNG!!!!     Engagieren Sie sich doch lieber dafür, dass es perfekte und stylische Masken gibt, die jeder unbedingt haben will. Dann gäbe es keine Probleme mehr!   Und ja, Demonstrationen/Meinungsäusserungen müssen möglich sein – mit Respekt und nicht egoistisch!   Bleiben Sie gesund und alles Gute … St. König 31. Leserbrief Sehr geehrter Herr Berger,   Sie sprechen, schreiben, einem aus der Seele. Viele Menschen können die Meldungen nicht mehr hören, ich auch nicht. Mir machen auch einige Politiker oder Maßnahmen mehr Angst als das Virus. Trotzdem gibt es leider einige Menschen die noch höhere Bußgelder für unmaskierte Menschen fordern, mit der Begründung sie müßten ja auch eine Maske tragen. Wie im Kindergarten, nur leider viel ernster. Ich bin selber auch dreimal angesprochen worden weil ich die Maske nicht über der Nase hatte, davon zweimal auf einem Wochenmarkt. Die Verkäufer auf den Wochenmärkten brauchen keine Maske aufsetzen, was mich nicht stört, die Kunden müßen eine aufsetzen. Die Hamburger Hochbahn zieht jetzt die Daumenschrauben an, es kostet künftig 40€ wenn die Maske nicht über der Nase ist. Beispiel:   Was passiert bei nicht sachgemäßer Anwendung oder bei Nutzung erst bei Sichtung des Prüfdienstes?   Auch in diesen Fällen kann die Vertragsstrafe erhoben werden. Auch die unsachgemäße Anwendung (z. B. Nase frei) gilt als Verstoß gegen die Verordnung zum Tragen der Mund-Nasen-Bedeckung.   Aus: hvv.de/de/service/fragen-und-antworten/coronavirus   Ich habe in der ganzen Zeit, seit dem die Maskenpflicht gilt, fast niemanden gesehen der die Maske nicht über der Nase hatte, also was soll das? Zu Masken im Unterricht, ich befürchte es wird bald mehr Menschen mit Psychosen geben als Menschen mit Viruserkrankungen. Wenn dann ein Schüler Amok läuft…………… Um frei Atmen zu können muß wohl bald in den Untergrund gehen. Außerdem müßten viele Filme retouchiert werden, weil früher waren es die Bösen die eine Maske anhatten.   Mit freundlichen Grüßen A.H.   Was passiert bei nicht sachgemäßer Anwendung oder bei Nutzung erst bei Sichtung des Prüfdienstes?   Auch in diesen Fällen kann die Vertragsstrafe erhoben werden. Auch die unsachgemäße Anwendung (z. B. Nase frei) gilt als Verstoß gegen die Verordnung zum Tragen der Mund-Nasen-Bedeckung.   Aus: hvv.de/de/service/fragen-und-antworten/coronavirus 32. Leserbrief Sehr geehrter Herr Berger, ich schätze eigentlich ihre Beiträge auf den Nachdenk Seiten, aber in diesem Fall habe ich ehrlich gesagt nicht so recht verstanden was sie uns mit ihrem Beitrag sagen wollen. Ist Corona nun gefährlich oder ist es das nicht? Haben wir nicht gesehen wie es Ländern ergeht die die Dinge einfach laufen lassen oder sind das alles Fake News? Das Ziel der Anti Corona Maßnahmen Demos ist es ja schließlich es diesen Ländern gleich zu tun und den Dingen einfach ihren Lauf zu lassen. Falls also das Virus doch gefährlich sein sollte und sich ohne Gegenmaßnahmen exponentiell ausbreitet, wird es für die Gastwirte irgendwann keinen Unterschied mehr ob ihre Wirtschaft wegen der Lockdown Maßnahmen geschlossen bleibt oder die Gäste aus Angst weg bleiben weil nun das Virus auch die eigene Familie erreicht hat. Für manchen Jugendlichen der glaubt selbst nicht betroffen zu sein könnte spätestens dann das böse Erwachen folgen wenn nach einem Motoradunfall die Klinik geschlossen hat weil dort alle Intensivbetten mit Corona Patienten belegt sind. Ja wir brauchen Kritik an denjenigen die Corona nutzen um daraus politisches Kapital zu schlagen, wir brauchen Kritik an Maßnahmen bei denen jedes Bundsland sein eigenes Süppchen kocht und damit für Verunsicherung in der Bevölkerung sorgt, aber Verständnis für diejenigen die es genau so machen wollen wie Trump oder Johnson, das brauchen wir weiß Gott nicht. Da machen mir ehrlich gesagt ehr die Verharmloser in manchen Redaktionsstuben Angst, die solchen Strömungen noch mediale Schützenhilfe leisten. Mit freundlichen Grüßen Siegfried Thomas Anmerkung zur Korrespondenz mit den NachDenkSeiten Die NachDenkSeiten freuen sich über Ihre Zuschriften, am besten in einer angemessenen Länge und mit einem eindeutigen Betreff. Es gibt die folgenden Emailadressen: Weitere Details zu diesem Thema finden Sie in unserer „Gebrauchsanleitung“.
Redaktion
Jens Berger hat in diesem Beitrag einen „subjektiven Kommentar“ verfasst und die größer werdenden Gräben der Lager in der Corona-Zeit beklagt. Auf der einen Seiten formieren sich – unterstützt von Medien und Politik – Bürger zu einer „staatstragenden ´Solidar- und Schicksalsgemeinschaft´“ oder „großen Volksgemeinschaft“. Jeder Widerspruch von der anderen Seite wird „mit strengeren Maßnahmen, A ...
[]
[ "Erosion der Demokratie", "Gesundheitspolitik", "Leserbriefe", "Strategien der Meinungsmache" ]
16. August 2020 11:45
https://www.nachdenkseiten.de/?p=63836&share=email
Linke Tasche, rechte Tasche – der Sparkurs der Großen Koalition ist unsinnig und unsozial – es geht auch anders
Die Große Koalition hat sich etwas in den Kopf gesetzt: Bis spätestens 2011 soll der Bundeshaushalt ausgeglichen sein und ohne neue Kredite auskommen. Für Finanzminister Peer Steinbrück ist dieses Ziel so zentral, dass er ein mögliches Scheitern mit „einem erheblichen Kompetenzverlust für die Regierung“ gleichsetzt. Da ist es nur folgerichtig, wenn er, wie zuletzt geschehen, Ministerinnen und Minister zur Ordnung ruft und ihnen droht, ihre Budgets bei den anstehenden Haushaltsberatungen gleich selbst festzusetzen, sollten diese weiter über die Stränge schlagen. Die Bundeskanzlerin unterstützt ihren Kabinettskollegen. Und bei der Mehrzahl der Kommentatoren in den Medien gehört es längst zum guten Ton, den Sparwillen deutscher Finanzminister zu loben und immer wieder einzufordern. Wohl nirgends sonst in der Welt wird das Sparen so verherrlicht wie bei uns. Von Thorsten Hild. Datei zum Beitrag [PDF – 132 KB]
Thorsten Hild
Die Große Koalition hat sich etwas in den Kopf gesetzt: Bis spätestens 2011 soll der Bundeshaushalt ausgeglichen sein und ohne neue Kredite auskommen. Für Finanzminister Peer Steinbrück ist dieses Ziel so zentral, dass er ein mögliches Scheitern mit „einem erheblichen Kompetenzverlust für die Regierung“ gleichsetzt. Da ist es nur folgerichtig, wenn er, wie zuletzt geschehen, Ministerinnen und ...
[ "Austeritätspolitik", "Merkel, Angela", "Steinbrück, Peer" ]
[ "Bundesregierung", "Finanzpolitik", "Medien und Medienanalyse" ]
09. Mai 2008 14:04
https://www.nachdenkseiten.de/?p=3213&share=email&nb=1
Leserbriefe zu „Warum und wodurch wird die Ausübung der vollen staatlichen Souveränität der Bundesrepublik Deutschland behindert?“
Herbert Grießig diskutiert hier über die Souveränität Deutschlands. Formal scheine staatsrechtlich und völkerrechtlich alles im allgemein üblichen Bereich zu sein – das sei es bislang jedoch keineswegs. Tatsächlich hätten die USA „Befugnisse in Deutschland, die sehr wohl dessen Souveränität beschneiden und sogar erheblich beeinträchtigen“ könnten. Außerdem wirke die Feindstaatenklausel der Charta der Vereinten Nationen für Deutschland und Japan „wie die dritte Trumpfkarte in einem Altenburger Skatspiel“. Wir danken für die interessanten E-Mails. Es folgt nun eine Auswahl der Leserbriefe. Christian Reimann hat sie für Sie zusammengestellt. 1. Leserbrief Liebe Redaktion, wenn das alles stimmt, was Herr Grießig hier schreibt, haben anscheinend die “Spinner” und “Verschwörungstheoretiker” gar nicht mal so Unrecht, wenn sie behaupten, dass die Bundesrepublik immer noch ein besetztes Land sei. Grießig bietet in seinem Essay ziemlich gute und plausible Erklärungen für Entscheidungen der Bundesregierung – vor allem die der letzten zwei Jahre – an, die demokratisch und friedliebend gesinnte Bürger irritiert umtreibt. Bei mir sind es Fragen wie z.B. “Wieso kann der Ex-Botschafter der Ukraine in Deutschland so unverschämt auftreten ohne ein einziges Mal in die Schranken gewiesen zu werden?” Nach Grießigs Artikel muss man annehmen, dass er die Unterstützung der USA hatte. Es ist an dieser Stelle müßig, die vielen Ungereimtheiten und Verhaltensweisen der deutschen Politik noch einmal  anzuführen. Was ich mir nach dem Lesen dieses Artikels wünsche, ist eine qualifizierte “Gegenrede”, die in der Lage ist, eindeutig zu beweisen, dass Deutschland kein sogenanntes “Feindesland” mehr ist und die verbliebenen westlichen Besatzungsmächte nicht das beschriebene, ungestrafte Sanktionsrecht gegen Deutschland haben. Was ich mir wünschen würde, ist dass nach diesem Artikel irgendjemand eindeutig Herr Grießig widerlegt und eine intensive Diskussion öffentliche Diskussion über die tatsächliche Souveränität losgeht. Wenn ich in den nächsten Wochen keine qualifizierte Gegenrede zu Grießigs Artikel finde, können wir davon ausgehen, dass die von Herbert Grießig geschilderte politische Ausgangslage weitgehend der Realität entspricht. Ich bin weder Jurist oder Völkerrechtler, aber als politisch- und geschichtsbewußter Bürger dieses Landes erscheinen mir seine Kernaussagen erst mal plausibel und richtig. Und wenn das so sein sollte, kann kein deutscher Politiker mehr einfach so zur Tagesordnung übergehen. Dieses Thema muss  gesellschaftlich und transparent erläutert und diskutiert werden. Ich frage mich auch, inwieweit sind unsere Bundestagsabgeordneten in diesem Thema auf dem Laufenden? Wie fühlt man sich als “Vertreter” des deutschen Volkes und Abgeordneter des Bundestages, wenn man bei Abstimmungen und Entscheidungen im Parlament immer im Hinterkopf haben muss, nur nicht unsere westlichen “Verbündete” und “Freunde” mit unseren Entscheidungen ärgern, sonst könnten sie vielleicht uns Deutsche sanktionieren oder gar militärisch wieder besetzen?? Hat Frau Baerbock unter diesem Gesichtspunkt aus “Liebe” zu oder aus Angst um Deutschland aufgerufen, “Wir werden Russland ruinieren!”? Vielen Dank an alle Beteiligten für die Veröffentlichung dieses wichtigen Textes! Mit den besten Grüßen und Wünschen Claus Hübner 2. Leserbrief Vieles, was im Artikel über Deutschlands Souveränität thematisiert wird, trifft auf Österreich n i c h t zu… und trotzdem herrscht hierzulande die gleiche Ausrichtung aller Medien – und auch der Politik – auf die USA . Selbst der ORF , der Österreichische (!) Rundfunk, hört sich wie ein US amerikanischer Sender an: Fällt in einem US-Bundesstaat der Strom aus, [was woanders auch woanders passiert] wird sofort berichtet. Gibt es im Winter starke Schneefälle in NYC, [wie andernorts] wird darüber gleich berichtet. Sucht eine Partei in einem US-Bundesstaat einen Kandidaten (!) fürs Präsidenten -amt wird berichtet [ intensiver als über eine im eigenen Land oder etwa in der Schweiz] Das mit der Bedeutung der USA in der Welt zu erklären, trifft’ s nicht. Die komplette Journaille hier ist auf die USA getrimmt, so sehr, dass es lächerliche Ausmaße annimmt. Über Konferenzen in Afrika oder über einen Regierungswechsel o.a. kommt ein “Bericht” nicht von dort, sondern von einer westlichen Agentur oder einem deutsch sprechenden Erklärbären. Auf orf.at wurde gar “berichtet”, dass der weggeputschte demokratische Ex-Präsident Nigers rohe (!) Nudeln und rohen (!) Reis zu essen kriegt. Authentische Nachrichten aus Afrika oder von direkt von dort, gibt es nicht. Ist das anderes als purer Kolonialismus ? Und das im Österreichischen Rundfunk, im besten Kultur(!)sender Europas. Ein Witz, was hier läuft, ein schlechter Witz. Den “Verantwortlichen” ist das nicht mal bewusst, es wird schlicht geleugnet. Dafür wird über die “Gleichschaltung der Medien im autoritären Ungarn” umso mehr berichtet. Österreich souverän? Ja, zuletzt in den 1970er und 1980er Jahren. G.C.L. 3. Leserbrief Liebe NDS-ler, die Situationsbeschreibung von Herbert Grießig zeugt von großer Kompetenz und sehr dezidierter Betrachtung der Beziehung USA-Deutschland – und auch der geopolitischen ‘Trittbrettfahrer’, die den Status quo – aus welchen Interessen und Überlegungen heraus auch immer – gern so belassen würden. Was das Verhältnis der Medien, der Politik und der sich dafür haltenden ‘Intellektuellen’ und ‘Eliten’ betrifft, so wurde bereits treffend gesagt: ‘Wes’ Brot ich ess’, des Lied ich pfeif’. Vermutlich entsinnen sich diese Kreise auch der Weisheit ‘wenn Du einen Feind nicht besiegen kannst, dann umarme ihn’. Es kann mir niemand erzählen, dass diese meinungsbildenden Mitbürger mit ihren Netzwerken und Kontakten nicht wissen, worum es den USA im Kern geht. Da Moral, Selbstzweifel und Eigenreflexion bei dieser Gesellschaftsschicht häufig jedoch zu den weniger ausgeprägten Charaktereigenschaften gehören und vielfach eine untergeordnete Rolle spielen (Gewinnmaximierung, Korruption, Kumpanei, Machtgier, Karriere und Eigennutz stehen hier häufig eher im Vordergrund der Lebensplanung), ist auch die Leugnung des Machtstrebens und der Kriegsverbrechen der USA opportun. Besser, man stellt sich auf die Seite der vermeintlichen Gewinner, ‘heult mit den Wölfen’ und profitiert davon. Moralisch-ethische Gedanken dazu können sich ja dann die ‘Kleingeister’ leisten, die sich sonst nichts oder nur wenig leisten können, weil eben nicht zum illustren Kreis der Profiteure gehörend … . Und die große, politisch vielfach nur oberflächlich oder mäßig interessierte Masse der Jugendlichen, der Rentner und der ‘Abgehängten’ (unser Bildungssystem trägt seinen Teil gezielt dazu bei) empfindet diese ‘Leader’ als Vorbilder und nachahmenswert – nach der Devise: Es kann ja nicht alles schlecht und falsch sein, was uns die Medien und Meinungsmacher so tagtäglich vorsetzen. Wenn das Ganze dann entsprechend permanent und penetrant als ‘herrschende Meinung’ serviert wird, dann ist der gewünschte Konsens unausweichlich. Gegen den Strom zu schwimmen, ist vielen Mitbürgern lästig und zu anstrengend – und als ‘Querdenker’ oder gar als ‘Verschwörungstheoretiker’ will man sich ja auch nur ungern abstempeln lassen.  Da ist der populistische ‘Mainstream’ dann vielfach doch der bequemere Weg – und, wer weiß, vielleicht fallen ja doch ein paar Krumen vom Tisch der ‘Eliten’ ab, die man dann dankbar auflesen kann. Sooo schlimm sind die ‘wertebasierten’ USA dann ja auch wieder nicht … . Ich jedenfalls, sehe mich gern als kritischen ‘Querdenker’ im ehemals positiven Kontext – und wer im derzeitig populistischen Narrativ die ‘Verschwörungstheoretiker’ sind, ist durchaus Ansichtssache und wird vermutlich die Geschichtsschreibung der Zukunft zeigen, sofern (nach all dem künstlich erzeugten Hass gegen Russland) noch halbwegs objektiv möglich. Ulrich Herbst 4. Leserbrief Hallo, das Problem mit Deutschland ist die Freigabe zur völkerrechtlichen Neuaufstellung und die 1992 damit einher gegangene Aufhebung aller Hoheitsrechte der Bundesländer (die von den alliierten gemachten) und die Abwicklung der alliierten Konstrukte bis spätestens 2030 (resp. 2025). Aus diesem Grunde kann und darf kein Beamter mehr hoheitsrechtlich gezeichnete Dokumente erstellen und haftet persönlich mit all seinem Hab und Gut. Aus diesem Grund gilt auch der hoheitsrechtlich abgeleitete Begriff “Inland” nicht mehr (geht auch nur mit einer Außengrenze), die es seit Schengen nicht mehr gibt. Der Geltungsbereich der Bundesrepublik wurde aufgehoben durch Streichung von Art. 23 GG, das GG wurde als Gesetz komplett entwertet durch Neubesetzung von Art. 23, der jetzt die Abwicklung der Bundesrepublik in die EU ausdrückt. Auch die Bundesländer z.B. Rheinland-Pfalz werden abgewickelt. Leider blicken das die Einwohner (Deutsche mit Pass ohne jedwede Staatsbürgerschaft, wenn sie die nie im Ausländeramt nachgewiesen haben = Flüchtling) überhaupt nicht, dass sie überhaupt keine Steuererklärung mehr abzugeben bräuchten und mit ihren Steuern nur die Abwicklung mitfinanzieren (und damit u.a. das Rentensystem am Laufen halten). Aber das Ende ist bereits abzusehen. Indizien: immer weniger Staatsbedienstete, d.h. Polizisten, Richter, Lehrer, usw. Das Beamtentum wurde ja bereits schon länger aufgehoben. Die Steuergelder werden nur noch “verschleudert”, weil die Politiker alle wissen, dass das System runter gefahren wird um dem Völkerrecht zu genügen. Deutschland ist demnach ein Flickenteppich einzelner Ortsgemeinden, die das Land in den Gemeindegrenzen besitzen oder es zumindest für den Besitzer verwalten (Kirchen, Stiftung Preußen, o.ä.). Leider wird die Neuaufstellung erst losgehen können, wenn das Finanzamt nachgewiesen bekommen hat, dass es nur noch eine NGO ist d.h. ohne jedwede hoheitsrechtliche Befugnis und die Steuern zu Unrecht erhebt… Auch der Bundesrat hat keinerlei Befugnisse mehr Verordnungen des Bundestages zu ratifizieren wg. der fehlenden Hoheitsrechte. Es ist aber trotzdem noch Usus. Aber da weder die Steuergesetze noch gelten (Geltungsbereich in den Gesetzen) muss sich eigentlich niemand mehr daran halten. Selbst die Gerichtsvollzieher sind bereits entmachtet, Krankenkassenbeiträge und Kfz-Steuern treibt daher der Zoll ein. Das sagt doch alles! Wichtig wäre, dass jeder dem Finanzamt schreibt, dass die Rechte zur Steuererhebung an die Ortsgemeinden zurück übertragen werden, damit wir eine Chance zur völkerrechtlichen Neuaufstellung auf der Ebene der Ortsgemeinden bewahren können. Weil alle “Flüchtlinge” werden in die EU abgewickelt werden, so dass ein Niemandsland entstehen wird, wenn die von den Alliierten aufgebauten Konstrukte abgewickelt wurden. Rechtlose Menschen als Flüchtlinge im nirgendwo, das ihnen nicht gehört… Das ist der echte “Great Reset”! LG J. 5. Leserbrief Sehr geehrtes NDS-Team, sehr geehrter Herr Grießig,   wieder einmal werden Sie auch dank dieses Artikels Ihrem Anspruch gerecht, der Ihren Lesern heute beispielsweise auch die Voraussetzungen erläutert, die allein der ursprünglich vereinbarte und jetzt noch bestehende Wortlaut des Völkerrechts für die erstrebenswerte “volle Souveränität” aller Nationen bietet, deren Inanspruchnahme danach aber für die BRD Deutschland auch nach der “Wiedervereinigung” noch nicht gewährleistet zu sein scheint. Vielmehr erscheint das jetzige Deutschland immer noch und dies so offensichtlich wie kaum je zuvor, als Vasall vor allem der USA, und Sie benennen diesen Status noch einmal in seinen deutlichsten Erscheinungsformen.   Für mich erhebt sich nach der Lektüre dieses Artikels jedoch weniger die Frage, ob es die BRD Deutschland doch noch schafft, in der Weltgemeinschaft als souveräne Nation anerkannt zu werden, sondern eher darum, ob es “die Spezies Mensch” schafft (siehe A.T.: “Macht euch die Erde untertan.”), unter Anwendung der ihr vorliegenden Erkenntnisse über die Natur ihres Planeten sowie auch ihrer eigenen Fähigkeiten und Handicaps und zwar aus eigenem Überlebensinteresse eine dafür ökologisch sinnvolle Balance herzustellen. Danach scheint mir der “fairste” Wettbewerb, bei dem es am Ende wieder nur Sieger und Verlierer gibt, die sich selbst nach Generationen noch gegenseitig bekriegen können,  untauglich zu sein.   Mit Dank für diesen bedenkenswerten Artikel und im Voraus für Ihre Aufmerksamkeit   Johanna Michel-Brüning Anmerkung zur Korrespondenz mit den NachDenkSeiten Die NachDenkSeiten freuen sich über Ihre Zuschriften, am besten in einer angemessenen Länge und mit einem eindeutigen Betreff. Es gibt die folgenden E-Mail-Adressen: Weitere Details zu diesem Thema finden Sie in unserer „Gebrauchsanleitung“.
Redaktion
Herbert Grießig diskutiert hier über die Souveränität Deutschlands. Formal scheine staatsrechtlich und völkerrechtlich alles im allgemein üblichen Bereich zu sein – das sei es bislang jedoch keineswegs. Tatsächlich hätten die USA „Befugnisse in Deutschland, die sehr wohl dessen Souveränität beschneiden und sogar erheblich beeinträchtigen“ könnten. Außerdem wirke die Feindstaatenklausel der Cha ...
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[ "Leserbriefe" ]
26. August 2023 14:00
https://www.nachdenkseiten.de/?p=102912
Sponsoring
„Journalist des Jahres“, „Cinema For Peace“,, „Grammys“: In den letzten Tagen häuften sich Veranstaltungen der Meinungsmache durch „Kultur“. Die für sich bedeutungslosen Ereignisse verschmelzen zur wirkungsvollen Erzählung vom guten Westen. Auch die hochverdiente Berlinale bleibt nicht ganz unberührt. Von Tobias Riegel. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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12. Februar 2019 11:00
https://www.nachdenkseiten.de/?tag=sponsoring&paged=2
Kapieren Sie, was schlimm daran sein soll, dass Geißler Goebbels „Wollt ihr den totalen Krieg?“ zitiert? Ich nicht.
Jetzt fallen Journalisten über Geißler her. Das konnte man mit gutem Grund bisher schon tun, wenn man nach seiner Rolle bei Stuttgart 21 fragt (Was gab es da eigentlich zu schlichten??) und sich auch früher von ihm nicht blenden ließ. Wir haben die Rolle Geißlers bei Stuttgart 21 von Anfang an kritisch begleitet. Jetzt versuchen Journalisten gleich rudelweise die Wende. Spiegelredakteur Schwennicke befiehlt „Eine Entschuldigung – und zwar schnell!“. Die Badische Zeitung meint, das Kriegszitat entlarve Geißler. Medien und Netz sind voll von ähnlichen Attacken und Einlassungen. Dass Geißler Goebbels zitiert und dies auch noch ziemlich unpassend, kann die emotionale Abwendung nicht erklären. Albrecht Müller. Möglicherweise wollen die Journalisten ihr Image als kritisch aufbessern; oder sie wollen den allenthalben hochgelobten Geißler beschädigen, weil er vielleicht doch noch mal etwas Kritisches zu Stuttgart 21 sagen könnte; oder es ist nur der Spaß daran, sich gemeinsam mit Kollegen aufzuregen. Es ist ein unbedeutender Vorgang. Ich weise dennoch darauf hin, weil sich hier mal wieder zeigt, wie sich Meinungsmache von den sachlichen Gegebenheiten abheben kann. Die Sache selbst ist unbedeutend. Der Gebrauch des Goebells-Zitats ist eine lässliche Sünde. Aber es reicht zu Dutzenden von aufgeblasenen Artikeln.
Albrecht Müller
Jetzt fallen Journalisten über Geißler her. Das konnte man mit gutem Grund bisher schon tun, wenn man nach seiner Rolle bei Stuttgart 21 fragt (Was gab es da eigentlich zu schlichten??) und sich auch früher von ihm nicht blenden ließ. Wir haben die Rolle Geißlers bei Stuttgart 21 von Anfang an kritisch begleitet. Jetzt versuchen Journalisten gleich rudelweise die Wende. Spiegelredakteur Schwen ...
[ "Geißler, Heiner", "Milliardengrab" ]
[ "Medien und Medienanalyse", "Stuttgart 21" ]
04. August 2011 16:46
https://www.nachdenkseiten.de/?p=10353&share=email&nb=1
Jens Berger
Jens Berger ist freier Journalist und politischer Blogger der ersten Stunde und Chefredakteur der NachDenkSeiten. Er befasst sich mit und kommentiert sozial-, wirtschafts- und finanzpolitischen Themen. Berger ist Autor mehrerer Sachbücher, etwa „Der Kick des Geldes“ (2015) und des Spiegel-Bestsellers „Wem gehört Deutschland?“ (2014).
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18. Juli 2014 15:31
https://www.nachdenkseiten.de/?author=8&paged=355
SPD fordert Abzug aller US-Atomwaffen aus Deutschland. Unterstützenswert
Der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Mützenich meint, es werde Zeit, dass „Deutschland die Stationierung zukünftig ausschließt“. Die US-Atomwaffen in Deutschland seien ein Sicherheitsrisiko. So berichtete der Berliner Tagesspiegel und einige andere Medien gestern. Der Co-Vorsitzende der SPD, Norbert Walter-Borjans, unterstützt Mützenich. Sofort regt sich Widerstand – von Seiten der Union und aus den eigenen Reihen. Wenn Sie Kontakte ins Lager der SPD haben, dann unterstützen Sie bitte diesen Vorstoß. Kontaktieren Sie Ihre örtlichen Abgeordneten. Und unterstützen Sie den Vorsitzenden der Fraktion. Albrecht Müller Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Podcast: Play in new window | Download Der Widerstand wird groß sein, auch aus der SPD. Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Fritz Felgentreu und der Vorsitzende des Unterausschusses Abrüstung Karl-Heinz Brunner haben sich schon für „den deutschen Beitrag zur atomaren Verteidigung“ ausgesprochen und dem Fraktionsvorsitzenden und Parteivorsitzenden widersprochen. Vermutlich wird auch von Heiko Maas, dem Außenminister, Widerspruch kommen. Felgentreu meint lt. FAS vom 3.5.: „Wenn Deutschland sich aus der Abschreckung durch nukleare Teilhabe zurückzieht, dann verlieren wir Einfluss auf die Nuklearstrategie der NATO.“ Und von der CDU/CSU sowieso. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union, Johann Wadephul meint, so die FAS, die deutsche nukleare Teilhabe erhöhe die Sicherheit, weil sie den Einsatz von Atomwaffen für den Gegner unkalkulierbar mache. Hinter all diesen Einwänden steckt, im Vergleich zur Sicherheitspolitik, die wir zwischen West und Ost 1990 verabredet haben, ein auf den NachDenkSeiten schon des Öfteren thematisierter Rückfall in die Strategie und das Denken der Fünfzigerjahre und Anfang Sechzigerjahre: Abschreckung gewähre Sicherheit. Das ist die fundamentale Abkehr von dem Konzept der gemeinsamen Sicherheit und eine Rückkehr in den Kalten Krieg – mit allen damit verbundenen und inzwischen deutlich atomaren Risiken. Die Forderung von Mützenich und Walter-Borjans nach einem Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland könnte ein Symbol und ein Schritt auf dem Weg zur Rückkehr zu einer vernünftigen und friedfertigen Außen- und Sicherheitspolitik sein. Dafür ist es aber wirklich wichtig, dass viele Menschen Wege suchen, um deren Vorstoß zu stabilisieren. Nur deshalb dieser Hinweis.
Albrecht Müller
Der Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Mützenich meint, es werde Zeit, dass „Deutschland die Stationierung zukünftig ausschließt“. Die US-Atomwaffen in Deutschland seien ein Sicherheitsrisiko. So berichtete der Berliner Tagesspiegel und einige andere Medien gestern. Der Co-Vorsitzende der SPD, Norbert Walter-Borjans, unterstützt Mützenich. Sofort regt sich Widerstand – von Seiten der Union ...
[ "Abrüstung", "Abschreckungsstrategie", "Atomwaffen", "Kalter Krieg", "Mützenich, Rolf", "Militärstützpunkte", "Walter-Borjans, Norbert" ]
[ "Aktuelles", "Audio-Podcast", "Friedenspolitik", "SPD" ]
04. Mai 2020 17:30
https://www.nachdenkseiten.de/?p=60715&share=email
Kabarettist Heinrich Pachl ist tot
Der Kölner Kabarettist Heinrich Pachl ist in der Nacht von Samstag auf Sonntag im Alter von 69 Jahren gestorben. Heinrich war noch bis vor kurzem mit einem Soloprogramm unter dem zukunftsfrohen Motto „Das überleben wir!“ aufgetreten, bis es seine schwere Krankheit nicht mehr zuließ. Der Wortakrobat in Höchstgeschwindigkeit war nicht nur eine Institution des politischen und gesellschaftskritischen Kabaretts, seine Auftritte mit dem frühen Richard Rogler, dem verstorbenen Mathias Beltz oder mit Arnulf Rating sind unter Kabarettfreunden geradezu legendär. Für seine Soloprogramme erhielt er renommierte Auszeichnungen, wie den Deutschen Kleinkunstpreis, den Adolf-Grimme-Preis oder den Deutschen Kabarettpreis. Heinrich war immer auf der „Spur der Scheine“. Für mich ist sein Theaterstück „Köln ist Kasse“ die einfühlsamste und treffendste Karikatur des kölschen Klüngels. Köln ist für den gebürtigen Badener zu seiner geliebten und gleichzeitig heftig angeprangerten Heimat geworden. Heinrich hat sich nicht nur in der Stadtpolitik sondern überall eingemischt, wo es um soziale Not oder um Finanz- und Umweltskandale ging. Auf der Straße, im Theater oder mit seinen Filmen stand er immer auf der Seite der Benachteiligten. Er hat den Schönfärbern in Politik und Medien mit seinen „vertrauensstörenden Maßnahmen“ zugesetzt. Seine Empathie galt den Ausgebeuteten und sein Zorn den Absahnern. Die Kleinkunst, das Kabarett hat einen ihrer Großen verloren, die NachDenkSeiten einen wichtigen Impulsgeber und ich einen guten Freund. Wir trauern um ihn mit seiner Frau Li und seinem Sohn Max.
Wolfgang Lieb
Der Kölner Kabarettist Heinrich Pachl ist in der Nacht von Samstag auf Sonntag im Alter von 69 Jahren gestorben. Heinrich war noch bis vor kurzem mit einem Soloprogramm unter dem zukunftsfrohen Motto „Das überleben wir!“ aufgetreten, bis es seine schwere Krankheit nicht mehr zuließ. Der Wortakrobat in Höchstgeschwindigkeit war nicht nur eine Institution des politischen und gesellschaftskritisc ...
[ "Kabarett", "Nachruf" ]
[ "Gedenktage/Jahrestage", "Kultur und Kulturpolitik" ]
22. April 2012 16:58
https://www.nachdenkseiten.de/?p=12945&share=email
Hinweise der Woche
Am Wochenende präsentieren wir Ihnen einen Überblick über die lesenswertesten Beiträge, die wir im Laufe der vergangenen Woche in unseren Hinweisen des Tages für Sie gesammelt haben. Nehmen Sie sich ruhig auch die Zeit, unsere werktägliche Auswahl der Hinweise des Tages anzuschauen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. (AT) Wir weisen darauf hin, dass die jeweiligen Anbieter für die Barrierefreiheit ihrer Angebote selbst verantwortlich sind und es durchaus sein kann, dass der Zugang von zunächst freien Inhalten nach einer Zeit beschränkt wird. Hier die Übersicht; Sie können mit einem Klick aufrufen, was Sie interessiert: Vorbemerkung: Ursprünglich hatten wir geplant, in unserer Wochenübersicht auch auf die lohnenswertesten redaktionellen Beiträge der NachDenkSeiten zu verweisen. Wir haben jedoch schnell festgestellt, dass eine dafür nötige Vorauswahl immer damit verbunden ist, Ihnen wichtige Beiträge vorzuenthalten. Daher möchten wir Ihnen raten, am Wochenende doch einfach die Zeit zu nutzen, um sich unsere Beiträge der letzten Wochen (noch einmal) anzuschauen. Vielleicht finden Sie dabei ja noch den einen oder anderen Artikel, den es sich zu lesen lohnt. Wenn Sie diese Übersicht für hilfreich halten, dann weisen Sie doch bitte Ihre Bekannten auf diese Möglichkeit der schnellen Information hin.
Redaktion
Am Wochenende präsentieren wir Ihnen einen Überblick über die lesenswertesten Beiträge, die wir im Laufe der vergangenen Woche in unseren Hinweisen des Tages für Sie gesammelt haben. Nehmen Sie sich ruhig auch die Zeit, unsere werktägliche Auswahl der Hinweise des Tages anzuschauen. Wenn Sie auf “weiterlesen” klicken, öffnet sich das Angebot und Sie können sich aussuchen, was Sie lesen wollen. ...
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[ "Hinweise des Tages" ]
02. Februar 2025 9:00
https://www.nachdenkseiten.de/?p=128114&share=email
Saudi-Arabien
Während Präsident Donald Trump sich auf einen Besuch des israelischen Premierministers Benjamin Netanjahu vorbereitet, stellt eine Gruppe von US-Geheimdienstveteranen eine Reihe falscher Anschuldigungen gegen den Iran richtig. Das aktuelle VIPS-Memo, aus dem Englischen von Josefa Zimmermann. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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05. März 2018 13:13
https://www.nachdenkseiten.de/?tag=saudi-arabien&paged=4
Betriebsräte
Die Süddeutsche Zeitung meldet am 13.3.: „Siemens soll Betriebsräte gekauft haben/Staatsanwaltschaft ermittelt.“ Die Zusammenfassung dieser Meldung folgt im Anhang. Das ist ein ungeheuerlicher Vorgang, weil die Zahlungen von vermutlich 14,75 Millionen Euro dem Aufbau einer gewerkschaftlichen Gegenorganisationen gedient haben sollen. Mir fällt bei dieser Gelegenheit ein Vorgang ein, der 6 1/2 Jahre zurückliegt, und im Dunkeln liegt. Damals hat Siemens 3% eines maroden Unternehmens, der Brokat AG, für 140 Millionen DM, also für rund 72 Millionen € erworben.
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13. März 2007 17:25
https://www.nachdenkseiten.de/?tag=betriebsraete&paged=2
Pfeiffer, Christian
Kaum war der neue Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich im Amt, erklärte er, der Islam gehöre nicht zu Deutschland. Damit stieß er erwartungsgemäß auf Kritik seitens der Islamverbände und von Vertretern der Opposition, aber auch aus dem eigenen Regierungslager kam Widerspruch: „Der Islam gehört selbstverständlich zu Deutschland“, betonte Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger. Warum hat Friedrich ohne Not die in der Bundesrepublik lebenden Muslime – mehr als drei Millionen Menschen – vor den Kopf gestoßen? Hat er sich wirklich nur im Ton vergriffen, wie die „Frankfurter Rundschau“ vermutet? Von Mark Krieger
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07. März 2011 9:34
https://www.nachdenkseiten.de/?tag=pfeiffer-christian
Erosion der Demokratie
Gegen den Willen des irakischen Parlaments soll der Bundeswehreinsatz in Irak verlängert werden. Das widerspricht auch Ankündigungen der SPD. Dieses Vorhaben erscheint imperialistisch und anmaßend – und es lässt „russische Einmischungen“ im Vergleich zu jenen des Westens einmal mehr harmlos erscheinen. Zusätzlich wird der Erosion der Demokratie auch in Deutschland Vorschub geleistet. Von Tobias Riegel. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
NachDenkSeiten - Die kritische Website
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12. März 2020 9:32
https://www.nachdenkseiten.de/?cat=126&paged=78
Stuttgart 21: Ein Eigentor nach dem anderem
Sie können nicht aus ihrer Haut; wenn ihnen die Felle davon schwimmen, dann lassen sie die Maske fallen: erst Wasserwerfer, dann persönliche Verunglimpfungen. Jetzt schießt CDU-General ein Eigentor. Von Hermann Zoller   Natürlich stinken die Proteste gegen Stuttgart 21 den Oberen gewaltig. Aber statt sich mal selbstkritisch an die Nase zu fassen, fahren sie aus der Haut, dreschen lieber verbal und mit Wasser auf die Kritiker ein. Es muss einige gewaltig ärgern, dass sie jetzt Vertretern des Bürgerprotestes Rede und Antwort stehen müssen. – Das sind schöne Demokraten!   Gewiss, Thomas Strobl, CDU-Generalsekretär in Baden-Württemberg, hat sich inzwischen bei dem Schauspieler und S21-Kritiker Walter Sittler entschuldigt, der die Entschuldigung auch angenommen hat – aber damit ist der Vorfall nicht vom Tisch gewischt. Schließlich hat nicht irgend jemand an einem Stammtisch einen flotten Spruch losgelassen, sondern ein führender Kopf der CDU in seinem Newsletter den Schauspieler übel zu diskriminieren versucht mit dem Hinweis, Sittlers Vater habe für den Reichspropagandaminister Goebbels gearbeitet. Eine Behauptung, die nicht stimmt, und der den engagierten Demokraten Walter Sittler nicht wirklich verletzen kann. Dennoch: „Diese Aussagen sind eine blanke Unverschämtheit. Strobl versucht sich hier als verbaler Wasserwerfer“, erklärte SPD-Generalsekretär Peter Friedrich dazu. (Übrigens auch Stunden nach der Entschuldigung stand die Diffamierung noch immer auf Strobls Internet-Seite.)   Strobl kritisiert auch heftig Sittlers Meinung, dass es ein Fehler gewesen sei, dass die Wähler seit 50 Jahren der CDU das Regieren in Baden-Württemberg ermöglicht haben. Das kann man selbstverständlich anders bewerten. Deshalb aber Sittler vorzuwerfen, er sei jemand, „der in Wahrheit mit unserer Demokratie nichts am Hut hat“, fährt seine Retourkutsche in den Graben.   Texte für eine Presseerklärung und einen Newsletter, die schüttelt man nicht so mal wütend aus dem Ärmel, die sind gut überlegt, verfolgen ein bestimmtes Ziel, sollen den Gegner treffen, auch diskriminieren. – Und das eröffnet uns Wählerinnen und Wählern Einblick in das Denken der handelnden Personen. Deshalb ist es auch wertvoll zu wissen, dass unser Waiblinger CDU-Abgeordneter Pfeiffer das Problem Stuttgart 21 mit mehr Baggern gelöst sehen möchte.   Eine andere verbalradikale Aussage liegt zwar auf einer anderen Ebene, passt aber auch ins Bild: CDU-Fraktionsvorsitzender Peter Hauk will Stuttgart 21 bauen, auch wenn es zehn, zwölf oder fünfzehn Milliarden kostet.   Vor diesem Hintergrund stellt sich schon die Frage nach der Ehrlichkeit und Offenheit bei den Schlichtungsgesprächen. Sind diese nur ein Ablenkungsmanöver, eine Beruhigungspille – verbunden mit der Hoffnung, der Protest werde schon einschlafen?   Das könnte sich für jene als eine weitere Fehlspekulation erweisen, die mit aller Macht mit dem Kopf durch die Wand wollen. Solche Machtgebärden stoßen aber immer mehr Bürgerinnen und Bürgern sauer auf. Deshalb schießen die Strobls und Hauks Eigentore.   Es wird wohl noch einige Zeit dauern, so ist zu befürchten, bis sich die politischen Tunnelspezialisten am Tageslicht einer lebendigen Demokratie zu erfreuen vermögen.
Hermann Zoller
Sie können nicht aus ihrer Haut; wenn ihnen die Felle davon schwimmen, dann lassen sie die Maske fallen: erst Wasserwerfer, dann persönliche Verunglimpfungen. Jetzt schießt CDU-General ein Eigentor. Von Hermann Zoller   Natürlich stinken die Proteste gegen Stuttgart 21 den Oberen gewaltig. Aber statt sich mal selbstkritisch an die Nase zu fassen, fahren sie aus der Haut, dreschen lieber verb ...
[ "Bürgerproteste", "Milliardengrab", "Schlichtung", "Sittler, Walter", "Strobl, Thomas" ]
[ "Erosion der Demokratie", "Kampagnen/Tarnworte/Neusprech", "Stuttgart 21" ]
04. November 2010 9:04
https://www.nachdenkseiten.de/?p=7260&share=email&nb=1
Handelsbilanz
Heute sitzen sie hoffnungslos am kürzeren Hebel. Das muss anders werden. Das wäre der Kern einer arbeitnehmernahen Strategie. In der FR vom 21.12. ist unter dem Titel „Eine linke Agenda – Reflexionen über eine Neuordnung der Alterssicherung, des Arbeitsmarkts und des Gesundheitswesen“ ein Vortrag von Josef Esser dokumentiert. Vieles könnte ich ohne weiteres unterschreiben. Bei anderem wundere ich mich nur noch über die Naivität, denn diese „Linke“ arbeitet im Ergebnis dem „herrschenden Diskurs“ zu und kaschiert das Scheitern der Neoliberalen.
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21. Dezember 2005 15:53
https://www.nachdenkseiten.de/?tag=handelsbilanz&paged=16
Terrorismus – Gegen die grassierende Hysterie!
Und täglich grüßt das Murmeltier. Kaum kommen bei einem wahrscheinlich islamistisch motivierten Anschlag in einem westlichen Land nichtmuslimische Menschen ums Leben, ist die Aufregung mal wieder groß. Eine ganze Religionsgruppe wird unter Kollektivverdacht gestellt und die medial geschürten Ängste der Menschen werden instrumentalisiert, um von wichtigeren Themen abzulenken und die Grundrechte immer weiter einzuschränken. Ist die Debatte über islamistischen Terrorismus eine Phantomdebatte? Ja und nein. Dennoch sollten wir uns um andere Themen Sorgen machen und uns nicht von Pegida, BILD und CDU ins Bockshorn jagen lassen. Von Jens Berger Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Podcast: Play in new window | Download Es ist ja vollkommen richtig – wenn man sich einmal die weltweite „Statistik für Terroranschläge mit Todesopfern“ anschaut, fällt auf, dass ein übergroßer Teil der Täter muslimischen Glaubens ist. Das gilt jedoch in eben so großem Maße für die Opfer. Terrorismus ist heute kein Phänomen der entwickelten Länder aus dem Norden. Die Liste der Staaten, in denen die meisten tödlichen Terroranschläge verübt werden, wird vom Irak, Syrien, Nigeria, Afghanistan, dem Jemen und Somalia angeführt. Länder des Nordens nehmen in dieser Statistik die letzten Plätze ein. Wie diese Liste eindeutig zeigt, ist Terrorismus und erst recht tödlicher Terrorismus ein Phänomen von Regionen, in denen Bürgerkriege herrschen – Bürgerkriege, die unter anderem auch durch die Außen- und Sicherheitspolitik westlicher Staaten ausgelöst oder zumindest angeheizt wurden und werden. Man könnte sich an dieser Stelle vortrefflich über die Definition von Terrorismus streiten. Sind Anschläge von Bürgerkriegsparteien generell terroristischer Natur? Wenn dem so wäre, müssten die Terrorstatistiken der letzten Jahrzehnte wohl neu geschrieben werden. Alleine die Roten Khmer haben im kambodschanischen Bürgerkrieg wohl mehr Menschen umgebracht, als es die mörderischen IS-Kämpfer in Jahrzehnten schaffen könnten. Aber Terrorismus ist nun einmal – so zumindest unsere Lesart – muslimisch und nicht buddhistisch wie die Roten Khmer. Selbstverständlich gibt es auch christlichen oder jüdischen Terrorismus oder haben wir schon Irgun und Gusch Emunim vergessen? Anders als es die öffentliche Wahrnehmung nahelegt, wurden laut Europol-Statistik in den letzten Jahren und Jahrzehnten nur ein verschwindend geringer Teil der Terroranschläge auf europäischem Boden von Muslimen verübt – aktuell sind es weniger als zwei Prozent. Der Großteil der Terroranschläge geht auf das Konto von Separatisten, Nationalisten, Rechts- und Linksextremisten – allesamt christlichen Glaubens. Richtig ist jedoch auch, dass nichtmuslimische Terroristen nur sehr selten religiös motiviert sind. Organisationen wie die korsische Separatistengruppe FLNC bomben nicht für Jesus, sondern für ein unabhängiges Korsika. Inwieweit die Anschläge der Taliban, der Hisbollah oder der Boko Haram nun „rein“ religiös motiviert sind, wäre sicherlich eine interessante Frage, die von Experten einmal beantwortet werden könnte. Wer glaubt, Terrorismus mit Waffengewalt und strengeren Sicherheitsgesetzten bekämpfen zu können, irrt jedoch. Der in einigen arabischen und afrikanischen Ländern grassierende islamistische Terrorismus hat sehr viele Facetten und noch mehr Ursachen. Da gibt es den kulturellen Wandel, den technischen Fortschritt, die Globalisierung, den Freihandel, die Militärpolitik des Westens, die Korruption und Dekadenz der lokalen Eliten, den Mangel an Bildung, die Hoffnungslosigkeit, den Kindereichtum und und und. Das Alles auf die Formel „Islam“ zu verengen, ist schon grotesk. Differenzierungen passen jedoch nicht in „unser“ Bild und unsere BILD. Jeder bärtige Psychopath im jemenitischen Hinterland wird zum neuen Terrorfürsten hochgeschrieben und jeder Zivilversager mit stechendem Blick und Wut auf den Westen, der sein tristes Dasein in den Banlieues von Paris oder den Plattenbauten von Berlin gegen eine Kalaschnikow in Syrien eintauscht, wird zu einer Bedrohung der freien westlichen Welt erklärt. Fühlen Sie sich durch solche Spinner bedroht? Ich nicht. Und jede Statistik gibt mir Recht. In Deutschland sind seit der Gründung des Heiligen Römischen Reichs gerade einmal zwei Personen durch einen islamistisch begründeten Terroranschlag ums Leben gekommen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es demnächst Sie oder mich trifft, geht rechnerisch gegen null. Da gibt es andere Dinge – man traut es sich in diesem Kontext ja kaum noch zu sagen – die für unser Leben wesentlich bedrohlicher sind. Dazu zählen beispielsweise die multiresistenten Keime in den deutschen Krankenhäusern. Rund 30.000 bis 40.000 Todesfälle gehen hierzulande jährlich auf deren Konto und viele Menschenleben ließen sich ohne Probleme dadurch retten, dass im deutschen Gesundheitssystem simpelste Hygienevorschriften eingehalten werden. Haben Sie schon einmal eine Talkshow gesehen, in der die Fachpolitiker der großen Parteien einen „nationalen Sicherheitsplan“ gefordert hätten, um diesem tödlichen Problem Herr zu werden? Nein, natürlich nicht. Multiresistente Keime tragen weder Bart noch Turban, sondern sind Nebenerscheinungen der Profitmaximierung im Gesundheitssektor – ein denkbar ungeeignetes Feindbild für profitmaximierend denkemde Politiker. Ganz anders der islamistische Terrorismus. Auch wenn er in Europa eher ein Medienphänomen ist, eignet sich hervorragend, um von wichtigeren Themen abzulenken und ein diffuses Angstszenario aufzubauen, über das man seine ohnehin schon geplanten Gesetze und Reformen durchdrücken kann. Und wenn es keine oder zu wenige zivile Opfer gibt, werden halt „Cyberangriffe“ aus dem Hut gezaubert, die einen „akuten Handlungsbedarf“ für eine stärkere Überwachung des Netzes herleiten. Na wunderbar! Unsere Freiheit im Netz ist also nicht durch NSA, Facebook und Google, sondern durch ein paar bärtige Hanseln mit dem Koran unter dem Arm bedroht? Angeblich gibt es mal wieder eine „abstrakte Gefährdungslage“, so verlautet es aus Sicherheitskreisen. „Abstrakte Gefährdungslage“ – was ist das? Dieser Begriff wird immer dann aus Ärmel geschüttelt, wenn man keine verifizierbaren Hinweise auf eine Gefährdung hat, aber dennoch glaubt, dass eine solche vorliegt. Literarisches Vorbild für eine „abstrakte Gefährdungslage“ sind Asterix und seine Gallier, die ja glaubhaften Quellen zufolge auch in ständiger Sorge lebten, dass ihnen eines Tages der Himmel auf den Kopf fallen könnte. Lassen Sie uns keine Angst vor islamistischen Terror und keine Angst davor haben, dass uns der Himmel auf den Kopf fallen könnte, und uns nun wieder wichtigeren Themen zuwenden.
Jens Berger
Und täglich grüßt das Murmeltier. Kaum kommen bei einem wahrscheinlich islamistisch motivierten Anschlag in einem westlichen Land nichtmuslimische Menschen ums Leben, ist die Aufregung mal wieder groß. Eine ganze Religionsgruppe wird unter Kollektivverdacht gestellt und die medial geschürten Ängste der Menschen werden instrumentalisiert, um von wichtigeren Themen abzulenken und die Grundrechte ...
[ "Bürgerkrieg", "Orwell 2.0" ]
[ "Aktuelles", "Anti-Islamismus", "Audio-Podcast", "Überwachung", "Strategien der Meinungsmache", "Terrorismus" ]
22. Januar 2015 9:08
https://www.nachdenkseiten.de/?p=24692&share=email
Lassen Sie uns doch mal über Verkehr reden – Teil 6: SUV-Verbotsdebatte – Zeit für ein wenig mehr Sachlichkeit
Als Reaktion auf einen grausamen Unfall in der Berliner Innenstadt, der vier Passanten das Leben kostete, entbrennt eine emotional geführte Debatte. Einzelne Politiker von Grünen und SPD fordern bereits ein Verbot von SUVs. Doch derartige Forderungen sind – so berechtigt sie im Kern sind – eine Phantomdebatte, da ein derartiges Verbot in der Praxis ohnehin kaum sinnvoll zu formulieren wäre. Dabei gäbe es mit der Überarbeitung des Dienstwagenprivilegs und den Abschreibungsrichtlinien für Firmenwagen ein sehr mächtiges Schwert, um die „Panzer auf vier Rädern“ zumindest zum größten Teil von unseren Straßen zu vertreiben. Denn was gerne verschwiegen wird – laut Zulassungsstatistik handelt es sich bei den Wagen, um die es hier geht, fast ausschließlich um gewerblich angemeldete Fahrzeuge. Von Jens Berger. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Podcast: Play in new window | Download Wo fängt ein SUV an, wo hört er auf? Auch wenn „ganz Deutschland“ über SUVs diskutiert, gibt es keine verbindliche Definition, was eigentlich ein SUV ist. Folgt man der Zulassungsstatistik des Kraftfahrtbundesamts gehört beispielsweise der Seat Arona zu den „Sport Utility Vehicles“, kurz SUVs. Der Seat ist jedoch eigentlich eher ein etwas höhergelegter Kompaktwagen, dessen Leergewicht mit 1.165–1.320 Kilogramm unterhalb dem des VW Golfs liegt. Ähnlich sieht es beim Opel Mokka oder beim Peugeot 2008 aus, die laut KBA ebenfalls „SUVs“ sein sollen. Die Fahrzeuge, die man umgangssprachlich im Auge hat, wenn man von SUVs als „Panzern auf vier Rädern“ spricht, wie der Audi Q7, der BMW X5, der Porsche Cayenne oder die GL-Klasse von Mercedes, sind laut Definition des Kraftfahrtbundesamtes indes gar keine SUVs, sondern ganz einfach „Geländewagen“. Nun lässt sich vortrefflich darüber streiten, ob die vergleichsweise kleinen, kompakten SUVs eine Fehlentwicklung sind. Ich halte sie in der Tat für eine solche, mein eigener Vater, der als älterer Mann froh ist, „leicht wieder aus dem Sitz herauszukommen“, sieht dies gänzlich anders. Aber auch das ist Phantomdebatte, da wohl niemand ernsthaft die Position vertritt, dass höhergelegte Klein- und Kompaktwagen verboten werden sollten. Nein, es geht um die irrwitzig hoch motorisierten Geländewagen jenseits der Zwei-Tonnen-Gewichtsklasse, von denen im Falle eines Unfalls nicht nur ein massives Tötungsrisiko für Fußgänger und Insassen „normaler“ Fahrzeuge ausgeht, sondern die mit ihren extrem hohen Abgaswerten auch unter umwelt- und klimapolitischen Maßgaben problematisch sind. Da hört sich ein generelles Verbot oder ein Verbot für die Innenstädte auf den ersten Blick natürlich verlockend an. Doch wie sollte ein solches Gesetz formuliert werden, wenn noch nicht einmal das Kraftfahrtbundesamt hier eine sinnvolle Kategorisierung anbietet? Wie schon erwähnt – bei einem „SUV-Verbot“ nach Definition der Fahrzeugklassen durch das KBA dürfte der Rentner in seinem höhergelegten Seat nicht mehr in die Stadt, der Anwalt mit seinem Porsche Cayenne aber schon. Dann machen wir es halt am Gewicht fest! Nimmt man die Zwei-Tonnen-Grenze als Maßstab, wäre davon jedoch nicht nur der Anwalt im Porsche Cayenne, sondern auch der Familienvater mit seinem VW-Bully betroffen. Hinzu kommt die ebenfalls schwammige Unterscheidung zwischen Privat- und Firmenwagen. Auch Kleintransporter und Kastenwagen wiegen oft mehr als zwei Tonnen. Hierbei handelt es sich dann aber um gewerblich genutzte Fahrzeuge, die bei einem Verbot ausgespart werden könnten, werden Anhänger eines solchen Verbots nun sagen. Gewerblich genutzt sind die meisten Porsches, BMWs und Audis aber auch. Und wie man dem Monteur erlauben soll, was man dem Werbekaufmann verbietet, ist eine Frage, die man lieber Fachjuristen überlassen sollte. Ich bin skeptisch, dass ein solches Gesetz überhaupt sinnvoll formulierbar wäre. Dabei könnte man gleich mehrere Fliegen mit einer ganz anderen Klappe schlagen. Firmen- und Dienstpanzer auf vier Rädern Zunächst muss man die Frage stellen, wer sich denn überhaupt so einen „Panzer auf vier Rädern“ kauft, dessen Preis meist sechsstellig ist. Die Antwort ist ebenso ernüchternd wie einfach: Fast niemand. Die großen Luxus-Geländewagen, um die es im Kern bei der Debatte ja geht, werden fast ausschließlich von „Gewerbekunden“ geleast. Beim Audi Q7 beträgt der Anteil gewerblicher Kunden laut KBA-Neuzulassungsstatistik 76,8%. Beim BMW X5 sind es 77,3%, bei der GL-Klasse von Mercedes 93,4%, beim Porsche Cayenne 76,5% und beim VW Touareg 86,2%. Diese Zahlen sind von überragender Bedeutung, wenn man darüber debattiert, wie man diese Ungetüme von den Straßen bekommen kann. Die gewerbliche Nutzung umfasst zwei Seiten: Zum einen handelt es sich aus Sicht der Nutzer selbst um sogenannte Dienstwagen, die Angestellten zur dienstlichen und privaten Nutzung als Lohnersatzleistung auch zur privaten Verfügung überlassen werden. Dies schließt in der Regel übrigens sämtliche laufenden Kosten, inklusive der Kraftstoffkosten an der Tankstelle, mit ein. Als Ausgleich muss der Nutzer eines Dienstwagens ein Prozent des Listenpreises als Lohnersatzleistung versteuern. Kostet ein Wagen laut Liste also 100.000 Euro, muss der Angestellte 1.000 Euro pro Monat versteuern. Bei einem angenommenen Einkommensteuersatz von 30% wären dies 300 Euro Gesamtkosten, die wohlgemerkt sämtliche Kosten, inkl. Wartung, Spritverbrauch, Reparaturen etc. beinhalten. Diese 1%-Regelung kann übrigens auch von Gesellschaftern einer Kapitalgesellschaft in Anspruch genommen werden, die dort selbst als Geschäftsführer tätig sind. Diese Subvention nennt sich Dienstwagenprivileg und ist eine der tragenden Säulen der Lobbypolitik der deutschen Automobilhersteller. Die zweite Seite ist die Sicht des Unternehmens. Die Kosten für das Leasing und die Betriebsausgaben – inkl. Kraftstoffkosten – können und werden vom Unternehmen in der Gewinn- und Verlustrechnung voll als Kosten eingerechnet. Wenn der Gesellschafter sich als Geschäftsführer einen Porsche Cayenne mit einer Leasingrate von 2.000 Euro pro Monat genehmigt und für 800 Euro im Monat Tankquittungen einreicht, entstehen für das Unternehmen 2.800 Euro Kosten, die voll auf das Betriebsergebnis anrechenbar sind und am Ende des Geschäftsjahres den entstandenen Gewinn und damit die Steuerlast drücken. Von Seiten des Gesetzgebers gibt es also zur Zeit für Unternehmen und Unternehmer keine Anreizsteuerung, preiswerte, kleine und spritsparende Fahrzeuge zu nutzen. Im Gegenteil – wer seine Kraftstoffkosten 1:1 abrechnen kann, überlegt sich nicht zweimal, ob er „kostenlos“ privat mit dem eigenen Wagen fährt oder den Weg umwelt- und klimafreundlich mit der Bahn zurücklegt. Ob der Dienstwagen mit Strom fährt, drei oder zwölf Liter Benzin auf einhundert Kilometer verbraucht, ist ebenfalls für den Nutzer des Dienstwagenprivilegs einerlei, da er selbst am Ende stets kostenfrei fährt. Diese simple Wahrheit ist übrigens auch ein Dämpfer für diejenigen, die nun SUVs über den Umweg höherer Mineralölsteuern oder einer CO2-Steuer „unattraktiv“ machen wollen. Wenn es dem Fahrer vollkommen egal sein kann, was der Liter Benzin oder Diesel kostet, kann man auch über die Besteuerung des Kraftstoffs keine Lenkungswirkung ausüben. Besonders delikat: Da auch der Steueranteil im Kraftstoff bei Dienstwagen indirekt über die Kosten die Gewinne senkt und so die Steuerlast des Unternehmens drückt, würde der Staat auf diesem Weg die höheren Steuern für Kraftstoffe über niedrigere Körperschaftssteuern ebenfalls „quersubventionieren“. Letztlich zahlt die Rechnung in diesem Fall der Privatmann – egal ob er einen Porsche Cayenne oder einen VW Lupo fährt. Was zu tun wäre Und hier findet man auch den Hebel für die Verdrängung der „Panzer auf vier Rädern“. Warum verabschiedet man kein Gesetz, das die steuerliche Abschreibbarkeit und das Dienstwagenprivileg an bestimmte Parameter koppelt? Dies könnte der CO2-Ausstoß sein, dies könnte aber auch der Listenpreis, das Leergewicht oder eine Kombination aus diesen und anderen Faktoren sein. Es gibt keinen(!) vernünftigen Grund, warum der Geschäftsführer einer Werbeagentur oder ein Wirtschaftsanwalt in Berlin einen Geländewagen mit sechsstelligem Listenpreis fahren muss und dementsprechend sollten die entsprechenden Gesetze auch angepasst werden. Dies ließe auch Feinheiten und Ausnahmen zu – denn anders als der Werber oder der Anwalt kann beispielsweise der Heizungsmonteur ja sehr wohl begründen, warum er einen Kleintransporter mit mehr als zwei Tonnen Leergewicht als Firmenwagen braucht. Würde es die Subventionen über das Dienstwagenprivileg und die Abschreibbarkeit solcher Wagen nicht mehr geben, würden diese Wagen zum großen Teil wieder aus den Showrooms der Hersteller verschwinden. Der größte Vorteil einer Modernisierung der genannten gesetzlichen Regelungen wäre jedoch, dass sie weit über das tagesaktuelle emotionale Thema „SUVs“ hinausgehen. Das Gros der Firmen- und Dienstwagen sind ja nicht die Geländewagen der 2-Tonnen-Plus-Klasse, sondern die Limousinen und Kombis der Kompakt- und Mittelklasse. Auch hier haben wir vor allem bei den Produkten deutscher „Premiummarken“ das große Problem, dass nicht der private Autofahrer, sondern der Nutzer von Dienst- und Firmenwagen den Markt bestimmt. Da für solche Nutzer umwelt- und klimapolitische Eigenschaften aber sekundär sind – schließlich bezahlt der Arbeitgeber ohnehin sämtliche Verbrauchskosten – wird der Markt mit spritschluckenden, schweren PS-Monstern vergiftet. Die landen dann nach Ablauf des Leasings nach zwei bis vier Jahren auf dem Gebrauchtwagenmarkt und bestimmen hier das verfügbare Angebot. Wenn mehr als zwei Drittel aller Zwei- bis Vierjährigen aus bestimmten Angebotssegmenten aus dem Fuhrpark der gewerblichen Nutzer stammen, hat der private Nutzer, der sich sein Auto ja in der Regel ohnehin nicht neu, sondern gebraucht kauft, auch gezwungenermaßen keine freie Wahl mehr. Zudem wird der Gebrauchtwagenpreis über Angebot und Nachfrage geregelt. Wenn (zu) viele PS-starke Wagen mit (zu) hohem Verbrauch auf dem Markt sind, sinkt bestenfalls deren Preis, was eine Beeinflussung des Gebrauchtwagenmarktes in genau die falsche Richtung darstellt. Auch hier könnte eine Anpassung der gesetzlichen Rahmenbedingungen Wunder wirken. Wenn besonders PS-starke Wagen mit hohem Gewicht und hohem Verbrauch unterhalb der „Panzer-auf-vier-Rädern-Klasse“ beispielsweise nicht mehr mit einem, sondern künftig mit zwei oder drei Prozent des Listenpreises bei der Nutzung als Dienstwagen versteuert werden müssten, würden sich die meisten Angestellten, die ein derartiges Angebot nutzen, sicher auch zwei- oder dreimal überlegen, ob es eine umwelt- und klimapolitisch sinnvollere kleinere, leichtere und spirtsparendere Alternative nicht auch tut. Und nach Ablauf der Leasingzeit würden dann diese Wagen den Gebrauchtwagenmarkt überschwemmen. Das wäre doch schon mal ein großer Schritt in die richtige Richtung. Wohlgemerkt: Bei diesen Gedanken geht es „nur“ um die Probleme innerhalb des Segments des Individualverkehrs. Die darüber hinausgehenden Perspektiven haben wir auf den NachDenkSeiten bereits in den ersten fünf Teilen (1, 2, 3, 4, 5) unserer kleinen Reihe „Lassen Sie uns doch mal über Verkehr reden“ behandelt. Doch selbst dieser kleine Ansatz zu einem sehr konkreten Thema hat leider wohl kaum Aussicht auf Erfolg. Vom Dienstwagenprivileg und den derzeitigen Abschreibungsregelungen profitieren nämlich vor allem die Hersteller, die übermotorisierte, schwere und spritfressende Autos im Angebot haben und das sind mit einem übergroßen Marktvolumen die deutschen „Premiummarken“, für die genau diese Fahrzeuge zudem „Cash Cows“ sind, die ganz maßgeblich die Gewinne der Unternehmen bestimmen. Hier geht es also um das Herz des Dinosauriers und es ist leider auszuschließen, dass sich in der Politik ein Großwildjäger findet, der es mit Autolobbycratus Rex aufnimmt. Titelbild: medvedsky.kz/shutterstock.com
Jens Berger
Als Reaktion auf einen grausamen Unfall in der Berliner Innenstadt, der vier Passanten das Leben kostete, entbrennt eine emotional geführte Debatte. Einzelne Politiker von Grünen und SPD fordern bereits ein Verbot von SUVs. Doch derartige Forderungen sind – so berechtigt sie im Kern sind – eine Phantomdebatte, da ein derartiges Verbot in der Praxis ohnehin kaum sinnvoll zu formulieren wäre. Da ...
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16. September 2019 11:30
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Alle Friedenspreise erobert!
Die deutschen Friedenspreise sind kriegstüchtig geworden. Ihre Namensgeber und ihre Satzungen, die zu Völkerverständigung oder gar zum Pazifismus aufrufen, sind nur noch Ballast und werden inzwischen ignoriert. Gepriesen wird jetzt, wer lautstark nach den Waffen schreit und jeden Wunsch nach Verhandlungen denunziert. Von Rupert Koppold. „Krieg ist Frieden“ (das Wahrheitsministerium in George Orwells „1984“) Anne Applebaum ist eine Publizistin mit US- und polnischer Staatsbürgerschaft, eine antirussische Hardlinerin, über welche die taz am 6. April 2024 schreibt: Anne Applebaum sorgt sich allerdings um die Menschen vor Ort. In einem Interview mit der NZZ vom 20. September 2023 sagt sie: Applebaum ist verheiratet mit dem polnischen Außenminister Radoslaw Sikorski, der nach dem Anschlag auf die Nord-Stream-Pipelines sofort wusste, wer dafür verantwortlich war und euphorisch twitterte: „Thank you, USA!“ Ach ja: Anne Applebaums bellizistische Aktivitäten wurden gerade mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels gewürdigt. Anne Applebaum hat Bücher über Russland respektive die Sowjetunion als Reich des Bösen geschrieben und die Ukrainer ausschließlich als Opfer dargestellt. „Nicht erwähnt werden von Applebaum die Massenpogrome, die zu einem erheblichen Teil Ukrainer kurz nach dem deutschen Einmarsch in der heutigen Westukraine im Jahr 1941 an ihren jüdischen Nachbarn verübten, denen sie Kollaboration mit der gerade abgezogenen Sowjetherrschaft vorwarfen (…),“ so schreibt Franziska Davies in ihrer Rezension des Applebaum-Buchs „Roter Hunger“ am 20. Januar 2020 in der Süddeutschen Zeitung. Die Osteuropaforscherin Davies, inzwischen selbst stramme Ukraine-Propagandistin, fuhr fort: „Unerwähnt bleibt bei Applebaum ebenso die Kollaboration ukrainischer Faschisten mit den Deutschen sowie die Ermordung von annähernd Hunderttausend Polen in Wolhynien in der heutigen Nordwestukraine durch die sogenannte Ukrainische Aufstandsarmee (UPA) zwischen 1943 und 1945.“ Die Bellizistin und der Pazifist Die Applebaum-Preisungen haben übrigens schon vor der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels begonnen, sie wurde in diesem Jahr auch mit dem Carl-von-Ossietzky-Preis der Stadt Oldenburg ausgezeichnet. Die Jury würdige Applebaum, so die Stadt, weil sie sich „mutig und mahnend für Demokratie und Menschenrechte in globaler Perspektive einsetze“. Zum pazifistischen Namensgeber des Preises, der von den Nazis im KZ gefoltert wurde und 1938 an den Folgen starb, heißt es in den Vergaberichtlinien: „Als Sekretär der ,Deutschen Friedensgesellschaft‘ (1920), als Mitarbeiter und späterer Herausgeber der Wochenschrift ,Die Weltbühne‘ (1926-1933) ist Carl von Ossietzky entschieden für die Sache des Friedens eingetreten. Die ,Weltbühne‘ unterstützte die Entwicklung der Demokratie in der ersten deutschen Republik, die deutsch-französische Verständigung und die Versöhnung mit allen Kriegsgegnern des Ersten Weltkrieges. Sie war gegen Wiederaufrüstung, Militarismus, Revanchismus und Nationalsozialismus, gegen Faschismus und Anwendung von Gewalt, von welcher Seite auch immer.“ Ossietzky, der 1936 den Friedensnobelpreis erhielt, wurde schon 1931, also noch in der Weimarer Republik, verurteilt und bestraft, weil er in der ,Weltbühne‘ auf die illegale Aufrüstung der Reichswehr hingewiesen hatte. Der Carl-von Ossietzky-Preis an die Aufrüstungsfanatikerin Anne Applebaum ist nichts weniger als eine Verhöhnung des Namensträgers, in dessen Geist er eigentlich vergeben werden soll. Der neue Geist dagegen kehrt Worte und Werte perfide um und führt Namen gegen sich selbst ins Feld. Auch Heinrich Böll wird als Namensträger einer grünen Stiftung missbraucht, die nach Aufrüstung schreit. Und wie unsere Feuilletons und Kulturmagazine mitmachen, noch nicht alle, aber viel zu viele! Diese sich so feinsinnig gebenden Literaten zum Beispiel, die den Friedenspreis an Anne Applebaum vergeben haben, obwohl es auf der Webseite des Stiftungsrates heißt, dass dieser seit 1950 an eine Persönlichkeit verliehen werde, „die einen wichtigen Beitrag zum Frieden, der Menschlichkeit und der Verständigung der Völker geleistet hat“. Zwischentitel: Kinder, Kultur und Waffen, Waffen, Waffen Aber schon zwei Jahre vor Applebaum wurde dieser Friedenspreis an den ultranationalistischen und rechtslastigen ukrainischen Schriftsteller Serhij Zhadan vergeben, der bei Lesungen den Stift einer Handgranate präsentiert hat und seinem Bellizismus („Wir müssen unseren Kindern das Wichtigste weitergeben: unsere Kultur und unsere Waffen.“) noch ein bisschen Kultur-Rassismus hinzugefügt hat. Die Junge Welt zitiert ihn am 22.Oktober 2022: „Ist Puschkin daran schuld, dass Kriegsverbrecher in Russland geboren werden? Ja, er ist schuldig. Natürlich ist er schuldig. Sie sind alle schuldig.“ Es sei freilich kein Zufall, so Peter Nowak am 1. November 2022 auf Telepolis, „dass mit Zhadan ein politischer Erbe jenes deutschfreundlichen ukrainischen Nationalismus den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels bekommen hat, der zeitweise mit dem Naziregime kooperierte und sich mit ihm das Feindbild – Juden und Moskowiter – teilte“. Zhadan hat seinen Kriegsaufrufen jetzt Taten folgen lassen. Seit Juni dieses Jahres schießt der Mann, der für seine „humanitäre Haltung“ ausgezeichnet wurde, aktiv an der Front mit, allerdings nicht für die Armee, sondern für die Nationalgarde, das staatliche Auffangbecken für die neofaschistischen Asow-Kämpfer. Kleiner Nachtrag: Dem Stiftungsrat des Friedenspreises gehört zum Beispiel die in Deutschland lebende Schriftstellerin Jagoda Marinic an, für die am Ukrainekrieg ausschließlich Putin die Schuld trägt. Appelle für Verhandlungen, wie etwa den Aufruf von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht, denunziert Marinic als „blinden Pazifismus“. Zwischentitel: Emcke macht Schluss mit lästiger Gegenrede Aber es muss doch Persönlichkeiten geben, die den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten haben, weil sie wirklich zum Frieden aufrufen! Da wäre etwa die Publizistin und Spezialistin für „Hassrede“ Carolin Emcke, die diesen Preis 2016 erhielt und, so damals die Begründung, „Vorbild für gesellschaftliches Handeln“ sei „in einer Zeit, in der politische, religiöse und kulturelle Konflikte den Dialog oft nicht mehr zulassen“. Aber Emcke ist dialogmüde geworden, sie will sich nun lästiger Gegenrede entledigen. Emcke spricht sich auf dem Podium der Konferenz „re:publica“ 2024 vehement gegen das Pro-und-Contra-Format aus, sie mahnt, sie gestikuliert, sie bittet inständig, sie führt sich letztlich auf wie eine Sektenpredigerin, die Gehorsam verlangt: „Lesen Sie diesen Kram nicht!“ Solche Formate müsse man „abschaffen“. In ihrem neuen Buch schreibt Emcke über „Gewalt und Klima“, sie hat ihm den großen Titel „Was wahr ist“ gegeben. Letzteres weiß wohl nur sie, na, vielleicht noch ein paar Gleichgesinnte. So eine wie die Klimaaktivistin Claudia Kempfert, die Emckes Forderung der Pro-und-Contra-Abschaffung begeistert unterstützt und auf dem „re:publica“-Podium seltsamerweise mit der „Dirty-Harry“-Assoziation „You make my day!“ kommentiert. Jawohl, mit so einer wie Kempfert könne man noch diskutieren, sagt Emcke, weil man sich im Wesentlichen ja einig sei. Wie hieß nochmal dieses satirische Diskussionsformat aus den Neunzigern? Richtig: „Zwei Stühle – eine Meinung.“ (Die „re:publica“-Veranstaltung kann man sich auf YouTube anschauen), die besten Emcke-Sätze finden sich zwischen Minute 32 und 36. Apropos Klima: Der Guardian vermeldet am 13. Juni 2024: „Der Preis fürs Klima in den ersten beiden Jahren des russischen Kriegs gegen die Ukraine war höher als die jährlichen Treibhausgasemissionen, die individuell von 175 Ländern verursacht wurden, er hat den globalen Klimanotstand zusätzlich zur ansteigenden Zahl der Todesopfer und der weit verbreiteten Zerstörung verschärft, wie eine Untersuchung ergeben hat.“ Jawohl, der Ukrainekrieg schmutzt! Er ist – samt NATO-Manövern in aller Welt, Pistorius-Panzerfahrten, Merz-Eurofighter-Spaß-Flügen und Baerbocks hyperaktiver Reisetätigkeit in Sachen Bellizismus – auch noch ein Klimakiller. Es wäre interessant, welche Prioritäten die Klima-Aktivistin und Putin-Hasserin Carolin Emcke bei der Frage setzt: Verhandeln oder weiter Krieg führen? Panzer und Bodentruppen für den Frieden Aber zurück zu unseren Friedenspreisen: Da wäre noch der Internationale Preis des Westfälischen Friedens, mit dem im Jahr 1648 – mit einem Kompromiss! – der Dreißigjährige Krieg beendet wurde. Es ist ein Preis für die europäische Integration, und der Gewinner in diesem Jahr heißt Emmanuel Macron, jener Mann, der den Einsatz von NATO-Bodentruppen nicht ausschließt, der Militärausbilder in die Ukraine schicken und dieser auch erlauben will, mit vom Westen gelieferten Waffen Stützpunkte in Russland anzugreifen. Der Preis zeichnet „besonderes Engagement für nachhaltigen Frieden und internationale Verständigung“ aus. Und weiter mit unseren Friedenspreisen, bei denen es manchmal so wirkt, als habe die NATO die Vorauswahl getroffen. „Befremdlich sind jene Leute, die meinen, die ukrainische Regierung müsse sich jetzt mit Russland an einen Tisch setzen und einen Friedensvertrag schließen.“ Solche Sätze sagt etwa die ZDF-Kriegsreporterin Katrin Eigendorf und bekommt dafür den Augsburger Friedenspreis 2023. Die Journalistin, die sich gern mit Stahlhelm präsentiert und in Gräben und Geschützmündungen schaut – natürlich nur in ukrainische! – lehrt auch Völkerkunde, sie weiß genau: „Die Russen sind kein modernes europäisches Volk.“ Die Ukraine, welche Faschisten und Nazi-Kollaborateure wie Stepan Bandera zu ihren Gründervätern erkoren hat, diese Ukraine dagegen schon. Diese Ukraine muss also bedingungslos unterstützt werden: „Jedes einzelne gepanzerte Fahrzeug, das geliefert wird, kann einen Unterschied ausmachen“, sagt Eigendorf. Das sich selbst als Friedensstadt bezeichnende Augsburg lässt dazu verlauten: „Der mit 12.500 Euro dotierte Preis zeichnet Persönlichkeiten aus, die sich um ein tolerantes und friedvolles Miteinander von Angehörigen vielfältiger Kulturen und Religionen verdient gemacht haben.“ Der Russe mag lieber Geld als Freiheit Ebenfalls firm in Völkerkunde und Nationalismus zeigt sich der ukrainische Schriftsteller Andrej Kurkow: „Ukrainer und Russen haben verschiedene Mentalitäten. Russen fühlen sich dem Kollektiv verpflichtet. Sie lieben ihren Zaren, und manchmal töten sie ihn, um einen neuen zu lieben. Die Ukrainer sind Individualisten und Anarchisten. Sie haben wenig Respekt vor der Regierung – auch wenn es zur Zeit (sic) anders ist. Freiheit ist ihnen wichtiger als Stabilität und Geld. Bei den Russen ist es genau umgekehrt: Stabilität und Geld sind ihnen wichtiger als Freiheit und Menschenrechte.“ In der Ukraine, so Kurkow, sei die Mehrheit des PEN für einen „totalen Boykott“ der russischen Literatur. Kurkow hat 2022 den Geschwister-Scholl-Preis erhalten, vergeben vom Börsenverein des deutschen Buchhandels und der Stadt München. Ein Zitat der von den Nazis ermordeten Sophie Scholl: „Ich kann es nicht begreifen, dass nun dauernd Menschen in Lebensgefahr gebracht werden von anderen Menschen. Ich kann es nie begreifen und ich finde es entsetzlich. Sag nicht, es ist für´s Vaterland.“ Der Standard schreibt am 11. April 2023, je länger der Krieg dauere, „desto brutaler würden ukrainische Künstlerinnen auf ihre russische und russischsprachige Kollegenschaft“ reagieren. „Jede bloße Erwähnung von Russland-Bezügen verfügt dabei über das Potenzial, einen großen Streit auszulösen.“ Die jüdisch-russische Lyrikerin Maria Stepanova wurde im vergangenen Jahr mit dem Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung ausgezeichnet, mit dem laut Statut „Persönlichkeiten gewürdigt (werden), deren geistiges und literarisches Werk sich in hervorragendem Maße um das gegenseitige Verständnis in Europa und darüber hinaus verdient gemacht hat und sich zeitgeschichtlicher Zusammenhänge bewusst ist.“ Dass die Jury die Ehrung unter anderem auch damit begründete, Stepanova verhelfe „dem nicht-imperialen Russland zu einer literarischen Stimme, die es verdient, in ganz Europa gehört zu werden“, nützte allerdings nicht. Stepanovas ukrainische Kollegin Halyna Kruk konstatierte: „Die russische Revanche schreitet voran.“ Nur ein Drittel des Nobelpreises? Skandal! „Die Gewalt des Krieges darf die Sprache von Literatur und Kunst nicht zum Schweigen bringen“, sagte 2023 die Vorsitzende der Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis-Jury, Prof. Dr. Susanne Menzel-Riedl, Präsidentin der Universität Osnabrück. Das stellte sich als frommer Wunsch heraus. Es folgte ein Eklat, denn der Hauptpreis ging an die russische Schriftstellerin Ljudmila Ulitzkaja, der Sonderpreis jedoch an den ukrainischen Illustrator Serhij Majdukow. Letzterer weigerte sich, gemeinsam mit einer Russin auf einer Bühne zu stehen, sodass die Jury schließlich erklärte: „Wir freuen uns, dass die russische Schriftstellerin Ljudmila Ulitzkaja den Friedenspreis und der ukrainische Zeichner Sergiy Majdukov den Sonderpreis annehmen, müssen aber zugleich auch akzeptieren, dass beide, solange der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine nicht beendet ist, sich nicht auf ein Podium einfinden können.“ Bei der Verleihung an Ulitzkaja erklärte die Oberbürgermeisterin Katharina Pötter (CDU) Osnabrück quasi zur Frontstadt: „Ich möchte betonen, dass wir in diesem Konflikt nicht neutral sind. Wir sehen uns auch nicht in einer Vermittlerrolle. Wir stehen als Stadt vielmehr fest an der Seite der Ukraine. Denn Russland trägt ganz eindeutig die Alleinschuld an diesem Krieg.“ Dann war da noch die Sache mit dem gedrittelten Friedensnobelpreis 2022. Ausgezeichnet wurde das ukrainische Zentrum für bürgerliche Freiheiten, aber auch der belarussische Menschenrechtler Ales Bialiatski und die russische Organisation Memorial. Der Standard schrieb dazu am 8. Oktober 2022: „Die Gewinner des Friedensnobelpreises 2022 waren gerade erst bekannt gegeben worden, als Mychajlo Podoljak, einer der hochrangigsten Berater des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, sein Urteil über die Entscheidung von Oslo mit der halben Million Menschen teilte, die ihm auf Twitter folgen: ,Das Nobelpreiskomitee hat ein interessantes Verständnis von ,Frieden’, wenn zwei Repräsentanten aus Ländern ausgezeichnet werden, das ein drittes attackiert hat. Weder die russischen noch die belarussischen Organisationen waren in der Lage, Widerstand gegen den Krieg zu organisieren.‘“ Der Standard weiter: „Von höchster Regierungsebene angestachelt, suchten sich in der Folge zehntausende Ukrainer auf Facebook, Twitter, Instagram und Co. in der Verurteilung der Entscheidung von Oslo gegenseitig zu überbieten. Bis hin zur Forderung an die ukrainischen Preisträger, den Nobelpreis nicht anzunehmen …“ Selenskyj verbietet Verhandlungen Noch einmal Der Standard: „Dem Image der Ukraine als das eines weltoffenen Landes, dessen Gesellschaft seine multilinguale, multiethnische Zusammensetzung ebenso zelebriert wie seine liberale Demokratie, das die Selenskyj-Regierung heute den westlichen Öffentlichkeiten verkauft, erweisen sie (RKo: die Kritiker) damit einen Bärendienst.“ Apropos Selenskyj: Am 11. März 2022 schlugen westliche Politiker, darunter das Mitglied des Europäischen Parlaments Katrin Langensiepen (Bündnis90/Die Grünen), dem Nobelpreiskomitee in einem Offenen Brief den ukrainischen Präsidenten selbst als Kandidat für den Friedensnobelpreis vor. Jawohl, den korrupten Pandora-Paper-Man Selenskyj, der am 4. Oktober 2022 ein Dekret erließ, in dem er direkte Verhandlungen mit Russland unter Strafe stellte! Den Friedensnobelpreis hat Selenskyj bisher nicht erhalten, aber im vergangenen Jahr, zusammen mit dem ukrainischen Volk, immerhin den Aachener Karlspreis, der für Verdienste um Europa und die europäische Einigung verliehen wird. Frühere Karlspreisträger sind Tony Blair, Bill Clinton und Javier Solana, die von Karlspreis-Kritikern als Verantwortliche der NATO-Angriffe im Jugoslawien-Krieg bezeichnet wurden. Ebenfalls in der Preisträgerliste: Donald Tusk (2010), Wolfgang Schäuble (2012) und Emmanuel Macron (2018). Ursula von der Leyen, die vom Korruptionsdunst umwehte und gerade wiedergewählte Präsidentin der Europäischen Union, damals bei der Preiszeremonie: „Die Ukraine verkörpert all das, wofür die Europäische Idee steht: den Mut, zu seinen Überzeugungen zu stehen, den Kampf für Werte und Freiheit, das Ringen für Frieden und Einheit.“ Schon ein Jahr vorher hatte von der Leyen in Bezug auf die Ukraine gejubelt: „Eine Nation von Helden wurde geboren. Wir verneigen uns vor einem Land europäischer Helden.“ Kaja Kallas, die EU und der Krieg An der Seite der Obereuropäerin von der Leyen steht bald Kaja Kallas, Premierministerin von Estland, die EU-Außenbeauftragte wird, also so etwas wie die Außenministerin der Europäischen Union. Die „Eiserne aus dem Baltikum“ hat in ihrem Land, in dem ein Viertel der Bevölkerung russischsprachig ist, den Russischunterricht abgeschafft, sowjetische Kriegsdenkmäler abreißen lassen und ältere und schon Jahrzehnte in Estland lebende russische Muttersprachler, wenn sie einen estnischen Sprachtest nicht bestanden, aus dem Land getrieben. Kallas drängt die NATO-Mitglieder, nicht nur zwei, sondern drei Prozent des BIP für das Militär auszugeben, und sie fordert in Bezug auf Waffen für die Ukraine in einem Interview mit der Zeit: „Bitte gebt alles, was ihr geben könnt!“ Kallas ist in diesen fatalen Zeitenwendezeiten natürlich prädestiniert für einen Preis, der angeblich demokratische Grundwerte hochhält und Völkerverständigung und Toleranz – so wie der Preis der Walther-Rathenau-Stiftung, den Kallas in diesem Frühjahr erhalten hat. Der deutsche Außenminister Rathenau wurde 1922, ein paar Monate, nachdem er in Rapallo mit Sowjetrussland die Wiederaufnahme diplomatischer Beziehungen ausgehandelt hatte, von russophoben Nationalisten ermordet: „In der Zeit des Nationalsozialismus“, so Wikipedia, „wurde das Andenken an Rathenau demonstrativ getilgt. Die Gedenktafel am Ort seiner Ermordung wurde entfernt.“ Die FDP-nahe Walther-Rathenau-Stiftung dagegen tilgt nicht den Namen Rathenau, aber mit der Verleihung ihres Preises an Kaja Kallas das, wofür er stand. Die EU jedenfalls wird mit Kallas noch verhandlungsunfähiger und noch kriegstüchtiger. Zur Erinnerung: Diese EU hat 2012 auch mal einen Friedenspreis gewonnen – sogar den Friedensnobelpreis. Höchste Zeit, ihn zurückgeben. Titelbild: Shutterstock / Vladimir Sukhachev
Rupert Koppold
Die deutschen Friedenspreise sind kriegstüchtig geworden. Ihre Namensgeber und ihre Satzungen, die zu Völkerverständigung oder gar zum Pazifismus aufrufen, sind nur noch Ballast und werden inzwischen ignoriert. Gepriesen wird jetzt, wer lautstark nach den Waffen schreit und jeden Wunsch nach Verhandlungen denunziert. Von Rupert Koppold. „Krieg ist Frieden“ (das Wahrheitsministerium in Georg ...
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29. Juli 2024 9:00
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Faktencheck der Faktenchecker: „dpa-factchecking“ bezeichnet Aussage von Daniele Ganser zu US-Armee und Bundeswehr als „falsch“
Ausgerechnet die Deutsche Presseagentur (dpa), die regelmäßig mit extrem einseitiger Quellenauswahl, erfundenen Zitaten und nachweislichen Fakenews auffällt, betreibt nach Selbstauskunft „eines der größten Faktencheck-Teams im deutschsprachigen Raum“ und arbeitet in diesem Zusammenhang mit Facebook zusammen. Der neuste „Faktencheck“ der dpa widmet sich dem Schweizer Historiker Daniele Ganser. Dessen Aussage vom 22. Juni mit Verlinkung auf einen NachDenkSeiten-Artikel, Deutschland hätte keine Soldaten in den USA stationiert, die USA aber sehr wohl über 38.000 in der Bundesrepublik und dies zeige das Machtverhältnis beider Länder auf, klassifiziert die dpa als „falsch“. Von Florian Warweg. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Podcast: Play in new window | Download Auf Grundlage der Antwort der Bundesregierung auf eine entsprechende Anfrage der Bundestagsabgeordneten und Obfrau im Auswärtigen Ausschuss, Sevim Dagdelen (DIE LINKE), hatten die NachDenkSeiten Anfang Juni einen Artikel mit dem Titel „Wie viele ausländische Militärs sind in Deutschland stationiert und was kostet dies den Steuerzahler? – Bundesregierung legt Zahlen vor“ veröffentlicht. Diesen Artikel teilte auch der Schweizer Publizist und Historiker Daniele Ganser auf Facebook und schrieb dazu: Das manipulative Vorgehen der dpa Die selbsternannten „Faktenchecker“ der dpa veröffentlichten dann nur einen Tag später, für ihre Verhältnisse extrem schnell, ein „dpa factchecking“, in welchem sie die Aussage von Ganser grundsätzlich als „falsch“ klassifizieren. Begründet wird dies damit, dass es auch Bundeswehr-Soldaten in den USA gäbe, namentlich das „Bundeswehrkommando USA und Kanada“. Weiter heißt es in dem dpa-Faktencheck dazu: Das heißt, die dpa stellt die Präsenz von weit über 30.000 US-Soldaten auf über 20 US-Militärbasen, darunter eine signifikante Anzahl an Kampftruppen, die langfristig in Deutschland mit allen Arten von schweren Angriffswaffen (u.a. Panzer-, Artillerie-, Bomberstaffeln, Kampfdrohnen, Atomwaffen) stationiert sind und deren Militärpolizei sogar seit Juni 2023 in deutschen Bahnhöfen patrouilliert, gleich mit einigen Bundeswehrsoldaten, die, wie die dpa in ihrem „Faktencheck“ selbst einräumt, lediglich zum Zwecke von „Ausbildungen, Studiengängen und militärischen Übungen“ in den USA verweilen. Auch die Bundeswehr lässt in ihrer Selbstdarstellung hinsichtlich der Aufgaben des „Bundeswehrkommandos USA und Kanada“ (BwKdo USA/CAN) keine Zweifel an dem reinen Ausbildungscharakter dieser Präsenz: Vor diesem Hintergrund ist die Einordnung der Aussagen von Ganser als „falsch“ durch den dpa-Faktencheck nicht haltbar. Ganser bezog sich im Kontext seines Posts eindeutig auf die Stationierung ausländischer Truppenverbände und nicht auf die Entsendung einzelner Angehöriger der Bundeswehr zur militärischen Ausbildung oder für Verbindungsaufgaben in die USA. Das absichtliche „Missverstehen“ des Ganser-Zitats durch die dpa-Faktenchecker ist im Zweifel eher als Desinformation oder zumindest irreführende Bewertung einzuordnen als der Facebook-Post des Schweizer Historikers. Dem könnte man maximal zum Vorwurf machen, dass er etwas zu generell von „Deutschland hat keine Soldaten in den USA“ gesprochen hat. Aber zu leugnen, wie es der dpa-Faktencheck letztendlich tut, dass die USA mehr politischen und militärischen Einfluss auf Deutschland ausüben als umgekehrt, ist mit dem Attribut absurd noch höflich umschrieben. Und diese höchst fragwürdige Einstufung durch die „Faktenchecker“ der dpa hat direkte Auswirkungen auf die Reichweite auf Facebook und auch die Reputation der jeweiligen Person und verlinkten Quelle. Die Darstellungsweise der Klassifizierung „falsch“ durch die dpa bei Facebook ist zudem grundsätzlich fragwürdig, da es für den Facebook-Nutzer in keiner Form erkennbar ist, wer und was in diesem Fall als angeblich „falsch“ eingestuft wurde. Ist es die Kommentierung von Ganser oder der verlinkte Artikel, im konkreten Fall der der NachDenkSeiten? Die Einstufung als „falsch“ widerspricht in diesem Rahmen zudem den eigenen dpa-Darlegungen zum Vorgehen bei Faktenchecks: Ganz am Ende des Faktenchecks heißt es übrigens zu den Darlegungen des Schweizer Historikers: Der ominöse „Blogeintrag“ ist der von Ganser geteilte Artikel der NachDenkSeiten. Das die dpa dann auch noch bewusst versucht, die NachDenkSeiten nicht namentlich als Quelle zu benennen, ein Bruch mit einer der elementarsten journalistischen Grundregeln, spricht auch Bände über die Qualität und Standards der dpa-Faktenchecks. Womit wir bei einem grundsätzlichen Problem der dpa wären. dpa scheitert permanent an ihren eigenen Faktencheck-Standards In der Selbstdarstellung des dpa-factchecking heißt es selbstbewusst: Zunächst fällt beim Stichwort „Standard“ auf, dass die dpa-Faktenchecks grundsätzlich anonym veröffentlicht werden – ohne jede Namensnennung. Es gibt auch zahlreiche Kritikpunkte etwa an der fachlichen Kompetenz des ARD-faktenfinders, beispielhaft sei auf Redakteur Pascal Siggelkow und seine legendär falsche „Sprengstoff in Pflanzenform“-Übersetzung verwiesen, oder an der „Faktencheck“-GmbH Correctiv mit ihrer auf Oligarchen-Geldern beruhenden Finanzierung. Aber immerhin erfüllen diese im Gegensatz zur dpa den Minimalstandard, dass Artikel namentlich gezeichnet sind und daher genau zuordbar ist, welche Personen mit welcher Vita für welchen „Faktencheck“ verantwortlich sind. Diese Transparenz bezüglich der Autorenschaft, ein grundlegender Standard im Journalismus, fehlt bei den dpa-Faktenchecks völlig. Auch das mantra-artig vorgetragene Attribut „unabhängig“ muss man in diesem Zusammenhang ausdrücklich hinterfragen. Die rund 170 Gesellschafter der dpa sind ausschließlich Medienunternehmen wie Verlage und Rundfunkanstalten. Damit sind Gesellschafter und Kunden der dpa größtenteils identisch. Ein verqueres und weltweit ziemlich einzigartiges Konstrukt, was vieles ist, aber definitiv nicht unabhängig. Es erstaunt daher auch kaum, dass die dpa-Faktenchecks bisher einen großen Bogen um die Medien gemacht haben, die zu den Gesellschaftern der dpa gehören wie ARD und ZDF, Deutschlandfunk, Deutsche Welle, der Axel Springer Verlag, die MADSACK-Mediengruppe, Hubert Burda Media, die Funke-Mediengruppe und die Holtzbrinck-Verlagsgruppe. Kurz gesagt, die ach so „unabhängige“ dpa und damit auch deren Faktencheck-Abteilung wird kontrolliert von den marktbeherrschenden Medienkonzernen dieser Republik sowie den öffentlich-rechtlichen Rundfunk-Anstalten. Die „Zertifizierung“ von dpa als Faktencheck-Organisation Die dpa verweist mit Stolz auf ihre Zertifizierung durch das „unabhängige International Fact Checking Network“ (IFCN), welches eine „sehr renommierte Organisation“ sei und „weltweit führend in der Forschung zu Desinformation“. Das IFCN ist an das Poynter-Institut mit Sitz in St. Petersburg (dem in Florida) angegliedert. Und wer finanziert hauptsächlich das IFCN und das mutmaßlich so „renommierte“ Poynter-Institut, die das weltweite „Gütesiegel“ für „Faktenchecker“ vergeben und sich selbst ganz bescheiden als „global leader in journalism“ bezeichnen? Das Omidyar-Netzwerk des US-Multimilliardärs und eBay-Gründers Pierre Omidyar via seiner Luminate-Stiftung sowie dem Democracy Fund, der zugleich Dutzende „Faktenchecker“-Organisationen weltweit finanziert, in Deutschland zum Beispiel Correctiv. Das heißt, ein US-Multimilliardär finanziert zugleich diverse Factchecking-Organsiationen sowie deren „unabhängige“ Zertifizierung. Daneben agiert auch noch die Charles Koch Foundation des US-Multimilliardärs selben Namens als einer der Hauptsponsoren. Er und sein (mittlerweile verstorbener) Bruder David waren zugleich mit ihren Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft die größten bekannten Förderer der US-amerikanischen Tea-Party-Bewegung. Ach ja, US-Oligarch George Soros tritt via seiner Stiftung Open Society ebenso als Sponsor auf wie Facebook-Gründer Marc Zuckerberg mit seinem Mega-Unternehmen Meta. Weitere Förderer von IFCN und dem Poynter-Institut sind so unabhängige Institutionen wie die offen als halbstaatlicher Arm der US-Außenpolitik konzipierte Stiftung National Endowment for Democracy (NED), die sich massiv in die inneren Angelegenheiten anderer Länder einmischt, beispielhaft sei auf Venezuela, die Ukraine, aber auch Frankreich verwiesen. Der langjährige US-Politiker Ron Paul kommentierte als Mitglied des US-Repräsentantenhauses die Aktivitäten des NED mit folgenden Worten: Abschließend lässt sich festhalten: Die dpa, die als Nachrichtenagentur in Deutschland über ein De-facto-Monopol und damit eine enorme Reichweite verfügt, hat im vorliegenden Fall willkürlich und forciert die „Faktencheck“-Klassifizierung „falsch“ vergeben und damit wohl bewusst versucht, sowohl dem Schweizer Historiker Ganser als auch en passant den NachDenkSeiten eine Rufschädigung zuzufügen. Das Ganze geht von einem Medienunternehmen aus, welches regelmäßig und seit Jahrzehnten Fakenews produziert. Anbei eine kleine Auswahl der letzten Jahrzehnte: Titelbild: Screenshot dpa-factchecking.com/germany/230623-99-161291/
Florian Warweg
Ausgerechnet die Deutsche Presseagentur (dpa), die regelmäßig mit extrem einseitiger Quellenauswahl, erfundenen Zitaten und nachweislichen Fakenews auffällt, betreibt nach Selbstauskunft „eines der größten Faktencheck-Teams im deutschsprachigen Raum“ und arbeitet in diesem Zusammenhang mit Facebook zusammen. Der neuste „Faktencheck“ der dpa widmet sich dem Schweizer Historiker Daniele Ganser. ...
[ "Bundeswehr", "dpa", "Faktencheck der Faktenchecker", "Ganser, Daniele", "Militärstützpunkte", "Transparenz", "USA" ]
[ "Audio-Podcast", "Lobbyorganisationen und interessengebundene Wissenschaft", "Medienkonzentration, Vermachtung der Medien", "Medienkritik", "Strategien der Meinungsmache" ]
27. Juni 2023 12:24
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Der Niedergang des Journalismus
Die Medien stehen zurzeit massiv in der Kritik. Der Bürger fühlt sich oft weniger informiert als manipuliert. Wer die Medien kritisiert, bekommt von ihnen oft das Label unseriös, dumm oder gar rechts verpasst. Systematische Medienkritik wird dabei als pauschale und also intellektuelle Fehlleistung abgetan. Komisch nur, dass unter derlei Diskurs- und Denkverboten unerklärlich bleibt und bleiben muss, was zwischen Massenmedien und Bevölkerung gerade schiefläuft. Wieso vertrauen die Menschen den Medien immer weniger? Zu ihrer Einschätzung auf diese Frage sprach Jens Wernicke mit der in diesem Jahr mit dem Alternativen Medienpreis bedachten Journalistin Gaby Weber, die unter anderem für die ARD als Auslandskorrespondentin tätig ist. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Podcast: Play in new window | Download Frau Weber, Sie haben als Mit-Autorin des gerade vorgestellten Buches “ARD & Co.: Wie Medien manipulieren” [PDF] heftige Kritik an den Öffentlich-Rechtlichen geübt. Dabei berichten Sie selbst seit Jahrzehnten für die ARD als Korrespondentin aus Südamerika… Es geht nicht nur um die ARD, ich meine sie allesamt und nehme auch die sogenannten alternativen und linken Medien mit in die Kritik. Sie betreiben aktuell eine „Gesinnungsschreiberei“, die kaum noch auszuhalten ist. Praktisch niemand wendet mehr die einfachsten Regeln des Journalismus an. Also etwa, die andere Seite zu hören und eigene Fehler richtigzustellen. Und das, obwohl wir alle heute durch das Internet völlig neue Bedingungen haben: Wir, die Medienmachenden, haben einen größeren und schnelleren Zugang zur Information; aber auch die Zuschauer und Leser haben denselben und können uns kontrollieren. Früher hatte die Tagesschau ein Monopol. Ich erinnere mich an meine Kindheit: Da erschien um 20 Uhr ein Herr Köpke und verbreitete die Wahrheit, und die Leute an den Bildschirmen mussten das glauben. Heute können sie das sofort überprüfen und haben in vielen Fällen, wie etwa bei der Berichterstattung über den Nazi-Angriff auf das Gewerkschaftshaus in Odessa, in den Sozialen Medien bereits die Bilder gesehen. Sie wollen das erklärt bekommen, aber das Fernsehen liefert ihnen nur wenige Informationen und fast durchweg regierungsnahe Interpretationen. Da fühlt sich irgendwann dann auch der Normalverbraucher verarscht und ist es auch kein Wunder, dass eine repräsentative Umfrage inzwischen bestätigt hat, dass 44 Prozent der Bundesbürger der Aussage zustimmen, die Medien seien “von oben gesteuert” und brächten “geschönte und unzutreffende Meldungen”. Und diese „Gesinnungsschreiberei“, ist die neu oder schlimmer geworden – oder fällt sie in Zeiten des Internet heute womöglich einfach zum ersten Mal einfach deutlicher auf…? Na, diese Gesinnungsschreiber gab es schon immer, vor allem in rigiden Parteistrukturen. Da heute aber die Strukturen in der alternativen Szene nicht über Parteien sondern über Netzwerke laufen, fallen sie mehr auf, und dank Internet können wir uns – wenn es uns interessiert – aus anderen Medien informieren. Bei den Konzernen oder Regierungen ist es aber sehr viel schlimmer geworden. Da werden inzwischen ganze Abteilungen geschaffen, um „Köpfe zu gewinnen“. Eine der Hauptaufgaben der Geheimdienste ist die Durchsetzung falscher Darstellungen. In Kriegszeiten ist das Teil der militärischen Strategie, und nicht der unwichtigste. Daher müssten die großen Medienhäuser sich eigentlich dagegen wappnen. Das genaue Gegenteil passiert jedoch. Ich habe als Auslandskorrespondentin 1992 Verfassungsklage gegen das großflächige strategische Abhören im Ausland eingereicht – also gegen das, was sich seit Snowden detailliert beweisen lässt, und im Prozess hat der BND das auch damals gar nicht bestritten. Meine Themen sind Rauschgifthandel, Geldwäsche und organisiertes Verbrechen, ich muss mich und meine Informanten schützen. Im Rahmen dieser Klage habe ich versucht, meine Redaktionen bzw. die Chefredaktionen in der ARD zu bewegen, mich moralisch und publizistisch zu unterstützen. Denn der vorsitzende Richter Papier hatte damals süffisant angemerkt, dass außer mir und der taz, die ebenfalls geklagt hatte, sich kein weiterer Journalist an der BND-Praxis stören würde. Tja, ich bin hoch bis zum Europäischen Menschenrechtsgerichtshof, die haben das dann aber im Großen und Ganzen abgesegnet. Und was noch schlimmer ist: Sie haben die Klage meines damaligen Assistenten, eines Uruguayers, gar nicht erst angenommen – Ausländer werden durch das deutsche Grundgesetz also nicht geschützt. Für dieses Urteil schämen sich heute zwar die Juristen, leider aber nicht die Journalisten, die damals den Schwanz eingekniffen und sich mit den Geheimdiensten nicht anlegen wollten. Sie haben gegen den BND ja auch wegen Aktenzugang geklagt… Ja, das muss man doch, um der Wahrheit heutzutage auch nur nahe zu kommen! Aber bei den meisten meiner Kollegen galt und gilt auch das als „unjournalistisch“. Meine erste Klage war 2008 wegen der Eichmann-Akten, und das war damals noch ein schwieriger Präzedenzfall, da das Informationsfreiheitsgesetz die Dienste ausdrücklich vom Auskunftsanspruch ausnimmt. Ich bin hier wieder alleine auf weiter Flur gewesen, von der ARD keine Spur. Den Prozess hab ich gewonnen und damit einen ganz neuen Weg des Informationszugangs eröffnet. Heute kann man ohne Prozessrisiko diese Akten einklagen. Aber wer tut das schon? Daneben klage ich aktuell gegen das Bundesarchiv, weil die untätig zugucken, wie Bundes-Archivgut bei privaten Stiftungen landet, wo eben nicht die Allgemeinheit Zugang hat, also etwa bei der Konrad-Adenauer-Stiftung oder der Stiftung der Deutschen Bank. Die suchen sich aus, wem sie ihre Archivalien zugänglich machen, und kritische Geister gehören da sicher nicht dazu. Das hat mit Demokratie nichts mehr zu tun. Was aber tut die ARD und tut die restliche Journaille? Sie schweigen, tun nichts. Und es gibt bereits eine weitere Klage, diesmal gegen BND und Verfassungsschutz… Ja, und wieder geht es um Akten, diesmal zur argentinischen Militärdiktatur. Das ist ein wichtiges Thema, auch was die Komplizenschaft von deutschen Unternehmen wie Daimler angeht, die an der Ermordung ihrer Betriebsräte eine Mitschuld tragen. Ich verstehe eigentlich gar nicht, warum die anderen Auslandskorrespondenten dies nicht schon vor mir gemacht haben – die haben immerhin die finanzielle Rückendeckung, die mit fehlt. Das ist schlechter Journalismus. Einer, der sich den herrschenden Diskursen schlicht unterwirft und die Mythen der Macht als Wahrheiten akzeptiert. Zurück zur „Gesinnungsschreiberei“… Woran machen Sie diese denn genau fest? Gibt es da etwa eine düstere Verschwörung … oder wie meinen Sie das? Es mag in Einzelfällen solche Verabredungen geben – mir ist sowas etwa passiert, als der WDR plötzlich einen Auftrag über die Menschenrechtsverletzungen von Daimler vergeben hat. Ich hatte ja das Thema über Jahre recherchiert und dokumentiert, und mit meinen Beweisen haben die Juristen in drei Ländern versucht, diese Verbrechen vor Gericht aufklären zu lassen. Dazu habe ich einen 90-minütigen Dokumentarfilm gemacht und auch dem WDR angeboten. Der aber hat, wie gesagt, dann Leute, die auch für Daimler arbeiten, dieses Thema bearbeiten lassen! Das Resultat war, dass wichtige Vorwürfe verschwiegen und Beweise abgeschwächt und uminterpretiert worden sind. Dem Zuschauer wurde das aber nicht mitgeteilt, auch nicht, als nach der Ausstrahlung ein Shitstorm über den WDR niederging. Da ich den Sender lange vorher auf die Sachlage hingewiesen hatte, erscheint es mir schlicht naheliegend, dass hier ganz bewusst und sehr wohl von oben die Fäden gezogen worden sind. Aber das ist ein Einzelfall, im Allmeinen gibt es keine Verschwörung und nur sehr selten vulgäre Eingriffe von oben in das Programm. Es gibt jedoch eine neue Struktur in den Häusern, die die Programme immer mehr „entwortet“, also mehr Musik einspielt und Hintergründe immer weniger wichtig nimmt. Und da wird dann eben die Auslandsberichterstattung massiv zusammengestrichen und auf Kulturereignisse reduziert. In diesem Kontext ist es sicher kein Zufall, dass die Korrespondenten, die etwa über Brasilien berichten, aus der Sportredaktion kommen! Aber das Hauptproblem ist wohl die Trägheit der Nachrichtenmacher. Da nimmt man einfach ungeprüft Meldungen aus dem Internet oder von dubiosen Agenturen – dubios in dem Sinne, dass man gar nicht mehr überprüft, wer diese Agenturen eigentlich bezahlt und wessen Interessen sie vertreten. Wer etwa vom State Department oder vom Russischen Verteidigungsministerium finanziert wird, ist für mich, wenn ich über einen kriegerischen Konflikt, an dem diese beiden Seiten beteiligt sind, keine seriöse Quelle mehr, für andere aber offenbar schon. Und das, obwohl gemeinhin bekannt ist, dass heute aus den Etats der Kriegsministerien Propaganda in großem Stile bezahlt werden, und die USA um jeden Preis verhindern möchten, dass sie noch einmal einen Krieg, wie damals den in Vietnam, „an der Heimatfront“ verlieren. Und welche Wirkungen hat diese „Gesinnungsschreiberei“ konkret? Haben Sie vielleicht ein konkretes Beispiel aus Ihrem Berichtsgebiet? Ja, ich nehme einfach etwas aus meinem Alltag, der sich in der konkreten Arbeit gerade weniger um Krieg und Frieden dreht. Und zwar lebe ich ja in Buenos Aires, und wir hatten Ende Oktober Wahlen. Da sich weder die Linke noch das aufgeklärte Bürgertum auf eine halbwegs funktionierende Alternative einigen konnten, standen nur zwei Optionen zur Wahl: die bisher regierenden Peronisten und die Rechten. Die Peronisten konnten sich noch nie vorstellen, dass das Volk sie nicht wählen könnte. Sie haben ja in den letzten Jahren viel Geld in den Armenvierteln verteilt, allerdings nicht in Form von Sozialpolitik, sondern als Zuwendungen, für die man der Partei anschließend dankbar sein muss. Daneben haben sie die städtische Intelligenz, die noch in den 90er Jahren eine alternative Gegenöffentlichkeit geschaffen hatte, eingekauft – aber immer mit dem Hinweis, wer aus der Reihe tanzt, der fliegt. Die – sehr kleine und unbedeutende – Kommunistische Partei ist mit von der Partie, und das führt dazu, dass deutsche linke Medien die bisherige Politik massiv schöngeschrieben und Regierungspropaganda einfach ungeprüft weiterverbreitet haben. Wenn man in dieser Situation als Korrespondentin vor Ort einen kritischen Beitrag verfassen will, dann stößt man auf zwei Mauern: Im konservativen Lager, wozu inzwischen auch die ARD gehört, findet man die bisherige Regierung suspekt, weil sie sich nicht von Kuba und Venezuela distanziert und keine neoliberale Politik macht. Und im sogenannten linken Lager möchte man schlicht nichts über Korruption, Vetternwirtschaft und die Nähe der Regierung zum Drogenhandel erfahren. Nun sind die Wahlen Ende Oktober für die Peronisten aber katastrophal ausgegangen, sie müssen sich am 22. November daher einer Stichwahl gegen die Rechten stellen, und die haben gute Chancen, die Protestwähler hinter sich zu sammeln. Denn es gibt viele Gründe zum Protest. Die Situation ist nachgerade absurd: Egal, wo und was man in Deutschland über die Situation hier vor Ort liest – mit der Realität hat es in aller Regel kaum etwas zu tun. Und das war … früher nicht so, verstehe ich recht? Das Interesse an Berichten aus dem Ausland war insgesamt früher sehr viel größer. Früher gab es längere Feature-Strecken, in denen man sich mal ein Land vorknöpfen und verschiedene politische und soziale Akteure zu Wort kommen lassen konnte. Diese Sendestrecken sind massiv reduziert worden, hauptsächlich wegen Geldmangels. Und dann berichtet man eben lieber aus der Provinz. Auslandsberichterstattung ist nicht billig, aber Talkshows, in denen sich völlig irrelevante Menschen aus der Nachbarschaft darstellen, sind es. Der deutsche Journalismus heute ist nicht nur schlecht, er ist auch provinziell. Die Schweizer etwa sind uns da Meilen voraus. Wenn heute irgendetwas in der Welt passiert, dann schalten viele in Deutschland ja nicht etwa die Tagesschau an, sondern CNN und BCC oder vielleicht dazu noch Russia Today – die bringen wenigstens die News, wenngleich interessen-gesteuert. Recherche vor Ort kostet eben Geld, das ist auch vielen Internetnutzern nicht klar: Entweder sie zahlen für ein Produkt oder sie sind selbst das Produkt. Und liegt die Verschlechterung der Situation vielleicht darin begründet, dass die Arbeitsbedingungen immer prekärer werden? Oder meinen Sie, die Redaktionen würden ggf. immer opportunistischer? Oder wird die Propaganda der Mächtigen vielleicht schlicht immer effektiver? Wie bereits erwähnt, ist die Propaganda-Maschinerie heute sehr viel mehr, wie sagt man das auf deutsch, „sophisticated“, also ausgetüftelter als einst. Die haben dazugelernt und wir kapitulieren. Nun kann man aber sicher nicht die Gesamtschuld für die Misere auf die Medien schieben, die ja auch nur reflektieren, was in den Gesellschaften passiert. Wo ist denn heute eine Opposition? Gründe, um gegen das herrschende System zu sein, gibt es ja genug. Aber die Linke – zumindest die in den Medien dargestellte – bewegt sich im Parlamentarismus und geht auf Pöstchen-Suche. Für einen ausgegrenzten Jugendlichen ist das doch keine wirkliche Hilfe, keine Alternative. Welche neuen Ideen kommen denn heute noch aus den linken Fraktionen der Parlamente? Mag ja sein, dass ich diese Ideen aus der geographischen Distanz heraus einfach nicht sehe. Die spannenden Sachen passieren aber doch wohl offensichtlich auf der Straße und in Netzwerken, in sozialen Beziehungen, im alltäglichen Widerstand gegen Ausbeutung, Unterdrückung und Macht. Gleichwohl tragen auch die Journalisten und vor allem die Medienhäuser und Redaktionen Mitverantwortung für die aktuelle Situation. Denn von ihnen kann und muss man schon erwarten, dass sie erstens den Leuten erzählen, wie es woanders aussieht und wie woanders die Leute Probleme lösen, zweitens, dass sie die Desinformation der Regierungen und die Werbekampagnen der Konzerne kritisch betrachten und recherchieren wie es wirklich ist, und drittens, dass sie auch einmal Anregungen geben und Diskussionen anschieben. Das passiert in den großen Medienhäusern aber nicht mehr. Viele meiner Kollegen haben inzwischen das Handtuch geworfen, weil in der heutigen Medienstruktur kein Platz mehr ist für Recherche, die dann möglicherweise zu einem anderen Ergebnis als die von der Regierung vorgegebene „offizielle Geschichtsschreibung“ kommt. Und, ja: Heute gibt es wenige sehr hoch bezahlte Redakteure und ein Heer miserabel bezahlte Freie, die, wenn sie nicht vom Tellerrand fallen wollen, ihre Berichte gemäß des Mainstreams abfertigen. Die Zensur findet im eigenen Kopf statt. Früher konnte man als Freie mit einem Bauchladen ganz gut seine Themen bearbeiten. Diese Zeiten sind vorbei. Wenn dem aber so ist und das auch noch den meisten Akteuren bewusst ist, warum um alles in der Welt diskutieren wir in Deutschland dann nicht über ein neues Mediengesetz, um die Situation zu bessern, den Journalismus zu schützen, die Meinungsfreiheit und -pluralität? Selbst die ARD hat in einem neulich ausgestrahlten, an Peinlichkeit nicht zu überbietenden ARD-Check zugegeben, dass sie ein Glaubwürdigkeitsproblem hat. Zugleich sinken die Auflagen der Zeitungen und antworten die Verleger hierauf, indem sie Korrespondenten abziehen, Personal reduzieren und die Arbeitszeit verdichten, wie das so schön heißt. Meinen die wirklich, dass das irgendwie hilft? Es beschleunigt den Untergang des Journalismus in Deutschland nur immer mehr… Warum überlegen sich die Journalistenverbände, Gewerkschaften und sonstige relevante Gruppen stattdessen nicht, wie sie mit einer Qualitätssteigerung die Zuschauer zurückgewinnen? Und warum werden nicht neue Recherchequellen als die üblichen schlechten und vermachteten erschlossen, sondern wird alles immer weiter verschlimmert, beschleunigt und kaputtgespart? Warum überlegen Reporter in Kriegsgebieten nicht, statt sich „einbetten“ zu lassen, wie sie eigene, unparteiische Informationsquellen ausfindig machen und nutzen können? Und warum werden Blogs nicht mit öffentlichen Geldern gefördert? Und die Hauptfrage: Warum werden ARD und ZDF nicht einer Qualitätskontrolle unterzogen? Jeder kann da inzwischen den letzten Müll verbreiten, ohne dass das Konsequenzen für ihn hat. Wir brauchen in diesen Häusern eine Instanz, die die Vorwürfe der Manipulation untersucht und eine wahrheitsgemäße Berichterstattung durchsetzt. Das ist auch zu stemmen. Aber in der Öffentlichkeit wird heute jemand, der das Wort „Wahrheit“ auch nur in den Mund nimmt, lächerlich gemacht, als jemand der immer noch nicht begriffen hat, dass der, der das Geld hat, auch die Geschichte schreibt. Lächerlich gemacht? Ja. Als ich beispielsweise den BND erfolgreich auf die Herausgabe der Eichmann-Akten verklagt hatte, da brachte der NDR noch mal schnell die Geheimdienst-Ente des Mossad als teures Doku-Drama, um die gewollte Geschichtsschreibung weiter abzusichern statt endlich einmal zu hinterfragen. Dabei dichteten sie der 12-jährigen Tochter eines jüdischen Emigranten in Argentinien ein Liebesverhältnis mit dem Eichmann-Sohn an. Ich habe sie im Vorfeld darauf aufmerksam gemacht, dass neues Material vom BND in Kürze zu erwarten ist. Das war denen aber vollkommen egal. Und bis heute haben die sich für diesen Schmarrn nicht entschuldigt und ihre Fehler nicht richtiggestellt. Und: Sie haben nicht einmal anonymisiert! Wissen die eigentlich, was sie dieser Frau und ihrer Familie damit angetan haben? Entweder nein – oder es ist ihnen einfach egal. Ich habe dazu einen Dokumentarfilm gemacht, der im Netz steht. Jedenfalls scheint diese Mischung aus schlechter Recherche und Verbreitung der althergebrachten Orthodoxe inzwischen zum Kern des Journalismus geworden zu sein; und sowas gab es, zumal in dieser Dreistigkeit, in den Öffentlich-Rechtlichen, aber auch linken, alternativen und kritischen Medien früher nicht. Und kann oder sollte man das, was sie wahrnehmen, dann aber wirklich als „Manipulation“ beschreiben? Diese und andere Verdrehungen scheinen ja nicht absichtsvoll begangen zu werden… Doch, das war Absicht. Das Problem ist doch nicht, dass im Journalismus Fehler passieren, die passieren uns allen. Das Problem ist, dass Journalisten zu reinen Chronisten verkommen, die es schon immer gegeben hat: im Vatikan, im Feudalismus, bei den Scheichs etc. Das sind Schreiberlinge, die aufgrund der Dokumente, die man ihnen überlässt, die Bücher führen. Wir haben heute die Möglichkeit, uns Zugang zu den Archiven zu verschaffen, das geht aber nur mit Druck. Dafür müssen wir uns über unsere eigene Macht im Klaren sein. Aber das passiert nicht. Man pflegt lieber private Kontakte zu den Politikern, läuft auf Pressekonferenzen, stopft sich die Lachs-Häppchen rein und übernimmt die Meldungen von Agenturen, von denen man wissen müsste, dass sie von Kriegsparteien finanziert werden. Das ist ja so bequem und fördert die Karriere. Ich bedanke mich für das Gespräch. Gaby Weber, 1954 in Stuttgart geboren, Magister und Promotion an der FU Berlin, ist seit 1978 hauptberufliche Journalistin, arbeitete zuerst für den stern und ab 1981 für die ARD. Seit 1985 ist sie freiberuflich als Südamerika-Korrespondentin tätig. Ihre Homepage ist www.gabyweber.com. Weitere Veröffentlichungen von Jens Wernicke finden Sie auf seiner Homepage jenswernicke.de. Dort können Sie auch eine automatische E-Mail-Benachrichtigung über neue Texte bestellen.
Jens Wernicke
Die Medien stehen zurzeit massiv in der Kritik. Der Bürger fühlt sich oft weniger informiert als manipuliert. Wer die Medien kritisiert, bekommt von ihnen oft das Label unseriös, dumm oder gar rechts verpasst. Systematische Medienkritik wird dabei als pauschale und also intellektuelle Fehlleistung abgetan. Komisch nur, dass unter derlei Diskurs- und Denkverboten unerklärlich bleibt und blei ...
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06. November 2015 9:35
https://www.nachdenkseiten.de/?p=28254&share=email&nb=1
Außen- und Sicherheitspolitik
Der bekannte Journalist der Süddeutschen Zeitung Heribert Prantl hat in seiner nur für Abonnenten zugänglichen politischen Wochenschau von diesem Wochenende die diffamierende Propaganda der führenden Medien unseres Landes kritisiert. Er schrieb zur Berliner Friedensdemonstration der laut Veranstalter über 20.000 an diesem Wochenende im Regierungsviertel: „Nach der Friedensdemonstration gestern am Brandenburger Tor wird davon geredet, dass dort ‚die üblichen Verdächtigen` aufgetreten seien. Warum sollen sie ‚verdächtig‘ sein – im Gegensatz zu denen, die einen Mentalitätswechsel hin zur Kriegstüchtigkeit in Deutschland fordern? Wenn die Herstellung von Verteidigungstüchtigkeit nicht mehr reicht, sondern Kriegstüchtigkeit hergestellt werden soll – dann muss wirklich eine neue, große Friedensbewegung wachsen.“ Von Bernhard Trautvetter.
NachDenkSeiten - Die kritische Website
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27. November 2023 11:00
https://www.nachdenkseiten.de/?cat=169&paged=71
Stimmen aus der Ukraine: Noch glaubt Selenskyj an Revanche
Die Moral der ukrainischen Armee ist durch die Niederlagen geschwächt, aber von einem Zusammenbruch ist nicht die Rede. Die ukrainische Gesellschaft glaubt immer weniger an einen Sieg, würde aber Verhandlungen als Kapitulation ansehen. Einige in der politischen Elite wären zu Kompromissen bereit, aber Wolodymyr Selenskyj glaubt noch immer an eine Revanche und würde bis zum Ende durchhalten. Der Westen hat es nicht eilig, Kiew zum Verhandeln zu bewegen, ebenso wenig wie Moskau, das auf die Zermürbung setzt. Zwei Jahre nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine sprach der Chefredakteur des ungarischen Fachportals #Moszkvatér, Gábor Stier, mit dem ukrainischen Politikwissenschaftler Konstantin Bondarenko, Leiter der Stiftung Ukrainskaya Politika, über die vergangenen zwei Jahre, die Lage in der Ukraine und die Aussichten. Den Text hat Éva Péli ins Deutsche übersetzt. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Podcast: Play in new window | Download Gábor Stier: Der Krieg dauert nun schon zwei Jahre an, und ein Ende ist immer noch nicht absehbar. Aber eins scheint sicher zu sein: Die Ukraine ist in einer schlechten Position und kann diesen Krieg nicht gewinnen, wenn das Kräfteverhältnis und die aktuellen Trends anhalten. Sie hat das Recht, ihr Territorium zu verteidigen, aber meinen Sie nicht, dass es für Kiew sogar günstig wäre, wenn der Konflikt entlang der derzeitigen Frontlinien eingefroren würde? Konstantin Bondarenko: Ja, dieser Gedanke wird zunehmend diskutiert, aber es gibt einige Hindernisse. Zunächst einmal verbietet ein Dekret des Präsidenten jegliche Verhandlungen mit Russland. Aber auch Moskau hat wiederholt deutlich gemacht, dass es nicht mit Kiew über die Beendigung des Konflikts verhandeln will, da die Ukraine nicht selbstständig ist, sondern mit den Vereinigten Staaten verbunden ist. Der Kreml bezieht sich dabei auf die Istanbuler Gespräche, die nach der Ausarbeitung des Abkommens im Frühjahr 2022 durch den Westen zum Scheitern gebracht wurden. Diese Lösung, die mit dem Friedensvertrag mit Finnland von 1940 verglichen werden könnte, liegt also in der Luft, aber Kiew will davon noch nichts wissen. Und Russland ist nur unter Berücksichtigung der Lage an den Fronten und der neuen Realitäten zu Verhandlungen bereit. Die Positionen liegen also weit auseinander. Inzwischen würde Moskau lieber die Früchte seiner Zermürbungsstrategie ernten. Halten Sie einen Zusammenbruch der ukrainischen Armee für möglich? Ja, aus Moskauer Sicht ist das offensichtlich eine Chance. Der Verlust von Awdijiwka, der russische Vormarsch an mehreren Fronten schwächt die Moral der ukrainischen Armee, aber es wäre stark übertrieben, von einem Zusammenbruch zu sprechen. Es scheint, dass die ukrainischen Behörden die Flucht nach vorne ergreifen und nicht zu Friedensgesprächen bereit sind. Wie erklären Sie sich diese Entschlossenheit, die Realität zu ignorieren? Präsident Selenskyj wird bei der Wiederherstellung der Grenzen von 1991 keine Kompromisse eingehen und glaubt, dass sich die Ukraine, wenn sie genügend hochwertige Technologie und Munition erhält, an Russland für 2014 und 2022 rächen kann. Kiew hofft also immer noch, genügend Waffen aus dem Westen zu bekommen und dass die aktuellen Schwierigkeiten mit der US-Finanzierung vorübergehend sind. So viel zu der Macht. Aber was ist mit der Gesellschaft? Es scheint, als hätte sie auch nicht erkannt, dass die Ukraine diesen Krieg nicht gewinnen kann. Dass sie ihr Heimatland verteidigen, ist klar. Doch für Außenstehende erscheint dieses Beharren eher sinnlos. Wie lange kann aus Ihrer Sicht die Unterstützung für den Krieg noch anhalten? Vor einem Jahr glaubten noch 83 Prozent der Ukrainer an einen Sieg, jetzt sind es nur noch 42 Prozent. Immer mehr Menschen sehen also der Realität ins Auge. Sie sehen, dass es an der Front schlecht aussieht und dass die Behörden mit Gewalt versuchen, die Menschen zu mobilisieren. Aber sie merken auch, dass die westlichen Gesellschaften und Eliten verunsichert sind, dass die Unterstützung schwindet. Die Menschen sind immer weniger bereit, durch den Fleischwolf zu gehen, aber sie sind noch weit davon entfernt, sich gegen den Krieg aufzulehnen. Halten Sie es für möglich, dass sich die Gesellschaft nach einer gewissen Zeit gegen die Macht wendet und ein Ende des Krieges fordert? Wir dürfen nicht vergessen, dass jede Kritik an den Behörden oder am Krieg, also jede Opposition heute als Unterstützung des Feindes strafbar ist. Selbst legitime Kritik wird von den Behörden als Unterstützung für Putin, als Verbreitung russischer Propaganda angesehen. Doch die Unzufriedenheit wächst, und es gibt vereinzelt leise Proteste, aber es gibt keine Anzeichen dafür, dass sich die Gesellschaft gegen die Macht wendet. Natürlich ist nichts auszuschließen, denn 1916 dachte auch niemand in Russland daran, dass in wenigen Monaten die Revolution ausbrechen und der Zar zurücktreten würde. Aber die Situation in der Ukraine ist im Moment nicht revolutionär. Das bedeutet, dass die Ukraine bereit ist, den Krieg fortzusetzen, wenn auch nicht mit dem gleichen Enthusiasmus wie früher. Ja. Dem Präsidenten geht langsam die Luft aus. Wie stabil ist die Situation von Selenskyj? Die Ablösung des Oberbefehlshabers Walerij Saluschnyj verlief zwar relativ ruhig, aber ist es völlig ausgeschlossen, dass sich die Armee gegen Selenskyj wendet? Die Zukunft könnte davon abhängen, ob Saluschnyj politische Ambitionen hegt. Im Moment hat er weder ein Programm noch eine Ideologie, aber er hat die Unterstützung der Bevölkerung. Das erinnert mich ein wenig an den französischen General des späten 19. Jahrhunderts Georges Ernest Jean-Marie Boulanger, der vielen die Hoffnung auf Erneuerung und auf den Boulangismus versprach. Diese gesteigerte Erwartung an Saluschnyj, diese Hoffnung ist in gewisser Weise auch ein Zeichen für die Krise des Systems. Saluschnyj ist jedoch vorerst vorsichtig. Er zog sich zurück, aber er tritt vorerst nicht an, weil er merkt, dass es vorerst keine Wahlen geben wird, seine Zeit sei also noch nicht gekommen. Die Frage ist, ob sie überhaupt kommen wird. Was die Armee betrifft, so wird sie sich nicht gegen Selenskyj wenden. Aber im Mai läuft das Mandat des Präsidenten aus, und laut der Verfassung kann er es nicht einmal im Kriegszustand selbst verlängern. Das kann nur die Rada (das ukrainische Parlament, Anm. d. Red.) tun. Nach dem 20. Mai könnte Wolodymyr Selenskyj also in eine Legitimitätskrise geraten, die sein Ansehen im Westen beeinträchtigen könnte. Genau. Der Präsident könnte auch dann scheitern, wenn seine westlichen Unterstützer ihn im Stich lassen. Wie lange, glauben Sie, wird Washington zu Selenskyj stehen? Wurde der Aufbau seines Nachfolgers bereits begonnen? Anders formuliert: Gibt es bereits einen Plan B für die irgendwann unvermeidlichen Waffenstillstandsgespräche? Im Moment spricht Washington nicht über einen Plan B. Erst kürzlich hat sich Vizepräsidentin Kamala Harris in München für die Ukraine ausgesprochen. Was konkret Wolodymyr Selenskyj betrifft, so ist der Präsident zunehmend enttäuscht, woraus er keinen Hehl macht. Er gerät zunehmend mit den USA aneinander. Der Bruch erfolgte recht spektakulär auf dem NATO-Gipfel in Vilnius im Sommer 2023. Die Auseinandersetzung ist bereits so weit fortgeschritten, dass Selenskyj kürzlich erklärte, dass Kiew die Vereinigten Staaten nicht als strategischen Partner betrachten werde, wenn der Kongress nicht für ein Paket stimme, das die Unterstützung für die Ukraine einschließe. Gleichzeitig öffnet sich das Präsidialamt zunehmend gegenüber den Briten. Die Position von Selenskyj ist jedoch derzeit stabil. Diese Stabilität beruht auf der Tatsache, dass es keine Opposition gibt. Der Präsident nutzt den Kriegszustand und verhindert jeden politischen Wettbewerb mit der Begründung, er könnte den Feind unterstützen. Bereits vor dem Ausbruch des Krieges hatte Selenskyj begonnen, ein autoritäres Regime aufzubauen … Genau. Und zwar ein streng autoritäres Regime, das auf der Unterdrückung der Opposition, auf Korruption und Kompradorenverhalten beruht. Diese Macht schützt nicht die Interessen der Ukraine, sondern die der transnationalen Konzerne. Da Sie diese Kräfte erwähnt haben: Inwieweit folgt der Krieg deren Interessen? Es gibt viele, die glauben, dass Washington nicht nur von geopolitischen Interessen geleitet wird, sondern auch von handfesten wirtschaftlichen Interessen. Der US-Senator Lindsay Graham erwähnte – und auch Donald Trump hat sich dazu geäußert –, dass die Ukraine keine Unterstützung mehr erhalten wird, sondern Kredite, die mit Bodenschätzen wie Lithium, Kalium und Kobalt abgesichert sein werden. Diese Aussage hat in der Ukraine ernsthafte Debatten ausgelöst. Diese Bodenschätze gehören nämlich nach der Verfassung nicht dem Präsidenten, da sie nicht Eigentum des Staates, sondern des Volkes sind. Daher können diese Schätze ohne ein Referendum nicht als Garantien angeboten werden. Aber in der Ukraine sind bereits mit einem Portfolio von sechs Milliarden US-Dollar Vermögensverwaltungsriesen wie BlackRock oder Investoren in der Landwirtschaft wie Monsanto, Cargill und Dupont anwesend. Washington wird also von zwei Zielen angetrieben. Für den Staat geht es in erster Linie darum, Russland zu schwächen, während Investmentgruppen ein Auge auf das Territorium, das Land und die natürlichen Ressourcen der Ukraine geworfen haben. Für Letztere ist es das Beste, wenn so viele Ukrainer wie möglich auswandern. Das Problem der Arbeitskräfte wird durch Gastarbeiter gelöst werden. Wir haben bereits gesehen, dass Washington und London sich nicht nur die Rollen teilen, sondern auch um Einfluss konkurrieren, und jeder hat seine eigenen Leute in der ukrainischen Elite. Das ist richtig. Zum Beispiel ist Andrij Jermak, der Chef des Präsidialamtes, ein echter MI6-Agent, ein Brite, während die „Quartals“ mit grundlegend unterschiedlichen US-amerikanischen Machtgruppen „verbunden“ sind. Und Selenskyj ist sozusagen montags der Mann der US-Amerikaner und dienstags der Briten. Wir können in dieser Hinsicht nicht über Europa sprechen, weil es nicht wirklich in diesem Spiel mitspielt, sondern nur im Interesse der US-Amerikaner und der Briten. Das wirft auch die Frage auf, wie unabhängig die Ukraine ist. Seit dem zweiten Maidan im Jahr 2014 können wir nicht mehr von der Unabhängigkeit der Ukraine sprechen. Zu diesem Zeitpunkt begann die tatsächliche und effektive Kolonisierung der Ukraine. Die westlichen Institutionen haben im Wesentlichen die Kontrolle über die Ukraine übernommen. Russland war dazu nach 1991 nicht mehr in der Lage, und als das Land sich erholte und stärker wurde, wurde es von den westlichen Kolonialisten überholt. Die Eliten des Westens bestehen immer noch darauf, die Ukraine rhetorisch zu unterstützen, aber Munition und Waffen werden immer knapper. Es gibt darüber hinaus in den westlichen Gesellschaften ein wachsendes Gefühl der Kriegsmüdigkeit. Nähert sich aus Ihrer Sicht die Zeit, in der der Westen die Ukraine an den Verhandlungstisch setzt? Die USA sind weit weg, aber in Europa ist bereits Kriegsmüdigkeit zu spüren. Dies ist jedoch unter dem Gesichtspunkt, die Ukraine zu Verhandlungen zu zwingen, unerheblich, da Europa in diesem Spiel keine Karte in der Hand hält. Washingtons Wille ist wichtig, aber das Weiße Haus hat es nicht eilig, den Konflikt einzufrieren. Ein Einfrieren des Konflikts ist nur möglich, wenn die direkt und indirekt Beteiligten dies als Sieg verkaufen können. Wie ist die Lage in dieser Hinsicht? Was kann ein Sieg für die jeweiligen Länder bedeuten? Für Selenskyj bedeutet ein Sieg die Rückkehr zu den Grenzen der Ukraine von 1991, aber das ist realitätsfern. Ein neuer Präsident kann jedoch einen neuen Ansatz mit sich bringen. Denn es gibt Politiker in der Ukraine, sogar in Selenskyjs Umfeld, die zum Beispiel die Beibehaltung von Kiew und Odessa als Sieg betrachten und mit dem Verlust der Krim und der beiden Donbass-Regionen einen Waffenstillstand unterzeichnen würden. Wladimir Putin hat mir jedoch auf meine Frage beim Waldai-Treffen 2023 gesagt, dass Odessa eine russische Stadt sei. Was bedeutet das Ihrer Meinung nach, und was würde Moskau als Sieg verbuchen? Odessa zu erobern, ist nicht einfach, denn dazu müssten zuerst Cherson und Mykolajiw eingenommen werden. Und wir haben noch nicht über die Tatsache gesprochen, dass Odessa eine Millionenstadt ist und die russischen Streitkräfte in ihrem jetzigen Zustand nicht in der Lage wären, vom Schwarzen Meer aus zu landen. Dies würde eine weitere Mobilisierung oder einen vollständigen Zusammenbruch der ukrainischen Armee erfordern. Russland wäre jedoch – wie Putin und Lawrow wiederholt erklärt haben – zu Verhandlungen bereit, wobei die Lage an den Fronten zu berücksichtigen wäre. Womit würde sich denn Washington zufriedengeben? Das Ziel der USA ist es, Russland so weit wie möglich zu schwächen. Doch die Ukraine ist nur einer der Schauplätze der russisch-US-amerikanischen Konfrontation. Da sind auch noch Syrien, Afrika, die Arktis oder sogar Europa und der Pazifik. Die Ukraine ist natürlich der heißeste Punkt dieser Konfrontation, aber eine Lösung des Konflikts ist nur in Verbindung mit den anderen Themen möglich. Wenn Moskau und Washington beispielsweise einen Kompromiss in Bezug auf die NATO, die strategische Stabilität in Europa und die Atomwaffen erzielen könnten, wären die Vereinigten Staaten bereit, die Ukraine dafür zu opfern. Damit haben Sie ausgesprochen, was ich denke, nämlich dass die Vereinigten Staaten die Ukraine nur für ihre geopolitischen Zwecke benutzen und bereit sind, sie zu opfern, wenn die Situation es erfordert. Fühlen sich die Ukrainer nicht verraten? Ich sage das schon seit 2014. Der Westen benutzt die Ukraine als Rammbock gegen Russland. Er denkt, dass die Ukrainer für ihn die Kastanien aus dem Feuer holen werden. Wolodymyr Selenskyj wurde im Wesentlichen für diese Rolle „angeheuert“. Fügen wir noch hinzu, dass es angesichts der Vergangenheit der Ukraine und der Mentalität der Ukrainer nicht schwer war, Kiew übers Ohr zu hauen. Die Ukraine wurde nicht zufällig ausgewählt. Der bekannte amerikanische Analyst George Friedman hat gesagt: Der Krieg ist vorbei, aber niemand weiß, wie man aufhört zu kämpfen. Es ist wirklich einfacher, einen Krieg anzufangen, als ihn zu beenden. Wie lange kann dieser Krieg wohl noch dauern? Friedman hat recht. Niemand ist gerne ein Verlierer. Um den Konflikt zu beenden, müssen wir also versuchen, dass alle beteiligten Parteien so weit wie möglich ihr Gesicht wahren. Es ist schon jetzt klar, dass die Ukraine der größte Verlierer dieser zwei Jahre ist. Sie hat bisher die größten Verluste erlitten, aber es ist zu früh, sie als den größten Verlierer zu bezeichnen. Der Krieg ist noch lange nicht vorbei. Demographisch und wirtschaftlich gesehen ist die Lage katastrophal, der Staat wäre ohne ausländische Hilfe bankrott, er hat 18 Prozent seines Territoriums verloren … Ja, das stimmt. Wie hätte die Ukraine Ihrer Meinung nach diese Situation vermeiden können? Haben sie alles getan, um einen Krieg zu vermeiden? Die Ukraine hatte mehrere Gelegenheiten, den Krieg zu vermeiden. Die erste war am 9. Dezember 2019, als Selenskyj Putin, Merkel und Macron in Paris traf. Es ging um das Minsker Abkommen, und Selenskyj verpflichtete sich, es umzusetzen. Nach seiner Rückkehr nach Kiew erklärte er dann, dass die Ukraine sich nicht an das Minsker Abkommen halten werde. Die zweite im Oktober 2020, als die beiden separatistischen „Volksrepubliken“ des Donbass einen Kompromissvorschlag unterbreiteten, wonach ihnen der im Minsker Abkommen garantierte Sonderstatus für 30 Jahre zuerkannt werden sollte. Danach hätte die Angelegenheit überprüft werden können. Schließlich erklärte Präsident Selenskyj kurz vor der Invasion auf der Münchner Konferenz provokativ, dass Kiew vom Budapester Memorandum zurücktreten werde. Dies konnte in Moskau zu Recht so interpretiert werden, dass sich die Ukraine bereit erklärt, ihre eigene Atomschlagkraft aufzubauen. Selbst Joe Biden hatte Selenskyj zuvor davon abgeraten, in dieser angespannten Situation nach München zu reisen. Und was macht der ukrainische Präsident? Er fuhr nicht nur hin, sondern provozierte Moskau. Wie kann Kiew in der gegenwärtigen Situation seine Verluste begrenzen? Dafür ist es zu spät, die Verluste sind enorm. Und wenn Selenskyj morgen ankündigen würde, dass er mit Moskau verhandeln würde, würde die Mehrheit der Ukrainer dies noch nicht als vernünftigen Kompromiss, sondern als Kapitulation verstehen und ablehnen. Nach all dem Leid würden die Soldaten nicht aufgeben, viele würden um ihr Kriegsgeschäft fürchten, die Nationalisten würden bis zum Schluss durchhalten und diejenigen, die zu Kompromissen bereit wären, würden eingeschüchtert und schweigen. Kann die Ukraine für diesen Krieg durch eine mögliche EU- und NATO-Mitgliedschaft entschädigt werden? Die Ukraine wird kein vollwertiges Mitglied der NATO sein. Das wäre ein zu großes Risiko für die NATO, und sie will sicher nicht, dass Artikel 5 in diesem Zusammenhang angewandt wird. Was die europäische Integration anbelangt, so hat die Ukraine keine der Grundvoraussetzungen dafür erfüllt, da sie über keine stabile Wirtschaft und kein stabiles Sozialsystem verfügt, der Staat am Rande des Bankrotts steht, die demokratischen Institutionen schwach sind und nicht einmal ihre Grenzen klar sind. Dieser Artikel erschien ursprünglich in der ungarischen Wochenzeitung Demokrata. Titelbild: Shutterstock / Review News
Gábor Stier
Die Moral der ukrainischen Armee ist durch die Niederlagen geschwächt, aber von einem Zusammenbruch ist nicht die Rede. Die ukrainische Gesellschaft glaubt immer weniger an einen Sieg, würde aber Verhandlungen als Kapitulation ansehen. Einige in der politischen Elite wären zu Kompromissen bereit, aber Wolodymyr Selenskyj glaubt noch immer an eine Revanche und würde bis zum Ende durchhalten. De ...
[ "Autoritarismus", "Bodenschätze", "diplomatische Verhandlungen", "EU-Mitgliedschaft", "Geostrategie", "Großbritannien", "NATO", "Russland", "Selenskyj, Wolodymyr", "staatliche Souveränität", "Ukraine", "USA" ]
[ "Außen- und Sicherheitspolitik", "Audio-Podcast", "Militäreinsätze/Kriege" ]
13. März 2024 10:00
https://www.nachdenkseiten.de/?p=112337
Um neuen Legenden vorzubeugen: Selbst mit einer Sondersteuer für Großverdiener läge deren Spitzensteuersatz unter dem EU-15 Durchschnitt
Eine Grafik von Joachim Jahnke.
Albrecht Müller
Eine Grafik von Joachim Jahnke.
[ "Jahnke, Joachim", "Spitzensteuersatz" ]
[ "Aufbau Gegenöffentlichkeit", "Europäische Union", "Steuern und Abgaben" ]
30. Juni 2005 15:58
https://www.nachdenkseiten.de/?p=614&share=email
Leserbriefe zu „Der Staatsphilosoph vor der roten Ampel“
Unser Artikel Der Staatsphilosoph vor der roten Ampel beschäftigte auch viele unserer Leser. Offenbar polarisiert die Person Richard David Precht ungemein. Neben zahlreichen zustimmenden Zuschriften gibt es jedoch auch Kritik. Zusammengestellt von Jens Berger. 1. Leserbrief Kurz und einfach: irgendwie steckt tief in der deutschen Seele eben doch das “chinesische Modell”. Ich wette, wenn Herr Richard David Precht eine Einladung des CCCP Chinas erhielte, würde er diese annehmen und anschließend überzeugende Argumente für die Umerziehung der Uiguren verbreiten. Wo kämen wir auch hin, solange diese Exil-Türken die Einheit Chinas militant gefährden und fanatische Sabotageakte verüben? Übrigens: welcher Deutsche fährt denn tatsächlich noch bei einer Roten Ampel (spät nachts, völlig ohne Verkehr) ohne Magenschmerzen durch? Selbst ich, Afrika,- Südamerika- und Asienerprobt, bin inzwischen verunsichert bzw. habe ein schlechtes Gewissen – Framing funktioniert fantastisch! Nur: der Chinese weiß, dass er überwacht, erzogen und authoritär “bemuttert” wird – die meisten “Wessies” nicht. Der Deutsche bildet sich weiter ein, sein System sei nach wie vor voll demokratisch und Donald Trump sagt selber: “I am the best democrat ever”. Das ist eben der Unterschied zwischem Wissen, Denken und Religion. Denn der richtig Gläubige glaubt ja nicht an Gott, vielmehr weiß er, dass es Gott gibt – oder dass Drosten die höchste Instanz viralen Denkens darstellt. Was mich letzte Woche politisch irritierte, war, dass Kzl’in Merkel zwar die Schwerkraft kennt, aber nicht weiß, was “exponentiell” bedeutet. In meiner Schul-/Studienzeit mussten Physiker auch die Grundlagen der allgemeinen Mathematik beherrschen. Damit herzliche Grüße und ein schönes Wochenende, H. Rudolf 2. Leserbrief Liebe NDS-Macher*innen, lieber Jens Berger, zu einem Wetterfahnen-“Philosophen”, dessen Betitelung seines “Hauptwerkes” nicht etwa “Der einzig mögliche Beweisgrund zu einer Demonstration des Daseins Gottes” oder auch “Die Grundprobleme der Phänomenologie” lautet, sondern “Wer bin ich und wenn ja, wie viele”, was intellektuell etwa in derselben Liga spielt wie “Sei schlau, stell dich dumm” (D. Katzenberger), hat Jens Berger eigentlich schon alles gesagt. Mehr sollte diesem Lackmustest dessen, wo die Kulturnation z.Z. gerade angekommen ist, eigentlich auch nicht an Lebenszeit geopfert werden.  Dass jedoch exakt das Beispiel, welches ich (derselben verdorbenen Generation wie Jens Berger angehörig),  im Unterricht gegenüber meinen Schüler*innen immer wieder mal nutzte, um über die Notwendigkeit allgemeiner konsensual beschlossener Regeln und gleichzeitig deren permanenter Hinterfragung (letztendes also die Frage nach Absicht und Sinn) zu diskutieren, das der roten Ampel nämlich, solchermaßen von diesem dystopischen Dampfplauderer ins autoritäre Gegenteil verkehrt wurde, hat doch kurz Empörungsreaktionen in mir hervorgerufen. Versöhnlich stimmten allerdings die gut 1000 Kommentare unter dem verlinkten Video, die samt und sonders vernichtend ausfielen. Wieder mal bleibt es an den letzten verbliebenen kritischen Kaberttist*innen zu sagen, wie es ist (wenn Volker Pispers es schon nicht mehr tut). Michael Hatzius (vermittels der „Echse“): “Wenn die Ampel definitiv kaputt ist, dann wird die auch nicht grün; dann muss man manchmal auch bei rot über die Straße gehen, sonst kommt man nicht vorwärts.” Ein letztes noch wurde Herrn Precht von Robert Gernhardt in seiner Weihnachtssatire „Die Falle“ im Jahre 1977 bereits ins Stammbuch geschrieben: „Stimmt das, Thomas, daß du in der Schule oft ungehorsam bist und den Lehrern widersprichst?“ „Ja“, sagte Thomas kleinlaut. „So ist es richtig“, sagte der Weihnachtsmann. „Nur dumme Kinder glauben alles, was ihnen die Lehrer erzählen.“ Mit adventlichen Grüßen Tony C. Schwarz 3. Leserbrief Schon wieder muss ich schreiben: DANKE DANKE DANKE! Dieser Herr Precht, so hervorragend analysiert wie von Jens Berger, das ist Klasse! Mich wiederzufinden in den Nachdenkzeiten ist mir einfach unentbehrlich, denn teils wird es einsam beim Wunsch nach Meinungsaustausch. Diese Woche wurde ich zweimal von Polizeistreifen kontrolliert: Einmal rief mir eine Streife aus ihrem Wagen zu “Maske” mit wilden Gesten, obwohl um mich herum weit und breit kaum Leute waren (breite Geschäfts-/Verkehrsstraße mit Maskengebot) Rote-Ampel-Nacht-Syndrom. Heute gab es ein Bußgeld: Radfahren auf einem kleinen Abschnitt ca. 7 m Fußweg parallel zu einem Parkplatz. Kein einziger Fußgänger.Bußgeld aus Prinzip und weil jetzt im Kontrollrausch alles bestraft wird. Eine Freundin: Bußgeld, das Licht am (älteren) Rad reichte nicht, noch kein LED. Jetzt wird scheints jeder “rundgemacht” bei der kleinsten Abweichung. Noch zu erwähnen zu der kürzlichen Diskussion: Der Umfang der Berichte über Corona ist genau richtig und aufgrund der Tragweite von überragender Bedeutung! Nicht nachlassen, wir brauchen die Nachdenkseiten! Beste Grüße von einer dysfunktionalen Staatsbürgerin (70 J.) Brigitte Stephan, Kiel. 4. Leserbrief Lieber Herr Berger, ganz herzlichen Dank für diesen aufklärerischen Artikel über Precht! Ich konnte das mit der Ampel nicht fassen. Precht ist offensichtlich ein schrecklicher Konformist und armseliger Untertan. Und er ist ein Beispiel dafür, warum ich schon lange meine Achtung vor dem Bildungsbürgertum bzw. Intellektuellen verloren habe. Ich bin auf dem Dorf in einem kleinbürgerlichen Umfeld aufgewachsen und empfand die Universität deshalb als eine Befreiung von kleinbürgerlicher Enge und ebend dieser Untertanengesinnung. Und stand dem bildungsbürgerlichen Milieu mit einer gewissen Ehrfurcht gegenüber. Diese ist mir allerdings inzwischen abhanden gekommen. Heute weiß ich, dass das Bildungsbürgertum genauso konfomistisch und opportunistisch ist wie das Kleinbürgertum – es verkauft seinen Konformismus nur eleganter. Mit den besten Grüßen Udo Brandes 5. Leserbrief Geehrtes NDS-Team, Zum ersten Mal seit dem ich treu NDS lese, ging ein leichter Ruck durch mich durch und das erste was mir durch den Kopf ging war die Sache mit dem Steine werfen und der Unschuld. Ich verstehe den Artikel in seinen Grundgedanken, schlecht finde ich die Umsetzung und die Intensität mit der auf Precht gezeigt wird. Wenn man sucht, findet man auch – so werden die NDS sicher viele Menschen aus den öffentlichen Raum finden, die in der Vergangenheit falsche Voraussagen zu Covid-19 getroffen haben und heute anders darüber denken. Ist das schlecht? Nein, man soll bitte die Freiheit haben seine Meinung aufgrund neuer Sachlage und Informationen revidieren dürfen ohne dabei auf den Scheiterhaufen gestellt zu werden. Die Aussagen Prechts kann ich teilweise nachvollziehen und ich finde, er hätte seine Aussage eindeutiger erörtern müssen. Ein ganz pragmatisches, einfaches Beispiel, wie ich Precht verstanden habe: Ich lebe in einem Mehrfamilienhaus in BW, Bodenseekreis. Wir sind hier angehalten den Müll zu trennen, brav den Sperrmüll zur Abholung anzumelden usw., ganz banal eigentlich. Der Prozentsatz derer, denen dies so richtig scheißegal ist, liegt ebenfalls bei 15-20%. Diese Menschen legen die Auflagen und Verordnungen des Kreises nach ihren Regeln aus, hauptsächlich aus Gemütlichkeit, Ignoranz und Selbstsucht. Ich stimme daher Precht zu, dass der Einzelne sich nicht die Gesetze und Verordnungen auslegen kann – NDS legen das aber als Befürwortung einer Diktatur oder totalitären Staates aus; völlig übertrieben! Vielmehr scheint die NDS mit dem Artikel dieses Gefühl selbst zu erzeugen: hier wird ein einzelner auf den Pranger gestellt und durch den Fleischwolf gezogen, weil er anderer Meinung ist. Und, ich bekomme das Gefühl die NDS denke die Wahrheit für sich allein gepachtet zu haben. Mein Vorschlag wäre es diese klugen Leute an sich zu binden, mit ihnen ins Gespräch zu kommen – es sind kluge Leute mit vielen tollen Ideen. Eines Tages, wenn wir „die Revolution“ umsetzen, werden wir solche Leute wie Precht, Hagen Rether, Volker Pispers, von Wagner, Uthoff und andere brauchen :-) Machen Sie weiter – bitte! Beste Grüße Zeljko Krecelj 6. Leserbrief Sehr geehrte Damen und Herren, für mich sind Sie, die Nachdenkseiten seit langem eine verlässlichen Informationsquelle, in einer sensationslüsternen, obrigkeitskonformen Gesellschaft… Herzlichen Dank, Jens Berger für einen weiteren, absolut brillanten Beitrag. Dazu erlaube ich mir eine, vielleicht etwas spröd-satirische Bemerkung: Herr Precht steckt offenbar seit langem, sehr tief im Allerwertesten des medialen Mainstream- Systems… „Gestatten, Precht…Propagandaphilosoph… als allzeit überschätzter Helfershelfer, passe ich mich, immer flexibel an den jeweiligen Zeitgeist an. Meine Stärke: Arroganz und Ignoranz …meine Schwäche, wenn ich überhaupt eine habe…dann die Phantasielosigkeit. Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern… Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Basta…“ Mit lieben Grüßen aus der Pfalz Jerschel W. Hensel 7. Leserbrief Liebes NDS-Team, Precht wurde ja als Nachfolger für das Philosophische Quartett eingesetzt. Dort zeigte man, wie man sich durch echten (!) Dialog der Wahrheit nähern kann. Auch das gehört zur Strategie, dass jetzt eine einzelne Stimme die „Staatswahrheit“ diktatorisch der Öffentlichkeit als Philosophie verkauft. Mit den besten Grüßen von Ihrem Leser I.D. 8. Leserbrief Guten Tag Herr Berger, ich warte nachts vor einer roten Ampel. Aber ich nehme _freiwillig_ mit einem Auto am Verkehr teil. Und ich möchte bitteschön bei Grün durchfahren können. Lustigerweise wird so eine Ampel meist auch wieder grün, auch wenn es sicherer wäre, alle Ampeln immer auf rot zu stellen. Damit könnte man das unnötige Risiko ganz ausschalten. Aber das werden wir auch noch entdecken. Mein Vertrag mit der Verkehrsbehörde ist, ich halte mich an Vorschriften und sie hat mich dafür vor Risiken zu beschützen. Viele Ampeln werden nachts abgeschaltet. Darauf könnte man hinwirken. Herr Precht ist schon immer eine Inszenierung. Er braucht sein Publikum. Hier hat er wieder eins gefunden. Auch Sie bieten ihm eine gute Bühne. Er sieht sich einfach als Gegenmeinung der Gegenmeinung. Verstanden? Mit freundlichen Grüßen A.Hellmann 9. Leserbrief Lieber Herr Berger Die rote Ampel Nachts kenne ich zur Genüge. Ich überzeuge mich ob jemand gefährdet, sprich da ist und fahre weiter, denn da ist ja niemand. Ich zahle nicht für ein Blitzfoto, ohne jede Vorlage für eine Gefährdung für Andere. Wenn ich in der Wüste auf eine Schlange treffe, stelle ich mich nicht hinten an, sondern gehe ihr aus dem Weg, denn sie könnte giftig sein, oder gerade schlechte Laune haben. Wenn eine Mutter ihrem Kind sagt, fasse nicht die glühende Herdplatte an, passieren zwei Dinge. Entweder das Kind hat genug Verstand und glaubt der Mutter, oder macht seine eigene Erfahrung. Manche Kinder glauben, gut ich hab mir schon drei mal die Pfoten verbrannt, aber das muß ja nicht beim vierten Mal so sein. Oder Mutter wird schon da sein, um auf mich aufzupassen. Ohne Bildung, kein Verstand, damit keine Vernunft und nur aus Erfahrung wird man klug, aber nur wenn Bildung zu Verstand und Vernunft führt. Damit dreht sich das Kind Bürgerlein stets im Kreis und wartet, was Mutter erlaubt und was nicht. „Wir dürfen denken, was wir wollen, aber als Staatsbürger haben wir zu funktionieren“ Keine Bildung, keine Meinung, keine Selbstständigkeit. “Haben wir nichts aus unserer Geschichte gelernt?” Wieso, was kann ich mir dafür kaufen ?! Wir spielen Kaufen und Verkaufen, wie kleine Kinder. Das Leben hat welchen Preis? Die Gesundheit ist unbezahlbar? Was für einen Sinn macht irgendeine Währung? Wer hat überhaupt mal was dazu gelernt? Niemand, auch Sie nicht, denn wir spielen weiter Kaufen, Verkaufen und der Erde droht der Ausverkauf. “Wer ist zufrieden!” Wohlhabende und Reiche. Und der Rest? Die im Dunkeln sieht keiner, denn sie sorgen für den Reichtum. Haben keine Zeit, Geld für Bildung. Auch Sie merken immer noch nichts, wo der Fehler das Problem liegt. Hauptsache Sie leben gut nicht wahr. “Wenn Wahlen irgendwas verändern würden, dann wären sie doch schon längst verboten.” Das ist Fakt, doch wer hat es wirklich begriffen? “Demokratie ist der Wille des Volkes. Jeden Morgen lese ich überrascht in der Zeitung was ich jetzt wieder will.” Der Bürger das Kind braucht Bildung, stattdessen braucht es mangels Alternative eine Mutter. So stirbt die eigenverantwortliche Selbstständigkeit aus, da von Mutter unerwünscht. Die Medien, Duckmäuser wie Mitläufer wollen hirnlos Mutter spielen, sind aber selbst das dumme Kind, deren “Meinungen” sind wie ein Blatt am Baum. Je nach Windrichtung läßt man sich biegen, treiben. “Der einzige Fachkräfte-Mangel, den wir hier im Land haben, ist der in der Regierung.” Als man erkannte, man kann es nicht jeden und niemanden Recht machen, übernahm man die “Führung”. Das Mutter Kind Prinzip, in einer persönlichen “Interessen Vertretung”. Jedem das Seine, doch mir am Meisten. “Wenn wir noch mehr solche Siege feiern, brauchen wir uns um unseren Untergang keine Sorgen mehr machen.” Krieg gegen Covid 19. Wir gewinnen, das ich keine Frage. Nur wie hoch wird der Preis sein? Och wem jucken Millionen tote Arme, Helden des Alltags die irgendwie schon klar kommen usw .. “Schatz ist der Braten fertig, mein Armani Hemd gebügelt und welchen Wein trinken wir zum Essen. Ist mein Ferrari aufgetankt. Wohin fliegen wir in den Urlaub, Toskana, Karibik, Australien .. ” “Der Worte sind genug gewechselt, ich will jetzt auch mal Taten sehen.” (Goethe) Hier liegt das Problem, die Ursache, Auswirkung, Folgen. Sehen nur nicht jene, denen es zu gut geht. Denen es schlecht geht, haben keine Zeit, kein Laptop, kein Internet, kein Fernseher. Sie kämpfen nur am Rande um ihr jämmerliches Überleben. Aber wozu?! Hoffnung auf bessere Zeiten, die aber nicht mehr kommen. Die Armen werden ärmer, die Reichen immer reicher und die Wohlhabenden spielen Mitläufer, Duckmäuser, Arschkriecher. Wer will schon auf seinen Braten, Wein, Armani Hemd verzichten? (Ich habe nichts von alle dem. Nicht mal ein Laptop mit Internet und Webcam. Das interessiert Sie & Co nicht wirklich.) Wann haben Sie Herr Berger, Leser & Co das letzte Mal wirklich das “Internet” gelesen? Egal welche Seite, sehen Sie sich nur die Überschriften zu den Ausführungen (Artikel) an. Nicht draufklicken und lesen. Was fällt Ihnen auf? Richtig .. blah .. blah .. blubber. Nichts für ungut, ich bin arm, krank und allein. Ich habe trotz gesetzlicher Krankenversicherung, keine brauchbare medizinische Versorgung. Wer hilft mir, den anderen Millionen? NIEMAND. Sie haben Null Ahnung, wie Ihre kleine private Welt allein Grausamkeit und Elend verursacht. Schuld sind immer nur die Anderen wie?! Was soll die Regierung tun, wozu Sie sich selbst, die Wohlhabenden nicht mal bequemen wollen? Übrigens, wer im Glashaus seines Wohlstandes sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Die “Hackordnung” geht von oben nach unten. Sind die Armen, der dumme Bürger weg, wer übernimmt dann die Arschkarte? Richtig, die Wohlhabenden. Dieser neue “Genuß” kommt demnächst, denn die Massenimpfung wird ein “voller Erfolg”. Wetten das?! Mit freundlichen Grüßen Freddy B. 10. Leserbrief Liebe NDS-Redaktion, ändern sich nachts die Regeln? Muss man dann nicht mehr vor roten Ampeln halten – oder sollte man das aus grundsätzlichen Erwägungen doch tun? Das Recht setzt unserem Handeln Grenzen, die wir achten müssen, um gesellschaftliches Zusammenleben zu ermöglichen. Ich muss mir nämlich vorstellen, dass das was ich tue, alle tun. Oder anders herum: Das, was ich von allen anderen erwarte, muss auch für mich gelten. Was passiert, wenn ich mir das Recht herausnehme, dass ich Gesetze außer Kraft setzen kann, wenn ich sie für falsch oder unsinnig halte? Wenn ich das für mich fordere, ist es ja eigentlich selbstverständlich, dass dann jeder andere das für sich fordern kann. Und nachdem ich für mich fordere, dass ich sie nach meinen Maßstäben außer Kraft setzen kann, kann jeder andere fordern, dass er sie nach seinen Maßstäben außer Kraft setzen kann. Und was dem einen die Eule, ist dem anderen die Nachtigall. Hier beginnt es dann problematisch zu werden. Und deshalb bin ich der Meinung, man sollte auch nachts vor roten Ampeln stehen bleiben. Außerdem sind wir treue Staatsbürger, die zumeist ohne darüber nachzudenken, täglich dem Imperativ der Märkte folgen. Und wir haben (in der Pandemie) jede Menge Erste-Welt-Luxusproblemchen, die die Dritte Welt gar nicht kennt. Gute Nacht allerseits Michael Wrazidlo 11. Leserbrief Lieber Jens Berger, danke dass Sie sich so tapfer das Geschwafel von Herrn Precht angehört haben. Mir sind seine geistigen Absonderungen seit seiner Werbung für sein Buch „Anna, die Schule und der liebe Gott“ unerträglich geworden. Ich habe Verständnis dafür, dass seine finanzielle Existenz schlicht darauf beruht, dass er prominent ist. Dies macht ihn m. E. mit den selbstgebackenen B- und C-Promis des Unterhaltungsfernsehens gemein. Dass der Mann sich jedoch anmaßt, über anspruchsvolle Themen wie Bildung und Staatsbürgertugenden zu schwadronieren, ist einfach nur ärgerlich. Das ein Mensch, der ernsthaft fordert, dass in Schulen „social skills“ wie Chuzpe gelehrt werden sollen, überhaupt noch in Talkshows eingeladen wird, sehe ich bereits als Verfall von Bildung an. Grüße Hermann Jahns, Ilsede 12. Leserbrief Liebes Leserbriefteam, lieber Herr Berger, da haben Sie ja ein schönes Fass aufgemacht: Rote Ampeln, Gehorsam und brave Staatsbürger, gepredigt von dem Salon-Philosophen Richard David Precht, der seine Bekanntheit durch sein 1. Buch „Wer bin ich und wenn ja wie viele?“ erlangt hat. Und das wars dann auch, für mich. Seither gehe ich ihm aus dem Weg. Ein Philosoph sollte auch schweigen können und das kann dieser einfach nicht. Geschwätzig und selbstverliebt. Ja. Und dann die rote Ampel. Also: Mit dem Auto würde ich auch nachts an einer roten Ampel stehen bleiben – man weiß ja nie ob irgendwo die Polizei steht. Rote Ampel, die auch nachts „überfahren“ wurde, kostete die Bischöfin Margot Käsmann ihr Amt, wenn ich mich richtig erinnere. Über eine Fußgängerampel würde ich aber gehen – nicht nur nachts, auch über Tag, wenn ich alleine da stehe und warte. Ich bin eine der Mütter, die ihre Kinder eher „unerzogen“ haben, also so wie Sie von Ihren Lehrern schreiben. Jetzt fangen meine Töchter an das besser zu verstehen – diese Unerzogenheit, weil sie auch merken, dass diese Erziehung richtig gesund ist für die Seele, den Geist und den Körper. Precht versteht das nicht! Seien wir dann philosophisch und lassen ihn tratschen. Dass er wieder einen sog. Spiegelbestseller geschrieben hat, liegt nicht an der Qualität, sondern an dem niedrigen, kollektiven Bewusstsein, das Precht bedient. Gedankliche, philosophische Höhenflüge liegen ihm nicht. Muss man aber, finde ich, wie Ralph Waldo Emerson das mit seinem Buch” Binde deinen Wagen an die Sterne“ gemacht hat, dann macht Philosophie Freude, sie erzieht nicht, sie lässt wachsen unter einer behutsamen, liebevollen Elternaufsicht und tut schließlich allen Beteiligten gut. Beste Grüße Karola Schramm 13. Leserbrief Sehr geehrter Herr Berger, liebe NDS, “…als Staatsbürger haben wir zu funktionieren” (Precht). Ich stimme dem prinzipiell zu, aber dann sollte auch der Staat funktionieren. Wenn er versagt, kann er unter Umständen sogar von “funktionierenden” Bürgern gerettet werden. Aber in der heutigen Zeit, in der das Individuum über dem Kollektiv steht, darf sich ein Staat, der an vielen Baustellen als Versager erscheint, und der Vertrauen verspielt, nicht wundern, wenn er kritische Bürger “verliert”, indem diese sich von ihm abwenden. “…wohin es führen kann, wenn es zu viele Mitläufer und Duckmäuser gibt” (Berger). Die Masse (nicht zu verwechseln mit dem Kollektiv) läuft immer mit, heute, gestern, morgen. Deshalb ist sie “die Masse”. Und wenn das eine Anspielung auf die NS-Zeit sein soll: “Duckmäuser” ist leicht gesagt, wenn man selbst nicht in einem Terrorstaat lebt. A propos: Ein sanfter Totalitarismus, scheint mir, macht sich bei uns breit. So wie es keine Kritik an der Flüchtlingspolitik (“Willkommenskultur”) geben durfte, so darf es keine Kritik an der Corona-Politik geben. “Sein Fazit: „Wir dürfen über Corona denken, was wir wollen, aber als Staatsbürger haben wir zu funktionieren“. Wer also Kritik an den Maßnahmen übt, ist für Precht ein dysfunktionaler Staatsbürger” (Berger). Nein, das stimmt so nicht. Man kann ja gleichzeitig Kritik üben und funktionieren. “Hat das ehemalige Land der Dichter und Denker nicht Besseres zu bieten?” (Berger) Nein, ich glaube nicht. Wir befinden uns auf einem absteigenden Ast. Und Ihren Ekel vor angepasster BRD-Vorzeigeprominenz kann ich nachvollziehen. Allerdings ist mein (Vor-)Urteil gegenüber Herrn Precht milder geworden: Ich schlage vor, die Nachdenkseiten machen ein Interview mit ihm. Grüße Philipp S. Fricke, Kiel 14. Leserbrief Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Herr Berger, ich bin regelmäßiger Leser der Nachdenkseiten und für mich sind die “highlights” die durchdachten, gut recherchierten und mit Fakten belegten Artikel von Herrn Berger. Der Beitrag zu Herrn Precht “Der Staatsphilosoph vor der roten Ampel” kann daher eigentlich nicht von Herrn Berger stammen, so entscheidend weicht er von seinem sehr hohen Niveau ab. Es geht los mit dem Zitat von Herrn Precht: „Wir dürfen denken, was wir wollen, …“ – … das von Herrn Berger interpretiert wird als: “Hört auf, selbstständig zu denken, …” Es erübrigt sich auf den offensichtlichen Widerspruch hinzuweisen. Dann kommt ein zweites längeres Zitat von Herrn Precht zu der “rote Ampel-Problematik”, in der u.a. dieser Satz enthalten ist: “Persönlich können Sie denken, die Ampel ist sinnlos.” Herr Berger interpretiert das Zitat so: “Wer also Kritik an den Maßnahmen übt, ist für Precht ein dysfunktionaler Staatsbürger.” Nein, gerade das sagt Precht nicht. Precht weist unmissverständlich darauf hin, dass wir über Regeln denken können, was wir wollen. Es ist auch relativ klar, dass Precht meint, wir können uns an der Diskussion der Gestaltung oder Sinnhaftigkeit von Regeln beteiligen, aber wenn die Regierung entschieden hat, sind sie für alle verbindlich. Wenn wir miteinander über Rechte und Pflichten von Staatsbürgern diskutieren wollen, müssen wir zumindest einen ernstgemeinten Versuch machen, unser Gegenüber zu verstehen. Und es wird noch schlimmer: mit Ausdrücken wie “der Herr Philosoph”, “Claqueur der Mehrheitsmeinung”, “Großmeister der intellektuellen Flexibilität”, “Talkshow-Philosoph”, “Dampfplauderer” und Bemerkungen zu seinem Äußeren wird ein Kübel von Häme über Herrn Precht ausgegossen. Mein Gott, warum der Hass? Warum pflegen (wir) Linke(n) vor allem Feindbilder in den eigenen Reihen, statt zum Beispiel die Corona-Einlassungen von Rechten wie Herrn Sinn (mit gut begründeten Fakten) zu kritisieren? Nochmals, ich bewunder Herrn Berger für seine hervorragenden Artikel. Bitte mehr davon, aber nicht so etwas. Im übrigen: Beide (Herr Berger und Herr Precht) haben m.M.n. recht. Herr Precht würde sicher auch zustimmen, dass es Regeln gibt, an die man sich nicht halten muss/darf, nämlich solche die gegen die Menschenrechte verstoßen. Ich unterstelle aber mal, dass er die mit seinen Zitaten nicht meinte, sondern die Maskenpflicht, etc. Mit freundlichen Grüßen und schon einmal eine schöne erholsame Weihnachtszeit Rolf Gerdes 15. Leserbrief Lieber Herr Berger, vielen Dank für Ihren Artikel, dem ich vollständig zustimme! Meine Meinung zu diesem Herren: Philosophischen Tiefgang habe ich bisher nicht erkennen können. Nun ja, Platon sagte ja in der Politea, dass man als Philosoph nicht auftreten soll, bevor man 50 Jahre ist. Bei manchen, so scheint es, ist auch das noch lange nicht hinreichend. Das passt übrigens auch zu dem massiv gesunkenen Niveau des Bildungsanspruchs unserer Medien. Mich schauderts. Fast wehmütig denke ich an frühere Zeiten, in denen Sendungen mit anspruchsvollen Gesprächen mit philosophisch begabten Menschen produziert wurden, nur ein Beispiel: https://www.youtube.com/watch?v=J9SyTEUi6Kw Herzliche Grüße T.M. 16. Leserbrief Lieber Jens Berger, Ihr Artikel über den „Dampfplauderer“ Precht ist wunderbar. Ich sah und sehe den Herrn genau so – nur kann ich’s leider nicht so toll formulieren. Sie sind ein Journalist der Extraklasse. Kompliment. Herzliche Grüße Gerhard Hofmann 17. Leserbrief Sehr geehrter Herr Berger, Ich mache es kurz: Ein sehr, sehr schöner Artikel. Treffender ist der Ungeist vieler Intellektueller in der Causa Corona kaum zu beschreiben. — mit freundlichen Grüßen Hans-Joachim Zeller 18. Leserbrief Liebes NDS-Team, in solchen großen Krisen zeigt sich am besten wer nur eine kontrollierte außenparlamentarische Opposition ist und wer echte außenparlamentarische Opposition ist. In dieser Krise hat es sich gezeigt, dass Richard David Precht und Tilo Jung nicht zur echten außenparlamentarischen Opposition gehören und das Prinzip Teile-und-Herrsche ebenso praktizieren wie die Regierung und Großteil der Medien. Beide wollen wohl weiterhin im öffentlich-rechtlichen Rundfunk auftreten. Da muss man halt autoritätshörig jeden der die Autoritäten oder besser gesagt die Machenschaften der Autoritäten hinterfragt verunglimpfen und niedermachen. Ganz klassisch bei den Pseudolinken: Links blinken, aber nach rechts abfahren. Mit freundlichen Grüßen E 19. Leserbrief Sehr geehrter Herr Berger, zunächst zu meinem Hintergrund. Auch ich bin ein Kind der 70er Jahre und habe ebenfalls das Buch “Der Untertan” von Heinrich Mann in der Schule konsumieren dürfen. In meinem Geschichte-Leistungskurs wurde ausführlich darüber gesprochen, wie das Dritte Reich entstehen konnte und mit welchen wirtschaftlichen Maßnahmen der 2. Weltkrieg seitens des Dritten Reiches vorbereitet wurde. Weiterhin bin ich Vater von zwei kleinen Kindern, 4 Jahre und 15 Monate. Nun zu meiner Kritik: In ihrem Artikel kritisieren Sie für mein Dafürhalten in zumeist polemischer Weise den “Claquer der Mehrheitsmeinung” und “Staatsphilosophen” Richard David Precht. Einen ernsthaften Hintergrund für Ihren Debattenbeitrag Ihrerseits kann ich beim besten Willen nicht erkennen. Bereits die Ouvertüre ist von Ihnen misslungen. Precht sagt im zitierten Interview “halbwegs zu funktionieren”. Richtig ist, dass er im März 2020 in dem verlinkten Interview das Corona-Virus relativ harmlos eingeschätzt hat und für sich nicht als bedrohlich empfunden hat. Das war allerdings am 10.03.2020. Damals war der Kenntnisstand über das Corona-Virus jenseits der Naturwissenschaften noch recht vage. Oder verfügten Sie bereits über detaillierte wissenschaftliche Kenntnisse über das Corona-Virus und der Mortalität in den jeweiligen Alterskohorten? Er sagte aber im gleichen Interview: “Die Politik muss vom schwächsten Glied ausgehen”. Diese Haltung ist grundsätzlich nicht zu kritisieren. Außer Sie sind der Meinung, dass das Leben der Älteren weniger wert ist. Dann verlassen Sie den Boden des Grundgesetzes. Ob wir den zweiten Lockdown bezahlen können bzw. welche politischen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen er haben wird, wird sich noch herausstellen. Jeder Mensch darf sich im Übrigen auch mal irren. Keiner hat das Recht auf die absolute Weisheit. Auf einen anderen Aspekt im Interview mit dem Handelsblatt weisen Sie jedoch nicht hin. Die “größte Enttäuschung der ganzen Seuche” ist in Prechts Augen die Slow-Motion Politik der Grünen. Anstatt “jetzt ganz konkret für einen großen Umbau zu mehr Nachhaltigkeit einzustehen”, kämen von Seiten der Oppositionspartei lediglich seichte Vorschläge. Im Interview weist er ein weiteres Mal darauf hin, wie wichtig eine Politik der Nachhaltigkeit wäre, da die mit dem Klimawandel einhergehenden Katastrophen Corona bei weitem übertreffen werden, wenn wir unsere Wirtschaftsweise nicht augenblicklich radikal überdenken und in andere Bahnen lenken. Das passt allerdings nicht zu Ihrer Rhetorik des sozialreaktionären schwarz-grünen Staatsphilosophen. Richtig ist, dass er bei der Bundestagswahl 1983 die Grünen gewählt hat. Das hat er in mehreren Interviews bestätigt. Ob er das heute noch tut, darf bezweifelt werden. Dass Herr Precht ein Staatsphilosoph ist, kann ich beim besten Willen nicht erkennen. Vor wenigen Monaten (19.08.2020) hat er bei einem Interview Frau Maischberger ordentlich abgewatscht. Hier der Link: https://www.youtube.com/watch?v=la5qvwE_k6k Weiterhin passt ihnen nicht seine Meinung zum Grundeinkommen. Sie vertreten die Meinung von Prof. Christoph Butterwegge. Das dürfen Sie natürlich. Schließlich herrscht Meinungsfreiheit. Allerdings kann ich bei Herrn Precht kein Sozialdarwinismus erkennen. In einer westlichen Gesellschaft, in der Sie und ich leben, müssen Sie als Eltern den hohen Anforderungen, die heutzutage an die Kindererziehung gestellt werden, erstmal gerecht werden. Natürlich können Sie die Kinderzahl nicht staatlich begrenzen. Auch dann verlassen den Boden des Grundgesetzes, aber Sie können als Staat selbstverständlich mit Maßnahmen Lenkungswirkung entfalten. Zum guten Schluss: Sie dürfen gerne mal versuchen nachts über eine rote Ampel fahren. Ein Bekannter von mir hat Ihre Aufforderung schon vor über 25 Jahren umgesetzt. Er stand gegen 3.30 Uhr morgens vor einer roten Ampel im ländlichen Raum und es war weit und breit kein Auto zu sehen. Nur im Rückspiegel blitzten weit entfernt zwei kleine Lichter. Er fuhr los. Die zwei kleinen Lichter gehörten zu einem Streifenwagen. Ende der Fahrt. Mit freundlichen Grüßen Frank Schlotmann 20. Leserbrief Als Kantianer muss man sich anscheinend in Regularien fügen, die Gesellschaft bzw. Staat dienlich sind. Der Nietzscheaner würde ersteren fragen, ob man an die grüne Ampel besonders langsam heranfährt, da sie ja auf rot springen könnte; oder ob man besser ein bisschen aufs Gas tritt; oder ob man beim Sprung auf gelb eine Vollbremsung hinlegen sollte – und einen Auffahrunfall provoziert. Lassen wir R.D. Precht mit “seinen schönen Haaren” doch einfach an der roten Ampel stehen, bis der Staat nach zähem Abwarten was die Meinungsumfragen sagen, einseitig beraten von ausgewählten Wissenschaftlern, in Abwägung mit einschlägigen Lobbyisten, und im Sinne neoliberaler Verträumtheiten (und zudem gerne am Parlament vorbei) beschließt die Farbe zu wechseln. Macht mich das zum Querdenker? Nein! Es nervt mich die strikte Schwarz-Weiß-Kategorisierung, die hier auch Herr Precht abverlangt, und damit jedes Hinterfragen zu unterbinden versucht. Und zu Hinterfragen gibt es in diesem Land sehr sehr viel! Es grüßt Christof Adler 21. Leserbrief Sehr geehrter Herr Berger, ich teile die sachliche Kritik an den Äußerungen von Hrn. Precht zu Corona. Was ich nicht gut finde, ist die doch sehr spürbare persönliche Aversion gegenüber der Person von Hrn. Precht. Es spielt keine Rolle ober er fesch ist, eine Popstar-Fassade oder die Haare schön hat. Mag das auch ganz flott rüberkommen, aber es entwertet die sachlichen Argumente. Mfg Johann Kaltenegger, Ingolstadt 22. Leserbrief Ich fall´ vom Glauben ab. Gerade gestern habe ich mich gefragt (wieso mir das einfiel, weiß ich nicht), ob sich besagter Philosoph auch unreflektiert positiv zur Impfung äußern würde. Wenn ja, würde ich, wie gesagt, vom Glauben oder sonst was abfallen. Nun heute der Hinweis auf seine Äußerung. Ich bin jetzt dabei, seine Bücher einzupacken, um sie zwecks Entsorgung an die Verlage zu schicken. Ich muß das tun, sonst platze ich oder bekomme einen Herzkoller. Ist das alles enttäuschend. Muß man sich so äußern, wenn man ein TV-Mann ist? Mir wird echt Bange vor der Zukunft. Danke auch für diesen Hinweis. Freundliche Grüße Renate Stuhr 23. Leserbrief Grüß’ Gott Herr Berger, Ihr Artikel zu Precht paßt wie Faust auf’s Auge – oder vice versa – zu dem Beitrag eines gewissen Roberto Simanowski, der sich in dem von mir recht gerne verfolgten Sendeformat Essay und Diskurs des DLF, Sonntags 9:30h, herbeiläßt, gewissermaßen den philosophischen Überbau des derzeitigen medialen Maintreams zu liefern und dabei kräftig in das Horn der Anhänger einer technokratischen, KI-ferngesteuerten, alternativlosen kognitiv-logischen Zukunftsvernunft zu tuten: https://www.deutschlandfunk.de/die-zukunft-des-menschen-das-versprechen-der-kuenstlichen.1184.de.html?dram:article_id=488967 Wenn ich Ihnen damit ein wenig Recherchearbeit erspart habe, sollte es mich freuen. Vielen Dank für Ihre Mühen und Arbeit Mit freundlichen Grüßen hth 24. Leserbrief Lieber Jens Berger   “Pin-Up-Philosoph der deutschen Talkshow-Prominenz” treffender kann man diesen Herrn nicht beschreiben. Wenn der Slotterdyk der Oberphilosoph der Neoliberalen war, so so ist dieser Herr der Ideologieonkel für die pseudoliberalen Grünlichen . Herr Precht stieß mir auf als er anfing das Laborfleisch zu propagieren (ohne Tiere, ohne Tierleid, ohne Massenhaltung ….) aber er vergaß ganz und gar zu erwähnen, daß dieses Laborfleisch auf embryonalen Kälberserum gezüchtet wird (und woher das wohl stammt ?).   Solidarisch   Armin Christ 25. Leserbrief Hallo NachDenkSeiten, in seinem Artikel “Der Staatsphilosoph vor der roten Ampel” fragt Jens Berger: “Hat das ehemalige Land der Dichter und Denker nicht Besseres zu bieten?” Doch, hat es: Eugen Drewermann, eine gute Stunde auf Youtube, unter anderem zu Corona: https://www.youtube.com/watch?v=qkalMUBjezo Wer von Drewermann und Precht die schöneren Haare hat, sei dahingestellt… Viele Grüße Alexander Roentgen
Redaktion
Unser Artikel Der Staatsphilosoph vor der roten Ampel beschäftigte auch viele unserer Leser. Offenbar polarisiert die Person Richard David Precht ungemein. Neben zahlreichen zustimmenden Zuschriften gibt es jedoch auch Kritik. Zusammengestellt von Jens Berger. 1. Leserbrief Kurz und einfach: irgendwie steckt tief in der deutschen Seele eben doch das "chinesische Modell". Ich wette, wenn ...
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[ "Leserbriefe" ]
22. Dezember 2020 10:10
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Leserbriefe zu Steinmeier
Ergänzungen zu “Steinmeier” und einem vergleichbaren Interview Steinbrücks mit der Süddeutschen. In den Mails unserer Leser gab es eine Reihe von weiterführenden Hinweisen. Danke vielmals. Ich gebe diese an Interessierte hiermit weiter. Albrecht Müller. 1. Anmerkung von A.T. Zu Steinmeiers Aussage: “Joschka Fischer und die Grünen haben rasch gelernt, wie wir in der Kosovo-Krise 1999 erlebt haben. Davon sind die Linken meilenweit entfernt, vor allem wegen ihrer beinahe nationalistischen Verengung.” Hier wirft Steinmeier den Linken eine nationalistische Verengung vor, ohne auch nur einen kritischen Gedanken an die zur Normalität gewordenen Einsätze der Bundeswehr im Ausland zu verschwenden. Ist dieses militärische Engagement nicht eher die Folge eines neuen Deutschlands, dass sich nach dem Epochenbruch 1989/90 auf ein neues nationalistisches Selbstbewusstsein stützt? Ein Deutschland, das nach der Auflösung der deutsch-deutschen Teilung, die direkte Folge von Auschwitz, zu einer lang ersehnten Normalität tendierte? War es nicht Gerhard Schröder, der mit der nationalsozialistischen Vergangenheit kein Wahrnehmungsproblem mehr hatte, der das Denkmal für die ermordeten Juden als Ort bezeichnete, „wo die Leute gern hingehen“? Anders als seine Vorgänger, konnte Schröder unbefangener reagieren und ein neues Selbstbewusstsein propagieren, das Deutschland in die Lage versetzen sollte, als souveräner Partner an den Verhandlungstischen der Weltmächte mitreden zu können. Das stieß vor allem bei den Opfern des Nationalsozialismus auf Vorbehalte, die sich darin äußerten, Deutschland könne mit dem Ende der DDR, die NS-Geschichte als abgeschlossen betrachten. Es wurde sehr schnell klar, dass die Möglichkeit einer Verdrängung der einen deutschen Geschichte durch die andere in Betracht gezogen würde. In den nachfolgenden Deutungen der Ereignisse, gemeint sind die Ausbrüche rechter Gewalt im Osten unmittelbar nach dem Fall der Mauer und das offenbar viel schnellere Ausbreiten des Rechtsextremismus auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, ließen oberflächlich betrachtet nur den einen Schluss von der Nähe des DDR-Systems zu dem des Nationalsozialismus zu. Die Totalitarismusthese erfuhr nunmehr eine Renaissance. Doch das merkwürdige an der Diskussion ist, dass vor 1989 die DDR als linker Totalitarismus bezeichnet wurde und nach der Einheit rückblickend nur noch von der Ähnlichkeit bzw. Gleichartigkeit zum Nazi-Regime gesprochen wurde. [1] Damit entzog man der DDR und vor allem ihren Bürgern den gesellschaftlichen Kern und allen anderen die Möglichkeit über eine gesellschaftliche Differenz überhaupt nachzudenken. Der Vergleich zwischen alter Bundesrepublik und der DDR wurde gar zu einem Tabu erklärt, da einer solchen Betrachtung die Anerkennung des DDR-Staates und der Gesellschaft vorausgehen müsste. „Tatsächlich werden die Ostdeutschen nur unter einer Bedingung vom Westen anerkannt: Sie müssen das Vergleichen zwischen der DDR und der Bundesrepublik unterlassen.“ [2] Auf der anderen Seite stand dem Vergleich zwischen der DDR und dem Nationalsozialismus auf der Basis des Diktaturenvergleichs nichts im Wege. Die neue Berliner Republik konnte sich daher mit dem neuen Bewusstsein schmücken, über zwei Diktaturen bzw. totalitäre Systeme hinweggekommen zu sein. [3] In dieser Konzeption avanciert der ganze DDR-Staat in der Wahrnehmung zu einem verbrecherischen Fehltritt der Geschichte, der zum einen diejenigen, die in ihm lebten, verunsichert bzw. mit dem Vorwurf konfrontiert, Teil eines Unrechtsstaates gewesen zu sein und die westdeutsche Gesellschaft gleichzeitig entlastet, wenn es darum geht, Aufarbeitung leisten zu müssen. „Die Bundesrepublik braucht die DDR, um sich über sie vom Nationalsozialismus abzustoßen.“ [4] Die nationalistische Verengung, wie sie Steinmeier den Linken vorwirft, ist dann wohl eher im eigenen Haus zu finden, basierend auf einer neuen deutschen Staatsraison, die unkritisch gegenüber der eigenen verhängnisvollen Geschichte ist. Das Bekenntnis zu Verbrechen und Schuld wird dabei in eine bloße Floskel transformiert, um diese im Fokus der innerdeutschen Auseinandersetzung für eine bloße Aufwertung der SED-Diktatur im Vergleich zu benutzen. Anmerkungen: [«1] Franziska Augstein: Deutschland. Nationalsozialismus und zweiter Weltkrieg – Berichte zur Gegenwart der Erinnerung, in: Volkhard Knigge und Norbert Frei (Hrsg.), Verbrechen erinnern – Die Auseinandersetzung mit Holocaust und Völkermord, München 2002, vgl., S.228 [«2] ebd. [«3] ebd. vgl., S.229 [«4] ebd. S.230 2. Zur 35-Stunden-Woche und angeblich schnellen Frühverrentung bei leichten Rückenbeschwerden 2a. U.E.: Ich habe gerade das Steinmeier-Interview mit Ihrer Kommentierung gelesen. Ich kann Ihnen da wirklich nur voll und ganz zustimmen! Das ist doch wirklich übel, wie dieser Mensch sich äußert. Am meisten in Wut geraten bin ich über diese Anmerkung Steinmeiers: “Damals gab es die 35-Stunden-Woche mit vollem Lohnausgleich, und bei leichten Rückenbeschwerden fand man einen Arzt, der einem die Papiere für die Frührente klarmachte.” Solch menschenverachtende Propaganda wie die mit den »leichten Rückenbeschwerden« ist man eigentlich nur von Westerwelle-Liberalen gewohnt, die den Sozialstaat am liebsten schon gestern privatisiert hatten. In welcher Weise sich Steinbrück da an jenen Menschen vergeht, die ihren Beruf mit körperlichen Leiden verließen, die sie dann durch den restlichen Ruhestand begleitet haben… also da fehlen mir wirklich die Worte bei so viel Menschenverachtung! Ich glaube, Herr Steinmeier ist sich wirklich nicht im Klaren darüber, was es bedeutet, wenn jemand nach einem langen Arbeitsleben mit gesundheitlichen Schäden bereits in Frührente muss. Nur so kann man sich auch erklären, warum dieser Mensch für einen späteren Renteneintritt ist. 2b. J.B.: mehr als dreist finde ich folgende Aussagen Steinmeiers: “Damals gab es die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich, und bei leichten Rückenbeschwerden fand man einen Arzt.” Ich würde es für sinnvoll erachten, diese Punkte in Ihre Analyse des Steinmeier-Interviews zu berücksichtigen. Kommentar AM: Ich habe die Kritik Steinmeiers an den Missbräuchen sozialer Leistungen in meinem Text vom 13.7. nicht aufgenommen, weil ich annehme, dass diese bösartige Kritik von Missbräuchen sozialer Leistungen nicht dauernd Bestand der Strategie der Meinungsbildung sein wird. Aber ich akzeptiere, dass unsere Leser dies anders sehen und dass man in der Tat sogar befürchten muss, dass diese plumpe Sozialstaats-Gegnerschaft auch in den Führungsetagen der SPD heimisch wird. Dass es Missbräuche sozialer Leistungen gibt, wussten wir auch schon vor Steinmeiers Tiraden. Aber viele Menschen werden eben zu Unrecht mit dem Verdacht des Missbrauchs behelligt. Das sieht er nicht. 3. G.R. mit dem Hinweis auf ein ähnliches Interview mit Steinbrück Herzlichen Dank für die Analyse zu dem Spiegel-Interview mit Herrn Steinmeier in dem heutigen Tagebucheintrag der Nachdenkseiten. Ich finde Ihre Analyse sehr treffend und erhellend. Es dürfte kein Zufall sein, dass ein Interview mit Herrn Steinbrück beinahe zeitgleich in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht wurde. (Leider offen nicht abrufbar, AM) Quelle 1: sueddeutsche.de (Finanzen) Quelle 2: sueddeutsche.de (Deutschland) Die Parallele der Grundaussagen beider Minister und zukünftigen Vorstände der SPD sind offensichtlich. Zwei Aussagen waren für mich besonders bemerkenswert. Zum einen “Die SPD steht in den Umfragen so schlecht da, weil ihre politische Körpersprache nicht intakt ist.” Was ist eine “politische Körpersprache”? Körpersprache hat meines Wissens sehr viel mit dem Unbewussten zu tun. War das Unterbewusstsein der SPD in den letzten Jahren gestört? Dann wäre sie ein Fall für die Couch. Zum anderen die Aussagen zu Oskar Lafontaine bzw. der Linkspartei: “Aber deshalb darf ich Ihnen [der Linkspartei, Anm.] doch nicht Recht geben, denn die falsche Botschaft wäre: Wenn Du die Zukunft gewinnen willst, musst Du in die Vergangenheit reisen.” Hier genau das, was Sie dankenswerterweise bereits zu dem Steinmeier Interview herausgearbeitet haben. Die SPD verleugnet ihre eigenen Leistungen in der Vergangenheit und redet sie schlecht. Für mich stellt sich die Frage: wie kommen solche Leute in der SPD in ein Ministeramt und womöglich in ein hohes Parteiamt? 4. R. H. zum Unterschied von „sozialer Gerechtigkeit“ und „sozialem Zusammenhalt“: Mir ist folgende Stelle aufgefallen: “Die SPD ist drei großen Zielen verpflichtet. Sie ist die Partei des Friedens, der Arbeit und des sozialen Zusammenhalts.” Steinmeier spricht nicht davon, dass die SPD die Partei der sozialen Gerechtigkeit sondern die Partei des sozialen Zusammenhalts sei. Dass dies ein bedeutsamer und qualitativer Unterschied ist (und dass ihm dies sicherlich nicht zufällig herausgerutscht ist), brauche ich Ihnen sicherlich nicht zu erläutern. Die Linke kann sich freuen. Kommentar AM: Ich fand das nicht so schlimm. Denn ohne mehr soziale Gerechtigkeit wird es auch keinen sozialen Zusammenhalt geben. Deshalb unterscheiden sich für mich diese beiden Ziele nicht so sehr. Aber dies ist kein Streitpunkt. 5. Harald Siepmann www.dervolkswirt.de Hallo, liebe Nachdenkseiten-Redaktion, die SPD-Spitze sucht verzweifelt die Öffentlichkeit. Erst Steinmeier im Spiegel, jetzt Steinbrück in der SZ. Das ganze Interview ist leider nicht online erhältlich. Einige Statements sind offensichtlicher Nonsens. So bezeichnet Steinbrück Hartz IV aus rein fiskalischem Gesichtspunkt als großartige Soziale Aufbauleistung. Was will er damit sagen? Oder ist das nur kalkuliertes Wortgeklingel? Weiterhin müßte die SPD die Erfolge durch die Agenda 2010 (?)offensiv verkaufen, statt sich dafür zu entschuldigen. Leider ist die Agenda 2010 aber kein Verkaufsschlager und wird auch keiner werden. Auf diesem Wege wird die SPD die Richtung ihrer holländischen Schwesterpartei einschlagen.
Albrecht Müller
Ergänzungen zu “Steinmeier” und einem vergleichbaren Interview Steinbrücks mit der Süddeutschen. In den Mails unserer Leser gab es eine Reihe von weiterführenden Hinweisen. Danke vielmals. Ich gebe diese an Interessierte hiermit weiter. Albrecht Müller. 1. Anmerkung von A.T. Zu Steinmeiers Aussage: “Joschka Fischer und die Grünen haben rasch gelernt, wie wir in der Kosovo-Krise 1999 ...
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16. Juli 2007 10:11
https://www.nachdenkseiten.de/?p=2488&share=email&nb=1
Rezension: „Alk“ Das klarste Buch über die trüben Aussichten der deutschen Sucht Nr. Eins: Alkoholismus
„Das wärmste Jäckchen ist das Konjäckchen“, so spricht der erfahrene Volksmund gern in unseren zunehmend zugigen Zeiten. Gemeint damit ist die zunächst verführerisch wohltuende Wirkung von Alkohol jeglicher Art auf die menschliche Seele. Die Sorgen von Männern und Frauen um ihre Zukunft sind groß, die unsichere Perspektive, wie alles weiter gehen soll im Beruf, in der Familie, mit der Welt insgesamt – sie zerren beträchtlich an den Nerven. Wohin aber mit diesen quälenden Gedanken, mit der Angst im Bauch, mit dem Gefühl eigener Unzulänglichkeit? Eine Besprechung des Buches „Alk. Fast ein medizinisches Sachbuch“ von Simon Borowiak von Marianne Bäumler Überforderung, wohin das Auge blickt, allerdings möglichst vertuscht, um bloß nicht blöd aufzufallen in der perfekten Hochglanzidylle unserer medialen Umfelder. Allüberall wird gestrahlt, was das Zeug hält, der Tempowahn hält uns in Atem, macht müde und unfroh. Sich möglichst nichts anmerken lassen, mit dieser latenten Resignation, bloß kein Gesichtsverlust, nach dem Motto: „der – oder zunehmend auch – die – ist nicht mehr belastbar.“ Was läge da näher als der Getränkediscount um die Ecke? „Ein Schlückchen in Ehren…“ Der Stoff ist billig, bezahlbar auch für die Armen und teuer, edler für die Reichen, in jedem Fall als Muntermacher oder Entspannungstrunk gesellschaftlich in allen Kreisen anerkannt. Denn die Frage lautet angesichts einer überwältigenden Statistik vom Pro-Kopf – Verbrauch und hohen medizinischen Folgekosten nicht: Wer verhält sich so asozial und trinkt laufend Alkohol, sondern vielleicht eher, wer trinkt (noch) nicht. Über alle unschönen Aspekte, über die weit verbreitete Lust an der legalen Betäubung, über die verheerenden Folgen, die dieser ätzende Stoff im Lauf der Zeit auf unsere inneren Organe ergießt, hat Simon Borowiak mit „ALK“ ein dennoch sehr lesenswertes, weil bis in die Körperchemie hinein informatives und dabei unglaublich unterhaltsames Buch geschrieben, das vor allem eines auszeichnet: es ist nie predigthaft, obwohl es dem Autor, der selbst eine Entzugstherapie mit Erfolg hinter sich bringen konnte, gar nicht anders als todernst zumute war. Selten habe ich bei der Lektüre über Sucht so viel gelacht. Mit diesem genialen Buch kriegt das ganze Thema legale Droge Alkohol trotz alledem so seine Beckett’ sche Tragikomik zurück, gerade wie Simon Borowiak all die phantasievollen Ausflüchte, die Lebenslügen, die panische Egozentrik von Alkoholabhängigen schildert, indem er deren Neigung, sich den eigenen Niedergang noch bohèmehaft schön zu trinken, in aller kuriosen Tragik auf den existenziellen Punkt schlimmsten Schadens bringt – echt sensationell. Damit kann er in der Tat etliche Abhängige erreichen, denn er nimmt sie ernst, ihre Beschämung und ihr Leiden, und: er belehrt sie überhaupt nicht. Die Einstiegsdrogen „bei alkoholisch durchtrainierten Kulturen wie der unsrigen“ sind Bier und Sekt. „Wenn Frau Kröger um 10 Uhr 30 mit den Worten ‚auf meine baldige Beförderung!’ im Großraumbüro eine Sektflasche entkorkt, ist das relativ unauffällig. Die Kollegen gratulieren, würgen erst ihren Sozialneid und dann den Sekt runter, und mit einem Pegel von 0,3 bis 0,8 sieht die Beförderung der dummen Kuh Kröger schon rosiger aus. Würde Frau Kröger um 10 Uhr 30 mit den Worten ‚auf meine baldige Beförderung!’ eine Flasche Doppelkorn aufschrauben, man würde sie relativ schief ansehen.“ Simon Borowiak schildert kenntnisreich manche Trickserei, wie die steigernde Alkohol-Abhängigkeit eine Weile vor den Angehörigen und in der Arbeitsstelle sich verheimlichen lässt, aber er zeigt auch: es gibt nichts zu beschönigen an der alltäglichen Zerstörungsmacht von Alkohol, und es ist im Grunde eine Schande, dass unser Markt – Staat mit all der offiziell erlaubten Reklame sich zynisch an diesem Big Deal in Form von Steuern cool beteiligt. Insofern handelt es sich um beim „Alk“ um die „Angebotsdroge“ schlechthin. Der schöne menschliche Körper – sinnvoll in seinem Aufbau, die Milliarden Zellen unserer Organe, der Haut, des schöpferischen Gehirns – all diese Potenzen gehen kaputt, erst allmählich, schließlich rasant. Die unheilvollen Trinkgewohnheiten von Familienvätern hat oft fürchterliche Gewalt zur Folge. Von dieser Bedrohtheit, von dieser Maßlosigkeit wissen etliche Kinder ein trauriges Lied zu singen. Und da hören dann die sarkastischen Formulierungen des Autors Borowiak auch wieder auf. Er zeigt, dass es konkrete Hilfe gibt, stationär „Entgiftungen“ möglich sind, die immer einher gehen sollten mit fundierter Psychotherapie, um sich endlich auch den verschütteten Ursachen zu widmen, damit ein Weiterleben ohne diese Volksdroge Nummer Eins möglich ist, er empfiehlt schwere Wege auch mit ambulanter Beratung und Selbsthilfegruppen, die konkrete Chancen bieten, die Sucht als solche zu erkennen, und aus ihr sich zu befreien. Simon Borowiak: Alk. Fast ein medizinisches Sachbuch. Heyne Verlag, 2014 Taschenbuch, 192 Seiten € 8,99
Wolfgang Lieb
„Das wärmste Jäckchen ist das Konjäckchen“, so spricht der erfahrene Volksmund gern in unseren zunehmend zugigen Zeiten. Gemeint damit ist die zunächst verführerisch wohltuende Wirkung von Alkohol jeglicher Art auf die menschliche Seele. Die Sorgen von Männern und Frauen um ihre Zukunft sind groß, die unsichere Perspektive, wie alles weiter gehen soll im Beruf, in der Familie, mit der Welt ins ...
[ "Drogen", "Perspektivlosigkeit" ]
[ "Gesundheitspolitik", "Rezensionen", "Wertedebatte" ]
15. April 2015 14:25
https://www.nachdenkseiten.de/?p=25736&share=email&nb=1
Globalisierung
Was die herrschenden neoliberalen Kräfte in der EU durch die Finanzkrisen sowie die Staats- und Bankenrettung zu Lasten der Steuerzahler nicht geschafft haben, könnte über das Freihandelsabkommen mit den USA (Transatlantic Trade and Investment Partnership TTIP) bittere Realität werden: Der Sozialstaat europäischer Prägung soll sturmreif geschossen werden. Damit scheint sich zu bestätigen, was der Präsident der Europäischen Zentralbank, der Italiener Mario Draghi erst kürzlich in mehreren Interviews deutlich gesagt hat, dass der Sozialstaat in Europa keine Zukunft mehr habe. Diese Abwärtsspirale ist längst in Gang gesetzt. In den EU Krisenländern müssen die Menschen für die finanziellen Rettungsoperationen rigorose Kürzungsauflagen bei Löhnen, Renten, Gesundheitsversorgung und sonstigen sozialen Maßnahmen hinnehmen. Auch in der Bundesrepublik sind spürbare Einschränkungen bei den steuerlichen Zuschüssen für die soziale Sicherheit und die öffentlichen Leistungen bereits eingeleitet. Von Ursula Engelen-Kefer.
NachDenkSeiten - Die kritische Website
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08. Juli 2014 9:11
https://www.nachdenkseiten.de/?cat=37&paged=13
Herrmann, Joachim
Die Beschlagnahmung von Corona-Gästelisten in Gaststätten durch die Polizei ist ein Vertrauensbruch. Auch wenn das Vorgehen durch die Strafprozessordnung gedeckt sein sollte: Es wurde im Vorfeld der Anordnungen ganz anders kommuniziert. Die Praxis bewegt sich in der Nähe der Vorratsdatenspeicherung und sie schwächt die wackelige Rechtfertigung für die ohnehin fragwürdigen Daten-Abfragen in Lokalen weiter. Von Tobias Riegel. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
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24. Juli 2020 14:00
https://www.nachdenkseiten.de/?tag=herrmann-joachim
Lügen mit Zahlen
„Hoher Anstieg der Arbeitskosten im 1. Quartal 2011: + 2,0% zum Vorquartal“, das war die Überschrift der gestrigen Pressmitteilung des Statistischen Bundesamtes und natürliche musste in dieser Meldung noch ein Superlativ folgen: „Das ist der zweithöchste Anstieg seit Beginn der Zeitreihen des Arbeitskostenindex im Jahr 1997.“ Solche Schlagzeilen, die dann erst im „Kleingedruckten“ relativiert werden und die letztlich nur eine geringe Aussagekraft für die Rentabilität der Produktion und für die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft haben, können eigentlich nur zwei Interessen bedienen: Sie sind Wasser auf die Mühlen der Bundesregierung, dass der „Aufschwung“ bei den Arbeitnehmern ankomme und sie liefern Munition für den Abwehrkampf der Arbeitgeberseite gegen Lohnerhöhungen und für die Senkung der sog. „Lohnnebenkosten“. Wolfgang Lieb
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10. Juni 2011 10:10
https://www.nachdenkseiten.de/?tag=luegen-mit-zahlen&paged=12
Unternehmensteuerreform: Rudolf Schöfberger rechnet seinen Genossen vor
Von 2004 bis 2006: Volkseinkommen: Zuwachs 4,83%. Arbeitnehmerentgelt: Zuwachs 0,71%. Unternehmens- und Vermögenseinkommen: Zuwachs 13,96%. Lohnquote: Abnahme 2,71%. Die Absenkung der Körperschaftssteuer würde diesen Trend noch weiter verstärken. München, den 27. April 2007 An meine geschätzten Genossinnen und Genossen Unternehmenssteuerreform Bei der anstehenden Unternehmenssteuerreform bitte ich folgende Daten des Statistischen Bundesamtes vom 22.02.2007 zu würdigen:           Die Absenkung des Körperschaftssteuersatzes von 25% auf 19% würde die Gewinne der Kapitalgesellschaften nach Steuern wesentlich erhöhen, damit wie gewohnt zu höheren Gewinnausschüttungen führen und letzten Endes den oben bezifferten Trend erheblich verstärken. Ich bitte um freundliche Mitteilung, was daran noch sozialdemokratisch sein soll. Im Übrigen wünsche ich allen SPD-Bundestagsabgeordneten, dass sie 2009 von denen gewählt werden, für die sie Politik gemacht haben. Euer Rudi Schöfberger
Wolfgang Lieb
Von 2004 bis 2006: Volkseinkommen: Zuwachs 4,83%. Arbeitnehmerentgelt: Zuwachs 0,71%. Unternehmens- und Vermögenseinkommen: Zuwachs 13,96%. Lohnquote: Abnahme 2,71%. Die Absenkung der Körperschaftssteuer würde diesen Trend noch weiter verstärken. München, den 27. April 2007 An meine geschätzten Genossinnen und Genossen Unternehmenssteuerreform Bei der anstehenden Unternehmensste ...
[ "Lohnentwicklung", "Lohnquote", "Unternehmenssteuer" ]
[ "Ökonomie", "Steuern und Abgaben", "Wichtige Wirtschaftsdaten" ]
27. April 2007 9:04
https://www.nachdenkseiten.de/?p=2295&share=email
Bundeskanzler ernennt Mitglieder der Mitbestimmungskommission – einseitig zu Gunsten der Arbeitgeber
Wenn SPD und Bundesregierung die Auseinandersetzungen mit der Linkspartei ernst nähmen, dann würden sie diese Auseinandersetzung inhaltlich führen. Dazu gehörte zunächst einmal, dass man die unter Beschuss der Arbeitgeber stehende Mitbestimmung verteidigt. Dazu würde weiter gehören, sichtbar zu machen, dass man den Arbeitnehmern nahe steht, jedenfalls nicht ferner als dem Arbeitgeberlager. Der Bundeskanzler demonstriert mit einer Pressemitteilung, dass er von einer solchen Überlegung nicht viel hält. Das beweist er schon damit, wen er in eine Kommission zur Modernisierung der deutschen Unternehmensmitbestimmung berufen hat. Ein Dokument der Einseitigkeit. Die Pressemitteilung ist unten komplett abgedruckt. Vorweg dazu und zur Besetzung der Kommission ein paar Anmerkungen: Mit einer solchen Besetzung wird der Bundeskanzler nachdenkliche Arbeitnehmer, Betriebsräte, Vertrauensleute und Gewerkschafter nicht beeindrucken. Und seine Partei, die SPD, in diesem Lager nicht stärken. Seltsam. Offenbar will er die Wahlen gar nicht gewinnen. Hier die offizielle Pressemitteilung: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung “REGIERUNGonline” – Wissen aus erster Hand Pressemitteilung Veröffentlicht am: 26.07.2005 Bundeskanzler ernennt Mitglieder der Mitbestimmungskommission Bundeskanzler Gerhard Schröder hat heute die Mitglieder der Kommission zur Modernisierung der deutschen Unternehmensmitbestimmung ernannt. Der ehemalige Ministerpräsident Prof. Dr. Kurt Biedenkopf übernimmt den Vorsitz. Die Mitbestimmung im Unternehmen ist ein Kernbestandteil der Sozialen Marktwirtschaft und der deutschen Unternehmenskultur. Sie steht nicht nur aufgrund der europäischen Entwicklungen vor erheblichen Herausforderungen. Auftrag der Kommission ist es daher, ausgehend vom geltenden Recht Vorschläge für eine moderne und europataugliche Weiterentwicklung der deutschen Unternehmensmitbestimmung zu unterbreiten. Die Kommission wird die Mitbestimmungsregelungen im europäischen Raum analysieren. Auf dieser Grundlage wird sie die Stärken und Schwächen der deutschen Unternehmensmitbestimmung, insbesondere vor dem Hintergrund europäischer und globaler Anforderungen, bewerten. Diese Bewertung und die Erarbeitung praxisorientierter Reformansätze werden in einen Bericht der Kommission münden. Der Bericht soll spätestens bis zum 1. September 2006 vorliegen.
Albrecht Müller
Wenn SPD und Bundesregierung die Auseinandersetzungen mit der Linkspartei ernst nähmen, dann würden sie diese Auseinandersetzung inhaltlich führen. Dazu gehörte zunächst einmal, dass man die unter Beschuss der Arbeitgeber stehende Mitbestimmung verteidigt. Dazu würde weiter gehören, sichtbar zu machen, dass man den Arbeitnehmern nahe steht, jedenfalls nicht ferner als dem Arbeitgeberlager. De ...
[ "betriebliche Mitbestimmung", "Biedenkopf, Kurt", "Hundt, Dieter", "Peters, Jürgen", "Schröder, Gerhard", "Sommer, Michael", "Streeck, Wolfgang" ]
[ "Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik", "Bundesregierung", "Gewerkschaften" ]
02. August 2005 8:25
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Buchbesprechung: Joris Luyendijk. Unter Bankern. Eine Spezies wird besichtigt
Heiko Flottau, Journalist, früher Nahostkorrespondent der Süddeutschen Zeitung, bespricht für die NachDenkSeiten das Buch des holländischen Journalisten. Dieser hat ausführlich in der City von London recherchiert. – Danke vielmals an Heiko Flottau für den Hinweis auf dieses Buch und für die Besprechung. Albrecht Müller. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Podcast: Play in new window | Download Nach der Pleite der Bank Lehman Brothers 2008 stand das internationale Finanzsystem vor dem Kollaps. Acht Jahre später ist die Gefahr eines neuen Zusammenbruchs keineswegs gebannt. Es gibt Bücher, von denen man sich fragt, warum sie nicht schon viel früher geschrieben worden sind. In die Welt der Banker und Finanzspekulanten ist – zum Beispiel – so richtig noch niemand eingetaucht. Dieses Manko hat jetzt der holländische Journalist Joris Luyendijk behoben. Mit Hilfe der britischen Tageszeitung The Guardian hat er etwa 200 Mitarbeiter der Londoner City über ihre Rolle befragt. Der Titel seines bedeutenden Werkes gibt bereits ein Ergebnis seiner Recherche vorweg. Seinem „Weg in die Welt der Banker“ gibt er den bezeichnenden Titel: „Mit den Haifischen schwimmen.“ Und als Leitlinie stellt er seinem Werk ein Zitat des Autors Philip Augar voran: „Die wahrhafte Verschwörung auf dem Sektor der Finanzen ist der Klang des Schweigens.1 Nicht überraschend ist es deshalb, daß Joris Luyendijk gleich am Anfang seiner Recherche eine bittere Erfahrung mitteilt: „Die Welt der Finanzen wird von einem Schweigecode regiert. … Bankangestellte riskieren, ihren Job zu verlieren, gerichtlich belangt zu werden und scheren Schaden an ihrer Reputation zu erleiden, wenn sie dabei ertappt werden, daß sie mit der Presse sprechen. Versuchen Sie einmal einen neuen Job in der City zu finden, nachdem Kündigungsklauseln ausdrücklich betonen, daß man absolut nichts über seine Erfahrungen in der eigenen Firma enthüllen darf.“ Joris Luyendijk, einst Nahostkorrespondent einer holländischen Zeitung, zieht sogar einen Vergleich mit dem Irak Saddam Husseins, wo, wie er schreibt, man Menschen habe durchaus zum Sprechen bringen können – vorausgesetzt, daß sich diese Interviewpartner sicher fühlten. Und in der City von London ? Dort herrsche schiere Angst vor dem Erkennenwerden: „Schreiben Sie bitte nicht, daß ich meinen Tag mit einer Tasse Tee beginne, denn ich bin der einzige, der das auf meiner Etage tut“, bat ein Gesprächspartner den Autor. Und die Qualifikation für den Job ? Eine Mitarbeiterin erzählte dem Autor, sie müsse ein Kind mit ernähren und habe vor ihrer Bewerbung nicht einmal den Unterschied zwischen Kapital und Schuldverschreibung gekannt. Und ein anderer sagte, ein Job in der City sei mehr oder weniger ein „Ausdauersport“- Viele seien in ihre Jobs hineingeschliddert: „Jeder kann tun, was ich tue.“ Einmal sprach der Autor zu einem gerade einmal dreißig Jahre alten Banker. Und er hörte dies: Universitätsabsolventen , gerade einmal 22 Jahre alt, begönnen bescheiden im Range eines Analysten, dann würden sie „Associates“ ; solche, die blieben, würden schon im Alter von dreißig Jahren noch einmal befördert. Und einige wenige Jahre später könne man auf ihren Visitenkarten den Titel „Direktor“ oder „Vize-Präsident“ lesen. Ein anderer erzählte vom Glanz seines Jobs, dem Geld und den Mädchen: „Sie beginnen im Alter von 22 Jahren, und Sie können sich umgehend beweisen. Ich kenne Leute, die verdienen eine Million Pfund im Jahr, wenn sie 25 sind. Es sind nicht sehr viele, aber es passiert. Und das ist so ein Gegensatz zu anderen Jobs.“ Jeder weiß, wie er sich zu erkennen gibt in der City – oder wie er jemanden erkennt, der auch in der City arbeitet: „Die City, langsam begriff ich es“, sagte ein Banker, „ist nur menschlich. In allen ihren ungeschriebenen Gesetzen, ihren Dresscodes, ihren inneren Hierarchien, ähnelt die City einem Dorf oder einer Sammlung von Stämmen. Insider identifizieren sich durch ein subtiles System von Codes und Verhaltensweisen.“ Jedoch: der vornehme Dresscode täuscht. Innerhalb der City herrscht jene Rivalität, wie sie unter Stämmen üblich ist – und so ist die Sprache der Stammesbanker. Aus ihren vornehmen Anzügen klinge oft, schreibt Joris Luyendijk, die „Stimme von Hooligans“. Das Auf und Ab der Märkte verglichen die Banker oft mit den zuckenden Bewegungen der „Unterhose einer Hure“. Gehe ein Geschäft schief, sei der dafür Verantwortliche „fucked“. Militärische Ausdrücke seien an der Tagesordnung. Manche Banker beschrieben ihre Tätigkeit so, als ob sie in „Schützengräben“ arbeiteten, in denen „keine Gefangenen“ gemacht würden. Doch dem scheinbaren Glanz der City wollen sich wenige entziehen. Es gehört geradezu zum guten Ton, die City mit einer Aura des Glanzes zu umgeben. Gordon Brown, damals Premierminister von der Labor Party, sagte 2007: „Der finanzielle Dienstleistungssektor in Britannien und in der City von London im Zentrum dieses Sektors ist ein großartiges Beispiel einer höchst fähigen … von ihrem Talent geleiteten Industrie, welche zeigt, wie wir uns in einer Welt der globalen Konkurrenz auszeichnen können.“ Was Gordon Brown nicht sagte: Überleben im Haifischbecken der City ist eine schwierige Kunst. Fast an der Tagesordnung ist der „Anruf von oben“. Dieser Anruf aus den Führungsetagen der Bank bedeutet oft das Ende der Karriere – das unmittelbare Ende. Jener, der einen solchen Anruf bekommt, weiß meistens, daß dieser Anruf die sofortige Kündigung bedeutet. Zuvor haben die Chefs festgestellt, daß auf zu vielen Stellen Mitarbeiter sitzen, die sie als „redundant“ bezeichnen. Wer einen solchen „Anruf von oben“ bekommt, darf anschließend meistens nicht einmal mehr seinen Computer benutzen. Dezent wird er vom Sicherheitspersonal zum Ausgang geführt. Ende einer Karriere – zumindest in jener Bank, die ihm zuvor so viel versprochen hatte. Autor Joris Luyendijk sprach mit einer Managerin, zu deren Aufgaben es gehört, Leute von jetzt auf gleich zu feuern, also solche   „Redundancy Meetings“ zu führen. Täglich Mitarbeiter zu entlassen sei ein wenig, sagte sie, „seelenzerstörend“. Da aber ihre Bank in globalem Maße arbeite, seien für sie solche Redundancy Treffen keine Seltenheit. Manchmal müsse sie 15 solchen Entlassungstreffen halten – von sieben Uhr morgens bis 10 Uhr abends. „Sie sitzen da und versuchen, die emotionale Antwort des nächsten vorauszusagen. Manche werden sogar handgreiflich. Ich muß die ganze Zeit auf der Hut sein. Es ist ermüdend.“   Ausländer, denen gekündigt werde, erzählt die Managerin weiter, müßten das Land innerhalb von dreißig Tagen verlassen. „Stellen Sie sich vor – diese Leute haben Freunde, Freundinnen, … Oft haben sie schon ihren Bonus ausgegeben, den sie erwartet hatten.“ Und dann der große Crash, die Pleite der Bank Lehman Brothers am 15.September 2008. Wie reagierten die Menschen in den Hochhäusern, in den Glaspalästen in den Büros der City ? Autor Joris Luyendijk fasst die Stimmung so zusammen: „Einige Banker bezeichneten die Stunden, Tage und Wochen nach dem Kollaps von Lehman Brothers als die erschütterndste Periode ihrer Karriere, wenn nicht ihres Lebens. Sie berichteten von Kollegen, die erstarrt vor ihren Computern saßen, paralysiert, unfähig zu handeln sogar in Augenblicken, in denen leichtes Geld zu verdienen war.“ Manche hätten ihre Familien angerufen und diese aufgefordert, so viel Geld wie möglich aus den Cashmaschinen zu holen, in den Supermarkt zu gehen und Vorräte anzulegen, Gold zu kaufen, die Kids aufs Land zu evakuieren. Viele hätten dagesessen, erniedrigt durch die Erinnerung an ihre Verletzbarkeit. Einer sagte: „Das war unheimlich, beängstigend. Ich meine nicht beängstigend wie im Film. Nein, wirklich beängstigend.“ Manche Banker, berichtet Joris Luyendijk, bezeichneten die Pleite der Bank Lehman Brothers als finanzielles Äquivalent einer nuklearen Kernschmelze oder des Armageddon , des biblischen Endes der Welt. In ihrem Buch Masters of Nothing: How the Crash Will Happen Again Unless We Understand Human Nature berichten die Autoren Matthew Hancock und Nadhim Zahawi, inzwischen konservative Mitglieder des Unterhauses, daß manche Banker tatsächlich Gewehre gehortet hätten – „bereit, sich in Bunkern zu verschanzen für den Fall, daß die Zivilgesellschaft kollabieren würde.“ Und ein anderer Autor, den Joris Luyendijk zitiert, George Cooper, schrieb, der Kollaps einer Bank hätte das gesamte Weltfinanzsystem zum Stillstand bringen können: „Diese finanzielle Krise kam dem Kollaps des globalen finanziellen Systems nahe.“ Joris Luyendijk bilanziert: „Al Qaida gelang es in keiner Weise, in den Attacken vom 11.September (2001) auf das World Trade Center und das Pentagon das Leben, wie wir es leben, zum Erliegen zu bringen; aber fast schaffte das der finanzielle Sektor sieben Jahre später.“ Dieses Desaster liegt auch daran, daß Banker oft wie besessen arbeiten – und selbst jene Welt, in der sie leben und arbeiten, oft vergessen. Eine Bankerin sagte dem Autor: „Indem wir so lange und so viele lange Stunden arbeiten, vergessen wir uns selbst komplett. Und das ist das genaue Gegenteil von Individualismus.“ Der Autor hatte auch Gelegenheit mit Bankern zu sprechen, die von ihrer Arbeit desillusioniert waren und aus freien Stücken ausgeschieden sind. „Investment Banking“ sagte einer von ihnen, „ist eine Falle und eine Sucht. Die Belohnung ist groß, dennoch oft ungewiß … Da gibt es diese Leute, die schon hinter Dir stehen und Deinen Job wollen. Und da ist ist die Leere, die mit der Sucht kommt.“ Ein anderer Desillusionierter erzählte dem Autor: „Mein Zimmerkamerad arbeitet ebenfalls im Finanzsektor Ich habe ihn weinend vor Erschöpfung nach Hause kommen sehen.“ Und dann habe er gefragt, warum wir uns dieses alles antäten. „Mein Eindruck ist, daß die Mehrheit jener, die im Finanzsektor arbeiten, den Drang haben, sich selbst vorwärts zu bringen.“ Vor allem aber bleibt bis heute die Frage: fühlen sich die Banker schuldig am Super GAU, am Kollaps von Lehman Brothers ? Joris Luyendijk schreibt: „Nach ihrer Verantwortung für den Crash befragt, konnten sie sich all jenen anderen in der City anschließen, die sagten Ich war es nicht.“ Autor Joris Luyendijk läßt seine Leser in keinem Zweifel, daß – seinen Recherchen nach – ein Kollaps wie jener der Lehman Brothers und dessen Folgen jederzeit wieder möglich sei. Nur: nicht ausgemacht sei es, daß ein solcher Kollaps letztlich doch wie 2008 überwunden werden könne und nicht in einer Kernschmelze des globalen Finanzsystems enden werde. Der Autor plädiert für eine komplette und gründliche Instandsetzung des gesamten Systems. Bloße Reparaturen genügten nicht, es müsse „eine komplett neue DNA“ geschaffen werden. Aber ist der Mensch zu einer solchen Umkehr überhaupt fähig ? Joris Luyendijk ist skeptisch. „Menschliches Verhalten ist weitgehend von Leistungsanreizen bestimmt. Und diese   absurd hohen finanziellen Anreize schickten die Banker und die Banken weiterhin in die falsche Richtung. Der Autor schreibt: „Packten wir alle Angestellten der City auf eine Wüsteninsel und ersetzten wir diese viertel Million Menschen mit neuen Leuten, sähen wir umgehend dieselbe Art von Mißbrauch und Dysfunktionalität. Das Problem liegt im System.  Statt in all unserem Ärger einzelne Banker dafür zu tadeln, daß sie nach ihren perversen (finanziellen) Anreizen handeln, sollten wir unsere Energie darein investieren, daß wir solche Anreize abschaffen.“ Doch die Aussicht darauf ist gleich Null – wie der Autor resigniert feststellt Er schreibt, daß es letztlich gleichgültig sei, ob in Großbritannien Labour oder die Konservativen, in Deutschland die SPD oder die CDU und in den USA Demokraten oder Republikaner regierten.   „Warum“, fragt der Autor, „haben es westliche Demokratien nicht fertig gebracht, Lösungen für das drängendste Problem unserer Zeit zu formulieren ?“ Zwar fände man in den politischen Parteien durchaus Menschen mit einem scharfen Auge für das, was schief laufe. Nur bestünde das Problem, daß diese Leute sagten: „Was ist der Nutzen, wenn ich alleine den Finanzsektor angreife ? Was, denken Sie, wird mit meiner Position innerhalb meiner Partei geschehen – oder mit meiner Partei selbst ?“ Die USA, Frankreich und Großbritannien erlaubten es, schreibt der Autor, den Bankern, politische Macht zu kaufen. In der feinen politischen Sprache würden diese Gelder als „Wahlkampfspenden“ bezeichnet – und nicht als „Korruption“. So hätten in den USA Exfinanzminister Timothy Geithner und Exaußenministerin Hillary Clinton Vorträge bei der Bank Goldman Sachs gehalten. Die Bezahlung für jeden der beiden Redner: 200.000 Dollar. Und Expremier Tony Blair verdiene in England als Berater einer Megabank weit mehr, als sein Gehalt als Regierungschef gewesen sei. Autor Joris Luyendijk spricht von „Capture“, davon, daß die Bankenwelt die Politik „gekapert“ habe. Ist die Misere, fragt der Autor, also das Resultat einer durch und durch legalen Korruption ? „Die Vorstellung, daß der Finanzsektor die Apathie der Politiker vor 2008 gekauft habe, schließt ein, daß das Top Management in den Banken erkannt hat, was für eine Unordnung man gerade im Begriff war zu schaffen.“ Am Schluß kommt der Autor zu einer resignierenden Erkenntnis. Megabanken operierten auf globaler Basis, die Politik aber sei weiterhin auf nationaler oder regionaler Basis organisiert. „Finanzinstitute“, schreibt der Autor, „können Länder und Länderblöcke gegeneinander ausspielen, und dies tun sie schamlos.“ Schließlich stellt Joris Luyendijk die Frage, ob Globalisierung überhaupt mit nationaler Demokratie vereinbar sei. „Wie können wir ohne eine legitime globale Regierung den globalen Finanzsektor unter Kontrolle bringen ? Und wenn man glaubt, daß eine solch globale Regierung undurchführbar oder unerwünscht ist, bedeutet dies nicht gleichzeitig, daß global operierende Finanzinstitutionen einer Größe, die nationale Regierungen zu Zwergen machen, unhaltbar sind ?“ Bis heute, folgert der Autor resignierend, seien keine Maßnahmen getroffen worden, einen Crash wie jenen von 2008 zu verhindern. Der nächste Crash werde deshalb wieder den Finanzsektor als Gewinner sehen. „Das heißt, daß der Rest von uns abermals zur Kasse gebeten wird.“ Joris Luyendijk: Unter Bankern. Eine Spezies wird besichtigt. Verlag Klett Cotta Tropen. Stuttgart 2015, 19.95 Euro Dieser Rezension liegt die englische Ausgabe zugrunde
Heiko Flottau
Heiko Flottau, Journalist, früher Nahostkorrespondent der Süddeutschen Zeitung, bespricht für die NachDenkSeiten das Buch des holländischen Journalisten. Dieser hat ausführlich in der City von London recherchiert. - Danke vielmals an Heiko Flottau für den Hinweis auf dieses Buch und für die Besprechung. Albrecht Müller. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Nach der Pl ...
[ "Bankenrettung", "Finanzwirtschaft", "Lehman Brothers", "Nebeneinkommen", "Parteispenden" ]
[ "Audio-Podcast", "Banken, Börse, Spekulation", "Finanzkrise", "Lobbyismus und politische Korruption", "Rezensionen" ]
20. Juli 2016 12:24
https://www.nachdenkseiten.de/?p=34292&share=email
Hartz-Gesetze/Bürgergeld
Ursula von der Leyens Plan, höhere Sozialleistungen für Kinder im Hartz-IV-Bezug nicht auszuzahlen, sondern ihnen Gutscheine, einen „Bildungspass“ bzw. eine Chipkarte auszuhändigen, findet über die parteipolitischen Lagergrenzen hinweg zahlreiche Anhänger/innen. Einer der Hauptgründe hierfür dürfte das in der Gesellschaft weit verbreitete Vorurteil sein, eine vom Bundesverfassungsgericht am 9. Februar 2010 angemahnte Erhöhung des Regelsatzes komme bei vielen Kindern aus sog. Hartz-IV-Familien gar nicht an, weil die Eltern das Geld eher zur Befriedigung ihrer eigenen Konsumbedürfnisse ausgeben würden. Zwar mag es tatsächlich den einen oder anderen Vater geben, der sich eher den beinahe schon sprichwörtlichen Flachbildschirm kaufen würde, als das zusätzliche Geld seinen Kindern zugute kommen zu lassen. Mit den seltenen Ausnahmen „vergnügungssüchtiger“ Familienväter zu begründen, dass keine Erhöhung der Regelsätze stattfinden soll, womit alle übrigen Eltern und Kinder völlig schuldlos benachteiligt würden, wäre aber mehr als perfide. Dass auch Unternehmen staatliche Subventionen zweckentfremden, zeigt der jüngste Missbrauchsskandal beim Kurzarbeitergeld, hat bisher freilich bezeichnenderweise nie die Forderung nach sich gezogen, ihnen keine Subventionen mehr zu gewähren oder bloß noch Gutscheine auszuhändigen. Von Christoph Butterwegge
NachDenkSeiten - Die kritische Website
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23. August 2010 9:25
https://www.nachdenkseiten.de/?cat=140&paged=8
Auch Journalistinnen/en finden in den NachDenkSeiten Anregungen und hilfreiche Informationen. Beispiel Plusminus.
Am 3. Dezember wiesen wir auf einen amüsanten Film von Plusminus über den Drehtüreffekt von Bert Rürup hin. Einem NachDenkSeiten-Nutzer fiel etwas auf, was wir übersehen hatten: „Wenn man das Video ab etwa Minute 2:15 betrachtet, sieht man, …, dass die Bilder teilweise von den Nachdenkseiten stammen. Die Aufklärung zeigt also Wirkung.“ In der Tat, von Minute 2:17-2:21 bringt Plusminus Aufnahmen der NachDenkSeiten. Wir hatten am 5. August 2008 als „Material für Ihre Aufklärungsarbeit zur Riester- und Rürup-Rente“ Bilder aus der „Bunten“ vom 10.7.2008 wieder gegeben. Albrecht Müller. Die „Bunte“ hatte damals einen Bericht über eine große Feier des Finanzdienstleisters AWD mit Rürup und Riester, Maschmeyer, Schröder und Wulf samt Damen und Babys gebracht. Plusminus hat sich dieser Aufnahmen bedient. So verstehen wir unsere Arbeit. Auch als Service für Journalistinnen und Journalisten. Wenn Sie in den Texten und Abbildungen der letzten fünf Jahre stöbern, dann werden Sie sogar in weit zurückliegenden Beiträgen Anregungen für Ihre aktuelle Arbeit finden. Da die NachDenkSeiten ein nicht-kommerzielles Projekt sind, ist es selbstverständlich, dass alle Informationen kostenlos verwertet werden können. Viele Kolleginnen und Kollegen wissen das und bedienen sich entsprechend. Nachtrag zum Tagebucheintrag vom 3. Dezember: Dort gab es einige Links auf interessante Seiten im Kontext des Plusminus-Videos. Den oben genannten Eintrag vom 5. August 2008 hatten wir zu nennen vergessen. Das ist ein Versäumnis, weil dieser Beitrag besonders aufschlussreich und ohnehin farbig ist. Er ist besonders geeignet dafür, Menschen die Augen zu öffnen, die bisher noch nicht wissen, wie bei der Zerstörung von wichtigen sozialen Einrichtungen von privater Seite Geld verdient wird. Viel Geld. Deshalb mache ich unsere Leser noch einmal auf den farbigen Artikel der „Bunten“ aufmerksam.
Albrecht Müller
Am 3. Dezember wiesen wir auf einen amüsanten Film von Plusminus über den Drehtüreffekt von Bert Rürup hin. Einem NachDenkSeiten-Nutzer fiel etwas auf, was wir übersehen hatten: „Wenn man das Video ab etwa Minute 2:15 betrachtet, sieht man, ..., dass die Bilder teilweise von den Nachdenkseiten stammen. Die Aufklärung zeigt also Wirkung.“ In der Tat, von Minute 2:17-2:21 bringt Plusminus Auf ...
[ "ARD", "AWD", "Maschmeyer, Carsten", "Rürup, Bert", "Riester, Walter" ]
[ "Drehtür Politik und Wirtschaft", "Medien und Medienanalyse" ]
04. Dezember 2008 15:34
https://www.nachdenkseiten.de/?p=3631&share=email
Leserbriefe zu „Die olivgrünen Kreuzritter“
Hier thematisiert Jens Berger den Kommentar des taz-Redakteurs Jan Feddersen über das „Manifest für den Frieden“ von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer. Das moralisierende Schwarz-Weiß-Denken habe er offenbar schon sehr weit verinnerlicht. Er und die „nun stramm auf olivgrünen Mainstream gebürstete taz“ hätten die Welt in „gut“ und „böse“ aufgeteilt. Sie seien jedoch nicht allein, denn „diese Gedanken lassen sich auch bei den Politpredigern der Grünen so eins zu eins wiederfinden“. Es bedürfe einer „neuen Aufklärung“, solle die Welt nicht auf einen Dritten Weltkrieg zusteuern. Das Manifest sei da zumindest ein Anfang. Danke für die zahlreichen und interessanten Leserbriefe. Hier nun eine Auswahl. Sie ist von Christian Reimann zusammengestellt worden. 1. Leserbrief Hallo Herr Berger, mal wieder ein solider Artikel der Marke NachDenkSeiten, danke! Meine volle Unterstützung der Initiative von Wagenknecht und Schwarzer. Da sehe ich selbst über Kleinigkeiten (?) hinweg, wie diese Verbeugung der Petition vor dem Geßlerhut: “Die von Russland brutal überfallene ukrainische Bevölkerung braucht unsere Solidarität.” Muss das sein? Muss wohl sein. Zum Thema “Neue Aufklärung”. Die Aufklärung und das daraus entstandene Zeitalter der Moderne waren bisher der letzte echte Entwicklungssprung, den die Menschheit gemacht hat. Nach Weltkrieg-II läuteten die französischen Existentialisten die Postmoderne ein. Daraus ist bis heute keine positive Identifikation geworden. “Ratio, Logik und Wissenschaft verkünden nicht die Absolute Wahrheit”, diese Erkenntnis ist zwar richtig und notwendig, enthält aber leider nur den negativen Aspekt, “nicht”. Wie geht es weiter? Was dann kam, war die Regression der Postmoderne, in das was ich die “Verirrte Postmoderne” nenne, das Zeitalter der Egomanen und Narzissten, mit dem Motto “wenn es schon keine Absolute Wahrheit gibt, dann ist es eben das was ICH verkünde!” Anschauliche Beispiele dafür sind Jockel Fischer und die ganze derzeitig herrschende Grüne Clique.  So funktioniert das Moralgesülze dieser Herrschaften. Geistige Regression pur. Falls die nicht wieder auf das rettende Ufer der Moderne (Vernunft!) zurückfinden, kann man sie vergessen. Aber wie geht es weiter? Der positive Evolutionsschritt nach der Postmoderne würde der Erkenntnis “Wissenschaft verkündet nicht die Absolute Wahrheit”, hinzufügen: “Wissenschaft ist ein wirkmächtiger, aber eingeschränkter Aspekt des menschlichen Bewusstseins”. Also den Blickwinkel erweitern und die gesamte menschliche Existenz (und von allem was existiert) ins Auge nehmen. Das kann man unter dem Begriff “Spiritualität” subsummieren. Ansätze gibt es da jede Menge, von schräg bis ernsthaft. Um es kurz zu machen, zwei meiner Meinung nach echte Beispiele: Eugen Drewermann (Geist) und Daniele Ganser (Wissenschaft). Das Schöne daran, es ist im Grunde ganz einfach. Es geht nur darum, die Knoten und Narben im menschlichen Geist, die Wissenschaft und Technik hinterlassen haben, loszulassen. Die Wissenschaftsikone Einstein wusste das schon: “So einfach wie möglich, so kompliziert wie nötig”. Und für die Marxisten unter uns: Der Kapitalismus fällt dann ganz von selbst zusammen. Viele Grüße, Rolf Henze 2. Leserbrief Werter Herr Berger, danke, wie immer auf den Punkt genau getroffen. Ich gehe einen Schritt weiter: Moralisten wie Feddersen und all die anderen Kriegstreiber, auch in der Politik, nicht nur in den Medien, erfüllen weitgehend die Tatbestände, die man Sekten und Sektierern zuschreibt.  Solche Personen haben im Mittelalter nicht nur zu Kreuzzügen aufgerufen, sondern agierten an vorderster Front der Inquisition und Hexenverbrennungen. Ob als Mitglied der Heiligen Inquisition oder später bei Adolf bis hin zum Volksgerichtshof: waren es nicht immer wieder die gleichen Typen, die gleichen Weltbilder, die gleichen machtgeilen Moralisten mit all ihrer sublimierten Aggression. Die Heutigen bei taz, FAZ, SZ, ARDZDF und in der Regierung: würden all das wieder tun, könnten sie nur. Insofern: schreiben Sie mal eine längere vergleichende Analyse: die identischen Herrschafts- und Medien-Strukturen bei Polit- und quasi.-religiösen Sekten, kulturübergreifend aktuell das Beispiel Iran zur Hand nehmend und mit den Manipulations- und Herrschaftsstrukturen in Deutschland vergleichend. Da kommt einiges heraus.  Sie können auch ein anderes Vergleichsmodul strukturell nehmen, das spielt keine Rolle. Mit freundlichen Grüßen Christopher Sprung 3. Leserbrief Lieber Jens Berger, Leuten wie Feddersen und seiner ganzen Zeitung ist nicht mehr zu helfen. Sie haben aus meiner Sicht nur noch ein Gutes. Sie motivieren mich und Gleichgesinnte erst Recht Aktionen wie das Manifest für den Frieden von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer zu unterstützen. Der Hass dieser kotzüblen Konsortien ist unser Antrieb. Die Liebe, der Frieden, die Menschlichkeit sind stärker als diese hasserfüllten, moralisch zur Unkenntlichkeit verwahrlosten Propaganda -Schreihälse. Mit Dank für die gute Arbeit, beste Grüße Peter Fenske 4. Leserbrief Sehr geehrte Damen und Herren,    im Artikel “Die olivgrünen Kreuzritter” wird der Taz-Journalist Jan Feddersen genannt.    Dass dieser es mit den Menschenrechten selber nicht allzu genau nimmt, bewies er 2012 mit feinstem Pinkwashing des damaligen ESC-Gastgeberlandes Aserbaidschan. Kritiker der dortigen Menschenrechtslage bezeichnete er als “Menschenrechtisten” und “Spaßbremsen”: taz.de/Kolumne-Bitches-in-Baku-6/!5093548/ Bereits 2008 hielt Feddersen einen hymnischen Nachruf auf Helmut Kentler, einer Schlüsselfigur pädokrimineller Netzwerke (den er später kleinlaut relativieren musste): taz.de/!836663/ Da möchte sich jemand zum moralischen Zuchtmeister aufmandeln, dem das schlicht nicht zusteht.    Mit freundlichen Grüßen,  Hans Wiepert 5. Leserbrief …kommen mir vor wie Menschen, die nach vorheriger Orientierungs- und Haltlosigkeit endlich ihren “Gott” gefunden haben – Gnade uns derselbe! Die Bekehrten oder Erweckten/Erleuchteten waren schon immer die Schlimmsten. Mir fallen dazu Begriffe wie Totalitarismus, Blockwartmentalität etc. ein…Wenn man es nicht leider besser wüßte, wähnte man sich in schlechter Satire. Der Artikel trifft m.E. ins Schwarze. Grüße C. Ottmar 6. Leserbrief Hallo Herr Berger, danke für Ihren Artikel „Die olivgrünen Kreuzritter“. Ich selber habe mich über den Artikel dieses Herrn Feddersen derart geärgert, dass ich – endlich mal – einen Brief an die Redaktion geschrieben habe. Ich bin zwar nicht mit allen Punkten dieses Manifests einverstanden, aber das ist im Moment zweitrangig – viel wichtiger ist, dass sich endlich mal was rührt. Wenn doch die Frau Wagenknecht nur eine eigene Links-Partei gründen würde… Hier der Wortlaut an die taz, hoffentlich zu Ihrer Erheiterung: Zum Empörungs-Artikel von Jan Feddersen: “Ruiniertes Lebenswerk” (12.02.2023) Es gibt Menschen, auf die Hass eine geradezu vibrierend-belebende Wirkung hat. Ich habe den Eindruck, dass Ihr trister Autor vom gleichen berauschenden Gefühl beflügelt wird – dennoch möchte ich nicht mit ihm tauschen. Was die allgemeine Entwicklung Ihres Blattes in den letzten Jahren betrifft, verstehe ich nicht, warum es immer noch der linken Presse zugeordnet wird: links ist daran schon lang nichts mehr – höchstens links-reaktionär. Was das Reaktionäre anlangt, gibt es also keinen Unterschied zu den Rechten. Das Übel daran ist, dass Sie sich mit Ihrer Ignoranz womöglich für die Avantgarde halten. Damit liegen Sie auf der Linie der Mainstream-Medien, die ihre unterbelichtete Propaganda ja auch für Qualitäts-Journalismus halten. Übel. Ganz übel, was in diesem Deutschland derzeit abläuft. Schöne Grüße und Danke für Ihre Arbeit! Angelika Colditz 7. Leserbrief Sehr geehrter Herr Berger, danke für diesen Satz, ein Blattschuß vor den Hosenlatz der Oliv-GRÜNEN und ihren Mitstreitern in taz und unserer Gesellschaft: So traurig das auch ist, wir sind offenbar umgeben von fundamentalistischen Eiferern, wie es sie in der Geschichte immer gegeben hat und wohl auch immer geben wird! Aber diese haben inzwischen gelernt und lassen nicht nur Männer an die verbale Front – Frauen können das nämlich mindestens genauso gut, aber offenbar viel scheinheiliger noch, wie man an den Umfrageergebnissen zB einer Baerbock ablesen kann. Nachdenkliche Grüsse, KK 8. Leserbrief Liebe NachDenkSeiten, ich kann ich mehr!!! Ich bin einer der “amoralichen”, die “sich über die herrschende Moral” hinwegsetzen. Ich bin 72 jahre alt und habe anfang 1968 den kriegsdienst verweigert und 1972-73 sechzehn monate zivildienst in einem kinderheim “geleistet”, quatsch: Ich habe ihn aus voller überzeugung getan! Und jetzt muss ich erleben, dass ich weite teile meiner familie verloren habe, weil ich für diplomatische lösungen argumentiere, um weitere tote in der Ukraine zu vermeiden. Frieden mit mehr waffen hat es in der menschheitsgeschichte noch nie gegeben! Und weil ich auch über die vorgeschichte der nicht zu rechtfertigenden NATO-ost-erweiterung erzähle, um deren einstellung Putin ende 2021 intensiv gebeten hat. Ich benutze gerne den vergleich: “Wenn man die geschichte bei “zweitens” anfängt zu erzählen, waren die pfeile der “indianer” die aggressoren und die gewehre der europäischen kolonisatoren die opfer. Eine atommacht wie Russland kann man nicht besiegen, da muss man verhandeln, aber das will die westliche “wertegemeinschaft” gar nicht, siehe die angaben von Naftali Bennett. Und siehe die Minsker abkommen, für die sich Steinmeier mittlerweile entschuldigen muss. Frau Merkel wird da von den medien weitgehend rausgehalten. Bitte macht weiter! Ich brauche euch als kompass in der wüste. Horst Wandersleben 9. Leserbrief Liebe NDS-Redaktion, lieber Jens Berger, vielen Dank für die treffende kritik an der taz, am Sprachrohr der Olivgrünen, und am Protagonisten Jan Feddersen. Mir scheint jedoch, dass der Brotschreiber Feddersen nur das zum Ausdruck bringt, was der wertewestliche Kriegsallianz im allgemeinen enorme Rechtfertigungsbeschwerden bereitet. Wenn jetzt nämlich einem Verhandlungsfrieden – unter wesentlich ungünstigeren Bedingungen als vor zehn Monaten – zugestimmt würde bzw. ein solcher qua politische Initiative des Wertewestens herbeigeführt würde, stände die Frage im Raum: Warum nicht gleich so? Dann hätte der Waffenstillstand, der in Istanbul bzw. vom damaligen israelischen Ministerpräsidenten Bennett ausgehandelt war, mehr als 200.000 Todesopfer und gravierende Zerstörungen erspart. Ein Verhandlungsfrieden jetzt – mit einem von Russland weitgehend okkupierten Donbas und keiner Chance durch einen Volksentscheid anderes zu bewirken – wäre für die NATO eine schallende Ohrfeige, einer Niederlage erster Klasse. Damit eine solche nicht eintritt (bzw. nicht so schnell eintritt), müssen folglich noch Tausende sterben und Milliarden für Kriegsgerät aus dem Fenster geschmissen werden. Genau deshalb ist das  „Manifest für den Frieden“  so wichtig, es gilt zu zeigen, dass uns eine Niederlage der NATO egal ist, ein Weltkrieg jedoch nicht! Mit solidarischen Grüßen ah. 10. Leserbrief Lieber Jens Berger,   Sie schreiben in Ihrem Artikel “Die olivgrünen Kreuzritter”:   “Historisch war es die Aufklärung, die dem religiösen Eifer, dem Millionen Menschen zum Opfer gefallen sind, ein vorübergehendes Ende gesetzt hat”   Vielleicht haben Sie diesen Satz am Ende Ihres Artikels nicht mehr so genau überlegt. Aber wahr ist, daß die Aufklärung selbst von einem pseudo-religiösen Eifer – allerdings gegen alles Religiöse – geprägt war. Sie war durchaus in diesem Sinne eine Ideologie im Namen von absoluter Säkularisation und unbedingtem Fortschrittsglauben. Und Millionen von Tote gab es als späte Konsequenz dieser antireligiösen Ideologie dann auch.   Beste Grüße Rolf Freitag 11. Leserbrief Sehr geehrter Herr Berger, die Überschrift ist hervorragend und widerspiegelt die schon Jahrhunderte währende Manipulation der Menschheit durch diktatorische Ideologien. Und immer waren die Medien der treibende Keil bei der Völkervernichtung. Diese bornierten Schreiberlinge sind unmoralisch und müssten an sich in einer Demokratie vor ein Gericht gestellt werden. Diese schwachsinnige Meinungsmache, untermauert mit Patriotismus, hat auch insbesondere das deutsche Volk in zwei mörderische Angriffskriege geführt. Ist sich dieser Herr Feddersen bewusst, dass diese Ideologie noch viele tausend Tote fordern wird? Ebenso diese fremdgesteuerten und krankhaften Ideologen der Grünen wie Baerbock, Hofreiter und Göring- Eckardt, die in ihrer Rage nur unbedachte Meinungsäußerungen von sich geben. Diese Menschen haben keine Moral und sind auch keine höhere Kraft. Die sind erbärmlich abgehoben sowie begrenzt und merken gar nicht, welchen Blödsinn sie in kindlich dummer Manier verzapfen. Auch die müssten zur Verantwortung gezogen werden. Diese derzeitige Meinungsdiktatur in Deutschland lässt geschichtliche Erinnerungen in mir keimen. Da gab es vor vielen Jahren in Deutschland eine verbrecherische und menschenverachtende Organisation, deren Wahlspruch es war: „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns!“ Ich stehe zu der Friedensinitiative von Wagenknecht und Schwarzer. Herr Berger, danke für Ihre geschichtlich fundierte Nachweisführung. NDS, Ihr seid einfach Spitze. Mit freundlichen Grüßen Peter Raue 12. Leserbrief Ein sehr guter Artikel von Jens Berger, man muß diese religiös-olivgrünen Eiferer energisch bekämpfen. Militarismus, Dummheit und „deutsches Wesen“ feiern fröhliche Urstände. Ein Graus. Wir werden regiert von einer Bande von Kriegs- und Inflationstreibern, die einer Verarmung und Verelendung Vorschub leisten. Die sogenannte “öffentliche Meinung“ ist in Wahrheit nichts weiter als eine „private Meinung“, die mehr mit einer Fantasiewelt und schizoider Vermeidung als mit Information und Wahrheitssuche zu tun hat. Merke: Die herrschende Meinung ist die Meinung der Herrschenden (K.Marx). “Grüne an die Front“! Siegfried Späth 13. Leserbrief DANKE Herr Berger,danke NDS Team für euren Einsatz und eure Stimme, denn nicht nur der Friede sondern vor allem auch die Meinungsfreiheit und das freie Denken ist in D in akuter Gefahr u.a.durch zahllose staatsfinanzierter sog. Faktencheker und andere Propagandisten unterwegs jeden Widerspruch des ” grünen Zeitgeist” aus zu radieren. Faschsistisch ist doch das was Faschisten tun und nicht welcher Partei oder Religion sie angehören.Sie wolle letztendlich Jeden ihrem Denken unterwerfen und sei es mit Gewalt . Frieden , Gewaltlosigkeit oder Rosa Luxemburgs Spruch( in Anlehnung an Voltaire): ” Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden gehört nicht in deren Konzept.Und deshalb sage ich: ” Euer(=z.B. Herr Dehm) Kampf gegen die AFD ist auch ein Kampf gegen euch selbst,denn es ist und war immer auch ein Kampf gegen die Meinungsfreiheit Andersdenkender.Viele Linke haben den neuen grünen Faschisten und Kriegstreibern den Weg vorbereitet und mit Rosen bestreut und nun reiben Sie sich verwundert die Augen. Danke : Kählig Bruno 14. Leserbrief Lieber Herr Berger, herzlichen Dank für Ihren Artikel. Die vermeintlich moralische Überlegenheit bestimmter Kreise ist mir bereits während der sogenannten Pandemie begegnet. Es ist wenig überraschend, dass Bekannte, die vehement für eine Impfpflicht eingetreten sind, nun ebenso vehement für den „totalen“ Krieg gegen Russland, insbesondere gegen die Verkörperung des „Bösen“ – Putin – eintreten. Diese aggressive Vehemenz ist für mich auch Ausdruck einer großen psychischen Unsicherheit, die nach klaren Regeln und einer monokausalen Welterklärung giert. Da bricht sich Zwanghaftes seine Bahn. Ein anderer Aspekt, der mir wichtig erscheint, ist folgende Hypothese: Auf „Multipolar” steht ein Auszug aus „Moon of Alabama“, wonach vor einem Jahr die Ukraine, aufgerüstet durch den Westen, kurz vor einer Offensive zur Rückeroberung der abtrünnigen Gebiete stand. Russland hat mit seinem Einmarsch diese Taktik zunichte gemacht. Könnte es sein, dass im Vorfeld insbesondere deutsche Politiker durch die Amerikaner überzeugt, überredet oder sonst wie dazu gebracht worden waren, an die absolute militärische und wirtschaftliche Überlegenheit der Nato zu glauben, die eine rasche Niederringung Russlands als sehr wahrscheinlich erscheinen lies? Könnte es sein, dass diese Politiker und ihre medialen Kreuzritter nun innerlich von Panik erfasst sind, weil sich die Situation nach einem Jahr ganz anders darstellt? Kein gewonnener Krieg, eine desolate Energieversorgung mit explodierenden Preisen, beginnende Rezession bei gleichzeitig grassierender Inflation, aus den Fugen geratener Haushalt, Not leidende Kommunen, nicht zuletzt durch Millionen ukrainischer Kriegsflüchtlinge? Und oben drauf noch die Erkenntnis, dass die eigene Pipeline von den „Freunden“ in die Luft gejagt worden ist? Was sollen sie nun machen, wenn die Amerikaner sich langsam aber sicher zurückziehen und ihnen keine Handlungsanweisungen mehr geben? Offensichtlich bleibt ihnen in ihren regressiven Gefühls-, Denk- und Handlungsmustern nur die ungesunde Aggression gegen kritische Bürger. Herzliche Grüße Werner Fack 15. Leserbrief Lieber Jens Berger!   Ich behaupte jetzt mal, dass wenig in dieser Welt herausfordernder ist, als das Ausloten und Integrieren der, vermeintlich, vorhandenen Gegensätze wie wir sie alle in uns tragen und wie sie uns dadurch auch im Leben von außen begegnen. Entscheidend ist, dass man diese Gegensätze gelebt und damit auch real erfahren hat. Nun schaut Euch bitte die politischen Vertreter der Macht in unserem Land an (mit unter hilft da auch ein Blick – oder auch zwei – in die Lebensläufe). Es ist bei nicht wenigen – nicht allen – ein, in Bezug auf gewisse Lebenserfahrungen, herausragendes Dünnbrettbohren zu beobachten. Gelegentlich wird ja, auch im Zusammenhang mit den vielen Überreaktionen die getroffen werden, von einer Art um sich greifenden Infantilismus gesprochen. Genau hier liegt der Hase im Pfeffer. Ausgerechnet in so schwierigen Zeiten haben wir eine irrational und dilettantisch agierende Regierung am Hals. Vor zehn/fünfzehn Jahren wären die, mit einer Legislaturperiode, vermutlich so mit durchgerutscht. Heute ist es eine Katastrophe. Diese Leute schieben unbewusste Ängste die sie vor ihrem eigenen Schatten haben und projizieren sie dann nach außen (China, Putin, Iran, Kim…). Kinder und nie erwachsen gewordene Große, machen das so. Da hilft nur absetzen! Das geht sonst immer so weiter – wird eher noch schlimmer.   Herzliche Grüße! Frank Kanera 16. Leserbrief Liebe Readktion, “ehemals links-pazifistisch” trifft auf die taz nicht ganz zu. Links war sie, aber pazifistisch war sie nicht. Schauen Sie mal unter: “taz waffen für el salvador”. Am 20.1.1992 schreib die taz: “Die taz beendete am Wochenende eine Spendenkampagne, die sie vor über elf Jahren begonnen hatte. 4.737.755,10 DM wurden insgesamt für die Guerilla El Salvadors gesammelt. Das letzte Geld wurde jetzt in Mexiko der FMLN übergeben, die vor kurzem einen Waffenstillstand mit El Salvadors Regierung schloß.” Grüße Franz Nagel 17. Leserbrief Sehr geehrter Herr Berger, geschätzte NachDenkSeiten-Macher, ich habe den Aufruf von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer „Manifest für den Frieden“ unterschrieben. Gut ging und geht es mit nicht dabei. Der Satz „Die von Russland brutal überfallene ukrainische Bevölkerung braucht unsere Solidarität“ stimmt selbst mit dem, was die NachDenkSeiten immer wieder bringen, nicht überein. Diese Erzählweise, die Russland als den einzigen und bösartigen Schuldigen hinstellt, widert mich an und ich frage mich, wie sich die von mir sonst sehr geschätzte Frau Wagenknecht zu solcher Formulierung hat hinreißen lassen. Der Erfolg dieses Manifestes zeigt, dass viele mit der Regierung und der Kriegshetze nicht einverstanden sind. Der Erfolg könnte aber vielleicht noch viel größer sein, gäbe es diesen unangebrachten Satz nicht. Ich habe den Aufruf zur Unterschrift wegen des beschriebenen Satzes nicht weitergeleitet und ich weiß von einigen Personen, dass sie dieses Manifest deshalb nicht unterschrieben haben. Herzliche Grüße Ilse Bleier 18. Leserbrief Herr Berger, ich staune und begrüße dieses Manifest, aktuell 409300 Unterschriften, in nur vier Tagen. Ein Beispiel übrigens, wie feministische Außenpolitik eben auch aussehen könnte, wenn sie nicht Man begreift jetzt erst nach und nach, wie weitsichtig Nietzsche in seinem 1886 erschienenen Buch “Jenseits von Gut und Böse” war, dem historisch (das hat er nicht mehr miterlebt) zwei Weltkriege folgten und denen sich nun ein dritter anschließen könnte. Er hatte darin das Moralisieren zwischen Gut und Böse, die er zwei Synonyme desselben nannte, als eine der wesentlichen Ursachen erkannt, warum der Mensch seine Konflikte immer wieder in Form von Kriegen austrägt, sprichwörtlich ums Verrecken. Er kann offenbar nicht anders, wenn er sich auf der Moralschiene bewegt. Und natürlich hat man ihm anschließend seine Forderung nach Abkehr von dieser Art Moralität als schlichte Unmoral ausgelegt und verurteilt. Ja, sicher, Meckerer gibt’s viele. Heute früh in der Berliner Zeitung der Herr Münkler: ein “Gewissenloses Manifest”, das den Unterschied “zwischen Angriff und Verteidigung nivelliere”. Man möchte Herrn Münkler, der ja sogar emeritierter Professor ist, antworten, daß es ein paar Hunderttausend toten Zivilisten (und Soldaten nicht minder) und deren Angehörigen am Ende wahrscheinlich ziemlich egal ist, ob sie im Moment des Todes als Aggressor angegriffen oder rechtmäßig verteidigt haben oder nur dummerweise irgendwie dazwischen geraten sind, als Kind beispielsweise, und ob, wenn es schon eine mit allen Mitteln zu unterstützende Verteidigung war, diese um ein Land, eine Nation, um eigene Werte oder eventuell um eingeredete, gekaufte, fremde Interessen ging, gar um die westliche Demokratie oder Freiheit. Da wird’ s nämlich schnell kompliziert. Zugegeben, nicht für die deutschen Grünen, man muß sie ja bewundern für so viel Klarheit, die sie haben. Bleibt zu wünschen, daß die angekündigte Demonstration ein Erfolg wird und sich womöglich daraus ein neues Selbstbewußtsein schöpfen läßt. Es wäre an der Zeit. T.M. 19. Leserbrief Ja, genau, danke Jens Berger. Kreuzritter, wie es sie in diversen Kreuzzügen nach der wohl bekanntesten Kreuzigung mehrmals in der Geschichte gab. Warum “Kreuz” und dann noch “Ritter”? Weil sie Kreuz als Zeichen trugen. Und wie es überliefert wurde, im Namen des Kreuzes…  im Namen des Gekreuzigten! mordeten und raubten… dabei hat sich bis weit in unsere Gegenwart hinein kaum einer mit der im Text zitierten “Bergpredigt” jemals beschäftigt. Und warum der Mann damals überhaupt gekreuzigt wurde… Lesen müsste man. Konnte damals selten einer und wenn, dann lange Zeit nur wenn sie Latein konnten. Ja, lesen müsste man können.   So edel, wie manche dieser “Ritter” auch dargestellt wurden und dessen bemühte sich die mündliche Überlieferung, später die Romanwelt, die noch spätere Filmindustrie und heute unsere lieben Medien reichlich. Nebst der Gebrüder Grimm, mit ihrem “Es war einmal…” und nicht zu verachten, mit dem “… und wenn sie nicht gestorben sind…”  Will uns das was sagen?   Ritter? Auch ritterlich? Sprich “edel”? Wohl kaum. Genauso wenig wie das Geschehen in der Handlung der Geschicht’, wo es von Blutvergiessen, Gemetzel, schrecklichen Erlebnissen und anderen Greueltaten nur so wimmelt.   Einsam sind da Einzelne, wie der Jäger in einem dieser Märchen, der es wagte, nicht das Herz des Mädchens zu bringen… doch da stand eine vor’m Spiegel und wälzte ihre Seele im spiegelgehauchten: “du bist die Schönste im ganzen Land!”   Da heisst es doch auch “Gottes Wege sind unergründlich”. Die der Kriegsprofiteure offenbar auch. Die sich, wie soll’s anders sein (?) offensichtlich für Götter halten. Bedauerlicherweise auch immer wieder jede Menge, ja Massen von, wohl aus verschiedenen Gründen Ahnungslosen finden, die sich der Euphorie nicht entziehen können. Und immer wieder eine “neue” Form von “Unschuldigen, Edlen, den Guten, den Reinen, den unbeirrbaren Sesselritter”, im Grunde aber Nachplapperer ohne Sinn und Verstand.   Was ist denn wirklich so schwer zu verstehen? Das Wort Frieden oder wie man’s, pardon frau herstellen könnte? Echt jetzt?   Dann auch noch dreist zwei beherzten, mutigen Frauen und, bitte nicht verschweigen!, einem Mann, der weisst, wovon er spricht, wenn es um Krieg geht! irgendwas absprechen und dann auch noch “vorschreiben” wollen, was “gut” ist?! Was genau? Dass es sich nicht “lohnt” Friedensverhandlungen zu führen?   Wäre damit die Zahlung eines Artikels, die er/sie sehr wohl für die überteuerte Mitte in der Hauptstadt braucht gefährdet? Sehr wahrscheinlich. Na dann los. Wie wäre es mit ‘nem Artikel über den verurteilten Friedensaktivisten? Wegen Volksverhetzung? Der maßt sich aber auch was an! Frieden, Pazifismus, bekundet sogar verstehen zu können. Unglaublich, der traut sich was. Will das keiner lesen? Meint die Redaktion oder wer? Nicht sensationslustig genug? Oder über Parteienprogramme? Über den Wortlaut vom Grundgesetz, der Verfassung vielleicht? Ups. Da muss man ja lesen (können).   Wenn es sich also nicht “lohnt” gegen Kriegs-und Volksverhetzung, gegen noch mehr Mordwaffen, noch mehr blinden Fanatismus der “Guten”… eine klar definierte Friedenspetition zu unterschreiben, was “lohnt” sich demnach? Das Lügengespinnst der “Kreuzritter” aufrecht zu erhalten?   Wie verblendet muss man eigentlich sein, um das nicht kappieren zu können?!   Meine Oma würde sagen: Schämen sollten sie sich, abgrundtief!, auch all’ die angeblichen Feministinnen, die weder den Sinn, noch die Bedeutung von Emanzipation und Feminismus verstanden haben oder, noch schlimmer, wohl der “Miete” wegen, Hass, Mord und Vernichtung in die Welt posaunen.   H.L. Anmerkung zur Korrespondenz mit den NachDenkSeiten Die NachDenkSeiten freuen sich über Ihre Zuschriften, am besten in einer angemessenen Länge und mit einem eindeutigen Betreff. Es gibt die folgenden E-Mail-Adressen: Weitere Details zu diesem Thema finden Sie in unserer „Gebrauchsanleitung“.
Redaktion
Hier thematisiert Jens Berger den Kommentar des taz-Redakteurs Jan Feddersen über das „Manifest für den Frieden“ von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer. Das moralisierende Schwarz-Weiß-Denken habe er offenbar schon sehr weit verinnerlicht. Er und die „nun stramm auf olivgrünen Mainstream gebürstete taz“ hätten die Welt in „gut“ und „böse“ aufgeteilt. Sie seien jedoch nicht allein, denn „die ...
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[ "Leserbriefe" ]
17. Februar 2023 13:30
https://www.nachdenkseiten.de/?p=93955
Albrecht Müllers Wochenrückblick: Man kann wirklich aus Mist Marmelade machen.
Wir arbeiten jetzt fast acht Jahre für die NachDenkSeiten. Wenn man das Ergebnis dieser Aufklärungsarbeit mit Blick auf die zu Ende gehende Woche betrachtet, dann ist das wieder einmal ernüchternd. Public Relations und andere Propaganda sind offensichtlich stärker als die Versuche zur Aufklärung. PR bestimmt die Meinung zu Personen – Fall Ackermann; PR bestimmt vermutlich den Kanzlerkandidaten der SPD – Fall Steinbrück; PR macht aus Kriegen bewunderte Instrumente der Politik. Die meisten Zumutungen dieser Art wurden uns ausgerechnet am Antikriegstag präsentiert. Albrecht Müller. Ackermann lässt sein Image von einer Heerschar von PR-Profis polieren Am 1. September berichtete der „Stern“ über eine so genannte Diskussionsrunde mit Josef Ackermann im Foyer der Deutschen Bank Berlin. In diesem Beitrag wird beschrieben, dass es Josef Ackermann gelungen ist, mithilfe einer Heerschar von PR-Profis, angeführt vom ehemaligen Chefredakteur der Wirtschaftswoche, Stefan Baron, die in Umfragen gemessene Ablehnung seiner Person durch 80 % der Deutschen praktisch umzudrehen. Nur noch 20 % sind es heute. Wenn es nur um die Person Ackermann ginge, wäre diese durch Propaganda und Manipulation gemachte Meinung zu ertragen. Die massive PR im Umfeld der Deutschen Bank hat jedoch dazu geführt, dass diese Bank wie auch die von ihr repräsentierte Finanzpolitik fast makellos im öffentlichen Raum stehen. Es ist der Deutschen Bank zum Beispiel gelungen, den Eindruck zu verbreiten, sie sei ohne staatliche Hilfe durch die Finanzkrise gekommen. Richtig ist, dass die Deutsche Bank sowohl von den amerikanischen Steuerzahlern im Fall AIG als auch von den deutschen Steuerzahlern durch die Rettung der HRE wie auch vermutlich durch den Verkauf der Postbank unterstützt wurde und davon massiv profitiert hat. Der Artikel des Stern zeigt im übrigen auch, wie primitiv Spitzenmanager wie Ackermann denken. Allen ernstes schlägt er vor, Berlin müsse schon deshalb den Flughafen ausbauen, damit Spitzenmanager wie Ackermann nach 20 h Flug auf dem Weg nach Berlin nicht in Frankfurt umsteigen müssen. Aus Sicht Ackermanns ein hinreichender Grund für ein solches Großprojekt. Mit Propaganda werden Kanzlerkandidaten großer Parteien gemacht – konkret der SPD. Wir haben in den NachDenkSeiten schon oft darauf hingewiesen, dass das Problem der SPD nicht nur darin besteht, dass sie bei Wahlen mit Konkurrenten zu tun hat, die vom Großteil der Medienkonzerne unterstützt werden – im Fall Angela Merkel ist das offensichtlich. Auch die innere Willensbildung der SPD ist über weite Strecken fremdbestimmt. (Siehe hier und hier zum Beispiel) Jetzt wird auch der Kanzlerkandidat der SPD von außen bestimmt. Seit Monaten läuft die PR Kampagne für Peer Steinbrück. Dieser Kanzlerkandidat ist für die SPD ein Synonym dessen, was in der Überschrift „Mist“ genannt wird. Das ist nicht persönlich gemeint. Es soll nur ausdrücken, dass dieser Mann erstens für die SPD bisher nur Niederlagen eingefahren hat – 2009 als thematisch entscheidender Bundesfinanzminister und Partner von Frau Merkel, davor auch schon als nordrhein-westfälische Ministerpräsident. Dort ist er schlicht abgewählt worden.- Steinbrück ist zweitens wesentlich dafür verantwortlich, dass die Finanzmärkte in Deutschland dereguliert worden sind. Er hat Hedgefonds und andere Spekulanten hierher eingeladen. – Steinbrück ist drittens zusammen mit Frau Merkel wesentlich dafür verantwortlich, dass auch nicht systemrelevante Banken mit Milliarden der Steuerzahler gerettet worden sind, speziell die HRE und die IKB. – Und Steinbrück hat viertens als Makroökonom völlig versagt. Er hat noch kurz vor dem notwendigen und schon zu spät kommenden Beschluss, Konjunkturpakete aufzulegen, gegen eine solche antizyklische Politik polemisiert. Dass die Gegner der SPD einen solchen Versager gerne zum Kanzlerkandidaten ihrer Konkurrentin, der SPD, machen wollen, ist verständlich. Dass die SPD Führung dies nicht merkt, könnte erstaunen. Aber diese Leute denken so wie Steinbrück. Oder sie haben keine Ahnung von Wahlkämpfen. Oder sie wollen gar nicht gewinnen, weil es ihnen wie 2005 beim überraschenden Aufruf zu Neuwahlen mehr auf die Durchsetzung der neoliberalen Politik als auf den Wahlsieg einer linken Alternative zu Schwarz-Gelb ankommt. Oder sie orientieren sich schlicht an der gemachten Stimmung. Ein Beispiel für diese Stimmungsmache ist der Beitrag vom 1. September vom als PR Journalist bekannten Veit Medick: „SPD-Linke redet Steinbrücks K-Hype klein“. Medick hat sich schon mehrmals als Spezialist für die gesteuerte Willensbildung der SPD bewährt. Er war schon bei der Abwehr einer Linkskoalition unter Führung von Andrea Ypsilanti aktiv. Übrigens: über Steinbrück finden Sie unendlich viel Material in den NachDenkSeiten, in den Kritischen Jahrbüchern und in meinem Buch „Meinungsmache“. (Ein Beispiel siehe hier) Nutzen Sie die Suchfunktion, wenn Sie mehr interessiert. Bisher, das muss man neidlos anerkennen, war die vermutlich von großen Interessen aus Finanzwirtschaft und CDU nahen Verbänden gesteuerte PR für Steinbrück um vieles erfolgreicher als unsere Aufklärungsversuche. Ich begegne ständig Menschen, auch Freunden und so genannten Parteifreunden, die einräumen, die SPD könne man insgesamt vergessen, aber Steinbrück, der sei doch gut. Was zu beweisen war: man kann heute aus Sch…. Marmelade machen, wenn man über die notwendige publizistische und finanzielle Unterstützung verfügt. PR macht aus Kriegen bewunderte Instrumente der Politik Nie wieder Krieg! Gewaltverzicht als entscheidendes Mittel zur Lösung von Konflikten! Bundeswehr und NATO dienen der Verteidigung! – Diese Einsichten sind wie weggeblasen. Sie sind auch durch massiven Einsatz von Mitteln der Propaganda getilgt. Wir haben dazu die eindrucksvolle PR-Arbeit des früheren Verteidigungsministers Scharping, des Nato- Sprechers Shea und das „Nie wieder Holocaust“ der Grünen und ihres Vormanns Fischer im Ohr. In der vergangenen Woche feierten die Kriegsbewunderer mal wieder ihren Sieg über die öffentliche Meinung in Deutschland: Am 31. August 2011 erschien unter der Dachzeile „Libyen-Einsatz und Völkerrecht“ eine so genannte Analyse von Thomas Darnstädt bei Spiegel online mit dem Titel „Glückwunsch, Nato! Aber bitte leise jubeln“. Im Artikel selbst kommt der Autor auf völkerrechtliche Bedenken zu sprechen. Aber das hat eher den Charakter von Zierrat für eine eindeutige Botschaft. Kriege sind ein Mittel der Politik. Von ähnlicher Wirkung dürfte die Überschrift des Nachfolgerartikels vom 1. September bei Spiegel online sein: „Libyen-Konferenz in Paris – Westen zelebriert Sieg über Gaddafi“. Nachträgliche Anmerkung am 3. September: Der Libyenkrieg wird wie früher der Falkland Krieg von Margret Thatcher und der Irak Krieg von George W. Bush genutzt, um innen- und wahlpolitisch Punkte zu machen. Da werden Häuser und Städte zerstört und Menschen umgebracht mit dem vorgegebenen Ziel, Freiheitsbewegungen und die Demokratie zu stützen. Tatsächlich hat der Libyenkrieg sowohl für den französischen Präsidenten Sarkozy als auch für den britischen Premierminister Cameron zu aller erst die Funktion, von inneren Schwierigkeiten abzulenken. Die handelnden Personen sind erkennbar Zyniker und sie unterscheiden sich nur unwesentlich von schlimmen Vorbildern, die in der Geschichte immer wieder außerhalb ihrer Länder militärisch tätig wurden, um zuhause gefeiert zu werden. PR und „die Märkte“ Propaganda hat im Zusammenspiel mit den „Märkten“ aus Musterschülern Problemkinder gemacht. Siehe dazu den Beitrag von Jens Berger. Dass die Bundeskanzlerin – siehe hier, ohne Scham und ohne in der Luft zerrissen zu werden, sagen kann, „die parlamentarische Mitbestimmung (solle) so gestaltet (werden), dass sie trotzdem auch marktkonform ist“, folgt aus der Dauerberieselung zum Thema „Die Märkte“. Was Investmentbanker so alles tun, was Spekulanten tun, was Hedgefonds anrichten – verschwindet hinter dem Paravent „Die Märkte“. Jeden Abend bei den Börsennachrichten und tagsüber immer wieder werden wir auf diese Linie getrimmt. Die Märkte werden als etwas Objektives dargestellt. Die PR ist ziemlich erfolgreich. Es bleibt zum Schluss das Bekenntnis, auch nach einer solchen Woche und auch nach der immer wieder kommenden Erfahrung, wie mächtig PR ist und wie schwach die Versuche der Aufklärung sind, dass uns nichts anderes übrig bleibt, als weiter zu machen. Wir danken unseren Leserinnen/n, die diesen Versuch immer wieder mit ermunternden Mails und praktischer Unterstützung und Förderung würdigen.
Albrecht Müller
Wir arbeiten jetzt fast acht Jahre für die NachDenkSeiten. Wenn man das Ergebnis dieser Aufklärungsarbeit mit Blick auf die zu Ende gehende Woche betrachtet, dann ist das wieder einmal ernüchternd. Public Relations und andere Propaganda sind offensichtlich stärker als die Versuche zur Aufklärung. PR bestimmt die Meinung zu Personen – Fall Ackermann; PR bestimmt vermutlich den Kanzlerkandidaten ...
[ "Ackermann, Josef", "Finanzmärkte", "Libyen", "Merkel, Angela", "Steinbrück, Peer" ]
[ "Militäreinsätze/Kriege", "PR", "Strategien der Meinungsmache" ]
02. September 2011 16:36
https://www.nachdenkseiten.de/?p=10621&share=email
Arzt, Volker
Am 05. Februar 2020 hatten wir mit dieser Notiz “Pleisweiler Gespräch mit Volker Arzt über „Kooperation und Hilfsbereitschaft in der Natur“ am 20. Juni 2020” ein Gespräch mit dem Hamburger Autor und Filmemacher Volker Arzt angekündigt. Wir haben uns jetzt mit ihm darauf verständigt, das Gespräch zu verschieben, nicht zu streichen. Die zugrunde liegende Überlegung ist klar: Noch ist die Atmosphäre so, dass sich viele interessierte Menschen und auch solche, die sich schon angemeldet haben, aus Sorge um ihre Gesundheit nicht auf den Weg machen würden. Dann warten wir lieber und bitten alle um Verständnis für diese Entscheidung. Sobald ein neuer Termin vereinbart ist, wird dies auf den NachDenkSeiten bekanntgegeben. Albrecht Müller.
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25. Mai 2020 16:49
https://www.nachdenkseiten.de/?tag=arzt-volker
Aufbau Gegenöffentlichkeit
Viele Menschen erkennen die atomare Gefahr nicht – dabei ist sie real. Das sagt Matthias van der Minde im Interview mit den NachDenkSeiten. Van der Minde, der als Lehrer Englisch, Politik und Wirtschaft an den beruflichen Schulen Korbach und Bad Arolsen unterrichtet, setzt sich seit vielen Jahren mit der atomaren Bedrohung auseinander und verweist darauf, dass die Existenz von Atombomben auch die Wahrscheinlichkeit ihres Einsatzes beinhaltet. Ein Interview über Auf- und Abrüstung und die, wie van der Minde es nennt, „drei Haken des Atomzeitalters“. Das Interview führte Marcus Klöckner. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
NachDenkSeiten - Die kritische Website
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09. Dezember 2017 11:00
https://www.nachdenkseiten.de/?cat=35&paged=74
Die Heuchelei des Steuerzahlerbundes und die zahnlose Medienkritik
Sie nennen ihre Auflistung von öffentlichen Steuerverschwendungen reißerisch „Schwarzbuch“: Süffisant wird darin aufgezählt und „uns allen“ vor Augen geführt, wie vom Bund bis in die Kommunen hinein schludrig mit „unser aller Geld“ umgegangen wird. Tatsächlich kann man mit dem Kopf schütteln, wenn von ungenutzten Parkhäusern, Brücken ins Nirgendwo und von sinnlosen Planstellen in Behörden zu lesen ist, doch hat der Verein „Bund der Steuerzahler“ Jahr für Jahr in Wirklichkeit ganz anderes im Blick: so zu tun, als verträte der Verein alle Steuerzahler. Das – und noch mehr – tut er nicht. Die führenden Medien entlarven die Heuchelei nicht. Ein Kommentar von Frank Blenz. Das Hauptanliegen der jährlichen Veröffentlichung des „Schwarzbuches“ durch den Bund der Steuerzahler wird mit dem „Anprangern“ und „einen schlanken Staat fordern“ geschickt und konsequent verschleiert: das Leugnen von Einnahmeausfällen für den Staat (für uns alle), zum Beispiel durch Steuerflucht und Steuervermeidung. Hinter derlei spitzfindigen Kompetenzen stehen bekanntlich ebenfalls Steuerzahler, die dem Staat (uns allen) viel Geld vorenthalten. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, dass der Steuerzahlerbund mit seiner neoliberalen Ausrichtung (schlanker Staat – reiche Bürger) tatsächlich die Interessen eines bestimmten Teils seiner Klientel und Mitgliederschaft, dem mit ordentlich Moneten auf dem Konto, vertritt. Das tut der Verein diskret, verschwiegen und erfolgreich. Mehr noch, der Verein wird medial öffentlich gefeiert, einschließlich seines populären Produkts „Schwarzbuch“. Klar sind goldene Bänke Nonsens, doch der schlanke Staat ist es auch Der öffentlich-rechtliche TV-Sender ARD springt mit Beiträgen wie diesem über das Stöckchen des Steuerzahlerbundes. Schon mit der Überschrift „Von goldenen Bänken und teuren Schildern“ bei Tagesschau.de wird der Intention des Vereins Bund der Steuerzahler beigepflichtet, dass die öffentliche Hand ziemlich dumm und dreist sein muss. Man brauche nur das neue Schwarzbuch zu studieren. Die Tagesschau schreibt beipflichtend: „Trotz leerer Kassen gehen Bund, Länder und Kommunen nicht immer sorgsam mit öffentlichen Geldern um.“ Klar, goldene Bänke sind Nonsens und auch Parkhäuser, die unnötigerweise außer Betrieb sind. Und ja, als Bürger regt man sich gern und lautstark und mündig auf, wenn etwas nicht klappt. Das Schwarzbuch trifft folglich genau ins Schwarze und lenkt uns alle derweil geschickt ab. Doch „Nicht immer sorgsam“ heißt nicht, dass die öffentliche Hand ein Fehlkonstrukt ist, dass dafür der schlanke Staat geboten und viele Dinge privatwirtschaftlich besser geregelt wären, nach dem Motto „das regelt der Markt“. Doch derlei Informationen sind in führenden Medien nicht zu lesen. Deutschland ist ein großes Land, an die 84 Millionen Einwohner leben hier, ein Schwarzbuch listet etwa 100 Fehler in diesem gigantischen Gemeinwesen auf. Die vielen Nichtfehler bleiben unerwähnt – grobe andere Fehler und Verfehlungen mit System, die wenigen nützen und vielen schaden, auch. Umfassend Kritisieren wäre in Ordnung und ist Aufgabe der Vierten Gewalt Ist das eine Art privilegierte Aufgabe des Vereins der Steuerzahler, Missstände festzustellen und so zu tun, als spräche der Verein für uns alle, uns Bürger, die in der Bundesrepublik gern auch „Steuerzahler“ genannt werden? Täte der Verein dies umfassend, könnte man damit einverstanden sein, dann würde für alle gesprochen werden. Noch mehr einverstanden könnte man sein, wenn ARD und Kollegen (die Vierte Gewalt namens Medien) lieber den Job der Schwarzbuch-Autoren leisteten und gleich auch den Steuerzahlerbund genauer unter die Lupe nähmen. Dies tun die wichtigen Medien aber nicht. So kritisiert die Tagesschau zudem eines nicht: Der Verein prangert nicht an, dass mit den Finanzen in unserer und für unsere Gesellschaft teils atemberaubend ausufernd und dann wieder enorm geizig umgegangen wird. Medienfragen werden nicht gestellt wie: Warum steht im Schwarzbuch eigentlich nichts von Verschwendung beim Rüstungsetat? Warum schreien die Schwarzbuch-Steuerprofis nicht auf, wenn sie von Kürzungen in vielen Bereichen des Gemeinwohls lesen? Wenn nicht investiert wird, bezahlt man später doppelt, das müsste doch den Finanzgenies und all den hellwachen Gesellschaftskritikern auffallen? Man müsste dem Verein in der Hinsicht beinah dankbar sein, dass er ziemlich frech und offen Kritik an Zuständen im Land übt, weil es bei anderen Profis der Offenlegung Defizite und eine andauernde Frage-Faulheit gibt. Dabei ist ‚die Augen und Ohren offen zu halten‘ tägliche Aufgabe der Vierten Gewalt, der Presse, der Medien – dem Staat, den Entscheidungsträgern in der Gesellschaft, in der Wirtschaft, in der Politik usw. auf die Finger zu schauen zum Beispiel. Mitunter scheint es, Augen, Ohren, Mund werden verschlossen, wenn es gewissen Leuten passt. Oder es wird das Spiel „freier, investigativer, kritischer Journalismus“ gespielt, um zu zeigen: Schaut her, wir sind unbequem. Kennen Sie das, wenn Sie Zeitung lesen? Gern werden in Zeitungen die Verwaltung in einem Rathaus, ein Landrat oder eine Landesregierung ordentlich durch den Kakao gezogen. Bei Firmen, bei Privatiers, bei den Einflussreichen der Gesellschaft sieht das schon anders aus. Komisch. Wer nicht fragt… Das Titellied der Kindersendung „Der, die, das“ aus der Sesamstraße hat einen wundervollen Schlusssatz: „Wer nicht fragt, bleibt dumm.“ Kindlich gefragt: Was ist dabei, wenn man sich in eine Pressekonferenz setzt und Fragen stellt? Und Nachfragen folgen lässt und nachhakt, wenn sich derjenige auf dem Podium, der Antworten geben soll, sagen wir mal höflich, ziert? Bei der Bundespressekonferenz – übrigens auch eine private Veranstaltung (Verein) und kein Angebot, keine Verpflichtung der Regierung und der Parteien – empfände das fragende Kind wenig Freude (mit einer Ausnahme). Man beobachte die Journalisten, die meist durch lahme Fragen, wenig Nachfragen und Nachhaken dafür sorgen, dass die Atmosphäre fein und höflich und langweilig ist. Unbequem sein wirkt geradezu störend und beschmutzend. Dass es anders geht, beweist seit einiger Zeit NachDenkSeiten-Autor Florian Warweg, der sich nicht scheut, die schöne Langeweile zu stören. Nebenbei: Journalisten sitzen ja nicht aus Spaß dort, sie sind Vertreter von uns allen. Sie stellen im besten Fall die Fragen, die der Bürger ja nicht stellen kann, weil er nicht in so eine Konferenz darf… Lieber ein Werbebuch für eine finanzstarke, öffentliche Gemeinwohlgesellschaft Deutschland ist ein reiches Land, heißt es oft. Das bedeutet, dass wir eigentlich über sehr viele Mittel und Möglichkeiten verfügen sollten. Und ja, Geld regiert die Welt – bei uns ebenfalls. Schlussfolgernd bedeutet das: Mit Geld werden viele Abläufe in unserer Gesellschaft reguliert, und wenn kein Geld zur Verfügung gestellt wird, dann nicht. Warum soll dann im Angesicht unseres Wohlstandes das Konstrukt „Staat“ schlank sein, ist doch der Staat unser aller Basis für Dinge wie die Daseinsvorsorge, das Allgemeinwohl, das Funktionieren der Gesellschaft? Schlank hingegen bedeutet, weniger handlungsfähig zu sein. Schlank bedeutet, dass Mittel und Möglichkeiten vorenthalten werden, die satt vorhanden sind in unserem wohlhabenden Land. Es kommt nicht von ungefähr, dass Worte wie Steuerflucht und Steuervermeidung im Schwarzbuch vermieden werden. Dem Bürger und Steuerzahler Otto Normalverbraucher werden diese Disziplinen Flucht und Vermeidung wenig geläufig sein. Schaden richten diese an und sind Blockaden für eine in sich wohlhabende, gemeinwohlorientierte Gesellschaft. Es kommt auch nicht von ungefähr, dass in den führenden Medien vermieden wird zu kritisieren, dass der Steuerzahlerbund Worte wie Steuerflucht und Steuervermeidung vermeidet. Der aufgeklärte Otto Normalverbraucher weiß, dass es Leute gibt, denen das Schweigen und Vermeiden nützt. Titelbild: ralphmeiling/shutterstock.com
Frank Blenz
Sie nennen ihre Auflistung von öffentlichen Steuerverschwendungen reißerisch „Schwarzbuch“: Süffisant wird darin aufgezählt und „uns allen“ vor Augen geführt, wie vom Bund bis in die Kommunen hinein schludrig mit „unser aller Geld“ umgegangen wird. Tatsächlich kann man mit dem Kopf schütteln, wenn von ungenutzten Parkhäusern, Brücken ins Nirgendwo und von sinnlosen Planstellen in Behörden zu l ...
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20. Oktober 2023 15:00
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Statistisches Bundesamt als Bundesbeschönigungsamt
„Zahl der unbefristet in Vollzeit Beschäftigten steigt deutlich“, „Tarifverdienste von April 2011 bis April 2012 um 2,2 % gestiegen“, so lauteten die Überschriften von zwei Meldungen des Statistischen Bundesamtes. Besonders die Erhöhung der Zahl der Erwerbstätigen ging heute durch alle Nachrichtensendungen. Man kann sicher sein, dass die Bundesregierung diese Zahlen einmal mehr als Erfolg für ihre Wirtschaftspolitik buchen wird. Betrachtet man die Statistiken etwas genauer, so sind die Schlagzeilen – zurückhaltend ausgedrückt – Beispiele für die Beschönigung durch Statistik. Von Wolfgang Lieb „Zahl der unbefristet in Vollzeit Beschäftigten steigt deutlich“ „Die Zahl der Beschäftigten in einem Normalarbeitsverhältnis stieg von 2010 auf 2011 um rund 610 000 Personen, wie das Statistische Bundesamt (Destatis) auf Basis von Ergebnissen des Mikrozensus mitteilt. Die Zahl der Erwerbstätigen insgesamt erhöhte sich in diesem Zeitraum um knapp 790 000. Die Normalarbeitsverhältnisse haben somit wesentlich zum Beschäftigungswachstum beigetragen… Bis 2005 war die Zahl der Personen in Normalarbeitsverhältnissen stetig gesunken. Seit dem Jahr 2006 ist wieder ein Anstieg zu verzeichnen, der 2011 besonders deutlich ausfiel“, heißt es in der Meldung. Man kann sich für jeden Einzelnen freuen, der in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis gefunden hat und ich will das gewiss nicht schlechtreden. Aber zur ganzen Wahrheit gehört eben auch, dass die Zahl der atypisch Beschäftigten – wenn auch prozentual nur halb so viel wie die Normalarbeitsverhältnisse – gleichfalls um 80.000 zugenommen hat. Nur durch den Anstieg der „Normalbeschäftigten“ auf knapp zwei Drittel (66,2 %) ging der Anteil der atypisch Beschäftigten leicht von 22,4 % auf 22,1 % zurück. In absoluten Zahlen haben die atypisch Beschäftigten mit 7.918 Millionen einen neuen Höchststand erreicht. 2001 lag diese Zahl noch bei 5,986 Millionen, knapp 2 Millionen Menschen mehr sind also in der zurückliegenden Dekade in atypischer Beschäftigung gelandet. Dieser historische Höchststand wäre mindestens genauso schlagzeilenträchtig, wie die relative Zunahme der Normalarbeitsverhältnisse, deren Zahl – wie das Statistische Bundesamt einräumt – mit 23,674 Millionen immer noch niedriger lag als vor zehn Jahren (23,740 Millionen) und deutlich unter den 26,83 Millionen im Jahre 1991. Noch deutlicher zeigt sich die Beschönigung in der Überschrift des Bundesamtes für Statistik aber in der Berechnungsmethode für ein Normalarbeitsverhältnis. Als Vollzeitbeschäftigte „gelten hier“ einfach alle Erwerbstätigen mit einer wöchentlichen Arbeitszeit ab 21 Stunden. Das ist etwas mehr als die Hälfte der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 38,07 Stunden (2011). Es dürften also eine Vielzahl von Arbeitnehmern zu „Vollzeit Beschäftigten“ gezählt werden, die in Teilzeit arbeiten. (Zur Definition der „Teilzeitarbeit“ siehe die Bundesagentur für Arbeit) Das Bundesamt für Statistik spricht bei seiner Erfolgsmeldung von „Normalarbeitsverhältnissen“. Zu den Kernformen der atypischen Beschäftigung zählen jedoch neben der geringfügigen und der befristeten Beschäftigung sowie der Leiharbeit aber auch die Teilzeitarbeit [PDF – 100 KB]. Von einer Zunahme der Beschäftigung dürfte man ohnehin wohl kaum sprechen können, denn das Arbeitsvolumen aller Erwerbstätigen hat in den letzten zehn Jahren eher abgenommen. Lag das Arbeitsvolumen im Jahr 2000 noch bei fast 58 Milliarden Stunden, so ist es seither eher rückläufig und lag 2010 (letzte mir zugängliche Statistik) bei etwas über 57 Milliarden Stunden [PDF – 285 KB]. Bei der „Erfolgsmeldung“ des Statistischen Bundesamtes handelt es sich im Übrigen nur um eine Momentaufnahme, denn die Nachfrage nach Mitarbeitern geht angesichts eingetrübter Konjunkturerwartungen zurück. Laut einer am gleichen Tag veröffentlichten Mitteilung der Bundesagentur für Arbeit, gab es im Juli so wenig offene Stellen wie seit einem Jahr nicht mehr. „Tarifverdienste von April 2011 bis April 2012 um 2,2 % gestiegen“ Genauso beschönigend wie die Meldung über den Anstieg der Vollzeitbeschäftigten ist die Statistik über den Anstieg der Tarifverdienste im April. Wollte man ein realistisches Bild zeichnen, wie viel die Arbeitnehmer tatsächlich mehr in der Tasche haben, so müsste man gleichzeitig darauf hinweisen, dass die Verbraucherpreise von April 2011 bis April 2012 um 2,1 % gestiegen sind, so dass sich die Kaufkraft der Arbeitnehmer gerade einmal um 0,1 % erhöht hat. Die Angaben zu den Tarifverdiensten vermitteln ohnehin ein geschöntes Bild der Lohnentwicklung, denn nur etwas über die Hälfte aller Arbeitnehmerinnen (52 %, im Osten Deutschlands gar nur 37 %) bezogen 2010 einen Lohn nach einem Branchentarifvertrag [PDF – 1 MB]. Die Löhne in Betrieben ohne Tarifbindung liegen in der Regel niedriger, teilweise sogar erheblich niedriger.
Wolfgang Lieb
„Zahl der unbefristet in Vollzeit Beschäftigten steigt deutlich“, „Tarifverdienste von April 2011 bis April 2012 um 2,2 % gestiegen“, so lauteten die Überschriften von zwei Meldungen des Statistischen Bundesamtes. Besonders die Erhöhung der Zahl der Erwerbstätigen ging heute durch alle Nachrichtensendungen. Man kann sicher sein, dass die Bundesregierung diese Zahlen einmal mehr als Erfolg für ...
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30. Juli 2012 17:08
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Philosophie und Wissenschaft als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln?
Von Reinhard Hesse[*]. – Redaktionelle Vorbemerkung: Der Autor war Professor für Philosophie und hat vor kurzem die Stiftung Freiheit der Wissenschaft gegründet. Er hatte einen Leserbrief zu seinen Erfahrungen bei einer Reise nach Königsberg geschickt. Daraus ist inzwischen der folgende Essay geworden. A. M. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Podcast: Play in new window | Download Mitte September habe ich als Tourist in Königsberg das Grab Kants besucht und bei der Gelegenheit einen Abstecher zum Kant-Institut an der „Baltischen Kant-Universität Kaliningrad“ gemacht, um mich dort für den alle fünf Jahre stattfindenden internationalen Kant-Kongress im April 2024, also zum 300. Geburtstag Kants, registrieren zu lassen. In diesem Zusammenhang erfuhr ich, dass deutscherseits als Reaktion auf den russischen Einmarsch in die Ukraine die Mitwirkung bei der Vorbereitung des Kongresses eingestellt worden sei. Es herrsche Funkstille. Ich muss gestehen, ich war bestürzt. Was hat Kants Philosophie mit dem Ukrainekonflikt zu tun?, fragte ich mich. Und auch: Wie sollen sich diejenigen russischen Philosophen fühlen, die die gegenwärtige russische Politik selbst ablehnen? Warum bricht man den Kontakt mit ihnen ab? Erst in diesem Moment, in der persönlichen Begegnung mit den Betroffenen, wurde mir wirklich klar, was der Kontaktabbruch konkret bedeutet. Wurden die philosophischen Kontakte mit anderen Ländern ebenfalls eingestellt, wenn deren Regierungen gegen das Völkerrecht verstießen? Hat man Yale und Harvard boykottiert, weil Amerika Jugoslawien oder den Irak (und etliche andere Staaten) völkerrechtswidrig angegriffen und dort hunderttausende ziviler Opfer verursacht hat? Wäre es nicht vernünftiger, gerade jetzt das Gegenteil zu machen: Intensivierung des Kontakts, Verbreiterung des Austausches, Vertiefung des Gesprächs? Ist denn die Wissenschaft – um das bekannte Clausewitz-Wort zu variieren – eine Art Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln? Eine „Gegenseite“, einen „Feind“, gibt es in ihr nicht. Es gibt nur Diskussionspartner. Diese können verschiedener Meinung sein und gegeneinander argumentieren. Aber indem sie gegeneinander argumentieren, anerkennen sie notwendigerweise ihre Argumentationspartner als Gleiche. Sollte man nicht diese „Friedenslogik“ der „Kriegslogik“ entgegensetzen? Gibt es denn etwas Wichtigeres als das Gespräch, als die gemeinsame, auf Gegenargumente hörende Suche nach der Wahrheit und nach dem richtigen Weg. Und gilt das nicht  g e r a d e  in Kriegszeiten? Wie kann man sich noch auf Kant berufen, wenn man das vergisst? Aber nicht nur die deutsche Kantgesellschaft, auch die großen deutschen Wissenschaftsorganisationen haben es für richtig befunden, den Austausch mit ihren russischen Gegenübern einzustellen. Sie folgen damit den politischen und medialen Vorgaben.  Sie hängen ihr Fähnchen in den Wind.  Dieser Kontaktabbruch geschieht einfach so, er wird einfach verkündet. Fertig. Danach geschieht – nichts. Es gibt so gut wie keinen artikulierten Widerstand. Wie kann das sein? Es kann doch nicht ohne Belang sein, wenn – wie ich jedenfalls meine – das allerelementarste, nicht nur wissenschaftliche, sondern auch allgemein menschliche Grundprinzip zivilisierten Lebens – nämlich, DASS MAN MITEINANDER REDET – missachtet wird. Ja, wenn offen dazu aufgerufen wird, es zu missachten! Denn wenn man sich zu diesem Niedrigsten hinreißen lässt, bleibt konsequenterweise am Ende wirklich nur noch die Gewalt, der Krieg. Der Kontaktabbruch ist dann der erste Schritt dazu. Meinem sozialdemokratischen Großvater Heinrich Hesse wurde erklärt, es sei für einen Deutschen ungehörig, sich mit Franzosen einzulassen, er sei dann ein Französling. Dann wurde er gegen seinen Willen in den Krieg geschickt, um möglichst viele dieser Leute, mit denen es keinen Sinn hat zu sprechen, abzumurksen. In verschiedener Weise orchestriert wurde das Gemetzel von hochtrabendem Gerede deutscher Intellektueller aus der damals ersten Reihe (Max Weber, Thomas Mann usw.) nach dem Motto: tiefe Kultur (D) gegen bloße Civilisation (F). Meinem sozialdemokratischen Vater Heinz Hesse wurde erklärt, es sei für einen Deutschen ungehörig, sich mit Juden einzulassen, er sei dann ein Jüdling. Juden seien Ungeziefer, Parasiten, Ratten. Dann wurde er gegen seinen Willen in einen noch größer angelegten Krieg geschickt, in dem es nicht zuletzt darum ging, möglichst viele dieser Leute, mit denen es sich nicht gehört zu sprechen, abzumurksen. In verschiedener Weise orchestriert wurde auch dieses Gemetzel von hochtrabendem Gerede deutscher Intellektueller aus der damals ersten Reihe (Carl Schmitt, Martin Heidegger usw.). Ihrem Enkel bzw. Sohn Reinhard wird nun bedeutet, es sei ungehörig für ihn als deutschen Wissenschaftler, sich mit Russen einzulassen, er sei dann Russlandversteher o.ä. Mit diesen Leuten spreche man nicht. Vor seinen ungläubigen Augen erhält ein Mensch den Friedenspreis des deutschen Buchhandels und wird im Festsaal des Börsenvereins mit minutenlangen „standing ovations“ gefeiert, der in seinen Texten Erkenntnisse zum Besten gegeben hat wie: die Russen seien Tiere, Barbaren, Ungeziefer, eine Horde, Verbrecher, Schweine, die in der Hölle braten sollen; ihr Nationaldichter Puschkin (1837 gestorben, Anm. Verf.) sei schuld daran, dass in seinem Lande Kriegsverbrecher geboren werden. „Ja, natürlich ist er schuldig. Alle sind schuldig.“, schreibt er. (Quelle: Die Zeit)  Nicht dafür, darf man annehmen oder mindestens hoffen, hat dieser Mensch den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhalten – den _Friedens_preis des deutschen Buchhandels!  Aber er hat ihn erhalten. Und man steht auf und applaudiert. Wenn ich als junger Mensch – aber leider Russe – an der Universität Konstanz studieren will, so darf ich das nicht. Warum nicht? Weil ich Russe bin! Nannte man so etwas früher nicht Sippenhaft? Mir wird jedoch die Gnade gewährt, beim Rektorat vorzusprechen, um vielleicht eine Ausnahmegenehmigung zu erwirken, obwohl ich Russe bin. Das Rektorat beurteilt das. Nach welchen Kriterien es urteilt, ist ihm überlassen. Nannte man früher so etwas nicht Willkür? Der Verfasser dieser Zeilen hat an dieser Universität studiert und promoviert. Ihm fällt es nicht leicht, das Obige zu berichten. Gegen seinen Willen an die Front geschickt werden kann Reinhard Hesse von Leuten, die so denken, nicht mehr, weil er zu alt dazu ist und weil Deutschland vorläufig ukrainische Soldaten vorlässt. Aber das wieder neu einsetzende hochtrabende Gerede führender deutscher Intellektueller muss er sich natürlich trotzdem anhören. Wie kann man sich selbst als Wissenschaftler, wie kann man sich als Mensch noch ernst nehmen, wenn man so etwas durchgehen lässt? Ich weiß nicht, wie das möglich wäre. Es handelt sich m.E. beim Thema Gesprächsabbruch – egal mit wem – keineswegs um eine Petitesse. Es handelt sich ums Eingemachte, um den Kern unseres wissenschaftlichen und menschlichen Seriositätsanspruchs. Mir ist nicht bekannt, welche anderen Länder es Deutschland in Sachen Abbruch der wissenschaftlichen Beziehungen nachtun. Diejenigen, die sich ohnehin weigern, bei der Sanktionspolitik mitzumachen, werden vermutlich auch auf wissenschaftlichem Gebiet keine Sanktionen verhängt haben. Das ist die große Mehrheit der Staaten dieser Welt, in denen zugleich die überwältigende Mehrheit der Weltbevölkerung lebt.  Haben die anderen EU-Länder, haben die anderen NATO-Länder ihre Wissenschaftsbeziehungen ebenfalls stillgelegt? Ich kann es mir kaum vorstellen. Die USA jedenfalls setzen ihre Zusammenarbeit mit Russland im Rahmen des wissenschaftlichen Großprojekts der Weltraumforschung wie selbstverständlich fort.  Kann Deutschland wenigstens für sich in Anspruch nehmen, die verhängten Wissenschaftssanktionen ergäben sich mehr oder weniger zwingend aus den allgemeinen Sanktionsbestimmungen der EU? Ich vermute Nein. Ich vermute, die Deutschen handeln wieder mal nach dem Motto „Wer, wenn nicht wir?“.   Ich habe im letzten Jahr die gemeinnützige „Stiftung Freiheit der Wissenschaft“ errichtet, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die Freiheit der Wissenschaft gegen die gegenwärtig machtvoll um sich greifende cancel culture zu verteidigen. Und nun werden die Wissenschaftler eines ganzen Landes gecancelt! Was fällt uns dazu ein? Zur Tagesordnung übergehen? Der erste Preisträger der Stiftung war Prof. Noam Chomsky, bekannter Linguist, politischer Kritiker – gerade auch der cancel culture – und meistzitierter Wissenschaftler der Welt. Ich habe ihm auf seinen Wunsch hin über meine Russlandreise berichtet, auch über meine Eindrücke von der allgemeinen Situation im Land und darüber, wie ich und meine (zuvor eher ängstliche) Partnerin von den Menschen behandelt wurden, nämlich – ausnahmslos –  höflich, freundlich und oft warmherzig. Und das, obwohl unsere Außenministerin es laut zum Ziel deutscher Außenpolitik erklärt hat, Russland zu „ruinieren“ und sich in diesem Zusammenhang über eine ihrer Meinung nach beginnende „Kriegsmüdigkeit“ der Deutschen beklagt hat.  Prof. Chomsky hat meinen Erfahrungsbericht mit Interesse aufgenommen und als Bestätigung seiner eigenen Einschätzung gesehen. „Quite fascinating, and very different from the dominant hysterical Russophobia.“ Demnächst soll immerhin an einer deutschen Universität eine Tagung über die völkerrechtliche Seite des Ukrainekonflikts und seiner Vorgeschichte stattfinden, zu der auch russische Fachvertreter eingeladen werden sollen. Damit täten die Veranstalter – ungeachtet des hochtrabenden Geredes der Abbruchfreunde – das banalerweise Selbstverständliche. „Audiatur et altera pars!“ So hieß es schon bei den Römern. Ein Richter, der den vor ihm stehenden Angeklagten nicht fragt: „Was haben Sie zu Ihrer Verteidigung zu sagen?“, hat nicht verstanden, was Gerechtigkeit ist; ein Professor, der Argumente ausschließen will, nicht, was Wissenschaft ist. Nicht der Gesprächsabbruch, sondern im Gegenteil die Gesprächsintensivierung ist der Weg, den zivilisierte Menschen in Konfliktsituationen wählen müssen, wollen sie nicht sich selbst diskreditieren. Davon ist gegenwärtig auf der hohen Ebene der Politik allerdings nichts zu spüren. „Quo vadis, Germania, in Deinem Kampf für das Gute?“, fragt sich der verschreckte Beobachter. Eine Antwort scheint sich anzudeuten. Sie liegt in der Logik der Abbruchbefürworter: „Braucht Deutschland Atomwaffen?“, wurde schon mehrmals in Zeitungen gefragt.  Zuletzt las ich wieder einen Artikel dazu in der FAZ.  Mir fiel bei der Lektüre der bekannte Ausspruch von Schopenhauer betreffend die „überschwängliche Dummheit der Deutschen“ ein. Mein Vater hat gern die Volksweisheit zitiert, wonach mit der Dummheit die Götter selbst vergebens kämpfen. Das dürfte wohl einigermaßen stimmen.  Gleichwohl aber müssen wir kämpfen – nicht nur, weil wir das, kantisch gesprochen, unserer Würde als Vernunftwesen schuldig sind, sondern auch, um in der konkret gegebenen historischen Situation Entwicklungen zu stoppen, die zu Katastrophen führen. Ich schließe diese Zeilen mit einer melancholischen Erinnerung an zivilisiertere Zeiten: In Russland kennt jeder Gebildete Nikolai Karamsins „Briefe eines russischen Reisenden“. Karamsin hat 1789/1790 Deutschland, die Schweiz, Frankreich und England bereist, beginnend in Königsberg mit einem Besuch bei Kant und endend in London, von wo er über seinen Besuch in der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften folgende Episode berichtet:  „Uns [Karamsin wurde von Herrn P., einem englischen Mitglied der Gesellschaft in diese eingeführt] … Uns begleitete ein junger schwedischer Baron, ein Jüngling von vielen Talenten und angenehmem Umgange. Als wir in den Versammlungssaal traten, reichte er mir die Hand und sagte lächelnd: „Hier sind wir Freunde (Russland und Schweden führten damals Krieg gegeneinander), mein Herr. Der Tempel der Wissenschaften ist der Tempel des Friedens.“ Ich lächelte, und wir umarmten uns brüderlich. Herr P. rief: „Bravo! Bravo!“ Die übrigen Engländer sahen mit Verwunderung auf uns, denn in England umarmen sich Männer gewöhnlich nicht. … Sie verstanden uns nicht, Sie ahnten nicht, dass wir zwei feindliche Nationen ein gutes Bespiel gaben, das vielleicht durch eine geheime Wirkung der Sympathie bald von Ihnen befolgt werden wird.“ „Der Tempel der Wissenschaft ist der Tempel des Friedens“, diesen Satz sollten sich die heutigen Freunde der Fortsetzung des Krieges mit wissenschaftlichen Mitteln hinter den Spiegel stecken! Titelbild: OlTarakanov / Shutterstock
Reinhard Hesse
Von Reinhard Hesse[*]. – Redaktionelle Vorbemerkung: Der Autor war Professor für Philosophie und hat vor kurzem die Stiftung Freiheit der Wissenschaft gegründet. Er hatte einen Leserbrief zu seinen Erfahrungen bei einer Reise nach Königsberg geschickt. Daraus ist inzwischen der folgende Essay geworden. A. M. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Mitte September habe ic ...
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17. Januar 2023 8:52
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Das griechische Referendum als Akt der Verzweiflung
Zwar bleibt immer noch ein Funken Hoffnung, dass sich die Konfrontation zwischen der griechischen Regierung und den drei „Institutionen“ noch in einen für alle Seiten gerade noch hinnehmbaren Kompromiss auflösen könnte, es spricht jedoch alles dafür, dass der Weg zu dem Referendum am 5. Juli für die griechische Seite ein Akt der Verzweiflung war, den man auf keinen Fall eingeplant hatte. Verzweiflung zum einen über die Zumutungen der Verhandlungspartner für die griechische Seite im letzten Stadium der Verhandlungen in Brüssel. Zweitens die Enttäuschung über die vollständige politische Isolation innerhalb der Euro-Gruppe vor allem auch über die mangelnde Solidarität der Südeuropäer. Und drittens stand Tsipras auch vor dem Problem der politischen Durchsetzbarkeit jeder Art von Kompromiss in seiner Partei Syriza, ja sogar innerhalb seines eigenen Kabinetts. Auch in Athen wird gerätselt was Tsipras mit dem Referendum tatsächlich erreichen will. In Ergänzung des Beitrags von Jens Berger beschreibt Niels Kadritzke das Drama vom Wochenende aus griechischer Sicht. Es fällt schwer, in dem Beschluss der Regierung Tsipras, in der jetzigen Situation ein Referendum über den Stand der Verhandlungen in der Brüsseler Gruppe zu veranstalten (also zwischen der griechischen Delegation und den drei Institutionen EU-Kommission, EZB und IWF), etwas anderes als einen Akt der Verzweiflung zu sehen. Ich werde diese Ansicht im Folgenden begründen. Ein Funken Hoffnung bleibt Vorweg verweise ich allerdings auf eine andere Möglichkeit, die dramatische Zuspitzung im Verhältnis zwischen den drei Institutionen und der Regierung Tsipras zu interpretieren. Obwohl diese Interpretation phantastisch – und vor allem verzweifelt optimistisch – klingt, kann man sie derzeit nicht von vornherein als Verschwörungsphantasie der absurden Art abtun. Es gibt jedenfalls Athener Kreise, die sich vorstellen (oder wünschen), dass die Eskalation vom vergangenen Wochenende ein Drama ist, das über die Inszenierung eines scheinbar unauflösbaren Konflikts am Ende zur „Katharsis“ führen könnte, das heißt zur Auflösung der Konfrontation durch einen für alle Seiten gerade noch hinnehmbaren Kompromiss. Sodass Griechenland, Europa und die Welt aufatmen könnten, jedenfalls für einige Zeit. Die beschwörende Hoffnung, dass an diesem Szenario etwas dran sein könnte, macht die schöne Theorie allerdings nicht realistischer. Dennoch gibt es einige Anhaltspunkte, dass die Sache mit dem Grexit – um das Drama bei seinem realistischen Namen zu nennen – noch nicht entschieden ist. Da gibt es erstens Äußerungen aus Brüssel (wie fast immer von EU-Kommissionspräsident Juncker und Finanzkommissar Moscovici), die noch einen letzten Spielraum für weitere Verhandlungen erkennen lassen. Ähnliche zarte Andeutungen kommen von Frankreichs Finanzminister Sapin und aus Italien, was im Falle beider Länder verständlich ist, weil der ökonomische und politische fallout eines Grexit gerade an den Aktien- und Bondmärkten dieser beiden Länder abzulesen sein wird. In der Tat soll es hinter den Kulissen intensive französische Bemühungen geben, noch vor einem Referendum zu neuen Verhandlungen zu kommen, was aber in Berlin ausdrücklich ausgeschlossen wird. Da gibt es zweitens das bemerkenswerte Engagement der USA, das sich nicht (wie bislang üblich) darauf beschränkt, dass Finanzminister Jack Lew beide Seiten zu einem dringend erforderlichen Übereinkommen mahnt (und dabei vor Kritik gerade an der deutschen Rolle nicht zurückscheut). Auch am Samstag hat Lew ausführlich mit Schlüsselpersonen wie Lagarde, Schäuble und Sapin telefoniert und seine Besorgnisse mitgeteilt. Bedeutsam ist dabei, dass Lew – nach eigenem Bekunden – seinen Gesprächspartnern klar gemacht hat, dass man nach dem griechischen Plebiszit auch über eine „wahrscheinliche Schuldenentlastung für Griechenland“ diskutieren müsse. Das Fehlen einer Aussage über dieses Thema ist einer der Hauptgründe, warum die griechische Regierung das letzte Vorschlagspapier der Institutionen als unakzeptabel zurückgewiesen hat. Gestern Abend hat auch noch Präsident Obama eingegriffen und in einem Telefonat mit Angela Merkel dafür geworben, „jeden Versuch zu unternehmen, auf einen Kurs zurückzukehren, der Griechenland erlaubt, seine Reformen und seine wirtschaftliche Entwicklung innerhalb der Eurozone fortzusetzen“. Mit derselben Botschaft hat sich Obama in Paris bei Hollande gemeldet. Und da ist drittens die bemerkenswerte Äußerung des griechischen Finanzministers Varoufakis, wonach noch immer die Chance bestehe, die Verhandlungen fortzusetzen und mit einem Kompromiss abzuschließen, der es der Regierung Tsipras erlauben würde, dem Volk bei dem für nächsten Sonntag angesetzten Referendum ein „Ja“ zu einer Vereinbarung zu empfehlen. Obwohl die Chancen, dass es diese Woche noch zu einer solchen Entwicklung kommt, eher bescheiden sind, wäre es falsch, eine solche Wende der Dinge auszuschließen. Wenn es denn so käme, würde das allerdings noch lange nicht heißen, dass ein solches Szenario vorweg geplant gewesen wäre. Vielmehr spricht alles dafür, dass der Weg zu dem Referendum am kommenden Sonntag dem 5. Juli für die griechische Seite ein Schritt der Verzweiflung war, den man auf keinen Fall eingeplant hatte. Das Referendum als Akt der Verzweiflung Diese Verzweiflung setzt sich aus drei Komponenten zusammen, die in der Summe den griechischen Regierungschef zu seinem Entschluss vom Freitagabend geführt haben. Was will Tsipras? In Athen wird jetzt viel gerätselt, was Tsipras tatsächlich will. Glaubt er wirklich an den Effekt eines überzeugenden Nein? Und wie weit kann er in der nächsten Verhandlungsrunde gehen, wenn es die nach einem „Ochi“ tatsächlich geben sollte? Oder plant er womöglich, mit der Schreckensvision des „Grexit“, die mit den verhängten Bankkontrollen erstmals in den Alltag der Griechen einbricht, den linken Syriza-Flügel in die Schranken weisen zu können? Die letztere Spekulation ist nicht so absurd, wie sie klingt. Denn wenn die Rechnung von Tsipras aufgeht, wenn also ein „Ochi“ den Weg zu neuen Verhandlungen und einem gerade noch ehrenvollen Kompromiss eröffnet, ragt am Horizont schon die nächste Felswand in die Höhe. Noch schwieriger als der verpasste Kompromiss, der am heutigen 30. Juni auch offiziell begraben wurde, dürfte ein Konsens in der nächsten Verhandlungsphase zu erreichen sein. Denn dann wird es um das „dritte Rettungspaket“ gehen, ohne das Griechenland die nächsten Jahre nicht innerhalb der Eurozone bestehen kann. Das dritte Memorandum ist der „Elefant“ in jedem künftigen Verhandlungsraum, von dem niemand spricht. Die Regierung in Athen will davon offiziell ebenso wenig wissen wie die CDU-Fraktion im Bundestag. Und für die linke Syriza wäre ein drittes Programm tatsächlich die letzte „rote Linie“, die sie niemals überschreiten würde. Spätestens dann, wenn eine Syriza-Regierung (vorausgesetzt sie übersteht das Referendum) an diesen Punkt neuer Verhandlungen käme, würde nach der derzeitigen Stimmungslage die Spaltung der Partei auf der Tagesordnung stehen. Dabei kann es in der Realität nur darum gehen, wie dieses nächste Rettungspaket –die wirklich letzte Chance zur Verhinderung eines Grexit – zu gestalten wäre. Erstens inhaltlich, in Bezug auf eine Schuldenentlastung und eine aktive Wirtschaftsbelebung, und zweitens formal, in Bezug auf faire und gleichberechtigte Verhandlungen ohne Ultimaten oder Erpressungsversuche. Was die inhaltliche Gestaltung betrifft, so müsste die griechische Seite endlich auch einen eigenen Beitrag zu einem ehrenvollen Kompromiss leisten, den bislang alle Athener Regierungen – einschließlich der Regierung Tsipras – schuldig geblieben sind: jene substantiellen Reformen, die nicht von der Troika oder den Gläubigern, sondern von der griechischen Realität diktiert werden, weil sie einfach notwendig sind, damit Griechenland zu einem vollwertigen und gleichwertigen Mitglied der europäischen Staatengemeinschaft werden kann. Bei seinem ersten Besuch in Berlin hat Finanzminister Varoufakis betont, dass 70 Prozent der auf dem Tisch liegenden Reformen im wohlverstandenen Interesse der Griechen sind. Von solchen Reformen war in den letzten Monaten viel zu wenig die Rede, in Athen wie in Brüssel. An dieser Stelle will ich nicht erörtern, welche taktischen und diplomatischen Fehler die Athener Regierung in den monatelangen Verhandlungen mit den Institutionen gemacht hat. Dazu wird man irgendwann noch viel erfahren, was wir heute nicht wissen. Aber was die Strategie der Verhandlungsführung betrifft, so kann man Tsipras und seinen Kollegen auch bei wohlwollender Betrachtung einen Vorwurf nicht ersparen: Sie hätte in punkto wirklich notwendiger Reformen viel weiter gehen müssen. Und sie hätte damit ihre Verhandlungsposition nur verbessern können. Wenn sich die Regierung darauf konzentriert hätte, nach spätestens zwei Monaten alle jene „unabdingbaren“ Reformen nicht nur anzukündigen, sondern anzupacken, die von griechischer Seite seit 2010 versprochen, aber nicht geliefert wurden, hätte sie viel mehr erreicht als mit fünf Monaten des Herumtaktierens und PR-Duellierens mit den Verhandlungspartnern. Man hätte erstens die Lähmung der Realwirtschaft vermieden, die Griechenland Verhandlungsposition stärker untergraben hat als alle Griechenland-Feinde zusammengenommen. Man hätte zweitens der eigenen Bevölkerung klargemacht, was ihr selbst als Beitrag zur Überwindung der langjährigen Krise abverlangt werden muss. Und sie hätte drittens in der europäischen Öffentlichkeit eine Wirkung erzielt, die es den Griechenland-Bashern und Grexit-Strategen in der Eurozone viel schwerer gemacht hätte, der Tsipras-Regierung das minimale Entgegenkommen zu verweigern, das deren pro-europäische Politik gegenüber der eigenen Bevölkerung glaub- und vertrauenswürdig machen würde.
Niels Kadritzke
Zwar bleibt immer noch ein Funken Hoffnung, dass sich die Konfrontation zwischen der griechischen Regierung und den drei „Institutionen“ noch in einen für alle Seiten gerade noch hinnehmbaren Kompromiss auflösen könnte, es spricht jedoch alles dafür, dass der Weg zu dem Referendum am 5. Juli für die griechische Seite ein Akt der Verzweiflung war, den man auf keinen Fall eingeplant hatte. Verz ...
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30. Juni 2015 14:23
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Faktencheck der Faktenchecker: Wie manipulativ ARD-„Faktenfinder“ versucht, Ganser, Guérot und Krone-Schmalz zu diffamieren
Der beitragsfinanzierte „Faktenfinder“ der Tagesschau nimmt in seinem neuesten Stück den Schweizer Historiker und Publizisten Daniele Ganser, die deutsche Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot sowie die ehemalige Moskau-Korrespondentin der ARD, Gabriele Krone-Schmalz, ins Visier. „Fragwürdig“, „minderwertig“ und „abwegig“ sind nur einige der Vokabeln, die bei diesem hochtendenziösen Tagesschau-Beitrag zur Anwendung kommen. Die NachDenkSeiten unterziehen den „Faktenfinder“-Artikel einem Gegencheck, zeigen Manipulationsmechanismen auf und schauen sich näher an, was die Redakteure des Machwerks sowie die von ihnen präsentierten „echten Experten“ tatsächlich an Fachwissen vorweisen. Von Florian Warweg. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Podcast: Play in new window | Download Schon der Titel zeigt auf, wohin die „Faktenfinder“-Reise diesmal gehen soll: „Viel Aufmerksamkeit für fragwürdige Experten“. Fragwürdig ist ein in seiner heutigen Bedeutung explizit abwertend gemeinter Ausdruck, als Synonym gibt der Duden „anrüchig, verdächtig, zwielichtig“ an. Mit „Faktenfinder“ im Sinne des Findens und Aufbereitens von Fakten bei höchstmöglichem Bemühen um „Objektivität und Unparteilichkeit“ im Sinne des Programmauftrags hat bereits die Überschrift so rein gar nichts zu tun. Faktenfinder-Artikel verstößt gegen Staatsvertrag Rufen wir uns in diesem Zusammenhang nochmals den genauen diesbezüglichen Wortlaut im Staatsvertrag Paragraf 11 Absatz 2 in Erinnerung: Gerade auch den letzten Satz sollten sich die „Faktenfinder“-Redakteure, insbesondere in Bezug auf ihre aktuelle Veröffentlichung, nochmal stärker ins Bewusstsein rufen. Der Teaser des neuen „Faktenfinder“-Stücks ist die konsequente Fortsetzung des gewählten Titels: „Fragwürdig“ wird ersetzt durch „vermeintlich“, und in absoluter Wortwahl wird behauptet, dass die Perspektiven von Ganser, Guérot und Krone-Schmalz in „der Wissenschaft“ als „abwegig“ gelten würden. Um es vorwegzunehmen: Im weiteren Verlauf des Artikels entpuppt sich „die Wissenschaft“ als drei semi-bekannte Professoren für osteuropäische Geschichte, die mehr oder weniger offen erklären, dass außer ihnen eigentlich niemand als Experte gelten sollte. Als Detail sei noch angemerkt, dass die sonst so ostentativ um Diversität und Quote bemühte Tagesschau hier ausschließlich männliche Professoren im besten Midlife-Crisis-Alter befragt, die dann teilweise offensiv unter der Gürtellinie („minderwertig“) und im Duktus verletzter Eitelkeit verbal über zwei Frauen herfallen (Guérot und Krone-Schmalz). In einem anderen Kontext hätte allein dieser Umstand zu einem Shitstorm geführt. Zum Glück für die ARD stehen aber die Professoren auf der guten Seite im Kampf gegen die angeblich „fragwürdigen“ Expertinnen. Da heiligt der woke Zweck auch schon mal die patriarchalen Mittel. Die „Expertise“ der Faktenfinder-Redakteure Damit wären wir bei den Autoren dieses „Faktenfinder“-Artikels. Verfasst wurde dieser Beitrag von Carla Reveland und Pascal Siggelkow. Beide Redakteure vereint der Hang zum Denunzieren. Während Reveland auf Twitter und via entsprechende „Faktenfinder“-Beiträge „Wie finanzieren sich Putin-Propagandisten?“ versucht, der deutsch-russischen Bloggerin Alina Lipp den Spenden-Geldhahn zuzudrehen, startete Pascal Siggelkow seine Karriere beim ÖRR, indem er maßnahmenkritischen Ärzten nachstellte. In der Kurzbiographie beim SWR heißt es unter anderem über ihn: Laut einem Blogbeitrag der FAZ war die jetzige „Faktenfinder“-Redakteurin Reveland zuvor neben ihrer Tätigkeit für den NDR in Hamburg auch als „freie Referentin“ bei der Amadeu Antonio Stiftung tätig, welche mehrere, um im Vokabular des „Faktenfinders“ zu bleiben, „fragwürdige“ Denunziationsportale unterhält. Reveland studierte laut Selbstdarstellung auf der Seite der Hamburg Media School Kulturjournalismus. Als einzige Auslandserfahrung wird auf „Indien und Suriname“ verwiesen. Diese Information ist nicht völlig irrelevant, wenn man bedenkt, dass diese „Faktenfinder“-Redakteurin mittlerweile regelmäßig zu Russland-Ukraine-Themen schreibt und, wie im aktuellen Fall, gestandenen Korrespondenten wie Krone-Schmalz oder auch Historikern wie Daniele Ganser fehlende Expertise zu einer Region vorhält, mit der sie sich selbst vor dem 24. Februar 2022 nachweislich kaum beschäftigt hat. Ihr Co-Autor Siggelkow erreichte im Februar 2023 einen gewissen Bekanntheitsgrad, weil er das Kunststück fertigbrachte, die Recherchen von Seymour Hersh zur Nord-Stream-Zerstörung völlig falsch zu übersetzen. Er machte aus der Verbkonstruktion „(to) plant shaped C4 charges“ (also „platzieren von C4-Hohlladungen“) ein Substantiv: „Sprengstoff in Pflanzenform“ und befragte dazu extra einen Sprengstoff-Experten, der dann auch ausführlich in einem ganzen Unterkapitel des entsprechenden „Faktenfinder“-Artikels erklären durfte, wie „abenteuerlich“ die Behauptung von Hersh sei, dass angeblich Sprengstoff in Pflanzenform eingesetzt wurde. Selbst beim meist staatskonform berichtenden Nachrichtenportal t-online sah man sich danach gezwungen zu titeln: „ARD blamiert sich mit Übersetzungsfehler“. Siggelkow gibt in seinem Xing-Account übrigens selbstbewusst an, Englisch „fließend“ zu beherrschen. Dieser haarsträubende Fehler und die darauf aufbauende haltlose Verleumdung von Hersh wurden bis zum heutigen Tage von der Tagesschau-Redaktion nicht aufbereitet. Das prangert mittlerweile auch der damals von Siggelkow befragte Sprengstoffexperte David Domjahn an und fordert vor dem Hintergrund des intransparenten Umgangs der ARD mit dem Vorfall eine grundlegende „Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“. Neben Englisch scheint der „Faktenfinder“-Autor aber auch mit deutscher Grammatik auf Kriegsfuß zu stehen. Das Online-Portal Telepolis weist beispielsweise in einem Artikel mit dem Titel „Wie der ARD-Faktenfinder Realität im Nachrichtentext bewertet“ nach, dass Siggelkow regelmäßig in seinen Beiträgen Verbmodi durcheinanderbringt. So viel zur Expertise der selbsternannten „Faktenfinder“-Redakteure der Tagesschau. Widmen wir uns nun dem von ihnen verfassten Machwerk. Drei kaum bekannte Historiker als Kronzeugen gegen Ganser, Guérot und Krone-Schmalz Zunächst führen Reveland und Siggelkow den Professor für Osteuropäische Geschichte an der Universität Basel, Frithjof Benjamin Schenk, an, der erklären darf, dass Ganser keine „eigene Forschung oder wissenschaftliche Publikationen über die Ukraine“ vorweisen könne. Das mag in der Eingrenzung auf „wissenschaftliche Publikationen“ sogar stimmen. Wirft man allerdings einen Blick auf die Publikationsliste von Prof. Dr. Schenk, dann fällt auf, dass er zwar durchaus interessante Veröffentlichungen wie zum Beispiel „Imperiale Nostalgie und Genderkonzepte in den Erinnerungen einer russischen Adeligen“ vorzuweisen hat – aber von eigener Forschung und Publikation zur Ukraine ist vor 2022 ebenfalls nichts zu finden. Das hindert Schenk aber nicht daran, via „Faktenfinder“ zu erklären, dass sich Gansers Thesen „zum russischen Angriffskrieg“ stark von dem unterschieden, „was aus Sicht vieler Osteuropahistoriker Konsens ist“. Das ist ein Argumentationsmuster, dessen sich auch die anderen vom „Faktenfinder“ befragten Historiker bedienen: Was Ganser, Guérot und Krone-Schmalz erzählen, sei kein Konsens in der deutschen Osteuropa-Wissenschaft, ergo sei es falsch. Ganser zweifelt „offizielle Untersuchungsergebnisse“ an Abschließend wird Schenk mit der Aussage zitiert, „ein dezidierter Antiamerikanismus“ ziehe sich „wie ein roter Faden“ durch die gesamten Arbeiten Gansers. Das „Faktenfinder“-Autorenteam ergänzt diese Behauptung mit dem vielsagenden Satz: Da zweifelt jemand tatsächlich „offizielle Untersuchungsergebnisse“ an. Also wirklich, wenn so was Schule machen würde! Man bedenke nur, Journalisten würden offizielle staatliche Untersuchungsergebnisse, etwa zum Mord an John F. Kennedy, den Massenvernichtungswaffen im Irak oder zum NSU-Komplex, hinterfragen. Der selbsternannte „Ukraine-Experte“ aus Tübingen Danach bekommt Klaus Gestwa, derzeit Direktor des Instituts für Osteuropäische Geschichte an der Universität Tübingen, seinen Auftritt beim „Faktenfinder“. Gestwa hat ebenso wie Schenk vor dem 24. Februar 2022 keine einzige Publikation zur Ukraine vorzuweisen, wie ein Blick auf seine Publikationsliste bezeugt. Das hindert ihn aber nicht daran, sich aktuell als „Ukraine-Experte“ zu verkaufen – eine Selbstvermarktung, die von zahlreichen deutschen Medien gerne und völlig unkritisch aufgegriffen wird. Befragt man hingegen ehemalige Studierende Gestwas (der Autor dieser Zeilen studierte in den 2000er-Jahren in Tübingen und verfügt daher noch über entsprechende Kontakte), ergibt sich ein ganz anderes Bild, als dieser derzeit von sich selbst zeichnet. Gestwa kommt aus der Wirtschaftsgeschichte, seine Doktorarbeit ging über die „Proto-Industrialisierung in Russland von 1741 bis 1932“, und er hat sich nach übereinstimmender Erinnerung der befragten ehemaligen Studierenden am Osteuropa-Institut nie für die Ukraine interessiert. Im Gegenteil, Magister- und Dissertationsprojekte, die sich nicht mit Russland, sondern mit der Ukraine beschäftigten, hätte er, so die Befragten, oft „belächelt“ oder mit offenem Desinteresse behandelt. All dies hindert den Wirtschaftshistoriker nicht daran, gegenüber dem „Faktenfinder“ lauthals zu verkünden, dass es „gleich auf mehreren Ebenen“ falsch sei, wenn Ganser von einem Putsch gegen den früheren ukrainischen Präsidenten Viktor Janukowitsch spreche: Somit stimme das Wort Putsch nicht mit den Geschehnissen des Euromaidans überein, denn „der Euromaidan“ sei laut Gestwa „die größte demokratische Massenbewegung in Europa seit 1989“ gewesen. Doch hält diese Darlegung und Definition einer Überprüfung stand? Nicht im Mindesten. Zunächst lässt sich festhalten, dass Militärs und Geheimdienstler, im Gegensatz zur vorgelegten Definition des Tübinger Historikers, sowohl in der Politik- wie auch der Geschichtswissenschaft nicht als „politische Funktionsträger“ gelten. Sie sind, zumindest offiziell, weder Teil der Exekutive noch der Legislative. Nimmt man den Verweis auf Militär und Geheimdienst weg, dann wiederum deckt sich die Putsch-Definition von Gestwa genau mit den Vorfällen zwischen dem 21. und 23. Februar 2014: Nach der damals gültigen ukrainischen Verfassung (Artikel 108) konnte die Amtsperiode des Präsidenten nur aus vier Gründen vorzeitig beendet werden: wegen Rücktritts, aus gesundheitlichen Gründen, im Zuge eines Amtsenthebungsverfahrens oder wenn der Amtsinhaber verstirbt. Keiner der vier Gründe traf auf die Absetzung von Janukowitsch zu. Weder war er zurückgetreten noch schwer erkrankt, und ein Amtsenthebungsverfahren hatten die Oppositionsführer Vitali Klitschko, Arsenij Jazenjuk und Oleg Tjagnibok auch nicht durchgeführt. Selbst ein Faktencheck des Spiegels zu der Thematik kommt zu dem Ergebnis, dass der Sturz von Janukowitsch verfassungswidrig war. Das Hamburger Magazin, Bezug nehmend auf eine entsprechende Aussage des russischen Präsidenten Wladimir Putin, schließt seinen Faktencheck mit dem Satz: Fassen wir zusammen: Die damaligen Oppositionsführer Klitschko, Jazenjuk und Tjagnibok nutzten die instabile Situation Ende Februar 2014, um, ohne verfassungsrechtliche Grundlage, den amtierenden Präsidenten abzusetzen und eine neue Interimsregierung zu installieren. Wie lautete nochmal die „Putsch“-Definition von Gestwa, mit der er angeblich Gansers Darlegung widerlegt? Gegenüber dem „Faktenfinder“ führt Gestwa dann weiter aus, dass auch die Behauptung Gansers, Janukowitsch sei gestürzt worden, „faktisch falsch“ sei. Mit dieser Aussage lehnt sich Gestwa ganz weit aus dem Fenster, denn nicht nur Ganser, sondern auch die gesamten westlichen Leitmedien wie die New York Times (hier) oder auch die ZEIT (hier) sprechen in diesem Zusammenhang von „Sturz“. Um den Eindruck ob der intellektuellen Verfasstheit des Tübinger Geschichtsprofs abzurunden, sei auf seine Aussage bei einer Podiumsdiskussion am 15. März in Leinfelden-Echterdingen bei Stuttgart verwiesen. Dort bezeichnete er in seiner Eigenschaft als Direktor des Osteuropa-Instituts der Universität Tübingen den Schweizer Historiker öffentlich als „Putin-Troll auf Globuli“ sowie „Friedensschwurbler“. Ulrike Guérot und ihre angeblich „minderwertige Quellenauswahl“ Nach Ganser wendet sich der „Faktenfinder“ der Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot zu. Eingangs erklären die Redakteure, Guérot hätte ebenso wie Ganser „speziell zur Geschichte Russlands oder der Ukraine keine wissenschaftlichen Publikationen veröffentlicht“ – um sich dann darauf aufbauend zu beschweren: Man fragt sich umgehend, ob den „Faktenfinder“-Redakteuren die Implikation ihrer Aussage bewusst ist. Wenn in die Talkshows von ARD und ZDF (Hart aber Fair, Maischberger etc.) nur noch Personen eingeladen werden dürften, die „wissenschaftliche Publikationen“ in dem jeweilig zu diskutierenden Themengebiet vorzuweisen haben, dann dürfte so gut wie kein Bundestagsabgeordneter, Unternehmer oder FFF-Aktivist mehr als Gast zu sehen sein; und auch nicht die ausführlich vom „Faktenfinder“ zitierten Osteuropa-Historiker aus Basel und Tübingen, denn die haben, wie bereits aufgezeigt, „speziell zur Geschichte der Ukraine“ bis 2022 nichts vorzuweisen. Um die Politikwissenschaftlerin und Publizistin weiter zu diffamieren, wird dann Martin Aust, Professor für Osteuropäische Geschichte an der Universität Bonn, in Stellung gebracht. Dieser verfasste seine Doktorarbeit über „Adlige Landstreitigkeiten in Russland. Eine Studie zum Wandel der Nachbarschaftsverhältnisse 1676–1796“ und hat wie auch seine bereits zuvor zitierten Kollegen vor dem 24. Februar 2022 kaum zur Ukraine geforscht und publiziert. Schwerpunkte bei allen drei Historikern waren bis 2022 Russland in der Zarenzeit und die Sowjetunion. Das hindert aber auch Aust nicht daran, sich jetzt als Ukraine-Experte zu verkaufen. Das führt in seinem Fall zu geradezu absurden Äußerungen. So wirft er Guérot vor, dass sie die These verbreite, das große strategische Ziel der US-amerikanischen Außenpolitik sei es, Russland und die Europäische Union voneinander zu entfremden, und das Instrument dafür sei die Ukraine. Diese These sei ein Beleg, dass die Politikwissenschaftlerin auf mehreren Ebenen nicht mit der Thematik vertraut sei. Gegenüber „Faktenfinder“ erklärt Aust weiter: Dieser Einschätzung von Aust stehen zum einen die von den USA offiziell eingeräumten Zahlungen bis 2014 des US-Außenministeriums und der USAID an die „ukrainische Zivilgesellschaft“ in Höhe von über fünf Milliarden US-Dollar entgegen. Die ZEIT titelte dazu im Mai 2015: „Haben die Amis den Maidan gekauft?“ Zum anderen spricht auch die enorme Höhe an US-Militärhilfe für die Ukraine, welche mit rund 50 Milliarden US-Dollar (Stand Januar 2023) fast dem Umfang des gesamten russischen Militärhaushalts entspricht, gegen die These von Aust und für die Guérots. Quelle: de.statista.com Zudem gibt es zahlreiche Aussagen US-amerikanischer Politiker und Geostrategen, welche die These von Guérot untermauern. Am bekanntesten ist wohl die Rede eines der renommiertesten US-Geostrategen, George Friedman. Dieser erklärte beispielsweise bei einer Rede vor dem Chicago Council on Global Affairs, einem transatlantischen Thinktank: Der Deutschlandfunk schreibt hierzu: Der Bonner Historiker greift dann noch tiefer in die sprachliche Eskalationskiste und wirft Guérot vor, ihre Publikationen hätten eine „minderwertige Quellenauswahl“. Weiter führt er aus: Weder Aust noch die „Faktenfinder“-Redakteure nennen einen konkreten Buchtitel, auf den sich dieser Vorwurf beziehen könnte. Vermutlich spielt Aust aber auf den von ihr und Hauke Ritz verfassten und im Westend-Verlag erschienenen Essayband „Endspiel Europa – Warum das politische Projekt Europa gescheitert ist − und wie wir wieder davon träumen können“ an. Hier zeigt sich die manipulative Perfidität des Vorwurfs von Aust, denn ein Essay hat per definitionem gar keinen streng wissenschaftlichen Anspruch: Abschließend darf Aust dann noch den Diffamierungsklassiker von sich geben, dass Guérot „der russischen Propaganda vollkommen in die Karten“ spiele. Krone-Schmalz und der „wissenschaftliche Konsens“ Last but not least arbeitet sich der „Faktenfinder“ noch an der langjährigen Moskau-Korrespondentin der ARD, Gabriele Krone-Schmalz, ab. Zunächst wird sie etwas sanfter angefasst, nur um dann mit um so härteren Vorwürfen überschüttet zu werden. In dem ihr gewidmeten Kapitel heißt es eingangs: Doch gleich danach heißt es in dem „Faktenfinder“-Artikel, dass auch Krone-Schmalz mit ihren Ansichten zum Teil „stark vom wissenschaftlichen Konsens“ abweiche und zudem „die russischen Gräueltaten“ relativiere. Bereits der erste Vorwurf ist vielsagend. Hier wird im „Faktenfinder“-Artikel behauptet, Krone-Schmalz würde von einem „wissenschaftlichen Konsens“ abweichen. Doch wer bestimmt eigentlich, was „wissenschaftlicher Konsens“ ist? Und in welcher Fachrichtung? Die drei zitierten und bisher kaum bekannten Osteuropa-Historiker, die vor Februar 2022 zudem selbst kaum zur Ukraine geforscht und publiziert haben? Ebenso bezeichnend ist dann die nächste Aussage von Aust in Bezug auf Ganser, Guérot und Krone-Schmalz: Für den Bonner Osteuropa-Historiker ist es also bereits ein „grundlegendes Problem“, wenn ein Historiker wie Ganser oder eine Politikwissenschaftlerin wie Guérot darauf hinweisen, dass „Putin nicht an allem schuld ist“. Dieser hier von Aust formulierte, völlig undialektische Absolutheitsanspruch, dass nur eine einzige Seite die alleinige Schuld am aktuellen Krieg in der Ukraine trüge, zeugt von einem erschreckenden (Un)Verständnis wissenschaftlichen Arbeitens in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Aust, der sich anmaßt, anderen die „Wissenschaftlichkeit“ abzusprechen, offenbart damit, wer hier in Wirklichkeit die größten Defizite aufweist. Doch nicht nur Aust leistet durch seine Aussagen gegenüber „Faktenfinder“ einen Offenbarungseid zum Zustand der Osteuropa-Forschung in Deutschland. Fast noch gravierender aus wissenschaftlicher Sicht sind die abschließenden Darlegungen des Direktors des Instituts für Osteuropäische Geschichte an der Universität Tübingen. Gegenüber dem „Faktenfinder“ erklärt dieser am Ende: Erneut lässt sich dasselbe Phänomen wie bei seinem Kollegen aus Bonn beobachten: anderen vehement die Wissenschaftlichkeit absprechen – aber selbst auf Basis reiner Küchen-Psychologisierung argumentieren. Und es wird noch besser. Gestwa führt dann nämlich weiter aus, „aus diesem autoritären Regime Putins“ heraus „erwachse automatisch (!) so etwas wie eine äußere Aggression“, die sich dann auch in Kriegsaktionen niedergeschlagen habe. Automatisch ist wohl der mit Abstand unwissenschaftlichste Begriff überhaupt, der sich für die Beschreibung von politischen oder gesellschaftlichen Entwicklungen finden lässt. Der zumindest dem Titel nach führende Osteuropa-Forscher der „Leuchtturm-Uni“ Tübingen tut aber genau dies und versucht, uns „via Faktenfinder“ Geschichte als Automatismus zu verkaufen. Deutsche Osteuropa-Forschung gemeinsam mit dem „Faktenfinder“ am Abgrund der Glaubwürdigkeit. Titelbild: Screenshot von tagesschau.de/faktenfinder/
Florian Warweg
Der beitragsfinanzierte „Faktenfinder“ der Tagesschau nimmt in seinem neuesten Stück den Schweizer Historiker und Publizisten Daniele Ganser, die deutsche Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot sowie die ehemalige Moskau-Korrespondentin der ARD, Gabriele Krone-Schmalz, ins Visier. „Fragwürdig“, „minderwertig“ und „abwegig“ sind nur einige der Vokabeln, die bei diesem hochtendenziösen Tagesscha ...
[ "Diffamierung", "Faktencheck der Faktenchecker", "Faktenfinder", "Ganser, Daniele", "Geostrategie", "Guérot, Ulrike", "Krone-Schmalz, Gabriele", "Putsch", "Ukraine", "USA" ]
[ "Audio-Podcast", "Lobbyorganisationen und interessengebundene Wissenschaft", "Medienkritik", "Strategien der Meinungsmache" ]
29. März 2023 9:00
https://www.nachdenkseiten.de/?p=95604
Wirtschaftspolitik und Konjunktur
Wer denkt, bei den Verhandlungen zwischen den USA und Russland zur Beendigung des Ukrainekriegs ginge es um die Souveränität oder gar das Existenzrecht der Ukraine, muss ziemlich naiv sein. Der Westen hat den Krieg verloren. Nun geht es zugespitzt vor allem darum, wer die Rechnung für diesen geostrategischen Reinfall bezahlt – die USA oder Europa? Weitestgehend unbeachtet von der deutschen Medienberichterstattung schaffen die USA in diesen Tagen Fakten – ein umfassendes amerikanisch-ukrainisches „Rohstoffabkommen“, das kurz vor der Unterzeichnung steht, soll den USA die Hälfte aller künftigen Einnahmen aus der ukrainischen Rohstoffförderung zusichern. Donald Trump spricht von 500 Mrd. US-Dollar. Die EU geht dabei leer aus und bleibt auf ihren Kosten sitzen und auch für die Ukraine bedeutet dieses Abkommen nichts anderes, als dass dem Land eine düstere ökonomische Zukunft bevorsteht. Es ist, als hätte man sich mit der Mafia eingelassen. Von Jens Berger. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
NachDenkSeiten - Die kritische Website
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25. Februar 2025 11:35
https://www.nachdenkseiten.de/?cat=30&paged=3
Was vor 20 Jahren Verschwörungstheorie war, ist heute eine unbestrittene Tatsache
Vor neun Monaten erfuhren wir, dass die zwei toten Männer im Campingwagen nicht nur routinierte Bankräuber, sondern vor allem Mitglieder einer neonazistischen Terrorgruppe namens ›NSU‹ waren, von deren Existenz keine staatliche Stelle etwas gewusst haben will. Seither gibt es eine Flut von Medienberichten und zahllose journalistische Recherchen, die sich um Aufklärung bemühten. Die These, der Grund für den „blinden Staat“ sei ein Verkettung von Versäumnissen, Pannen und persönlichen Unzulänglichkeiten lässt sich kaum noch halten. Ein Verfassungschef nach dem anderen tritt zurück, ein Dominoeffekt wird befürchtet, ein Systemabsturz. Die Gefahr, dass man aus diesem organisierten Versagen eben nicht die Stärkung jener Geheimdienste ableiten kann, sondern ihre Auflösung, bringt aber nun Aufklärungs- und Verdunklungswillen wieder zusammen. Soweit will es niemand kommen lassen, bei allem Bedürfnis nach Quote und Auflagesteigerung. Jetzt heißt es, als Regierung und Opposition zusammenzuhalten und das erschütterte Vertrauen in den Verfassungsschutz in einer Blitzheilung wiederherzustellen. Von Wolf Wetzel. Zwischen ›blindem‹ und ›tiefem‹ Staat (Chaostheorie, Süddeutsche Zeitung vom 5.7.2012) Vor neun Monaten erfuhren wir, dass die zwei toten Männer im Campingwagen nicht nur routinierte Bankräuber, sondern vor allem Mitglieder einer neonazistischen Terrorgruppe namens ›NSU‹ waren, von deren Existenz keine staatliche Stelle etwas gewusst haben will. Herrschte über ein Jahrzehnt Ahnungslosigkeit, so wurden wir in der Folgezeit mit einer Flut von Medienberichten konfrontiert, die Fakten, Indizien, Auszüge aus bislang geheim gehaltenen Akten an die Oberfläche spülten, über die alle Verfolgungsbehörden, von Polizeidienststellen, über Landesämter des Verfassungsschutzes, bis hin zu Bundesbehörden (BfV, BKA, GBA) den Teppich des Schweigens ausgebreitet hatten. Alle großen Medien beteiligten sich an dieser Aufklärungsarbeit, unabhängig von ihrer politischen Ausrichtung. Die BILD-Zeitung interviewte einen SOKO-Chef, der der offiziellen Version von den tödlichen Ereignissen am 4. November 2011 deutlich widersprach, die Süddeutsche Zeitung und die Frankfurter Rundschau zitierten aus geheim gehaltenen Unterlagen, die der offiziellen Version, man habe keine ›heiße Spur‹ zu den NSU-Mitgliedern gehabt, eklatant widersprachen. Auch einige Fernsehsender beteiligten sich mit eigenen Recherchen daran, wie die ZDF-Dokumentation, die die Eltern von Uwe Böhnhardt ausführlich interviewte und die massive Behinderung der Aufklärung des Mordes 2006 in Kassel durch den damaligen hessischen Innenminister Bouffier belegen konnte. Nun scheint sich aber der Wind in vielerlei Hinsicht zu drehen: Zum einen gibt es jetzt doch Verantwortliche für den Umstand, dass einer der bestausgerüsteten Gewaltmonopole in Europa über zehn Jahre keine Ahnung von den abgetauchten Mitgliedern des Thüringer Heimatschutzes/THS gehabt haben will, obwohl dieser von so vielen V-Männern durchsetzt war, dass man heute mit dem Zählen nicht nachkommt. Aktuell mussten der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz/BfV und des Thüringer Verfassungsschutzes ihre Ämter aufgeben. Aber jetzt wird ein Dominoeffekt befürchtet, ein Systemabsturz. Denn die These, es handele sich bei alledem um Versäumnisse, Pannen und persönliche Unzulänglichkeiten lässt sich kaum noch halten. Die Gefahr, dass man aus diesem organisierten Versagen eben gerade nicht die Stärkung jener Geheimdienste ableiten kann, sondern ihre Auflösung, bringt nun Aufklärungs- und Verdunklungswillen wieder zusammen. Soweit will es schließlich niemand kommen lassen, bei allem Bedürfnis nach Quote und Auflagesteigerung. Jetzt heißt es, als Regierung und Opposition zusammenzuhalten und das erschütterte Vertrauen in den Verfassungsschutz in einer Blitzheilung wiederherzustellen. Die umbrella-man-Theorie – der Rettungsschirm der Aufklärer? Auch medial wird das Ruder wieder herumgerissen. In der Politsendung ›Panorama‹ vom 5.7.2012 kommt ausführlich das Ehepaar Temme zu Wort. Im Zentrum steht die Rolle des hessischen Ex-Verfassungsschutzmannes Andreas Temme, der zur selben Zeit in jenem Internet-Café in Kassel war, als der türkische Besitzer hingerichtet wurde. Lässt man die Bilder und Worte auf sich wirken, hat man nur eines: Mitleid mit einem Verfassungsschutzmann, der seinen Job verloren hat, mit seiner Ehefrau, die alles mit ertragen musste und dennoch und jetzt erst recht zu ihm hält. Am Ende dieses Beitrages erscheint das Opfer nicht der türkische Internet-Besitzer, sondern Andreas Temme, der all dem wehrlos ausgeliefert ist. Gemeinsames Fazit der Panorama-Redakteure und des Ehepaares Temme: am falschen Ort, zur falschen Zeit! An allem anderen sind die Medien schuld. Am selben Tag überrascht auch die Süddeutsche Zeitung mit einem ganzseitigen Artikel: Der Titel liegt noch ganz auf der kritischen Linie der Redaktion und macht neugierig. Was dann jedoch folgt, ist eine ganzseitige Selbstidiotisierung, auf scheinbar hohem Niveau. Man lässt die Story im Jahr 1963 beginnen, als John F. Kennedy ermordet wurde. In der Elm Street in Dallas, wo das Attentat geschah, wurde ein Mann unter einem Regenschirm gesehen, der einzige an diesem recht warmen, himmelblauen Tag. Angeblich ranken sich um diesen ›umbrella man‹ zahlreiche Geschichten, bis heute: »Eine der vielen bis heute umlaufenden Verschwörungstheorien besagt, dass Kennedy aus dem Regenschirm heraus erschossen wurde.« Dann folgt ein großer Zeitsprung und wir landen im Jahr 2012 – in Deutschland. Die Redakteure John Goetz, Hans Leyendecker und Tanjev Schultz wollen zwei Wiedergänger ausfindig gemacht haben. Der erste ›umbrella man‹ ist der Leiter der Referatsgruppe 2b im Bundesamt für Verfassungsschutz, der die Vernichtung der Akten über die ›Operation Rennsteig‹ auf sich genommen hat. Der zweite Wiedergänger ist der bereits erwähnte ehemalige hessische Verfassungsschutzmitarbeiter Andreas Temme. Was sollen der umbrella man und die Beiden gemeinsam haben? Bis die Redakteure darauf eine Antwort geben, lassen sie uns Leser noch eine ganze Weile zappeln. Bevor die Auflösung kommt, werden noch einige bekannte Merkwürdigkeiten aufgezählt, die eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit zwischen Behörden und Neonazis begründen könnten. Welchen Schluss sie daraus ziehen, verrät ganz Ende der Plot, ein erneuter Zeitensprung in die USA: »Jahre nach dem Attentat in Dallas auf den damals mächtigsten Mann der Welt sagte er (der umbrella man, d.V.) im amerikanischen Kongress aus. Er brachte seinen Schirm mit und erklärte, er habe ihn damals nur als Zeichen des Protests verwendet.« Was will uns diese Parabel sagen? Der umbrella man in den USA, der BfV-Referatsleiter und der hessischen Verfassungsschutzmitarbeiter sind Opfer missverständlicher, unglücklicher Umstände! Ganz in diesem Sinne hat der Ex-Verfassungsschutzmitarbeiter Andreas Temme auch das letzte Wort: Ganz einfach!? Ein vielleicht literarisch gekonntes Plädoyer für einen Freispruch, der sich auf jeden Fall mit einem messen lassen kann: mit dem Aufklärungswillen der Verfolgungsbehörden. Selbstverständlich handelt es sich auch hier um einen reinen Zufall: Der Mitredakteur John Goetz des Artikels in der Süddeutschen Zeitung war auch Mitredakteur bei der erwähnten Panorama-Sendung vom 5.7.2012. Haben die Aufklärer plötzlich Angst vor der eigenen Courage bekommen? Warum kommen sie zu einem Schluss, der ihre eigenen Zweifel ad absurdum führt? Sind es die Fakten, die sie mit zusammengetragen haben, die sie zu einem solch billigen Ende führen, oder die Angst vor den politischen Konsequenzen, die sich daraus ergeben müssten? Wer kann im Darkroom (was) sehen? Mark Nenecke, Kriminalbiologe, FR vom 17.6.2011 Sich auf das Terrain von Geheimdiensten und Verfolgungsorganen zu begeben, heißt immer, sich in verdunkelten Räumen zurechtzufinden. Das hat nichts mit obskuren Bedürfnissen zu tun, sondern mit dem Gegenstand der Untersuchung. Sowohl Geheimdienste als auch Verfolgungsorgane nehmen für sich in Anspruch, nicht alles preiszugeben, schon gar nicht, ihr Tun vor der Öffentlichkeit zu rechtfertigen. Als Begründung dienen ›übergeordnete Staatsinteressen‹, zu deren Schutz tatsächliches Wissen und Tun der Geheimhaltung unterliegen. Einer unter diesen Bedingungen abgegebenen offiziellen Version zu widersprechen, ist folglich schnell dem Vorwurf ausgesetzt, man könne nur im Trüben fischen. Schließlich könne man in einem beweisfreien Raum keinen Gegenbeweis führen. Diese Schwierigkeit, die nicht die KritikerInnen, sondern die Herren beweisfreier Räume zu verantworten haben, wird schnell und gedankenlos den KritikerInnen selbst angelastet. Genauso schnell wird jede andere Version als die Offizielle als Verschwörungstheorie gebrandmarkt, ganz vehement und laut vor allem von jenen, die diesen beweisfreien Raum angelegt haben. Auch unter linken, staatskritischen Gruppierungen genießen Verschwörungstheorien keinen guten Ruf. Lassen wir alle gängigen Verallgemeinerungen einmal beiseite, gibt es tatsächlich auch innerhalb der Linken Erklärungen, die dem bösen Ruf von Verschwörungstheorien durchaus gerecht werden. Es geht um Erklärungsversuche, die bei besonders schweren Staatsverbrechen so etwas wie eine geheime Kommandozentrale ausmachen, die hinter dem Rücken politisch Gewählter die wirklichen Fäden der Macht in der Hand halten. Dieser Art der Enthüllung dient dieser Text nicht. Wenn im Folgenden der offiziellen Version über die Mordserie der ›NSU‹ widersprochen wird, dann wird hinter der möglicherweise ganz anderen Version keine geheimnisvolle Macht vermutet. Die hier geäußerte Befürchtung ist eine ganz andere: Die Möglichkeit, die Wahrscheinlichkeit, dass das, was bis heute der Geheimhaltung unterliegt, nicht außerhalb bestehender Institutionen, sondern im Schutz bestehender Institutionen passiert ist. Wie will, wie kann man also einer Darstellung widersprechen, deren Details der ›Geheimhaltung‹ unterliegen? Wie will man ein Ereignis rekonstruieren, wenn alles konstitutive im Verborgenen bleibt, also außerhalb des Rechtsinstituts einer belastbaren Überprüfbarkeit? In diesen Darkroom einzutreten, heißt also nicht, Gespenster zu sehen, sondern vor allem eines: Plausibel zu begründen, warum staatliche Stellen das Licht ausschalten und genau jene gespenstigen Umstände schaffen, die sie den KritikerInnen unterstellen. Der offiziellen Version zu widersprechen, kann also nicht heißen, es besser zu wissen. Unter diesen Umständen kann dies nur bedeuten, zu belegen, dass eine andere Version der Ereignisse genauso plausibel, möglicherweise viel wahrscheinlicher ist. Dieser Vorgehensweise bedienen sich auch Gerichte und kommen auf diesem Wege zu Urteilen. Jeder Widerspruch zur offiziellen Version lebt mit dem Problem, dass jede andere Erklärung nur mit den Fakten agieren kann, die an die Öffentlichkeit gelangt sind. Wir sind also auf das angewiesen, was jene, die zehn Jahre nichts gewusst haben wollen, nun preisgeben. Es ist also keinesfalls eine böswillige Behauptung, wenn man festhält, dass die Fakten, die an die Öffentlichkeit dringen, gefiltert sind, dass sie unter dem Vorbehalt zu werten sind, dass es sich um selektive Wahrheiten handelt, um eine Wahrheit, die nicht übergeordnete Staatsinteressen gefährdet. Das gilt selbst für Untersuchungsausschüsse, die immer wieder damit konfrontiert sind, dass Akten ›unter Verschluss‹ gehalten werden, dass geladene Zeugen nur ›beschränkte Aussagegenehmigungen‹ von Ihren Dienststellen erhalten oder schlicht nicht ›ladungsfähig‹ sind. Aufgrund dieses selektiven Zugangs zu sogenannten Ermittlungsergebnissen kann eine Kritik nur so vorgehen: Ähnlich einem Gutachter legt man sich alle vorhandenen Fakten ›aus dritter Hand‹ auf den Tisch und ordnet sie verschiedenen Erklärungen zu. Welche Fakten machen die offizielle Version plausibel, welche Fakten stützen eine andere Erklärung. Es kann also nicht Aufgabe einer Kritik sein, zu beweisen, wie es wirklich war. Es kann nur darum gehen, ganz nüchtern darüber zu befinden, was angesichts der vorliegenden Fakten genauso wahrscheinlich ist. Dann, so das Fazit dieser Recherche, wird man zu dem Schluss kommen, dass aufgrund der vorliegenden Fakten jede andere Version wahrscheinlicher ist, als die offizielle. Auf dem Terrain von Geheimdiensten geht es nicht um die Wahrheit, sondern um das Erlangen der Informationshoheit Was Politiker und kapitalstarke Unternehmen qua Status und privilegierter Beziehungen machen, hat bei Geheimdiensten ein eigenes Ressort. Nachrichten zu streuen, „embedded“ Journalisten Informationen zuzuspielen (wofür diese sich bei anderer Gelegenheit ›erkenntlich‹ zeigen), Medien zu beeinflussen, ist kein bedauernswerter Auswuchs, sondern das Arbeitsfeld der Abteilungen ›Nachrichtenwesen‹. Geheimdienste pflegen nicht das naive, liberale Bild von der freien Meinungs- und Pressefreiheit. Für sie existiert ein ›Informationskrieg‹, in dem sie – wie auf jedem anderen Schlachtfeld auch – gewinnen müssen, was nichts anderes bedeutet als die ›Informations- und Deutungshoheit‹ zu erlangen bzw. zu bewahren. Was macht man also mit der Flut der Informationen, die es im Fall der neonazistischen Mordserie der ›NSU‹ gibt? Sie sind widersprüchlich, sie passen nicht zusammen, sie verwirren, sie machen ratlos. Will man der Nachricht Glauben schenken, die eine Zeitung veröffentlicht hat oder dem Dementi, das von staatlichen Stellen oder von (anderen) Medien verbreitet wird. Im Folgenden geht es darum, nicht den Kopf zu verlieren, sondern die Dementis und die zugrundeliegenden Nachrichten abzugleichen, aneinander zu legen. Manchmal verraten auch Dementis mehr, als sie wollen, grenzen den erhobenen Verdacht eher ein, als dass sie ihn ausräumen. Der Text der drei Redakteure von der Süddeutschen Zeitung, die man eher dem investigativen Journalismus zuordnet, ist eine gute Vorlage. Was hat der umbrella man in den USA mit den zwei Wiedergängern in Deutschland gemein? Ergebnis dieses Beitrages ist jedenfalls, dass der umbrella man in den USA, der Referatsleiter im Bundesamt für Verfassungsschutz und der hessische Verfassungsschutzmitarbeiter Andreas Temme eines verbindet: Sie waren jeweils der falsche Mann, am falschen Ort, zur falschen Zeit. Beginnen wir mit dem ersten Wiedergänger, mit dem BfV-Referatsleiter: Was hat dieser Mann, der hochrangig zur Bekämpfung des ›Rechtsterrorismus‹ eingesetzt war, mit dem umbrella man gemein? Nichts. Der Referatsleiter hat keinen Regenschirm aufgespannt, der fälschlicherweise für die Mordwaffe gehalten wurde, sondern hat Akten vernichtet, als die Generalbundesanwaltschaft und der Untersuchungsausschuss diese angefordert hatten. Die Handlung des Referatsleiters wurde nicht fälschlicherweise für bedrohlich gehalten und in ihrer Bedeutung überhöht, sondern als das bezeichnet was sie ist: die vorsätzliche Vernichtung von Beweismaterial in Verbindung mit einer Falschaussage. Was diese drei investigativen Journalisten dazu bewogen hat, ausgerechnet einen Mann, der am richtigen Ort das für ihn (und seine Behörde) richtige getan hat, mit einem ahnungslosen Mann mit Regenschirm zu vergleichen, ist mehr als schleierhaft. Was es mit dem zweiten Wiedergänger des umbrella man auf sich hat, dem hessischen Verfassungsschutzmitarbeiter Andreas Temme, ist sicherlich um einiges schwieriger. Dabei greifen die SZ-Autoren auch auf die Panorama-Sendung zurück, in deren Mittelpunkt das Ehepaar Temme stand. Noch einmal kommt Andreas Temme zu Wort: »Ich war das angreifbarste Opfer.« Noch einmal wird betont, dass der Internetbesuch des hessischen Staatsschützers am dem Tag, wo sich der Mord ereignete, eine »Chat-Affäre« war, hinter der »Verschwörungstheoretiker bis heute eine große Staatsaffäre« vermuten. Abgesehen davon, dass die SZ-Autoren ihren eigenen investigativen Ehrgeiz lächerlich machen, geht es bei den Fragen um die Rolle eines Staatsschützers, der vor und nach dem Internet-Besuch mit (von ihm geführte) Neonazis Kontakt hatte, um etwas anders. Dass eine Fernsehsendung ausführlich Frau und Herr Temme zu Wort kommen lassen, ist gut und richtig. Bemerkenswert an dieser Sendung ist jedoch, dass die Redakteure an keiner Stelle die Aussagen des Ehepaars Temme mit bisher unbestrittenen Tatsachen konfrontierten! Warum haben sie diese Gelegenheit nicht genutzt? Herr Temme stellte sich in der Sendung als ein Opfer dar, dem seine neofaschistischen ›Jugendsünden‹ nachgetragen werden und sagt dazu lediglich, dass all das lange her sei. Warum haben die Redakteure Herr Temme nicht damit konfrontiert, dass 2006 in seiner Wohnung Auszüge aus ›Mein Kampf‹, Papiere neonazistischer Gruppen und Schriften zum Dritten Reich gefunden wurden? Herr Temme beschreibt in besagter Sendung seine Seelenqualen, dass er von dem Mord nichts mitbekommen habe, dass er die Schüsse nicht gehört habe und die Mörder nicht hat fliehen gesehen. Warum konfrontieren die Redakteure Herrn Temme nicht mit den Feststellungen aus den Untersuchungsberichten, dass es schier unmöglich ist, an der Theke des Internetcafés zu bezahlen, ohne den ermordeten Internet-Besitzer dahinter liegend zu sehen? Warum fragen sie ihn nicht, wie es möglich ist, 50 Cent auf die Theke zu legen, ohne das Blut des Ermordeten zu sehen? Warum lassen die Redakteure diese Gelegenheit nutzlos verstreichen, obwohl all das, was dessen Ahnungslosigkeit widerspricht, auch den Redakteuren bekannt war? Was vor 20 Jahren Verschwörungstheorie war, ist heute eine unbestrittene Tatsache Dass ein anderer Ablauf der mörderischer Ereignisse wahrscheinlich, wenn nicht gar naheliegender ist, dass die Verfolgungsbehörden die abgetauchten THS-Mitglieder nicht verloren hatten, sondern zahlreiche Kontakte zu ihnen pflegten, beantwortet nicht die viel schwerwiegendere Frage: Wenn es ›ganz anders‹ war … welche politischen Motive, welche staatlichen Interessen stecken dahinter, über zehn Jahre eine neofaschistische Terrorgruppe zu schützen? Erfahrungsgemäß kann man auf die hier aufgeworfenen Fragen in zehn, zwanzig Jahren eine beweiskräftige Antwort geben, wenn Dokumente freigegeben werden, die heute niemand einsehen oder einfordern kann. Also ›unter Verschluss‹ gehaltene Dokumente, die hier nicht Gegenstand sein können. Wir können nicht in die Zukunft schauen, sehr wohl in die Vergangenheit. Dass etwas, was auch vor 30 Jahren für blanke Verschwörungstheorie gehalten wurde, tatsächlich so stattfand, möchte ich an einem zurückliegenden Fall erklären. Als es in den 70er und 80er Jahren immer wieder zu neofaschistischen Mord- und Bombenanschlägen in Europa kam (Bombenanschlag in Bologna am 2. August 1982/Anschlag auf das Oktoberfest in München am 26. September 1980), kam der Verdacht auf, dass viele dieser neofaschistischen Anschläge im Schutz staatlicher Stellen und Dienste begangen wurden. Hinweise, die bereits damals diese Mutmaßung stützten, wurden jedes Mal von staatlicher Seite als bösartige Verleumdungen und aberwitzige Unterstellungen zurückgewiesen. Es dauerte über 20 Jahre, bis Licht in diese verdunkelten Zusammenhänge drang. Dr. Daniele Ganser, Historiker und Friedensforscher an der Universität Basel, hatte das Glück in Akten Einsicht zu nehmen, die in der Schweiz freigegeben wurden. Er wertete sie aus und kam zu dem Schluss, dass die NATO eine Stand-behind-Armee aus neofaschistischen Gruppen aufgestellt hatte, um diese im Zweifelsfall als faschistische ›Reserve‹ einzusetzen. Im Schutz dieses ›Gladio-Programmes‹ wurden zahlreiche Bombenanschläge ausgeführt, um so das Eingreifen des Staates zu provozieren (›Strategie der Spannung‹) bzw. zu rechtfertigen – und wenn nötig, einen Putsch zu legitimieren. Als Reaktion auf die Veröffentlichung der Forschungsergebnisse der ETH Zürich gab das Außenministerium der USA eine umfangreiche Pressemitteilung heraus. Darin wurde die Existenz der Geheimarmeen sowie die zentrale Rolle der NATO und die Beteiligung der CIA indirekt bestätigt. (Daniele Ganser: NATO’s Secret Armies: Operation Gladio and Terrorism in Western Europe: An Approach to NATO’s Secret Stay-Behind Armies. Cass, London 2005, ISBN 3-8000-3277-5, S. 25) Wolf Wetzel – 2012/7/10 Dieser Text basiert auf einer sechsmonatigen Recherche, die hier nachzulesen ist.
Wolf Wetzel
Vor neun Monaten erfuhren wir, dass die zwei toten Männer im Campingwagen nicht nur routinierte Bankräuber, sondern vor allem Mitglieder einer neonazistischen Terrorgruppe namens ›NSU‹ waren, von deren Existenz keine staatliche Stelle etwas gewusst haben will. Seither gibt es eine Flut von Medienberichten und zahllose journalistische Recherchen, die sich um Aufklärung bemühten. Die These, der ...
[ "Geheimdienste", "NSU", "tiefer Staat" ]
[ "Erosion der Demokratie", "Rechte Gefahr", "Terrorismus" ]
13. Juli 2012 9:13
https://www.nachdenkseiten.de/?p=13849&share=email
Oops, I did it again – Cem Özdemir unterzeichnet erneut einen offenen Brief der NeoCons
Vor zehn Tagen berichteten die NachDenkSeiten über die Kandidatur des Grünen-Politikers Cem Özdemir für den Fraktionsvorsitz und verlinkten dabei unter anderem auf einen offenen Brief des neokonservativen Think Tanks Project for the New American Century aus dem Jahre 2004, den Özdemir damals als einer der wenigen deutschen Politiker zusammen mit einer illustren Runde alter und neuer kalter Krieger unterzeichnet hat. Dass Özdemir nichts dazugelernt hat und immer noch zu den transatlantischen Falken gehört, zeigt ein nahezu zeitgleich zu unserem Artikel veröffentlichter offener Brief des dubiosen deutschen Think Tanks „LibMod – Zentrum Liberale Moderne“. Zu den Unterzeichnern gehören neben Özdemir einmal mehr alte und neue kalte Krieger, darunter auch die ehemaligen Führer des Project for the New American Century. Niemand kann später sagen, er habe nicht gewusst, wessen Interessen Cem Özdemir vertritt. Von Jens Berger. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Podcast: Play in new window | Download Die NachDenkSeiten hatten sich bereits vor zwei Jahren zu dessen Gründung ausführlich mit dem LibMod beschäftigt – einer antirussischen Denkfabrik der „modernen Pickelhauben und liberalen Denkhaubitzen“, wie wir damals spitz formulierten. LibMod ist eine Kreatur der beiden ehemaligen Grünen-Politiker Ralf Fücks und Marieluise Beck, die seitdem weniger in der Öffentlichkeit, dafür um so mehr hinter den Kulissen in Erscheinung getreten ist. So haben sich Beck und ihre Denkfabrik dem zumindest in Deutschland glücklos agierenden NATO-PR-Netzwerk „Integrity Initative“ als Partner angedient und spielen eine Schlüsselrolle bei den Lobbyanstrengungen des amerikanischen Hedge-Fonds-Managers William „Bill“ Browder, der seine einst in Russland ergaunerten und von der russischen Justiz konfiszierten Reichtümer zurückerlangen will. In den USA schaffte Browders Lobbynetzwerk es immerhin, über den „Magnitsky Act“ (die NachDenkSeiten berichteten) gezielte Sanktionen gegen bestimmte Russen zu erwirken, die nach Meinung Browders für seine „Enteignung“ verantwortlich sind. Auch die EU verhängte bereits ähnliche Sanktionen. Der aktuelle – von Özdemir unterzeichnete – offene Brief geht neben viel Tamtam, Lügen, altbewährten Worthülsen (der Begriff „Demokratie“ kommt im kurzen Text gleich siebenmal vor) und antirussischer Propaganda an zentraler Stelle auf einen sehr interessanten Punkt ein – man fordert zwischen den Zeilen eine Ausweitung des „Magnitsky Act“ auf Bürger der EU. Neben Bill Browder selbst zählt übrigens auch der im Exil lebende Oligarch Mikhail Chodorkowski zu den Unterzeichnern. Was in wolkiger Sprache in Namen der „Bewohner der freien Welt“ gefordert wird, ist bei näherer Betrachtung vor allem eine Forderung an die Politik, über den Umweg der Sanktionsdrohung westliche Unternehmen zu zwingen, ihre Zusammenarbeit mit Russland einzuschränken und im Kielwasser dieser Drohungen verurteilten Straftätern wie Browder oder Chodorkowski die Möglichkeit zu geben, ihre ansonsten auf dem Rechtsweg nicht einzutreibenden Forderungen auf eine „Entschädigung“ durchzusetzen. Nicht Menschenrechte und Freiheit, sondern der Wirtschaftskrieg um Russlands Ressourcen und Reichtümer sind die Triebfeder dieses offenen Briefs. Hinzu kommt, dass sich der Brief 1:1 in die immer schrillere Rhetorik transatlantischer Falken einreiht, die jedwede Entspannung in den West-Ost-Beziehungen mit aller Kraft torpedieren wollen. Ein Blick auf die Unterzeichnerliste reicht aus, um eine Ahnung zu bekommen, welche Intensionen mit dem Brief transportiert werden sollen. Neben auch in Deutschland sehr bekannten Vertretern der antirussischen und transatlantischen Linie, wie Wolf Biermann, Karl-Theodor zu Guttenberg, dem ehemaligen US-Botschafter und gerngesehenen Talkshow-Gast John Kornblum und eben Cem Özdemir, zählen auch viele Personen zu den Unterzeichnern, die in Deutschland nicht bekannt sind. Im Anhang haben wir eine Liste der Unterzeichner, mit einer kurzen biographischen Einordnung erstellt. Es ist hoch interessant, zu sehen, mit welchen Personen sich der vielleicht kommende Fraktionsvorsitzende der Grünen da ins Bett legt. Da die momentanen politischen Kräfteverhältnisse im Lande eine künftige Regierung mit Beteiligung der Grünen als gesetzt erscheinen lassen, ist dies in der Tat dramatisch. Ein Fraktionsvorsitzender, dessen Aufgabe es ist, die Abgeordneten auf Kurs zu bringen, der eine geistige Nähe zu den Drahtziehern der amerikanischen Kriege seit George W. Bush, Kriegstreibern und geistigen Brandstiftern hat, wäre ein sehr gefährliches Szenario. p.s.: Nach Lektüre der Kurzbiographien muss man folgende Passage aus dem offenen Brief wohl als feine Selbstironie werten … Was Putins Umfeld beschreiben soll, ist vielmehr eine perfekte Charakterisierung der Unterzeichner. Anhang: Kommentierte Liste der Unterzeichner William Browder, ein amerikanischer Hedge-Fonds-Manager, der sich in der Jelzin-Ära bei der Plünderung des russischen Staates eine goldene Nase verdiente, von der russischen Justiz dann steuer- und strafrechtlich verfolgt wurde und seitdem einen Privatkrieg gegen Putin führt. Browder zählt zu den maßgeblichen Lobbyisten, die hinter den Kulissen auf Sanktionen gegen Russland drängen. Dabei wird er von der antirussischen Publizistin Marieluise Beck unterstützt, die den offenen Brief aufgelegt hat. Die NachDenkSeiten hatten über Browder berichtet. Garry Kasparow, ein ehemaliger Schach-Weltmeister, der seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion für marktliberale Reformen eintritt und seinerzeit zu den Unterstützern von Boris Jelzin gehörte. Seit der Wahl Putins trat Kasparow immer wieder in verschiedenen Konstellationen als „Oppositionspolitiker“ auf, dessen marktliberaler Kurs ihn zwar im Westen zu einer „Ikone“ der Neokonservativen machte, in Russland selbst jedoch nie über das Niveau eines radikalen Außenseiters hinauskam. Dafür ist Kasparow bestens mit amerikanischen Think Tanks vernetzt. Mikhail Chodorkowski, ein ehemaliger russischer Oligarch, der Teile seines Ölkonzerns Yukos an amerikanische Multis verkaufen wollte, dann wegen Betrugs und Steuerhinterziehung verurteilt wurde und eine zehnjährige Gefängnisstrafe verbüßte. Seitdem lebt Chodorkowski im Londoner Exil und arbeitet an einem „Regime Change“ in Russland und klagt auf milliardenschwere Entschädigungen. Lesen Sie dazu auch: „Guter Oligarch, böser Putin“ und „Chodorkowski ruft zur Revolution auf“. Max Boot, Senior Fellow beim Council on Foreign Relations, der sich unter anderem als außenpolitischer Berater von John McCain als Falke einen Namen machte. Boot, der von zahlreichen kritischen Journalisten als „Kriegstreiber“ charakterisiert wird, gehörte unter anderem zu den Stimmen, die lautstark eine militärische Intervention der USA in Syrien forderten. Früher war er Mitglied des mittlerweile aufgelösten Project for the New American Century (PNAC) , dessen Chef William „Bill“ Kristol ebenfalls zu den Unterzeichnern gehört. Kristol gilt als Vordenker der NeoCons und maßgebliche Triebfeder hinter der Kriegspolitik der USA unter George W. Bush. Kristols Partner sind so illustre Personen wie Robert Kagan, Elliott Abrams, Dick Cheney, Paul Wolfowitz, Francis Fukuyama und Donald Rumsfeld, die zusammen das Herz des amerikanischen Neokonservatismus bilden. Noch heute mischt sich Kristol immer wieder als Falke in die politische Debatte ein. So sprach er sich dafür aus, Julian Assange „zu neutralisieren“, und kritisierte erst jüngst die Abzugspläne Trumps für Syrien und Afghanistan. Kristol besteht übrigens darauf, Kriege gegen muslimische Staaten nicht als „Invasionen“, sondern als „Befreiungen“ zu bezeichnen. Ein weiterer Unterzeichner aus dem Kreis der ehemaligen Mitglieder des PNAC ist David J. Kramer, der später unter George W. Bush zahlreiche Posten im US-Außenministerium einnahm und danach für zahlreiche Think Tanks, wie dem German Marshall Fund, in leitenden Positionen tätig war. In den USA zählt Kramer zu den maßgeblichen Befürwortern von Sanktionen gegen Russland. Zum Kreis der amerikanischen NeoCons unter den Unterzeichnern zählt auch Karl Rove, der als „Senior Advisor“ („Chefberater“) und stellvertretender Stabschef von George W. Bush ganz maßgeblich für dessen Kriegspolitik mitverantwortlich zeichnet. Anne Applebaum, eine einschlägig bekannte polnisch-amerikanische Journalistin, die unter anderem 2002 Saddam Hussein mit Hitler verglich und die US-Regierung zum Angriffskrieg gegen Irak aufforderte, um „Saddams Atomwaffenprogramm“ zu stoppen. 2014 forderte sie den Westen auf, zusammen mit der Ukraine in einen „totalen Krieg“ gegen Russland zu ziehen. Applebaum lebt in Warschau und ist mit dem ehemaligen polnischen Außenminister Radosław Sikorski verheiratet, einem Falken, der unter anderem verantwortlich für die Stationierung des amerikanischen Raketenabwehrsystems auf polnischem Boden ist und natürlich auch zu den Unterzeichnern des offenen Briefes gehört. Guto Bebb, Richard Harrington, Andrew Percy und Malcolm Rifkind,  vier Tory-Abgeordnete, die einer Gruppe mit dem Namen „Conservative Friends of Israel“ angehören, die in einer Channel-4-Doku als die „mächtigste politische Lobbyorganisation“ in Großbritannien beschrieben wurde, die massiven Einfluss auf die BBC und andere Medien ausübt. Percy kommentierte die israelischen Kriegsverbrechen während der „Operation Defensive Shield“ lakonisch mit dem Satz: „Israel macht es genauso, wie wir es tun würden“ und verglich die Bombardierung ziviler Wohngebiete durch Israel mit dem britischen Bombardement deutscher Städte im zweiten Weltkrieg. Chris Bryant, ein ehemaliger britischer Labour-Abgeordneter, der 2003 zu den Befürwortern des Irak-Kriegs zählte und 2016 zu den „Putschisten“ innerhalb der Labour-Party gehörte, die den Parteivorsitzenden Jeremy Corbyn absetzen wollten. Später verkündete er, er sei Opfer einer „homophoben Kampagne“, für die Russland verantwortlich sei. Mit Stephen Kinnock gehört auch ein weiterer „Labour-Putschist“ zu den Unterzeichnern. Kinnock ist verheiratet mit Helle Thoring-Schmidt, der ehemaligen dänischen Ministerpräsidentin, zu deren erster Amtshandlung die Beteiligung Dänemarks an den NATO-Luftangriffen auf Libyen gehörte. Zu den britischen Vertretern der Unterzeichnerliste gehört auch noch der ehemalige Diplomat Andrew Wood, dessen zweifelhafter Ruhm darin besteht, aktiv am sogenannten „Steele-Dossier“ mitgearbeitet zu haben – einem mittlerweile auch offiziell als „Fälschung“ und „Verschwörung“ bezeichneten Dokument, das die private britische Sicherheitsfirma „Orbis“ erstellt hat, um aufzuzeigen, dass der russische Geheimdienst angeblich in Besitz delikater Informationen sei, mit denen Russland den US-Präsidenten Donald Trump erpresst. Orbis taucht ebenfalls im Umfeld des bis heute rätselhaften Anschlags auf den russischen Agenten Sergej Skripal im englischen Salisbury auf. Lesen sie dazu: „Die Salisbury Tales – was verschweigen Medien und Politik im Falle des vergifteten russischen Doppelagenten?“. Arend Jan Boekestijn, ein ehemaliger niederländischer Abgeordneter, der sich zum Neokonservatismus bekennt und im Vorfeld des Irak-Kriegs in den niederländischen Medien massiv für eine Invasion getrommelt hat. Gyde Jensen, eine junge FDP-Abgeordnete, die vor ihrem Bundestagsmandat als Kommunikationsberaterin für die Friedrich Naumann Stiftung in Washington tätig war und im letzten Jahr den Vorsitz des Bundestagsausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe übernahm. Irwin Cotler, ein ehemaliger kanadischer Justizminister, der sich dem Kampf für Browder angeschlossen hat, in Kanada und auf G7-Ebene für Sanktionen gegen Russland kämpft, daraufhin seinerseits mit einem Einreiseverbot versehen wurde, das er selbst als „Ehrenmedaille“ bezeichnet. Viorel Cibotaru, ein ehemaliger Verteidigungsminister der Republik Moldau, der zeitweise für die NATO das regionale Think Tank für einen Beitritt des Landes geleitet hat. Mit an Bord ist auch Tinatin Khidasheli, die als georgische Verteidigungsministerin ihr Land möglichst schnell in die NATO bringen wollte. Toomas Hendrik Ilves, ein ehemaliger estnischer Präsident, der in den USA aufgewachsen ist und während des Kalten Kriegs als Chef der „Estland-Abteilung“ des amerikanischen Propagandasenders „Radio Free Europe“ tätig war, nach der Unabhängigkeit des Landes als erster US-Botschafter eingesetzt wurde und seitdem Estland stramm auf NATO-Kurs trimmt. Vytautas Landsbergi war der erste Präsident Litauens nach der Unabhängigkeit. Er hat Litauen auf NATO-Kurs gebracht und zählt zu den Falken, die die EU auf einen Konfrontationskurs zu Russland manövrieren wollen. Gareth Evans, ein ehemaliger australischer Verteidigungsminister, der als einer der Väter der „Schutzverantwortungsdoktrin“ (Responsibility to Protect) gilt, mit der vor allem westliche Regierungen mit liberalen und Mitte-Links-Regierungen völkerrechtswidrige Angriffskriege rechtfertigen. Katrina Swett, die Präsidentin der „Lantos Foundation for Human Rights and Justice”, einem vom Exil-Ungarn Tom Lantos in den USA gegründeten Think Tank. Lantos gehörte als US-Außenpolitiker bereits 1990 zu den Falken, die die US-Politik in den ersten Golfkrieg steuerten. Er war maßgeblich verantwortlich für die Falschaussage der Tochter des kuwaitischen US-Botschafters, die in einer Kongressanhörung als angebliche Krankenschwester von Gräueltaten irakischer Soldaten (Brustkastenlüge) berichtete. In diesem Jahr zeichnete die Lantos Foundation übrigens niemand anderen als Bill Browder mit ihrem „Menschenrechtspreis“ aus. Bernard-Henri Lévy, ein französischer Philosoph und Publizist, der große Nähe zu den amerikanischen Neokonservativen hat und die Angriffskriege der USA und ihrer europäischen Verbündeten stets mit Vehemenz verteidigt hat. Anfang 2011 reiste er gar auf eigene Initiative nach Libyen, um Kontakte zu den Rebellen aufzunehmen und Frankreich für einen Krieg zu begeistern. Neben dem Islam gehört auch Russland zu seinen Feindbildern. 2008 forderte er den Westen auf, Georgien gegen Russland militärisch beizustehen. Selbst die FAZ charakterisiert Lévy als „russophob“. Titelbild: Foto-berlin.net/shutterstock.com
Jens Berger
Vor zehn Tagen berichteten die NachDenkSeiten über die Kandidatur des Grünen-Politikers Cem Özdemir für den Fraktionsvorsitz und verlinkten dabei unter anderem auf einen offenen Brief des neokonservativen Think Tanks Project for the New American Century aus dem Jahre 2004, den Özdemir damals als einer der wenigen deutschen Politiker zusammen mit einer illustren Runde alter und neuer kalter Kri ...
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20. September 2019 13:15
https://www.nachdenkseiten.de/?p=54983&share=email&nb=1
Ein zentrales Problem unserer Zeit wird Gegenstand des 24. Pleisweiler Gesprächs am 2. Mai sein:
„Europa im Visier der Supermacht USA“. So sieht es der Publizist Dr. Werner Rügemer, der zum Gespräch nach Pleisweiler in der Südpfalz kommt. Sie sind herzlich eingeladen. Anders als andere Beobachter geht Rügemer in seiner einleitenden historischen Betrachtung nicht nur auf die verdienstvolle Befreiung Europas durch die USA und ihre Alliierten ein. Er setzt früher an und beschreibt den vielfältigen Einfluss der USA auf Politik und Wirtschaft in Europa einschließlich Russlands seit 1914. Schon diese andere Sicht der geschichtlichen Abläufe bietet ausreichend Stoff zur Diskussion. Noch mehr gilt das für die heutige Situation. Da geht es um TTIP und die politisch erleichterte Übernahme hiesiger Betriebe im Zuge der sogenannten Auflösung der Deutschland AG, um die einflussreiche US-Lobby in Brüssel, um den Geleitzug von EU- und NATO-Osterweiterung und um den Ukraine-Konflikt. – Die Fahrt nach Pleisweiler wird sich für Sie lohnen. Das Gespräch am 2. Mai um 14:00 Uhr steht – unbeabsichtigt aber zutreffend – im Zusammenhang mit der begonnenen Diskussion zu den 70-Jahr-Feiern zur Befreiung Europas am 9. Mai 1945. – Im Folgenden finden Sie im Anhang 1 genauere Angaben zum Ablauf des Gesprächs und technische Hinweise. Außerdem werden in Anhang 2 vier Dokumente zum Thema angehängt. Albrecht Müller. Damit Sie gleich wissen, welche Dokumente Sie in Anhang 2 erwarten, hier eine Übersicht. Sie stehen im engeren und weiteren Zusammenhang mit dem Thema des 24. Pleisweiler Gesprächs: Vielleicht wollen Sie Freunde und Bekannte in Ihrem Umfeld zum Pleisweiler Gespräch einladen. Zu diesem Zweck finden Sie die Einladung hier [PDF – 78 KB] hinzugefügt. Anhang 1: Zum Ablauf: Das Gespräch beginnt um 14:00 Uhr. Nach einer kurzen Begrüßung durch den Ortsbürgermeister wird Werner Rügemer knappe 60 Minuten in das Thema einführen. Dann machen wir eine kurze Pause und dann wird genügend Zeit für die öffentliche Diskussion und weitere Zeit für das Gespräch im kleinen Kreis bleiben. Wenn das Wetter mitmacht, können wir danach noch zum Spaziergang am Rand des Pfälzerwaldes aufbrechen. Vermutlich werden auch diesmal wieder viele Leserinnen und Leser der NachDenkSeiten zugegen sein, so dass es einen Erfahrungsaustausch unter ihnen geben kann. Hier noch einige technische Hinweise mit der Bitte um Beachtung: Anhang 2: Einige interessante Dokumente zum Gegenstand des Gesprächs.:
Albrecht Müller
„Europa im Visier der Supermacht USA“. So sieht es der Publizist Dr. Werner Rügemer, der zum Gespräch nach Pleisweiler in der Südpfalz kommt. Sie sind herzlich eingeladen. Anders als andere Beobachter geht Rügemer in seiner einleitenden historischen Betrachtung nicht nur auf die verdienstvolle Befreiung Europas durch die USA und ihre Alliierten ein. Er setzt früher an und beschreibt den vielfä ...
[ "Freihandel", "Pleisweiler Gespräch", "Rügemer, Werner", "USA" ]
[ "Aktuelles", "Außen- und Sicherheitspolitik", "Globalisierung", "Veranstaltungshinweise/Veranstaltungen" ]
09. April 2015 9:20
https://www.nachdenkseiten.de/?p=25668
Rezension: Stefan Selke, Schamland – Sozialpolitik nach Gutsherrenart
Das Attribut „nach Gutsherrenart“ wird häufig gebraucht, um auszudrücken, dass es sich um gehobene, deftige ländliche Küche handelt, die eben den Gaumen eines „Gutsherren“ besonders erfreuen könnte. Gutsherren werden gern romantisch verklärt, vergessen wird dabei, dass sie in selbstherrlicher Manier über ihre Untergebenen entscheiden konnten. Die im Dienste eines Gutsherren stehenden Mägde und Knechte hatten kaum eigene Rechte, wurden meist nur gering entlohnt und oft nur mit Naturalien abgespeist. Mit der Agenda 2010 hat sich Deutschland vom Anspruch eines Wohlfahrtstaates mit einem eigenständigen Recht auf (monetärem) Schutz gegen soziale Risiken weitgehend verabschiedet und eine Bedürftigenhilfe nach Gutsherrenart eingeführt. Parallel zu diesem Rückbau des Sozialstaates hat sich eine regelrechte Armutsökonomie entwickelt. Der Soziologiprofessor an der Hochschule Furtwangen mit dem Lehrgebiet “Gesellschaftlicher Wandel” Stefan Selke, hat ein äußerst informatives Buch mit dem Titel „Schamland – Die Armut mitten unter uns“ über die „Vertafelung“ der Gesellschaft geschrieben. Von Christine Wicht. Im Rahmen seiner Feldforschungen beschäftigt sich der Autor seit 2006 mit der modernen Armenspeisung. Selke möchte mit seinem Buch eine öffentliche Debatte darüber anstoßen, wie es sich aus Sicht Armutsbetroffener anfühlt, seit vielen Jahren Teil dieses Versorgungssystems zu sein und darüber, wie durch Tafeln und ähnliche Angebote die Abspaltung der Gesellschaft in Arm und Reich fortgeschrieben wird (Schamland, S. 11). Er ist dafür quer durch Deutschland gereist, hat Tafeln, Suppenküchen und Kleiderkammern besucht und mit Betroffenen und ehrenamtlichen Helfern in vielen Bundesländern gesprochen. Für Selke entsteht hier ein „Sozialstaat im Sozialstaat“, denn während das Versprechen auf wohlfahrtsstaatliche Hilfe erodiert, werden zeitgleich freiwillige Helfer vom Staat aktiviert, um ein privates Wohltätigkeitssystem zu etablieren. (S. 244). Selbstverständlich, so Selke, gelte auch hier die Logik von Angebot und Nachfrage. Auch Wohlfahrtsverbände wie Caritas, AWO, Diakonie profitierten von der Armutsökonomie, denn sie könnten so eine bislang schwer zugängliche Klientel an ihre bisherigen Betreuungsangebote binden, also etwa an die Sozial-, Sucht- oder Schuldenberatung (S. 203). Selke nennt als Beispiel die sogenannten HartzIV-Kochbücher, in welchen 2-Euro-Gerichte für „sparsame Genießer“ angeboten werden. Die Berliner Tafel publizierte ein Kochbuch mit prominenter Unterstützung von Alfred Biolek und Ursula von der Leyen, die als Schirmherrin bei einer Tafelveranstaltung betonte, wie wichtig das Engagement gerade von Unternehmen für eine starke Bürgergesellschaft sei: „Ich bin davon überzeugt, dass unser Land menschlicher, ideenreicher und sogar effektiver wird, wenn sich die Zivilgesellschaft und auch die Unternehmen engagieren”. Für ihr sogenanntes „Bildungspaket“ bemühte Ministerin von der Leyen folgendes Zitat von Goethe: “Auch aus Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man etwas Schönes bauen.” Von der Leyen zeigte sich überzeugt davon, dass nun jeder Stein der Hartz-Reform an seinem Platz sei: “Mit dem Bildungspaket haben wir etwas Schönes gebaut.” Für die Betroffenen muss sich dieser Satz wie Hohn angehört haben. Letztendlich sollen solche Aktionen den Tafelnutzern aufzeigen, wie man sich im Elend einrichtet. Selke beschreibt das unternehmerische Kalkül des Engagements von Firmen für die Tafelbewegung. Sicher könnten die Gewinne nicht immer in Euro beziffert werden, für den Soziologen sind es oft auch nur symbolische Gewinne, so wenn etwa eine Firma ihre Angestellten für einen „social day“ zu einer Tafel schickt. Selke bringt es auf den Punkt, wenn er sagt, dass die Tafelnutzer für einen Tag von Managern umgeben sind, die dann „einen tollen Eindruck davon bekommen, was in der eigenen Nachbarschaft alles nicht in Ordnung ist (S. 204). Eine Bank schickte beispielsweise ihre Angestellten zu einem „Volonteering“, um deren soziale Kompetenz zu verbessern. Einige Mitarbeiter hätten diesen sozialen Einsatz sogar genutzt, um den auf die Tafel Angewiesenen angepasste Rentenverträge (Armen-Riester) anzubieten. Selke fasst zusammen, dass sich dann, wenn reale Wirtschafts- und Sozialpolitik durch private Freiland-Simulationen ersetzt werde, wir in einer Gesellschaft des Spektakels angekommen seien, in der sich Fühlen, Denken und Handeln nur noch an der Oberfläche abspielt (S. 205). Wenig Einfühlungsvermögen zeige z.B. die Idee eine Werbeagentur, die im Auftrag der Tafel leere Wasserflaschen in Frankfurter Mülltonnen versteckte, um Tafelnutzer zu erreichen. Die Flaschen waren mit Tafelwerbung etikettiert und enthielten folgendem Text: „Gegen Abgabe dieser Flasche erhalten Sie eine Tüte mit Lebensmitteln“ (S. 210). In einem Interview mit Cicero Online erzählt Selke von der Singener Tafel, die eine eigene Nudelproduktion aufgezogen hat. Da werden Ein-Euro-Jobber mit staatlichen Subventionen beschäftigt, die Nudeln für Arme produzieren. In der Tafelarbeit spiegelten sich Werte und Normen der Mehrheitsgesellschaft wider: Konkurrenzdruck und Stress, Fokussierung auf Leistungsfähigkeit und die Fixierung auf einen Warenfetisch, auf den alle Ängste projiziert werden (S. 21). Für Selke sind die Tafeln eine gefährliche Entwicklung, denn die Angebote der Armutsökonomie würden inzwischen auch von Politikkonzepten vereinnahmt, die in ihrer Zielsetzung nicht die Armutsüberwindung und die Stärkung sozialer Gerechtigkeit im Sinn hätten. Wirtschaftsunternehmen betrieben mit ihrem Engagement eine Art Social Washing, indem sie durch die Unterstützung der Tafeln ihr soziales Image aufmöbelten (S. 202). (Siehe dazu auch „Die Reputation der Tafeln wird von Unternehmen zur Imagepflege und zur Gewinnsteigerung missbraucht“.) Für Selke sind die vor 20 Jahren entstandenen Tafeln Vorläufer einer langfristigen gesellschaftlichen Entwicklung, die sich schleichend vor unseren Augen abspiele. (S. 245). Es handele sich dabei um zentrale Fragen nach sozialer Gerechtigkeit, Verantwortlichkeit, Nachhaltigkeit sowie einem zivilisierten Menschenbild, die auf dem Prüfstand stünden (S. 11). Armut und Reichtum seien nicht nur Fakten, die auf Zahlen basierten. Als Lebensgefühl und Existenzform seien sie nur unzureichend abbildbar. Doch das eigene Leben sei kein Zahlenspiel. Menschen würden ihren Alltag nicht damit verbringen, sich wie Nationalstaaten in Ranglisten einzuordnen. Armut und Reichtum seien vor allem auch emotionale Zustände, die auf subjektiven Wahrnehmungen basierten (S. 22). Viele Tafelnutzer fühlten sich von der Gesellschaft ausgeschlossen und vom Staat verlassen. Diese Gefühle hätten massive Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl und das Selbstbewusstsein der betroffenen Bürgerinnen und Bürger und damit letztendlich auch auf seelische und körperliche Gesundheit. Selke spricht von sozialen Desintegrationsprozessen auf der kollektiven Ebene und erhöhtem psychischen Druck auf der Ebene des einzelnen Individuums (S. 35). In Gesprächen erfuhr der Forscher von Bürgern, dass sie sich fühlten „wie Dreck“, wie in der „untersten Schublade“ und dass sie sich schämten Essen von der Tafeln zu holen, weil sie damit in der Gesellschaft stigmatisiert würden. Es sei die Angst vor der Geringschätzung durch andere (S. 40). Dieses Gefühl sei eng verknüpft mit den Medienberichten, in welchen Hartz IV-Empfänger als faul, ungebildet, wählerisch und bequem abgestempelt werden. Der Autor sieht darin eine statusreproduzierende Funktion erfüllt, denn durch Beschämungsmechanismen sicherten sich die Bessergestellten ihren angestammten Platz innerhalb der Gesellschaft und durch Scham grenzten sich die Ohnmächtigen selbst immer weiter aus. Dadurch verfestigten sich soziale Klüfte im Sinne derer, die (noch) etwas zu verlieren haben (S. 45). Selke berichtet von Menschen, die aufgrund von Krankheit oder Erwerbsunfähigkeit oder Unfällen in die Armut gerutscht sind. Es habe nichts mit Faulheit oder Dummheit zu tun, meist seien es Schicksalsschläge, die die Menschen in diese ausweglose Lage gebracht hätten. Sie befänden sich in einer Einbahnstraße, der Weg zurück in die Gesellschaft sei nahezu unmöglich. Wie quälend ist die Lage dessen, der inmitten von Armut in Wohlstand lebt (Tolstoi) Manche Leute würden „containern“, d.h. sie suchten abends in Containern der Supermärkte nach Lebensmitteln. Selbst Studenten nutzten die Tafeln, um über die Runden zu kommen, während dies allerdings nach dem Studium Hoffnung auf eine Anstellung und ein selbstbestimmtes Leben hätten, hätten die meisten anderen die Hoffnung längst aufgegeben, weil das System nur noch nach unten durchlässig sei. Selke beschreibt eine Situation an einer Berliner Verkehrsampel, wie man sie bisher eigentlich nur aus Entwicklungsländern kannte: Jugendliche putzen den Autofahrern blitzschnell die Scheiben (S. 79). Es sei ein Symbol für Armut mitten unter uns, ein weiteres deutliches Armutszeichen seien die Sozialkaufhäuser und Restemärkte. Der Autor besuchte auch Suppenküchen. Aus einer Rockerkneipe werde z.B. tagsüber eine Suppenküche. Frauen kochten ehrenamtlich Essen. Es werde eine Suppe ausgeteilt, bei der sich die Nutzer dieser Suppenküche nicht darauf einigen konnten, ob es nun eine Erbsen-, Linsen- oder Gulaschsuppe sei (S. 92). Für manche Nutzer sei die Suppenküche der einzige soziale Treffpunkt, ein wenig Kontakt zur Außenwelt. Eine Gesprächspartnerin erzählte dem Autor, dass sie versucht habe, sich nützlich zu machen, doch die besseren Jobs dürften nur die Ehrenamtlichen machen. Wenn Schluss ist, kommt sie zum Putzen und räumt die Suppenküche auf (S. 94). Ein Gesprächspartner berichtet, dass er 60 Jahre alt ist, Zeitungen austrage, weil das Geld nicht reiche und sich eigentlich nur noch darauf freue, „in der Kiste“ zu liegen (94). Die Gespräche unter den Suppenküchennutzern blieben meist nur an der Oberfläche, es entwickelten sich nur selten Freundschaften. Es sei eine Mischung aus Abgrenzung vor den anderen Armen und aus der Hoffnung wieder aus der Situation rauszukommen. Solidarität komme nicht auf. Manche Tafelnutzer müssten sogar den einen Euro für die Lebensmittelhilfe anschreiben lassen, weil sie schlichtweg keinen Euro mehr hätten. Manche Nutzer berichten davon, dass das Nahrungsangebot manchmal äußerst knapp sei. Eine Frau hätte sogar das Brötchen in Scheiben geschnitten, weil es dann länger reiche (S. 112). Auch bei der Tiertafel erfolgt eine Bedürftigkeitsprüfung, HartzIV-Bescheid, Personalausweis und Hund müssten vorgezeigt werden. Bei Tiertafeln kommen die Nutzer leichter ins Gespräch, nämlich über das Haustier. Der entscheidende Unterschied sei wohl, dass man sich nicht so minderwertig vorkommt, wenn man um das Fressen für das Haustier bitten muss, als wenn man für Lebensmittel für sich selbst anstehen würde (S. 105). Tafeln lindern Armut, aber sie bekämpfen sie nicht Für Selke sind die Tafeln zwar ein logistisches Erfolgsmodell, weil sie es schaffen Lebensmittel von A nach B zu transportieren. Aber trotz (oder wegen?) dieser Erfolge werde konsequent übersehen, dass Tafeln selbst zu einem Symbol des sozialen Abstiegs geworden seien, das den gesellschaftlichen Misserfolg derjenigen schonungslos offenlegt, die beschönigend „Kunden“ genannt würden (S. 69). Tafeln rühmten sich ihrer Logistikleistungen und gewönnen dafür sogar Preise. Der Bundesverband Deutsche Tafel e.V. etwa habe den Nachhaltigkeitspreis „Ecocare 2011“ für herausragende Nachhaltigkeitskonzepte von Lebensmittelhandel und -industrie sowie von Zulieferern und Dienstleistern der Branche erhalten. Oftmals müsse man den Eindruck gewinnen, dass das eigentliche Leitbild der Ausbau der logistische Infrastruktur sei, deren Erfolgsmaßstab sei, möglichst viele Lebensmittel schnell und sicher verteilen zu können (S. 199). Für Selke ist die HartzIV-Ökonomie ein Hilfssystem für Millionen, eine Parallelwirtschaft, auf die breite Bevölkerungsgruppen dauerhaft angewiesen sind. Es sei der zivilgesellschaftliche Versuch, die seit Jahren nicht mehr eingelöste Teilhabegarantie des Staates zu kompensieren (S. 200). Tafeln ersetzten hoheitliche Leistungen der Daseinsvorsorge oder überlagerten diese zumindest teilweise. Tafeln linderten zwar Armut, aber sie bekämpften diese nicht. Eine riesige Zahl von Menschen, die aufgrund von Krankheit und Behinderung oder aus Scham nicht zur Tafel gehen könnten oder abgeschieden lebten, würden im Übrigen aus dem privaten Ersatzversorgungskonzept komplett herausfallen. Es gehe nicht darum, dass Lebensmittel weggeschmissen werden, wenn es die Tafeln nicht gäbe, sondern es gehe einerseits um Überproduktion und Überangebot und um ein menschenwürdiges Leben für jedes Mitglied unserer Gesellschaft und um eine Politik, die Armut vorbeugt oder bekämpft und nicht befördert. In Artikel 22 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 steht: Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte ist keine verbindliche Rechtsquelle des Völkerrechts, sondern sie hat nur Bekenntnischarakter. Es liegt deshalb vor allem in der Verantwortung der Bürger sich dafür einzusetzen, dass soziale Errungenschaften nicht auf dem Altar der neoliberalen Philosophie geopfert werden. Mit den so genannten „Reformen“ der letzten 20 Jahre hat das Bekenntnis der UN-Menschenrechtserklärung in Deutschland einen Rückschlag erlitten und die Agenda-Politik hat offensichtlich zu einer bis dahin nicht bekannten massiven Verarmung in Deutschland geführt. Der so oft gepriesene „Trickle-down-Effekt“, demzufolge die unteren Schichten der Bevölkerung vom Wohlstand der Reichen profitieren sollen, wenn es den Reichen nur gut genug gehe, ist gerade nicht eingetreten. Die Bedürftigen bekommen n u r das, was über die Tischkante nach unten fällt, das ist nicht nur arrogant und selbstherrlich sondern auch zynisch und menschenunwürdig – eben nach Gutsherrenart. Stefan Selke stellt an den Anfang seines Buches ein Zitat von Oscar Wilde: Stefan Selke, Schamland – Die Armut mitten unter uns, 288 Seiten, Econ-Verlag, 18 Euro
Wolfgang Lieb
Das Attribut „nach Gutsherrenart“ wird häufig gebraucht, um auszudrücken, dass es sich um gehobene, deftige ländliche Küche handelt, die eben den Gaumen eines „Gutsherren“ besonders erfreuen könnte. Gutsherren werden gern romantisch verklärt, vergessen wird dabei, dass sie in selbstherrlicher Manier über ihre Untergebenen entscheiden konnten. Die im Dienste eines Gutsherren stehenden Mägde u ...
[ "Charity", "Menschenrechte", "Selke, Stefan", "Tafeln", "Teilhabe" ]
[ "Hartz-Gesetze/Bürgergeld", "Rezensionen", "Sozialstaat", "Ungleichheit, Armut, Reichtum" ]
19. August 2013 9:12
https://www.nachdenkseiten.de/?p=18334&share=email&nb=1
Nach der Zerstörung des Vertrauens in die Arbeitslosenversicherung durch Hartz IV folgen jetzt vermehrt die Angebote zur Privatvorsorge
Ein aufmerksamer Nutzer unserer NachDenkSeiten macht uns darauf aufmerksam. Er schreibt: Und noch eine Mail vom gleichen Nutzer:
Albrecht Müller
Ein aufmerksamer Nutzer unserer NachDenkSeiten macht uns darauf aufmerksam. Er schreibt: Ich weiß nicht, ob Sie schon was etwas darüber gebracht haben, aber mir ist es erst heute bei einem Bankbesuch aufgefallen, die private Arbeitslosenversicherung wird massiv beworben. Jawohl, genau das, worauf wir alle gewartet haben. Nicht nur die private Kranken- und Rentenversicherung, nein, jetzt ...
[ "Privatvorsorge", "Versicherungswirtschaft" ]
[ "Arbeitslosigkeit", "Privatisierung öffentlicher Leistungen" ]
23. Mai 2006 17:08
https://www.nachdenkseiten.de/?p=1319&share=email&nb=1
Bayern, die Ostukraine und der Krieg – oder: Ein etwas anderer Blick auf die Ereignisse im Donbass
Die Ostukraine und Bayern – ein Vergleich, der nur auf den ersten Blick an den Haaren herbeigezogen scheint. Regionale Identitäten lassen sich von einer Zentralmacht nur temporär und um den Preis von Bürgerkriegen unterdrücken. Was also wäre, wenn …? Von Leo Ensel. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Podcast: Play in new window | Download Okay, alle Vergleiche hinken, aber sie können Strukturen sichtbar machen. Stellen wir uns also mal Folgendes vor: In Berlin käme unter massivem Druck der Straße, nach Einsatz scharfer Munition und unterstützt von einer Reihe prominenter Politiker aus dem Ausland infolge einer zweifelhaften Abstimmung im Bundestag eine Regierung an die Macht, deren erste Amtshandlung die Abschaffung zentraler Elemente des Föderalismus wäre. Zu den Maßnahmen der neuen Bundesregierung würden die Unterstellung des Polizei- und Bildungswesens unter die Berliner Zentralgewalt und die Ankündigung einer einheitlichen deutschen Kulturpolitik gehören. Aus der Münchner Landesregierung kämen umgehend starke Proteste, man werde diesen grundgesetzwidrigen Angriffen der Berliner Putschregierung auf den Föderalismus und die bayerische Identität auf gar keinen Fall Folge leisten. Worauf Berlin, um den Bayern zu zeigen, wo der Hammer hängt, nicht nur auf der sofortigen Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen bestehen, sondern dem Bundesland den Titel „Freistaat“ entziehen, die katholischen Feiertage abschaffen, alle bayerischen Traditionsvereine verbieten und das Sprechen des bayerischen Dialekts in der Öffentlichkeit unter Strafe stellen würde.* „Berliner Putsch-Junta“ versus „Volksrepublik Bayern“ Mit diesen Kraftmeiereien bringt Berlin das Fass zum Überlaufen. Täglich demonstrieren in München auf dem Max-Joseph-Platz und in den Zentren aller größeren bayerischen Städte Tausende von Menschen in bayerischer Tracht gegen die antiföderalen Maßnahmen der „Berliner Putsch-Junta“, in den Industriebetrieben kommt es zu Warnstreiks, der Erzbischof von München und Freising und die Landesregierung erklären sich mit den Demonstrierenden und Streikenden solidarisch. Da Berlin nicht daran denkt nachzugeben, verhärten sich die Fronten: Die Berliner Repressalien provozieren eine Renaissance des Bayerntums. Im Bayernkurier erscheinen Essays patriotischer Historiker, die ins Gedächtnis rufen, dass bereits im Jahre 1871 der Beitritt des bayerischen Königreichs zum preußisch dominierten Deutschen Reich in Wirklichkeit ein hochumstrittener Anschluss war und Ludwig II. von Bismarck mit erheblichen Summen bestochen wurde, bis er sich endlich bereit erklärte, den Preußenkönig Wilhelm zum deutschen Kaiser vorzuschlagen. Unter der Herrschaft der Hohenzollern sei Bayern faktisch eine von Berliner Statthaltern regierte innerstaatliche Kolonie gewesen. Der Jahrestag der Ausrufung der antipreußischen Münchner Räterepublik wird mit großem Pomp gefeiert, und auf dem Münchner Marienplatz erinnern Honoratioren daran, dass die Niederschlagung der Räterepublik durch Truppen der Reichsregierung allein in München über 700 Tote gefordert habe. Als Konsequenz habe Bayern entgegen der Weimarer Verfassung und im Widerspruch zum Versailler Vertrag ab Mai 1919 eine eigene Armee aus Bürgerwehren aufgestellt, die Ende des Jahres schon über 200.000 Mann mit schweren Waffen verfügte. Sogar der Gleichschaltungspolitik der Nazis hätten die Bayern immer wieder offenen oder klandestinen Widerstand entgegengesetzt und nach dem II. Weltkrieg auch das Grundgesetz zunächst abgelehnt. Immer rasanter mutiert bayerischer Patriotismus zu bayerischem Separatismus, und ein Vierteljahr nach dem Berliner Umsturz wird nach einem landesweiten Referendum die „Volksrepublik Bayern“ ausgerufen, die sogleich ihren Austritt aus der Bundesrepublik Deutschland verkündet. Berlin verweist darauf, dass dieser Beschluss grundgesetzwidrig sei und droht, im Falle einer Umsetzung die Bundeswehr nach Bayern zu schicken, um gegen die „Terroristen im Süden“ die öffentliche Ordnung und den Geltungsbereich des Grundgesetzes wiederherzustellen. München regiert mit der Aufstellung einer bayerischen „Volkswehr“, die aus Paramilitärs und ehemaligen Bundeswehreinheiten besteht, die in ihren bayerischen Standorten zur „Volksrepublik Bayern“ übergelaufen sind. Die Bundeswehr im „Antiterroreinsatz“ Die Berliner Zentralgewalt, die sich starker Unterstützung aus dem westlichen Ausland erfreut, macht Ernst. Sie kappt Renten und sonstige Transferleistungen nach Bayern und schickt im Rahmen eines „Antiterroreinsatzes“ Bundeswehreinheiten Richtung Süden, denen sich antiföderalistische Freikorps anschließen. Ab jetzt liefern sich beide Seiten auf dem abtrünnigen bayerischen Territorium blutige Gefechte. Bereits nach wenigen Wochen sind über 1.000 Tote zu beklagen. Nehmen wir nun weiter an, das an Bayern angrenzende Österreich wäre noch – wie vor dem I. Weltkrieg – eine Großmacht. Schon träumen nicht wenige Bayern von einem Beitritt ihrer von keinem Staate anerkannten „Volksrepublik“ zum österreichischen großen Bruder, dem sie sich mental viel mehr verbunden fühlen als dem verhassten Berlin und mit dem auch das ökonomische Überleben der jungen Republik gesichert wäre. Wien selbst hält sich in dieser Frage bedeckt, verweist aber immer wieder auf den „illegalen Krieg des Berliner Putsch-Regimes gegen die eigene Bevölkerung“. Die bayerische Volkswehr, die zeitweilig größere Gebietsverluste zu beklagen hatte, schlägt sich auf einmal wieder erstaunlich gut und kann nach harten Kämpfen strategisch wichtige Städte des verlorenen Territoriums zurückerobern. Berlin beschuldigt Wien, die „proösterreichischen Separatisten“ über die durchlässige Grenze zwischen Bayern (Berlin sagt: Deutschland) und Österreich mit schweren Waffen und Soldaten zu unterstützen. Wien bestreitet dies, Österreich beteilige sich an diesem Krieg nicht. Allerdings befinden sich unter den Gefangenen, die die Bundeswehr auf bayerischem Gebiet macht, immer wieder auch österreichische Staatsbürger, die behaupten, freiwillig ihre bayerischen Brüder im Kampf gegen die „Berliner Junta“ zu unterstützen. Der festgefahrene Konflikt Jahrelang sind die Fronten weitgehend festgefahren. Große Teile Bayerns stehen unter Berliner Kontrolle, zu beiden Seiten der Kampflinie kommt es fast täglich zu größeren oder kleineren Scharmützeln. Ganze Ortschaften sind zerstört. Der Krieg kostete bereits über 14.000 Menschen das Leben. Tausende sind geflüchtet – je nach politischer Einstellung in die von Berlin oder von München kontrollierten Gebiete. Einige auch nach Österreich. Der Münchner Flughafen ist eine Trümmerwüste. Die Eisenbahnverbindungen zwischen Bayern und Restdeutschland sind gekappt. Eine Busfahrt von Augsburg nach Ulm, die mehrere Grenzposten passieren muss, dauert nun sechs bis acht Stunden. Zwischen den von Berlin besetzten bayerischen Gebieten und der „Volksrepublik Bayern“ sind selbst Telefongespräche nicht mehr möglich, weil die Mobilfunknetze inkompatibel sind. Zahllose Familien sind zerrissen. Die meisten Menschen wollen nur noch, dass die Kämpfe endlich aufhören. Internationale Vermittlungsversuche, die im „Bukarester Abkommen“ kodifiziert wurden, werden von den kriegführenden Parteien sabotiert. Berlin weigert sich hartnäckig, seinen vertraglichen Verpflichtungen nachzukommen und eine Grundgesetzreform durchzuführen, die den Föderalismus wieder einführen und Bayern innerhalb der Bundesrepublik Deutschland weitgehende Autonomierechte einräumen würde. Umgekehrt spricht viel dafür, dass Österreich nach wie vor Waffen an die bayerischen Rebellen liefert. Zudem zahlt der Große Bruder mittlerweile die Renten und Beamtengehälter in der „Volksrepublik Bayern“ – in Schilling, versteht sich, denn diese Währung wurde in den von München kontrollierten Gebieten bereits vor Jahren eingeführt. Auf der mentalen Ebene stehen sich jetzt zwei konträre Narrative unversöhnlich gegenüber: Berlin behauptet, Österreich habe Deutschland angegriffen und damit die europäische Grundordnung massiv verletzt. Es führe einen unerklärten hybriden Krieg auf deutschem Territorium, nämlich in Bayern, wo es das Regime der „proösterreichischen Separatisten“ eingerichtet habe. Die „Volksrepublik Bayern“ dagegen erklärt, man werde sich der vom Ausland installierten illegalen Berliner Putschregierung, die das eigene Volk angegriffen habe, niemals beugen. Und Wien betont, es habe mit allem nichts zu tun. Showdown Nach fast acht Jahren geraten die Dinge dramatisch in Bewegung. Berlin, das von einer westlichen, mit Wien verfeindeten Hegemonialmacht mit gigantischen Mitteln militärisch, ökonomisch und moralisch unterstützt wird, zieht große Truppenverbände an den Kampflinien zur „Volksrepublik Bayern“ zusammen und lässt durchblicken, dass es nun Ernst machen und die abtrünnigen Gebiete – koste es, was es wolle – zurückerobern will. Wien, das sich seinerseits von der westlichen Hegemonialmacht existenziell bedroht fühlt, führt auf dem Territorium des befreundeten Tschechiens martialische Manöver an der Grenze zu Deutschland durch. Die Lage spitzt sich gefährlich zu. In einer letzten diplomatischen Initiative fordert Wien die westliche Hegemonialmacht ultimativ auf, Berlin nicht weiter zu unterstützen, und droht Berlin, alle militärischen Mittel einzusetzen, um einen Genozid an der bayerischen Bevölkerung, der Österreich sich seit ewigen Zeiten verbunden fühle, zu verhindern. Als sowohl die Hegemonialmacht wie Berlin Wien auflaufen lassen, ist es soweit: Österreich erklärt das „Bukarester Abkommen“ für gescheitert und erkennt die „Volksrepublik Bayern“ als Staat an. Zwei Tage später überfallen österreichische Truppenverbände von Tschechien kommend Deutschland, zeitgleich rückt Wien auf breiter Front in Bayern ein. Nach monatelangen Kämpfen ist es Österreich zwar nicht gelungen, die „Berliner Putsch-Junta“ zu beseitigen, aber es hat weite Teile Thüringens und Sachsens unter seine Kontrolle gebracht und lässt dort – und zeitgleich im immer noch nicht ganz eroberten Bayern – Referenden über eine Abspaltung von der Bundesrepublik Deutschland durchführen. Die Ergebnisse sind aus Wiener Sicht ein voller Erfolg: Offiziellen Angaben zufolge bekundet angeblich eine überwältigende Mehrheit in allen drei – nun ehemaligen – Bundesländern den Wunsch, Österreich beizutreten. Ein Wunsch, der schon drei Tage später gnädig gewährt und in der Wiener Hofburg feierlich vollzogen wird … Und eine verängstigte Weltöffentlichkeit fragt sich: Wer ist eigentlich an allem schuld? * 30.11.2022: Auf Wunsch des Autors wurde der letzte Satzteil hinzugefügt. Leserbriefe zu diesem Beitrag finden Sie hier. Titelbild: canadastock/shutterstock.com
Leo Ensel
Die Ostukraine und Bayern – ein Vergleich, der nur auf den ersten Blick an den Haaren herbeigezogen scheint. Regionale Identitäten lassen sich von einer Zentralmacht nur temporär und um den Preis von Bürgerkriegen unterdrücken. Was also wäre, wenn ...? Von Leo Ensel. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Okay, alle Vergleiche hinken, aber sie können Strukturen sichtbar ...
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06. Oktober 2022 9:28
https://www.nachdenkseiten.de/?p=88880
Ein Buch, das eigentlich nicht erscheinen sollte
Der Westend-Verlag hat ein vor 66 Jahren erstmals aufgelegtes Buch neu herausgebracht: „Geißel der Menschheit. Kurze Geschichte der Nazi-Kriegsverbrechen“. Autor ist Lord Russel of Liverpool. Er hatte als Berater des britischen Oberkommandanten für alle Kriegsverbrecherprozesse einen tiefen Einblick in das Wesen und die Struktur der Naziherrschaft. Auf Basis von Augenzeugenberichten, Geheimdokumenten aus Wehrmachtsarchiven und Prozessprotokollen lieferte er einen erschütternden Bericht von der Grausamkeit der Nazi-Herrschaft ab. Interessierte Kreise versuchten seinerzeit sein Buch zu unterdrücken – weil es bei der Remilitarisierung Deutschlands störte. Ein politisches Interesse, das auch heute wieder massiv betrieben wird. Udo Brandes hat das Buch für die NachDenkSeiten gelesen. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Podcast: Play in new window | Download Warum soll man eigentlich ein über 60 Jahre altes historisches Werk lesen? Gibt es nicht schon allein aufgrund der jahrzehntelangen Forschung fundiertere Lektüre zum Thema „Nazi-Kriegsverbrechen“? Diese Frage stellt auch der israelische Soziologe Moshe Zuckermann in seinem Vorwort zu diesem Buch. Seine Antwort: Für Fachleute, die wahrscheinlich das Werk ohnehin schon kennen, sei es vermutlich nicht mehr so interessant. Aber um so mehr für das allgemeine Publikum. Denn selbst bei sehr gebildeten Menschen würde sich das, was sie über die Nazi-Kriegsverbrechen gelesen hätten, zu Schlagwörtern, Parolen und Slogans verhärten. Mit anderen Worten: Das, was in der Großelterngeneration noch in Form konkreter Bilder und emotionaler Erinnerungen im Gedächtnis ist, verblasst in der Enkelgeneration. Zuckermann nennt als Beispiel dafür den Widerstand gegen die Wehrmachtsausstellung 1995 bis 1999 und 2001 bis 2004. Hier habe die Verdrängung der Enkelgeneration an die Verdrängung der Großelterngeneration angeschlossen: Medien und Politik wieder auf aggressiv-imperialistischem Kurs Mir persönlich fiel noch etwas anderes ein: Unsere politische Klasse und unsere Medien haben offenbar schon längst wieder vergessen, wie entsetzlich Krieg ist, und was deutsche Soldaten in der ganzen Welt massenhaft an Leid und Elend verursacht haben. Und dass die Sowjetunion von einer deutschen Armee überfallen wurde – und der glückliche Ausgang des Zweiten Weltkriegs (im Sinne der Befreiung vom Hitler-Faschismus) ganz maßgeblich auch der UdSSR zu verdanken ist. Und dass die Sowjetunion dafür mit einen Blutzoll von ca. 27 Mio. Toten bezahlt hat. All dies spielt offenbar im Bewusstsein unserer politischen Klasse und vieler Medien keine Rolle mehr. Am Staatsakt in Russland zur Feier des 75-jährigen Jubiläums nahm trotz offizieller Einladung unser Bundespräsident nicht teil. Wäre ich Russe, würde ich das als bewussten Affront gegen mein Land auffassen. Sowohl unsere politische Klasse als auch die Medien sind wieder auf einem aggressiv-imperialistischen Kurs. Ich habe den Eindruck, dass seitens der politischen Klasse versucht wird, in der Gesellschaft den Militarismus wieder salonfähig zu machen. Denn selbst in den angeblich „aufgeklärten“ liberalen Medien scheint es eine Tendenz zur Beschönigung des Kriegshandwerks zu geben. Das offenbart ein Interview der Zeit-Journalistin Mariam Lau. Sie stellte der Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer unter anderem folgende Fragen: Warum meine ich, dass solche Fragen problematisch sind? Weil dahinter meines Erachtens ein ausgesprochen gefährliches Denken steckt: Ein Denken, das Krieg führen, um Interessen durchzusetzen, als legitim ansieht. Ein Denken, das sich das Recht des Stärkeren anmaßt. Denn wer so denkt, hat offenbar kein Problem mit staatlichen Tötungskommandos, die Personen ein für alle Mal aus dem Weg räumen, die – ob nun zurecht oder unrecht – als gefährliche Terroristen oder gefährliche Militärs eingestuft werden. So wie die USA mal eben einen hochrangigen iranischen General völkerrechtswidrig umgebracht haben, weil sie es für angebracht hielten. Nun könnte es sein, dass Mariam Lau diese Fragen aus Gründen der Provokation gestellt hat, um Antworten aus Kramp-Karrenbauer herauszukitzeln, die sich gut verkaufen lassen. Und nicht weil sie selber so denkt. Ich befürchte jedoch, dass sie tatsächlich selber meint, wir bräuchten mehr Heroismus und heldenhafte Verklärung von Aktionen wie den genannten Tötungskommandos. Und genau deshalb glaube ich, dass das Buch von Lord Russel wichtig ist. Es zeichnet nämlich ein sehr anschauliches Bild von dem, was Krieg bedeutet. Und machen wir uns nichts vor: Auch in demokratischen Armeen kommt es im Krieg zu entsetzlichen Grausamkeiten und Verbrechen. Das bringt der Krieg, und was er Menschen an Abstumpfung abverlangt, so mit sich. Denken wir doch mal an den Skandal im Jahre 2006, als in der Presse Fotos auftauchten, die zeigten, wie deutsche Soldaten in Afghanistan makabre „Späße“ mit Totenschädeln veranstalteten. Zurück zum Buch: Interessierte Kreise versuchten seinerzeit, Lord Russels Buch zu verbieten. Das gelang nicht. Aber das Buch hatte Konsequenzen für ihn. Moshe Zuckermann schreibt dazu in seinem Vorwort: Die Dimension des Bösen Moshe Zuckermann erklärt es so: Das Buch wurde in den USA 2008 neu aufgelegt – mit einem Vorwort von Alistair Horne. Dieser war 1954 Auslandskorrespondent des Daily Telegraphs in Deutschland und hatte die ursprüngliche Veröffentlichung scharf kritisiert. Und zwar deshalb, weil sie einem Antigermanismus Vorschub leisten könne, der die internationale politische Wiedereingliederung Deutschlands behindere und die Angst vor dem Aufbau deutscher Streitkräfte im Rahmen der NATO schüre. In der neuen US-amerikanischen Ausgabe von 2008 allerdings verschiebe Horne in seinem Vorwort den Fokus des Buches. Nach ihm steht nicht mehr die Einmaligkeit deutscher Übel im Mittelpunkt. Sondern die Dimension des Bösen, zu dem der Mensch überhaupt fähig sei. Zuckermann zieht daraus folgende Schlussfolgerung: Das Buch von Lord Russel liest sich wie ein langes journalistisches Feature über die deutschen Kriegsverbrechen in der Nazi-Zeit. Damit will ich sagen: Es ist leicht lesbar, anschaulich und verständlich geschrieben. Er berichtet, analysiert, zitiert Quellen und auch Bilder werden in seinem Buch abgedruckt. Wer sich über die Nazi-Kriegsverbrechen informieren will, der bekommt mit diesem Buch eine gute Grundlagenlektüre. Er muss sich aber auch auf furchtbare Fotos gefasst machen. In einem Kapitel über die Konzentrationslager sind zum Beispiel auf einem Foto Frauen zu sehen, die nackt und als ob sie von jemandem gehetzt werden, über ein Gelände laufen und von Soldaten oder Wachmannschaften beobachtet werden. Die Bildunterschrift erläutert dem Leser die Situation: Auf einem anderen Foto ist eine Wagenladung voller menschlicher Leichen zu sehen (S. 239). Ein Foto über das KZ Belsen zeigt, wie ein Bulldozer Leichen für das Massenbegräbnis zusammenschiebt (S. 228). Mein Fazit: Ein Buch, das es verdient, massenhaft wieder gelesen zu werden. Erst recht, wenn man sich in Erinnerung ruft, was der frühere CDU-Politiker und heutige AfD-Politiker Alexander Gauland über diese deutschen Verbrechen abgesondert hat. Er sagte 2018 in einem Grußwort an die AfD-Jugend, Hitler und die Nationalsozialisten seien „nur ein Vogelschiss“ in 1000 Jahren deutscher Geschichte. Ein Mann mit solchen Ansichten zählt in der gegenwärtigen AfD im Vergleich zu Höcke und anderen AfD-Rechtsextremisten zu den „gemäßigten“ Politikern. Soweit sind wir wieder gekommen. Inhalt Einleitung von Moshe Zuckermann Vorwort zur westdeutschen Ausgabe Prolog Kapitel I: Die Instrumente der Hitlertyrannei Kapitel II: Misshandlung und Ermordung von Kriegsgefangenen Kapitel III: Kriegsverbrechen auf Hoher See Kapitel IV: Misshandlung und Ermordung der Zivilbevölkerung im besetzten Gebiet Kapitel V: Zwangsarbeit Kapitel VI: Konzentrationslager Auschwitz Belsen Buchenwald Dachau Neuengamme Ravensbrück Kapitel VII: Die „Endlösung der Judenfrage“ Epilog Anhang Namensregister Anmerkungen Lord Russel of Liverpool: Geißel der Menschheit. Kurze Geschichte der Nazi-Kriegsverbrechen, Westend-Verlag, Frankfurt/Main 2020, 24,00 Euro. Auch erhältlich bei den Buchkomplizen.
Udo Brandes
Der Westend-Verlag hat ein vor 66 Jahren erstmals aufgelegtes Buch neu herausgebracht: „Geißel der Menschheit. Kurze Geschichte der Nazi-Kriegsverbrechen“. Autor ist Lord Russel of Liverpool. Er hatte als Berater des britischen Oberkommandanten für alle Kriegsverbrecherprozesse einen tiefen Einblick in das Wesen und die Struktur der Naziherrschaft. Auf Basis von Augenzeugenberichten, Geheimdok ...
[ "Konzentrationslager", "Kramp-Karrenbauer, Annegret", "Kriegsverbrechen", "Nationalsozialismus", "Sowjetunion", "Systemkonkurrenz", "Weltkrieg", "Zensur", "Zuckermann, Moshe" ]
[ "Audio-Podcast", "Militäreinsätze/Kriege", "Rezensionen", "Wertedebatte" ]
28. Juli 2020 9:05
https://www.nachdenkseiten.de/?p=63344&share=email&nb=1
Der neue Newsletter der NachDenkSeiten ist da
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13. Juli 2023 14:00
https://www.nachdenkseiten.de/?p=100931&share=email&nb=1
„Merkel: Wir riskieren unseren Erfolg“ = Merkels Trick
„Merkel: Wir riskieren unseren Erfolg“ – so lautet die Schlagzeile meiner Tageszeitung. Die Bundeskanzlerin macht sich angesichts der steigenden Neuinfektionen große Sorgen. Die Bundesregierung verschärft ihre Warnungen. Einige Menschen fragen sich, ob die Dramatisierung berechtigt ist. Die Meisten werden nicht erkennen, welche Manipulationsmethode hier angewandt wird: Methode Nr. 11 „B sagen und A meinen“. Merkel und ihre Kompagnons dramatisieren die Entwicklung – das ist die Botschaft B – und transportieren dabei die für sie und ihren nächsten Wahlerfolg wichtige Botschaft A: Wir sind erfolgreich, unsere Politik war und ist richtig. Wie denken Sie darüber? Albrecht Müller. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Podcast: Play in new window | Download Die SPD, die anderen Parteien und die meisten Medien merken nicht, was hier gespielt wird. Angela Merkel ist schon in ihrem früheren Beruf in der DDR eine Expertin für Kommunikation gewesen und sie hat im Kanzleramt bzw. bei den externen Zuarbeiterinnen und Zuarbeitern ausreichend Experten für Kommunikation zur Verfügung. Bewundernswert! Nicht wegen der Leistung, sondern wegen der Kompetenz bei der Anwendung von Manipulationstricks. Zur weiteren Vertiefung füge ich hier den Text von Kapitel III. 11. aus meinem Buch „Glaube wenig. Hinterfrage alles. Denke selbst“ an und zur weiteren Information auch die Gliederung des Buches mit allen dort untersuchten und beschriebenen 17 Methoden der Manipulation: Auszug aus „Glaube wenig. Hinterfrage alles. Denke selbst“ Kapitel III.11. 11. B sagen und A meinen Das eine sagen, aber das andere meinen. Diese Methode wird unentwegt angewendet. So ist der Niedergang der SPD des Öfteren mit der Behauptung begleitet worden, die SPD verkaufe sich schlecht (= B). Damit transportiert wurde die Botschaft, ihre Politik sei eigentlich gut gewesen (= A). Auf allen Ebenen der SPD spukt derweil dieses Gespenst herum: Wir sind ja gut, aber wir verkaufen uns schlecht. Auch die Agenda 2010 wurde und wird uns immer wieder auf diese Weise nahegebracht: Bundeskanzler Schröder habe sich, seine Kanzlerschaft und seine Partei geopfert, um das Land voranzubringen (= B). Damit wird die Botschaft A transportiert, die Agenda 2010 sei notwendig gewesen und nützlich. Der frühere Bundespräsident Joachim Gauck hat Angela Merkel 2012 ermahnt, ihre Politik in der Euro-Krise besser zu erklären. Der Spiegel hat ihn wegen dieser Ermahnung kritisiert: »Mahnende Worte an die Kanzlerin. Gauck trifft Merkels schwächsten Punkt«.20 Beides, die Ermahnung durch den Bundespräsidenten wie die Kritik des Spiegel an ihm ­waren Teil der Botschaft B, mit der vermittelt werden sollte, wie grandios die Politik der Bundeskanzlerin Merkel ist (= A). Die Methode B sagen und A meinen wurde in Kombination mit der Methode Übertreiben von der Planungsabteilung des Bundeskanzleramtes 1975/1976 angewandt. Wir stellten damals mithilfe von Umfragen fest, dass Bundeskanzler Schmidt nicht als besonders leistungsfähig galt. Im Herbst 1975 haben wir dann zusammen mit Kollegen aus der SPD-Zentrale nach einer Möglichkeit gesucht, diese Einschätzung zu verbessern. Das Ergebnis des Nachdenkens: Der Bundeskanzler und andere Spitzenpolitiker sollten künftig bei der Darstellung unseres Landes und ihrer Politik vom »Modell Deutschland« sprechen und zugleich den eigentlich arrogant klingenden Begriff fortschrittlich füllen: gute Nachbarschaft mit allen Völkern, ein eng geknüpftes und festes soziales Netz, ferner viele und gute Arbeitsplätze, Reformen wie das gleiche Kindergeld für alle statt der ungerechten Kindersteuerfreibeträge, ganz geringe Arbeitslosigkeit und so weiter. Das sollte das »Modell Deutschland« charakterisieren, und das tat es damals auch. Helmut Schmidt hat diese Idee positiv aufgenommen und seine öffentlichen Äußerungen darauf abgestellt. »Modell Deutschland« war die Klammer vieler Äußerungen von Schmidt selbst und der Bundesregierung. Es gab offensichtlich einen Disput wegen des Eindrucks »nationalistischer Überheblichkeit«, wie Helmut Schmidt notierte. Aber es sollte mit den Begriffen Versöhnung und Nachbarschaften gefüllt werden. Das war im Vorfeld der Bundestagswahl 1976 und hat vermutlich einiges dazu beigetragen, bei knapp gewordenem Abstand zu Helmut Kohls CDU/CSU die Wahl noch einmal zu gewinnen. In Kenntnis dieser Methode und der Erfahrung, dass sie sehr oft angewandt wird, kann man lernen, nicht auf den ersten Teil einer Aussage hereinzufallen und stattdessen besser noch einmal zu hinterfragen, was dahintersteckt. Inhalt
Albrecht Müller
„Merkel: Wir riskieren unseren Erfolg“ - so lautet die Schlagzeile meiner Tageszeitung. Die Bundeskanzlerin macht sich angesichts der steigenden Neuinfektionen große Sorgen. Die Bundesregierung verschärft ihre Warnungen. Einige Menschen fragen sich, ob die Dramatisierung berechtigt ist. Die Meisten werden nicht erkennen, welche Manipulationsmethode hier angewandt wird: Methode Nr. 11 „B sagen ...
[ "Glaube wenig (Buch)", "Merkel, Angela", "Virenerkrankung" ]
[ "Audio-Podcast", "Gesundheitspolitik", "Strategien der Meinungsmache" ]
01. Oktober 2020 12:18
https://www.nachdenkseiten.de/?p=65359
Fortsetzung Nr. 2 des Disputs Flassbeck vs. Hickel ergänzt um einen NDS-Leser-Text
Heiner Flassbeck hat einen neuen Text geschickt. Siehe unten A. Gleichzeitig erreichte uns die interessante Mail eines NDS-Lesers (B.). Beides zu Ihrer Information. Albrecht Müller A. Von Tätern und Opfern Von Heiner Flassbeck Sao Paolo, 25.5.2010 Meine Vorstellungen zur umfassenden Lösung der Eurokrise will ich hier nicht noch einmal darstellen. Das habe ich zur Genüge getan. Ich will nur einige Prinzipien deutlich ansprechen, die man beachten sollte, bevor man leichtfertig von einem Bankrott eines Staates der Eurozone, von einem „haircut“ oder einer Umstrukturierung von Staatsschulden im Euroraum spricht. Griechenland ist nicht das Problem. Gemessen am Gesamtproblem des Euroraumes ist Griechenland nur eine Fußnote. Wer ein Griechenland fallen lässt, schafft sofort ein neues. Zudem, wer immer sich mit Verve auf das kleine Griechenland stürzt, spielt dem Boulevard und den primitivsten Vorurteilen an den Stammtischen und an den Finanzmärkten in die Hände. Für jedes Land der Welt lassen sich Informationen finden, die schrecklich klingen, aber in einen größeren Zusammenhang eingeordnet, vollkommen unproblematisch sein mögen. Man erinnere sich, dass der globale Boulevard vor einigen Jahren noch das Ende Deutschlands als Exportnation ausgerufen hatte, weil die Arbeitnehmer nicht genügend lange arbeiteten, die Lohnnebenkosten zu hoch seien und zu viele Vorschriften den deutschen Unternehmen die Luft zum Atmen nähmen. Dagegen wird die einfache, aber für die Beurteilung der Seriosität von Verschuldung absolut zentrale Tatsache, dass Griechenland in den letzten zehn Jahren weit höhere Zuwächse der Investitionen in Maschinen und Ausrüstungen aufwies, als alle übrigen Länder des Euroraumes, einfach unter den Tisch gekehrt. Bei der Beurteilung dessen, was souveräne Staaten in einer schwierigen Lage tun sollten, ist es meist hilfreich, so wenig über das Land zu wissen, dass man erst gar nicht in Versuchung gerät, sich mit einem Schein- und Detailwissen hervorzutun. Das profunde Wissen der Menschen und der Politiker von ihrem eigenen Land in den Schatten stellen zu wollen, führt regelmäßig in die Irre. Der Internationale Währungsfonds ist mit seinen Programmen à la Washington Konsensus in der Vergangenheit so oft gescheitert und hat immense Schäden über Jahrzehnte hinterlassen, weil er sich auch auf der Mikroebene kompetent fühlte und folglich immer ganz genau „wusste“, was schief gelaufen war und was nun gemacht werden musste. Da mussten in Lateinamerika natürlich die Versorgungsunternehmen privatisiert werden, Asien musste sein „verrottetes Bankensystem“ über Bord werfen und jede Form von sozialer Absicherung in den Betrieben sowieso, bevor die Gelder fließen konnten. Korruption war natürlich fast überall außer in Washington der Hauptgrund für die Misere von Ländern. In den Vereinten Nationen und in der ganzen internationalen Gemeinschaft hat man, um dieses Mikrounwesen zu kennzeichnen, dafür seit Jahrzehnten den schönen Ausdruck „no one size fits all“ geprägt. Das heißt, überlasst die Entscheidung, wie im Einzelnen mit einer solchen Situation umgegangen wird, gefälligst dem Land und seinen gewählten Vertretern. Etwas mehr Respekt in dem Sinne wäre bei allen Beteiligten auf deutscher Seite unglaublich hilfreich. Griechenland und alle übrigen Länder, die noch in Schwierigkeiten geraten könnten, haben als Mitglieder der Eurozone natürlich Anspruch darauf, dass ihnen die Europäische Zentralbank in einer Notlage mit direkten Interventionen in die Märkte und damit als lender of last resort zur Seite springt. Dass diese Selbstverständlichkeit in der EWU erst in einem schmerzhaften und für die Griechen entwürdigenden politischen Prozess zugestanden wurde, wird als ein großes Versagen der europäischen Institutionen in die Geschichte eingehen. Hätte man rechtzeitig interveniert, wäre der Zins niemals so hoch gestiegen, dass Griechenlands Glaubwürdigkeit in Sachen Konsolidierungschance gefährdet gewesen wäre. Dass aber schon lange vor der Rettung durch die Zentralbank die Geier des Boulevards über das Land herfielen und viele Ökonomen das Lied vom Bankrott mitsangen, wird in anderen Büchern des Versagens festgehalten werden müssen. Der Gläubiger eines Staates ist in der Regel kein Spekulant. Wer bis Oktober 2009 griechische Staatsanleihen gekauft hat, wollte damit Geld fest anlegen und hat auch keine extrem hohen Zinsen kassiert. Im Gegenteil, er hat durch die Spekulation bereits Geld verloren, weil der Wert seiner Anleihen deutlich gesunken ist. Es ist leider eine Unsitte in Deutschland und vermutlich in ganz Europa, dass die „modernen Banken“ dem Publikum Staatsanleihen äußerst selten und äußerst ungern direkt anbieten und verkaufen. Statt dessen halten sie die Anleihen selbst und konstruieren „sichere Produkte“ auf der Basis von Staatsanleihen, die dann dem Publikum angeboten werden (wobei die „Produkte“ natürlich einen geringeren Zins bieten). Das aber bedeutet, dass die Tatsache, dass bei Banken viele Staatsanleihen in den Büchern stehen, nichts darüber sagt, wer bei einem Ausfall von Staatsanleihen wirklich am Ende in Mitleidenschaft gerät. In einer Situation, wo gerade viele relativ seriöse Banken (im Gegensatz zu den Zockerbanken) noch in Schwierigkeiten sind oder schnell in neue Schwierigkeiten geraten können, wäre der Ausfall auch nur eines Staates ein enormes Risiko und müsste absurderweise wiederum die „bankrotten“ Staaten auf den Plan rufen. Auch für die Bürger und Kleinsparer wäre der Ausfall ihres eigenen Staates ein gewaltiger Schock, der mit großer Sicherheit Panikreaktionen nach sich zöge, die wiederum staatliche Bankenrettung erforderlich machte. Insgesamt gesehen sollte wir uns mehr der Ungeheuerlichkeit widmen, dass von denjenigen Finanzmarktakteuren, die mit ihren geplatzten Spielschulden die Verschuldung der Staaten in die Höhe getrieben haben, nun der Bankrott von Staaten ausgerufen wird. Griechenland war in dieser Strategie der Ablenkung von den eigentlichen Problemen ein willkommenes Opfer, weil die vorherige Regierung so tölpelhaft gefälscht hat. Wer aber auf Griechenland einschlägt, ist auf die Strategie der Täter, die Opfer zu Tätern zu machen, schon hereingefallen. B. E-Mail von NDS-Nutzer EH.(Auszüge): (Soweit sich EH auf Heiner Flassbeck bezieht, ist der vorige Text gemeint) Schön, dass sich zwei kritische Wirtschaftswissenschaftler so streiten können. … Abseits der fachlichen Ein- und Ansichten kann man als Außenstehender festhalten, dass Prof. Hickel aktuell einen griechischen Staatsschuldenschnitt befürwortet, während Prof. Flassbeck durchaus den „Zusammenbruch“ des europäischen Währungsverbunds sieht, wenn jetzt nicht gehandelt wird. Der Ratschlag von Prof. Hickel würde dem griechischen Staat zwar eine Alt-Schuldenreduzierung bringen, aber das Land hätte zukünftig seine Bonität verloren. Prof. Hickel darf bei seinen Überlegungen nicht vergessen, dass Griechenland in den nächsten Jahren weitere (frische) Kredite benötigt. Jeder nichtstaatliche Teilnehmer am Kapitalmarkt würde um den unsicheren Kantonisten auf mittlere Sicht einen großen Bogen machen, bis auf die Zockerbande, die nur Junkbond-Zinssätze akzeptieren (und Swap-Geschäfte machen) würde oder bis auf den IWF und die anderen EU-Staaten, die mit fairen Zinssätzen Griechenland „retten“ könnten (so wie jetzt). Für den Euro ist es nicht gerade förderlich, wenn Griechenland mit Jamaika oder Aserbaidschan in einen Topf geworfen wird Für die übrigen Euroländer käme es aber auch knüppeldick. Wenn ein bisher als relativ sicher geltender Schuldner umknickt, dann zieht das weitere Kreise, beginnend mit portugiesischen, dann spanischen, dann italienischen Staatsanleihen (andeutungsweise ist dies schon geschehen). Die Kurse dieser Papiere würden bei einem griechischen Schuldenschnitt an der Börse zusammenkrachen, bedingt durch die eintretende (Verkaufs)Panik von Rentenfonds und Versicherern, die aufgrund ihrer (auf Sicherheit ausgerichteten) Anlagebedingungen verkaufen müssten. Auch andere Anlegergruppen würden sich um ihre Anleihen Gedanken machen und vorsichtshalber (mit Verlust aufgrund des Kursrutsches, der den Kursrutsch noch weiter anfacht) das Geld abziehen und auf zinslosem Konto parken. Weltweit würden sämtliche Staatspapiere neu bewertet werden, da in vielen Staaten ähnliche Schuldensituationen vorherrschen. Ein weltweiter Anleihecrash wäre gegeben – und auf dieses Schlachtfest warten die Finanzoligarchen, damit sie richtig absahnen können. Solange die durch Angst ausgelöste Kettenreaktion am Kapitalmarkt nicht ausgeschlossen werden kann, sollte man Prof. Hickels Vorschlag nicht umsetzen. Und nun zu Prof. Flassbecks Vorschlag. Er schreibt: “Es wäre allerdings ein politisches Armutszeugnis ersten Ranges, wenn Europa nicht ein einziges Mal – bevor es zusammenbricht – versuchen würde, …” u. a. eine erst mittelfristig wirkende gegensätzliche Lohnentwicklung von Deutschland zu den anderen Eurostaaten zu praktizieren. Leider setzt dies politischen Willen bei den (deutschen) Politikern und Wirtschaftsverbänden voraus, freiwillig auf Wettbewerbsvorteile zu verzichten. Eigentlich bietet Prof. Flassbeck seit Jahren eine Lösung an, die allerdings nicht aufgegriffen wurde. Schade eigentlich. Der Euro wird aber überleben, denn das Problem ist kein Währungs-, sondern ein Staatshaushaltsproblem, das aus spekulativen Gründen geschickt zum Problem des Euro gemacht wurde. Die Notenbanken werden bei Bedarf den Euro stützen, so wie sie auch den Dollar oder Yen stützen würden. Prof. Hickels Lösung ist erst dann taktisch einsetzbar, wenn alle Staatshaushalte gewollt und gleichzeitig einen Schuldenschnitt vornehmen würden. Allerdings würde ein solcher Schritt die Weltwirtschaft lähmen, da der – sich bisher direkt oder indirekt in Staatspapieren dämlich dumm sparende – Mittelstand als Wachstumsmotor ausfallen würde. Möglich wäre aber auch, dass die Notenbanken dieser Erde sukzessive sämtliche Staatsschulden einsammeln. Die amerikanische und japanische Notenbank sammeln schon fleißig und die EZB fängt diesen Monat damit an. Der Vorteil besteht darin, dass die Abschreibung der Schulden bei den Notenbanken keine bilanzielle Auswirkung hätte, falls ein Staatsschuldenschnitt gemacht werden sollte. Zuvor erhielten sie aber Zinsen von den Staaten, die die Notenbanken an die Staaten als Gewinn wieder ausschütten könnten. Eine verflixt gute Variante im Kapitalismus. Mal schauen, wo das noch hinführt. Mit freundlichen Grüßen E. H.
Albrecht Müller
Heiner Flassbeck hat einen neuen Text geschickt. Siehe unten A. Gleichzeitig erreichte uns die interessante Mail eines NDS-Lesers (B.). Beides zu Ihrer Information. Albrecht Müller A. Von Tätern und Opfern Von Heiner Flassbeck Sao Paolo, 25.5.2010 Meine Vorstellungen zur umfassenden Lösung der Eurokrise will ich hier nicht noch einmal darstellen. Das habe ich zur Genüge getan. Ich wi ...
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26. Mai 2010 16:27
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Leserbriefe zu „Auswärtiges Amt in Erklärungsnot: Welcher Völkerrechts-Artikel legitimiert die Bombardements von Gaza?“
Florian Warweg hat am 23. Oktober 2023 auf der Bundespressekonferenz (BPK) nach der Wirksamkeit des Artikels 51 der UN-Charta (Legitimierung des Selbstverteidigungsrechts eines Staates nur im Fall des Angriffs durch einen anderen Staat) in Bezug auf die israelischen Interventionen im Gazastreifen gefragt: Weder die Hamas noch der Gazastreifen gelten „im völkerrechtlichen Verständnis als staatliche Akteure“. Zudem hat die Bundesregierung auf Nachfrage der NachDenkSeiten mitgeteilt, dass sie „nach wie vor den Gazastreifen, Ostjerusalem und auch die Westbank als von Israel besetztes Gebiet“ bezeichneten. Die Antworten des Auswärtigen Amtes (AA) waren „nicht wirklich überzeugend“. Wir danken für die Leserbriefe, die Ala Goldbrunner für Sie zusammengestellt hat. 1. Leserbrief Der entscheidende, d.h. kritische Punkt in der ersten Antwort der Regierungssprecherin ist „verteidigen“ („ . . . dass Israel angesichts der brutalen Terrorangriffe das Recht hat, sich dagegen zu verteidigen.“) Verteidigung ist die Abwehr eines laufenden Angriffs. Die hat es gerade nicht gegeben. Nach dem Angriff auf Israel geht es nicht mehr darum, einen Angriff abzuwehren. Der Angriff Israels auf den Gaza-Streifen ist von Rache, Vergeltung und Vernichtung geprägt und trifft die Bevölkerung und die zivilen Strukturen. Der Begriff „Verteidigung“ ist daher auf die Reaktion nach dem Verbrechen des Überfalls der Hamas auf Israel nicht anwendbar. Die Ausschaltung der Hamas als gegen die Existenz Israels gerichtete bewaffnete Macht geht über Verteidigung hinaus. Damit das legitime Ziel Israels nicht die zivile Bevölkerung Palästinas vernichtet, ist es die UNO, die die Aufgabe übernehmen, d.h. die militärischen Strukturen im Gaza-Streifen vernichten und die für den Überfall auf Israel Verantwortlichen gefangen nehmen muss. C.D. 2. Leserbrief Liebe Redaktion der Nachdenkseiten, welchen Mehrwert erwarten Sie durch die Fragen von Herrn Warweg in der BPK ? Welche inhaltsschweren Antworten werden Ihnen die Figuren auf dem Podium geben ? Ich sitze gerade in der Küche und befrage ja auch nicht meine Wand ! Diese Polemik mußte gerade mal sein. Dient dem Frustabbau. Vielen Dank für Eure aufklärerische Arbeit ! MfG Klaus Fischer 3. Leserbrief Sehr geehrter Herr Warweg, sehr geehrtes Nachdenkseiten-Team, sehr geehrte LeserInnen, vielen Dank für Ihr beharrliches Nachfragen in der BPK. Wir Bürgerinnen und Bürger erhalten dadurch wichtige Informationen, weniger jedoch inhaltlicher Art, denn die Antworten gleichen eher gebetsmühlenartig vorgebrachten Mantren, bar allen aussagekräftigen Inhalts. Die für uns wichtige Information: Die Arroganz der Macht. Ich bin immer wieder empört über den herablassenden Gestus, mit dem „geantwortet???“ wird. Diese Menschen sind uns gegenüber auskunftspflichtig, denn in einer Demokratie sind wir Bürgerinnen und Bürger der Souverän. Und wir bezahlen diese Menschen mit unseren Steuergeldern. Doch sie behandeln uns wie lästige Störenfriede, alles nicht mehr auszuhalten. Dr. Petra Braitling 4. Leserbrief Liebe Nachdenkseitenredaktion, Muss man die Bundesregierung und andere politisch Handlende nicht strafrechtlich verfolgen? Siehe Völkerrechtsverbrechenbezogene Volksverhetzung: bundestag.de/resource/blob/934836/74495c11da75f696859849cfa81118ad/WD-7-111-22-pdf-data.pdf Ist bekannt ob es dazu schon Initiativen gibt denen man sich anschließen kann? Beste Grüsse Bagher Pirouz 5. Leserbrief Sehr geehrter Herr Warweg, ich bewundere Ihre Geduld und Ihre Gefasstheit, wenn zu Ihrer konkreten Frage solche Antworten von Frau Hoffmann als Regierungssprecherin gegeben werden. Sie hat offensichtlich keine Skrupel, auf diese skandalöse Art zu antworten, obwohl sie mit dem internen Protokoll des EU-Koordinierungsrates konfrontiert wird. Und das enthält sehr wohl berechtigte Kritik an Israel mit mehreren Verstößen gegen das Völkerrecht. Das ist übrigens auch meine Meinung. Die Videoaufnahmen von NDS über die Pressekonferenz mit Ihren bohrenden Fragen sind sehr interessant für uns als Leser. Vermitteln sie doch die triste Atmosphäre und die Überheblichkeit der Regierungsvertreter in diesem Gremium schlechthin. Frau Hoffmann verkörpert eher mit ihrem gesamten Habitus die Vorsitzende eines Tribunals zu sein – allein die erhöhte Sitzposition hat mit einer größeren Nähe zur Wahrheit und Wahrhaftigkeit nichts zu tun. Behalten Sie bitte weiterhin die Nerven, Herr Warweg – ich verfolge “Ihre Pressekonferenz” mit großer Aufmerksamkeit! Herzlichen Dank und viele Grüße an die gesamte NDS-Redaktion. Klaus Herrmann 6. Leserbrief Sehr geehrter Herr Warweg, wieder einmal herzlichen Dank für Ihren Beitrag. Es ist schon erschreckend, mit welcher Ignoranz die von Ihnen gestellten Fragen auf der BPK nicht beantwortet werden, wenn es um die Bewertung der von Israel getöteten Zivilbevölkerung geht. Das lässt sich wohl nur damit erklären, dass die Pressesprecher, sowie natürlich die Politiker die auf der BPK vertreten werden, nicht selbst betroffen sind. Das gilt natürlich auch für andere Konflikte wo sich “unsere” Regierung äußern sollte. Man hat den Eindruck, dass man nur noch von empathielosen Narzissten regiert wird. Selbstkritische Einstellungen scheint es da nicht zu geben. Wie sonst lässt sich diese Doppelmoral, Heuchelei, das Verschweigen oder Verdrehen, sowie die verschwurbelten Interprationen der Fakten und die ausweichenden Antworten erklären. Ich habe mir verschiedene Videos von Ihnen von der BPK angeschaut und habe den Eindruck, dass diese Einrichtung nur dazu dien, der Politik ein Demokratiemäntelchen überzuhängen. Kritische Nachfragen sind nicht wirklich erwünscht und werden mitunter genervt behandelt. Erhellende Erkenntnisse, wie die Widersprüche der Regierungsarbeit zu erklären sind, gibt es offensichtlich nicht für den geneigten Bürger. Es scheint, die BPK dient eher der Verschleiherung ( …weiß ich nicht…, …dazu äußere ich mich nicht…, …das ist mir nicht bekannt…, …dafür ist die Bundesregierung nicht zuständig…, usw., usw.) als der Klarstellung. Der gestrige Artikel von Willy Wimmer mit den von ihm gestellten Fragen zeigt einmal mehr auf, wie verlogen und heuchlerisch unser politisches Personal mit samt seinen “speichelleckenden” Mainstream-Medien tatsächlich ist. Dies sehen natürlich auch einige Bürger (leider nicht alle) und wenden sich von dieser Art der Politik und natürlich auch von den MSM ab. Aber leider hält das “Dauerfeuer” der Propaganda unserer MSM an und zeigt auch in manchen von mir geführten Gesprächen mit anderen Menschen leider Wirkung. Aus meiner Sicht ist das nur möglich, da sich viele mit den komplexen Themen und den vielen schrecklichen Ereignissen in dieser Welt nicht beschäftigen wollen. Es fehlt in weiten Teilen die Einsicht, wie verlogen die westliche Politik ist. Man glaubt einfach der Propaganda, die doch immer noch als ‚gut informiert‘ eingeschätzt wird. Es fehlt auch scheinbar die Vorstellung, wie es ist, wenn man bei den Bombenangriffen um sein Leben, oder das Leben der ihnen nahestehenden Angehörigen bangen muß. Insbesondere fehlt offensichtlich auch die Vorstellung, dass solche Kriegsgeschehnisse auch bei uns durch eine fahrlässige, weil unüberlegte – oder soll man lieber sagen: stümperhafte Politik – möglich sind. Ist dies wohl ein Merkmal unserer Wohlstandsgesellschaft, die sich lieber um irgendwelche Events und Partys kümmert und sich dabei von unseren Qualitätsmedien “einwickeln” lässt? Ist die Dose der Pandora erst einmal geöffnet, wird, wie auf einem Festival in Israel gesehen, die “Party” in unserer Gesellschaft nicht mehr lustig sein. Insofern ist es hilfreich, sich mit Menschen zu unterhalten, die die Schrecken eines Krieges noch selbst erlebt haben, sofern man das wirklich wissen will. Es ist in dieser Gesellschaft wie auf der Titanic: Musik und gute Laune bis das böse Erwachen kommt, aber dann ist es zu spät. Insofern sind Friedensgespräche bei aller Dramatik unerlässlich und eine Eskalation unbedingt zu vermeiden. Jedoch bei den Protagonisten, die die deutsche Regierung bietet, sehe ich nieman, der mit Besonnenheit reagiert. Reflexartig werden die amerikanischen Sichtweisen übernommen (siehe auch U.v.d.Leyen). Man kann nur hoffen, dass sich von anderer Seite jemand findet, der die Eskalation verhindern kann. Sehr geehrter Herr Warweg, machen Sie bitte weiter solange es noch geht, in der Hoffnung, dass die Menschen der westlichen Länder endlich klarer sehen. Mit freundlichen Grüßen Ralf Glahn 7. Leserbrief Vielen Dank, Herr Warweg, daß Sie sich das alles immer wieder für uns antun. Wenn ich mir die Haltung der Bundesregierung zu all den Flächenbombardements auf Wohngegenden in Gaza und die teilweise gezielte Zerstörung von Schulen, Krankenhäusern, Kirchen etc. ansehe, stelle ich mir unmittelbar die Frage, ob die Billigung und unverhohlene Unterstützung dieser eindeutig völkerrechtswidrigen Morde des israelischen Militärs, diese von UNO und Teilen der EU kotrrekt als Kriegsverbrechen auch bezeichneten militärischen Aktivitäten gegenüber einem besetzten und vergleichsweise wehrlosen Gegner nicht unter den neu geschaffenen Paragraphen fällt, mit dem man in den letzten anderthalb Jahren so fleißig diejenigen vor den Kadi gezerrt hat, die den Angriffskrieg Russland (ich nenne das mal sicherheitshalber so, wir wissen ja, was bei falscher Wortwahl in diesem Land passieren kann) in irgend einer Weise entschuldigt oder gebilligt haben. Will sagen: Wäre es nicht möglich, einen Staatsanwalt zu finden, der sich mit dem Anfangsverdacht einer Straftat (öffentliche Billigung von Kriegsverbrechen o.ä., die geeignet ist…) durch Bundesregierung, bzw. auch durch den Bundespräsidenten und co. befasst? Es ist in diesem Fall ja eigentlich eindeutig so, dass dieser neu geschaffene Straftatbestand erfüllt ist, dann sollten die Herrschaften und Verteidiger von Kriegsverbrechen doch auch ein wenig ihrer eigenen Medizin zu schlucken bekommen. Ja, ja, naiv, naiv, “the masters tool will never dismantle the masters house”. Ich weiß. Was allerdings nur erneut aufzeigt, wie weit das Ampelregime sich bereits von jeglicher Bodenhaftung und Menschlichkeit – und zwar in jeglicher Hinsicht – entfernt hat. Viele Grüße Robert Dettmering 8. Leserbrief Sehr geschätzter Florian Warweg, genau wie in Sachen “Ukraine” weiß die deutsche Bundesregierung und deren Sprechpuppen/Vollstrecker der BPK meines Erachtens (m.E.) sehr genau (siehe internes Papier), dass das Völkerrecht durch Israel gebrochen wird und Israel seinerseits deshalb selbst einen (noch größeren) terroristischen Akt an den Palästinensern verübt wie es umgekehrt der Fall ist! Wurden und werden die Kriegsverbrechen der ukrainischen Armee m.E. schlichtweg wider besseren Wissens geleugnet, muss die Bundesregierung und seine BPK-Vollstrecker im Vergleich zur Ukraine im “überschaubaren” Gaza-Streifen anders vorgehen, da die terroristischen israelischen Aktionen gegen die Zivilbevölkerung hier nicht so einfach unter den Tisch zu kehren sind, sprich diese in dem relativ kleinen Gaza zu offensichtlich für die Weltöffentlichkeit sind – gerade auch wegen der Reaktion anderer arabischer Staaten drumherum! Diesem Dilemma aus Sicht der Bundesregierung/BPK, dass die grausamen Taten der israelischen Armee nicht so einfach geleugnet werden können wie in der Ukraine, begegnet man nun indem man 1.) auf das Selbstverteidigungsrecht Israels verweist (anstatt auf die UN-Charta), 2.) darauf das sich der Bundeskanzler mit anderen führenden, westlichen Staatsoberhäuptern trifft um m.E. im Rahmen der von den USA gebastelten “Regelbasierten Weltordung” das Vorgehen Israels zu rechtfertigen und 3.) zuletzt noch indem man der israelischen Regierung bescheinigt – m.E. wieder besseren Wissens – sich an das Völkerrecht zu halten. Beide Male (Ukraine/Israel) deckt bzw. beteiligt sich die Bundesregierung – und seine BPK-Vollstrecker – damit m.E. an Kriegsverbrechen und terroristischen Aktionen! Dieses Verhalten deutscher Bundesregierungen ist widerlich und beschädigt Deutschlands Ansehen m.E. international bzw. kriminalisiert Deutschland m.E. im Sinne der UN-Charta. Die letzten deutschen Bundesregierungen (neoliberale, globalistische Politik der sogenannten “Mitte”) handeln m.E. im Auftrag/im Sinne der USA – was die verantwortlichen deutschen PolitikerInnen m.E. zu Schwerverbrechern macht! Herzliche Grüße Andreas Rommel Anmerkung zur Korrespondenz mit den NachDenkSeiten Die NachDenkSeiten freuen sich über Ihre Zuschriften, am besten in einer angemessenen Länge und mit einem eindeutigen Betreff. Es gibt die folgenden E-Mail-Adressen: Weitere Details zu diesem Thema finden Sie in unserer „Gebrauchsanleitung“.
Redaktion
Florian Warweg hat am 23. Oktober 2023 auf der Bundespressekonferenz (BPK) nach der Wirksamkeit des Artikels 51 der UN-Charta (Legitimierung des Selbstverteidigungsrechts eines Staates nur im Fall des Angriffs durch einen anderen Staat) in Bezug auf die israelischen Interventionen im Gazastreifen gefragt: Weder die Hamas noch der Gazastreifen gelten „im völkerrechtlichen Verständnis als staatl ...
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[ "Leserbriefe" ]
31. Oktober 2023 14:11
https://www.nachdenkseiten.de/?p=106053
Bescheuerte Tagesschau – offensichtlich nicht das Medium einer demokratischen Gesellschaft
Als ich gestern „Tagesschau“ aufrief, kamen drei Meldungen zur Thronbesteigung in Dänemark nacheinander. Hier zwei davon, die erste und hier die nächste. Diese Lobhudeleien sind eines zentralen Mediums einer demokratischen Gesellschaft nicht würdig. Wenn die Dänen, wie man an Fotos von der großen Zahl versammelter Jubler sieht, das anders beurteilen, dann ist ihnen nicht zu helfen. Übrigens berichtete die Tagesschau (wie auch das ZDF) genauso bescheuert über die „Aussiedlerpläne“ rechter Zirkel um die AfD. Da wird eine (üble) Mücke zum Elefanten hochstilisiert. Davon vielleicht später noch mehr. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Podcast: Play in new window | Download
Albrecht Müller
Als ich gestern „Tagesschau“ aufrief, kamen drei Meldungen zur Thronbesteigung in Dänemark nacheinander. Hier zwei davon, die erste und hier die nächste. Diese Lobhudeleien sind eines zentralen Mediums einer demokratischen Gesellschaft nicht würdig. Wenn die Dänen, wie man an Fotos von der großen Zahl versammelter Jubler sieht, das anders beurteilen, dann ist ihnen nicht zu helfen. Übrigens be ...
[ "Royals", "Tagesschau" ]
[ "Audio-Podcast", "Medienkritik" ]
15. Januar 2024 8:07
https://www.nachdenkseiten.de/?p=109486&share=email&nb=1
Das Kriegsrisiko wächst mit dem Kreis der Kalten Krieger – Balten, Polen, Grüne, Christdemokraten, unser Außenminister usw.
Beim früheren Versuch, die Konfrontation zwischen West und Ost abzubauen, hatten wir es mit Adenauer und seinen Kalten Kriegern, mit der Springer-Presse und zum Beispiel mit Gerhard Löwenthal vom ZDF-Magazin zu tun. Das war überschaubar. Heute formiert sich ein gemischter Kreis. Darunter sind osteuropäische Politiker aus den baltischen Staaten, die meinen, noch eine Rechnung mit Russland offen zu haben, nicht nur die militante Springer-Presse, sondern auch Medien wie der Spiegel und die Süddeutsche Zeitung und dann Grüne wie Rebecca Harms und sogar Sven Giegold. 60 Abgeordnete des EU-Parlaments haben zu einem Boykott der WM in Russland aufgerufen. Siehe dazu den Link Nr. 10 in den heutigen Hinweisen. Albrecht Müller. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. Podcast: Play in new window | Download Die früheren Freunde des Friedens in Europa, zeitlich ganz vorne Gustav Heinemann, der spätere Bundespräsident, der sich Anfang der Fünfzigerjahre gegen die Wiederbewaffnung und den Eintritt in die NATO wehrte und für Verständigung auch mit den Russen warb, mussten sich mit den Alliierten und der Jungen Union und Adenauer herumschlagen. Nicht mit fortschrittlichen Kreisen und Parteien. Als Student hatte ich es in Berlin bei diesem Thema mit Jürgen Wohlrabe vom Ring Christlichdemokratischer Studenten zu tun. Und als dann Willy Brandt nach 1963 die Entspannungspolitik durchzusetzen versuchte und dies auch schaffte, hatte er es mit einem harten und in der Agitation bösartigen, aber zahlenmäßig schrumpfenden Kreis von Gegnern zu tun. Der Kreis der Gegner der Verständigungspolitik war überschaubar. Heute sind die Fronten unübersichtlich und vor allem sind die Akteure so vielfältig und so wenig kontrollierbar, dass das Risiko einer Eskalation des Feindbildaufbaus diesseits und jenseits der Grenze zu Russland gewachsen ist. Und damit wächst das Risiko eines heißen Konfliktes. In den baltischen Staaten wie auch in Polen und anderen Staaten des ehemaligen Ostblocks liegt ein großes Risiko begraben. Dort gibt es immer noch Menschen, die unter der früheren Sowjetunion gelitten haben, und gerade in den baltischen Staaten leben viele Russen. Das sind Bedingungen, die es Scharfmachern leicht machen, zu zündeln. Deshalb die Einschätzung, dass das Risiko durch diese Konstellation wächst. Deshalb wäre es dringlich geboten, dass wir unsererseits unter diesen Völkern dafür werben, mit den Konflikten zwischen West und Ost Schluss zu machen, also Feindbilder abzubauen statt sie aufzubauen, sich zu versöhnen statt den Hass zu pflegen. Das wäre die Aufgabe aller Menschen und politischen Kreise und politischen Parteien, die die skizzierten guten Erfahrungen mit der Politik der Versöhnung und des Ausgleichs gemacht haben. Dazu gehören an vorderer Stelle die ehedem eher fortschrittlichen Parteien. Und genau daran hakt es. Wenn Abgeordnete der Grünen wie Rebecca Harms und Sven Giegold den Feindbildaufbau pflegen statt ihm zu begegnen, dann schrillen die Alarmglocken. Ein Leser der NachDenkSeiten, Stefan Herbst, hat seine Einschätzung in einem Leserbrief an die NachDenkSeiten formuliert. Wir geben diesen Leserbrief hier wieder:
Albrecht Müller
Beim früheren Versuch, die Konfrontation zwischen West und Ost abzubauen, hatten wir es mit Adenauer und seinen Kalten Kriegern, mit der Springer-Presse und zum Beispiel mit Gerhard Löwenthal vom ZDF-Magazin zu tun. Das war überschaubar. Heute formiert sich ein gemischter Kreis. Darunter sind osteuropäische Politiker aus den baltischen Staaten, die meinen, noch eine Rechnung mit Russland offen ...
[ "Fußball", "Giegold, Sven", "Harms, Rebecca", "Heinemann, Gustav", "Kalter Krieg", "Konfrontationspolitik", "Russland" ]
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26. April 2018 15:00
https://www.nachdenkseiten.de/?p=43687&share=email&nb=1
Leserbriefe zu „Der Begriff „Staatsräson“ sollte in unseren Beziehungen zum Staat Israel nicht mehr verwendet werden“
In diesem Beitrag hinterfragt Gerhard Fulda den Begriff „Staatsräson“. Im Grundgesetz stehe das Wort nicht. Nur wer sich mit Rechtsgeschichte befasst habe, sei um das Jahr 1500 bei Machiavelli auf den Begriff Staatsräson gestoßen. Heute würden viele Politiker die Staatsräson wie eine Monstranz vor sich hertragen. Damit werde „gern jede Israelkritik verhindert“. Man könne jedoch mit guten Gründen die Meinung vertreten, dass eine Staatsräson mit unserem Grundgesetz nicht vereinbar sei. Ihr „Basta“-Charakter verletze die Meinungsfreiheit und die Menschenwürde. Wir danken für die interessanten Leserbriefe. Hier nun eine Auswahl, die Christian Reimann für Sie zusammengestellt hat.- Ergänzung A.M.: Die Sammlung enthält sehr, sehr interessante Leserbriefe. Danke. 1. Leserbrief Sehr geehrter Herr Fulda,   in der Tat: Der Begriff “Staatsräson” taucht nicht in der Verfassung / dem Grundgesetz auf. Demnach ist der Einsatz für die Sicherheit des Staates Israel ein wichtiges politisches Ziel, aber kein Verfassungsziel. Die Verwendung des Begriffs “Staatsräson” ist also ein “klassischer” rhetorischer Trick unserer “Spitzenpolitiker”, die ihre Sicht- und Handlungsweisen ohne Diskussion durchdrücken wollen. Dabei hätte es in diesem Fall einer solchen Manipulation nicht bedurft, weil sich eine ganz überwiegende Mehrheit des deutschen Staatsvolks bzgl. des Existenzrechts Israels einig ist. Allerdings offenbart die Verwendung des Begriffs “Staatsräson” (wie zuletzt bei diversen Corona-Maßnahmen) einmal mehr eine verfassungsfeindliche Tendenz.   Mit freundlichen Grüßen Hae-Joo Chang 2. Leserbrief Hallo NDS-Team, die Meinung von Gerhard Fulda teile ich in vollem Umfang. Weder im deutschen Staats- oder Verfassungsrecht, noch an irgendeiner Stelle der Rechtssystematik ist nach meiner Kenntnis weder Israel, noch Staatsraison zu finden. Wenn überhaupt ein machiavellistischer Begriff wie “Staatsraison” verwendet werdeen soll, würde ich vorschlagen: Die deutsche “Staatsraison” findet man in den Artikeln 1 bis 20 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland. Frau Merkel mag man diese Begriffsverwendung nachsehen, als in der SBZ, “DDR”, der “Sogenannten DDR”, … sozialisierte und nach naturwissenschaftlichem Studium anschliessend Promovierte, konnte es “Kohl´s Mädchen” gar nicht wissen! Auch mit Machiavelli wird die Ex-Kanzlerin kaum zu tun gehabt haben. Gruß Burkhard Malotke 3. Leserbrief Sehr geschätzte Redaktion,   die beiden von Ihnen veröffentlichten Artikel zum Begriff der Staatsräson habe ich mit großem Interesse gelesen. In meinem Buch „Israel – eine Kolonialsiedlerstaat in der Sackgasse“ (erschienen 2009) habe ich mich bereits mit der Verwendung dieses Begriffs auseinandergesetzt. Da ich dabei einige Aspekte näher beleuchtete, als dies in den beiden von Ihnen veröffentlichten Artikeln geschehen ist, erlaube ich mir, Ihnen den nachfolgenden Auszug zu senden. Die seinerzeitigen Ausführungen haben m.E. nichts von ihrer Aktualität verloren. Mit solidarischen Grüßen Dieter Elken Auszug “Staatsräson” [PDF] 4. Leserbrief Liebe NDS Redaktion und Herr Fulda, Staatsraison im Zusammenhang mit Israel, ein besonderes Thema dass sich eigentlich kondensiert in einer einzelnen Frage: Was ist der Grund, das Motiv für den Sonderstatus von Israel? Strategisch als Brückenkopf im Nahen Osten? Geschichtlich und moralisch? Dies würde bedeuten gekoppelt an den Holocaust? Da kommt man dann in Treibsand weil andere Länder, Völker und Volksgemeinschaften die das gleiche oder ein ähnliches Schicksal erlitten haben, diesen Sonderstatus verwehrt bleibt. Wenn wir die Problematik koppeln an eine geschichtliche Verantwortung kommt man in Teufels Küche. Geschichtliche Verantwortung zu den Entgleisungen der Kolonialzeit? Zu lange her? Geschichtliche Verantwortung der USA zum Genozid an der Urbevölkerung der USA? Nicht? Zu lange her? Wo liegt dann die Zeitgrenze zwischen bedeutsam und keine Bedeutung mehr? Insofern es geschichtliche Verantwortung gibt kann man die nicht heranziehen wie und wann es einem gerade gut auskommt. Ist sie abhängig von der Zahl der Opfer? Da möchte ich dann aber mal eine art Weltstatistik sehen. Da gibt es dann auch noch eine brenzlige Frage zu klären: Wie es sich verhält mit der Verantwortung einer Bevölkerung für die Entgleisungen ihrer Regierung. Mit freundlichem Gruß Patrick Janssens 5. Leserbrief Sehr geehrte Redaktion, Begriffe wie das genannte Staatsräson tauchen immer häufiger auf. Z.B. westliche Werte, Ramstein-Format, Ministerpräsidentenkonferenz etc. etc. Sie kommen wichtig daher, geben sich einen pseudo-offiziellen Anstrich und beinhalten nichts. Es ist wie ein erfundenes “Prüfsiegel”, welches sich zu hunderten auf Produkten aller Art finden lässt. Der Unterschied ist nur, dass Erstgenannte die eigentlich dafür vorgesehenen Rechtsbegriffe und Institutionen umgehen und diejenigen, welche sie nutzen sich damit immer mehr vom Grundgesetz und anderen geltenden Rechtsnormen absetzen. Alles wohlfeil und gut klingend. Dabei zutiefst antidemokratisch, intransparent und unvorhersehbar in seinen Auswirkungen. Blöd ist halt, dass zu viele Medienvertreter solche Begriffe aufnehmen und verbreiten… Schlussendlich ist es wie im Fernsehkrimi. Die ermittelnden Kommissare brechen in Wohnungen ein, entwenden ungefragt Beweismaterial usw. und Lieschen Müller denkt, dass ist schon alles richtig so. Genau so “fühlt” sich Politik zur Zeit an. Volle Action, tolle Begriffe, rührselige Geschichten. Dabei null Realitätssinn und auch keine Wahrhaftigkeit. Dass das nicht gut ausgehen kann, weiß jeder, der nur ansatzweise sich mit dem realen Recht und dem Leben darin auskennt… bzw. jetzt wohl eher auskannte. — mit freundlichen Grüßen Georg Meier 6. Leserbrief Sehr geehrter Herr Fulda, der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt kritisierte im Jahre 2010 Merkels “Staatsraison”-Statement: Für Israels Sicherheit mitverantwortlich zu sein, sei eine “gefühlsmäßig verständliche, aber törichte Auffassung, die sehr ernsthafte Konsequenzen haben könnte”.  Zudem gibt es nicht nur eine deutsche Verantwortung gegenüber Israel, sondern auch gegenüber den Palästinensern. Denn die israelische Staatsgründung im Jahre 1948 war auch eine Folge des von Deutschland zu verantwortenden Holocausts am europäischen Judentum. Zuvor hatten die Palästinenser in Palästina ihre sichere Heimat. Was mir immer wieder bitter aufstößt, ist der Versuch deutscher Medien, die palästinensische Bevölkerung des Gaza in eine radikale Ecke zu schieben und damit zu suggerieren, selbst brutalste israelische Kriegsverbrechen gegen diese “Tiermenschen” (so der israelische Verteidigungsminister Gallant) seien doch irgendwie gerechtfertigt. Man stelle sich einmal vor, der Staat Israel sei 1948, maßgeblich getrieben durch den von Deutschland zu verantwortenden Holocaust, nicht in Palästina, sondern in Bayern gegründet worden. Deutschland würde danach — um die geografischen Relationen einigermaßen zu wahren — nur noch aus Baden-Württemberg und Hessen bestehen. Israel hätte dann im Jahre 1948 ca. 750.000 Bayern aus ihrer Heimat vertrieben, 531 bayerische Ortschaften dem Erdboden gleichgemacht, 11 Stadtteile einst bayerischer Städte komplett von Bayern entvölkert und mancherorts alle männlichen Bayern ab 14 Jahren aufwärts getötet. In den Folgejahrzehnten hätte sich Israel dann per Salamitaktik durch Vertreibungen von Baden-Württembergern und Hessen mehr und mehr Teile von Deutschland völkerrechtswidrig einverleibt, so z.B. auch das für die Deutschen mit einem besonderen nationalen und religiösen Symbolik versehene Ost-München (Ost-Jerusalem).  Man stelle sich vor, dass Israel die Deutschen (Baden-Württemberg, Hessen) mehr und mehr unterdrückt und die Baden-Württemberger (Gaza) schließlich in einem abgeriegelten “Freiluftgefängnis” einsperrt und dort permanent demütigt und schikaniert, wobei lt. UNO dieses “Freiluftgefängnis” (so auch der US-Jude und Senator Bernie Sanders, der 2021 wegen gravierender israelischer Menschenrechtsverletzungen gefordert hat, die milliardenschwere US-Unterstützung für Israel auf den Prüfstand zu stellen) seit 2020 wegen katastrophaler, von Israel zu verantwortender Lebensbedingungen, unbewohnbar ist. Israel würde zudem, so das weitere Szenario, von der NATO erlaubt, als einziger Staat Europas über Atomwaffen zu verfügen (die Israel völkerrechtlich allerdings nicht einmal besitzen dürfte). Obwohl Israel seit Jahrzehnten für gravierende Kriegs- und Völkerrechtsverbrechen an Bayern, Baden-Württembergern und Hessen verantwortlich ist und Amnesty International sowie Human Rights Watch Israel vorwerfen, gegen diese eine “Apartheidspolitik” zu betreiben, wird dieser Staat von der NATO, die sonst, wenn es ihr politisch in den Kram passt, andere Staaten sogar mit völkerrechtswidrigen Sanktionen überzieht, niemals sanktioniert. Ja, selbst die Forderung von Sanktionen gegen Israel wird vom polit-medialen Sektor bereits als “Antisemitismus” diffamiert. Wenn man dies alles bedenkt: Wie wäre es dann wohl um den Gemütszustand der Deutschen (Bayern, Baden-Württemberger und Hessen) bestellt? Im Vergleich zu den politischen Ansichten dieser Deutschen wäre die aktuelle AfD-Programmatik höchstwahrscheinlich Kindergeburtstag! Im Vergleich hierzu zeigen sich viele Palästinenser noch immer vergleichsweise “gemäßigt”. Zudem werden die seit vielen Jahren von Teilen der israelischen Bevölkerung geäußerten und nun ganz offen auch von der ultranationalistischen, mit Klerikalfaschisten durchsetzten Netanjahu-Regierung, von Likud-Parlamentsabgeordneten und Militärs geäußerten Völkermord- und “ethnische Säuberungs”-Absichten von unseren selbsternannten “Qualitätsmedien” nahezu vollständig unterschlagen. Und dies, obwohl auch jüdisch-israelische Personen und Institutionen solche Absichten beim Namen nennen und verurteilen. Würden unsere Medien ihrer Informationspflicht nachkommen, käme die hiesige Bevölkerung ja möglicherweise auf die Idee, darüber nachzudenken, was es mit den Gallantschen “Tiermenschen” so alles auf sich haben könnte… Mit freundlichen Grüßen Günter Kieren 7. Leserbrief Hallo Nachdenker,   die bisherigen Einsprüche (auch von Lesern) gegen die Verwendung des Begriffs “Staatsräson” sind eine zutreffende Kritik an Merkel als vermeintliche Patentinhaberin für die Erstverwendung bezüglich Israels. Aber die Kritiker erwecken den Eindruck, als hätten Merkel und ihre staatsräsonierenden Einflüsterer und Nachplapperer sich bloß in der Wortwahl vergriffen und als hätte nur die falsche Wortwahl falsche politische Konsequenzen. Umgekehrt wird ein Faschistenstiefel draus. Es ist offensichtlich der erklärte Wille der aktuellen Führerriege der BRD seit Merkel b.z.w. Rudolf Dreßler, Israel um jeden Preis die Stange zu halten und sogar aktiv den Krieg gegen die Palästinenser zu unterstützen, mit Waffenlieferungen, Waffenleihe (16 Drohnen, die zu “Übungszwecken” in Israel stationiert sind – siehe Deutschland geht mit der Unterstützung von Kriegsverbrechen ein rechtliches Risiko ein. Von Shir Hever) und der jahrzehntelangen Weigerung, Israel zur Umsetzung von unzähligen mißachteten UN-Beschlüssen anzuhalten. Die BRD läßt auf diese Weise zehntausende Palästinenser brutal ermorden, als unvermeidliche Folge des “Verteidigungsrechts”und spendet zynischerweise zugleich “humanitäre Hilfe”, die bestenfalls für die Bezahlung von Beerdigungen in Massengräbern verwendet werden kann. Israel wird nicht mit “Staatsräson” unterstützt, um “die Juden” zu schützen (das Gegenteil ist der Fall), sondern um die keiner Kontrolle unterliegende Atommacht Israel als Außenposten des NATO-Westens in Nahost aufrecht zu erhalten, mit der Funktion, die Energiequellen und Handelswege gegenüber Anrainerstaaten zu sichern, die mal als “Schurkenstaaten” isoliert und sanktioniert, mal als willkommene Energielieferanten ekelerregend hofiert werden, alles auch aus “Staatsräson” im Sinne feudaler Willkür, soweit es dem eigenen Staat nützt.   Wie im Artikel “Die zionistische Idee als “koloniale Idee”: Herzl und Rhodes” nur angedeutet, geht die deutsche “Staasräson” zurück bis zum Kaiser Wilhem II. Diese Zitate zur potentiellen Funktion eines zionistischen Staates in Palästina stammen vom Ende des 19. Jhdts., lange bevor Israel Juden vor dem Holocaust hätte schützen können.   In Jutta Ditfurths Buch “Der Baron, die Juden und die Nazis” (2013) heißt es zu Herzls Kontaktaufnahme mit dem antisemitischen deutschen Kaiser Wilhelm II., der von ihm als Protektor erwünscht war:   Nach der Niederlage des deutschen und osmanischen Reichs im WK I hatte Großbritannien zunächst einer zionistischen Kolonie in Palästina zugestimmt, später aber die Einwanderung stark gedrosselt, weil auch GB “eine arabische Erhebung” vermeiden mußte, um nicht sein Empire, das über den Nahen Osten bis Indien reichte, nicht zu gefährden. Dazu ausführlicher: Dan Diner, Ein Anderer Krieg (2021)   Die ständig beschworene “aus dem Holocaust resultierende historische Verantwortung” ist nur der heuchlerische Vorwand für diese Staatsräson unter gleichgesinnten Imperialisten. Es ist daran zu erinnern, daß sich bis Anfang der 2000er Jahre ehemalige Nazis in führenden Positionen der BRD befanden, sei es in “der Politik” oder besser verdeckt in Geheimdiensten, Polizei und Justizapparat. Die vielgerühmte und ekelhaft nach Eigenlob stinkende “Vergangenheitsbewältigung der Deutschen” wurde vornehmlich von überlebenden Opfern des Holocaust geleistet, gegen den Widerstand der ungestraft überlebt habenden Täter. Fritz Bauer, Ralph Giordano und viele andere waren Juden, keine schuldbewußten und auf “Wiedergutmachung” drängende Ex-Nazis. Zu nennen sind auch überlebende Kommunisten und Antifaschisten, wie Wolfgang Abendroth, Peter Weiss, Rolf Hochhuth, Bernt Engelmann, Beate Klarsfeld, sowie unbelastete “68er”, wie Jan Philipp Reemtsma, Hannes Heer, Götz Aly und andere, die für Aufklärung sorgten. Der Rest will bis heute von nichts gewußt haben und künftig nichts mehr vom “Vogelschiss der Geschichte” wissen, ähnlich wie im Fall Ukraine-Russland und Israel-Palästina, deren Konflikt-Vorgeschichten verschwiegen oder auf den Kopf gestellt werden.   Die unbedingte Unterstützung des israelischen Staatsterrors unter dem entlarvenden Etikett “Staatsräson” und mit Berufung auf den Holocaust ist die widerlichste Art, die von den Nazis vernichteten und vertriebenen Juden noch einmal zum Opfer zu machen und geschieht aus reinem Eigeninteresse des (aktuell rot-grün-gelben) deutschen Imperialismus, von dem heute keiner mehr spricht, als sei er längst Vergangenheit und ebenfalls “bewältigt” worden. Siehe auch: ossietzky.net/artikel/deutschlands-verantwortung/   Kurz zu Gaza, Oktober 2023: Von Terroristen und Geistern, die man rief Übrigens verhält es sich mit dem Begriff “Terroristen” für die Palästinenser ähnlich. Sie werden nicht bekämpft, weil man sie fälschlicherweise als Terroristen einstuft, statt als Befreiungskämpfer, denen im Kampf David gegen Goliath aus meiner Sicht alle Mittel erlaubt sind [die (selbst-)mörderische Hamas-Attacke nehme ich davon aus], sondern weil man sich von den die Nahost-Geschäfte störenden Palästinensern befreien will, bekämpft man sie als Terroristen und nimmt den Hamas-Überfall als willkommene Gelegenheit für die “Endlösung der Palästinenser-Frage”. Siehe meinen Leserbrief zu: Von Terroristen und Geistern, die man rief, 23. Oktober 2023 um 9:12 Ein Artikel von Heiner Biewer   [Anmerkungen in eckiger Klammer stammen von mir. Die Anmerkungen zu den Zitaten habe ich weggelassen, kann man in den Quellen finden]. Gruß B. Weber Anmerkung zur Korrespondenz mit den NachDenkSeiten Die NachDenkSeiten freuen sich über Ihre Zuschriften, am besten in einer angemessenen Länge und mit einem eindeutigen Betreff. Es gibt die folgenden E-Mail-Adressen: Weitere Details zu diesem Thema finden Sie in unserer „Gebrauchsanleitung“.
Redaktion
In diesem Beitrag hinterfragt Gerhard Fulda den Begriff „Staatsräson“. Im Grundgesetz stehe das Wort nicht. Nur wer sich mit Rechtsgeschichte befasst habe, sei um das Jahr 1500 bei Machiavelli auf den Begriff Staatsräson gestoßen. Heute würden viele Politiker die Staatsräson wie eine Monstranz vor sich hertragen. Damit werde „gern jede Israelkritik verhindert“. Man könne jedoch mit guten Gründ ...
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[ "Leserbriefe" ]
17. November 2023 14:23
https://www.nachdenkseiten.de/?p=106850&share=email&nb=1
Ausbildungspakt
„Deutschland geht es so gut wie nie zuvor“, lässt die Regierung verlauten. Das Land strotze nur so vor Wirtschaftskraft, Arbeits- und Ausbildungsplätzen. Auftretende Probleme hätten ihre Ursachen daher niemals „im System“, sondern stets in den Betroffenen selbst. Sie lebten einfach bereits zu lange im Überfluss und litten daher an verfehltem Anspruchsdenken, wiesen individuelle „Vermittlungshemmnisse“, „Passungsprobleme“ oder gar grundsätzliche Defizite in Bezug auf ihre „Ausbildungsreife“ sowie „Disziplin, Belastbarkeit und Leistungsbereitschaft“ auf. Eigentlich sei alles bestens im Land – zumindest, sieht man von dessen furchtbaren Einwohnerinnen und Einwohnern einmal ab. Doch stimmt das auch? Zur sozialen Lage von Jugendlichen jenseits solch würdeverletzend-euphemistischer Verteidigungsrhetorik sprach Jens Wernicke mit Helmut Weick, Mitinitiator verschiedener Bündnisse gegen Ausbildungsplatzmangel und Jugendarbeitslosigkeit sowie der Kampagne für ein Grundrecht auf Ausbildung.
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15. April 2015 9:42
https://www.nachdenkseiten.de/?tag=ausbildungspakt
Wir lieben unsere Frauen auch wegen ihrer Warmherzigkeit. Einige Politikerinnen versuchen, uns das abzugewöhnen.
Frau von der Leyen ist bekannt dafür. Jetzt springt ihr die bayerische Justizministerin bei. Zu hören und zu sehen, wie sie in einem Interview – wie in der Praxis – mit dem weggesperrten Gustl Mollath umgeht, jagt einem kalte Schauer übern Rücken. Wir hatten auf den Vorgang aufmerksam gemacht. Report Mainz hatte darüber berichtet und auch das komplette Interview mit Justizministerin Beate Merk ins Netz gestellt. Darauf will ich Sie aufmerksam machen und damit auch noch einmal auf das Schicksal des Gustl Mollath. Verzeihen Sie die Wiederholung. Aber Mollath sitzt seit fast 7 Jahren in der geschlossenen Psychiatrie Bayreuth. Und die Ministerin lässt kalt, dass dies mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Unrecht geschieht. Auch das ist Bayern. Unsympathisch und bedrohlich. P.S.: Es gibt auch das andere Bayern. Pelzig und Priol z.B. kommen aus dem bayerischen Franken. Wir hatten auf ihre letzte Sendung „Neues aus der Anstalt“ hingewiesen. Es gibt einen Wiederholungstermin auf 3sat: Montag, 26.11.2012, 20:15 Uhr. Albrecht Müller Nachtrag: Ein NachDenkSeiten-Leser kommentiert das Interview mit Ministerin Merk: AM: Viele Ausnahmen bestätigen die Regel.
Albrecht Müller
Frau von der Leyen ist bekannt dafür. Jetzt springt ihr die bayerische Justizministerin bei. Zu hören und zu sehen, wie sie in einem Interview – wie in der Praxis - mit dem weggesperrten Gustl Mollath umgeht, jagt einem kalte Schauer übern Rücken. Wir hatten auf den Vorgang aufmerksam gemacht. Report Mainz hatte darüber berichtet und auch das komplette Interview mit Justizministerin Beate Merk ...
[ "Merk, Beate", "Mollath, Gustl" ]
[ "Aufbau Gegenöffentlichkeit", "einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte", "Wertedebatte" ]
15. November 2012 16:02
https://www.nachdenkseiten.de/?p=15120
Von den Fernsehzuschauern bezahlt – Bertelsmann verbunden: Klaus-Peter Siegloch
Auf Phoenix bekommt Klaus-Peter Siegloch (ZDF) in regelmäßigen Abständen die Gelegenheit, seine “Kamingespräche” zu führen. Wenn man sich die Auswahl der Gäste (zur Übersicht der bisherigen Sendungen) anschaut (z.B. Mohn, Miegel, Sinn, Glotz, Biedenkopf, Donges, Herzog, usw.) und auch weiß, dass Siegloch Mitglied des Kuratoriums der Bertelsmann-Stiftung ist , dann hat man auch hier wieder einen Zipfel des Bertelsmann-Netzwerkes in der Hand. Auch zu den Fellows des Bertelsmann-Ablegers CAP zählen Vertreter von Medien außerhalb des Bertelsmann-Konzerns. Albrecht Müller. Diese Vernetzung schafft Rücksichtnahme. Von Siegloch, von Peter Frey, Leiter Hauptstadtstudio des ZDF, von Stephan Sattler, Ressortleiter Kultur von Focus, von Günther Nonnenmacher, Mitherausgeber FAZ, oder dem Chefredakteur der Rheinpfalz, Michael Garthe, werden Sie nicht viel Kritisches zu Bertelsmann hören.
Albrecht Müller
Auf Phoenix bekommt Klaus-Peter Siegloch (ZDF) in regelmäßigen Abständen die Gelegenheit, seine "Kamingespräche" zu führen. Wenn man sich die Auswahl der Gäste (zur Übersicht der bisherigen Sendungen) anschaut (z.B. Mohn, Miegel, Sinn, Glotz, Biedenkopf, Donges, Herzog, usw.) und auch weiß, dass Siegloch Mitglied des Kuratoriums der Bertelsmann-Stiftung ist , dann hat man auch hier wieder eine ...
[ "Bertelsmann", "Phoenix" ]
[ "Lobbyorganisationen und interessengebundene Wissenschaft", "Medienkritik" ]
12. Dezember 2006 14:26
https://www.nachdenkseiten.de/?p=1935&share=email&nb=1
Zwei Schwergewichte in der amerikanischen Politik üben beißende Kritik an der Außenpolitik des US-Präsidenten
Lawrence Wilkerson, ehemaliger Stabschef im Außenministerium unter Powell, sowie der ehemalige Sicherheitsberater Zibigniew Brzezinski bescheinigen George W. Bush eine katastrophale und selbstmörderische Ausübung seines Amtes und werfen Bush vor, zugelassen zu haben, dass eine Clique die Außenpolitik kapern konnte. Die Kritikpunkte sind allerdings nicht neu und ihre Lösungsvorschläge dürftig. Quelle: TELEPOLIS
Wolfgang Lieb
Lawrence Wilkerson, ehemaliger Stabschef im Außenministerium unter Powell, sowie der ehemalige Sicherheitsberater Zibigniew Brzezinski bescheinigen George W. Bush eine katastrophale und selbstmörderische Ausübung seines Amtes und werfen Bush vor, zugelassen zu haben, dass eine Clique die Außenpolitik kapern konnte. Die Kritikpunkte sind allerdings nicht neu und ihre Lösungsvorschläge dürftig. ...
[ "Brzezinski, Zbigniew", "Bush, George W." ]
[ "Außen- und Sicherheitspolitik", "Aufbau Gegenöffentlichkeit", "USA" ]
02. November 2005 14:22
https://www.nachdenkseiten.de/?p=924&share=email&nb=1
Doppelkopf von hr2 Kultur – Karin Röder am Tisch mit Albrecht Müller
Ein Hinweis für Interessierte: SENDETERMINE sind Fr. 21.12.18, 12:05 Uhr und Fr. 21.12.18, 23:04 Uhr (Wdh.) Näheres hier. Ab 21. Dezember um 12:59 Uhr ist der Podcast online zu finden hier.
Redaktion
Ein Hinweis für Interessierte: SENDETERMINE sind Fr. 21.12.18, 12:05 Uhr und Fr. 21.12.18, 23:04 Uhr (Wdh.) Näheres hier. Ab 21. Dezember um 12:59 Uhr ist der Podcast online zu finden hier.
[ "Hessischer Rundfunk", "Müller, Albrecht" ]
[ "Aufbau Gegenöffentlichkeit" ]
20. Dezember 2018 12:47
https://www.nachdenkseiten.de/?p=47951&share=email&nb=1