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Feindbild Islam: „Institutioneller Rassismus als gesellschaftspolitisches Fundament“ | „Diskriminierende Vorurteile“, sagt der Menschenrechtsanwalt Eberhard Schultz, „werden auch bei uns häufig durch persönlichen Kontakt und Kennenlernen gegenüber diesen Menschen fallengelassen, der institutionelle Rassismus als gesellschaftspolitisches Fundament kann aber nur überwunden werden, wenn er richtig erkannt und systematisch bekämpft wird.“ Im Interview mit den NachDenkSeiten zeigt Schultz, wie das „Feindbild Islam“ in Deutschland aufgebaut wird und erklärt, was es mit einem „institutionellen Rassismus“ auf sich hat. Schultz warnt außerdem vor der Einschränkung von Bürger- und Freiheitsrechten: „Wir sind längst auf dem Marsch in einen autoritären Hochsicherheitsstaat.“ Von Marcus Klöckner.
Herr Schultz, ist der Islam zu einem Feindbild in unserer Gesellschaft geworden? Ja, es ist an die Stelle des Feindbildes Kommunismus getreten, das die zweite Hälfte des letzten Jahrhunderts beherrscht hat. Seitdem George W. Bush den unbegrenzten »Krieg gegen den internationalen islamischen Terrorismus« in der ganzen westlichen Welt ausgerufen hat, ist das der Fall. Bei uns ist das Feindbild Islam spätestens seit Sarrazins Machwerk »Deutschland schafft sich ab« vorherrschend geworden. Wie äußert sich das? In den täglichen Horrormeldungen über islamistische Anschläge in der ganzen Welt, den zumindest maßlos aufgebauschten Verbrechen vor unserer Haustür, dem anschwellenden Gesang über die bevorstehende „Islamisierung Deutschlands“, den immer mehr ausufernden Integrationsforderungen und vor allem immer neuen staatlichen Maßnahmen, Gesetzen und Verordnungen gegen die angeblich zunehmende Kriminalität und Gefährdung durch Islamisten. Sie haben gesagt, in Deutschland gibt es einen „institutionellen Rassismus“. Was meinen Sie damit? Dazu müssen wir zunächst klären, was heute unter Rassismus zu verstehen ist. Gerne. Ich begegne immer wieder auch gerade in Verfahren vor Gericht der Ansicht, unter Rassist müsste immer noch und vor allem der Glatzkopf mit Springerstiefeln verstanden werden. Diese Neonazis gibt es sicher auch noch. Aber unter Rassismus wird in der internationalen Wissenschaft und im Völkerrecht in den einschlägigen Normen ein sehr viel weiterer Begriff verstanden. Nämlich? Die Zuschreibung von ethnischen, religiösen oder anderen äußeren Merkmalen, die abwertend verwandt werden. Deshalb ist auch die Bezeichnung einer Person als Rassist entgegen einer auch in der Justiz weitverbreiteten Ansicht keine Beleidigung, sondern zunächst eine objektive Feststellung, wie die, jemand sei Ökonomist oder gehöre einer bestimmten Schicht an. Mit dem Begriff des „institutionellen Rassismus“ übernehme ich einen Begriff, der vom Untersuchungsausschuss des britischen Parlaments in einem Mordfall an einem Migranten im letzten Jahrhundert entwickelt wurde; darin wurde ein völliges Versagen aller damit befassten Behörden aus rassistischen Gründen analysiert. Manche sagen gerne, dass Rassismus in vielen Ländern existiert. Was halten Sie dem entgegen? Zum einen unterscheide ich zwischen diskriminierenden Vorurteilen und Rassismus. Sicher sind diskriminierende Vorurteile gegen »Fremde« die als anders, minderwertig, angesehen werden – weit verbreitet. Aber gerade von Besuchern aus der Türkei und dem Nahen Osten höre ich immer wieder erstaunliche Reiseberichte auch aus ländlichen Gegenden, wie offen, respektvoll und gastfreundlich sie von wildfremden »Einheimischen« empfangen worden seien. Zum anderen müssen wir unterscheiden zwischen Diskriminierungen aufgrund von Zuschreibungen, Vorurteilen einerseits und dem Rassismus anderseits. Dieser geht einher mit Ausgrenzungen und der Entrechtung einer Minderheit, also einem hegemonialen Aspekt, der in der modernen kritischen Wissenschaft zum Begriff dazu gehört. Dazu noch eine interessante Erfahrung, die ich auch als Rechtsanwalt immer wieder gemacht habe: Diskriminierende Vorurteile werden auch bei uns häufig durch persönlichen Kontakt und Kennenlernen gegenüber diesen Menschen fallengelassen, der institutionelle Rassismus als gesellschaftspolitisches Fundament kann aber nur überwunden werden, wenn er richtig erkannt und systematisch bekämpft wird. Sonst werden Ausgegrenzte, Benachteiligte und Angehörige von Minderheiten gegeneinander ausgespielt, ja es besteht sogar die Gefahr, dass sie sich sogar für den Rassismus einspannen lassen (Wie schon Hannah Arendt für die Juden zur Zeit des Faschismus analysiert hat). Der Vorwurf institutioneller Rassismus wiegt schwer. Wie begründen Sie ihn? Mit einer kritischen Dokumentation von mehreren Dutzend Fällen aus meiner Praxis, die aber sicher nur die Spitze des Eisberges sind, mit Gesetzen, Maßnahmen, Urteilen und Berichten von Verfassungsschutz und anderen Geheimdiensten. Dazu passend Maßnahmen und Stellungnahmen von Regierung und anderen Institutionen. Würden Sie bitte ein konkretes Beispiel anführen? Nehmen wir die Debatte um das Kopftuchverbot und die Folgen als Beispiel: In Dresden wurde die hochschwangere Ägypterin Marwa El Sherbini, eine Apothekerin, die in ihrer Wohnsiedlung von einem weißen Nachbarn wegen ihres Kopftuches schwer beleidigt worden war und die diesen deshalb angezeigt hatte, vor fast zehn Jahren von diesem weißen Rassisten im Gerichtssaal des Landgerichts vor den Augen der Richter mit einem langen Küchenmesser erstochen, das er unbehelligt in den Gerichtssaal hatte mitbringen können – nicht einmal ein Gerichtsdiener war im Saal anwesend. Der Fall wurde bundesweit bekannt. Ja. Ihr Ehemann, der in Dresden an seiner Doktorarbeit arbeitete, versuchte vergeblich, sich dem Täter, der auf die Frau einstach, entgegenzustellen, wurde dabei selber schwer verletzt und musste in der Intensivstation eines Krankenhauses um sein Leben kämpfen. Wie passt der Fall nun zu einem institutionellen Rassismus? Lassen Sie mich bitte schildern, wie der Fall weiterging. Ein zufällig im Gericht anwesender Bundespolizist, der auf den Hilferuf aus dem Gerichtssaal angelaufen kam und einen Weißen mit dem blutüberströmten Dunkelhäutigen kämpfen sah, schoss mit seiner Dienstpistole einen Warnschuss ab – auf wen wohl? Auf den Mann der Frau? So war es. Verwandte wurden von der Ermordung und dem Krankenhausaufenthalt des Ehemannes ebenso wenig unterrichtet wie die ägyptische Botschaft. Erst als es in Ägypten zu öffentlichen Protesten und Demonstrationen kam, bequemte sich die Bundeskanzlerin nach zwei Wochen, öffentlich Beileid auszusprechen. Was ich aber erst später aus der Akten-Einsicht für die Familie entnehmen konnte, war genauso erschreckend: Der rassistische Täter hatte nicht nur zur Wahl der NPD aufgerufen, sondern in einem Brief an das Landgericht ausdrücklich bekräftigt, dass die Muslimin “kein Lebensrecht” habe – trotzdem wurde er vor Betreten des Gerichts weder kontrolliert noch wurden Marwa und ihr Mann von der unverhüllten Drohung unterrichtet. Auf meine Strafanzeige gegen die Richter wegen unterlassener Hilfeleistung wurde nicht einmal ein Ermittlungsverfahren eröffnet. Umgekehrt war die Dresdner Justiz weniger rücksichtsvoll: Eine Medienwissenschaftlerin, die das Vorgehen des BKA-Beamten als rassistisch bezeichnet hatte, wurde wegen Beleidigung nicht nur angeklagt, sondern vom Amtsgericht sogar verurteilt: Erst das Landgericht hat dieses skandalöse Urteil aufgrund wachsender Proteste aufgehoben. Und passend dazu hat es Dresden bis heute nicht einmal geschafft, eine Straße oder einen Platz nach Marwa El Sherbiny zu benennen, obwohl dies von zahlreichen Initiativen und Politiker gefordert worden ist. Wer nun meint, das sei für Dresden oder vielleicht die neuen Bundesländer typisch, ist auf dem Holzweg. Er wird in meinem Buch zahlreiche Fälle aus dem Westen dokumentiert finden, die den institutionellen Rassismus als gesamtdeutsches Phänomen belegen – ganz zu schweigen von der schrillen Begleitmusik eines früheren Bundesbankers, Berliner Finanzsenators und – auch das muss zu ihrer Schande gesagt werden, immer noch – SPD-Mitglieds, namens Dr. Thilo Sarrazin mit seiner millionenfach von allen führenden Medien verbreiteten angeblich wissenschaftlich belegten Behauptung, die Türken seien nur in Deutschland, um hier »Kopftuch-Mädchen zu produzieren«! In Ihrem Buch sprechen Sie von einem Krieg, der sowohl nach innen als auch nach außen geführt wird. Was meinen Sie damit? Das ist die Zuspitzung meiner These: Unter dem Vorwand, die drohende islamistische Gefahr nur so wirksam bekämpfen zu können, ist Deutschland wieder weltweit an militärischen Interventionen und Kriegen beteiligt – dazu gehört auch die Unterstützung des Drohnenkriegs mit mehreren tausend zivilen Opfern, den die USA unter anderem von deutschem Boden aus gegen angebliche islamistische Terroristen führen, ohne eine kriegerische Auseinandersetzung und ohne jedes Gerichtsverfahren. Hier spielt der US-amerikanische Präsident gleichsam die Rolle als Polizist, Staatsanwalt und Richter und Henker in einer Person -richtiger Ansicht nach, ein schweres Kriegsverbrechen…! Und im Inneren werden nicht nur Grund- und Menschenrechte eingeschränkt, teilweise abgeschafft und mit immer neuen Strafgesetzen gegen die islamistische Gefahr mobilisiert, die Polizei und die Sicherheitskräfte paramilitärisch aufgerüstet. Immer wieder wird von verantwortlichen Politikern für den vom Grundgesetz zurecht verbotenen Einsatz der Bundeswehr im Inneren getrommelt – wie zuletzt bei dem Münchner Anschlag vor ein paar Jahren, bei dem sich dann aber nicht verheimlichen ließ, dass er einen rechtsterroristischen Hintergrund hatte. Wie ist es aus Ihrer Sicht überhaupt dazu gekommen? Stichwortartig zusammengefasst: Zunächst gab es im Westen den »Gastarbeiter« aus der Türkei, der »ganz unten« die schwierigste und dreckigste Arbeit machen musste, dabei aber sehr schnell und ganz ohne Integrationsmaßnahmen mithilfe seiner Kolleginnen und Kollegen lernte, sich bei der Arbeit und im Alltag einigermaßen zurechtzufinden und an der Seite seiner deutschen Kollegen für seine Rechte zu kämpfen. Als sich dann aber herausstellte, dass er nicht „in seine Heimat« zurückkehren, sondern auch noch seine Familie nachholen wollte, begann das systematische Verbreiten von Vorurteilen, die rassistische Behandlung bei Länderbehörden bis hin zu den ersten Pogromen in Wuppertal, Rostock und anderswo, begleitet von regelmäßigen Medienkampagnen bis hin zu der Rechts-Außen-Parole »Kriminelle Ausländer raus!“ Nach der »Wende« kam dann die weitgehende Abschaffung des Asylrechts . Seit 9/11 kamen verschiedenste Maßnahmen wie zum Beispiel so genannte Rasterfahndungen, Verbote von islamischen Vereinen und Veranstaltungen, Kopftuchverbote, die Einführung immer neuer Straftatbestände bis hin zur Einführung des so genannten »Gefährders« – ein Konstrukt, das es den Sicherheitsbehörden erlaubt, ohne irgendeine konkrete Gefahr mutmaßliche Islamisten unter Beobachtung zu stellen: Damit werden sie – durch die Kündigung von Arbeitsverhältnissen, Wohnungen, Konten bei Kreditinstituten und so weiter – letztlich ihrer gesamten bürgerlichen Existenz beraubt. Ganz zu schweigen von vollkommen überzogenen Ermittlungs- und Strafverfahren, die wie ich an einigen Fällen zeige, als Realsatire Karriere machen können. Was bedeutet diese Entwicklung denn für uns als Bürger? Wenn unter dem Vorwand, den islamistischen Terrorismus bekämpfen zu wollen, immer mehr Bürger- und Freiheitsrechte eingeschränkt und abgebaut werden, ist höchste Alarmstufe angesagt. Nicht nur, weil viele Einschränkungen, die zuerst für Minderheiten eingeführt werden, auch auf andere Minderheiten und schließlich sogar auf die ganze Gesellschaft angewandt werden. Dies zeigt etwa die Entwicklung der beängstigenden Überwachungs– und Kontrollmaßnahmen, die die totale Überwachung á la George Orwells »1984« lange hinter sich gelassen haben. Wir sind längst auf dem Marsch in einen autoritären Hochsicherheitsstaat. Wie der Theoretiker des Ausnahmezustands, der Philosoph und Soziologe Giorgio Agamben, am Beispiel des jahrelangen Ausnahmezustands in Frankreich analysiert hat, sind auch westliche Demokratien wieder auf dem Weg in eine neue Form der Diktatur. Man stelle sich nur einmal vor, Kräfte wie die AfD kämen an die Macht und würden mit weiteren Heimatschutzministern und entfesselten Sicherheitskräften regieren: So wird doch klar, wie schnell die noch vorhandenen demokratischen Rechte endgültig abgebaut und jede wirksame Opposition im Keim erstickt werden könnten. Gibt es Möglichkeiten, die Situation zu überwinden? Ja, die gibt es sicher. Ich habe im Schlusskapitel des Buches einen ganzen Katalog von wichtigen Schritten und Maßnahmen auf der Grundlage der existierenden Bewegungen und Kämpfe gegen die rassistische Gefahr entwickelt. Zum einen gilt es, über die neuen Formen des Rassismus und den international anerkannten wissenschaftlichen Rassismus-Begriff aufzuklären, mit den Betroffenen, insbesondere der »jungen Elite« unter den Menschen mit Migrationsgeschichte neue Formen des gemeinsamen Protestes und Widerstands zu entwickeln und ihn mit Bündnispartnern auf allen Ebenen auch in die Parlamente und die Politik zu tragen. Daneben müssten die juristischen Möglichkeiten, vor allem auch auf internationaler Ebene, gemeinsam aktiviert und genutzt werden und schließlich müsste die zunehmende soziale Spaltung durch eine umfassende gesellschaftskritische Bewegung für soziale Gerechtigkeit in solidarischen Kämpfen überwunden werden. Ist diese soziale Spaltung doch die eigentliche Grundlage für den wachsenden Einfluss der verschiedenen Rassismus-Strömungen, insbesondere des antimuslimischen Rassismus und das Feindbild Islam. Lesetipp: Schultz, Eberhard: Feindbild Islam und institutioneller Rassismus. Menschenrechtsarbeit in Zeiten von Migration und Anti-Terrorismus. VSA Verlag. 224 Seiten. 2018. 15,80 Euro Titelbild: Jerome460 / Shutterstock | Marcus Klöckner | „Diskriminierende Vorurteile“, sagt der Menschenrechtsanwalt Eberhard Schultz, „werden auch bei uns häufig durch persönlichen Kontakt und Kennenlernen gegenüber diesen Menschen fallengelassen, der institutionelle Rassismus als gesellschaftspolitisches Fundament kann aber nur überwunden werden, wenn er richtig erkannt und systematisch bekämpft wird.“ Im Interview mit den NachDenkSeiten zeigt Sc ... | [
"Armee im Innern",
"Bürgerrechte",
"Gastarbeiter",
"Gefährder",
"Justiz",
"Krieg gegen den Terror",
"Mord",
"Neonazismus",
"Orwell 2.0",
"Rassismus",
"Sarrazin, Thilo"
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"Anti-Islamismus",
"Erosion der Demokratie",
"Fremdenfeindlichkeit, Rassismus",
"Interviews"
] | 09. April 2019 11:00 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=50798&share=email |
Alles auf tot? „Was passiert wohl, wenn die Menschen den Eindruck bekommen, dass hier ein gigantischer Betrug ablief.“ | Das Paul-Ehrlich-Institut „veröffentlicht“ insgeheim einen Datensatz zu den Nebenwirkungen der Corona-Vakzine. Die Liste umfasst nahezu eine Million Meldungen, darunter über 1.000 zu möglichen Todesfällen im Nachgang der Spritze. Ganz nebenbei liefert die Sammlung Nahrung für eine „Verschwörungstheorie“: Offenbar gab es ungefährlichere und hochgradig toxische Chargen, was die Impfung mutmaßlich zu einem Roulettespiel machte. Und obwohl sich das Muster auch in anderen Staaten zeigte, wollte es die Bundesbehörde bisher für Deutschland nicht wahrhaben. Und jetzt? Fünf Professoren haben in einem Brief nachgefragt und warten auf Antwort. Im Interview mit den NachDenkSeiten verlangen zwei der Absender, Jörg Matysik und Tobias Unruh, umfassende Aufklärung. Mit ihnen sprach Ralf Wurzbacher. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download Zu den Personen Jörg Matysik, Jahrgang 1964, ist Professor für Analytische Chemie und Molekülspektroskopie, Direktor des Instituts für Analytische Chemie der Universität Leipzig, Leiter des Aufbau-Studiums „Analytik & Spektroskopie“ und Sprecher eines Sonderforschungsbereichs der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Matysik schreibt den Blog: cidnp.net/blog. Tobias Unruh, Jahrgang 1967, ist Professor für Nanomaterialcharakterisierung am Institut für Physik der Kondensierten Materie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Gemeinsam mit drei weiteren Chemieprofessoren bemühen sich Matysik und Unruh seit bald drei Jahren, vom Herstellerunternehmen BioNTech sowie dem Paul-Ehrlich-Institut (PEI) – zuständig für die Zulassung und Überwachung der Sicherheit von Impfstoffen und biomedizinischen Arzneimitteln in Deutschland – Informationen zu Eigenschaften, zur Qualitätskontrolle und zur möglichen Toxizität des Covid-19-Impfstoffs Comirnaty (BioNTech/Pfizer) zu erhalten. Ihre drei Mitstreiter sind: Prof. Gerald Dyker (Ruhr-Universität Bochum), Prof. Andreas Schnepf (Universität Tübingen) und Prof. Martin Winkler (Zürcher Hochschule der angewandten Wissenschaften). Ralf Wurzbacher: Herr Matysik, Ende November hat das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) klammheimlich einen riesigen Datensatz zu den gemeldeten Nebenwirkungen im zeitlichen Zusammenhang mit einer sogenannten Corona-Impfung auf seiner Webseite publiziert. Die Sammlung umfasst praktisch den gesamten Zeitraum der Covid-19-Impfkampagne und ist schon deshalb von hohem öffentlichen Interesse. Wie wirkt es auf Sie, dass es keinerlei wahrnehmbare Verlautbarung seitens des PEI oder des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) zu dem Vorgang gab? Jörg Matysik: Der Datensatz war nicht sehr professionell erstellt, und nicht die Experten des PEI haben ihn suchbar gemacht, sondern ein unbekannter Datenspezialist, der auf atwebpages.com eine Suchfunktion eingerichtet hat. Damit konnte ich etwa erkennen, dass auch die beiden Chargen, die mir verimpft wurden, nicht ungefährlich waren. Jedenfalls findet sich in der Datensammlung eine Vielzahl an schweren Nebenwirkungen mit weit über 1.000 Todesfällen, die zum Teil wenige Tage nach der Impfung aufgetreten sind. Zudem ist eine starke Häufung von gemeldeten Nebenwirkungen bei einzelnen Chargennummern, soweit diese zugeordnet werden können, zu verzeichnen. Man fragt sich, warum die Impfkampagne nicht sofort unterbrochen wurde. Es wäre für das PEI eine gesetzliche Pflicht gewesen, nicht nur die rohen Daten, sondern auch eine Interpretation der Öffentlichkeit vorzulegen. Schließlich legten Daten aus zahlreichen Ländern, die dänischen Daten sind am bekanntesten, tatsächlich nahe, dass einige Chargen besonders gefährlich waren. Das wäre ein Problem für die Qualitätssicherung und -kontrolle. Ein Medikament, das nicht ordentlich hergestellt werden kann, darf schließlich nicht auf den Markt. Die Covid-Impfstoffe kamen auf den Markt, in Rekordzeit. Man erinnere sich: Als Andreas Schöfbeck, Chef der Betriebskrankenkasse Provita, im Februar 2022 auf Warnsignale hinwies, wurde er aus der Politik zum Rücktritt gezwungen. Dabei hatte er das Robert Koch-Institut (RKI) nur an dessen gesetzliche Pflicht erinnert, den Krankenkassendaten nachzugehen. Bis heute ist das nach meiner Kenntnis nicht passiert. Man vergegenwärtige sich auch die Berichte der Pathologie-Professoren Arne Burkhardt und Michael Mörz. Bei Obduktionen an geimpften Toten haben sie Dinge gesehen, vor allem Deformationen von Blutgefäßen, die in all den Jahren vor der Impfung nie beobachtet wurden. Tobias Unruh: Das Fehlen eines begleitenden Textes zu dem neuen Datensatz wirft die Frage auf, ob es bisher keine gründliche Auswertung der Daten gibt oder – falls doch – bewusst auf eine Veröffentlichung verzichtet wird. Beides wäre verwunderlich und dem Vertrauen der Bevölkerung in die Arbeit des PEI unseres Erachtens abträglich. Daher haben wir uns mit entsprechenden Nachfragen an das PEI gewandt. Die Berliner Zeitung hat dazu vor Weihnachten berichtet. Dem großen Rest der deutschen Leitmedien ist besagte PEI-Veröffentlichung dagegen durchgerutscht. Was entgeht damit den Menschen im Land, was sie eigentlich interessieren sollte? Matysik: Das ist natürlich peinlich für diese Leitmedien: Über 1.000 vermutete Todesfälle, und der Bundesgesundheitsminister ist noch im Amt und nicht vor Gericht. Immerhin hatte er lange Zeit behauptet, die Impfung sei „nebenwirkungsfrei“. In der Politik könnten sich in den USA und auch bei uns bald neue Konstellationen bieten, die Aufklärung verlangen werden. Irgendwann werden auch unsere Medien mitmachen müssen – spätestens, wenn die damaligen Strippenzieher vor Gericht erscheinen müssen. Immerhin kommt bei den deutschen Gerichten nun langsam die Information an, dass das PEI und das RKI sie kräftig verschaukelt haben: Sie garantierten für Wissenschaftlichkeit, folgten aber wider besseres Wissen einer politischen Weisung. Mit bösen „Nebenwirkungen“ … Matysik: Wir alle haben doch gesehen, wie viele mehrfach geimpfte Menschen schwere Atemwegserkrankungen bis hin zu einer Lungenentzündung erleben mussten. Wir alle nehmen doch wahr, dass Sterblichkeit und Krankenstand hoch sind. Wir alle kennen doch Menschen, die – viel zu jung – massive Herzprobleme bekamen. Fast jeder kennt doch einen Menschen, mitten im Leben, plötzlich tot. Natürlich werden alle wissen wollen, was da jetzt los war. Es ist schwer vorauszusagen, was passiert, wenn die Menschen den Eindruck bekommen, dass hier ein gigantischer Betrug ablief. Vielleicht werden sie, gerade die jungen, dann sehr kritisch, und das wäre ja gut. Wie groß fallen mithin die Abweichungen zwischen den Chargen aus? Matysik: Die dänische Arbeit hat die Chargen in drei Gruppen unterteilt, die bezüglich der Nebenwirkungen deutlich unterscheidbar sind. Aus zahlreichen anderen Ländern wurde dieses Muster bestätigt. Das PEI bestreitet aber, dass es ein solches Muster gibt, weil man nicht wisse, wie viele Impfungen mit einer bestimmten Charge durchgeführt wurden. Nun müsste das PEI sagen: Wir sind hier nicht unserer Pflicht nachgekommen, chargenabhängige Probleme zu monitoren. Stattdessen behauptet es dreist, es gebe keine Chargenabhängigkeit. Aber wie will man das wissen, wenn es doch keine Daten zur Anzahl der eingesetzten Impfungen pro Charge gibt? Das PEI könnte deshalb allenfalls sagen: Unsere gesetzliche Pflicht verletzend haben wir keine Möglichkeit, die Chargenabhängigkeit zu bestätigen oder zu verneinen. Aber das unterlässt die Behörde. Unruh: Wir sollten hier zunächst einmal klarstellen, dass wir keine Experten hinsichtlich medizinischer oder juristischer Aspekte von Impfnebenwirkungen sind. Wir sind – maßgeblich aufgrund der unserer Meinung nach völlig überzogenen und unangemessenen Corona-Maßnahmenpolitik von Bundes- und Landesregierungen sowie staatlichen Behörden – besorgte Bürger, aber auch aufmerksame Beobachter des weiteren staatlichen Vorgehens in dieser Sache. Dazu gehört unter anderem der Umgang des PEI mit Impfnebenwirkungen. In seiner Stellungnahme zu den erwähnten dänischen Daten mit dem Titel „Keine chargenbezogene Häufung von Verdachtsfallmeldungen zu Impfnebenwirkungen nach Covid-19-Impfungen mit Comirnaty“ bezieht sich das PEI lediglich auf Daten, die es anhand der SaveVac-2.0-Beobachtungsstudie erhalten hatte. In dieser Studie wurden zunächst 1.179.877 Impfungen, sowohl Erst- als auch Zweitimpfungen, von 734.394 Personen registriert. Zu diesen Impfungen gab es unglaublich viele, nämlich 5.074.069 gemeldete unerwünschte Ereignisse. Dann wurde die Anzahl der per SafeVac-2.0-App gemeldeten unerwünschten Ereignisse nach Impfung gegen die Anzahl der an SafeVac-2.0-Studienteilnehmer verabreichten Impfdosen der jeweiligen Comirnaty-Chargen aufgetragen. Aus dieser Analyse ergibt sich in der Tat keine chargenabhängige Häufung von gemeldeten Nebenwirkungen. Allerdings kann anhand der pro Impfung extrem hohen Anzahl gemeldeter Nebenwirkungen – 4,3 Meldungen pro Impfung – vermutet werden, dass fast ausschließlich Personen mit Nebenwirkungen an der Studie teilgenommen haben. Wenn diese Annahme richtig ist, dann ist die vom PEI suggerierte Folgerung, dass es keine chargenbezogene Häufung von Verdachtsfallmeldungen zu Impfnebenwirkungen nach Covid-19-Impfungen mit Comirnaty gibt, nicht stichhaltig. Denn die vorliegenden Daten beinhalten dann keine verwertbaren Informationen zu chargenabhängigen Häufungen von Verdachtsfallmeldungen. Bei den neuen Daten vom 28. November 2024 fehlt die Angabe, wie viele Impfungen pro Charge im fraglichen Zeitraum und Beobachtungsbereich – war es ganz Deutschland? – durchgeführt wurden, vollständig, was eine Aussage über eine spezifische Häufung gemeldeter Nebenwirkungen für bestimmte Chargen nicht gestattet. Der Düsseldorfer Anwalt Tobias Ulbrich, der Opfer von Impfschäden vor Gericht vertritt, hatte schon vor längerer Zeit eine Top-10-Liste der schadensträchtigsten Chargen ermittelt. Diese deckt sich nahezu eins und eins mit den Daten, die nun das PEI offengelegt hat. Dabei reichen die Häufigkeiten von Nebenwirkungen von einem einzigen Fall bis zu über 10.000 Fällen pro Charge. Ist also das, was gestern noch als „Verschwörungstheorie“ galt, heute praktisch amtlich? Matysik: Das ist in der Tat sehr bemerkenswert. Herr Ulbrich, den ich persönlich kennenlernen durfte, hat die Daten von zahlreichen Mandanten gesammelt. Nun zeigt sich, dass die Liste seiner Chargenabhängigkeit sehr gut mit der PEI-Liste zusammenpasst. Das PEI könnte nun antworten: Vielleicht sind diese Chargen am meisten verimpft worden, leider kamen wir unserer gesetzlichen Pflicht nicht nach und können das nicht belegen. Das allein ist schon skandalös. Die Übereinstimmung der PEI-Daten mit den Daten des Rechtsanwalts ist auf alle Fälle sehr verdächtig. Man darf also gerne vermuten, dass hier ein Problem vorliegt, eben weil die Qualitätskontrolle des PEI versagt hat. Im Klartext: Manche Chargen könnten gefährlicher beziehungsweise tödlicher als andere gewesen sein, was sich auch mit Befunden aus anderen Staaten – etwa Dänemark, den Niederlanden, Spanien und Tschechien – deckt. Herr Unruh, wollte man beim PEI die Gefahren nicht sehen? Unruh: Es bleibt abzuwarten, ob die fehlenden Daten zur chargenabhängigen Häufigkeit der Impfungen noch ermittelt werden können. Erst dann kann geklärt werden, ob die besondere Häufung von Nebenwirkungsmeldungen für bestimmte Chargen lediglich auf die hohe Zahl der Impfungen mit diesen Chargen zurückgeführt werden kann. Man weiß also bisher nicht mit Bestimmtheit, ob es gefährliche oder weniger gefährliche Chargen gab. Es wäre auch wichtig zu klären, was in diesem Zusammenhang als gefährlich oder gar tödlich angesehen wird. Aber zunächst geht es uns noch nicht um Schuldzuweisungen, sondern darum, eine Öffentlichkeit für offensichtlich ungeklärte Fragen bezüglich der Folgen der staatlichen Corona-Maßnahmen und Nötigung zur Corona-Impfung zu schaffen und mit dem PEI über eine transparente Eruierung der Faktenlage ins Gespräch zu kommen. Persönlich halte ich die mehr als zurückhaltende Informationspolitik des PEI hinsichtlich unserer zahlreichen Anfragen der letzten Jahre für äußerst unbefriedigend. Und das führt mittlerweile sicher nicht nur bei uns zu einem Misstrauen gegenüber der sachlichen Objektivität und dem Willen des PEI, die Unbedenklichkeit von Maßnahmen und Impfungen bezüglich der Gesundheit der Bevölkerung kritisch zu prüfen und die Ergebnisse transparent öffentlich darzulegen. So wie dies zumindest ansatzweise an anderen Staaten längst passiert. Warum nicht auch in Deutschland? Matysik: Es gibt, wie schon gesagt, aus zahlreichen Ländern Hinweise auf Qualitätsunterschiede bei den Chargen. Wir wissen auch, dass die Kontrolle beim PEI ausgesprochen lax war. Man hat sich die Proben nicht beim Hersteller selbst besorgt, sondern einfach zusenden lassen. Man stelle sich vor, die Lebensmittelämter ließen sich per Pizzataxi die Proben zusenden und gingen nicht selbst in die Küchen. Der Oberchargenprüfer beim PEI, Herr Dr. W., berichtete vor dem Bundesverwaltungsgericht, dass sie nur vier Tests machen würden. Erstens: Man prüft mit dem bloßen Auge die Substanz vor weißem und schwarzem Hintergrund. Dieses Experiment führt aber bei Proben, die Nanopartikel enthalten, die das Licht stark streuen, zu Farberscheinungen. Nun hätte der Impfstoff „bei Verfärbung“ verworfen werden sollen. Dieses offensichtliche Problem war die erste Ungereimtheit, die uns Professoren stutzig machte. Hierzu bekamen wir weder vom Hersteller noch vom PEI eine vernünftige Antwort. Zweitens: Man prüft den pH-Wert, aber die Toleranz ist riesig. Drittens: Man testet, ob die gewünschte mRNA vorhanden ist, ohne zu untersuchen, was noch in der Probe ist. Moderne Next-Generation-Methoden gäbe es zwar am PEI, die seien aber „zu empfindlich“, wie Dr. W. sich ausdrückte. Schließlich wird dann noch die Größe der RNA-Moleküle geprüft: 50 Prozent können eine andere Länge haben. Man tut so, als wären die inaktiv. Fazit: Da ist analytisch noch sehr viel Luft nach oben. Deshalb wollten wir Prüfprotokolle des PEI einsehen. Leider wurde dieser Wunsch per Bescheid abgelehnt. Nun muss das Verwaltungsgericht Darmstadt entscheiden. Ein Termin steht noch nicht fest. Sie beide drücken sich bei der Beurteilung dessen, ob und wie das PEI bei der Zulassung und Überwachung der Sicherheit der Corona-Impfstoffe seinen gesetzlichen Pflichten nachgekommen ist, immer noch betont diplomatisch aus. Hat die Behörde nicht schlicht gepfuscht, getäuscht, gelogen, vertuscht? Unruh: Aus meiner Sicht ist das Problem, dass die Datenlage, soweit sie mir bekannt ist, keine eindeutigen Schlüsse darauf zulässt, ob die Gefahr, die von den Impfungen ausgeht, größer oder kleiner ist als zum Beispiel jene, die sich durch eine Corona- oder eine Influenza-Infektion ergibt. Aufgabe des PEI wäre es aus meiner Sicht, darauf hinzuwirken, dass es eine solide Datenlage mit geeigneter Auswertung gibt, diese der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt wird und auf dieser Grundlage über Zulassung beziehungsweise Nichtzulassung der Arzneimittel entschieden wird. Matysik: Jedenfalls muss man sich fragen, warum das PEI nicht die Prüfprotokolle herausgibt. Ein Mangel an Transparenz macht natürlich misstrauisch. Der PEI-Datensatz schlüsselt allein 1.113 Meldungen zu Todesfällen im Nachgang einer Impfung auf. Trotzdem blieb die Sirene stumm. Wäre das allein nicht schon ein Fall für den Staatsanwalt? Unruh: Wie bereits erwähnt, ist es nicht unsere Absicht, juristische Beurteilungen abzugeben oder gar Forderungen zu stellen. Aus den uns zugänglichen Unterlagen geht nicht einmal hervor, ob auch nur einer der gemeldeten Todesfälle durch die Impfung verursacht wurde. Und genau das sollte durch das PEI endlich geändert werden. Wir brauchen zuverlässige Informationen zur Wirkung und zu den Nebenwirkungen der Impfung im Verhältnis zum tatsächlichen Risiko einer Corona-Infektion. Ohne diese Information kann man die Sinnhaftigkeit einer Corona-Impfung ebenso wenig wie die einer Zulassung eines Impfstoffs oder die einer Impfempfehlung bewerten. Matysik: Man darf vermuten, dass es im PEI, wie auch beim RKI, seriöse interne Diskussionen gegeben hat. Ohne Frage ist dort ja auch sehr viel Expertise vorhanden. Vermutlich wurde auch hier, wie beim RKI, die wissenschaftliche Sicht durch politische Einflussnahme beschädigt. Verbeamtete PEI-Mitarbeiter haben allerdings eine Remonstrationspflicht. Sie können sich nicht einfach auf eine Weisung berufen. Es gibt eine gesetzliche Pflicht, die über diesen Weisungen steht. Bei über 1.000 Toten hätte natürlich eingeschritten werden müssen. Ich vermute, dass es hier ein juristisches Nachspiel geben wird. Sie haben sich Mitte Dezember 2024 in einem Brief mit acht Fragen an das PEI gewandt. Rechnen Sie nach allen Erfahrungen, die Sie im Umgang mit der Bundesbehörde und dem Mainzer Impfstoffhersteller BioNTech gemacht haben, überhaupt mit einer Antwort? Unruh: Natürlich rechnen wir mit einer Antwort, denn wenn das PEI nicht antwortet, tut es seiner in der Öffentlichkeit wahrgenommenen Glaubwürdigkeit keinen Gefallen. Richtig ist aber auch, dass die von uns erreichte Öffentlichkeit noch sehr begrenzt ist. Wir freuen uns daher über die Möglichkeit, Artikel in der Berliner Zeitung und anderen Medien sowie auch dieses Interview auf den NachDenkSeiten veröffentlichen zu können. Und es sind schließlich nicht nur wir, die die Regierungen und Behörden auffordern, die Folgen aller Corona-Maßnahmen in voller Breite aufzuarbeiten. Wichtig ist es aus unserer Sicht, nicht locker zu lassen, bis wir nicht nur die Antworten auf unsere Fragen bekommen, sondern auch ein angemesseneres und transparenteres Vorgehen von Regierung und Behörden bewirken. Herr Matysik, Sie standen den NachDenkSeiten zuletzt im März Rede und Antwort. Seit bald drei Jahren versuchen Sie, vom PEI und BioNTech Informationen zu Eigenschaften, zur Qualitätskontrolle und zur möglichen Toxizität des Covid-19-Impfstoffs Comirnaty zu erhalten. Haben Sie in der Zwischenzeit Fortschritte gemacht? Matysik: Es gibt ja eine Reihe von Menschen – das sind Betroffene, Journalisten, Juristen und Wissenschaftler –, die versuchen, Stück für Stück die Wahrheit ans Licht zu bringen. Man denke an die Veröffentlichung der RKI-Protokolle. Die haben ja sehr deutlich gezeigt, dass das RKI hinreichend fachliche Expertise hatte, man sich aber den Wünschen der Politik unterwarf. Die Behörde ist zwar weisungsgebunden, aber der gesetzliche Auftrag, in diesem Falle die Arzneimittelsicherheit, steht sicherlich über einer ministeriellen Weisung. Und natürlich darf ein Minister nichts Gesetzeswidriges anweisen. Man muss für solche Aufklärung schon Geduld mitbringen. Die Verantwortlichen und die Mitläufer sind ja nicht wenige und nicht ohne Einfluss. Ich bin aber optimistisch, dass wir hier Aufklärung bekommen werden, und vermute, dass dann, nach Aufdeckung des Betrugs, eine junge und sehr kritische Generation aufwächst. Um eine öffentliche Diskussion anzustoßen, haben wir fünf Professoren am 5. Dezember einen Brief an zahlreiche deutsche Institutionen gesendet, die in der Corona-Krise eine Rolle spielten. Wir bitten darin um Stellungnahme zum Missbrauch der Wissenschaft, in deren Namen eine Politik durchgesetzt wurde, die die Experten im RKI überging. Unruh: Wir sollten als Wissenschaftler aber auch unserer eigenen Verantwortung gerecht werden. Wir haben umfassende Möglichkeiten, die Eigenschaften der Impfstoffe zu charakterisieren. So hat etwa meine Forschungsgruppe die Struktur der Lipid-Nanopartikel (LNPs) im Comirnaty-Präparat eingehend untersucht und die Ergebnisse im Fachjournal ACS Nano publiziert. Meine Universität, die lokale Presse und die Berliner Zeitung berichteten darüber. Wir fanden erhebliche Unterschiede zu den Vorstellungen von BioNTech. Zum Beispiel sind die LNPs flüssig und nicht fest, wie wohl von BioNTech angenommen wurde. Es wäre wichtig, dass viele unterschiedliche Disziplinen Toxizität, Karzinogenität, mRNA-Gehalt und -Integrität, Bioverfügbarkeit, Aktivität der mRNA im Körper und vieles mehr an den auf dem Markt befindlichen Impfstoffen untersuchen. Die Expertise ist an den deutschen Universitäten und anderen Forschungszentren vorhanden und wir haben gezeigt, dass wir mit solchen Untersuchungen nicht nur unserem öffentlichen Auftrag, zum Wohl der Gesellschaft beizutragen, gerecht werden, sondern auch spannende Forschung machen und grundlegend neue Erkenntnisse gewinnen können. Abschließende Frage an Sie beide. Rechtsanwalt Ulbrich sprach in einem Post auf X von einem „kompletten Versagen der Arzneimittelaufsicht“ in Deutschland. „Versagen“ klingt für die Verantwortlichen irgendwie entlastend. Es ging sehr offensichtlich darum, ein unausgereiftes Produkt auf Gedeih und Verderb der ganzen Bevölkerung aufzuzwingen. Trifft es das Wort Komplott da nicht eigentlich besser? Unruh: Das Vorgehen von Regierungen und Behörden hinsichtlich der Bewertung der Wirksamkeit und der Sicherheit der Corona-Impfstoffe sowie bezüglich der Gefahren, die von einer Corona-Infektion ausgehen, erscheint uns häufig vorschnell und wenig evidenzbasiert gewesen zu sein. Im Gegensatz dazu steht der enorme Druck, der – zur Erhöhung der Impfbereitschaft – auf die gesamte Bevölkerung ausgeübt wurde, sowie der De-facto-Zwang für bestimmte Berufsgruppen. Es ist also nicht nur die Frage, ob die Arzneimittelaufsicht versagt hat, sondern insbesondere auch, inwiefern die Politik versagt hat. Matysik: Das Versagen betrifft jedenfalls nicht nur die deutschen Behörden. Es war, auch wenn bezogen auf Corminaty deutsche Behörden eine besondere Verantwortung tragen, ein internationales Versagen. Daher ist die Aufklärung ebenfalls international. So hat sich gezeigt, dass die Kaufverträge der nationalen Regierungen mit Pfizer stets sehr ähnlich waren. Im Pfizer-Vertrag mit Kanada hieß es etwa: Dieser letzte Satz macht vielleicht verständlich, warum man beim PEI die Analytik so minimalistisch betrieb. Es ist schon sehr viel damit gewonnen, wenn Dokumente veröffentlicht werden, ganz egal, in welchem Land das passiert. Und wir erleben gerade, dass genau das passiert. Man darf hoffen, dass im nun begonnenen Jahr Parlamente, etwa in den USA oder in Sachsen und Thüringen, Licht ins Dunkel bringen werden. Titelbild: StudioFI/shutterstock.com | Ralf Wurzbacher | Das Paul-Ehrlich-Institut „veröffentlicht“ insgeheim einen Datensatz zu den Nebenwirkungen der Corona-Vakzine. Die Liste umfasst nahezu eine Million Meldungen, darunter über 1.000 zu möglichen Todesfällen im Nachgang der Spritze. Ganz nebenbei liefert die Sammlung Nahrung für eine „Verschwörungstheorie“: Offenbar gab es ungefährlichere und hochgradig toxische Chargen, was die Impfung mutmaßlic ... | [
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Konstruktionsfehler des Grundeinkommens | In den letzten zwei Wochen erreichten uns zahlreiche Leserzuschriften zu unserer Buchempfehlung „Irrweg Grundeinkommen“ von Heiner Flassbeck, Friederike Spiecker, Volker Meinhardt und Dieter Vesper. Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) scheint auch bei einigen unserer Leser durchaus Gefallen zu finden. Auf den ersten Blick ist das wenig überraschend, klingen die Versprechungen des BGE doch verführerisch. Wie so oft hält die Verführung jedoch auch beim BGE nicht das, was sie verspricht. Von Jens Berger.
In der Diskussion über das BGE wird sich zwischen Befürwortern und Gegner lebhaft darüber gestritten, ob die Menschen nach der Einführung des BGE überhaupt noch die Motivation haben, arbeiten zu gehen und damit die Verteilungsmasse zu erwirtschaften, aus der das BGE finanziert wird. Doch bereits dieser Streit ist ein Beispiel dafür, dass die Diskussion einem entscheidenden Denkfehler aufsitzt. Ohne dies explizit zu sagen, setzt man bei der Diskussion immer den Nettolohn (bzw. die erhaltenen Netto-Transferleistungen) mit der Höhe des BGE gleich. Dieser Denkfehler verbaut jedoch eine tiefgreifendere Sicht auf die Konstruktionsfehler des BGE. Finanzierungbedarf von fast einer Billion Euro Eine der zentralen Fragen des BGE ist die Finanzierung der Transferleistungen. Bei einem BGE in Höhe von 1.000 Euro pro Kopf und Monat für 81 Millionen Menschen müssten immerhin rund 972 Mrd. Euro umverteilt werden. Befürworter des BGE argumentieren an dieser Stelle gerne, dass der Staat ja heute bereits mehr als 750 Mrd. Euro für Sozialtransfers bezahlt, das Defizit also „lediglich“ bei rund 220 Mrd. Euro läge. Dies ist jedoch Augenwischerei, da lediglich 35% dieser Transfers aus dem Staatshaushalt gezahlt werden [PDF – 1.8 MB], während der Rest über die Sozialbeiträge (z.B. Renten- und Arbeitslosenversicherung) erhoben wird. Selbst bei großzügiger Berechnung würde der Staat demnach „nur“ 35% der gesamten Sozialtransfers und somit 260 Mrd. Euro einsparen, wenn sämtliche Sozialtransfers wegfielen. Bei einem BGE-Transfervolumen von 972 Mrd. Euro bestünde somit ein Finanzierungsdefizit von rund 712 Mrd. Euro. Im letzten Jahr lagen die gesamten Steuereinnahmen des Staates bei 573 Mrd. Euro. Woher soll der Staat die zusätzlichen Mittel nehmen? „Die da oben“ können das BGE alleine auch nicht schultern Vor allem bei BGE-Befürwortern aus dem linken Lager ist die Vorstellung weit verbreitet, dass das BGE von „denen da oben“ finanziert werden könnte. Doch so einfach ist das nicht. Laut Einkommensteuerstatistik gibt es in Deutschland 1,27 Mio. Haushalte mit Brutto-Einkünften von mehr als 100.000 Euro pro Jahr. Zusammengenommen erzielten diese Haushalte Einkünfte in Höhe von 270 Mrd. Euro. Selbst wenn man diesen Haushalten jeden Euro, der über ein Haushaltsnettoeinkommen von 70.000 Euro hinausgeht, mit 100% besteuern würde, käme man lediglich auf 181 Mrd. Euro Steuereinnahmen – 127 Mrd. Euro mehr als heute. Wenn man nicht ganz so radikal vorgeht und durch Steuererhöhungen die Einkommensteuerbelastung dieser Besserverdiener verdoppeln würde, käme man auf Zusatzeinnahmen in Höhe von 54 Mrd. Euro. Rechnet man die BGE-Effekte bei der Einkommensbesteuerung hinzu[*], kommt man auf rund 63 Mrd. Euro. Eine stärkere Besteuerung von Vermögen würden zusätzlich je nach Schätzung zwischen 10 und 25 Mrd. Euro in die Kassen spülen. Das BGE-Finanzierungsdefizit von 712 Mrd. Euro würde selbst nach einer Verdoppelung der Einkommensteuer für Spitzeneinkommen und einer höheren Vermögensbesteuerung lediglich auf 624 Mrd. Euro schrumpfen. Selbst wenn man zusätzlich die Einnahmen aus der Körperschaftssteuer und der Zinsabschlagsteuer verdoppeln könnte, würde das Defizit immer noch stolze 600 Mrd. Euro betragen. Die Idee, man könnte ein BGE ausschließlich „von denen da oben“ finanzieren lassen, ist nicht haltbar. Durch die genannten Maßnahmen ließe sich noch nicht einmal ein Drittel des BGE finanzieren. Man muss die reale Kaufkraft im Auge behalten Ohne eine starke Erhöhung der Verbrauchssteuern ist das BGE – gleich in welcher Höhe – nicht finanzierbar. In Summe nahm der Staat im letzten Jahr rund 240 Mrd. Euro durch die Besteuerung von Konsum und Verbrauch ein – darunter fallen beispielsweise die Umsatz/-Mehrwertsteuer, die Mineralölsteuer, die Stromsteuer und die Tabaksteuer. Um das Defizit von 600 Mrd. Euro zu decken, müsste man die Einnahmen aus diesen Steuern demnach um 250% erhöhen. Geht man dabei nach der Rasenmähermethode vor, steigt der Mehrwertsteuersatz auf 66,5%, eine Schachtel Zigaretten würde mehr als 14 Euro kosten und der Liter Super-Benzin würde die 4-Euro-Marke streifen. Dafür hätte jeder Bürger dann ja schließlich auch 1.000 Euro mehr in der Tasche, so die Befürworter des BGE. Dass diese 1.000 Euro von der steuerbedingten Preissteigerungen voll aufgezehrt würden, darüber spricht man seitens der Befürworter eher ungerne. Wenn man die genannten Erhöhungen der Verbrauchssteuern überträgt, entspräche dies einem einmaligen steuerbedingten Inflationseffekt von rund 30%[**]. Grundlage der meisten BGE-Modelle ist, dass das BGE nahezu alle staatlichen Transferleistungen ersetzt und das BGE somit auch die vorhandenen Sozialsysteme ablöst. Dabei wird von den Befürwortern gerne vergessen, dass auch die gesetzliche Krankenversicherung eines dieser Sozialsysteme ist, das bei der Einführung eines BGE fortan von den Menschen selbst finanziert werden müsste. Nimmt man einen monatlichen Beitrag von 300 Euro als solide Basis, würde sich das nominelle BGE von 1.000 Euro bereits auf nominal 700 Euro reduzieren. Rechnet man den oben genannten steuerbedingten Inflationseffekt hinzu, bleibt dem BGE-Empfänger real nur eine Kaufkraft von 490 Euro pro Monat. Davon kann man jedoch noch nicht einmal die existenzsichernden Kosten (Miete, Mietnebenkosten, Lebensmittel etc. pp.) zahlen. Die Frage, ob die Menschen sich bei staatlich garantierten und bedingungslosen Einkünften i.H.v. real 490 Euro pro Monat noch nebenbei arbeiten müssten, stellt sich überhaupt nicht. Selbstverständlich müssen sie nicht nur nebenbei, sondern meist in Vollzeit, arbeiten, um ihre Lebenshaltungskosten finanzieren zu können. Die Hartz-IV- bzw. Sozialhilfeproblematik wäre mit dem BGE gleichfalls nicht gelöst, da Bedürftige weiterhin zusätzlich Geld vom Staat bekommen müssten, um Gesamteinkünfte zu haben, die dem menschenwürdigen Existenzminimum (bei realen Preisen) entsprechen. Etwas anders sieht das Bild für Menschen aus, die auch heute schon in Vollzeit arbeiten. Wer beispielsweise heute 2.600 Euro brutto im Monat verdient, hätte mit einem BGE i.H.V. 1.000 Euro netto künftig 2.900 Euro netto in der Tasche. Neben dem BGE würde der normale Arbeitnehmer auch noch die Kosten für die Arbeitslosenversicherung und die Rentenversicherung sparen, da diese System durch das BGE obsolet wären. Da aber kein Mensch mit einem Realeinkommen i.H.v. 490 Euro pro Monat leben kann, wäre dies ein Hauptgewinn für private Zusatzversicherungen für die Altersvorsorge. Was der Arbeitnehmer auf dem Lohnzettel spart, würde er privat weiterhin zahlen müssen. Lediglich der Arbeitgeber kommt auf diese Art und Weise um seinen Anteil an den vielzitierten Lohnnebenkosten herum. Da wundert es nicht, dass das BGE-Modell auch in FDP- und CDU-Kreisen sehr beliebt ist. (z.B. Althaus, Angela Merkel hat sogar eine „Bürgergeld-Kommission“ eingesetzt.) Aber selbst wenn man im oben genannten Fall ein Nettoverdienst von 2.900 Euro pro Monat annehmen würde, entspräche dieses Summe durch den genannten Inflationseffekt lediglich einem realen Einkommen i.H.v. 2.030 Euro pro Monat. Zieht man davon noch die obligatorische Krankenversicherung (300 Euro pro Monat) ab, verbleiben dem Arbeitnehmer real 1.730 Euro pro Monat und somit gerade einmal 60 Euro mehr als heute. Das BGE hält nicht, was es verspricht Wo zu also das BGE? Durch die Finanzierungs- und Steuereffekte sind die Menschen weiterhin gezwungen, arbeiten zu gehen, um ihre Lebenshaltungskosten zu decken, womit die Kernbedingung eines BGE nicht erfüllt ist. Dabei sind viele Gegenargumente und negativen Nebeneffekte hier noch gar nicht genannt. Wie soll man beispielsweise das mit den Steuereffekten verbundene Problem der Schwarzarbeit lösen? Wie will man verhindern, dass Bundesbürger sich ihre Güter steuergünstig im Ausland besorgen? Man muss das BGE gar nicht auf der ethischen Perspektive diskutieren. Da die Steuer- und Preiseffekte bei der Einführung des BGE derart gewaltig währen, kann das BGE, egal in welcher Form oder nominellen Höhe, nicht das halten, was es verspricht. Dadurch ist jede Diskussion über die ethischen Fragen überflüssig. Das BGE ist zweifelsohne eine nette Idee, die jedoch nicht umsetzbar ist. Umsetzbar sind jedoch zahlreiche Alternativen zum BGE, die schlussendlich den Effekt haben, den seine Befürworter dem BGE zuschreiben. Wenn man z.B. den Hartz-IV-Regelleistungssatz und die Grundsicherung maßvoll erhöhen und die Sanktionen streichen würde, könnten auch Hilfsbedürftige menschenwürdig leben. Dies wäre ein Grundeinkommen, aber eben kein bedingungsloses. | Jens Berger | In den letzten zwei Wochen erreichten uns zahlreiche Leserzuschriften zu unserer Buchempfehlung „Irrweg Grundeinkommen“ von Heiner Flassbeck, Friederike Spiecker, Volker Meinhardt und Dieter Vesper. Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) scheint auch bei einigen unserer Leser durchaus Gefallen zu finden. Auf den ersten Blick ist das wenig überraschend, klingen die Versprechungen de ... | [
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"Flassbeck, Heiner",
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"„Lohnnebenkosten“",
"Grundeinkommen"
] | 20. November 2012 9:30 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=15187 |
Die erschöpfte Gesellschaft | Fühlen Sie sich bisweilen erschöpft, überfordert und ausgelaugt? Dann liegen Sie damit im Trend, meint unser Autor Udo Brandes. Er hat sich Gedanken darüber gemacht, was die Ursache für die gesellschaftliche Erschöpfung ist. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download Das Rheingold Institut in Köln betreibt tiefenpsychologische Marktforschung und bietet seinen Kunden „unverfälschte Einblicke“ in die seelischen Zusammenhänge von Konsumenten. Mit anderen Worten: Dort wird Deutschland regelmäßig tiefenpsychologisch durchleuchtet. Schon für das Jahr 2013 diagnostizierte der Geschäftsführer und Mitbegründer des Rheingold Institutes, der Diplom-Psychologe und Psychotherapeut Stephan Grünwald, dass Deutschland eine erschöpfte Gesellschaft sei. Dementsprechend hieß sein 2013 erschienenes Buch auch „Die erschöpfte Gesellschaft“. Einige Jahre zuvor, im Jahr 2010, diagnostizierte der deutsch-koreanische Philosoph Byung-Chul Han bereits eine „Müdigkeitsgesellschaft“. Ich wage mal die These: Am Zustand der Erschöpfung unserer Gesellschaft hat sich nichts in Richtung einer Abnahme dieser Erschöpfung geändert, eher nahm die Erschöpfung noch zu. Wohl jeder wird in seinem sozialen Umfeld oder an sich selbst Zustände von Erschöpfung und Resignation beobachtet haben. Dies lässt sich auch statistisch belegen. Der Fehlzeiten-Report 2022 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK stellt fest: Und die Burnout-Erkrankten stellen aller Wahrscheinlichkeit nur die Spitze des Eisbergs dar. Viele Menschen bewegen sich am Limit ihrer Leistungsmöglichkeiten. In Krankenhäusern arbeitet ein nicht unbeträchtlicher Teil des ärztlichen und pflegerischen Personals nicht mehr in Vollzeit oder kündigt und wechselt in andere Berufe (siehe dazu den Bericht des NDR-Magazins Panorama), weil sie den Druck nicht mehr aushalten können. Und nicht ohne Grund ist die seit einigen Jahren mögliche Rente mit 63 (statt bis zum Alter von 67 durchzuarbeiten) sehr beliebt. Allein in meinem sozialen Umfeld kenne ich mehrere Menschen, die früher in Rente gegangen sind, obwohl sie dafür Abschläge in Kauf nehmen mussten. Meine langjährige Hausärztin ist mit 59 Jahren in Rente gegangen. Sie hatte es zwar nicht gesagt, aber ich vermute: Sie und ihr Mann (mit dem sie gemeinsam die Praxis betrieb) hatten die immer mehr bürokratisch verkomplizierte ärztliche Arbeit und die enorme Arbeitsbelastung einfach satt. Zusammengefasst kann man es meines Erachtens als Fakt betrachten: In unserer Gesellschaft breiten sich Erschöpfung und Niedergeschlagenheit aus. Und jetzt die 1000-Euro-Frage: Woran liegt das? Was erschöpft die Gesellschaft? Der deutsch-koreanische Philosoph Byung-Chul Han sieht die Ursache dafür unter anderem darin, dass unsere Gesellschaft sich von einer repressiven Disziplinargesellschaft zu einer modernen Leistungsgesellschaft gewandelt habe, in der die Menschen sich selbst antreiben: Die heutige Gesellschaft aber sei anders: Han sieht also einen wichtigen Grund für die „Müdigkeitsgesellschaft“, wie er seinen berühmten Essay nannte, darin, dass der Neoliberalismus unser Denken verändert hat und wir in uns selbst nach Fehlern oder Defiziten suchen. Das ist einerseits richtig. Dazu gleich weiter unten noch mehr. Aber das „mentale Problem“, dass man sich für seine Lebenskonflikte nun selbst verantwortlich macht, ist nur die eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist, dass im Zuge der Durchsetzung der neoliberalen Ideologie eben auch ganz konkrete politische Entscheidungen durchgesetzt wurden, die die Gesellschaft und das Leben darin erheblich veränderten. Was jüngere Menschen nicht mehr wissen Die meisten jüngeren Menschen werden es wahrscheinlich nicht wissen und können es sich vielleicht nicht mal mehr vorstellen, weil sie anderes gewöhnt sind: Die Telekom und die Deutsche Post/DHL waren mal ein einziges staatliches Unternehmen – ein Unternehmen, das von Beamten geführt wurde und ordentlich Gewinn machte. Zur Zeit der staatlichen Post hatte diese wesentlich mehr Mitarbeiter und einen wesentlich besseren Service (So gab es zum Beispiel viel mehr Briefkästen, die später geleert wurden – und die eingeworfenen Briefe wurden im Regelfall trotzdem am Folgetag zugestellt). Die Mitarbeiter hatten gute Arbeitsbedingungen und Löhne. Das Management bestand aus Beamten im Postministerium mit normalen Beamtengehältern. Manager mit Millionengehältern und Aktionäre, die die Gewinne einstreichen, gab es nicht. Wie sieht es heute aus? Dazu ein Beispiel aus meinem Heimatland Niedersachsen. Der NDR meldete am 29. September Folgendes: Der Breitbandausbau durch die privaten Telekommunikationsfirmen kommt seit Jahren nur schleppend voran, obwohl er von der Öffentlichen Hand bezuschusst wurde. Ich bin mir ziemlich sicher: Hätten wir noch eine staatliche, gemeinwohlorientierte Telekommunikation, hätten wir ein wesentlich besseres Netz, das auch wesentlich billiger erstellt worden wäre. Das gleiche Phänomen findet man in allen Ecken der Gesellschaft, in denen zuvor staatlich oder öffentlich erbrachte Leistungen privatisiert wurden, zum Beispiel beim Autobahnbau (siehe dazu einen Bericht der NachDenkSeiten). Ein weiteres Beispiel ist der Schulbau in Berlin (siehe dazu auf den NachDenkSeiten). Oder die marode Deutsche Bahn, die für den Börsengang „fit“ gemacht werden sollte – was dazu führte, dass mehrere Tausend Kilometer Schienenstrecke in Deutschland stillgelegt wurden und viel Geld im Ausland in angeblich profitable Verkehrsunternehmen investiert wurde. Die Folge: Zugfahren ist heutzutage sehr anstrengend, weil die Deutsche Bahn nicht annähernd so funktioniert, wie sie funktionieren müsste – und wie es durchaus möglich wäre, wenn sie gemeinwohlorientiert geführt würde. Das Gegenbeispiel ist die Schweizer Bahn, die hervorragend funktioniert und eine echte Alternative zum Auto ist. Aber in Deutschland gilt inzwischen: Um pünktlich irgendwo anzukommen, sollte man einen großen zusätzlichen Zeitkorridor einplanen. Oder, letztes Beispiel, die Krankenhäuser, die durch die neoliberale Ökonomisierung und Profitorientierung heruntergewirtschaftet wurden. Worunter alle leiden: Patienten, Pfleger und Ärzte. Nicht wenige Menschen haben deshalb heutzutage Angst davor, sich im Krankenhaus behandeln lassen zu müssen. „Reform ist, wenn alles immer schlechter wird“ Es ist immer dasselbe: Durch Privatisierungen werden gesellschaftlich notwendige Leistungen, die zuvor von der öffentlichen Hand erbracht wurden, teurer, schlechter und ineffizienter. Und kleine Cliquen (Management und Aktionäre) profitieren. Eine Karikatur aus den Neunzigerjahren in der Frankfurter Rundschau (damals war das noch eine linke Tageszeitung) brachte dies gut auf den Punkt: Man sieht ein Klassenzimmer mit Schülern und der Lehrerin. Diese hat an die Tafel eine Frage geschrieben: „Reform – Was ist das?“ Ein Schüler antwortet: „Reform ist, wenn alles immer schlechter wird.“ Dieser Satz bringt exakt neoliberale Politik auf den Punkt. Diese Art von „Reformen“ hat Folgen und verändert das alltägliche Leben. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit nenne ich hier mal einige Beispiele für Fehlentwicklungen, die durch die neoliberale Politik der letzten Jahrzehnte verursacht wurden: Diese Aufzählung erhebt wie gesagt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie soll nur eines veranschaulichen: dass der normale Alltag für viele Menschen anstrengend, überfordernd und nervenzehrend geworden ist. Und dass eine erschöpfte und frustrierte Gesellschaft nicht nur, aber zu einem erheblichen Teil durch neoliberale Politik verursacht wird. Und dass diese Ideologie parteiübergreifend betrieben wird. Wir haben sozusagen eine neoliberale Querfront von links nach rechts – einer der Gründe, warum Wähler der AfD eines Tages ein böses Erwachen erleben könnten. Warum gab es keinen Aufstand gegen die neoliberale Politik? Aber wie war das alles möglich? Warum gab es keinen Aufstand gegen die neoliberale Politik? Neben der vielfältigen politischen und medialen Propagandamaßnahmen (man denke zum Beispiel an die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“) ist Manipulation ein nicht zu unterschätzender Grund dafür, dass die neoliberale Ideologie über den Umweg des Privatlebens in den Köpfen der Menschen verankert werden konnte – mit Selbstoptimierungs-, Erfolgs- und Glücksstrategien. Dadurch fand das entpolitisierte, individualisierende Denken („Jeder ist seines Glückes Schmied“) Einzug in die Köpfe der Menschen. Dazu gehört auch die Illusion der Kontrolle, die mit Bestsellertiteln wie „Die Entscheidung liegt bei dir“ den Menschen vermittelt wird. Solche Titel suggerieren: „Wenn du dich anstrengst und wenn du die richtige Strategie anwendest, dann kann du alles erreichen und genauso leben, wie du leben willst.“ Diese Illusion ist deshalb so attraktiv, weil sie narzisstische Allmachts- und Grandiositätsphantasien beflügelt und das Selbstwertgefühl steigert – aber auch Menschen regelrecht krank machen kann, wenn sie daran glauben und erleben müssen, dass diese Strategien nicht den gewünschten Erfolg bringen (Siehe dazu das Buch „Positives Denken macht krank?! Vom Schwindel mit gefährlichen Erfolgsversprechen“ von Günter Scheich). Wer diese Erfolgs- und Selbstoptimierungsideologien verinnerlicht hat, für den sind die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse etwas Selbstverständliches, sozusagen die natürliche Form des Lebens, und kein von Menschen hergestellter Zustand. Aus dieser Perspektive denkt man nicht mehr in kritischer Weise über gesellschaftliche Zustände und Machtverhältnisse nach, sondern nur noch darüber, was man als Einzelner tun kann oder muss, um sein Glück zu schmieden. Eine der populärsten Strategien dabei ist: Achtsamkeit. Achtsamkeit – Die Spiritualität des Kapitalismus Ronald Purser, Professor für Management an der San Francisco State University und selbst ordinierter buddhistischer Lehrer, hat dazu ein aufschlussreiches Buch geschrieben („Wie Achtsamkeit die neue Spiritualität des Kapitalismus wurde“), in dem er mit dem beliebten Trend zur „Achtsamkeit“ als Mittel zum Stressabbau abrechnet. Er vertritt die These, dass Achtsamkeit zu einer banalen Form von Spiritualität im Kapitalismus verkommen sei und dem Neoliberalismus den Weg ebne. Purser beleuchtet in seinem Buch, wie Konzerne, Schulen, Regierungen und das Militär sich Achtsamkeit als Mittel für soziale Kontrolle und Ruhigstellung angeeignet haben, und hinterfragt das dazugehörige Narrativ, nach dem Stress vor allem selbstgeschaffen und eigenständig lösbar sei – und Achtsamkeit ein Allheilmittel dabei. Was also tun? Meines Erachtens ist es für eine politische und gesellschaftliche Umkehr notwendig, immer wieder die neoliberale Ideologie hinter den konkreten Politiken zu thematisieren. Ich vermute, auch die AfD würde schnell wieder an Zustimmung verlieren, wenn deren Anhänger sich bewusst würden, dass die AfD eine zutiefst neoliberale Partei ist. Zweitens müssten die Asozialität und das Antidemokratische an der neoliberalen Ideologie, die bei Weitem nicht nur eine Wirtschaftsideologie ist, immer wieder herausgearbeitet und sichtbar gemacht werden. Und natürlich müssen die Parteien massiv für ihre neoliberale Politik kritisiert werden. Das könnte zum Beispiel bedeuten, dass man CDU-Politiker damit konfrontiert, dass christliche Werte nicht mit einer asozialen, rein ökonomisch orientierten neoliberalen Politik vereinbar sind – und die Christdemokraten daran erinnert, was einst Jesus laut Bibel sagte: „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.“ (Markus 10,25 und in Matthäus 19,24 und Lukas 18,25). Literatur zum Thema: Titelbild: Stokkete/shutterstock.com | Udo Brandes | Fühlen Sie sich bisweilen erschöpft, überfordert und ausgelaugt? Dann liegen Sie damit im Trend, meint unser Autor Udo Brandes. Er hat sich Gedanken darüber gemacht, was die Ursache für die gesellschaftliche Erschöpfung ist.
Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Das Rheingold Institut in Köln betreibt tiefenpsychologische Marktforschung und bietet seinen Kunden „unverf ... | [
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] | 08. Oktober 2023 14:00 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=104841 |
Die Grünen: Das Image der linksalternativen Friedenspartei macht sie so gefährlich | Mit dem Wieder-Erscheinen des Magazins „Hintergrund“ legte der Verlag auch drei kleine Bücher zu aktuellen Fragen auf. Eine der Schriften befasst sich mit dem für viele Menschen in Deutschland nach wie vor überraschenden Wandel der Grünen von Ökopazifisten zu Militärfreunden. Gleich am Anfang lässt uns der Autor Matthias Rude wissen: Der Wandel vollzog sich „keineswegs plötzlich und schon gar nicht als Reaktion auf den russischen Angriff in der Ukraine“. Eine Rezension von Uwe Steinkrüger. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download Das Kompakt-Buch „DIE GRÜNEN. Von der Protestpartei zum Kriegsakteur“ ist gut recherchiert, enthält eine Menge Fundstellen und liefert auf 78 Seiten alle wesentlichen Fakten. Daneben lässt sich das Büchlein auch gut lesen. Entstanden seien die Grünen aus einer bunten Mischung von Listen zu unterschiedlichen ökologischen und alternativen Themen, die sich im Jahr 1979 für die Europawahl zu einem Listenbündnis zusammenschlossen. Das sei zwar mit 3,2 Prozent an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert, habe aber rund 4,5 Millionen D-Mark Wahlkampfkostenerstattung erhalten. „Die Kasse der noch gar nicht existenten Partei war also bereits gut gefüllt“, konstatiert Rude. „Ein bisher einmaliger Fall staatlich subventionierter Parteigründung“, zitiert er die Sachverständigenkommission zur Neuordnung der Parteifinanzen. Der Wahlerfolg von 1979 trug laut Rude maßgeblich dazu bei, dass weitere bunt-alternative Listen und „undogmatische“ Linke dem Bündnis beitraten, das bereits im Folgejahr die Parteigründung vollzog. Da waren die Konservativen um Herbert Gruhl mit dabei – ebenso wie das Sozialistische Büro Offenbach und die Frankfurter Spontis. Auch maoistisch ausgerichtete K-Gruppen durften mitmachen; sie hätten eine anti-sowjetische Haltung forciert. Die politische Ausrichtung war in der Gründungsphase „völlig offen“, wird der frühere Parteivorsitzende Ludger Vollmer zitiert. Das Motto „Nicht rechts, nicht links, sondern vorn“ (so auch der Titel eines Buches von Silke Mende zur Gründung der Grünen) sieht Rude als Gründungskonsens der Grünen. „Vorn“ war und blieb weitgehend diffus, doch von Anfang an hätten sich die Grünen als Teil der Friedensbewegung gesehen. Die Massenproteste gegen die ab 1979 von der NATO angestrebte atomare Aufrüstung Deutschlands und Westeuropas mit bis zu 500.000 Teilnehmern gaben den Grünen einen enormen Aufschwung, stellt der Autor fest. In ihrem ersten Bundesprogramm 1980 legte sich die grüne Partei auf einen klaren Anti-NATO-Kurs fest, erläutert Rude in einer längeren Passage. Gefordert wurde die Auflösung sowohl des westlichen Militärbündnisses wie auch des Warschauer Paktes. Ökologische Außenpolitik sei immer gewaltfreie Politik, hieß es, und: Humane Ziele könne man nicht mit inhumanen Mitteln erreichen. Die Anti-NATO-Haltung gipfelte 1981 in der Strafanzeige des Grünen-Vorstandes gegen die Bundesregierung, wonach die Zustimmung zur Stationierung atomarer Raketen in Deutschland die Vorbereitung eines Angriffskrieges darstelle. Damit werde auch die Auslöschung der Bundesrepublik riskiert. Die Gerichte sahen es anders. 1983 zog die so positionierte Grüne Partei mit 5,6 Prozent der Zweitstimmen erstmals in den Bundestag ein. In einem „alternativen“ Eid – so Rude – hätten die Abgeordneten versichert, die Friedensbewegung nicht zu verraten. Für die zeitweilige Bundessprecherin Petra Kelly war damit verbunden, keine Koalitionen einzugehen, denn die Grünen seien eine „fundamentale Antikriegspartei“ (1982). Rude weist aber darauf hin, dass schon im gleichen Jahr Koalitionsverhandlungen mit der SPD in Hamburg stattfanden. Der „klar antimilitaristischen“ Haltung seien die Grünen noch länger treu geblieben. Im Programm zur Bundestagswahl 1987 hieß es: Rude stellt fest: „Mit diesem Programm wurden die Grünen mit 8,3 Prozent in den Bundestag gewählt“. Es habe aber schon damals Stimmen gegeben, die die Anti-NATO-Haltung ihrer Partei kritisierten. Er nennt als Beispiel Helmut Lippelt, der 1981 die Ablehnung der NATO als „Verbalradikalismus“ bezeichnete. Rude: „Anfang der 90er Jahre sollte Lippelt dann zu den ersten Grünen gehören, die eine deutsche Militärintervention auf dem Balkan forderten.“ Schlüsselfigur beim Richtungswechsel der Grünen: Joschka Fischer Schlüsselfigur beim Richtungswechsel der Grünen auf den unterschiedlichen Feldern war der spätere Bundesaußenminister Joseph („Joschka“) Fischer. Er hat maßgeblichen Anteil daran, dass die Grünen ihre anti-militaristische Haltung, ihre ablehnende Haltung gegenüber der NATO, den Öko-Sozialismus und damit ihre kapitalismuskritischen Ideen über Bord warfen. Rude widmet ihm ein eigenes Kapitel. Fischer sei in der linken Sponti-Szene Frankfurts politisch sozialisiert worden, erzählt Matthias Rude. Zusammen mit seinem Freund Daniel Cohn-Bendit, der Redakteur bei der Sponti-Zeitschift Pflasterstrand war, habe er der Gruppe „Revolutionärer Kampf“ angehört, die zunächst versucht hatte, Opel-Arbeiter in Rüsselsheim zu politisieren. Danach sei die Gruppe in der Hausbesetzer-Szene aktiv gewesen. In der Verteidigung besetzter Häuser gegen die Polizei habe sich die „Putzgruppe“, als deren Kopf Fischer laut Rude galt, militant hervorgetan. Ein Foto vom 7. April 1973 zeige, wie Fischer und ein Mitstreiter gemeinsam auf einen Polizeibeamten einschlagen. Anlässlich einer Demonstration am 10. Mai 1976, bei der die „Putzgruppe“ Molotow-Cocktails geworfen haben soll, habe sich ein Polizist schwere Verbrennungen zugezogen. Fischer gehörte zu 14 Verhafteten, sei aber schon zwei Tage später wieder freigelassen worden. Zur Bewertung dieses Geschehens zitiert Rude eine vielsagende Bemerkung der früheren Grünen-Vorsitzenden Jutta Ditfurth: „Was immer in jenen knapp zwei Tagen Haft geschehen ist: Joseph Fischer war nach den Ereignissen im Mai 1976 nie wieder eine Bedrohung für den Staat. Ganz im Gegenteil: Er übernahm eine nützliche Aufgabe, die Integration ehemaliger Linker in den Staat und in die herrschenden Verhältnisse.“ Rude verweist auf Zweifel an der Ernsthaftigkeit der politischen Einstellung Fischers in dessen radikaler Zeit: „Ehemalige Grüne werfen Fischer vor, von Anfang an ein Karrierist gewesen zu sein.“ Er zitiert einen Spiegel-Artikel aus der Zeit, wonach der früh verheiratete Fischer „tief in der Bürgerlichkeit“ stecke – inklusive ADAC-Schutzbrief für das Auto. Die Sponti-Wählergruppe soll – so Ditfurth – die feindliche Übernahme des Frankfurter Kreisverbandes der Grünen beschlossen haben; Pflasterstrand habe das Ziel kommuniziert, man müsse „zugreifen, wenn Führungspositionen“ angeboten würden und plötzlich „lebensgeschichtliche Perspektiven möglich erscheinen“. (Ditfurth zitierte hier den Wissenschaftler Wolfgang Kraushaar.) Rude: „Knapp ein halbes Jahr nach seinem ersten Auftauchen auf einer grünen Kreisversammlung saß Fischer im März 1983 für die Grünen im Bundestag.“ „Erosion der antimilitaristischen Positionen“ nach 1990 Ab der deutschen Wiedervereinigung gab es verstärkte Bestrebungen, den linken Parteiflügel abzuspalten, berichtet Matthias Rude, wobei sich Ralf Fücks mit Lob auf den Kapitalismus besonders hervorgetan habe. Unter Führung von Joseph Fischer bekämpften die „Realos“ die Ökosozialisten („Fundis“) mit der „Erzfeindin Jutta Ditfurth“ (Spiegel), die nachfolgend aus der Partei austrat und mit ihr laut Rude ein Viertel der Mitglieder, 10.000 an der Zahl. In den Folgejahren kam es bei den Grünen zu einer „Erosion der antimilitaristischen Positionen“, stellt der Autor fest. Der grüne Länderrat habe dann 1993 sein Einverständnis für „humanitäres Eingreifen“ unter dem Dach der Vereinten Nationen gegeben. Jürgen Trittin warf den Initiatoren der Resolution seinerzeit vor, sie hätten sich zu „Türöffnern“ für „eine grundsätzliche Legitimierung von Krieg als Mittel der Politik“ gemacht, zitiert Rude den Spiegel. Die Befürchtungen Trittins haben sich – wie wir heute wissen – bewahrheitet. Ab dem 24. März 1999 bombardierte die NATO mit deutschen Tornados ohne UNO-Mandat Serbien. Als Begründung hätten Außenminister Fischer und SPD-Minister Scharping angegeben, Serbien betreibe Völkermord. Beide mussten sich von Holocaust-Überlebenden „eine neue Art der Auschwitz-Lüge“ vorwerfen lassen, berichtet Rude. „Heute ist bekannt“, schreibt er, „dass die Legitimierungen, die für die Bombardements vorgebracht wurden, aus Lügen und Manipulationen bestanden.“ Konzentrationslager seien ebenso erfunden gewesen wie ein angeblicher Plan zur Vertreibung der Kosovo-Albaner aus dem Kosovo. Und natürlich versäumt es der Autor nicht, darauf hinzuweisen, dass die NATO mit dem Kosovo-Krieg einen Präzedenzfall geschaffen habe, auf den sich Russland in Sachen Ukraine berufen könne – einschließlich des Arguments, dass es einen Völkermord zu verhindern gelte. Aus Rudes Sicht war der Kosovo-Krieg ein Dammbruch: „Danach fielen bei einigen Grünen jedwede Hemmungen.“ Habe sich die rot-grüne Regierung beim Angriff auf den Irak „angesichts der hanebüchenen Begründungen“ noch zurückgehalten, stimmten 2001 auch die Grünen im Bundestag dem Krieg gegen Afghanistan zu. Und was passierte nach dem Ende der rot-grünen Regierung mit Fischer? Laut Rude erhielt er „eine ganze Menge Berater- und Lobbyisten-Verträge“. Er sei „dick im Geschäft“, zitiert der Autor das Handelsblatt. Zur aktuellen Bedeutung der Grünen stellt er fest: Matthias Rudes Fazit: Karrieristen hätten grundlegende Positionen der Anti-Parteienpartei zunehmend hintertrieben und um „regierungsfähig zu werden“, habe die Partei „so ziemlich alles, wofür sie einmal standen, verraten und verkauft“. Sahra Wagenknecht sollte gewarnt sein. | Uwe Steinkrüger | Mit dem Wieder-Erscheinen des Magazins „Hintergrund“ legte der Verlag auch drei kleine Bücher zu aktuellen Fragen auf. Eine der Schriften befasst sich mit dem für viele Menschen in Deutschland nach wie vor überraschenden Wandel der Grünen von Ökopazifisten zu Militärfreunden. Gleich am Anfang lässt uns der Autor Matthias Rude wissen: Der Wandel vollzog sich „keineswegs plötzlich und schon gar ... | [
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Deutschland ist gut vorbereitet für das Corona-Virus? Das ist Augenwischerei | Ausgehend vom neuen Ausbreitungscluster in Norditalien hat sich das „neue Corona-Virus“ SARS-CoV-2 nun auch in Mitteleuropa festgesetzt. Meldungen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Kroatien und natürlich allen voran Italien selbst legen nahe, dass eine Isolation auf die mittlerweile abgeriegelten Regionen nicht mehr möglich ist. In Deutschland gibt man sich derweil selbstbewusst und zweckoptimistisch – das deutsche Gesundheitssystem sei eines der besten der Welt und ohnehin bestens vorbereitet. Ach ja? Ist es nicht vielmehr so, dass unsere kaputtgesparten Krankenhäuser schon im Normalbetrieb an der absoluten Kapazitätsgrenze arbeiten und die übrigen öffentlichen Einrichtungen, die nötig wären, um eine Pandemie effizient einzudämmen, hoffnungslos kaputtgespart wurden? Wieder einmal betrügen wir uns selbst und wahrscheinlich werden diesmal viele Menschen diesen Selbstbetrug mit ihrem Leben bezahlen müssen. Von Jens Berger. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download Wie gefährlich ist Covid-19, die Lungenerkrankung, die durch das SARS-CoV-2-Virus ausgelöst wird? Das Bundesgesundheitsministerium stapelt hier vergleichsweise tief und zieht Parallelen zwischen Covid-19 und der saisonalen, „normalen“ Grippe. Auch Bundesgesundheitsminister Spahn übt sich im Tiefstapeln. Noch in seiner Ansprache vom Montag verglich auch er die Folgen von Covid-19 mit denen der normalen Grippewelle: „Das deutsche Gesundheitssystem ist eines der besten der Welt. Ärzte und Pflegekräfte und alle, die im Gesundheitswesen tätig sind, bewältigen jedes Jahr Grippewellen, die das Gesundheitssystem zumindest vor vergleichbare Herausforderungen stellen“. Es wäre schön, wenn Spahn Recht hätte. Doch alle Zahlen, die uns zur Zeit zur Verfügung stehen, bieten keinen Anlass für Gelassenheit. Die gute Nachricht ist, dass China das Virus offenbar durch die rigorosen Abriegelungen und Schutzmaßnahmen weitestgehend eingedämmt hat. Die Zahl der Neuinfektionen geht seit Wochen zurück, doch leider haben sich in Südkorea, Japan, Iran und Norditalien mindestens vier neue Infektionscluster gebildet, von denen jeweils vergleichbare oder sogar schlimmere Infektionswellen ausgehen könnten wie vom chinesischen Cluster in Wuhan. Ist Covid-19 wirklich mit der „normalen Grippe“ zu vergleichen? Hier sollte man als erstes endlich damit aufhören, die Grippe zu bagatellisieren. Die echte Grippe hat wenig mit den „grippalen Infekt“ zu tun, der die meisten von uns immer wieder für ein paar Tage im Jahr mit Erkältungssymptomen ans Bett fesselt. Die echte Grippe ist indes eine vergleichsweise gefährliche Krankheit, die nach Schätzungen – da es keine verpflichtende Diagnostik gibt, muss man sich hier auf Schätzungen verlassen – des Robert Koch Instituts in Jahren mit starken Grippewellen in Deutschland schon mal rund 25.000 Menschenleben fordert. So zynisch es ist: Da es sich bei den Opfern zumeist um sehr alte, gesundheitlich vorbelastete Patienten handelt, ist das öffentliche und politische Interesse für diese Opfer vergleichsweise gering. Und genau im Punkt der demographischen Risikobewertung scheint es in der Tat Parallelen zu Covid-19 zu geben. Nach den hauptsächlich aus China stammenden Zahlen sind mehr als 80% der bisherigen Todesopfer über 60 Jahre alt, mehr als 75% der Todesopfer hatten teils schwere Vorerkrankungen – vor allem Herzkrankheiten, Diabetes und Krebserkrankungen. Bei den unter 40-Jährigen ist die Todesrate mit unter 0,2% vergleichsweise gering. Es ist aus China kein einziger Todesfall bekannt, bei dem der Patient jünger als 9 Jahre war – hier gibt es einen erfreulichen Unterschied zur Grippe, die auch für Neugeborene oft tödlich ist. Abgesehen davon, dass auch ältere und erkrankte Menschen natürlich wertvoll sind und man ihre Gesundheit mit allen Mitteln schützen muss, führen diese Zahlen jedoch auch auf einem weiteren Feld in die Irre. Denn – immer vorausgesetzt, die chinesischen Zahlen sind korrekt – selbst die „niedrige“ Todesrate der unter 40-Jährigen liegt mit 0,2% doppelt so hoch wie die Sterblichkeitsrate der gesamten(!) Bevölkerung bei einer normalen Grippewelle. Die Sterblichkeitsrate der über 70-Jährigen liegt bei 8,0%, die der über 80-Jährigen bei 14,8%. Das heißt nichts anderes, als das in China jeder siebte Infizierte, der älter als 80 Jahre war, an Covid-19 gestorben ist. Doch all diese Zahlen sind unter Vorbehalt zu betrachten. Wie hoch die statistische Sterblichkeitsrate wirklich ist, ist zur Zeit nur sehr schwer seriös zu sagen. Zum einen gibt es bei einer „laufenden“ Pandemie immer das Problem, dass man die Todesziffern mit der Zahl der aktuell Erkrankten ins Verhältnis setzt und damit tendenziell zu niedrig ansetzt. Andererseits muss jedoch immer davon ausgegangen werden, dass die Dunkelziffer der nicht bekannten Erkrankten viel höher ist als die Dunkelziffer der nicht korrekt diagnostizierten Todesopfer, was die offiziellen Todesziffern tendenziell zu hoch ansetzen würde. Offiziell gibt das chinesische NHC die Sterblichkeitsrate mit 2,1% an. Diese Ziffer schwankt jedoch extrem. So beträgt sie im Epizentrum Wuhan 4,9% und in den entlegeneren chinesischen Provinzen nur 0,16% und liegt hier in der Tat schon fast auf „Grippeniveau“. Man darf jedoch spekulieren, dass gerade in den entlegeneren chinesischen Provinzen die Dunkelziffern ungleich höher sind und die Daten aus Wuhan und der Hubei-Provinz wohl die verlässlichsten sind. Und wenn man dies als Maßstab nimmt, liegt die Sterblichkeitsrate von Covid-19 zwischen 3,1% und 4,9%. Zum Vergleich: Die berühmte „Spanische Grippe“ hatte eine Sterblichkeitsrate von 2,5% und damals waren die Rahmenbedingungen weitaus schlechter. An der „normalen“ Grippe stirbt in Deutschland rund jeder 1.000. Infizierte. Setzt man die Wuhan- und Hubei-Zahlen an, würde indes jeder 20. bis 30. Infizierte an der Krankheit sterben. Gemessen an diesem krassen Unterschied wirkt die Gelassenheit von Spahn und Co. vollkommen deplatziert. Doch es gibt gerade für die Bewertung der Belastbarkeit der nationalen Gesundheitssysteme noch eine weitere verstörende Zahl aus China. Glücklicherweise ist es in der Tat so, dass rund 80% aller Infektionen mild, teils sogar sehr mild und fast symptomfrei verlaufen – vor allem bei jüngeren und gesunden Patienten scheinen die Symptome meist vergleichsweise harmlos zu verlaufen. Hier ist eine Isolation in der eigenen Wohnung sicherlich ausreichend – vorausgesetzt, die Krankheit wird erst einmal diagnostiziert. Im Umkehrschluss heißt dies jedoch auch, dass 20% aller Infektionen nicht mild verlaufen und meist stationär behandelt werden müssen. Hier liegen dann meist Lungenentzündungen oder schwere Atembeschwerden vor. Jede zwanzigste Infektion verlief nach chinesischen Daten sogar „kritisch“ – hier sprechen wir dann von Atemversagen, septischen Schocks und Multiorganversagen, also schwersten Symptomen, die intensivmedizinisch behandelt werden müssen. Wenn man also Prognosen zur Frage, ob das deutsche Gesundheitssystem auf einen flächendeckenden Ausbruch von Covid-19 so „problemlos“ wie auf eine Grippewelle reagieren kann, aufstellen will, muss man sich auch die Frage stellen, ob die deutschen Krankenhäuser 20% der Infizierten stationär und 5% sogar intensivmedizinisch betreuen könnten. Und dies muss man leider ohne Wenn und Aber verneinen. Schon im „Normalbetrieb“ arbeiten die meisten Kliniken des Landes am äußersten Rande der Leistungsfähigkeit. Der Personalmangel ist massiv. 17.000 Vollzeitpflegestellen sind nicht besetzt, vier von fünf Krankenhäusern finden keine Ärzte für vakante Posten. Jedes dritte deutsche Krankenhaus musste im letzten Jahr Intensivbetten sperren und Fachbereiche von der Notversorgung abmelden! Alleine im vergleichsweise reichen Baden-Württemberg mussten im letzten Jahr zwei von drei Krankenhäuser ganze Abteilungen ganz oder teilweise schließen. Und wenn es zu einer „normalen“ Grippewelle kommt, heißt dies in der betrieblichen Praxis oft, dass die Stationen aus allen Nähten platzen. Nur, dass bei einer „normalen“ Grippe in der Regel trotz anderslautender Empfehlungen keine besondere Isolation vorgenommen wird. Würde man bei einer nationalen Covid-19-Epidemie in den Krankenhäusern Isolierstationen und isolierte Intensivstationen einführen, müsste sich aufgrund des massiven Mehraufwands auch die Zahl der eingesetzten Ärzte und Pfleger massiv erhöhen, vielleicht gar verdoppeln. Doch woher soll dieses Personal kommen? Wie will man die faktische Zahl der Stationen erhöhen, wenn man bereits im Normalbetrieb Stationen wegen Personalmangels schließen muss? Dieses Problem ist übrigens bekannt und hausgemacht. Das Finanzierungssystem für Krankenhäuser (DRG) vergütet ausdrücklich nur behandelte Fälle und sieht keine Vorsorgekapazitäten für Epidemien und Katastrophen vor. Das privatisierte deutsche Krankenhaussystem wurde auf betriebswirtschaftliche Rentabilität optimiert und nicht auf mögliche Puffer im Falle eines Falles. Dass weder Jens Spahn noch die zahlreichen „Experten“, die zu diesem Thema befragt werden, dies thematisieren und Alarm schlagen, ist unverständlich und zeigt letztlich nur, wie sehr die potentiellen Gefahren von Covid-19 unterschätzt werden. Sicherlich sind ganze Schubladen voll mit Ablaufplänen und RKI sowie die Landesgesundheitsämter haben sicherlich auch schlaue Konzepte entwickelt. Aber was nutzen die besten theoretischen Pläne, wenn sie in der Praxis nicht umgesetzt werden, nicht umgesetzt werden können? Es gibt auch unzählige Hygienerichtlinien und Vorschriften, wie beispielsweise Patienten mit multiresistenten Keimen oder Erkrankungen wie dem Norovirus in deutschen Kliniken isoliert werden sollten. In der Praxis sind solche Richtlinien jedoch das Papier nicht wert, auf dem sie stehen, da sie aufgrund der Personalnot gar nicht umgesetzt werden können. Man lügt sich hier selbst in die Tasche und jeder Beteiligte weiß dies auch. Die Gesundheitsämter wissen das auch und schauen weg. Das wird bei einer wirklich gefährlichen Krankheit wie Covid-19 aber nicht so leicht sein. Und es ist ja nicht nur das Gesundheitssystem. Um weitere Ansteckungen zu verhindern, werden – das zeigen die Beispiele Wuhan und nun auch Norditalien – weit gefasste Absperrungen und Abriegelungen ganzer Städte und Regionen nötig sein. Wie sollen die Bundesländer dies mit ihrem von der Schwarzen Null ruinierten Personalbestand umsetzen? Soll die Polizei, die heute schon 22 Millionen Überstunden vor sich hinschleppt, diesen Job übernehmen? Oder werden dann wieder Stimmen laut, die Bundeswehr im Inneren einzusetzen? Da kann man wirklich nur hoffen, dass unsere Nachbarn ihren Job gut machen und es für uns nicht allzu arg kommt. Denn Deutschland ist ganz sicher in der Praxis alles andere als „gut vorbereitet“ für eine kommende Pandemie. Ist das alles Panikmache? Nein. Im Gegenteil. Man könnte an dieser Stelle auch Experten zitieren, die die Situation noch viel kritischer beschreiben. Muss es wirklich so schlimm kommen? Natürlich nicht. Häufig verlieren Viren ihre Virulenz von Generation zu Generation und schwächen sich dabei von alleine ab. Häufig ebben derartige Wellen auch mit steigenden Außentemperaturen von alleine ab. Dann ginge es vor allem darum, sich Zeit zu kaufen und man müsste wahrscheinlich der chinesischen Regierung tausende Dankesschreiben überreichen, hat die rigorose Isolation der Provinz Hubei die Ausbreitung doch massiv verlangsamt. Dies sind jedoch allesamt Faktoren, die eintreten können oder eben nicht; In schā’ Allāh. Sie haben jedoch nichts mit der angeblich so guten Vorbereitung Deutschlands auf das Virus zu tun. Hier ist bestenfalls Zweckoptimismus angesagt und wahrscheinlich werden es am Ende die Ärzte, Pflegekräfte, Polizisten und andere „kleine Staatsdiener“ sein, die durch ihren Einsatz am Rande der Leistungsfähigkeit die Lücken kitten, die eine neoliberale Politik mit ihrem Privatisierungs- und Sparwahn erst hat entstehen lassen. Ein Dankeschön von Jens Spahn wird ihnen sicher sein. Und dann wird man wohl auch in der öffentlichen Kommunikation alles auf den Grippevergleich setzen. Dann war Covid-19 halt „nur“ eine sehr schwere Grippe, wie der Virologie Marc Lipsitch es formuliert. Eine Grippewelle, die diesmal in Deutschland deutlich mehr als 25.000 Todesopfer mit sich bringt. Dass diese Opfer zum Teil auch zu vermeiden wären und letztlich auch Opfer des Neoliberalismus und der Schwarzen Null sind, wird indes sicherlich eine „Außenseitermeinung“ sein. So läuft das Spiel und darauf sind wir in der Tat gut vorbereitet. Titelbild: Stockcrafterpro/shutterstock.com | Jens Berger | Ausgehend vom neuen Ausbreitungscluster in Norditalien hat sich das „neue Corona-Virus“ SARS-CoV-2 nun auch in Mitteleuropa festgesetzt. Meldungen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, Kroatien und natürlich allen voran Italien selbst legen nahe, dass eine Isolation auf die mittlerweile abgeriegelten Regionen nicht mehr möglich ist. In Deutschland gibt man sich derweil selbstbewusst und zw ... | [
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] | 26. Februar 2020 11:45 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=58832&share=email |
Leserbriefe zu „Deutschland verlernt seine Kulturtechniken“ | Der Artikel „Deutschland verlernt seine Kulturtechniken“ hat einige unserer Leser zu Briefen angeregt. Wir geben eine Auswahl der Zuschriften hier wieder. Zusammengestellt von Redaktion.
1. Leserbrief Sehr geehrter Herr Riegel, vielen, vielen Dank für diesen Artikel. Alles was Sie schreiben ist absolut zutreffend und Alltag an unseren Schulen, und zwar nicht nur den Grundschulen.
Hierbei die herrschende Unterversorgung mit Musikpädagogen lediglich als Mangel zu beschreiben, ist im Hinblick auf die Realität untertrieben. Dass diese Tendenz allerdings erst mit dem Aufbruch des sogenannten Neoliberalismus begann, ist denke ich nur zum Teil zutreffend. Ich, zu den nachfolgend beschriebenen Zeiten Schüler, kann mich gut erinnern, dass bereits in den frühen 1970er Jahren Musikunterricht wenn überhaupt, dann mehr als eine Art „erweiterte Gesellschaftslehre“ betrieben wurde. Singen und musizieren waren da schon Randerscheinungen. Ganz zu schweigen von Unterrichtsinhalten zur Gehörbildung und einer soliden Ausbildung in allgemeiner Musiklehre. Man betrachtete dies verstaubt. Den eigenen Unterricht hingegen als zeitgemäß und fortschrittlich.
Klar war damals bereits, dass so meist nur Kinder aus Familien mit genügend finanziellen Mitteln, ihren Nachwuchs auf Konservatorien ausbilden zu lassen, eine Chance hatten, die Eingangsprüfungen der Musikhochschulen zu bestehen. Ohne Musikstudium wird niemand MusiklehrerIn. Wenig reflektierte „Fortschrittlichkeit“ (oder auch Zeitgeist) ebnet(e) häufig den Weg für marktradikale Rücksichts- und Kulturlosigkeit. Ralph Domke 2. Leserbrief Sehr geehrter Herr Müller, dem Artikel von Tobias Riegel in den Nachdenkseiten vom 13.03.2020 möchte ich einige Überlegungen hinzufügen, die, wie ich finde, dem Schluss des Artikels fehlen. So gehören meiner Ansicht nach zu diesem Thema die Vorleistungen der Familien. Sie wecken und stimulieren das Interesse für Musik und finanzieren den Musikunterricht der Kinder. Erst diese Vorbildung, die (auch) in der Schule durch den Musikunterricht angelegt und dann weiter gefördert oder vertieft wird oder werden kann, öffnet die Tür für ein späteres Lehramtsstudium der Musik im Primar- oder Sekundarbereich. Ob sich aber eine Familie den Musikunterricht für ein oder mehrere Kinder leisten kann und/oder will, gründet u.a. auf ihren wirtschaftlichen Grundlagen und sozialen Status und den für musische Bildung relevanten Voraussetzungen, inkl. den musikalisch relevanten. Diese wiederum sind auch abhängig von der musikalischen Bildung, die die Eltern erfahren haben. Und damit auch von den wirtschaftlichen Verhältnissen von deren Eltern sowie deren Beziehung zur Musik. Wie man sieht, schließen sich hier Kreise von eine musikalische Bildung voraussetzenden Bedingungen. Ergänzen wir diese Bedingungen nun um die aktuellen ökonomischen Voraussetzungen vieler Menschen in prekären Beschäftigungen, als meist weibliche Alleinerziehende oder in Hartz IV-Verhältnissen, dann ist es nicht (mehr) selbstverständlich, dass Kinder ein Instrument erlernen – wenn es diese Selbstverständlichkeit denn jemals außerhalb des gebildeten Bürgertums für Mädchen und Jungen gegeben hat. Daran ändern auch die staatlichen Finanzierungshilfen nichts, die es für Kinder aus wirtschaftlich schwierigen oder armen Verhältnissen gibt. Insgesamt gesehen dürften viel mehr Kinder ein Instrument erlernen als bisher, wenn sich mehr Eltern die Finanzierung des Musikunterrichts ihrer Kinder leisten könnten. Die Auswirkungen dieses Aspekts setzen sich in der Schule fort. Wenn weniger Studierende ein Lehramtsstudium in Musik aufnehmen als theoretisch möglich, werden auch weniger Musiklehrer*innen in den Schulen arbeiten, die Lehramtspraktikanten während des Studiums aufnehmen und anleiten und später als ausbildende Mentoren zur Verfügung stehen. Natürlich wirkt sich dies auf den Umfang und die Qualität des schulischen Musikunterrichts aus. Hinzu kommen der Umfang und die Qualität der Ausstattung mit für den Musikunterricht relevantem Material in den Schulen. Dabei ist es nicht banal, ob es in der Schule eine funktionierende aktive Musikfachschaft gibt oder nicht, ob Musikunterricht im Bedarfsfall fachlich qualifiziert vertreten werden kann und ob die Gemeinde als Schulträgerin überhaupt über die nötigen Mittel verfügt, ihre Schule angemessen auszustatten. Wäre Tobias Riegels Eingangsstatement, „ Die musikalische Bildung der Kinder in Deutschland wird fatal vernachlässigt, wie eine neue Studie bestätigt. Das ist für die Gesellschaft selbstzerstörerisch.“, zutreffend, müsste unsere Gesellschaft an einer großen Menge von Stellschrauben tätig werden, um den Zerstörungsprozess erst aufzuhalten und auf lange Sicht positiv zu entwickeln. Mit einem herzlichen Gruß und dickem Dankeschön für die ständige Arbeit im Sinne der Aufklärung
Klaus Witzig 3. Leserbrief Wie wahr und wichtig und richtig ist dieser Warnruf. In der Grundschule ist sicher die Lehrerschaft mitverantwortlich, weil der Musikunterricht zu oft zugunsten anderer angeblich wichtigerer Fächer ausfällt. Aber auch hier hat ja das Fachsystem schon lange Einzug gehalten, und den „Allround-Volksschullehrer“, der in vier oder fünf Fächern unterrichtet, gibt es nicht mehr. Warum aber wird Musik nicht mehr goutiert, nicht von Kindern und nicht von Studierenden? Weil die deutsche Musik nicht mehr geschätzt und nicht mehr gewollt wird. Wenn ein Chor aus Finnland in die Universitätsstadt Siegen kommt und im Apollo finnische Lieder darbietet, ergeht sich die Zeitung in Lobeshymnen, weil auch das zahlreiche Publikum von mit innerer Beteiligung dargebrachten Gesängen angerührt war, Stimmungen nachvollziehen konnte und begeistert applaudiert hatte. Aber die deutschen Volkslieder wurden nach dem Krieg verachtet und ab 1968 konsequent aus dem Lehrplan entfernt. Mit deutschen Volksliedern kann man nur noch Hunde hinter dem Ofen hervorlocken.
Hagen Pankratz 4. Leserbrief Dazu ein Aufruf der betroffenen, oft freiberuflichen Künstler, aus aktuellem Anlass:
openpetition.de/petition/online/hilfen-fuer-freiberufler-und-kuenstler-waehrend-des-corona-shutdowns
Herzlichst,
Marius van der Meer Anmerkung zur Korrespondenz mit den NachDenkSeiten Die NachDenkSeiten freuen sich über Ihre Zuschriften, am besten in einer angemessenen Länge und mit einem eindeutigen Betreff. Es gibt die folgenden Emailadressen: Weitere Details zu diesem Thema finden Sie in unserer „Gebrauchsanleitung“. | Redaktion | Der Artikel „Deutschland verlernt seine Kulturtechniken“ hat einige unserer Leser zu Briefen angeregt. Wir geben eine Auswahl der Zuschriften hier wieder. Zusammengestellt von Redaktion.
1. Leserbrief
Sehr geehrter Herr Riegel,
vielen, vielen Dank für diesen Artikel. Alles was Sie schreiben ist absolut zutreffend und Alltag an unseren Schulen, und zwar nicht nur den Grundschulen.
Hie ... | [
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Nein, Herr Juncker. Nein, Herr Schulz – Ihr habt „den Schuss nicht gehört“! | Erst wenige Tage sind seit dem historischen Brexit-Referendum in Großbritannien vergangen. Während auf der Insel die Hauptdarsteller dieser Tragödie die Flucht ergriffen haben, lautet für die Verantwortlichen in Brüssel die Devise der Stunde „Vorwärtsverteidigung“! Als die „Wir-haben-verstanden“-Sonntagsreden der EU-Granden noch nicht einmal verklungen waren, kündigte EU-Kommissionspräsident Juncker flugs an, das CETA-Abkommen lieber an den nationalen Parlamenten vorbei zu verabschieden. Sein Sidekick, EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, meinte in der FAZ gar, er habe „den Schuss gehört“ und fordere daher eine „echte europäische Regierung“. Das erinnert ganz an die alte Apothekerweisheit, „wenn das Mittel nicht wirkt, muss man nur die Dosis erhöhen“. Nein, Herr Schulz, Sie und Ihr Freund Juncker haben den Schuss nicht gehört. Von Jens Berger Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download Egal was auf der Welt geschieht – es gibt immer mehrere Deutungen und dementsprechend mehrere Wahrheiten. In diesem Sinne verwundert es dann auch nicht, dass es einige wenige Stimmen gibt, die den Brexit und den momentanen Rechtsruck in Europa als Reaktion der Menschen auf zu wenig Europa interpretieren. Auf der anderen Seite findet man vor allem bei den Profiteuren des Rechtsrucks zahlreiche Stimmen mit der exakt gegenseitigen Interpretation: Die Menschen laufen demnach lautstarken Unsympathen hinterher, weil es für sie zu viel Europa gibt. Das ist hochgradig verwirrend. Die beiden Antipoden der Europa-Debatte flüchten sich in rein technisch-formale Erklärungen, die losgelöst von den politischen Inhalten nicht sonderlich aussagekräftig sind. Schönes Europa Es wäre schön, wenn wir ein sehr starkes Europa hätten, wenn dieses Europa denn auch tatsächlich ein Europa der Menschen wäre; ein Europa, das Wert auf Solidarität legt, in dem die Arbeitnehmerrechte wichtiger als die Interessen der Großkonzerne sind, in dem die Starken den Schwachen unter die Arme greifen und in dem die Politik darauf Wert legt, dass es gerecht zugeht. Ja, hätten wir ein Europa, das aus den Bausteinen errichtet wurde, die Fabio De Masi und Sahra Wagenknecht in einem lesenswerten, kleinen Text für die ZEIT skizzieren, dann könnte Europa gar nicht stark genug sein, um diese hehren Ziele an allen Lobbyisten und neoliberalen Statthaltern vorbei auf nationaler oder regionaler Ebene durchzudrücken. Dann hätte auch ein Herr Schulz „den Schuss gehört“ und läge mit seiner Forderung, aus der EU-Kommission eine „echte“ Regierung zu machen, goldrichtig. Nun ist dieses „schöne Europa“ aber nicht unser real existierendes Europa. Dieses Europa wurde zwar einst von Visionären entworfen, dann aber über die Jahre hinweg von Bürokraten verdorben. Unser Europa ist nicht Schuman oder Monnet, nicht Brandt oder Palme, sondern Juncker und Schulz – wirtschaftsliberal, undemokratisch, arrogant und abgedriftet in das Brüsseler Paralleluniversum der Lobbyisten und Bürokraten. Wie soll man Menschen für dieses Europa begeistern? Was aus Brüssel kommt, ist ja nicht nur in den Stammtischparolen der Rechtspopulisten meist negativ. Auch aus progressiver, linker Perspektive kommt aus Brüssel nur selten etwas Positives. Juncker – das alte Zirkuspony Wenn ein Jean-Claude Juncker nun anordnet, CETA doch lieber an den nationalen Parlamenten vorbei in Brüssel zu verabschieden, da dies ein „EU-Only-Thema“ sei, ist dies nicht nur einfach „instinktlos“, wie es viele deutsche Politiker und Leitartikler ausgedrückt haben, sondern kennzeichnend für das real existierende Europa, von dem immer mehr Menschen nichts mehr wissen wollen. Juncker kennt es halt nicht anders. Dabei kann man ihm nicht einmal böse sein. Ein Juncker sieht sich halt als König von Brüssel, der regiert wie es ihm gefällt und allenfalls chère Angela im fernen Berlin Rede und Antwort stehen muss. Juncker ist wie ein alterndes Zirkuspony, das zeitlebens immer eine Karotte bekommen hat, wenn es das gemacht hat, was der Impresario mit großem Tamtam von ihm wollte: Steuersenkungen für Unternehmen, Freihandelsrichtlinien, Schlupflöcher, die es Großkonzernen erlauben, sich in ganz Europa legal vor der Steuerpflicht zu drücken. Und nun will er auf seine alten Tage CETA durchdrücken, erwartet dafür natürlich seine Karotte und versteht überhaupt nicht, was er falsch gemacht haben soll. Juncker ist und bleibt Juncker … wer mit ihm ein „neues Europa“ aufbauen will, der hätte auch zusammen mit Leonid Breschnew den Sozialismus neu erfinden können. Es ist sinnlos, ernsthaft darüber nachzudenken. Schulz – das Gesicht der Eurokratie Bei Martin Schulz sieht es ganz ähnlich aus. Dabei ist der Mann ein wahres Faszinosum. Kennen Sie einen der Amtsvorgänger von ihm namentlich? Der Mann, dessen Portraits auch als Symbolfotos für „Bürokratie“ vertrieben werden könnten, hat dem Amt des Präsidenten des Europäischen Parlamentes ein Gesicht gegeben. Fragt sich nur, ob das nun gut oder schlecht ist. Schulz ist in erster Linie Eurokrat und unglaublich machtgeil. Wäre er nicht bereits einer der mächtigsten Männer Europas, könnte man ihm eine glorreiche Zukunft voraussagen. Aber eben nur in diesem, dem real existierenden Europa. Für alle anderen Posten hat der Mann, der ohnehin nur auf dem Papier Sozialdemokrat ist, schlichtweg das falsche Parteibuch. Welchen echten Spitzenposten kann man als SPD-Politiker denn heute noch bekommen? Vizekanzler? Bürgermeister von Würselen? Letzteres war Schulz´ letzter politischer Posten, bevor er 1994 ins Paralleluniversum der Eurokraten gewählt wurde. Dort machte er Karriere, dort wurde er mit Ruhm und Ehre, mit dutzenden Ehrendoktortiteln, Bundesverdienstkreuzen überhäuft und letzten Endes gar dem Karlspreis ausgezeichnet. Alles was Schulz darstellt, ist er nicht trotz, sondern wegen der europäischen Strukturen. Wie war das noch gleich mit den Kröten und dem Plan, einen Teich trockenzulegen? Martin Schulz will eine „echte“ europäische Regierung. Was ist denn „echt“ für ihn? Laut seines Aufsatzes in der FAZ geht es ihm um eine Regierung, die „der Kontrolle des Europaparlaments und einer zweiten Kammer – bestehend aus Vertretern der Mitgliedsstaaten – unterworfen [wird]“. Diese zweite Kammer gibt es ja bereits in Gestalt des Europäischen Rates und auch die „Kontrolle“ des Parlaments ist zumindest aus minimalistischer Sicht bereits vorhanden. Doch was nutzt es, wenn eine allmächtige Regierung pro forma einem machtlosen Parlament unterworfen wird, das noch nicht einmal Gesetze einbringen darf? Gebt uns die Werkzeuge, wir erledigen den Rest Aber sollte man Schulz nicht lieber dafür beglückwünschen, dass er zumindest einige der undemokratischen Verfahrensweisen der EU kritisiert und zumindest in Teilen demokratischere Strukturen schaffen will? Nein, denn Martin Schulz schafft es wieder einmal, komplett inhaltslos für eine rein formale und technokratische Reform zu werben. Die EU will neue Werkzeuge? Ok, aber wofür? Was will eine mächtigere, „echte“ europäische Regierung mit diesen neuen Befugnissen umsetzen? Will sie die Regionen und Nationen in wichtigen Punkten komplett entmündigen? Will sie als oberste Gralshüterin den Neoliberalismus gegen die aufkeimende Kritik verteidigen? Schulz will einen Blankoscheck. Er will mehr Macht für die Europäische Kommission, sagt aber nicht wofür. „Mehr Europa“ ist aber doch kein Selbstzweck. Was bedeutet „mehr Europa“ für die Menschen? Mehr Gerechtigkeit, mehr Solidarität, mehr Chancen bei der Berufswahl und mehr Möglichkeiten, seine Träume zu verwirklichen? Oder mehr Unsicherheit, mehr Konkurrenz, mehr Markkonformität und mehr Zwänge, die eigenen Träume den ökonomischen Realitäten unterzuordnen? Solange diese Frage nicht geklärt ist, macht es keinen Sinn, für „mehr Europa“ die Werbetrommel zu rühren. Hätten wir ein „schönes Europa“, in dem dann auch echte Visionäre und progressive Denker in den obersten Gremien säßen, ja dann würde ich mir auch eine „echte“ und möglichst mächtige europäische Regierung wünschen; alleine schon um einen Gegenpol zur übermächtigen deutschen Regierung samt ihrer zahlreichen ideologischen Scheuklappen zu bekommen. Europa? Ja! Aber nicht dieses Europa! Aber schauen wir uns das real existierende Europa doch einmal an: Brüssels Freihandelswahn führt heute schon dazu, dass ein heimisches Lammkotelett in einem Supermarkt auf den Shetland-Inseln teurer angeboten werden muss, als sein Tiefkühlpendant vom anderen Ende der Welt aus Neuseeland. Und wenn die Bürger einer kleinen Gemeinde am griechischen Kallidromo einen neuen Kühlschrank für das Dorfgemeinschaftshaus brauchen, kann es sein, dass der Anschaffungsprozess an Haushaltsvorgaben scheitert, die im fernen Berlin beschlossen wurden. Dafür kann heute ein Computer von Dell im polnischen Lodz gebaut und auf Rechnung von Amazon Luxemburg in jeden europäischen Haushalt geliefert werden, ohne dass die Multis dafür ordentliche Steuern bezahlen und ohne dass die Mitarbeiter angemessen bezahlt würden. EU-Subventionen und der Wegfall von Möglichkeiten, die heimischen Märkte zu beschützen, sorgen dafür, dass riesige Agrarkonzerne sich in Brandenburg auch noch die letzte Scholle unter den Nagel reißen, während der Kleinbauer in Kroatien sich am nächsten Baum aufhängen kann. Das ist das real existierende Europa und genau das ist das Europa, das die Menschen nicht mehr haben wollen. Das hat übrigens nichts, aber auch gar nichts, mit Euro-Skeptizismus oder gar Europa-Feindschaft zu tun. Klar, vor allem am rechten Rand gibt es sie auch, die eingefleischten Europa-Gegner, die vor allem, was sich außerhalb ihrer vier Wände befindet, Angst haben und am liebsten eine kleine, übersichtliche Welt hätten, in der selbst sie sich zurechtfinden. Diese Wünsche werden unerfüllt bleiben. Der weitaus größere Teil der Europäer träumt stattdessen von einem gemeinsamen, einem schönen, einem starken Europa. Doch dieses ideale Europa hat nichts mit dem real existierenden Europa zu tun. Juncker steht nicht für dieses Europa. Schulz steht nicht für dieses Europa. Das Europa, das Juncker und Schulz haben wollen, ist nicht das Europa, das die Europäer haben wollen. Und es sieht auch ganz und gar nicht danach aus, als ob die europäischen Eliten den „Schuss gehört hätten“ und nun ernsthaft darüber nachdenken, wie man ein neues, ein besserer Europa aufbauen könnte. | Jens Berger | Erst wenige Tage sind seit dem historischen Brexit-Referendum in Großbritannien vergangen. Während auf der Insel die Hauptdarsteller dieser Tragödie die Flucht ergriffen haben, lautet für die Verantwortlichen in Brüssel die Devise der Stunde „Vorwärtsverteidigung“! Als die „Wir-haben-verstanden“-Sonntagsreden der EU-Granden noch nicht einmal verklungen waren, kündigte EU-Kommissionspräsident J ... | [
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] | 06. Juli 2016 10:23 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=34106&share=email |
US-amerikanische Mythen über Freiheit und Tyrannei | Heute entscheidet die britische Justiz in erster Instanz über das Auslieferungsersuchen der USA gegen Julian Assange. Der Journalist Glenn Greenwald hat die Debatte um das Verfahren gegen seinen Kollegen und die überbordende Selbstgerechtigkeit vieler Mainstream-Kommentatoren genutzt, um einmal etwas weiter auszuholen und über die Meinungsfreiheit im Westen zu reflektieren. Volker Jansen hat den Text dankenswerterweise für Leser der NachDenkSeiten ins Deutsche übertragen. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download Der wahre Maßstab dafür, wie frei eine Gesellschaft ist, ist nicht, wie ihre brav der herrschenden Klasse Dienenden aus dem Mainstream behandelt werden, sondern das Schicksal ihrer wirklichen Dissidenten. Verfolgung wird in der Regel nicht denjenigen zuteil, die den Mainstream rezitieren oder davon absehen, eine ernsthafte Herausforderung für diejenigen darzustellen, die die institutionelle Macht ausüben, oder sich gehorsam innerhalb der von der herrschenden Klasse auferlegten Grenzen der erlaubten Rede und des Aktivismus bleiben. Diejenigen, die sich auf diese Weise duldsam und harmlos zeigen, werden – in jeder Gesellschaft, auch in der repressivsten – normalerweise frei von Repressalien sein. Sie werden nicht zensiert oder inhaftiert. Es wird ihnen erlaubt sein, ihr Leben weitgehend unbehelligt von den Behörden zu leben, und viele werden für diese Unterwürfigkeit gut belohnt werden. Diese Menschen werden sich als frei betrachten, weil sie es in gewissem Sinne auch sind: Sie sind frei, sich zu unterwerfen, sich anzupassen und sich zu fügen. Und wenn sie das tun, werden sie es nicht einmal bemerken oder sich zumindest nicht darum kümmern und es vielleicht sogar für gerechtfertigt halten, dass diejenigen, die diesen von ihnen eingegangenen Orwell’schen Handel (“Freiheit” im Tausch gegen Unterwerfung) ablehnen, mit unbegrenzter Härte zerschlagen werden. Diejenigen, die nicht versuchen, ernsthaft zu widersprechen oder die Macht zu untergraben, werden gewöhnlich leugnen – weil sie nicht wahrnehmen – dass solcher Dissens und solche Subversion in der Tat rigoros verboten sind. Sie werden weiterhin selig glauben, dass die Gesellschaft, in der sie leben, zentrale bürgerliche Freiheiten garantiert – Redefreiheit, Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit, Rechtsstaatlichkeit – weil sie ihre eigene Rede und ihren Aktivismus, wenn es sie überhaupt gibt, so harmlos gemacht haben, dass sich niemand, der dazu in der Lage ist, die Mühe machen würde, sie zu beschneiden. Die Beobachtung, die man der sozialistischen Aktivistin Rosa Luxemburg apokryph [zweifelhaft] zuschreibt, die wegen ihrer Opposition gegen die deutsche Beteiligung am Ersten Weltkrieg inhaftiert und dann vom Staat kurzerhand hingerichtet wurde, drückt es am besten aus: “Wer sich nicht bewegt, bemerkt seine Ketten nicht.” Der Maßstab, um festzustellen, ob eine Gesellschaft frei ist, ist nicht, wie ihre orthodoxen, gut erzogenen, der Autorität gegenüber respektvollen Bürger behandelt werden. Solche Menschen werden von jedem Souverän und jedem Machtzentrum in jeder Ära und überall auf der Welt gut behandelt oder zumindest normalerweise in Ruhe gelassen. Sie werden den Stachel des Silicon Valley oder anderer institutioneller Zensoren nicht spüren, solange Sie die neuesten COVID-Verlautbarungen der Weltgesundheitsorganisation und von Dr. Anthony Fauci bejahen (selbst wenn diese Dekrete denen widersprechen, die sie nur ein paar Monate zuvor herausgegeben haben), aber Sie werden es, wenn Sie sie infrage stellen, sie bestreiten oder davon abweichen. Ihre Facebook-Seite wird nicht gelöscht, wenn Sie die israelische Besatzung Palästinas verteidigen, aber Sie werden von dieser Plattform verbannt, wenn Sie im Westjordanland und Gaza leben und zum Widerstand gegen die israelischen Besatzungstruppen aufrufen. Wenn Sie Trump einen orangefarbenen faschistischen Clown nennen, können Sie für immer auf YouTube bleiben, aber nicht, wenn Sie seine höchstumstrittene Politik und Forderungen verteidigen. Sie können lautstark darauf bestehen, dass die US-Präsidentschaftswahlen 2000, 2004 und 2016 alle gestohlen wurden, ohne die geringste Sorge, verboten zu werden, aber die gleiche Behauptung über die 2020-er Wahl wird zur vollständigen Entziehung Ihrer Möglichkeit führen, Online-Tech-Monopole zu verwenden, um gehört zu werden. Zensur ist, wie die meiste Unterdrückung, für diejenigen reserviert, die von mehrheitsfähigen Orthodoxien abweichen, nicht für diejenigen, die Ansichten äußern, die sich mit dem Mainstream decken. Die etablierten Demokraten und Republikaner – Anhänger der vorherrschenden neoliberalen Ordnung – haben keinen Bedarf an Schutzmaßnahmen für die freie Meinungsäußerung, da es niemanden mit genügend Macht interessieren würde, sie zum Schweigen zu bringen. Es sind nur die Unzufriedenen, diejenigen, die sich an den Rändern und am Rande aufhalten, die diese Rechte brauchen. Und das sind genau die Menschen, denen sie per Definition am häufigsten verweigert werden. Ähnlich: Mächtige Beamte in Washington können illegal die sensibelsten Regierungsgeheimnisse durchsickern lassen und werden nicht bestraft oder bekommen nur einen leichten Klaps auf die Hand, vorausgesetzt, ihr Ziel ist es, die Mainstream-Narrative zu fördern. Aber niedere Leaker, deren Ziel es ist, das Fehlverhalten der Mächtigen aufzudecken oder ihre systemischen Lügen zu enthüllen, werden das volle Gewicht der Strafjustiz und der Geheimdienstgemeinschaft zu spüren bekommen, um sie mit einem Vergeltungsschlag zu vernichten und auch um ihre Köpfe auf einem Spieß zur Schau zu stellen, um zukünftige Dissidenten zu terrorisieren, damit sie nicht in ähnlicher Weise in Erscheinung treten. Journalisten wie Bob Woodward, die Jahrzehnte damit verbringen, auf Geheiß der D.C.-Eliten der herrschenden Klasse die sensibelsten Geheimnisse auszuspucken, werden mit Auszeichnungen und unermesslichem Reichtum überhäuft. Aber diejenigen wie Julian Assange, die ähnliche Geheimnisse veröffentlichen, aber gegen den Willen dieser Eliten, mit dem Ziel und Ergebnis der Entlarvung (statt Verschleierung) der Lügen der herrschenden Klasse und der Behinderung (statt der Förderung) ihrer Agenda, werden das entgegengesetzte Schicksal wie Woodward erleiden: Sie werden jede erdenkliche Strafe erleiden, einschließlich der unbegrenzten Haft in Hochsicherheitszellen. Das liegt daran, dass Woodward ein Diener der Macht ist, während Assange ein Dissident gegen sie ist. All dies veranschaulicht eine wesentliche Wahrheit. Der wahre Maßstab dafür, wie frei eine Gesellschaft ist – von China, Saudi-Arabien und Ägypten bis hin zu Frankreich, Großbritannien und den USA – ist nicht, wie ihre braven Diener der herrschenden Klasse behandelt werden. Den königlichen Hofvasallen geht es immer gut: Sie werden für ihre Unterwürfigkeit belohnt und verdoppeln daher in der Überzeugung, dass es viele Freiheiten gibt, ihre Loyalität zu den bestehenden Machtstrukturen des Status quo. Ob eine Gesellschaft wirklich frei ist, wird dadurch bestimmt, wie sie ihre Dissidenten behandelt, diejenigen, die außerhalb der erlaubten Grenzen leben, sprechen und denken, diejenigen, die die Ziele der herrschenden Klasse erfolgreich infrage stellen. Wenn Sie wissen wollen, ob die Meinungsfreiheit echt oder illusorisch ist, schauen Sie nicht auf die Behandlung derjenigen, die loyal den Fraktionen des Establishments dienen und lautstark ihre heiligsten Grundsätze bekräftigen, sondern auf das Schicksal derjenigen, die sich außerhalb dieser Fraktionen aufhalten und in Opposition zu ihnen arbeiten. Wenn Sie wissen wollen, ob eine freie Presse wirklich garantiert ist, dann schauen Sie sich die Notlage derjenigen an, die Geheimnisse veröffentlichen, die nicht dazu dienen, die Bevölkerung zur Verehrung der Eliten zu animieren, sondern deren Veröffentlichungen dazu führen, den Unmut der Massen gegen sie zu erzeugen. Das ist es, was die andauernde Inhaftierung von Julian Assange nicht nur zu einer grotesken Ungerechtigkeit macht, sondern auch zu einem lebenswichtigen, kristallklaren Prisma, um den grundlegenden Betrug der US-Erzählungen darüber zu sehen, wer frei ist und wer nicht, darüber, wo Tyrannei herrscht und wo nicht. Assange ist seit fast zwei Jahren inhaftiert. Er wurde am 11. April 2019 von der britischen Polizei aus der ecuadorianischen Botschaft in London herausgezerrt. Das war nur möglich, weil die Regierungen der USA, Großbritanniens und Spaniens den schwachen Präsidenten Ecuadors, Lenin Moreno, dazu zwangen, das Asyl zu widerrufen, das Assange sieben Jahre zuvor von seinem standhaften, die Souveränität verteidigenden Vorgänger Rafael Correa gewährt wurde. Die Regierungen der USA und Großbritanniens hassen Assange wegen seiner Enthüllungen, die ihre Lügen und Verbrechen entlarvten, während Spanien über die journalistische Berichterstattung und den Aktivismus von WikiLeaks gegen Madrids gewaltsame Unterdrückung der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung 2018 wütend war. Also bedrängten und bestachen sie Moreno, um Assange den Wölfen vorzuwerfen – d.h., ihnen. Und seitdem wird Assange im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh in London festgehalten, einer Einrichtung für Terrorverdächtige, die so hart ist, dass die BBC im Jahr 2004 fragte, ob es “Großbritanniens Guantanamo Bay” sei. Assange ist derzeit nicht in Haft, weil er für ein Verbrechen verurteilt wurde. Zwei Wochen nachdem er aus der Botschaft geschleppt wurde, wurde er des geringfügigen Vergehens der “Missachtung der Kautionsauflagen” für schuldig befunden und zu 50 Wochen Gefängnis verurteilt, der maximalen Strafe, die das Gesetz erlaubt. Im April dieses Jahres hatte er diese Strafe vollständig verbüßt und sollte daher ohne weitere Anklagen entlassen werden. Aber nur wenige Wochen vor seiner Freilassung veröffentlichte das US-Justizministerium eine Anklage gegen Assange, die aus der Veröffentlichung von diplomatischen Kabeln und Kriegsprotokollen des US-Außenministeriums durch WikiLeaks im Jahr 2010 resultierte, die massive Korruption durch zahlreiche Regierungen, Bush- und Obama-Beamte und verschiedene Unternehmen auf der ganzen Welt enthüllten. Diese US-Anklage und der begleitende Antrag, Assange an die USA auszuliefern, um sich vor Gericht zu verantworten, lieferten der britischen Regierung den Vorwand, Assange auf unbestimmte Zeit zu inhaftieren. Ein Richter entschied schnell, dass Assange bis zu seiner Auslieferungs-Anhörung nicht auf Kaution freigelassen werden kann, sondern stattdessen hinter Gittern bleiben muss, während die britischen Gerichte umfassend den Auslieferungsantrag des Justizministeriums bewerten. Egal was passiert, es wird Jahre dauern, bis dieser Auslieferungsprozess abgeschlossen ist, denn welche Seite auch immer in jeder Phase verliert (das DOJ oder Assange) (und Assange wird sehr wahrscheinlich die erste Runde verlieren, wenn die untere Gerichtsentscheidung über den Auslieferungsantrag nächste Woche ausgestellt wird), sie werden Berufung einlegen, und Assange wird im Gefängnis bleiben, während diese Berufungen ihren Weg sehr langsam durch das britische Justizsystem nehmen. Das bedeutet, dass – abgesehen von einer Begnadigung durch Trump oder die Rücknahme der Anklagen durch das, was die Biden DOJ werden – Assange für Jahre eingesperrt bleiben wird, ohne die Notwendigkeit, zu beweisen, dass er irgendeines Verbrechens schuldig ist. Er wird einfach verschwunden sein: zum Schweigen gebracht von den gleichen Regierungen, deren Korruption und Verbrechen er angezeigt und aufgedeckt hat. Das sind dieselben Regierungen – die USA und Großbritannien – die scheinheilig ihre Gegner (aber selten ihre repressiven Verbündeten) für die Verletzung der Meinungsfreiheit, der Pressefreiheit und des Rechts auf ein ordentliches Verfahren verurteilen. Es sind dieselben Regierungen, denen es gelingt – größtenteils aufgrund einer grenzenlos willfährigen Konzernpresse, die entweder die Propaganda glaubt oder sie wissentlich zu ihrem eigenen Vorteil verbreitet – eine große Anzahl ihrer Bürger davon zu überzeugen, dass, anders als in den bösen Ländern wie Russland und Iran, diese bürgerlichen Freiheiten in den guten westlichen Ländern garantiert und geschützt sind. (Die zahlreichen Beweise, die zeigen, dass die Anklage gegen Assange die größte Bedrohung für die Pressefreiheit seit Jahren ist, und dass die Argumente, die zu ihrer Rechtfertigung vorgebracht werden, betrügerisch sind, wurden von mir und anderen wiederholt dokumentiert, sodass ich diese Diskussionen hier nicht wieder aufwärmen werde. Interessierte können den Artikel und das Videoprogramm sehen, die ich zu dieser Strafverfolgung produziert habe, zusammen mit meinem Leitartikel in der Washington Post; dem Leitartikel von Laura Poitras in der New York Times letzte Woche zur Anklage; dem Leitartikel des ehemaligen brasilianischen Präsidenten Lula da Silva im Guardian, in dem er die sofortige Freilassung von Assange fordert; dem Leitartikel des Guardian und der Kolumne der Medienreporterin der Washington Post, Margaret Sullivan, die diese Strafverfolgung als missbräuchlich verurteilt; und Erklärungen der Freedom of the Press Foundation, des Committee to Protect Journalists, der Columbia Journalism Review und der ACLU, die vor den ernsten Gefahren für die Pressefreiheit warnen, die damit verbunden sind). Sogar Assanges Verurteilung wegen “Kautionsflucht” und die Art und Weise, wie sie im Diskurs der Mainstream-Medien dargestellt wird, offenbart, wie trügerisch diese Narrative sind und wie illusorisch diese angeblich geschützten Freiheiten sind. Assanges Verurteilung wegen Kautionsflucht basierte auf seiner Entscheidung, Asyl in Ecuador zu beantragen, anstatt 2012 zu seiner Auslieferungsanhörung in London zu erscheinen. Dieser Asylantrag wurde von Ecuador mit der Begründung bewilligt, dass Schwedens Versuch, Assange wegen einer Untersuchung wegen sexueller Nötigung aus Großbritannien auszuliefern, als Vorwand benutzt werden könnte, um ihn in die USA zu überstellen, die ihn dann für das “Verbrechen” der Berichterstattung über ihre illegalen und betrügerischen Handlungen inhaftieren würden. Eine solche Vergeltungsinhaftierung, so sagte Ecuador, käme einer klassischen politischen Verfolgung gleich und erfordere daher Asyl, um seine politischen Rechte vor Angriffen durch die USA zu schützen (der Fall in Schweden wurde später eingestellt, nachdem die Staatsanwälte zu dem Schluss kamen, dass Assanges Asyl die Untersuchung sinnlos machte). Wenn die USA Dissidenten aus gegnerischen Ländern Asyl gewähren, um sie vor Verfolgung zu schützen, verkünden die US-Medien dies als edlen, wohlwollenden Akt, der beweist, wie sehr sich die US-Regierung für die Rechte und Freiheiten von Menschen auf der ganzen Welt einsetzt. Erinnern Sie sich an den feierlichen Ton der US-Medienberichterstattung, als die Obama-Regierung dem blinden chinesischen Aktivisten und Anwalt Chen Guangcheng Zuflucht in ihrer Botschaft in Peking und dann dauerhaftes Asyl gewährte, der in seinem Heimatland mit zahlreichen strafrechtlichen Anklagen konfrontiert war wegen seiner Arbeit gegen verschiedene Politikmaßnahmen, die er als unterdrückerisch und ungerecht ansah? Amerikanische Liberale stellen Asyl, wenn es von der US-Regierung zum Schutz vor Verfolgung in anderen lateinamerikanischen Ländern gewährt wird, als so heilig dar, dass die Bemühungen der Trump-Administration, dieses Asyl einzuschränken, ihre anhaltende Wut hervorgerufen haben (diese Wut ist dabei, sich zu verflüchtigen, da Biden das Gleiche tut, aber mit der weicheren und sanfteren Sprache des Zögerns). Aber wenn Asyl von anderen Ländern gewährt wird, um jemanden vor Verfolgung durch die US-Regierung zu schützen, dann verwandelt sich Asyl plötzlich von einem edlen und wohlwollenden Schutz gegen Menschenrechtsverletzungen in ein heimtückisches, korruptes Verbrechen. So verunglimpfen US-amerikanische und britische Journalisten routinemäßig die Entscheidung Ecuadors, Assange vor der Möglichkeit abzuschirmen, in die USA überführt zu werden, um dort für seinen Journalismus bestraft zu werden, oder wie sie immer noch von Russlands Asylgewährung für Edward Snowden sprechen, die ihn davor schützt, in die USA überführt zu werden, um dort wahrscheinlich eine lebenslange Haftstrafe nach dem repressiven Spionagegesetz von 1917 zu riskieren, einem Gesetz, das ihn sogar daran hindert, sich vor Gericht auf eine “Rechtfertigung ” zu berufen und so einen fairen Prozess zu erhalten. Unter diesem propagandistischen Rahmen werden nicht nur die Regierungen, die Asyl gegen US-Verfolgung gewähren (wie Ecuador und Russland), sondern auch die Personen, die Asyl vor US-Verfolgung suchen (wie Assange und Snowden), von den US-amerikanischen und britischen Medien als Schurken und sogar Kriminelle dargestellt, weil sie dieses international garantierte Asylrecht in Anspruch nehmen. In der Tat, die britische Richterin, die Assange die Höchststrafe für Kautionsflucht auferlegte, Deborah Taylor, spöttelte bei seiner Verurteilungsanhörung, dass er “sein Asyl in der ecuadorianischen Botschaft nutzte, um die britische Justiz zu beleidigen”. Sie fügte hinzu: “Es ist schwierig, sich ein schwerwiegenderes Beispiel für dieses Vergehen vorzustellen. Indem Sie die Botschaft betraten, haben Sie sich absichtlich außer Reichweite gebracht, während Sie in Großbritannien blieben. Sie blieben dort fast sieben Jahre lang und nutzten Ihre privilegierte Position aus, um das Gesetz zu missachten und international Ihre Geringschätzung für das Recht dieses Landes bekannt zu machen.” Snowdens Asyl in Russland – das einzige, was zwischen ihm und Jahrzehnten in einem Hochsicherheitskäfig in den USA für das “Verbrechen” der Aufdeckung verfassungswidriger Spionage durch Obama-Beamte steht – wird in den elitären US-Medien und politischen Kreisen in ähnlicher Weise als etwas Schändliches und sogar Verräterisches verhöhnt und nicht als ein vollkommen legaler Schutzschild unter internationalen Asylkonventionen gegen die Verfolgung durch den rachsüchtigen und notorisch repressiven US-Sicherheitsstaat. Hier sehen wir die verblendende Propaganda, der die US-Bürger endlos unterworfen sind. Asyl ist immer gerechtfertigt, wenn es von der US-Regierung an Dissidenten oder Ausgestoßene aus untergeordneten Ländern gewährt wird, aber es ist nie gerechtfertigt, wenn es von anderen Ländern an US-Dissidenten oder andere Journalisten und Aktivisten gewährt wird, deren Bestrafung die USA anstreben. Diese verzerrte Argumentation ist deshalb so wirkungsvoll, weil die US-Medien erfolgreich mit dem giftigen Mythos hausieren gehen, dass die USA einzigartige Rechte und Ansprüche haben, die mindere Länder nicht haben, weil die USA im Gegensatz zu ihnen eine freiheitsliebende Demokratie sind, die die grundlegenden Menschenrechte ehrt und standhaft die grundlegenden bürgerlichen Freiheiten der freien Meinungsäußerung, einer freien Presse und eines ordentlichen Gerichtsverfahrens für alle Völker garantiert. Das nächste Mal, wenn jemand diese Behauptung aufstellt, explizit oder anderweitig, sagen Sie ihm, er solle sich das Schicksal von Julian Assange ansehen, einem der wirkungsvollsten Journalisten und Aktivisten dieser Generation, der die Verbrechen, den Betrug und die Korruption der wichtigsten US-Machtzentren aufgedeckt hat, insbesondere des permanenten Sicherheitsstaats. Assange ist nicht einmal ein US-Bürger, der insgesamt eine Woche in seinem Leben auf US-Boden verbracht hat und absolut keine Verpflichtungen – rechtlich, journalistisch oder ethisch – hat, US-Geheimnisse zu schützen. Aber egal: Jeder, der die US-Macht erfolgreich herausfordert, muss und wird zerstört werden. Das liegt daran, dass die Rede- und Pressefreiheit und andere bürgerliche Garantien nur denen gewährt werden, die es unterlassen, die herrschende Klasse der USA ernsthaft herauszufordern: d.h. denen, die diese Rechte nicht brauchen. Denjenigen, die diese Rechte brauchen – denjenigen, die abweichend denken und unzufrieden sind – werden sie verweigert, was definitiv beweist, dass diese Rechte nur auf dem Papier existieren, dass sie in Wirklichkeit unecht und illusorisch sind für diejenigen, die sie tatsächlich brauchen und verdienen. Titelbild: Karl Nesh/shutterstock.com | Glenn Greenwald | Heute entscheidet die britische Justiz in erster Instanz über das Auslieferungsersuchen der USA gegen Julian Assange. Der Journalist Glenn Greenwald hat die Debatte um das Verfahren gegen seinen Kollegen und die überbordende Selbstgerechtigkeit vieler Mainstream-Kommentatoren genutzt, um einmal etwas weiter auszuholen und über die Meinungsfreiheit im Westen zu reflektieren. Volker Jansen hat d ... | [
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] | 04. Januar 2021 8:49 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=68442&share=email |
Einblicke und Einlassungen auf die Verbindung von Formlosigkeit und die weltweite Migration der Formen des Fremden auf der documenta 12 | Brigitta Huhnke hat sich für uns auf die documenta 12 eingelassen und bietet Verbindungen und Assoziationen zwischen den Ausstellungsobjekten und uns westlich geprägten BetrachterInnen. Hier ihre Auseinandersetzung mit dem Konzept und ihre Einblicke in das auf dieser größten internationalen Schau zeitgenössischer Kunst Dargebotene.
Kassel sei stolz, die „Spannung über der Stadt ist mit Händen zu greifen“, sagte der Bürgermeister Bertram Hilgen (SPD) kurz vor der Eröffnung der documenta 12. Man komme nun in „dieses magische Stück Zeit“. Nur in Kassel würde die documenta funktionieren, die Region verfüge über die drittgrößte Museumsdichte im Land. Im Vorfeld der Eröffnung der documenta 12 hatten der Ausstellungsmacher Roger M. Buergel und die Kuratorin Ruth Noack zu einer internationalen Pressekonferenz geladen, mit ihnen saßen fünf KünstlerInnen sowie ein knappes halbes Dutzend Funktionäre aus Politik und Kulturpolitik auf dem Podium. 2500 Journalistinnen und Journalisten waren angereist, doch hatten die seltsam wenig Fragen. Vielmehr nutzten Studierende das Forum geballter internationaler Öffentlichkeit, mit Statements gegen Studiengebühren und andere Maßnahmen, die besonders jungen Kunstschaffenden „zu früh ein Korsett anlegen“. Keine Stunde später, auf dem Weg zu den „Kunsttempeln“, wurden die Medienleute mit einer noch ganz anderen Wahrnehmung konfrontiert: Draußen vor der Stadthalle demonstrierten, artig im Quadrat aufgestellt, rund zwei Dutzend jüngere Leute, mit dem Logo „Bürgerstolz und Stadtfrieden“ auf ihren T-Shirts und mit Transparenten in der Hand: „100 days of culture and then?“ „If you find culture please tell us, we also wanna see”; “Don’t believe the Hype”; “5 Jahre Dornröschenschlaf”. Damit waren die Stadtoberen, die wie überall im Land der Gesellschaft mehr und mehr Kultur als tägliches Lebensmittel entziehen, hübsch bloßgestellt. Dabei wird auch diese documenta in der Region kräftig zur Wertschöpfung beitragen, die auf eine halbe Milliarde Euro geschätzt wird. Anders als ihre VorgängerInnen wollten Roger M. Buergel und Ruth Noack bald nach Erhalt des künstlerischen Auftrags 2003 in Kassel heimisch werden, siedelten deshalb schon vor mehr als zwei Jahren ganz von Wien herüber. Sie haben versucht, ganz normale Menschen vor Ort in vielfältigste Aktionen und Debatten einzubeziehen, wollten „Netze in die Stadt hinein knüpfen“, initiierten einen Bürgerbeirat, suchten Arbeitsloseninitiativen auf, die sich in Kassel „die Abgewiesenen“ nennen, knüpften Kontakt zur islamischen Gemeinde, arbeiteten mit Jugendlichen, die jetzt Besuchergruppen durch die Ausstellung führen. Inwieweit eine Beteiligung gelungen ist, lässt sich noch nicht abschätzen. Zum Volksfest, zu dem Buergel und Noack eingeladen hatten, fanden sich trotz strömenden Regens schon mal Tausende ein. Der sonst übliche Cocktailempfang für Eliten der Kunstwelt, fiel diesmal aus. Leise aber standhaft wehren sich Buergel und Noack seit Monaten, der Ausstellung eine große Erzählung überzustülpen, Leitmotive oder Rezepturen zu verteilen. Vielmehr propagieren sie die Formlosigkeit als Botschaft, wollen „Präzision mit Großzügigkeit kombinieren“, ganz einfach die „Kunst ohne eigene Netze spinnen lassen“, unterschiedliche Geographien sollen sich dabei durchdringen, ohne dabei eine Hitliste des Kunstmarktes zu präsentieren. Das Debattieren über das Dargebotene aber fängt erst an. 530 Kunstwerken sind zu sehen, von 113 Kunstschaffenden aus aller Welt, davon 58 Künstlerinnen. Das allerdings allein schon ist eine Weltsensation, obwohl Buergel und Noack die nicht einmal herausstellen: die documenta12 ist seit unserer Zeitrechnung auf diesem Planeten die erste große internationale Schau zeitgenössischer Kunst, bei der es geschlechtergerecht zugeht und das nicht nur formal, sondern durchaus auch inhaltlich. Verhalten, aber dennoch mit renitenter Respektlosigkeit, wird beispielsweise dem Phallischen (einer der großen Stützpfeiler der Aufklärung und der Moderne) bereits Draußen in Form kleiner Säulen, die plötzlich irgendwo im Gelände fast unbemerkt auftauchen, das Emphatische genommen, sozusagen dekonstruiert. Und Inspektionen der Herrenkultur werden in den Hallen der Schau auf vielfältigste und souveräne Weise weitergeführt. Leider sind Gesten der Ironie als kuratorische Interventionen sonst eher selten zu finden. Gerade seit der Eröffnung werden schwere Geschütze gegen das künstlerische Konzept aufgefahren. Nehmen wir hier stellvertretend Bazon Brock, der sich besonders gern vor Mikrofonen echauffiert. Im Deutschlandradio konnte er so richtig loslegen: Das sei das Ende der staatlich geförderten Kunst, „ein totaler Reinfall“, überhaupt „kindischer Blödsinn“. Er vermisst den „Animationseffekt“, von dem ein „Belebungsaffekt“ ausgehen sollte. Diese documenta sei ein völlig beliebiges „Sammelsurium“. Das Offensive finde heute in den privaten Galerien statt, da private Galeristen über Kenntnisse und Leidenschaft verfügten. Die Intelligenz gehe in den Kommerz. Die Kunstausstellung in Basel beispielsweise biete im Vergleich zur documenta 12 das Hundertfache an Qualität, Kunstkommerz sei für Kunstgeschichte und Ästhetik wichtig. In Kassel aber sei Hopfen und Malz verloren. Klar, auch die neoliberale Projektion, die documenta sei „politisch korrekt“ fehlte natürlich nicht. Auf die Art und Weise, wie er Ruth Noack mit der Geliebten von Paul Wolfowitz vergleicht, gehen wir hier nicht ein. Gegen solche verbalen Vernichtungsoffensiven hält Buergel eher leise, oft fast störrisch dagegen. Er verteidigt die Konzentration auf die Form, auf das Ureigenste der Kunst, woraus sich zwangsläufig Fragen nach dem Wann und dem Warum ergeben würden. Die BesucherInnen sollen den Formen und deren Migrationsbewegungen nachspüren. Verbindungen zwischen den Kunstwerken ziehen, das scheint das unsichtbare Organisationsprinzip zu sein. Und nicht Experten, sondern das Publikum soll diese Verbindungen mithilfe der eigenen Assoziationen generieren. Buergel will auch nichts neu erfinden, sondern in Anlehnung an Giorgio Agamben („Homo sacer“) fragen „was ist das bloße Leben?“ Das führt letztlich dazu, die westliche Moderne auch generell einer Inspektion im Hinblick auf das Vorhandensein eines humanistischen Erbes zu unterziehen. Daran haben sich auch international 80 Kunstzeitschriften beteiligt, mit der Herausgabe des documenta magazine No1 2007. Das Ergebnis fällt durchweg unmissverständlich aus. Für eine der noch eher moderaten Positionen steht Rasheed Araeen, Gründer der Zeitschrift „Third Text“, der aus afrikanischer Perspektive feststellt: „Die Moderne nahm ihren Ausgang in Europa, und auf ihrem Siegeszug rund um den Globus wurde sie zu einem Werkzeug der Barbarei… Ist die Moderne an ihren eigenen Ideen gescheitert oder an einem System, das diese Ideen für seine Zwecke missbraucht hat? Wenn wir davon ausgehen, dass die Moderne in einem System der Herrschaft und Ausbeutung gefangen ist, sollten wir sie nicht als eurozentristisch verurteilen, sondern alles dran setzen, sie aus dem Würgegriff des Westens zu befreien.“ In diesem Sinne soll diese documenta12 die „Herausstellung einer Ethik des Miteinanders“ fördern, dafür wurden ganz bewusst Länder und Kunstschaffende ausgewählt, die der internationale Kunstmarkt gerade nicht im Hype goutiert. Vielmehr sollen die BesucherInnen mehr vom unbekannten Leben und dessen vielfältigen und unterschiedlichen Strömungen erfahren, „mit denen wir viel zu tun haben, mit denen wir noch mehr zu tun haben werden und von deren Kultur wir keine Ahnung haben“, sagt Buergel. Dennoch, bei aller Sympathie für dieses kritische Konzept zur Moderne, der offenen bzw. fast Nicht-Konzeption, der Besuch der documenta12 gerät durchaus zur Tortur. Ein Kunstwerk erschließt sich eben nicht nur an sich, sondern ist immer in Kontexte eingebettet, die erkenn- oder assoziierbar sein sollten, auf die zumindest verwiesen werden muss. Die indirekten und dazu auch dann noch sehr spartanischen Verweise auf postkoloniale bzw. poststrukturelle theoretische Kontexte bleiben häufig völlig unerklärt. Was anderswo vielleicht nicht nötig wäre, aber in einem Land, dessen Elite noch immer ernsthaft, ohne jegliches Unrechtsbewusstsein, rassistische Konzepte wie das der „deutschen Leitkultur“ diskutiert, ist es geradezu unerlässlich, Werke aus Asien, Afrika oder Lateinamerika mit einem Minimum an Informationen zu versehen, um den BesucherInnen so mehr Chancen zu eröffnen, überhaupt das Andere und das Fremde sehen und sich darauf einlassen zu können. Zudem erscheint der Betrachterin vieles in der Zusammenstellung der Exponate schlicht unausgegoren. Das wäre zwar allein auch nicht so schlimm, denn eine gewisse „Unentschiedenheit“, die Buergel ebenfalls einfordert, sollte vielleicht wirklich ausgehalten werden, zumal niemand in der Tat ein Deutungsmonopol beanspruchen kann. Doch vieles ist einfach schlampig präsentiert, oft fehlen Namen der KünstlerInnen, das Herkunftsland oder auch die Werktitel, auch die Kataloge beheben diese Versäumnisse nur sehr unzureichend. Schauen wir jetzt endlich konkret vor Ort nach, auch wenn dabei nicht mal ein Bruchteil der Exponate berücksichtigt werden kann, eine Gewichtung völlig unmöglich ist. In die Schau eingespannt sind das Fridericianum, die Neue Galerie, die documenta-Halle, das Schloss Wilhelmshöhe und der Bergpark sowie „elBulli” das Lokal des spanischen Küchenchefs Ferran Adrià in Roses bei Barcelona, das zur Außenstelle der documenta ernannt worden ist. Täglich steht dort ein einzelner Tisch für zwei documenta BesucherInnen bereit. Diese sucht Buergel aus, warum und wieso wissen wir nicht so genau, klingt eher wie ein (ironisches?) Zugeständnis an das Event-Business. Bereits am Bahnhof Wilhelmshöhe entlarvt Allan Sekula das Pathos der bürgerlichen Revolution als Farce. Zwischen den Säulen vor der Eingangshalle hängt sein riesiges Plakat: „Alle Menschen werden Schwestern“ hervorgegangen aus einer Auseinandersetzung mit dem Neoliberalismus und künstlerischen Interventionen der Gruppe „Holy Damn“ gegen die G8-Gipfel. Wer weltweit die Macht inne hat, sie missbraucht, daran lässt auch der in Berlin lebende Andreas Siekmann mit seiner Außeninstallation „Die Exklusive – Zur Politik des ausgeschlossenen Vierten“, gegenüber vom Fridericianum keine Zweifel. Aus der Ferne noch lässt dieses Karussel zunächst Wehmut an die Kindheit, an den Kribbel rasanter Fahrten auf hölzernem Pferderücken aufkommen. Beim Näherkommen jedoch werden schnell Assoziationen an den G8 Gipfel beklemmend lebendig, Bilder der Polizeigewalt während der Demo in Rostock kommen nach oben. Das Gefährt, um die Herrscherstatue des Landesherren Friedrich II. herumgebaut, zeigt Figuren, die für Ausgrenzung und Verfolgung stehen, Polizisten, die Demonstrierende abwehren. Eine Frau fleht um einen Pass, im Tresor liegen Pässe und Aufenthaltsgenehmigungen. Arbeiterinnen der neuen Knechtschaft tauchen auf, erinnern an die Unmenschlichkeit der Maquiladoras in Mexiko, an die Unterdrückung in China aber mittlerweile auch in Ost-Osteuropa. Dazwischen der gerade gechasste Weltbank-Chef Paul Wolfowitz und dessen Vorgänger, Mitverantwortliche für die weltweite Gewalt neoliberaler Exzesse. Überhaupt sind die Arbeiten im Außenraum besonders erwähnenswert.
Auf dem Friedrichsplatz ist roter Mohn gepflanzt. Mit dieser pflanzlichen Intervention, als Symbol für den Tod in militärischen Auseinandersetzungen, will die Kroatin Sanja Ivekovic besonders an den Krieg in Afghanistan mahnen, der auch wegen des Opiums geführt wird.
Seit der militärischen Intervention der USA und ihrer Verbündeten floriert der Handel wie nie zuvor. Noch blüht der Mohn in Kassel nicht, so könnte Vielen die Bedeutung völlig unerschlossen bleiben, da kaum Hinweise auf dieses Projekt erscheinen. Auch die Reisanpflanzung in der Terrassenanlage unterhalb des Schlosses Wilhelmshöhe ist politisch motiviert. Sakarin Krue-On protestiert damit gegen die Dezimierung der Vielfalt der Reissorten in seiner Heimat Thailand durch internationale Konzerne und Verordnungen. An der Außenfassade des Fridericianum rankt eine Skulptur der Brasilianerin Iole de Freitas, durchbricht so die strenge Architektur des Museumstempels, die produktive Auseinandersetzung der Künstlerin mit der futuristischen Formensprache Oskar Niemeyers, die sie mit einem weiteren Objekt auch im Museum zu führen scheint, lässt sich nur erahnen. Andererseits aber verweist gerade Bürgel immer wieder auf die notwendige Suche nach den historischen Wurzeln und auch auf die sich durchkreuzenden Geographien. Das Fridericianeum beispielsweise ist der erste Bau, der als Museum konzipiert worden ist. Der Herrscher hat ihn durch den Verkauf von Söldnern nach Übersee finanziert. Auch an den Traditionen europäischer Kunst klebt also Blut. Im Inneren fallen die Arbeiten der Polin Zofia Kulik ins Auge, auch sie untersucht unter anderem den Phallus, z.B. in Mehrfachbelichtung. Gleich im Nebenraum zeigt eine Filminstallation arabische Männer beim Kampftraining, begleitet von Trommelwirbeln, unweit davon ist die Kopie eines alten Reliefs mit antiken Kriegern in Kampfhaltung zu sehen. Besonders eindringlich und dicht thematisiert der Chilene Juan Davila in seinen Ölbildern Kriege und Folter, beschäftigt sich mit Fragen kultureller, sexueller und politischer Identitäten sowie rassistischer Konstruktionen in den Kontexten der Gewalt. Er ist mit gleich mehreren Werken vertreten Geradezu nichtssagend kommen dagegen die Video Fußballinstallationen von Harum Farocki daher, die gesellschaftliche Bedeutung der Gewalt, die vom Fußball ausgeht, wird nicht thematisiert, nicht einmal das angsteinflößende Deutschland-Gebrüll während der WM 2006. Richtig ärgerlich ist aber die Video Installation der in Berlin lebenden Künstlerin Hito Steyerl, ganz oben im nach unten offenen Raum des Fridericianeums. Oberflächlich wie so manche ihrer Texte, gerät auch ihre Auseinandersetzung mit SM und Fessel-Pornographie, die konservative Nachrichtenillustrierte und andere Klatschblätter in den neunziger Jahren so ausgiebig als Befreiung vom Feminismus gefeiert haben. Steyerl verharrt aber nicht nur im Girlie Geplapper der Generation Golf, indem sie schlüpfrig und in flotter Schnittfolge das Subversive im Gewaltporno sucht und angebliche Freiwilligkeit auch in der Unterwerfung propagiert. Sondern sie versteigt sich überdies vielmehr in obszönster Weise, indem sie Bilder der Folter aus Abu Ghraib mit einbezieht, ohne auch nur irgendeine erkennbare künstlerische oder gar politische Auseinandersetzung damit zu liefern. Dieses abgeschmackte TV-Stück scheint auch zunächst negativ auf die darunter sichtbare Tanzinstallation „Floor of the Forest“ von Trishia Brown auszustrahlen. Erst unten vor Ort erschließt sich der minimalistische Tanz der gut ein Dutzend Männer und Frauen um und in einer Fläche aus Seilen und Kleidungsstücken, in seiner Schönheit aber auch in der Beklemmung, die er auslöst. Die Zuschauerin fühlt sich leicht verstört, wie auf sich geworfen, wenn sie versucht, sich einen Weg durch die Tanzenden zu bahnen, um weiter zu kommen. Ein ganz dicker Brocken ist der nach vielen Querelen vor der Orangerie gebaute 9 500 Quadratmeter große Aue-Pavillion. Unwirtlich ist dieser Ort, hässlich, der mit Polyester ausgegossene Boden wirkte schon vor Ausstellungsbeginn schäbig. Das Ganze erinnert an ein in aller Eile hingehauenes riesiges Flüchtlingszelt. 140 Arbeiten werden hier gezeigt, nicht auszudenken, wenn sich hier Hunderte von Menschen zugleich an den Exponaten vorbei drängeln. Gleich am Eingang macht ein „blühendes Gartenparadies“ auf die Auswirkungen der Gentechnologie aufmerksam. Viel Banales steht hier natürlich auch, etwa eine weitere Installation von Hito Steyerl, „Red Alert“, bestehend aus drei roten Glasrechtecken, aber auch die Plastikteile von Gerwald Rockenschaub dokumentieren allenfalls die Leere westlicher Moderne, die vielen neueren Werken anhaftet. Befruchtende Migration der Form bzw. geographische Durchdringungen der Assoziationswelten, wenn auch im weitesten Sinne, kann durchaus nachvollzogen werden, besonders auch an den vielen Auseinandersetzungen zum Thema Krieg, aber auch anhand von eher banalen, bzw. einfach nur schönen Motiven wie Frisuren, Kleidung, Mustern, Alltagsgegenständen aller Art.. Elend und soziale Missstände zeigt beispielsweise David Goldblatt mit seinen Fotos von südafrikanischen ArbeiterInnen „The Transported of KwaNdebele“, die vier Stunden am frühen Morgen und in der Nacht den gleichen Weg zurück legen müssen, um arbeiten zu können. Wir sehen sie in stummer Verzweiflung an der Bushaltestelle warten und dann im Bus, zermürbt durch die Qualen der Arbeit, dann trotz Müdigkeit nicht zur Ruhe kommen können, wobei der kurze Wachschlaf zusätzlich erschöpft. Mit ganz anderen Motiven zeigt Zoe Leonard Ähnliches für die Lower Eastside und Brooklyn in New York. Sie verzichtet zwar auf Menschen, zeigt die Armut und Ausweglosigkeit dafür an den Auslagen und Schriftzügen kleiner heruntergekommener Geschäfte und Momentaufnahmen von (unbelebten) Straßenszenen. Niemand wird wahrscheinlich die Aue passieren können, ohne sich der großen Installation „Dream“ von Romuald Hazomie nicht stellen zu müssen, die sehr direkt auf die Extremsituation afrikanischer Flüchtlinge verweist. An der Wand die große Kopie eines Fotos, das im Kitsch der Reisekataloge, Sand, Wasser und Palmen zeigt, bei näherem Hinsehen aber auch die Verlassenheit eines afrikanischen Dorfes. Davor ein Boot, zusammengebaut aus 421 Kanistern, das unweigerlich untergehen muss, wenn Wasser in die Öffnungen eindringt. Dazu ein Beispiel der Medienberichterstattung, dessen Ignoranz für sich spricht. So kommentierte die SZ am 15.6. dieses Werk so: Karibikfeeling in Kassel: Romuald Hazoume aus Benin, neben seiner Installation “Dream”. Wie viel so eine Fotowand ausmachen kann.“ Aber auch viel Verlorenheit herrscht im Aue-Pavillion, dabei ist wirklich viel zu entdecken, nachzudenken und zu debattieren, doch ist dies wegen der fehlenden kontextuellen Einordnung oft einfach nicht möglich, zumal nicht einmal der Katalog wenigstens der Systematik der Ausstellungsstätten folgt. Noch einmal: Gerade in diesem Land ist der „westliche“ Blick eben nicht ausreichend geschult, um Lebensweisen anderer Kulturen überhaupt wahrnehmen zu können. Das gleiche Manko erschwert den Zugang auch zu den Werken am Ort Neue Galerie. Noch schwerer vorstellbar, was passiert, wenn sich hier die Menschen in Massen durch die zum Teil kleinen Räume drängen und das zum Teil bei funzeliger Beleuchtung. Viele Kunstschätze müssen so für die Anschauung und individuelle Assoziationen ungeborgen bleiben. Beeindruckend sind die Videoaufzeichnungen „The Lightening Testimonies“ von Amar Kanwar, die das Erbe der Kolonialisierung, die Auswirkungen auf dem indischen Subkontinent besonders für Frauen dokumentieren. Hier wäre unbedingte Stille im Raum nötig, um den Videos wirklich in der Kontemplation folgen und den Opfern gerecht werden zu können. Aber das ist in diesem Durchgangsraum schwer vorstellbar. Wie kann sich weibliche Sozialisation an dagegen vergleichsweise sicheren Orten im Westen entwickeln? Das zeigt die New Yorkerin Mary Kelly in einem pink gestrichenen Raum mit Fotos und Lichtinstallationen ihrer „Love Songs“, höchstgradig ironisch, fast leichtfüßig und trotzdem radikal. Und sie hat auch ein Haus gebaut, ein „Multi-Story House“ aus viel Glas, auf das sie die Geschichte ihrer eigenen Menschwerdung als Frau geschrieben hat. In der documenta Halle stiftet die ausgestopfte Giraffe von Peter Friedl viel Aufsehen in den Medien. Das Tier starb 2002 in Qalqiliyah, im einzigen Zoo von Westjordanland, als israelische Streitkräfte in die Staat drangen, allgemeine Panik auch im Zoo ausbrach und das Tier dabei starb. Doch was in den Medien unerwähnt bleibt ist die künstlerische Korrespondenz zur Giraffe. Gleich links daneben hängen die Tuchbilder von Abdoulaye Konaté, die „Gris-gris pour Israel et la Palestine“, in der er die Dringlichkeit nach Lösung für den Konflikt im Nahen Osten anmahnt, mit Hilfe von gewebten Schutz- und Glückssymbolen, die in seinem Land Mali weit verbreitet sind. So hat er auch keine Probleme, die israelische Flagge und das Palästinensertuch gleichzeitig, im Nebeneinander auf seinen Werken zu zeigen. Ein wirklich beeindruckendes Beispiel gelungener Migration von Formen und Geographien ist im Schloss Wilhelmshöhe zu entdecken. Im 14. Jahrhundert muss ein reger Austausch zwischen persischen und chinesischen Kunststilen stattgefunden haben, wie anhand von Exponaten unbekannter Künstler aus dieser Zeit zu bewundern ist. Die Mongolen haben zwar Persien erobert, aber die lokalen Stile nicht ausgelöscht, so informiert in diesem Fall der Katalog. Der unbekannte persische Maler drückt seine Liebe für leuchtende Farben und abstrahierte Oberflächen aus, gewährt aber wässrigen Farben und Schattierungen der chinesischen Kultur Eingang in sein Werk. Ähnliches geschah umgekehrt. „Eine bestimmte Form, dauerhaft wie wandelbar, lebt in einem anderen Horizont übertragen fort. Das ist ihr Schicksal“, stellt der Katalog fest. Was aber kann uns die Kunst der Moderne noch geben, planetarisch gesehen? Noch mehr Radikalität fordern viele Künstler und Künstlerinnen ein, die sich an dem documenta magazine-Projekt beteiligt haben. So antwortet Olu Ogube, der African Studies u.a. in den USA lehrt, seinem Kollegen von Third Text, Rasheed Araeen kritisch: „Es ist an der Zeit, die Dinge in einem größeren historischen Zusammenhang zu betrachten, als es der Modernismus je war, nämlich im Kontext des Kampfes der kolonisierten Völker gegen ihre missliche Lage und für die Ausgestaltung einer eigenen Moderne.“ Auf der documenta in Kassel scheint erst einmal bis zum 23. September noch einiges in Bewegung zu geraten. So hat der Chinese Ai Weiwei für seine Arbeit „Fairytale“ nicht nur 1001 alte Stühle mitgebracht, die sich auf die Ausstellungshallen verteilen, sondern auch 1001 Chinesen zur documenta nach Kassel eingeladen. Die meisten von ihnen waren noch nie im Ausland. Sie sollen nun Kassel erkunden, sich im Gemenge, in der Kommunikation erfahren. Ob das möglicherweise in eine bloße Ethno-Show abgleiten kann, die Assoziationen an die Vorführung von „Negern“ oder „Eskimos“ im europäischen Zoo des 19. Jahrhunderts wach werden lassen könnte, das liegt nun wirklich nicht mehr in der Hand vom Künstler oder den MacherInnen der documenta. Für dieses Projekt ist Gastfreundschaft aber auch interkulturelle Kompetenz der BürgerInnen gefragt. Manchmal kann Roger M. Buergel auch ganz handfest formulieren. So erläuterte er wenige Tage nach der Eröffnung im DLF, was er unter „politisch“ im Zusammenhang mit der documenta12 verstehe: Er wolle das Publikum so auch aktivieren, einen Sinn für die eigene Rolle in der Welt zu gewinnen. Dafür müsse das Publikum sich die „Komplexität des zeitgenössischen Lebens“ eingestehen, diese aber auch lustvoll begreifen. Nun, dann kann es ja auf nach Kassel gehen. Was wird nach dem 23. September bleiben? Nur Reste, wie nach einer Wallfahrt für „profane Erleuchtung“ (Walter Benjamin)? Das documenta magazine zitiert aus dem Pamphlet acceptera von 1931, in dem schwedische Architekten des Funktionalismus eine Art Anleitung für den Wert eines Kunstwerkes, eines Bauwerkes geben: „All jene prätentiösen und falschen Waren, die wir jetzt genießen, werden früher oder später ihre Leere offenbaren und ein Gefühl des Ekels hervorrufen.“ P.S.
Über allem steht die Kraft der Natur und sie interveniert notfalls auch ins Kunstwerk. Am Mittwochabend überraschte ein mittleres Gewitter auch die documenta 12. Blitz Donner und Regengüsse brachten in nur wenigen Minuten ein Kunstwerk auf der Aue zum Einsturz: das „Template“, den zwölf Meter hohen Holzturm, den der Chinese Ai Weiwei aus alten Fenstern und Häusern gebaut hat, die beim Bauboom in China auf der Schutthalde gelandet waren. Den Künstler hat dieses Eingreifen der Naturgewalten gefreut. Genau so, in diesem neuen Zustand des Zerfalls soll diese neue Installation nun bestaunt werden können. Ein Interessent für einen möglichen Kauf nach den 100 Tagen documenta hat schon mal sein Gebot verdoppelt.
Rigeroser noch reagierte die Natur gegen die Reisfelder vor dem Schloss: durch die ständige künstliche Bewässerung erodiert das Erdreich der Terrassen. Deshalb wurde die menschliche Kultur wenige Tage nach der Eröffnung gestoppt. Insofern wäre der documenta 12 fast ein natürlich feuchter Sommer zu wünschen. | Wolfgang Lieb | Brigitta Huhnke hat sich für uns auf die documenta 12 eingelassen und bietet Verbindungen und Assoziationen zwischen den Ausstellungsobjekten und uns westlich geprägten BetrachterInnen. Hier ihre Auseinandersetzung mit dem Konzept und ihre Einblicke in das auf dieser größten internationalen Schau zeitgenössischer Kunst Dargebotene.
Kassel sei stolz, die „Spannung über der Stadt ist mit Händ ... | [
"documenta"
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"Kultur und Kulturpolitik"
] | 22. Juni 2007 7:56 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=2427&share=email&nb=1 |
Regierungssprecher Hebestreit zu seiner Nachfolge, Drehtüreffekten und seiner Zukunft: „Ich werde nicht Botschafter“ | Seit dem 29. April ist bekannt, wer der Nachfolger von Regierungssprecher Steffen Hebestreit wird: Stefan Kornelius, der bisherige Leiter des Politikressorts der Süddeutschen Zeitung (SZ). Die NachDenkSeiten wollten vor diesem Hintergrund wissen, was Hebestreit seinem Amtsnachfolger mit auf den Weg geben wird, ob er am Drehtüreffekt zwischen Journalismus und Politik auch problematische Seiten sieht und inwieweit die Mitgliedschaft in diversen transatlantischen Lobbygruppen (wie Atlantik-Brücke und DGAP) sowie längere Auslandsaufenthalte in Washington D.C. Grundvoraussetzung sind, um Regierungssprecher in der Bundesrepublik zu werden. Ebenso kam die Frage auf, welche „Anschlussverwendung“ für Hebestreit ansteht, sein Vorgänger und Vornamensvetter Steffen Seibert wurde auf eigenen Wunsch hin Botschafter in Israel. Von Florian Warweg. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download Hintergrund: Stefan Kornelius und seine transatlantischen Netzwerke Am 29. April gab die SZ in der Rubrik „In eigener Sache“ bekannt, dass der Politik-Chef der Zeitung ab Mai der neue Regierungssprecher von Friedrich Merz wird: Was die Kollegen in dem Artikel nicht erwähnen – sind die zahlreichen und langjährigen Mitgliedschaften des SZ-Politikchefs und jetzt designierten Regierungssprechers in diversen transatlantischen Lobbygruppen und Denkfabriken. So ist er beispielsweise seit Jahrzehnten aktives Mitglied der Atlantik-Brücke sowie der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) und moderierte in dieser Funktion auch regelmäßig Veranstaltungen dieser Lobbygruppen. Zudem gehörte er über viele Jahre dem Beirat der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) an, welcher die Bundesregierung zu außenpolitischen Themen berät. Da stellt sich schon ganz grundsätzlich die Frage, was ein leitender Journalist in einer führenden deutschen Tageszeitung im Sinne der „Vierten Gewalt“ in solcher Art von tendenziösen Lobbyorganisationen und Beratungsgremien der Bundesregierung zu suchen hat. Die entsprechenden Verbindungen von Kornelius hatte bereits „Die Anstalt“ in ihrer Sendung am 29. April 2014 kritisch thematisiert (im Video ab Minute 37:45). Washington D.C., die Regierungssprecher und die Drehtür … Schaut man sich die Vita der bisherigen und auch des zukünftigen Regierungssprechers an, fällt zudem ins Auge, dass fast alle von ihnen auf einen längeren Auslandsaufenthalt in Washington D.C. verweisen können. So war Kornelius beispielsweise von 1996 bis 1999 für die SZ Korrespondent in Washington D.C. Sein Vorgänger Hebestreit verbrachte dort sein Auslandssemester, bevor es dann für ihn anschließend ins Volontariat bei der Frankfurter Rundschau ging. Merkels Regierungssprecher in ihrer ersten und zweiten Amtszeit, Ulrich Wilhelm, verbrachte ebenfalls zehn Monate seiner Referendar-Zeit in Washington D.C. als „Congressional Fellow“ im US-Kongress. Letzterer ist wohl auch eines der eklatantesten Beispiele für den besagten Drehtüreffekt zwischen Politik und Journalismus. Wilhelm wurde nach seiner Tätigkeit als Regierungssprecher für Angela Merkel und damit Chef des Bundespresseamtes direkt Intendant des Bayerischen Rundfunks und fungierte in dieser Funktion auch vom 1. Januar 2018 bis 31. Dezember 2019 als Vorsitzender der ARD. Honi soit … Doch auch beim scheidenden Regierungssprecher Hebestreit ist der Drehtüreffekt bemerkenswert. Bevor er im Januar 2014 zur SPD als Sprecher der damaligen Generalsekretärin Yasmin Fahimi wechselte und im weiteren Verlauf Sprecher von Olaf Scholz in dessen Funktion als Finanzminister und dann später unter ihm Regierungssprecher wurde, war er von 2011 bis 2014 im Vorstand der Bundespressekonferenz tätig. Vor diesem Hintergrund wird es interessant sein zu beobachten, wie es für Hebestreit und in weiterer Folge auch für Kornelius nach ihrer respektiven Tätigkeit als Regierungssprecher beruflich weitergehen wird. Einen Botschafterposten als „Anschlussverwendung“ wie sein Vorgänger Seibert hat Hebestreit zumindest schon ausgeschlossen. Auszug aus dem Wortprotokoll der Regierungspressekonferenz vom 30. April 2025 Frage Warweg
Herr Hebestreit, seit gestern wissen wir, wer Ihr Nachfolger wird, der bisherige Leiter des Politikressorts der „Süddeutschen Zeitung“, Stefan Kornelius. Was ist die zentrale „lesson learned“ aus der Bundespressekonferenz, die Sie Ihrem Nachfolger mitgeben wollen? Regierungssprecher Hebestreit
Neugierig zu bleiben. Zusatzfrage Warweg
Herr Kornelius ist langjähriges Mitglied diverser transatlantischer Lobbygruppen wie der Atlantik-Brücke und der DGAP. Er berät die Bundesregierung seit über zehn Jahren in Fragen der Außenpolitik als Beirat der Bundesakademie für Sicherheitspolitik und war auch länger in Washington D. C. tätig. So entre nous und kurz vor Amtsübergabe kann man ja vielleicht ein bisschen mehr ausplaudern. Ist diese Einbindung in transatlantische Netzwerke und ein längerer Aufenthalt in Washington D. C., wie es bei Ihnen der Fall war, auch beim Merkelsprecher Ulrich Wilhelm und jetzt bei Kornelius, eigentlich eine Grundvoraussetzung, um Regierungssprecher in dieser Republik zu werden? Hebestreit
Ich denke, um das Amt des Regierungssprechers ausfüllen zu können, ist ein großes außenpolitisches Wissen eher von Vorteil. Dann kann man Dinge einordnen und fällt nicht so sehr auf Narrative fremder Nationen herein. Frage Jessen
Zukünftig wird es nicht nur den Sprecher geben, sondern auch stellvertretende Sprecherinnen und Sprecher. Das wird nach Lage der Dinge mindestens eine Person aus der SPD oder einer SPD-nahen Reihe sein. Darf man davon ausgehen, dass Sie gefragt wurden, wen Sie sich vorstellen könnten? Welche Empfehlungen haben Sie gegeben? Hebestreit
Für eine Sekunde dachte ich, Sie würden mich fragen, ob ich gefragt worden sei. Da bin ich kurz zurückgezuckt. Zusatz Jessen
Das wollte ich Ihnen nicht zumuten. Hebestreit
Herr Jessen, ich würde mich zu dieser Frage nicht äußern. Eine Aufstellung im Presse- und Informationsamt der Bundesregierung obliegt der künftigen Bundesregierung. Wenn man mich um meine Meinung gefragt hätte, dann hätte ich sie auch mitgeteilt. Aber selbst hätte ich sie mitgeteilt, würde ich das Ihnen vorenthalten. Frage Jessen
Aber hätte – der Konjunktiv – bedeutet ja, man hat sie nicht gefragt. Oder? Hebestreit
Da gibt es jetzt grammatikalisch zwei Möglichkeiten. Das ist die eine. Die andere ist der Konjunktiv, in dem Sie mich gefragt haben. Aber ich möchte so weit gehen, Herr Jessen, ich habe Sie nicht vorgeschlagen. Zusatz Jessen
Das beruhigt mich, danke. Frage Warweg
Eine grundsätzliche Verständnisfrage: Wir sehen auch hier in der Bundespresskonferenz regelmäßig diesen Drehtüreffekt, vom Journalismus auf die andere Seite und zurück. Jüngstes Beispiel ist Ihr Nachfolger. Da würde mich grundsätzlich interessieren: Wie bewerten Sie das mit Blick auf die letzten vier Jahre? Sehen Sie eher Vorteile darin, dass es diese Drehtür gibt? Oder würden Sie im Nachhinein sagen: Es ist eher problematisch, mit welcher Leichtigkeit Journalisten auf die andere Seite der Macht zur Exekutive wechseln? Hebestreit
Ich bin mir gar nicht sicher, ob ich Ihrer These der Drehtür so folgen würde. Ich glaube, das Amt des Regierungssprechers ist häufig von Journalistinnen und Journalisten übernommen worden, was auch ein bisschen damit zu tun hat, dass man dann weiß: Man ist ein Bindeglied zwischen Journalismus und Politik. Dass man einerseits die Politik kennt, ist, glaube ich, von Vorteil. Dass man andererseits aber auch den Journalismus kennt und weiß, wie der Journalismus funktioniert, welche Gesetzmäßigkeiten es gibt, worauf man achten muss, ist auch von Vorteil. Das muss aber jeder für sich selber entscheiden. Ich würde auch immer sagen, das sind unterschiedliche Berufe. Ich habe das einmal so gesagt: Wenn ich Fliesenleger war und hinterher Heizungsbauer werde, dann hilft mir auch, dass ich viele Dinge schon mitbringe, was das Reden auf der Baustelle angeht. Aber trotzdem mache ich einen ganz anderen Job mache und habe eine ganz andere Aufgabe. Das ist beim Regierungssprecher auch so. Insofern würde ich sagen: Es hilft, um die Zusammenhänge, die Anforderungen, die an einen gestellt werden, zu verstehen, aber es ist nicht unabdingbar. Man kann das auch anders angehen. Meine journalistische Phase war ja länger her, bevor ich diesen Job gemacht habe. Mein Vorgänger, Steffen Seibert, ist direkt aus dem Journalismus in die Politik gewechselt und hat das auch hervorragend hinbekommen. Insoweit gibt es da keinen Masterplan, sondern es ist immer sehr unterschiedlich. Aber es sind unterschiedliche Aufgaben. Der Journalismus ist für viele sicherlich eine Berufung, aber er ist auch ein Beruf. Den muss man lernen, und den muss man verstehen. Wenn man dann Regierungssprecher ist, ist man nicht mehr Journalist, sondern dann ist man Regierungssprecher, und dann hilft einem die journalistische Grundausbildung, aber das ist ein anderer Job. Zusatzfrage Warweg
Ihr Vornamensvetter – Sie hatten ihn schon erwähnt – ist dann Botschafter in Israel geworden. Die Frage liegt, glaube ich, in der Luft: Ist bei Ihnen schon der weitere Werdegang klar? Können Sie uns da ein bisschen mitnehmen, was Herr Steffen Hebestreit ab dem Juni so macht? Hebestreit
Ich habe gesagt, dass ich im Augenblick keinerlei Anschlussverwendung vor Augen habe. Ich mache Urlaub und freue mich, nach vielen Jahren der Arbeit in der Bundesregierung und vorher auch an anderer Stelle erst einmal etwas zu entspannen, und dann schauen wir einmal. Aber ich kann Ihnen sagen: Ich werde nicht Botschafter. Titelbild: Screenshot NachDenkSeiten, Bundespressekonferenz 30.04.2025 | Florian Warweg | Seit dem 29. April ist bekannt, wer der Nachfolger von Regierungssprecher Steffen Hebestreit wird: Stefan Kornelius, der bisherige Leiter des Politikressorts der Süddeutschen Zeitung (SZ). Die NachDenkSeiten wollten vor diesem Hintergrund wissen, was Hebestreit seinem Amtsnachfolger mit auf den Weg geben wird, ob er am Drehtüreffekt zwischen Journalismus und Politik auch problematische Seiten ... | [
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] | 02. Mai 2025 12:00 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=132391&share=email&nb=1 |
Das kritische Jahrbuch 2012/13 | Weil viele Leserinnen und Leser Texte aus den NachDenkSeiten aus dem letzten Jahr auch gerne schwarz auf weiß in der Hand haben möchten, wollen wir Ihnen auf vielfachen Wunsch die NachDenkSeiten zumindest in wichtigen Auszügen nun schon im sechsten Jahr auch in einem Buch zur Verfügung stellen. Damit Sie wissen welche Themen Sie im neuen kritischen Jahrbuch 2012/13 erwarten dürfen, können sie hier einen Blick auf das Inhaltsverzeichnis werfen. Albrecht Müller und Wolfgang Lieb | Wolfgang Lieb | Weil viele Leserinnen und Leser Texte aus den NachDenkSeiten aus dem letzten Jahr auch gerne schwarz auf weiß in der Hand haben möchten, wollen wir Ihnen auf vielfachen Wunsch die NachDenkSeiten zumindest in wichtigen Auszügen nun schon im sechsten Jahr auch in einem Buch zur Verfügung stellen. Damit Sie wissen welche Themen Sie im neuen kritischen Jahrbuch 2012/13 erwarten dürfen, können sie ... | [
"Das kritische Jahrbuch"
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"Aufbau Gegenöffentlichkeit",
"Veröffentlichungen der Herausgeber"
] | 25. Oktober 2012 14:34 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=14843&share=email&nb=1 |
Leserbriefe | In diesem Beitrag regt Albrecht Müller dazu an, sich die Rede des russischen Präsidenten Putin vom 25. September 2001 im Deutschen Bundestag anzuschauen oder zu lesen. Sie sei „ein bedeutsames historisches Dokument und zugleich ein Hinweis auf den seitdem eingetretenen Verlust an Vertrauen, an Zusammenarbeit und an Chancen für beständigen Frieden“. Inzwischen würden wir in einer anderen Welt, in einer Welt der Konfrontation leben. Wir haben hierzu interessante Leserbriefe erhalten. Danke dafür. Es folgt nun eine Auswahl, die Christian Reimann für Sie zusammengestellt hat. | NachDenkSeiten - Die kritische Website | [] | [] | 23. Februar 2024 11:46 | https://www.nachdenkseiten.de/?cat=103&paged=19 |
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Scrollen Sie gelegentlich ein bisschen zurück – es lohnt sich | Gerade habe ich das selbst ausprobiert. Die NachDenkSeiten sind reich an Informationen, Analysen, Gedanken. Beim Zurückscrollen fand ich beispielsweise am 23. April 2024: „Das Narrativ steht im Fokus“ usw. – Über den Wandel unserer Sprache. Und dann auch noch die Leserbriefe dazu. Das sind nur zwei von unzähligen interessanten Texten. Übrigens: Auch was NachDenkSeiten-Leserinnen und -Leser schreiben, ist in der Regel interessant und faktenreich. Wenn Sie dazu beitragen wollen, dass der Kreis der NDS-Leserinnen und -Leser weiter wächst, dann machen Sie bitte in Ihrem Freundes- und Bekanntenkreis auf unsere kritische Internetseite aufmerksam. | Redaktion | Gerade habe ich das selbst ausprobiert. Die NachDenkSeiten sind reich an Informationen, Analysen, Gedanken. Beim Zurückscrollen fand ich beispielsweise am 23. April 2024:
„Das Narrativ steht im Fokus“ usw. – Über den Wandel unserer Sprache.
Und dann auch noch die Leserbriefe dazu. Das sind nur zwei von unzähligen interessanten Texten. Übrigens: Auch was NachDenkSeiten-Leserinnen und -L ... | [
"in eigener Sache"
] | [
"Aufbau Gegenöffentlichkeit",
"Werbung für die NachDenkSeiten"
] | 19. Juli 2024 16:45 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=118372 |
Kabarett | Kurz bevor die Nation vom WM-Fieber gepackt wird und im großen politischen Sommerloch versinkt, schnüren Claus von Wagner und Max Uthoff noch ein satirisches Überlebenspaket. Zusammen mit Monika Gruber, Mathias Tretter und Philip Simon analysieren die beiden Anstaltsbesetzer gewohnt scharfzüngig und detailliert die brennendsten nationalen und internationalen Themen – am Dienstag, 27. Mai um 22.15 Uhr im ZDF. | [] | [] | 27. Mai 2014 15:41 | https://www.nachdenkseiten.de/?tag=kabarett&paged=6 |
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Robert Habeck und der Schutz der Handelswege – von welchen deutschen Schiffen ist hier eigentlich die Rede? | Am Wochenende stimmte nun auch der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck in den bellizistischen Katzenjammer ein, dass Deutschland die Handelswege „seiner“ Schiffe im Persischen Golf im Zweifel auch militärisch sichern müsse. Ähnlich lautende Forderungen gab es zuvor auch vom BDI. Dies ist problematisch, da das internationale Seerecht eine solche „Schutzmission“ ohne völkerrechtliches Mandat gar nicht vorsieht. Hinzu kommt ein Punkt, den vor allem die deutschen Reeder gerne bagatellisieren – die „deutsche Schiffe“, um die es hier geht, sind völkerrechtlich gar nicht „deutsch“. Dies ist eine Folge der Ausflaggungspraxis. Wer die Flagge wechselt, um Steuern zu sparen und seine Mitarbeiter besser ausbeuten zu können, hat auch das Recht verspielt, diplomatischen oder gar militärischen Schutz zu verlangen. Robert Habeck scheint dies anders zu sehen. Von Jens Berger. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download Die „deutsche Handelsflotte“ umfasst zur Zeit 2.051 Schiffe, von denen jedoch nur 305 auch wirklich unter deutscher Flagge fahren. 1.746 Schiffe deutscher Reeder fahren unter fremder Flagge. Besonders beliebt sind die Flaggen Antiguas und Liberias, die 554 bzw. 506 Schiffe deutscher Reeder schmücken. In Antigua oder Liberia muss übrigens kein deutscher Reeder vorstellig werden, um seine Schiffe auszuflaggen. Das Schifffahrtsregister Antiguas ist im niedersächsischen Oldenburg beheimatet, das liberianische Schifffahrtsregister residiert in Reston, im US-Staat Virginia. In Zeiten des Internets und global agierender Anwaltskanzleien gehört das Ausflaggen zum tagtäglichen Geschäft großer Reedereien. Dennoch ist dieser Trend vergleichsweise jung. Der Hauptgrund für die Ausflaggung ist die im Seehandel oft komplizierte Ermittlung und Zuordnung der wirtschaftlichen Gewinne. Schiffe sind qua Gesetz Territorium des Staates, unter deren Flagge sie fahren und müssten zumindest theoretisch auch in diesem Staat Steuern auf die erzielten Gewinne abführen. In der Praxis verhinderten jedoch die deutschen Finanzämter lange diese „Scheingeschäfte“. Der Startschuss für das große Ausflaggen deutscher Handelsschiffe fiel im Jahre 1999. Damals gab die rot-grüne Bundesregierung den Lobbyforderungen der Reeder nach, indem sie die Tonnagesteuer einführte. Bei der Tonnagesteuer entfällt die Besteuerung auf die tatsächlichen Gewinne aus dem Reedereigeschäft und wird durch eine – lächerlich geringe – Pauschalsteuer ersetzt, die sich auf die Tonnage der Schiffe bezieht. De facto stellt dies eine massive Steuersubvention für die Reeder und vor allem für die vermögenden Investoren dar, die sich über geschlossene Fonds an Schiffen beteiligen und deren Gewinne dank der rot-grünen Steuerreform nahezu steuerfrei sind. Neben der weitestgehenden Steuerbefreiung ist das Unterlaufen deutscher oder europäischer Sicherheits- und Arbeitsstandards ein Hauptmotiv für die Ausflaggung. Das fängt bei der Rentenversicherung und der Krankenversicherung an, geht beim Urlaubsanspruch und den Sozialleistungen weiter und endet bei berufsgenossenschaftlichen und arbeitsrechtlichen Regelungen. Für einen Seemann auf einem deutschen Schiff unter liberianischer Flagge gelten die Gesetze und Vorschriften Liberias. Völkerrechtlich ist die in Deutschland so populäre Ausflaggung jedoch ein einziger Graubereich. Auch wenn die Ausflaggung deutscher Schiffe gängige Praxis ist, so heißt dies nicht, dass sie damit auch legal ist. Das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen sieht vor, dass jedes Schiff in dem Staat registriert sein muss, von dessen Hoheitsgebiet aus es betrieben wird. Um die offensichtliche Verletzung des Seevölkerrechts zu umgehen, nutzen die Reeder mit tatkräftiger Unterstützung des Bundesverkehrsministeriums eine „Gesetzeslücke“, die aus Zeiten stammt, in denen es den deutschen Reedern tatsächlich nicht gut ging. Paragraph 7 des Flaggenrechtsgesetzes gestattet eine auf maximal zwei Jahre befristete Ausflaggung, wenn das Schiff an einen ausländischen Betreiber verliehen wird. Diese “Bareboat-Charter” war jedoch als Ausnahmeregelung für wirtschaftlich angeschlagene Reedereien gedacht. Aus der Ausnahme wurde jedoch die Regel – obgleich es den deutschen Reedereien wirtschaftlich prächtig geht, wurde in den letzten Jahren kein einziger diesbezüglicher Antrag abgelehnt. Interessanterweise interpretieren die deutschen Finanzämter die „Bareboat-Charter“ bei der Einkommensteuererklärung deutscher Seeleute gänzlich anders. Die sind nämlich nicht in Antigua oder Liberia, sondern in Deutschland steuerpflichtig, da die Finanzbehörden hier die „Bareboat-Charter“ als „offensichtliches Scheingeschäft“ einordnen. Man kennt es ja: quod licet Iovi, non licet bovi. Besonders interessant wird die Ausflaggung völkerrechtlich, wenn es zu Problemen kommt. Dies wurde abermals deutlich, als zwei Tanker vor wenigen Wochen im Golf von Oman unter dubiosen Umständen angegriffen wurden. Zwar sprachen die Medien gleich von einem deutschen und einem norwegischen Schiff. Doch so einfach stellt sich die Situation keinesfalls dar. Die angegriffene Kokuka Courageous gehört einer Briefkastenfirma aus Panama City, fährt unter der Flagge Panamas und wird im Auftrag der japanischen Reederei Kokuka Sangyo von einem deutschen Schiffsmanagement-Dienstleister über seine Tochter aus Singapur betrieben. Die Front Altair gehört einer Briefkastenfirma aus Liberia, die wiederum einer Holding aus Zypern gehört, an der der norwegische „Tankerkönig“ Fredriksen 51% der Anteile hält. Betrieben wird die Altair von Frederiksens Reederei Frontline, die ihren Sitz auf den Bermudas hat, und fährt unter der Flagge der Marschallinseln. Welche Nationalität haben diese beiden Schiffe? Völkerrechtlich zählt hier ausschließlich die Flagge. Es wurden also zwei Schiffe aus Panama und den Marschallinseln angegriffen und nur diese beiden Staaten können als Betroffene völkerrechtlich auf den Plan treten. Ähnlich ist die Gemengelage bei der aktuellen Debatte um „deutsche Handelsschiffe“, die durch eine „Schutzmission“ im Persischen Golf geschützt werden sollen. Aus Regierungskreisen werden hier vor allem die Schiffe der Hapag-Lloyd genannt, die regelmäßig die Straße von Hormus passieren. Hierbei geht es speziell um die Schiffe der ehemaligen United Arab Shipping Company, die 2017 mit der Hapag-Lloyd fusionierte. Jedoch handelt es sich bei den UASC-Schiffen der Hapag-Lloyd nicht um „deutsche Handelsschiffe“. Die UASC-Schiffe fahren allesamt entweder – wie beispielsweise die Al Nefud – unter der Flagge Maltas oder – wie beispielsweise die Al Rawdah – unter der Flagge der Marshallinseln. Für eine „Schutzmission“ wäre also nicht die Bundesregierung, sondern die Regierungen Maltas und der Marshallinseln zuständig. Deutschland ist in diesem Kontext tatsächlich nur ein unbeteiligter Drittstaat, der völkerrechtlich kein Mandat hat, mit militärischen Mitteln eine wie auch immer geartete „Schutzmission“ vorzunehmen. Eigentlich müssten die deutschen Lobbyisten daher auch in Liberia, Antigua, den Marshallinseln oder Malta vorsprechen. Aber warum in die Ferne schweifen, wenn der Grüne liegt so nah? Dass Grüne wie Robert Habeck völkerrechtliche Fragen konsequent ausblenden, gehört zur tristen Realität, an die man sich schon gewöhnt hat. Das konkrete Beispiel zeigt jedoch auch, dass Habeck und Co. nicht nur die Erosion des Völkerrechts, sondern auch die Logik des Neoliberalismus schon lange akzeptiert haben. Wenn Reeder und Inhaber ihre Renditen auf dem Rücken ihrer Mitarbeiter und zu Lasten des Steuerzahlers maximieren wollen und dafür ihre Schiffe ausflaggen, haben sie auch jeden Anspruch auf Schutz durch den deutschen Staat verloren. Wer sich aus Gewinnstreben aus der Solidargemeinschaft ausklinkt, der muss auch mit den Folgen leben. Wenn Robert Habeck diese simplen Regeln verdrängt hat, hat er offenbar die immanente Logik der Neoliberalismus schon tief verinnerlicht. Titelbild: 360b/shutterstock.com | Jens Berger | Am Wochenende stimmte nun auch der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck in den bellizistischen Katzenjammer ein, dass Deutschland die Handelswege „seiner“ Schiffe im Persischen Golf im Zweifel auch militärisch sichern müsse. Ähnlich lautende Forderungen gab es zuvor auch vom BDI. Dies ist problematisch, da das internationale Seerecht eine solche „Schutzmission“ ohne völkerrechtliches Mandat gar ni ... | [
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] | 06. August 2019 9:26 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=53981&share=email&nb=1 |
Virenerkrankung | Wieder wird ein wohlbekanntes Argument der Kritiker der Corona-Politik von Forschungen bestätigt: PCR-Tests allein haben eine zu geringe Aussagekraft und die Test-Ergebnisse allein seien als Grundlage für Pandemie-Maßnahmen nicht geeignet, sagt eine neue Untersuchung der Universität Duisburg/Essen. Nach den teils dramatisierten Zahlen bei den Intensivbetten steht damit ein weiterer zentraler Aspekt der Lockdown-Begründung unter starkem Vorbehalt. Von Tobias Riegel. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. | [] | [] | 21. Juni 2021 9:24 | https://www.nachdenkseiten.de/?tag=virenerkrankung&paged=17 |
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Deutschland – Diener und Opfer der USA | Es wird immer deutlicher, dass Deutschland eines der größten Opfer der US-Politik ist, die ihre globale Hegemonie um jeden Preis aufrechterhalten will. Die derzeitige Machtelite in Berlin beteiligt sich wie ein Selbstmörder an der Schwächung des eigenen Landes und an der Zerstörung der deutschen Wirtschaft – ebenso, wie Ursula von der Leyen, die an der Spitze der Europäischen Union steht, zunehmend US-amerikanischen Interessen dient. Aber die durch die Medien umerzogene und handzahm gemachte deutsche Gesellschaft wacht allmählich auf und erkennt die wirtschaftlichen und sozialen Folgen dieser Vasallenpolitik, die zunehmend zu einer existenziellen Frage werden. Von Gábor Stier, Übersetzung von Éva Péli. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download Für Ungarn, das tausendfach mit der deutschen Wirtschaft verbunden ist, ist der Umgang der Berliner Regierung mit der sich verschärfenden wirtschaftlichen, sozialen und politischen Krise von großer Bedeutung. Diese Krise wurde vor allem durch die aggressive Politik der Vereinigten Staaten ausgelöst und zielt darauf ab, deren hegemoniale Rolle im verschärften Wettbewerb um die Umgestaltung der Weltordnung aufrechtzuerhalten. Mit dem Ausbruch des Ukraine-Krieges setzte Washington der in den letzten Jahren mancherorts wieder aufkeimenden europäischen Eigenständigkeit und dem Ungehorsam ein Ende und reihte den westlichen Block hinter sich auf. Die europäische Elite, die die vier Jahre der Präsidentschaft Donald Trumps mit dem In-sich-Kehren der USA und ihrer Hinwendung nach Asien als Tragödie erlebt hatte, war daran beteiligt und wurde durch den Wahlsieg Joseph Bidens und damit die Rückkehr der Schirmherrschaft Washingtons erleichtert. Doch in der neuen Situation lässt sich das Weiße Haus teurer als zuvor für die Aufrechterhaltung eines Schutzschirms über Europa bezahlen. Es drängt Europa dazu, die Ukraine militärisch und finanziell zu unterstützen – eine wachsende finanzielle Belastung, welche die Wohlstandsära in Westeuropa endgültig beendet hat. Der Hauptgrund dafür ist, dass die EU blindlings eine Reihe von Sanktionen gegen Russland verhängt und dabei ihre eigenen Interessen ignoriert und sogar die Erwartungen der USA übertroffen hat. Damit ist eines der wichtigsten Standbeine der europäischen Wettbewerbsfähigkeit weggebrochen. Nach fast zwei Jahren ist die Europäische Union dabei, den Wirtschaftskrieg mit Russland zu verlieren. Das gilt vor allem für Deutschland, einst die „Lokomotive” der Europäischen Union, die sich immer mehr zum „kranken Mann” Europas entwickelt. Deutschlands derzeitige Regierung scheint nicht zu sehen – oder will nicht sehen –, dass Washington das vor einem Jahrhundert gesetzte strategische Ziel erreicht hat. Paradoxerweise haben die USA mit deutscher Mitwirkung die beiden Pole des eurasischen geopolitischen Raums, Russland und die EU, für lange Zeit gegeneinander ausgespielt. Indem verhindert wird, dass europäische Technologie in den Osten und russische Energielieferungen nach Europa gelangen – oder nur zu einem enormen Aufpreis –, werden beide Seiten geschwächt. Eines der strategischen Ziele der USA ist durch den Krieg also bereits erfüllt, denn er hält Deutschland unten und verbrennt die Ressourcen Russlands. Aber nicht nur die deutsche Regierung, die schwächste seit Langem, sondern auch die Führung der Europäischen Union ist ein Partner in diesem Bestreben. Wenn sich der gegenwärtige Trend nicht umkehrt, wird die EU nicht nur als geopolitischer Pol, sondern auch als Wirtschaftsmacht aufhören zu existieren. Danach sollten wir uns nicht wundern, wenn sie selbst unbedeutend wird. Sie würde zwar nicht aufhören zu existieren, aber sie würde zu einem belanglosen Organ reduziert werden. Und das kann weder im ungarischen noch im europäischen Interesse sein. Von der Leyens größtes Vergehen Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, trägt eine große Verantwortung für diese Abwärtsspirale. Das größte Vergehen der deutschen Politikerin besteht nicht einmal darin, dass sie und ihr Ehemann, ein leitender Angestellter von Pfizer, während der Pandemie unter einer Decke steckten, indem sie die EU in ein globales Korruptionsnetz hineinzogen und den osteuropäischen Ländern einen „Impfstoff” aufzwangen, den zu diesem Zeitpunkt kein Mensch mehr brauchte. Damit hat sie diese Länder geschwächt, genauso wie sie sie geschwächt hat, indem sie den ukrainischen Getreideexport gegen den Willen der Mitteleuropäer durchgeboxt hat – die oft beschworene und geforderte Solidarität über Bord werfend –, was die Landwirtschaft der Region zerstört und das Leben der Bauern unmöglich macht. Vielleicht dachte sie, so könne sie diese rebellische mitteleuropäische Region zähmen. Was sie mit dem Drängen der Ukraine und der Republik Moldau zum EU-Beitritt erreichen will, möchte ich mir gar nicht ausmalen. Ein übereilter Schritt würde die Existenz der Europäischen Union gefährden. Es diente auch nicht der Stärkung Europas, als sie sich neben Emmanuel Macron in Peking hereinschlich, um dort, statt die Beziehungen zwischen Europa und China zu verbessern, sie im Gegenteil zu verschlechtern. Die Beispiele ließen sich fortsetzen, aber auch ohne sie kann man verstehen, warum viele Menschen, sogar innerhalb der Europäischen Kommission selbst, denken, dass Ursula von der Leyen eine Dienerin US-amerikanischer Interessen ist. Angesichts des Einflusses, den sie als Chefin der Kommission auf die Gegenwart und Zukunft der Europäischen Union hat, muss die Gefahr von von der Leyens Handeln ernst genommen werden. Die EU wäre gut bedient, wenn Ursula von der Leyen als Belohnung den Posten des NATO-Generalsekretärs bekäme, wo bekanntlich immer „Uncle Sam” das Sagen hat. Deutschland vor dem Absturz Aber kehren wir zu Deutschland zurück, dessen Schicksal auch die Zukunft der Europäischen Union grundlegend bestimmen wird. Wir können uns überhaupt nicht darüber freuen, dass die deutsche Regierung einen Fehler nach dem anderen macht, dass Olaf Scholz ein schwacher Kanzler ist, die Krawalle seines Koalitionspartners, der Grünen, nicht in den Griff bekommt und nur so vor sich hindümpelt, während die Wirtschaft hustet und an Wettbewerbsfähigkeit verliert. So ist es verständlich, dass er sich dem US-Diktat nicht widersetzen kann. Deutschland steckt in Schwierigkeiten – in großen Schwierigkeiten. Das Migrantenproblem wird immer akuter, und die Regierung ist sich dessen bewusst, aber unfähig, etwas dagegen zu tun. Das Land steht auch unter dem Druck einer ausufernden Bürokratie und einer alternden Bevölkerung. Darüber hinaus befindet sich die Wirtschaft im Sturzflug. Dies sind Probleme, die systemische Reformen erfordern, aber davon bisher keine Spur. Laut der Vorhersage des Internationalen Währungsfonds (IWF) könnte Deutschland das einzige Land der G7 sein, dessen Wirtschaft in diesem Jahr nicht wachsen wird. Die Wirtschaftstätigkeit befindet sich auf einem Dreijahrestief, und einige Unternehmen haben bereits ihren Standort in die USA verlagert. Vor allem die chemische Industrie leidet. Die teure Energie erstickt sie. Was das relativ billige russische Gas wirklich für die Wettbewerbsfähigkeit bedeutet, zeigt sich jetzt. Aber die USA haben die Bundesrepublik mit diesem Krieg von den russischen Energielieferungen abgeschnitten. Natürlich hat Washington auch nicht daran gedacht, dass dadurch China und Indien in Stellung gebracht würden – und um sicherzugehen, hat es sogar die Nord-Stream-Pipeline in die Luft gejagt. Jetzt schiebt es das auch noch den Ukrainern in die Schuhe – und die deutschen Politiker schweigen. Allein der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer fordert die Wiederherstellung der gesprengten Nord Stream 2 und die Wiederinbetriebnahme von Atomkraftwerken. Aber inmitten der grünen Revolution und des tief sitzenden Russlandfeindlichkeit ist dies undenkbar. Diese Politik ist außerdem so heuchlerisch, dass sie in der Not die schädliche Gase spuckenden Kohlekraftwerke wieder hochfährt und die noch nicht sanktionierten russischen LNG auch weiterhin zukaufen lässt – und das in beachtlichen Mengen. Währenddessen kann die EU dazu genutzt werden, mit Verweis auf den „grünen Übergang” den Partnerländern für sie ungünstige Vorschriften und Parameter aufzuerlegen. Auf diese Weise verbessern sie bis zu einem gewissen Grad die regionale Wettbewerbsfähigkeit ihrer Unternehmen. Deutschlands Politiker machen mit anderen europäischen Ländern dasselbe, was die US-Amerikaner mit ihnen machen. Aber dieser Amoklauf kann nicht ewig weitergehen, auch nicht in einem Deutschland mit angekratzter Identität. Immer mehr Deutsche, die die Situation zunehmend als existenzielle Herausforderung begreifen, brechen aus ihren ideologischen Zwangsjacken aus. Ein offensichtliches Zeichen dafür ist die wachsende Unzufriedenheit und der deutliche Popularitätsanstieg der AfD, die bisher politisch unter Quarantäne stand. Die oft geschmähte und geächtete rechtskonservative Partei ist jetzt gleich nach den Christdemokraten (CDU) die zweitstärkste Partei. Das bedeutet nicht, dass sie in die Regierung eintreten wird – die über ein Verbot nachdenkende Macht hat die Geheimdienste auf sie losgelassen –, aber ihre wachsende Popularität zeigt eine Veränderung der Stimmung in der Gesellschaft. Es wird immer häufiger von einem möglichen Bruch der Koalition gesprochen. Irgendjemand muss die politische Verantwortung für diesen Tiefflug tragen. Der Artikel ist ursprünglich auf dem ungarischen Portal Moszkvater erschienen. Titelbild: Shutterstock / Flags Stock | Gábor Stier | Es wird immer deutlicher, dass Deutschland eines der größten Opfer der US-Politik ist, die ihre globale Hegemonie um jeden Preis aufrechterhalten will. Die derzeitige Machtelite in Berlin beteiligt sich wie ein Selbstmörder an der Schwächung des eigenen Landes und an der Zerstörung der deutschen Wirtschaft – ebenso, wie Ursula von der Leyen, die an der Spitze der Europäischen Union steht, zune ... | [
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] | 06. Dezember 2023 9:00 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=107760&share=email&nb=1 |
Termine in Stuttgart 18.4. und Leipzig 30.4. mit AM | Albrecht Müller kann die beiden Termine, an denen auch andere mitwirken, wahrnehmen. Näheres hier. | Albrecht Müller | Albrecht Müller kann die beiden Termine, an denen auch andere mitwirken, wahrnehmen. Näheres hier. | [
"Müller, Albrecht"
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"Das kritische Tagebuch",
"Veranstaltungshinweise/Veranstaltungen"
] | 13. April 2010 10:03 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=5184&share=email&nb=1 |
Tilo Gräser | Tilo Gräser, geboren 1965, ist Diplom-Journalist. Er hat als Korrespondent für RIA Novosti Deutschland/Sputniknews gearbeitet und war bereits für verschiedene Medien und als Pressesprecher tätig. Seine Schwerpunkte sind Politik, Soziales und Geschichte. | [] | [] | 28. April 2023 11:00 | https://www.nachdenkseiten.de/?gastautor=tilo-graeser&paged=3 |
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Konstantin Wecker – ein selten verlässlicher und kreativer Partner der Aufklärung | Vorgestern Abend Marius Müller-Westernhagen bei Reinhold Beckmann mit den üblichen Sprüchen: die sozialdemokratisierte Angela Merkel. Wenn man diese nachgeplapperten Elemente einer bewusst inszenierten Imagekampagne hört und dann auch noch von N24.de an das Günter-Grass-Lob für Schröders Agenda 2010 erinnert wird, dann weiß man, was wir an Konstantin Wecker haben – einer aus der Kulturszene, der sich noch seine eigenen Gedanken macht. Albrecht Müller
Das gilt auch für Urban Priol, Georg Schramm, Jürgen Becker, Volker Pispers, Hagen Rether, und einige mehr, immer noch auch für Dieter Hildebrandt. (Gestern abend übrigens, um 22.15 „Neues aus der Anstalt“ im ZDF, hier online abrufbar) Es sind auch bei Kultur und Unterhaltung nicht mehr so sehr viele, die nicht im neoliberalen Brei eingebunden sind. Konstantin Wecker bürstet verlässlich gegen den Strich. Er zieht am gleichen Strang wie die NachDenkSeiten. Und hilft z.B. Studenten bei ihrer schwierigen Aufklärungsarbeit. Hier konkret in Bamberg am 24. Oktober beim “Aktionstag für Bildungsgerechtigkeit” Informationen dazu einschließlich eines kurzen Videos. Für Interessierte ein paar Kostproben, altes und neueres von Konstantin: Konstantin Wecker schätzt die Rolle der penetranten Meinungsbeeinflussung ähnlich ein wie wir. Deshalb gibt es seinen Blog. Dort wird öfter auf NachDenkSeiten verwiesen und auf Beiträge von uns verlinkt. Konstantin Wecker geht dort jetzt neue Wege – mit einem Tagebuch per Video. Sein Urteil über „Meinungsmache“: (E-Mail vom 9.9.2009) Da ich Konstantin W. auch in Sachfragen für kompetent halte, freut mich sein Urteil besonders. | Albrecht Müller | Vorgestern Abend Marius Müller-Westernhagen bei Reinhold Beckmann mit den üblichen Sprüchen: die sozialdemokratisierte Angela Merkel. Wenn man diese nachgeplapperten Elemente einer bewusst inszenierten Imagekampagne hört und dann auch noch von N24.de an das Günter-Grass-Lob für Schröders Agenda 2010 erinnert wird, dann weiß man, was wir an Konstantin Wecker haben - einer aus der Kulturszene, d ... | [
"Wecker, Konstantin"
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"Aufbau Gegenöffentlichkeit"
] | 21. Oktober 2009 11:14 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=4276&share=email |
PSOE | In einem Kommuniqué gab das spanische Königshaus die „Entscheidung von Juan Carlos I.“ bekannt, das Land zu verlassen, „wegen der öffentlichen Auswirkungen, die bestimmte Ereignisse in meinem Privatleben in der Vergangenheit hatten“, wie der emeritierte König dies in einem angeblichen Brief an seinen Sohn Felipe VI. zum Ausdruck gebracht haben soll. Diese „vergangenen Ereignisse in meinem Privatleben“ beziehen sich auf Dutzende von Korruptionsskandalen und sonstige Eskapaden von Juan Carlos, die nach und nach ans Licht gekommen sind. Juan Carlos verließ das Land allein, ohne seine Frau Sofia und ohne sich von ihr zu verabschieden. Denn von Sofia, die seine zahlreichen Korruptionsaffären und sexuellen Eskapaden stoisch ertragen musste, hatte er sich de facto schon seit vielen Jahren verabschiedet. Von Marco Wenzel. | [] | [] | 11. August 2020 9:00 | https://www.nachdenkseiten.de/?tag=psoe |
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Demokratie | RT DE – früher RT deutsch – will ab dem 16. Dezember über einen Satelliten ein Fernsehprogramm in deutscher Sprache ausstrahlen. Der Weg zum RT-DE-Fernsehen war lang und steinig. Seit dem Start des vom russischen Staat finanzierten Internetportals RT deutsch in Berlin-Adlershof 2014 laufen in den großen deutschen Medien immer neue Kampagnen gegen den russischen Konkurrenten, der sich erfolgreich im deutschen Medienmarkt behauptet. YouTube löschte den Kanal von RT DE und die deutschen Behörden verweigerten eine Sendelizenz. Man muss nicht mit allem einverstanden sein, was RT DE bringt, aber für mich ist offensichtlich, dass es den Prinzipien von Demokratie und Meinungsfreiheit widerspricht, den von Moskau finanzierten Sender aus der deutschen Gesellschaft auszuschließen. Eine Analyse von Ulrich Heyden, Moskau. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. | NachDenkSeiten - Die kritische Website | [] | [] | 16. Dezember 2021 8:54 | https://www.nachdenkseiten.de/?cat=124&paged=58 |
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Ulrich Teusch: „Ich mache mir Sorgen um den demokratischen Rechtsstaat“ | Politische Angst: Das ist es, was der Journalist und Autor Ulrich Teusch zum ersten Mal in seinem Leben während der Corona-Krise verspürt hat. Und das hat seinen Grund: „Es geht in diesem Land vielfach nicht mehr mit rechtsstaatlichen Dingen zu. Wir erleben eine Krise der Verfassung, des Rechtsstaats, der Rechtsprechung, der Rechtssicherheit“, sagt Teusch im Interview mit den NachDenkSeiten. Ein Interview über sein Buch „Politische Angst – Warum wir uns kritisches Denken nicht verbieten lassen dürfen“, den Freiheitsbegriff und darüber, was er unter „Antipolitiker“ versteht. Von Marcus Klöckner.
„Man nahm mir meine Grundrechte. Selbst auf das Recht, Rechte zu haben, war kein Verlass mehr.“
Herr Teusch, das schreiben Sie in Ihrem aktuellen Buch. Was ist der Hintergrund dieser Aussagen? Ich mache mir Sorgen um den demokratischen Rechtsstaat, wobei mein Akzent weniger auf „demokratisch“ als auf „Rechtsstaat“ liegt. Was seit anderthalb Jahren in diesem Land und in ähnlicher Weise in anderen Ländern stattfindet, mag demokratisch legitimiert sein. Immerhin sind die meisten Exekutiven ja frei gewählt, und glaubt man Umfragen, dann erfreuen sie und ihre „Maßnahmen“ sich immer noch einer breiten Zustimmung der Bevölkerung. Anders sieht es mit dem Rechtsstaat aus: Viele Grundrechte wurden faktisch außer Kraft gesetzt. Es wird der Eindruck erweckt, als sei es völlig in Ordnung, den Bürgern Rechte zu nehmen und sie ihnen – unter von der Exekutive diktierten Bedingungen – irgendwann (vielleicht) wieder zurückzugeben. Welches Grundrechtsverständnis offenbart sich da? Inzwischen kann man feststellen: Es geht in diesem Land vielfach nicht mehr mit rechtsstaatlichen Dingen zu. Wir erleben eine Krise der Verfassung, des Rechtsstaats, der Rechtsprechung, der Rechtssicherheit. Die Judikative, angefangen beim Bundesverfassungsgericht, macht eine erbärmliche Figur. Und die wenigen rühmlichen Ausnahmen – etwa in Weimar – werden in ungehöriger Weise unter Druck gesetzt. Das sind unglaubliche Vorgänge. Wo soll das hinführen, wo soll das enden? Ihr Buch heißt „Politische Angst“. Mir ist aufgefallen, dass Sie recht offen über Ihre Ängste schreiben… Ja, das ist ein sehr persönliches Buch, jedenfalls über weite Strecken. Das heißt: Ich berichte viel von eigenen Erlebnissen, Erfahrungen, Empfindungen, und ich glaube, dass vieles von dem, was ich da schreibe, repräsentativ ist, also von vielen anderen Menschen so oder ähnlich auch erlebt, erfahren und empfunden wurde (und wird). Ich hoffe, dass sich die Leserinnen und Leser in dem Text wiedererkennen und er ihnen vielleicht hilft. Was die Angst betrifft: Ich schreibe in der Tat ziemlich offen über meine Ängste. Es hat mich einige Überwindung gekostet, das zu tun, mich also in dieser Weise zu offenbaren. Aber es ist, glaube ich, einfach notwendig. Es hat keinen Sinn, Normalität vorzutäuschen, wo keine mehr ist. Was hat es denn nun mit der politischen Angst auf sich? Und warum haben Sie diese verspürt – zum ersten Mal in Ihrem Leben, wie Sie schreiben? Zunächst: Angst ist natürlich ein großes Thema und dieses Thema hat viele Dimensionen und Facetten. Wir wissen mindestens seit Machiavelli und Hobbes, dass Angst ein überaus effektives Herrschaftsmittel ist. Die entsprechenden Machttechniken wurden im Lauf der Geschichte stetig perfektioniert. Sie werden auch gegenwärtig wieder eingesetzt. Das ist vielfach beschrieben und analysiert worden, zuletzt etwa von Rainer Mausfeld, Hannes Hofbauer und anderen. Es bleiben jedoch Fragen: Warum lassen sich Menschen überhaupt (und so leicht) ängstigen? Warum geben die meisten von ihnen dem Druck immer wieder nach? Warum opfern sie ihre individuelle Freiheit allzu oft einer trügerischen Sicherheit? Und warum sind wenige andere standhaft? Was mich selbst betrifft: Ich habe es in der Tat im Zuge der Corona-Krise zum ersten Mal in meinem Leben mit politischer Angst zu tun bekommen. Bis dahin kannte ich auf politischem Feld nur Sorge, Anspannung, Ärger, Empörung. Nie fühlte ich mich unmittelbar und persönlich bedroht. Nun jedoch überwältigten mich die schlagartigen, herrischen politischen Eingriffe in mein Leben. Das kam alles plötzlich, unerwartet – und meine emotionale Reaktion darauf hat mich überrascht. Warum hat sie das überrascht? Weil meine Ichwerdung, meine Individuation, eigentlich erfolgreich verlaufen ist. Ich habe eine stabile, selbstbewusste Persönlichkeit ausgebildet. Individuelle Freiheit und Autonomie gehen mir über alles. Und ich litt nie darunter, dass ich mit meinen politischen Ansichten meist zu einer kleinen Minderheit gehörte, dass mich mein Individualismus also möglicherweise zum gesellschaftlichen Außenseiter stempelte. Politisch „nicht anschlussfähig“ zu sein, war für mich nichts Ungewöhnliches. Damit kam ich klar. Doch das hatte sich jetzt geändert. Zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich das Gefühl, dass ich einen hohen Preis für meine Freiheit zahlen musste. Das Gefühl, politisch allein, einsam, isoliert zu sein, dieses Gefühl stellte sich jetzt dauerhaft ein und zudem mit einer Intensität, die mir bis dahin unbekannt war. Es wurde noch absichtsvoll verstärkt durch die staatlich verordneten Kontaktverbote und -einschränkungen. Ich kam mir verloren vor, aus der Zeit gefallen, fühlte mich unfrei. Meine Angst war politisch begründet. Ja, ich empfand politische Angst. Und ich tue es nach wie vor. Würden Sie für uns einordnen, wie Sie die Zeit seit März 2020 erlebt haben? Was ist da passiert? In einem der Anfangskapitel des Buches erzähle ich ja recht ausführlich und in anonymisierter Form die dramatische, authentische Geschichte einer vierköpfigen Familie. Diese Familie wurde nicht Opfer von Corona, sondern der „Maßnahmen“ gegen Corona. Sie ist haarscharf an einer Katastrophe vorbeigeschlittert. Schicksale dieser Art gibt es zuhauf, auch noch deutlich schlimmere. Sie gehen vermutlich allein in diesem Land in die Millionen. Das alles hätte es nicht geben dürfen und dürfte es nicht geben. Womit ich Ihre Frage schon beantwortet habe: Ich halte den staatlich-administrativen Umgang mit „Corona“ für vollkommen einseitig, kontraproduktiv, verfehlt. Die Folgen sind katastrophal und werden uns noch lange, sehr lange in Atem halten. Halten wir doch mal auseinander, wie sich die Verantwortlichen auf politisch-administrativer Seite samt ihrer Experten verhalten haben und wie die Bürger reagiert haben. Plötzlich haben Politiker – im Namen der Sicherheit – die Grundrechte massiv eingeschränkt. War das für Sie nachzuvollziehen? Nein, das war für mich von Anfang an nicht nachvollziehbar. Ich glaube auch nicht (mehr), dass die drastischen Eingriffe lediglich unserer Sicherheit und Gesundheit dienen sollten. Sondern? Der sozialen Kontrolle. Es handelte sich um gezielt repressive Maßnahmen. Wer das nicht glauben will, sollte mal kurz kontrafaktisch denken und sich vorstellen, die Abwehr- und Schutzmaßnahmen wären tatsächlich in bester Absicht ergriffen worden, also allein der brennenden Sorge um unser aller Gesundheit, unser aller Leben geschuldet gewesen. Nehmen wir an, diese rein mitmenschliche, uns allen zugewandte Haltung wäre der maßgebliche politische Ansatz der Obrigkeiten gewesen. Wie hätten sie, also die Obrigkeiten, in diesem Fall die von ihnen für erforderlich gehaltenen „Maßnahmen“ gegenüber der Öffentlichkeit, also uns, kommuniziert und begründet? Die Antwort liegt auf der Hand: Sie hätten sie gänzlich anders kommuniziert, gänzlich anders begründet, als sie es tatsächlich getan haben. Sie hätten ein völlig anderes gesellschaftliches Klima erzeugt. Sie hätten auf Freiwilligkeit gesetzt, hätten mit guten Argumenten und mit Geduld zu überzeugen versucht, hätten mit Anreizen gearbeitet etc. Obwohl man also mit der Krise auch ganz anders hätte umgehen können, ist man mit ihr genau so und nicht anders umgegangen: nämlich autoritär und repressiv. Das war kein Fehler und kein Versehen – es war Absicht. Und es erlaubt Rückschlüsse auf die Motivlage der politisch Verantwortlichen. Zudem nimmt das Ganze kein Ende: Der Deutsche Bundestag beharrt mit seiner Mehrheit und mit ebenso abenteuerlichen wie lächerlichen Begründungen darauf, dass wir uns weiterhin in einer „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ befänden. Das grenzt an Willkür. Und wenn man auf der Basis von Willkür herrscht, landet man irgendwann bei der Willkürherrschaft. Zu den Bürgern. Masken, Abstandsgebote, Ausgangssperre, Tracking- oder Tracing-App: All das wurde weitestgehend hingenommen. Erstaunlich, oder? Ich nehme eine tiefe Spaltung der Gesellschaft wahr: Wir haben eine Minderheit, die unter den Zumutungen des repressiven Maßnahmenstaates leidet und sich so gut es geht gegen sie auflehnt. Dieser gegenüber steht ein großer Teil der Bevölkerung – ich weiß nicht, ob es (noch) die Mehrheit ist – der sich der offiziellen Corona-Politik bereitwillig angeschlossen und die diversen „Maßnahmen“ mitgetragen hat. Diese Menschen hatten offenkundig kein Problem damit, dass zahlreiche Grundrechte flächendeckend außer Kraft gesetzt wurden. Sie glaubten an den Ernst der Lage und an die ungeheure Gefährlichkeit des „neuartigen“ Virus. Sie glaubten auch den im Panikmodus berichtenden Altmedien. Wie erklären Sie dieses Verhalten? Sie meinen die Affirmation, die Anpassung, den Konformismus? Ich folge da Erich Fromm, auf den ich ja im Buch öfter Bezug nehme. Ich vermute, dass ein so großer Teil der Bevölkerung sich der neuen Normalität auch deshalb so bereitwillig und zuverlässig fügte und fügt, weil er Angst davor hat, zur Minderheit zu gehören und im Ernstfall alleinzustehen. Weil er sich vor einer abweichenden Positionierung fürchtet. Weil ihm die Last der Freiheit zu schwer wäre. Er geht konform, um diese Last abzuschütteln. Es handelt sich also möglicherweise um ein Fluchtverhalten. Fromm bezeichnet diesen Menschentypus, diesen Charakter als „autoritär“… Ja, Menschen dieses Typs bewundern die Autorität und sind bereit, sich ihr zu unterwerfen, möchten aber gleichzeitig selbst eine Autorität sein, der sich die anderen zu unterwerfen haben. Sie kennen nur Macht und Ohnmacht, nur Herrschen und Beherrscht-Werden – aber niemals Solidarität. Der autoritäre Charakter, sagt Fromm, habe sogar eine regelrechte Affinität zu Lebensbedingungen, welche die menschliche Freiheit einschränken. Er liebe es, sich dem Schicksal zu ergeben. Dies mache seinen „Heroismus“ aus. Sie haben viel über den Begriff Freiheit nachgedacht. In den Medien war der Tenor in etwa wie folgt: In einer Gesellschaft müssen alle aufeinander Rücksicht nehmen. Das Freiheitsbedürfnis des einzelnen Bürgers muss da zurückstehen, wo die eigene Freiheit ein Problem für die anderen Bürger mit sich bringt.
So einfach ist es dann aber doch nicht, oder? Dass alle aufeinander Rücksicht nehmen sollten, ist ja nicht falsch. Die Betonung liegt aber auf „alle“. Solidarität ist keine Einbahnstraße. Wenn zum Beispiel gesagt wird, „Jeder Corona-Tote ist einer zu viel“, dann gilt auch: „Jeder Maßnahmen-Tote ist einer zu viel.“ Auch in einer schweren Krise müssen wir in der Lage sein, alle mit ins Boot zu holen, Kompromisse zu schließen, einen modus vivendi zu finden. Mit einem virologischen Tunnelblick kann man keine komplexe Gesellschaft steuern. Dazu braucht es einen breiten gesellschaftlichen Diskurs, bei dem sich niemand ausgeschlossen fühlen darf. Leider hat in den vergangenen anderthalb Jahren so ziemlich das Gegenteil stattgefunden. Sie führen in Ihrem Buch einen interessanten Vergleich an. 1969 hieß es von Willy Brandt: „Mehr Demokratie wagen“. Vor einigen Monaten veröffentlichte die Süddeutsche Zeitung einen Artikel mit der provokanten Überschrift: „Mehr Diktatur wagen“. Welche Veränderungen in Politik und Gesellschaft sehen Sie im Hinblick auf diese sich gegenüberstehenden „Marschrichtungen“? Was sich gegenwärtig abspielt, würde ich auf die Formel bringen „Weniger Demokratie wagen“. Wir erleben einen stetigen Abbau von Rechtsstaat, Demokratie, Liberalität. Der Druck steigt. Es wird gedroht und verboten, es wird erzwungen und gemaßregelt, es wird bestraft und sanktioniert, es wird gegängelt und schikaniert, es wird drangsaliert und denunziert, es wird bevormundet und gecancelt. Nicht einmal auf die Beachtung zivilisatorischer Minimalstandards in Gestalt des simplen politischen Anstands kann man sich noch verlassen. Diese Erosion hat lange vor „Corona“ begonnen, aber die aktuelle Krise wird von der Staatsmacht und den ihr verbundenen großen Konzernen genutzt, um den Abwärtsprozess zu beschleunigen und zu intensivieren. Lange vor Corona, sagen Sie. Seit wann läuft denn dieser Prozess? Schwer zu sagen: Ging es schon los mit Ende des Kalten Krieges? Oder nach 9/11? Mit dem Finanzcrash 2008? In jedem Fall sind die goldenen Jahre – sie dauerten von der Mitte der 1960er bis Anfang der 1980er – in denen man mehr Demokratie wagte, sich ein hohes Maß an Liberalität und eine beachtliche Diskursbreite leisten konnte, definitiv vorbei. Viele Demokratien, nicht nur die deutsche, befinden sich seit Jahren in einem sich stetig verschärfenden Krisenmodus, aus dem sie keine Auswege finden. Manche befürchten, dass sich unsere Geschichte wiederholen könnte… Sie meinen, dass wir wieder in diktatorische Verhältnisse abgleiten könnten? So weit ist es noch nicht und so weit wird es wohl auch nicht kommen, hoffentlich. Dennoch ist die Entwicklung alarmierend. Ich arbeite im Buch ja einige Ähnlichkeiten zwischen den heutigen Verhältnissen und den Jahren 1930 bis 1934 heraus, also dem Ende der Weimarer Republik und der beginnenden NS-Zeit. Wer aus der Geschichte lernen will, sollte sich diese entscheidenden Jahre, diese abschüssige Bahn genau ansehen. Was haben Sie bei Ihrer Auseinandersetzung mit dieser Zeit gelernt? Mir wurde klar, dass der Übergang von der Republik zur Diktatur ein längerer Prozess war. Die Weimarer Republik hat nicht am Stichtag 30. Januar 1933 geendet und es hat nicht postwendend die Nazi-Diktatur begonnen. Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler war zwar ein eminent wichtiges Ereignis, aber sie war nicht die Scheidelinie zwischen Demokratie und Diktatur. Der Machtübernahme der NSDAP war eine dreijährige Agonie der Weimarer Republik vorausgegangen, in der mit Präsidialkabinetten und Notverordnungen regiert wurde. Im Sommer 1932 war die preußische Regierung durch einen Staatsstreich und ohne nennenswerten Widerstand aus dem Amt gefegt worden. Stellt man dies in Rechnung, dann muss man realistischerweise sagen: Die Etablierung der NS-Diktatur kam nicht mit einem Schlag, sie war kein punktuelles Ereignis, sondern ein Prozess, der sich über etwa vier Jahre hingezogen hat. Die Deutschen sind langsam in die Diktatur hineingewachsen. Irgendwann, irgendwo wurde ein point of no return überschritten. Danach ging dann alles mit atemberaubender, die Widerstandskräfte lähmender Geschwindigkeit. Ich behaupte nicht, dass Deutschland heute in einer gleichartigen Situation sei oder dass sich die Geschichte wiederhole. Aber die Lage ist ernst. Wenn Deutsche eine Lehre aus ihrer Geschichte ziehen können, dann lautet sie: Seid wachsam und wehret den Anfängen! Was haben Sie noch gelernt? Mir ist aufgefallen, dass seinerzeit viele Leute, die es besser hätten wissen müssen, sich in die eigene Tasche gelogen, die Dinge schöngeredet haben, so etwa viele führende Publizisten des Landes. Um sie herum brannte alles, aber sie waren nicht willens oder in der Lage, eine realistische Lageeinschätzung abzugeben – mit fatalen Folgen. Gerade in schweren politischen Krisensituationen braucht es einen harten Realismus. Der fehlte damals vielen, und der ist auch heute Mangelware. Welche Möglichkeiten gibt es denn für unsere Gesellschaft, den Entwicklungen entgegenzutreten?
Sie sprechen in Ihrem Buch davon, dass wir „Antipolitiker“ brauchen. Was meinen Sie damit? Mein Buch besteht ja aus zwei großen Teilen. Der erste Teil ist zeitdiagnostisch ausgerichtet und verbreitet, wie ich zugeben muss, wenig Zuversicht. Im zweiten Teil – er heißt „Orientierungen“ – sieht es etwas anders aus. Da mache ich eine Reihe von Vorschlägen: Was kann man hier und heute konkret tun? Was brauchen wir? In welche Richtung sollten wir uns bewegen? In diesem Zusammenhang erläutere ich das Konzept „Antipolitik“, das ich von dem ungarischen Schriftsteller György Konrád übernehme. Antipolitiker wehren sich nicht gegen die Politik als solche, sondern gegen die exzessive Politisierung, nicht gegen den Staat, sondern gegen den Etatismus, sie bauen – in den Worten Konráds – „Dämme gegen die politische Flut“. Sie verteidigen die Zivilgesellschaft oder die kleinen Communities gegen die Anmaßungen der Politik. Sie wollen nicht in einem herkömmlichen Sinn „an die Macht“, sondern sie entziehen sich dem üblichen politischen Spiel beziehungsweise setzen ihre eigenen Spielregeln. Ich halte diesen Ansatz für sehr fruchtbar und versuche, ihn mit Inhalt zu füllen. Wie sollten die Antipolitiker weiter agieren? Ich will einen wichtigen Aspekt nennen: Antipolitiker gibt es links, rechts und in der Mitte. Sie sollten sich finden! Und sie tun es bereits. Viele Menschen überschreiten zurzeit politische Grenzen und werden sich fundamentaler Gemeinsamkeiten mit anderen Strömungen bewusst – bemerken zugleich grundlegende Differenzen zu Gruppierungen, mit denen sie sich bis dato in Übereinstimmung glaubten. Das mag zunächst irritieren, könnte aber auch politische Impulse setzen. Was sollte gegen Umgruppierungen und neue Bündnisse einzuwenden sein? Was sollte staatskritische Konservative, Libertäre und antiautoritäre Linke daran hindern, hier und da gemeinsame Sache zu machen, für gemeinsame Ziele zu streiten? Was sollte sie hindern, die politischen Abstandsgebote zu ignorieren? Vielleicht bahnt sich hier ja eine Entwicklung an, die in der Zeit „nach Corona“ noch an Bedeutung gewinnen wird: keine festgefügten Lager mehr, keine ideologischen Borniertheiten, keine Berührungsängste (also kein „political distancing“), sondern flexible, überraschende, schwer kalkulierbare und immer themenbezogene Kooperationen ganz unterschiedlicher Kräfte. Man müsste sich da auch gar nicht groß absprechen – getreu dem Motto: getrennt marschieren, vereint schlagen. Solche Kreuz- und Querfronten, wie ich sie nenne, könnten eine befreiende Wirkung entfalten, also die etablierte Politik auf Trab bringen – und eine demokratische politische Kultur revitalisieren. Anmerkung der Redaktion: Die Spekulationen des Interviewten zur Querfront teilen wir nicht und halten sie auch für abenteuerlich. Lesetipp: Politische Angst – Warum wir uns kritisches Denken nicht verbieten lassen dürfen. Westend. 26. Juli 2021. 160 Seiten. 16 Euro. Titelbild: Christin Klose/shutterstock.com | Marcus Klöckner | Politische Angst: Das ist es, was der Journalist und Autor Ulrich Teusch zum ersten Mal in seinem Leben während der Corona-Krise verspürt hat. Und das hat seinen Grund: „Es geht in diesem Land vielfach nicht mehr mit rechtsstaatlichen Dingen zu. Wir erleben eine Krise der Verfassung, des Rechtsstaats, der Rechtsprechung, der Rechtssicherheit“, sagt Teusch im Interview mit den NachDenkSeiten. E ... | [
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"Strategien der Meinungsmache"
] | 17. August 2021 9:00 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=75171 |
Darf man nicht mehr für eine gesamteuropäische Friedensordnung sein? | Gestern hatten wir davon berichtet, dass jetzt der Druck auf die Linkspartei, sich anzupassen, wächst. Als besonderes Test-Beispiel für die angeblich dringende Notwendigkeit zur Anpassung wird in den öffentlichen Debatten die Außen- und Sicherheitspolitik bemüht. Wenn sich die Linkspartei nicht zum Lissabon-Vertrag und nicht zur NATO und ihrer Politik bekennt, dann steht sie quasi außerhalb des politischen Anstands – so der von allen konkurrierenden Parteien vermittelte Gesamteindruck. Das Thema wird auffallend hochgespielt. Am Beispiel der Äußerungen Egon Bahrs bei Anne Will wird die Widersprüchlichkeit dieses Ansinnens besonders deutlich. Albrecht Müller
Im gestrigen Beitrag war angekündigt worden, auf die Forderung Egon Bahrs an die Linkspartei zurückzukommen. Ich wiederhole kurz: Egon Bahr, den ich sonst sehr schätze, übernahm – ähnlich wie Hans Jochen Vogel in anderen Sendungen – die Rolle des Ratgebers an die Linken. Das Reden vom Fünfparteiensystem sei Quatsch, meinte Egon Bahr. Es gebe nur vier Parteien, die sich gegenseitig für regierungsfähig halten. Das sei auch berechtigt. Er könne die Linkspartei nicht mitzählen, möglicherweise auch 2013 noch nicht, wenn sie sich nicht in einem fundamentalen Punkt bewegt. Sie müsse sich bewegen, indem sie die wichtigsten Verträge, die unser Land abgeschlossen hat, anerkennt, zum Beispiel EU und NATO. Das ist aus dem Munde von Egon Bahr eine sehr seltsame Einlassung: Die Linkspartei fordert in ihrem Wahlprogramm [PDF – 320 KB] auf Seite 39, die NATO solle durch ein kollektives Sicherheitssystem unter Beteiligung Russlands ersetzt werden.
Diese Forderung entspricht nicht nur dem, was Egon Bahr häufig gefordert hatte, es entspricht auch dem, was die SPD in ihrem Berliner Grundsatzprogramm [PDF – 890 KB] vom 20. Dezember 1989 gefordert hatte. Ich zitiere aus der Originalfassung. Dieses ist am 17.4.1998 geändert worden. Die entscheidenden Passagen sind im Kern identisch: Diese Forderung SPD nach einer europäische Friedensordnung, die der Forderung der Linkspartei im Kern entspricht, wurde nach dem Ende der Blockkonfrontation und nach dem Fall der Mauer formuliert. Egon Bahr war an der Formulierung maßgeblich beteiligt. Das ist mir noch gut in Erinnerung, weil er zusammen mit mir in seinem Abgeordnetenbüro den Entwurf für diesen Text formuliert hat. Eine neue Passage im schon vorher erarbeiteten Entwurf des neuen Grundsatzprogramms war nötig geworden, weil die Mauer gefallen war und Ost und West nicht mehr feindselig gegeneinander standen. Warum soll man heute für die europäische Friedensordnung nicht mehr eintreten dürfen? Warum soll dieses Programm ein Hinderungsgrund für die Zusammenarbeit zwischen SPD und Linkspartei sein? Das würde man doch nur dann annehmen können, wenn man die Entwicklung der NATO Politik einschließlich der Intervention außerhalb des NATO-Bereichs, einschließlich der militärischen Intervention zu Gunsten der Rohstoffversorgung unseres Landes, einschließlich der massiven Aufrüstung der mittel- und osteuropäischen NATO-Staaten und vor allem einschließlich der Osterweiterung bis an die Grenzen Russlands und am Ende auch noch unter Einschluss von Ukraine und Georgien für sinnvolle Taten hält.
Viele, auch viele Sozialdemokraten, halten diese Entwicklung für falsch. Auch viele Fachleute vom Schlage eines Egon Bahr halten diese Entwicklung für sehr gefährlich und für eine Vergeudung von Ressourcen in der Rüstung.
Warum sich Egon Bahr zum Hochspielen dieser Barriere gegen eine Zusammenarbeit hergibt, ist mir schleierhaft. Es ist nur soviel zu erkennen, dass sich die bisherige SPD-Führung genauso wie das rechtskonservative Lager, die Grünen und viele Medien darauf verständigt haben, diesen angeblichen grundsätzlichen Unterschied hochzuspielen. Die NATO darf man doch gerade in ihrer heutigen Zielrichtung nicht für sakrosankt erklären. Wer dies tut, der wird auch wenig mitzureden haben, wenn diese NATO eine Entwicklung nimmt, die für uns wirklich gefährlich werden kann, weil neue Gräben aufgerissen werden. Auf der Linie dieser Akzeptanz alles dessen, was die NATO tatsächlich tut, lag auch das Schweigen zu der vorgesehenen Einrichtung von Raketensystemen in Tschechien und Polen. Ohne die eigenständige Entscheidung Obamas gegen diese Planung wäre es dabei geblieben. Der SPD und unserer Sicherheit täte es jedenfalls besser, die SPD würde sich auch bei diesem Thema ihrer Wurzeln erinnern und gelegentlich ihre bisherigen Grundsatzprogramme studieren. Ich zitiere aus dem Berliner Grundsatzprogramm noch einige andere Sätze: Das gilt für uns immer noch nicht. Die USA nutzen uns als Flugzeugträger und Nachschubbasis für militärische Interventionen, zu denen wir nicht ja gesagt haben. Auch diese Festlegung von 1989 ist in der Praxis der militärischen Interventionen im Kosovo Krieg und im Krieg in Afghanistan unbedacht weggekippt worden. Angesichts der vielen ursprünglichen Gemeinsamkeiten auf dem Gebiet der Außen- und Sicherheitspolitik ist die Konstruktion grundsätzlicher Unterschiede ziemlich dämlich. Sie verhindert nämlich den Aufbau einer politischen Alternative zum rechtskonservativen Lager. Wenn man die Option einer linken Mehrheit schaffen will, dann muss man anders miteinander umgehen. CDU und FDP haben im Wahlkampf bewiesen, dass eine gemeinsame Machtperspektive und der einigermaßen freundliche Umgang zwischen kommenden Koalitionspartnern bei Wahlen hilfreich ist. Das war übrigens auch die Erfahrung der SPD beim Zu-Stande-Kommen der sozialliberalen Koalition im Jahr 1969 und bei vielen späteren Wahlen, bei denen es um die Stabilisierung von sozialliberalen Koalition ging. Das gilt für Nordrhein-Westfalen zum Beispiel genauso wie für Rheinland-Pfalz. | Albrecht Müller | Gestern hatten wir davon berichtet, dass jetzt der Druck auf die Linkspartei, sich anzupassen, wächst. Als besonderes Test-Beispiel für die angeblich dringende Notwendigkeit zur Anpassung wird in den öffentlichen Debatten die Außen- und Sicherheitspolitik bemüht. Wenn sich die Linkspartei nicht zum Lissabon-Vertrag und nicht zur NATO und ihrer Politik bekennt, dann steht sie quasi außerhalb de ... | [
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] | 30. September 2009 16:31 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=4230 |
Anonymes Geld für Steinbrück! – Zur Attacke darauf kann die CDU einfach frühere Anzeigen der SPD umkopieren. | Die Kommunikationsagentur steinkuehler-com hat das neue “PeerBlog” für den SPD-Kanzlerkandidaten an den Start gebracht hat. Seit Sonntag bloggen Agenturinhaber Steinkühler und seine Mitarbeiter „für“ den Kandidaten. Finanziert wird das Projekt von anonymen „Unternehmerpersönlichkeiten“. Diese Nachricht erinnerte mich an meine eigene Wahlkampf-Vergangenheit: Vor gut 40 Jahren war ich verantwortlich für Willy Brandts Wahlkampf und für diese Anzeige: Sie war Teil einer wichtigen Kampagne der SPD gegen das „Große Geld“ – siehe auch unten – und seinen Einfluss auf die CDU und ihren Kanzlerkandidaten Barzel. Vor allem mit dieser Kampagne haben SPD und Brandt damals 100 tausende von Menschen dazu bewegt, sich im Wahlkampf zu engagieren. „Wahlkampf von unten“ nennt die SPD Führung das heute. Wie will sie das schaffen, wenn sich Steinbrück mit anonymen Geldern finanzieren lässt? Albrecht Müller. Die Union oder auch die Linkspartei bräuchte nur die entsprechenden Passagen in der früheren SPD Anzeige austauschen. Es hieße dann: Bei der Union könnte der so genannte Abbinder in Anlehnung an die SPD von vor 40 Jahren heißen: Wie kann man als SPD-Wahlkampf-Manager einen solchen Wahnsinn betreiben?
Wie sich die Macher von “PeerBlog” herausreden, das können Sie dort nachlesen.
In Steinbrück Manier könnte er wie auch bei der Erklärung seiner Redehonorare den Vorgang klein reden: Für ihn flössen ja gar keine Millionen sondern nur 100 tausende usw. – Steinbrück würde gar nicht merken, was für eine Steilvorlage er seinen Gegnern auch mit diesem Patzer wieder geliefert hat. Anlage:
Flyer Das 100-Millionen-Ding | Albrecht Müller | Die Kommunikationsagentur steinkuehler-com hat das neue "PeerBlog" für den SPD-Kanzlerkandidaten an den Start gebracht hat. Seit Sonntag bloggen Agenturinhaber Steinkühler und seine Mitarbeiter „für“ den Kandidaten. Finanziert wird das Projekt von anonymen „Unternehmerpersönlichkeiten“. Diese Nachricht erinnerte mich an meine eigene Wahlkampf-Vergangenheit: Vor gut 40 Jahren war ich verantwort ... | [
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] | 05. Februar 2013 9:54 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=16079&share=email |
Atomwaffen | Das Folgende ist der Bericht des Geschäftsführers des Internationalen Friedensbüros (IPB), Reiner Braun, über den Weltkongress des IPB, der vom 15. bis 17. Oktober in Barcelona stattfand. Reiner Braun war maßgeblich an der Organisation des Kongresses beteiligt. Hier sein Resümee. Albrecht Müller. | [] | [] | 22. Oktober 2021 12:00 | https://www.nachdenkseiten.de/?tag=atomwaffen&paged=14 |
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Ulrich Heyden zur russischen Teilmobilisierung | Mit der russischen Teilmobilisierung ist die nächste Eskalationsstufe des Kriegs in der Ukraine erreicht. Russland und die Ukraine – mit dem Westen als Finanzier und Ausrüster im Hintergrund – intensivieren die militärischen Anstrengungen, die Möglichkeit auf eine baldige Verhandlungslösung rückt immer weiter in Ferne. Eine Exit-Strategie fehlt, es droht ein langer Krieg mit vielen Opfern auf beiden Seiten. Das sind schlechte Nachrichten – vor allem für diejenigen, die an der Front verheizt werden. Ulrich Heyden berichtet aus Moskau für die NachDenkSeiten, wie diese und andere jüngere Entwicklungen in Russland wahrgenommen werden.
Geht Russland in die Offensive? Der russische Verteidigungsminister Sergej Schojgu erklärte in einem Interview am Mittwoch, 5.937 russische und 61.000 ukrainische Soldaten seien bisher in der Ukraine gefallen. Mit der bekanntgegebenen Zahl toter Soldaten und der am 21. September 2022 von Wladimir Putin angeordneten Teilmobilisierung von 300.000 Reservisten dringt der Krieg nun verstärkt in das Bewusstsein der Russen, die sich vom Krieg bisher weit entfernt fühlten. Viele russische Patrioten, welche die Militärführung wegen eines zu zaghaften Vorgehens kritisierten, sind froh über die Mobilisierung. Doch es gibt auch Menschen, die fürchten, der eigene Sohn könne eingezogen werden, obwohl erklärt wurde, dass nur gut ausgebildete Reservisten und kampferfahrene Soldaten mobilisiert werden. Dass am Tag des Mobilisierungs-Erlasses bei einem Gefangenenaustausch mit der Ukraine 105 Asow-Soldaten freikamen, stieß auf Protest russischer Patrioten. Für Sergej Markow, einen langgedienten russischen Politologen, Duma-Abgeordneten und Talk-Show-Teilnehmer, ist die Mobilisierung eine gute Nachricht. Markow zählt auf: Die russische Armee erhalte nun 300.000 Reservisten und zusätzlich pro Region 2.000 Freiwillige. Russland hat 85 Regionen. Außerdem käme nach Russland aus dem Ausland eine bestimmte Zahl von Freiwilligen, die nach ihrem Militärdienst die russische Staatsbürgerschaft erhalten. Und schließlich werde die russische Armee um eine bestimmte Zahl ehemaliger Strafgefangener verstärkt. Insgesamt ergebe das eine Erhöhung der russischen Kampftruppen um 600.000 Soldaten. Die Zahl der russischen Soldaten an der Front verdreifache sich und liege dann um mehr als das Doppelte über der Zahl der ukrainischen Soldaten. Das erlaube es Russland, „schnell anzugreifen und den Krieg schneller zu beenden“. Was wollen die russischen „Ultranationalisten“? Für die großen deutschen Medien ist die Mobilisierung eine schlechte Nachricht. Gut scheint für die ARD nur, dass Putin jetzt Druck von „Ultranationalisten“ bekommt, die den Kreml-Chef für zu wenig Einsatz im Ukraine-Krieg kritisieren. Zwischen den Zeilen spürt man Schadenfreude, dass der russische Präsident nun nicht nur von Liberalen, sondern auch von „Ultranationalisten“ Druck bekommt. Dass alles gut ist, was die Ukraine dem Frieden näherbringt, ist bei der ARD nicht die Devise. Gut ist, wenn Putin unter Druck kommt, so die „Tagesschau“. Zu denen, welche die „Tagesschau“ als „Ultranationalisten“ bezeichnet, gehört Igor Strelkow. Er war 2014 einer der Anführer des „Russischen Frühlings“ in der Südostukraine und einige Monate Verteidigungsminister der Volksrepublik Donezk. Heute kommentiert er in sozialen russischen Medien das Kriegsgeschehen in der Ukraine. Strelkow fordert seit Beginn der russischen Spezialoperation eine stärkere Mobilisierung russischer Soldaten. Nach dem Abzug der russischen Armee aus weiten Teilen des Gebietes Charkow warf er dem russischen Verteidigungsministerium „Unfähigkeit“ vor. In den regierungsnahen russischen Medien kommt Strelkow nicht zu Wort. Dass er sich in den sozialen Medien trotzdem äußern kann, hat wohl damit zu tun, dass der Kreml die Kritik von Strelkow für konstruktiv, zumindest nicht für „staatsfeindlich“ hält. Die Entscheidung des russischen Verteidigungsministers Sergej Schojgu, 300.000 Reservisten zu mobilisieren, bezeichnete Strelkow gegenüber der russischen Nachrichtenagentur NSN als „logischen Schritt“. Noch mehr Soldaten zu mobilisieren, sei zurzeit „nicht sinnvoll“. Das würde nur „zu Chaos führen“. Auch die Ukraine habe während ihrer sechs Mobilisierungskampagnen immer nur so viele Soldaten mobilisiert, dass sie auch ausgerüstet und transportiert werden konnten, erklärt der Experte. Die russische Teilmobilisierung werde aber nur ausreichen, um die Front „zu stabilisieren“. Für eine „Zerschlagung des ukrainischen Regimes“ wäre eine weitere Mobilisierung von 300.000 Reservisten – oder auch mehr – nötig. Die Ausschöpfung des Mobilisierungspotentials von 20 Millionen Menschen sei für den „Sturz des Kiewer Regimes“ nicht nötig. Eine vollständige Mobilisierung schaffe nur Chaos und sei „schädlich“ für die russische Wirtschaft. Die jetzt mobilisierten russischen Reservisten werden sich – so der Experte – in ein bis zwei Monaten an der Front befinden. Bis zu diesem Zeitpunkt sei die ukrainische Armee bei der Zahl von Soldaten der russischen Armee überlegen. Der russische Fernsehkanal „360“ fragte Strelkow, ob der Westen nach den Referenden im Südosten der Ukraine zu einer härteren Gangart gegen Russland übergehen werde. Strelkow antwortete, wenn Russland jetzt „seinen Willen“ zeige „wie am 24. Februar“, werde sich der Westen „wahrscheinlich auf die Position zurückziehen, die er im Februar hatte.“ Große Herausforderung für russische Militärs vor dem Referendum Strelkow erinnerte daran, dass die USA und andere Nato-Staaten im Februar 2022 ihr Botschaftspersonal aus Kiew abzogen, weil eine russische Invasion drohte. Auch jetzt sei eine „direkte militärische Einmischung“ westlicher Staaten in den Ukraine-Konflikt „sehr unwahrscheinlich“. Unklar ist, warum Strelkow die Tatsache übergeht, dass der Westen seit Februar seine Kräfte konsolidiert hat und seine Absicht, in der Ukraine mit ukrainischen Truppen zu siegen, täglich betont. Gefährlich für Russland – so der Experte – sei aber die Zeit vor den geplanten Referenden im Südosten der Ukraine. Denn es gäbe zahlreiche Hinweise, dass Kiew Vorbereitungen für eine weitere Militäraktion treffe. Kiew – so die Meinung des Militärexperten – habe zurzeit die „strategische Initiative“ und plane vermutlich einen oder mehrere Angriffe auf die von russischen Truppen kontrollierten Gebiete Cherson, Saparoschije, Donezk und Lugansk. Kiew habe diese Möglichkeit, weil die Ukraine in den letzten sieben Monaten sechs Mobilisierungen durchführte. Dadurch habe die ukrainische Armee jetzt eine Stärke von etwa 700.000 Soldaten. Davon befände sich die Hälfte an oder in unmittelbarer Nähe der Front. Außerdem sei ein großer Teil der ukrainischen Soldaten auf ausländischen Übungsplätzen geschult worden. Der russische Verteidigungsminister Sergej Schojgu gab an, dass die ukrainische Armee zurzeit 300.000 Soldaten mobilisiert hat. Austausch von Asow-Mitgliedern gegen russische Soldaten Zu einem Schock bei russischen Patrioten führte die Nachricht, dass am Tag der Unterzeichnung des Mobilisierungserlasses 215 in russischer Gefangenschaft befindliche ukrainische Soldaten gegen 55 russische Soldaten ausgetauscht wurden. Von Kiew freigelassen wurden auch der ukrainische Unternehmer und Oppositionspolitiker Viktor Medwedschuk. Wladimir Putin ist der Patenonkel einer Tochter von Medwedschuk. Der Austausch fand statt unter Vermittlung des türkischen Präsidenten Erdogan. Unter den freigelassenen ukrainischen Soldaten befinden sich 108 Mitglieder und Kommandeure des rechtsradikalen Asow-Bataillons. Nach Aussagen des ukrainischen Präsidenten Selenski werden sich die freigelassenen Kommandeure des Asow-Bataillons bis zum Ende des Krieges in der Türkei „unter persönlicher Kontrolle des türkischen Präsidenten“ aufhalten. Die Nachricht von dem Gefangenenaustausch brachte in der Nacht auf Donnerstag zuerst das russische Wirtschaftsportal RBK. Eineinhalb Stunden später berichtete über den Austausch mit Verweis auf RBK auch das Portal des staatlichen russischen Fernsehens „Vesti“ . Das russische Verteidigungsministerium hat auf seiner Website zu dem Gefangenenaustausch bisher nicht Stellung genommen. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete, dass Moskau außerdem zehn ausländische Söldner freigelassen habe, die auf der Seite der ukrainischen Truppen kämpften. Unter den zehn Freigelassenen befinden sich fünf Briten, zwei Amerikaner, ein Marokkaner, ein Schwede und ein Kroate. Dieser Austausch fand statt durch Vermittlung des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman Al Saud. Unter den freigelassenen Söldnern befindet sich auch der in Großbritannien geborene Aiden Aslin, der auf ukrainischer Seite in Mariupol gekämpft hatte und in der Volksrepublik Donezk zum Tode verurteilt worden war. Große Freude in Kiew Während das russische Fernseh-Portal Vesti über den Gefangenenaustausch nur eine trockene Meldung brachte, wurde der Austausch in der Ukraine groß gefeiert. Präsident Selenski hielt eine Ansprache zu Ehren „unserer Helden“ und die ukrainische Nachrichtenagentur UNIAN veröffentlichte eine Foto-Story der freigelassenen ukrainischen Soldaten. Jake Sullivan, Berater des US-Präsidenten für nationale Sicherheit, dankte Präsident Selenski dafür, dass er zwei US-Bürger in die Liste der Freizulassenden aufgenommen habe. Genüsslich zitierte die ukrainische Nachrichtenagentur UNIAN den russischen Fernsehmoderator Wladimir Solowjow und die RT-Chefredakteurin Margarita Simonjan. Solowjow hatte sich in der Vergangenheit strikt gegen einen Austausch von Asow-Soldaten ausgesprochen und Simonjan hatte gefordert, bei einem Gefangenenaustausch das Prinzip „Alle gegen Alle“ einzuhalten. Die Demütigung und das Lächerlich-Machen russischer Politiker und Medien-Manager ist für Kiew eine Herzenssache. Für die patriotischen Russen ist der Gefangenenaustausch schmerzlich, denn eigentlich war ein großes Tribunal über ukrainische Kriegsverbrecher in Donezk geplant. Wegen des ungleichen Gefangenenaustausches beklagen russische Internet-User, dass das Leben des Putin-Freundes Viktor Medwedschuk offenbar mehr wert ist als das Leben eines russischen Soldaten. Viele Fragen bleiben offen Westliche Medien berichten, dass wegen der angeordneten Teilmobilisierung russische Reservisten ins Ausland fliehen. Fluglinien seien ausgebucht und vor den Grenzen gäbe es lange Schlangen. Doch das ist meiner Einschätzung nach vor allem Stimmungsmache, mit einer kräftigen Prise Schadenfreude. Ja, es gibt viele soziale Fragen, die für die Reservisten noch geklärt werden müssen, wie zum Beispiel die Frage, ob man nach dem Militäreinsatz an seinen alten Arbeitsplatz zurückkehren kann. Aber nach meinem Eindruck unterstützt die russische Bevölkerung die Teilmobilisierung. Doch es mehren sich die Fragen an die Militärführung und den Kreml. Woran lag es, dass die russische Armee sich von Kiew und Charkow zurückzog? Warum wird der militärische Nachschub für die Ukraine aus westlichen Staaten nicht mit gezielten Militärschlägen unterbunden? Warum wird das Prinzip „Alle gegen Alle“ beim Gefangenenaustausch nicht eingehalten? Liberale und Linke gegen Putin Die russischen Liberalen und auch einige Linke Russlands inszenieren sich jetzt als die „wahren“ Beschützer des Mutterlandes. In einer ARD-Live-Schaltung kam ein Abgeordneter aus St. Petersburg zu Wort, der ausgiebig eine Initiative zur Absetzung von Putin begründen durfte. Putin schade mit dem Krieg in der Ukraine der russischen Nation. Auch einige russische Linke, wie Boris Kagarlitsky, argumentieren in diese Richtung. Auf die westlichen Waffenlieferungen an die Ukraine und die schleichende Einverleibung der Ukraine in die Nato gehen diese Linken und Liberalen mit keinem Wort ein, was ihre Argumentation unglaubwürdig macht. Titelbild: Andrey Burmakin/shutterstock.com | Ulrich Heyden | Mit der russischen Teilmobilisierung ist die nächste Eskalationsstufe des Kriegs in der Ukraine erreicht. Russland und die Ukraine – mit dem Westen als Finanzier und Ausrüster im Hintergrund – intensivieren die militärischen Anstrengungen, die Möglichkeit auf eine baldige Verhandlungslösung rückt immer weiter in Ferne. Eine Exit-Strategie fehlt, es droht ein langer Krieg mit vielen Opfern auf ... | [
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] | 22. September 2022 15:30 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=88397&share=email&nb=1 |
Der „Aachener Vertrag“: Militarismus oder „Emanzipation“? | Der deutsch-französische Vertrag von Aachen legt ein bedenkliches Gewicht auf das Militärische und provoziert Fragen: Werden deutsch-französische Kriegseinsätze dadurch wahrscheinlicher? Gerät Deutschland in den Strudel von Frankreichs Kolonialpolitik? Was wäre in Zeiten der sich auflösenden Bündnisse die Alternative zu europäischer Aufrüstung? Ist eine Emanzipation von NATO und USA ohne EU-Armee möglich? Von Tobias Riegel.
Der gerade in Aachen unterzeichnete deutsch-französische Vertrag ist ein fragwürdiges Dokument: Er wird dominiert von einer Fixierung auf das Militärische. Er verknüpft unlauter Floskeln von der „Völkerverständigung“ mit Aufrüstung. Er setzt „Verantwortung“ mit militärischer Einmischung gleich. Und er wird militaristischen Kreisen in Deutschland Argumentationshilfe leisten, um mit den im Vergleich zügellosen Militär-Interventionen Frankreichs gleichzuziehen. Aber die Debatte provoziert auch „ketzerische“ Fragen: Ist eine EU-Armee prinzipiell zu verteufeln – oder ist sie Vorbedingung für eine Emanzipation von NATO und USA? Der Wortlaut des Vertrages findet sich hier. Aufrüstung statt Banken-Union Als Ablenkung vom militaristischen Charakter des Vertrags dienen den Verfechtern des Dokuments aktuell die häufigen medialen Bezüge auf den Élysée-Vertrag von 1963, auch wenn diese sehr irreführend sind. Die LINKE-Politikerin Sevim Dagdelen betont etwa auf „Telepolis“: Der Vertragstext lese sich wie ein gemeinsamer „Militarismus à la carte“. Dass der Vertrag bis auf schöne Worte und einer Betonung des Militärischen wenig Substanz enthält, verdeutlicht auch die „Junge Welt“, die schreibt, dass „die Vorschläge für die Stabilisierung der Euro-Zone“ im Vertragstext „auf Merkel’sches Maß geschrumpft“ seien: Es ist schwer zu bestreiten, dass das Dokument Militäreinsätze Deutschlands schneller möglich machen wird als bisher. So wollen beide Länder laut Vertrag eine gemeinsame „strategische Kultur“ entwickeln, vor allem mit Blick auf gemeinsame militärische Einsätze, wie das „Handelsblatt“ schreibt: Das alte Lied: „Militärische Einmischung“ wird mit „Verantwortung“ unterfüttert Verteidigt wird der Vertrag stellvertretend für viele große Medien etwa von der „Zeit“, die den Bericht mit der Forderung nach einer Ausschöpfung „der Möglichkeiten“ verknüpft: Die „Zeit“ meint hier mutmaßlich die militärisch-kolonialen Möglichkeiten Deutschlands und zieht die Debatte auf ein phrasenhaftes Niveau: So brauche es „den Mut, unbequeme Wahrheiten auszusprechen: Deutschland ist keine Insel der Seligen, an der die Stürme der Welt vorüberziehen, und Sicherheit gibt es nicht zum Nulltarif.“ Der Wunsch nach militärischer Einmischung wird politisch-medial schon lange mit der Vokabel „Verantwortung“ unterfüttert, so auch in der aktuellen Debatte: „Deutschlands sicherheitspolitisches Umfeld ist zunehmend labil, doch die Bundesbürger wollen keine internationale Verantwortung tragen“, schreibt etwa die „Zeit“ und stellt sich damit in die ungute Tradition von Politikern wie Ursula Von der Leyen oder Joachim Gauck. Ist ein Verlassen der NATO ohne eine EU-Armee vorstellbar? Der militaristische und propagandistische Charakter des Aachener Vertrags ist also offensichtlich. Die Debatte darüber sollte dennoch wichtige (und wie gesagt: „ketzerische“) Fragen zu einer theoretischen militärischen Zukunft Deutschlands jenseits der NATO aufwerfen. Diese Fragen sind aber möglicherweise nicht alle mit einer rein anti-militaristischen Haltung zu beantworten: Ist eine gemeinsame Armee europäischer Staaten Vorbedingung für deren reale Souveränität etwa gegenüber den USA – oder ist diese Sicht bereits übertrieben militaristisch? Könnte eine ernsthafte Entspannungspolitik eine EU-Armee überflüssig machen? Ist andererseits ein Verlassen der NATO ohne eine EU-Armee vorstellbar? Ist aber eine solche Emanzipation wirklich geplant von EU-Seite? Oder sollen die EU-Bürger über das Lockmittel „Souveränität“ zu erhöhten Rüstungsetats verleitet werden – obwohl diese Etats dann doch wieder in transatlantische „Sicherheitsstrukturen“ fließen? Sind „europäische Sicherheitsstrukturen“ moralisch höher einzuschätzen als US-amerikanische? Was wären realistische Alternativen zu diesen beiden Wegen? | Tobias Riegel | Der deutsch-französische Vertrag von Aachen legt ein bedenkliches Gewicht auf das Militärische und provoziert Fragen: Werden deutsch-französische Kriegseinsätze dadurch wahrscheinlicher? Gerät Deutschland in den Strudel von Frankreichs Kolonialpolitik? Was wäre in Zeiten der sich auflösenden Bündnisse die Alternative zu europäischer Aufrüstung? Ist eine Emanzipation von NATO und USA ohne EU-Ar ... | [
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] | 24. Januar 2019 13:36 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=48671&share=email |
Weltkrieg | Gaza, die Ukraine und Eurasien in der Krise des westlichen Niedergangs. Seit dem 24. Jahr des 21. Jahrhunderts hat man das Gefühl, dass die Entwicklungen des Krieges in der Ukraine und des Massakers im Gazastreifen das markieren, was die Russen „vodorazdiel“ (водораздел) bezeichnen, eine „Wasserscheide”, die einen Meilenstein, einen Wendepunkt in der Krise des Niedergangs des Westens und seiner unangefochtenen globalen Dominanz markiert. Lesen Sie heute den ersten Teil des dreiteiligen Artikels von Rafael Poch-de-Feliu, Übersetzung aus dem Spanischen von Walter Tauber. | [] | [] | 31. August 2024 12:00 | https://www.nachdenkseiten.de/?tag=weltkrieg&paged=3 |
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Würden Sie diesen Finanzexperten trauen? | Eine Kurzstudie der Nichtregierungsorganisationen Corporate Europe Oberservatory, Friends of the Earth Europe, LobbyControl und Spinwatch kritisiert, dass sich die EU-Kommission bei der Bewältigung der Finanzkrise einseitig auf Experten aus der Finanzindustrie verlasse, die maßgeblich zur gegenwärtigen Krise beigetragen haben. Die Studie „Would You Bank on Them?“ [PDF – 1.5 MB] untersucht die Zusammensetzung und Hintergründe der so genannten de Larosière Expertengruppe, die der EU-Kommission Vorschläge für die Reform der Finanzmärkte unterbreiten soll, die wiederum die Grundlage für eine gemeinsame europäische Position beim Frühjahrstreffen des Europäischen Rates bilden soll. Die Vorschläge des Expertenteams beeinflussen maßgeblich die Verhandlungen des G20-Finanzgipfels, der am 2. April 2009 in London stattfindet. Die eingangs genannten Organisationen haben die achtköpfige Expertengruppe, die extrem einseitig besetzt ist, durchleuchtet. Übertragen von Christine Wicht und Roger Strassburg
Jacques de Larosière war lange Zeit als Berater der französischen Großbank BNP Paribas tätig, die als erste europäische Bank Alarm geschlagen hat, und ist einer der zwei Vorsitzenden der in Paris ansässigen Denkfabrik und Lobbygruppe Eurofi, die sich für die Integration und Effizienz der Finanz-, Versicherungs- und Bankenmärkte einsetzt. Zu den Akteuren dieser Institution gehören Axa, Aviva, BNP Paribas, Cassa Depositi E Prestiti, Caisse des Dépôts et Consignations, Caisse Nationale des Caisses d’Epargne, CNP Assurances, Citigroup, Crédit Agricole, Deutsche Bank, NYSE Euronext, Goldman Sachs, JP Morgan Chase, La Banque Postale, Société Générale, and the European Investment Bank. De Larosière betont, dass die positiven Aspekte der Verbriefungen verstärkt werden sollen. Er meint, mehr Regulierung sei nicht notwendig, sondern nur mehr gesunder Menschenverstand. Jacques de Larosière zeigt seine Präferenz für die Selbstregulierung. Seine Meinung steht im klaren Gegensatz zu der Meinung der meisten unabhängigen Analysten, dass fehlende Aufsicht und Kontrolle der Banken sehr stark zu der jetzigen Krise beigetragen haben. Otmar Issing, Berater von GoldmanSachs, wird als „Europas hoher Priester der monetaristischen Orthodoxie“ bezeichnet. Nach einer Karriere bei der deutschen Bundesbank wechselte er zur Europäischen Zentralbank (EZB) und wurde einer der Hauptarchitekten des Euro. Issing sitzt im Aufsichtsgremium der deutschen Friedrich August von Hayek Stiftung, die eine neoliberale Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung fördert. 2003 wurde Issing neben Margaret Thatcher der International Price der Friedrich Hayek Stiftung verliehen. Des Weiteren ist Issing Präsident des „Center for Financial Studies“ an der Universität Frankfurt, das von der Gesellschaft für Kapitalmarktforschung getragen wird, die aus über 80 Banken, Versicherungen, Beraterfirmen und Wirtschaftsverbänden besteht. Issing schied im Juni 2006 aus der EZB aus und war vier Monate später als Berater der Investmentbank Goldman Sachs tätig. Für gewöhnlich untersagt die EZB eine solche Tätigkeit innerhalb der ersten 12 Monaten nach dem Ausscheiden. Im Fall Issings wurde eine Ausnahme gemacht, da diese Tätigkeit nichts mit dem Tagesgeschäft des Finanzdienstleisters zu tun habe. Finanzexperte Klaus C. Engelen bezeichnet Issings Ernennung zur Larosière-Kommission als „strategisches Coup“ für Goldman Sachs, da Issings Rolle als Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Finanzkrise, der Wall-Street Gigant in den wichtigsten neuen Expertengremien Europas sitze.
Goldman Sachs profitierte im Gegensatz zu anderen Investment-Banken von der Subprime-Krise, indem sie Leerverkäufe für Subprime-Papiere tätigte. Leerverkäufe wurden in mehreren Ländern vorübergehend verboten, weil sie in erheblichem Maße zur Finanzinstabilität beigetragen haben. Dennoch ließ die Expertengruppe um Issing Leerverkäufe bei ihren ersten Vorschlägen außer Acht, dadurch könnte Issing wegen seines Verhältnisses zu Goldman Sachs in der Larosière-Gruppe in einen Interessenkonflikt geraten. Onno Ruding ist heute Berater der CitiGroup, während seiner Laufbahn wechselte er zwischen öffentlichen und privaten Sektoren. Ruding war beim Internationalen Währungsfond (IWF) und bei der niederländischen Bank AMRO tätig, bevor er in den 1990er Jahren in die Politik wechselte und Finanzminister unter Premier Ruud Lubbers wurde. Lubbers Regierung war berüchtigt für ihre Deregulierungs- und Privatisierungspolitik, beispielsweise die frühe Liberalisierung des Finanzsektors in den Niederlanden. In den neunziger Jahren war Ruding bei Citicorp und wurde im Jahr 1992 Vize-Vorsizender der Citibank. Er war auch als Lobbyist für niederländische und europäische Arbeitgeberverbände tätig, vorwiegend im Bereich Unternehmenssteuern. Obwohl er 2003 in den Ruhestand trat, ist er Berater bei der Citigroup geblieben und ist darüber hinaus Aufsichtsratsvorsitzender beim neoliberalen Centre for European Policy Studies (CEPS) in Brüssel. Als die Citibank von den amerikanischen Steuerzahlern gerettet wurde, sprach sich Ruding im selben Monat gegen eine zu starke Regulierung aus und begründete dies mit der Krise. Der „Finanzexperte“ hat im Gegensatz zu anderen Experten, die nicht in der Larosière-Gruppe vertreten sind, das Ausmaß der Finanzkrise nicht vorausgesehen. Rainer Masera ist der ehemalige Geschäftsführer von Lehman Brothers Italy. Der italienische Banker war über ein Jahrzehnt im Aufsichtsrat der European Investment Bank vertreten, die 2004 wegen potentieller Interessenkonflikte bei einigen Direktoren, einschließlich seiner Person und fehlender Intransparenz in die Schlagzeilen geraten ist. Ähnliche Bedenken werden jetzt gegen die Larosière-Gruppe geäußert – fehlende Tranzparenz und Rechenschaft. Des Weiteren war er Zentraldirektor der italienischen Nationalbank, Chef der Italien Sanpaolo INI Bankgruppe und Vorsitzender der ehemaligen Banca Fideuram, einer Privatbank. Sanpaolo IMI war auch Mehrheitsaktionär bei den EIB Zwischenbanken, Slovenias Koper und Ungarns Inter-Europa. Einem Bericht The International Economy zufolge wurde Maseras Nominierung zur Larosière-Gruppe scharf kritisiert. Callum McCarthy, wird als Chef der britischen Finanzaufsicht FSA grobes Versagen vorgeworfen. Als sich 2007 die Krise abzeichnete, argumentierte McCarthy noch für weiche Regulierung. Bis Herbst 2007 hatte die EZB bereits 95 Milliarden Euro zur Verbesserung der Liquidität in den Markt gepumpt, und Großbritannien hatte einen Run an die Bank Northern Rock hinter sich. Dennoch tat McCarthy die wachsenden Rufe nach mehr Regulierung der Finanzindustrie als Überreaktion ab. Am Anfang der Krise bezeichnete er die FSA Northern Rock als solide. Kritiker werfen der FSA vor, die Entwicklungen verschlafen oder sich gar in ein Koma versetzt zu haben. Einige Kritiker berichten, McCarthy habe ihnen Panikmache vorgeworfen und versucht, sie zum Schweigen zu bringen. Leszek Balcerowicz, gilt als marktradikaler Gegner der Finanzmarkt-Regulierung. Balcerowicz ist ein polnischer Ökonom und ehemaliger Vorstandsvorsitzender der polnischen Nationalbank. Er ist seit Juni 2008 Vorsitzender der Brüsseler Denkfabrik Bruegel, deren erklärtes Ziel es ist, „zur Qualität der Wirtschaftspolitik in Europa beizutragen“. Ihre Mitglieder sind u.a. die Deutsche Bank, Goldman Sachs, Unicredit und Fortis (eine der ersten europäischen Banken, die nach Rettungsgeldern gerufen hat). Noch im Februar 2008 hatte sich Bruegel nicht als Lobby-Organisation bei der EU-Commission registriert. In seiner Eigenschaft als Finanzminister, in den 1990er Jahren, steuerte Balcerowicz mit dem „Balcerowicz-Plan“ – auch „Schocktherapie“ genannt – Polen aus der Planwirtschaft in die freie kapitalistische Marktwirtschaft. Seine Rezepte klingen heute wie eine Karikatur des Thatcherismus: „Strikte Geldpolitik, freie Preise, Privatisierung, Reduzierung des staatlichen Haushalts“, schrieb The Times 2006. Damals räumte Balcerowicz ein, dass sein Plan reale Einkommensverluste für die polnische Bevölkerung von bis zu 20 Prozent innerhalb eines Jahres, eine Reduzierung der industrielle Produktion um fünf Prozent und die Entlassung Tausender Arbeitnehmer verursachen könnte. Der freie Marktkapitalismus produzierte zudem zahlreiche Finanzskandale. Die Washington Post schrieb, „skrupellose Unternehmer profitierten von Schlupflöchern und korrupte Politiker machten sich mit Milliarden davon.“ Balcerowicz erhielt beispielsweise im Jahr 2000 den Hayek-Preis, 2001 den Bertelsmann-Preis und 2007 den Preis als „Der größte europäische Reformer 2007“. Das US-amerikanische, ultrakonservative Cato Institute, eine der einflussreichsten ökonomisch-politischen Denkfabriken, nannte ihn „einen der größten Helden des Liberalismus in der Welt“. Mit Balcerowicz bekommt die Larosière-Kommission einen Evangelisten der Deregulierung, der gut organisierte neoliberale Netzwerke von Intellektuellen und Denkfabriken hinter sich hat. EU-Kommissar McCreevy hatte erst kürzlich zugestanden, dass die Finanzindustrie zu viel politischen Einfluss hatte: Mit der de Larosière-Gruppe setze die EU-Kommission, nach Ansicht der Verfasser der Studie, diesen Trend fort. Anstelle eine Expertengruppe mit einseitiger Ausrichtung und starken Verbindungen zum Finanzsektor damit zu beauftragen, hinter verschlossenen Türen Vorschläge zur Lösung der Finanzkrise auszuarbeiten, sei ein offener und transparenter Konsultationsprozess nötig. Die EU-Kommission solle zudem eine Untersuchung einleiten, inwiefern die Lobbyarbeit der Finanzindustrie zum Entstehen der Krise beigetragen habe. Ähnliche Konstellation in Deutschland Die deutsche Expertenkommission der Bundesregierung zur Reform der internationalen Finanzmärkte, genannt „Neue Finanzarchitektur“, weise dem Bericht zufolge, ein ähnliches Muster auf. Ihr Vorsitzender, Otmar Issing, sei neben der bereits erwähnten Beratertätigkeit für Goldman Sachs, Präsident des Center of Financial Studies, für ein von der Finanzbranche gesponserten Instituts an der Universität Frankfurt, tätig. Klaus Regling, ein überzeugter Monetarist, arbeitete für Moore Capital Strategy Group, einem Hedge-Fond. Außerdem gehöre der deutschen Gruppe Jan Pieter Krahnen, Professor für BWL, insbesondere Kreditwirtschaft und Finanzierung der Goethe Universität Frankfurt und Direktor des Center for Financial Studies, an, der zudem im Beirat der DZ Bank (Zentralbank der Volksbanken Raiffeisenbanken) sitzt und auch Mitglied im TSI-Beirat ist. Krahnen veröffentlichte eine Monographie zum Thema ‘German Financial System’ in der Oxford University Press. Seine Forschungstätigkeiten werden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft und der Europäischen Kommission unterstützt. Das Mitglied der Expertengruppe, William R. White, von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), hatte frühzeitig vor der Finanzkrise gewarnt. Als Vertreter der Bundesregierung nehmen der Wirtschaftsberater von Angela Merkel, Jens Weidmann, und der Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen teil. Asmussen steht als Aufsichtsratsmitglied der Mittelstandsbank IKB und wegen seiner früheren Mitgliedschaft im Gesellschafterbeirat der True-Sale International (TSI) in der Kritik, einer Lobby-Plattform für die Förderung von Verbriefungsgeschäften in Deutschland (siehe hier oder in zahlreichen Meldungen auf den Nachdenkseiten). Angesichts der Zusammenstellung der Expertengruppe und der Verflechtung der Experten mit der Finanzindustrie ist nicht zu erwarten, dass die Vorschläge der Gruppe Forderungen enthalten werden, den Kapitalmarkt auf notwendige Funktionen zu beschränken oder etwa eine Steuer auf Finanztransaktionen (Tobinsteuer) zu erheben. Ein Anspruch auf mehr effektive Kontrolle und wirkliche Transparenz wird aller Voraussicht nach nicht erhoben werden, deshalb wird sich auch künftig an den Spekulationen, Hedgefonds, Derivaten und Investmentbanken nichts ändern. Mit der Expertengruppe hat die EU-Kommission auf alte Seilschaften zurückgegriffen und Böcke zu Gärtnern gemacht, in der Illusion, diejenigen, die die Finanzkrise verursacht haben, könnten probate Rezepte erstellen um sie zu beenden. Siehe dazu auch „Brandstifter als Feuerwehrleute“ und den dortigen Hinweis auf einen Beitrag von Klaus C. Engelen. | Wolfgang Lieb | Eine Kurzstudie der Nichtregierungsorganisationen Corporate Europe Oberservatory, Friends of the Earth Europe, LobbyControl und Spinwatch kritisiert, dass sich die EU-Kommission bei der Bewältigung der Finanzkrise einseitig auf Experten aus der Finanzindustrie verlasse, die maßgeblich zur gegenwärtigen Krise beigetragen haben. Die Studie „Would You Bank on Them?“ [PDF - 1.5 MB] untersucht die ... | [
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Scholz & Friends – SPD-Parteitag mit freundlicher Unterstützung von Pfizer | Der US-Pharmariese hat als einer von 30 Partnern das jüngste Bundesdelegiertentreffen der Sozialdemokraten gesponsert. Das ließ sich nicht ändern, heißt es von der SPD-Pressestelle, schließlich sei der Konzern „regelmäßig“ als Aussteller zu Gast. Dass der gerade Milliardenprofite mit dem BioNTech-Impfstoff Comirnaty einfährt, den Neubundeskanzler Olaf Scholz allen Bürgern im Land im Halbjahresrhythmus in den Oberarm befördern will, erzeugt bei den Genossen kein bitteres Geschmäckle. Schamlos ist irgendwie auch ehrlich, findet Ralf Wurzbacher in seiner Glosse.
Man gönnt sich ja sonst nichts, gerade in tristen Zeiten wie diesen. Deshalb: Ein Spritzchen von BioNTech, ein zweites von AstraZeneca, obendrauf den Booster von Moderna und das Ganze am besten im Halbjahresabo. Mit jeder neuen Mutante ein Dreifachshot für die Ewigkeit. So lässt es sich leben. Oder auch nicht, wenn man Pech hat und das Zeug nicht verträgt oder eine Charge mit Stahlpartikeln oder Hitzeschock-Proteinen erwischt. Aber das sind Spitzfindigkeiten. Auf alle Fälle kommt da allerhand zusammen mit den Jahren, bei 82 Millionen Menschen im Land und über sieben Milliarden weltweit. Vor allem in den Kassen der Impfstoffhersteller. Die müssen sich wie in einem Wolkenkuckucksheim in Endlosschleife fühlen, seit sie die Notzulassung für ihre Wundermittelchen in der Tasche haben. Schließlich hatte daran etwa die Führungsmannschaft von BioNTech noch vor 15 Monaten kaum zu hoffen gewagt. Im Bericht zum 3. Geschäftsquartal 2020 ist nämlich festgehalten: „Es ist möglich, dass keiner unserer Produktkandidaten oder Produktkandidaten, die wir in Zukunft entwickeln wollen, jemals eine Zulassung erhalten wird.“ Dazu kam noch die Sorge, eine „mRNA-basierte Immuntherapie“ könnte „nicht oder nur mäßig wirksam sein oder unerwünschte oder unbeabsichtigte Nebenwirkungen, Toxizitäten oder andere Eigenschaften aufweisen“. Sicher sei ebenso wenig, „dass unerwünschte Wirkungen (…) nicht aufgedeckt werden, wenn eine wesentlich größere Anzahl von Patienten mit dem Produktkandidaten behandelt wird“. Bundesverdienstkreuz mit Stern Am Ende ging dann doch alles gut (nicht für jeden Impfling), beziehungsweise wie von selbst. In weniger als einem Vierteljahr hatten sich sämtliche Bedenken in Luft aufgelöst und die Behörden ganz bestimmt ganz gewissenhaft kein Äuglein zugedrückt. Wer hätte damals ahnen können, dass die Impfstoffe nicht ganz das halten, was man sich versprach: „Gamechanger“, Ende der Pandemie, Rückkehr zur Freiheit. Pustekuchen zwar, aber eben doch irgendwie „Rettung“, durch Impfen, Impfen, Impfen. So etwas verdient Anerkennung, allen voran für die Gentech-Pioniere aus Mainz, die Frank-Walter Steinmeier prompt mit dem Großen Verdienstkreuz mit Stern ausstaffierte. Aber auch die politische Heimat des Bundespräsidenten, die altehrwürdige Sozialdemokratie, zeigt sich dankbar. Zu ihrem Bundesparteitag am 11. Dezember gab sich ihr frisch vereidigter Bundeskanzler Olaf Scholz die Ehre, vor dem Logo von Pfizer zu posieren. Tatsächlich war der deutsche Ableger des mit BioNTech kooperierenden US-Pharmakonzerns nur einer von vielen Sponsoren, die zum Gelingen des SPD-Happenings in Berlin freundlichst beigetragen haben. Nur gut, dass dies dem Wirtschaftsjournalisten Norbert Häring aufgefallen ist. Sonst wäre dem geneigten Publikum ein so beispielloser Akt der Großherzigkeit glatt durchgerutscht. Wobei Häring den Vorgang in anderem Licht und angesichts der Umstände die Frage aufgeworfen sieht, „ob das nicht vielleicht korrupt sei“. Immerhin stelle die SPD „ja sogar den Gesundheitsminister, den altbewährten Pharmalobbyisten Karl Lauterbach“. Krank und schlank mit Lauterbach Wer wird denn wohl? Nur weil Lauterbach einst bei der Erstellung von industriegefälligen Studien zum Fettsenker Lipobay mitgewirkt hatte, an dessen Nebenwirkungen in den USA 31 Menschen verstarben, und sein Einsatz für den Appetitzügler Reductil mit dem Wirkstoff Sibutramin dem deutschen Erzeuger Knoll satte Profite und den Verbrauchern mithin tödliche Herzschäden bescherte, und er maßgeblich an der Einführung des Fallpauschalensystems in den Kliniken beteiligt war – et cetera pp. – muss man ihn deshalb einen Handlanger der Gesundheitswirtschaft schimpfen? Nicht doch. Und von wegen „korrupt“. Hierzulande nennt man so etwas „Politik“ oder „Beraterrepublik“. In Bundesministerien wie dem für Verkehr oder Verteidigung schreiben sich externe Experten die Gesetze manchmal eben selbst, aber immer zum Wohl der Allgemeinheit und auf deren Kosten. So was verbucht man unter Arbeitsteilung, Effizienzgewinn oder „schlanker Staat“. Da kann ein bisschen mehr Nähe zwischen Regierenden, Machern und Mächtigen nicht schaden. Wenn sich Neukanzler Scholz hinstellt und sagt, er werde als „auch der Kanzler der Ungeimpften“ demnächst alle Bürgerinnen und Bürger im Land zur Nadel nötigen und „30 Millionen Impfdosen bis Jahresende in die Oberarme kriegen“, dann muss das mit Pfizer doch abgesprochen sein. Oder will er riskieren, dass die mit der Lieferung nicht nachkommen? 30 Helfer und Gönner Und deshalb: Gut so, dass die SPD mit den Namen ihrer Helfer und Gönner nicht hinterm Berg hält. Beim jüngsten Parteitag waren das ja auch nur 30, darunter nicht wenige mit Rang und Prestige: Neben dem Microsoft-Konzern, den Häring gewiss zu Unrecht verdächtigt, die Gesundheitsdaten deutscher Kassenpatienten vermarkten zu wollen, um „uns zu gläsernen Patienten“ am „digitalen Gängelband“ zu machen, tauchen da noch auf: die Deutsche Telekom, die Deutsche Post, E.on, der Deutsche Bauernverband, die Deutsche Fußballliga, Union Investment, Die Arzneimittel Importeure, der Verband der Privaten Bausparkassen oder der Essener Spezialchemiefabrikant Evonik. Auch dessen Dienste haben Deutschland und der Rest der Welt bitter nötig: Das Unternehmen versorgt BioNTech im Rahmen einer „strategischen Partnerschaft“ mit den Lipidnanopartikeln, die die mRNA im Comirnaty-Impfstoff vor dem Zerfall bewahren. Selbstredend, dass die SPD der Firma dankt und für sie ein Plätzchen auf der Sponsorentafel freiräumt. Auf der SPD-Webseite zum Parteitag ploppt diese am unteren Bildende allerdings bloß bei inaktivem Adguard auf. Wer nicht auf Werbung steht, kriegt die Werbebande auch nicht zu sehen. Zuviel Transparenz kann schon mal lästig werden. Vier Jahre Pandemie? Bisweilen ist es einfach besser, dass die Menschen im Land nicht alles wissen. Zum Beispiel die Inhalte eines Vertrages, den die alte Bundesregierung zum 1. April 2020 mit einer Werbeagentur zur „Unterstützung bei der Konzeption und Durchführung von Kommunikationsdienstleistungen“ im Zusammenhang mit der Pandemie abgeschlossen hat. Die smarten Marketingtypen versorgen uns seit bald zwei Jahren mit immer wieder neuen Erbauungen zum Thema „Bleiben Sie gesund“ und „Ärmel hoch“. Im TV bekommt jetzt sogar der Weihnachtsmann eine Spritze verpasst, weil „wirkt auch, wenn man nicht dran glaubt“. Nach Auskunft des Bundesgesundheitsministeriums geschätzt 22 Millionen Euro umfasst das Auftragsvolumen des Deals und das – fast noch unglaublicher – „für die Dauer von vier Jahren“. Da behaupte noch einer, unsere politischen Führer agierten nicht vorausschauend. Aber noch einmal: Nicht alles ist publikumstauglich, zumal in diesem Fall schon der Name der Berliner PR-Bude (mit Hamburger Hauptsitz) Stoff für wirrste Verschwörungsmythen liefern würde: Scholz & Friends. Sonst aber spielen die Sozialdemokraten mit komplett offenen Karten. „Vor dem Hintergrund sinkender Einnahmen und steigender Ausgaben ist Sponsoring für uns unerlässlich“, enthüllt der Vorstand in seiner Richtlinie „zur Zusammenarbeit mit Ausstellern und Sponsoren“. Wer wollte das der SPD krummnehmen? Wo doch nur noch so wenige ihr Kreuzchen bei den Sozen machen, müssen halt alternative Einnahmequellen her. Letztlich sind die Wähler selbst schuld daran, dass sich die Parteien nach anderen Anhängern umsehen. Zu Gast bei Freunden Und zur Wahrheit gehört auch: Einen Reibach macht das Willy-Brandt-Haus mit all dem auch nicht. Wie die SPD-Pressestelle auf Anfrage der NachDenkSeiten am Donnerstag mitteilte, lassen sich die Sponsoren ihre „Logopräsenz“ lediglich 1.500 Euro kosten. Schließlich verlangen die Vorgaben, dass Leistung und Gegenleistung „in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen“. Bei einem BioNTech-Gewinn nach Steuern von über sieben Milliarden Euro nach den ersten drei Quartalen 2021 erscheinen 1.500 Euro sogar verhältnismäßig günstig. Aber das war ja längst nicht alles an Ausgaben. Schließlich ist Pfizer schon in der Vergangenheit „regelmäßig“ bei SPD-Parteitagen präsent gewesen. Und da „kein Verstoß (…) gegen die interne Sponsoringrichtlinie der SPD vorliegt, wäre ein Ausschluss nicht begründbar“, erklärte Sprecher Philipp Geiger. So sieht man das wohl auch bei der CDU und der FDP, wo der Pharmariese ebenfalls immer wieder seine Aufwartung macht. Da kommt, wie eingangs bemerkt, einiges zusammen – was zusammen gehört. „Wir danken für die Unterstützung“, sagt die SPD. „Milliarden Dank zurück“, hört man im Geiste die BioNTech-Bosse sagen. Aber wofür denn? | Ralf Wurzbacher | Der US-Pharmariese hat als einer von 30 Partnern das jüngste Bundesdelegiertentreffen der Sozialdemokraten gesponsert. Das ließ sich nicht ändern, heißt es von der SPD-Pressestelle, schließlich sei der Konzern „regelmäßig“ als Aussteller zu Gast. Dass der gerade Milliardenprofite mit dem BioNTech-Impfstoff Comirnaty einfährt, den Neubundeskanzler Olaf Scholz allen Bürgern im Land im Halbjahres ... | [
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Freiheit der Wissenschaft und Selbstverwaltung der Universität. Zur Frage der Verfassungskonformität des „Hochschulfreiheitsgesetzes“ NRW | Sowohl nach dem Grundgesetz als auch nach der Landesverfassung NRW ergeben sich schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken gegen das nordrhein-westälische Hochschulgesetz. Ein Aufsatz, der die undemokratische, die Selbstverwaltung der Hochschule aushebelnde Praxis des Hochschulrats an einer Hochschule exemplarisch schildert und der zum Ergebnis kommt, dass die Befugnisse dieses Entscheidungsgremiums weder mit dem Grundsatz der Freiheit der Wissenschaft nach Art. 5 Abs. 3 Grundgesetz noch mit Art. 16 Abs. 1 der Verfassung Nordrhein-Westfalens vereinbar sind. Von Marion Heinz und Thomas Horst.
Der Aufsatz erscheint demnächst in Christian Krijnen (Hg.): “Wahrheit oder Gewinn? Über die Ökonomisierung von Universität und Wissenschaft”. Der Verlag Königshausen & Neumann, GmbH hat uns freundlicherweise das Recht zu einem Vorabdruck eingeräumt.
Freiheit der Wissenschaft und Selbstverwaltung der Universität. Zur Frage der Verfassungskonformität des „Hochschulfreiheitsgesetzes“ NRW Von Marion Heinz/Thomas Horst I Nicht fachwissenschaftlich juristische Überlegungen, sondern Erfahrungen mit den ersten praktischen Anwendungen der Bestimmungen des Hochschulgesetzes NRW [1], die ich als Mitglied des Hochschulrats der Universität Siegen gemacht habe, sind der Kontext, in dem die Frage der Verfassungskonformität dieses Gesetzes für mich relevant wurde [2]: Wenige Monate nach der Installation des aus vier internen und vier externen Mitgliedern bestehenden Hochschulrats im Februar 2008 führte die erste Wahl eines Rektors nach den Vorgaben dieses Gesetzes, bei der sich erstmals auch externe Kandidaten bewerben konnten, zu einem massiven Konflikt zwischen dem Hochschulrat, dem Senat und der Dekanekonferenz. Der Hochschulrat hatte sich mehrheitlich (6 zu 2) für einen externen Kandidaten entschieden, und damit den bis dato amtierenden Rektor, der sich zur Wiederwahl gestellt hatte, völlig überraschend faktisch abgewählt. Da der zur Professorenschaft der Universität Siegen gehörende „alte“ Rektor, ein renommierter Geisteswissenschaftler, sein Amt erfolgreich ausgeübt hatte und daher in der Hochschule breite Akzeptanz fand, wurde diese Abwahl von Senat und Dekanekonferenz, als Affront und als autokratischer Eingriff des neuen Hochschulrats wahrgenommen. Provozierend war die Wahl des von einer TU kommenden Bewerbers in den Augen vieler besonders deshalb, weil bekannt wurde, dass der damalige Vorsitzende des Hochschulrats, ein Industrieller im Bereich Maschinenbau, diesen Kandidaten angesprochen und persönlich zur Bewerbung aufgefordert hatte. Es entstand bei nicht wenigen der Eindruck, dass hier – kaum war das neue Gremium Hochschulrat installiert – eine Indienstnahme der Universität für externe Interessen betrieben würde. [3] Nachdem der Senat im Juli 2008 mit großer Mehrheit die Bestätigung der Wahl verweigert hatte, stand der Hochschulrat vor der Alternative, entweder seinen Kandidaten mit einer 2/3 Mehrheit gegen den Senat durchzusetzen oder aber neu zu wählen. In dieser Situation haben einige Mitglieder des Senats einen Hochschulorganstreit für den Fall der Durchsetzung des externen Kandidaten durch den Hochschulrat erwogen. Da der Hochschulrat auf diese Option verzichtete und sich für eine Neuwahl entschied, konnte eine weitere Eskalation vermieden werden. In dieser brisanten Situation wurde ich erstmals mit der Frage der Verfassungskonformität des Hochschulgesetzes NRW, insbesondere mit der Befugnis des Hochschulrats, einen Rektor gegen die Mehrheit des Senats durchzusetzen, konfrontiert. Soweit es mir als Nichtjuristin möglich ist, habe ich mich aus Anlass dieser Tagung erneut und genauer mit dem Thema auseinandergesetzt. Durch die Unterstützung von Herrn Thomas Horst, der vor kurzem seine Dissertation genau zu dieser Thematik fertig gestellt hat, wurden die Ausführungen des folgenden juristischen Teils möglich. Zuvor nur noch einige Sätze zur atmosphärischen und politischen Situation im Sommer 2008 an der Universität Siegen: Es war zweifellos eine große Herausforderung für alle Beteiligten, so kurz nach der Umstellung der Hochschulen und der Einrichtung des Hochschulrats die Wahl des Rektors in Angriff nehmen zu müssen. Nach meiner Wahrnehmung war die Diskrepanz zwischen dem Selbstverständnis des neuen Hochschulrats und dem der „etablierten“ Gremien sozusagen ein „clash of cultures“, der mit der politischen Durchsetzung einer neuen Konzeption von unternehmerischer Hochschule, die dem Hochschulfreiheitsgesetz zugrunde liegt, geradezu vorprogrammiert war. Ein konkreter Grund für die erheblichen Konflikte war, dass Teile des Hochschulrats ihre Aufgabe darin sahen, die weite Entscheidungs- und Machtbefugnis, die ihnen durch das Gesetz eingeräumt wurde, nun auch zielstrebig und selbstbewusst ganz in ihrem Sinne umzusetzen – sicherlich subjektiv im guten Glauben, damit die Universität Siegen, die eine kleine und nach den Leistungsparametern vergleichsweise schwache Universität ist, für das positiv bewertete neue Szenario eines Konkurrenzkampfs zwischen den nordrhein-westfälischen Hochschulen besser zu rüsten. Die Universität Siegen hat am Fall der ersten Rektorwahl nach neuem Recht mit erheblichen Läsionen auf allen Seiten einen Interessengegensatz austragen müssen, der in der „politischen Arena“ und in der Gesetzeskonstruktion bereits angelegt war, im neuen betriebswirtschaftlichen Paradigma der Hochschulorganisation allerdings verdeckt bleiben muss. In der öffentlichen Anhörung zum Hochschulfreiheitsgesetz für Nordrhein-Westfalen (HFG) [4] vom 24.8.2006 [5] (und damit auch des Hochschulgesetzes NRW, als maßgeblicher Bestandteil des HFG) hat Prof. Hartmann von der TU Darmstadt die aufgrund der Implementierung eines externen Leitungsgremiums drohenden Friktionen nicht zufällig als Spannung zwischen alten und neuen Autoritäten beschrieben: „Ich kann aufgrund von Erfahrungen von Kollegen, die in solchen Räten sitzen, eines sagen: Die Mitglieder, die extern in solchen Räten sitzen, haben von den Funktionsweisen einer Hochschule oder von Wissenschaften vielfach recht wenig Ahnung. Sie haben studiert und glauben deshalb zu wissen, wie so etwas funktioniert. Nun, es gibt Personen, die damit sorgsam umgehen und sich bei Entscheidungen eher zurückhalten, es gibt aber auch diejenigen – und das ist meines Erachtens die Mehrzahl der Räte –, die ungeachtet dieser Unkenntnis oder fehlenden Kenntnis sehr aktiv in die Hochschulen hineinregieren, und dies geschieht meines Erachtens nicht zum Vorteil der Hochschulen. Wenn so ein Gremium so wenig institutionell und auch unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten abgesichert ist, dann ist das meiner Meinung nach extrem fragwürdig.“ [6] In entsprechender Lage befand sich die Universität Siegen im Sommer 2008 : Teile des Hochschulrats [7] sahen sich als Initiatoren eines politischen Neuanfangs, durch den die unternehmerische Hochschule ins Werk gesetzt werden sollte und dazu bedurfte es eines Rektors neuen Typs, der sich durch Management-Kompetenzen, insbesondere durch den Willen und die Fähigkeit zum sogenannten Change-Management auszeichnen sollte. Die Vorstellungen des Senats zu den Kompetenzen eines Rektors, die erst in zweiter Linie auf Managementqualitäten, primär aber auf das Leitbild eines vorbildlichen Wissenschaftlers und akademischen spiritus rector abhoben, durften in dieser Strategie keinerlei Beachtung finden, sofern der Senat eben selbst als Teil der alten, zu überwindenden ineffektiven Selbstverwaltungs-Hochschule angesehen wurde. Weil der Senat Teilen des Hochschulrats als per Gesetz entmachtet galt, die Diskrepanzen im Selbstverständnis von Senat und Hochschulrat also gar nicht als Manifestation hochschulpolitischer Differenzen verstanden und diskutiert werden konnten, wurden auch keinerlei Strategien zur Konsensbildung im Konfliktfall ausgelotet. Die Wahl des jetzt amtierenden externen Rektors im Jahr 2009 ist konfliktfrei verlaufen, weil die Meinungsbildungsprozesse nun frühzeitig kooperativ gestaltet wurden. So hat man aus Fehlern gelernt, indem durch neue Kommunikationsstrategien reibungslose Abläufe ermöglicht wurden. [8] Auseinandersetzungen in der Sache über das parteipolitische Konzept einer „unternehmerischen Hochschule“ und seine Implikationen, insbesondere bzgl. seiner verfassungsrechtlichen Grenzen, was die Frage der Berechtigung des Widerstands gegen derartige politische Vorgaben einschließt, hat es indessen nicht gegeben. Sie sind auch aus dem Blickwinkel des Konzepts der „unternehmerischen Hochschule“ nicht nur nicht effizient und Gewinn bringend, sondern störend. Dem erfolgreichen Funktionieren des Hochschulbetriebs sind Widerstände aufgrund normativer Grundsatzfragen abträglich. II. Ich komme nun zur juristischen Darlegung, in deren Zentrum die Regelungen des Hochschulgesetzes NRW zur Wahl des Rektors bzw. Präsidenten stehen. Die Regelungen in Nordrhein-Westfalen sind im Vergleich zu denen anderer Bundesländer die weitest gehenden, indem dieses Gesetz die Möglichkeit vorsieht, den Senat „auszuhebeln“, d.h. entweder durch ⅔ oder durch ¾ Mehrheit des Hochschulrats, je nachdem ob es sich um einen mit internen und externen oder nur mit externen Mitgliedern besetzten Hochschulrat handelt, die mangelnde Bestätigung des Senats zu kompensieren. Über die Art der Zusammensetzung des Hochschulrates – gemischt aus Externen und Internen oder nur Externe – konnten die Hochschulen in Nordrhein-Westfalen selbst entscheiden, § 21 Abs. 3 S. 2 HG NRW. In Siegen wurde ein gemischt besetzter Hochschulrat implementiert. Die Frage, ob die in Nordrhein-Westfalen mögliche Durchsetzung eines Rektors/Präsidenten seitens des Hochschulrats gegen das Votum des Senats verfassungskonform ist, verlangt eine doppelte Prüfung. Zum einen ist diese am Maßstab des Grundgesetzes, der Gewährleistung der Wissenschaftsfreiheit aus Art 5 Abs. 3 S. 1 GG durchzuführen. Dort heißt es: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung“. Zum anderen ist die Landesverfassung von NRW als Maßstab in Betracht zu ziehen. Dort heißt es in Artikel 16 Abs. 1: „Die Universitäten und diejenigen Hochschulen, die ihnen als Stätten der Forschung und der Lehre gleichstehen, haben, unbeschadet der staatlichen Aufsicht, das Recht auf eine ihrem besonderen Charakter entsprechende Selbstverwaltung im Rahmen der Gesetze und ihrer staatlich anerkannten Satzungen.“ Zur Prüfung dieser Frage am Maßstab des Art. 5 Abs. 3 GG sind die verschiedenen Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu dieser Thematik heranzuziehen. Die Details der durch das Bundesverfassungsgericht ergangenen Entscheidungen können hier nicht ausgebreitet werden, dazu ist die juristische Fachliteratur zu konsultieren. Hier kommt es auf die großen Linien der Argumentation an:
Bei der Frage der Vereinbarkeit der Regelungen zur Wahl des Rektors im Hochschulgesetz NRW mit dem Grundgesetz geht es um die allgemeine Fragestellung, inwieweit aus Art. 5 Abs. 3 GG eine bestimmte durch den Staat zu garantierende Organisation der Universitäten/Hochschulen folgt. Dazu ist zunächst negativ festzustellen: Das 1. Hochschulurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1971 und die zweite maßgebliche Entscheidung zu dieser Thematik, der sog. Brandenburg-Beschluss aus dem Jahre 2004, berufen sich zunächst auf dieselben „Grundsätze“ zur Gestaltung der Hochschulorganisation: zum einen enthalte das Grundgesetz „eine objektive, das Verhältnis von Wissenschaft und Forschung zum Staat regelnde wertentscheidende Grundsatznorm“ [11], zum anderen gewähre die Verfassung den in diesem Bereich Tätigen ein individuelles Freiheitsrecht als Grundrecht. [12] Die Gewichtung dieser beiden Komponenten hat sich im Brandenburg-Beschluss ganz zugunsten der letzteren verlagert. Im 1. Hochschulurteil, bei dem es um die Frage der Gruppenuniversität ging, wurde der Komponente der objektiven Wertentscheidung noch große Bedeutung zugemessen: dem einzelnen Grundrechtsträger erwachse daraus ein Recht „auf solche staatlichen Maßnahmen auch organisatorischer Art, die zum Schutz seines grundrechtlich gesicherten Freiheitsraumes unerlässlich sind, weil sie ihm freie wissenschaftliche Betätigung überhaupt erst ermöglichen.“ [13] Es wurde also 1. ein Bedingungszusammenhang zwischen Organisationsform und Ausübung des individuellen Grundrechts hergestellt, und aus diesem Bedingungsverhältnis wurde 2. eine „Befugnis des Grundrechtsträgers, gegenüber der öffentlichen Gewalt, die Beachtung der wertentscheidenden Grundsatznormen durchsetzen zu können“, gefolgert. Dabei kann sich der Grundrechtsträger außer auf sein individuelles Grundrecht auch auf die „wertentscheidende Grundsatznorm“ berufen. Wenn ich es richtig verstehe, erwächst demnach dem Staat unmittelbar aus der objektiven Norm eine Pflicht zur Durchsetzung der für die Wahrnehmung des individuellen Grundrechts geeigneten Organisationsform der Hochschulen als ganzer, auf die sich der individuelle Rechtsträger berufen kann. Demgegenüber wird die individuelle Wissenschaftsfreiheit im Brandenburg-Beschluss aus dem Jahre 2004 zum entscheidenden Bezugspunkt: „Die Garantie ist für jeden Wissenschaftler auf solche hochschulorganisatorischen Entscheidungen beschränkt, die seine eigene Freiheit zu forschen und zu lehren gefährden können. (…) Kriterium für eine verfassungsgemäße Hochschulorganisation kann nur sein, ob mit ihr freie Wissenschaft möglich ist und ungefährdet betrieben werden kann.“ [14] Der Staat sieht sich demgemäß in erster Linie als Garant individueller Freiheit in der Ausübung von Wissenschaft und ist erst infolge dessen verpflichtet, die deren Realisierung gefährdenden Organisationsformen der Hochschulen zu verhindern. „Die Garantie ist für jeden Wissenschaftler auf solche hochschulorganisatorischen Entscheidungen beschränkt, die seine eigene Freiheit zu forschen und zu lehren gefährden können.“ [15] Der Staat ist nun nicht mehr aufgrund der „wertentscheidenden Grundsatznorm“ positiv verpflichtet, wie es noch im ersten Hochschulurteil hieß, präventiv „alle erforderlichen und geeigneten organisatorischen Vorkehrungen [zu] treffen, um die Gefahr solcher fehlsamen [mit der Gefahr der Funktionsunfähigkeit oder der Beeinträchtigung des für die wissenschaftliche Betätigung der Mitglieder erforderlichen Freiheitsraums verbundenen] Entscheidungen im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren auszuschließen.“ [16] Zum neuen Prüfkriterium wird jetzt vielmehr die Frage, ob eine Organisationsnorm mit einer strukturellen Gefährdung freier wissenschaftlicher Betätigung einhergeht oder nicht: „Bei der verfassungsrechtlichen Prüfung der Vereinbarkeit von Organisationsnormen mit Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG ist darauf abzustellen, ob diese Regelungen Strukturen schaffen, die die freie wissenschaftliche Betätigung und Aufgabenerfüllung gefährden können. Solange der Gesetzgeber ein hinreichendes Maß an organisatorischer Selbstbestimmung der Grundrechtsträger sicherstellt, darf er den Wissenschaftsbetrieb nach seinem Ermessen regeln.“ [17] Präzisierend heißt es dazu: „Zur Klärung der Frage, ob eine Regelung Strukturen schafft, die sich gefährdend auswirken können, ist das hochschulorganisatorische Gesamtgefüge mit seinen unterschiedlichen Einfluss- und Kontrollmöglichkeiten in den Blick zu nehmen. Zu berücksichtigen ist dabei auch der Grad der Bedeutung der jeweils zu treffenden Entscheidung für die freie wissenschaftliche Betätigung und Aufgabenerfüllung. Da sich die meisten hochschulorganisatorischen Entscheidungen, auch wenn sie den Kernbereich wissenschaftlicher Betätigung nicht unmittelbar berühren, aufgrund der Angewiesenheit der wissenschaftlich Tätigen auf den öffentlich bereitgestellten und organisierten Wissenschaftsbetrieb mittelbar auf die wissenschaftliche Betätigung auswirken können (vgl. BVerfGE 61, 260 <279 f.>, insoweit BVerfGE 35, 79 <123> präzisierend), reicht eine nur hypothetische Gefährdung nicht aus.“ [18] Dabei sind einzelne Eingriffe in die Wissenschaftsfreiheit tolerierbar, solange sie nicht als systemisch mit der Organisationsstruktur verknüpft gelten: „Entscheidungen, die im Einzelfall die Wissenschaftsfreiheit verletzen, lassen sich durch Organisationsnormen allerdings nie völlig ausschließen.“ [19] Der Kontrast zum ersten Hochschulurteil wird darin besonders deutlich, dass nun eine bloß hypothetische Gefährdung nicht als strukturelle Gefährdung gilt; während der Staat zuvor dazu verpflichtet ist, alle erforderlichen und geeigneten Maßnahmen zur Vermeidung von Gefahren der Beeinträchtigung der Wissenschaftsfreiheit zu treffen, muss er nun nur noch tatsächlich gefährdende Organisationsformen verhindern. Im Ergebnis folgt aus dem Brandenburg-Beschluss, dass dem Gesetzgeber bei der Gestaltung der Hochschulorganisation ausdrücklich ein erheblicher Spielraum zugestanden wird. Es wird als notwendig angesehen, dem Gesetzgeber die Möglichkeit zu sichern, die organisatorischen Strukturen der Hochschulen an die „veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen von Forschung anzupassen.“ „Er ist dabei weder an überkommene hochschulorganisatorische Strukturen noch an deren einzelne Elemente gebunden. Der Gesetzgeber darf nicht nur neue Modelle und Steuerungstechniken entwickeln und erproben (vgl. BVerfGE 47, 327 <404>: “Wissenschaftsmanagement”), vielmehr ist er sogar verpflichtet, bisherige Organisationsformen kritisch zu beobachten und zeitgemäß zu reformieren (vgl. BVerfGE 35, 79 <117>). Ihm stehen dabei gerade hinsichtlich der Eignung neuer Organisationsformen eine Einschätzungsprärogative und ein Prognosespielraum zu.“ [20] „Die zur Sicherung der Wissenschaftsadäquanz von hochschulorganisatorischen Entscheidungen gebotene Teilhabe der wissenschaftlich Tätigen muss nicht in jedem Fall im Sinne der herkömmlichen Selbstverwaltung erfolgen.“ [21] Allerdings ist klar zum Ausdruck gebracht, dass der Gesetzgeber in allen wissenschaftsrelevanten Angelegenheiten verpflichtet ist, einen hinreichenden Einfluss der Träger der Wissenschaftsfreiheit zu garantieren. Das gilt nicht zuletzt für die Wahl der Hochschulleitung. Hier stellt das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf das Brandenburgische Hochschulgesetz dessen Verfassungskonformität fest unter ausdrücklichem Verweis auf die dort garantierten Rechte des Senats zur Wahl und Abwahl der Hochschulleitung. Zunächst konstatiert das Bundesverfassungsgericht, dass es sich bei der Wahl der Hochschulleitung um einen wissenschaftsrelevanten Vorgang handelt, der dem angesetzten Kriterium hinreichender Beteiligung der Träger der Wissenschaftsfreiheit genügen muss: „Aufgrund der von der Hochschulleitung zu treffenden Entscheidungen ist die Besetzung jedenfalls mittelbar wissenschaftsrelevant, so dass ein hinreichender Einfluss der Träger der Wissenschaftsfreiheit gewahrt werden muss.“ [22] Diese Bedingung sieht das Bundesverfassungsgericht gewährleistet, da nämlich folgendes im Brandenburgischen Hochschulgesetz geregelt ist: Kommen wir nun zur Anwendung der durch die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts dargelegten verfassungsrechtlich garantierten Normen für die Hochschulorganisation auf die Regelungen des Hochschulgesetzes NRW zur Wahl der Hochschulleitung: Zu unterscheiden ist dabei zwischen dem „Normalverfahren“ und dem „Besonderen Verfahren“, § 17 HG NRW. Die beiden Verfahren gleichen sich in folgenden Schritten: Bestätigt der Senat die Wahl der Hochschulleitung nicht innerhalb einer von der Grundordnung gesetzten Frist, kann der Hochschulrat im „besonderen Verfahren“ mit der Mehrheit von drei Vierteln seiner Stimmen die Bestätigung ersetzen; soweit Mitglieder der Hochschule Mitglieder des Hochschulrates sind, reicht dazu eine Mehrheit von zwei Dritteln seiner Stimmen aus, § 17 Abs. 3 S. 2 HG NRW. Während in der Literatur vereinzelt die Auffassung vertreten wird, beide Verfahren seien verfassungskonform, denn die Beteiligung des Senats in der Findungskommission sei bereits eine hinreichende Garantie für die vom Bundesverfassungsgericht für erforderlich erklärte Mitwirkung des Senats [24], kommt Horst zu einer differenzierten Einschätzung: während das Normalverfahren verfassungsrechtlich unbedenklich sei, sofern der Senat mit seiner Bestätigung hinreichenden Einfluss ausübe, verstoße das besondere Verfahren der Überstimmung des Senats durch den Hochschulrat gegen die Wissenschaftsfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG. Zur Begründung zieht er die Feststellungen des Brandenburg-Beschlusses heran. Dort heißt es: Gemessen an diesem vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Kriterium ist die im Hochschulgesetz NRW eingeräumte Möglichkeit der Überstimmung des Senats durch den Hochschulrat als verfassungswidrig zu beurteilen. Die Mitwirkung einiger Senatoren in der Findungskommission kann nicht als wesentlicher Einfluss des Senats auf die Wahl der Hochschulleitung gelten. Unter Zugrundelegung des im Brandenburg-Beschluss geltend gemachten Kriteriums der wesentlichen Einflussnahme des Senats auf Wahl und Abwahl der Hochschulleitung muss das Hochschulgesetz NRW auch wegen der einseitig beim Hochschulrat liegenden Befugnis, den Rektor abzuwählen (§ 17 Abs. 4 S. 1 HG NRW), als nicht verfassungskonform beurteilt werden. In Nordrhein-Westfalen ist beim Verfahren der Abwahl eines Rektors der Senat nur anzuhören, ein eigenes Abwahlrecht kommt ihm dagegen nicht zu. Der Senat wird damit zu einem „zahnlosen Tiger“, der keinerlei Handhabe gegen einen ganz am Willen des Hochschulrat ausgerichteten Rektor hat. Nachdem die erste Prüfung des Hochschulgesetzes NRW am Maßstab des Grundgesetzes durchgeführt ist, gilt es nun, die Frage zu erörtern, ob dieses Gesetz mit der Landesverfassung NRW, genauer mit dem sog. Selbstverwaltungsrecht aus Art. 16 Abs. 1 der Verfassung Nordrhein-Westfalens vereinbar ist oder nicht. Zunächst ist festzuhalten, dass die landesverfassungsgerichtliche Garantie der Selbstverwaltung als landesrechtliche Ergänzung zur bundesrechtlichen Wissenschaftsfreiheit neben Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG Geltung beansprucht. Was bedeutet Selbstverwaltung? Der Gegenbegriff ist Fremdverwaltung. Nach Ansicht von Horst liegt Fremdverwaltung jedenfalls dann vor, „wenn ein Organ, das formal als Selbstverwaltungsorgan normiert ist und Selbstverwaltungsaufgaben wahrnimmt, […] materiell kein Selbstverwaltungsorgan ist.“ Zu prüfen ist daher zunächst, ob der Hochschulrat Selbstverwaltungsaufgaben wahrnimmt, und in einem zweiten Schritt, ob er materiell ein Selbstverwaltungsorgan ist. Zu den Selbstverwaltungsangelegenheiten gehören Aufgaben, die erheblichen Einfluss auf die wissenschaftliche Tätigkeit der Hochschullehrer ausüben. Mit der Entlassung der Hochschulen in die sog. Freiheit, d.h. mit dem Rückzug des Staates aus der Detailsteuerung der Hochschulen, geht die Übertragung bisher staatlicher Aufgaben an die Hochschulen, insbesondere an das neu eingeführte Gremium des Hochschulrats einher. Der Hochschulrat nimmt mit der Zustimmung zu Zielvereinbarungen, Wirtschaftsplan, Hochschulentwicklungsplan, Wahl der Hochschulleitung eindeutig Selbstverwaltungsaufgaben wahr. Es stellt sich demnach die Frage, ob es sich bei dem nordrhein-westfälischen Hochschulrat auch materiell um ein Selbstverwaltungsorgan handelt. Von Selbstverwaltung kann nur dann gesprochen werden, wenn es sich um eine Eigenverwaltung der Betroffenen handelt. [26] Das Selbstverwaltungsorgan muss seine Legitimation daher auf die Körperschaft selbst zurückführen können. Angewendet auf den Hochschulrat bedeutet dies, dass dessen Amtsbestellung durch die Mitglieder der Hochschule selbst erfolgen müsste. Weitergehend wäre die Auslegung, dass die Mitglieder des Organs aus der Körperschaft selbst bestellt werden müssten. Verkürzt gesagt, ist der Hochschulrat nach keinem der genannten Kriterien als Selbstverwaltungsorgan zu bestimmen: Da sowohl bei der Erstwahl als auch bei allen anderen Wahlen seiner Mitglieder keine Möglichkeit besteht, dass der Senat die von ihm favorisierten Kandidaten ohne Mitwirkung des Ministeriums durchsetzt, ist der Senat als Teil der Hochschule, eben nicht die entscheidende Legitimationsinstanz. [27] Zwar muss der Senat die im Auswahlgremium gewählte Person mit einfacher Mehrheit bestätigen, er hat aber keine Möglichkeit, einen eigenen Vorschlag einzubringen. Berücksichtigt man schließlich, dass die abschließende Zustimmung des Ministeriums für die Wahl konstitutiv ist, kommt man zu dem Schluss, dass der Hochschulrat in materieller Hinsicht entgegen seiner formalen Normierung in § 9 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 S. 1 HG NRW kein Selbstverwaltungsorgan darstellt. Es liegt mithin ein Verstoß gegen Art. 16 Abs. 1 der Landesverfassung NRW vor. In einem Urteil des Bayrischen Verfassungsgerichtshofs vom 7. Mai 2008 [28] wird zur Frage der Wahrung der Selbstverwaltungsgarantie angesichts der Einrichtung von Hochschulräten wie folgt Stellung genommen: Konstatiert werden entscheidende Veränderungen der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen von Forschung; zum einen wird darauf verwiesen, „dass die organisatorische Vernetzung und ökonomische Begleitung von Forschungsprojekten aufwendige Forschung oft überhaupt erst möglich mache“; zum anderen wird auf die Berücksichtigung gesellschaftlicher Akzeptanz forschungspolitischer Entscheidungen, etwa im Bereich der Kernphysik oder der Gentechnologie abgehoben. [29] Daraus folgert das Gericht, dass die Integration hochschulexterner Mitglieder aus verschiedenen Bereichen der Gesellschaft in die Gremien der Hochschulen ermögliche, solche Entscheidungen auf der erforderlichen Grundlage in eigener Verantwortung treffen zu können. Durch externe Hochschulratsmitglieder könne ergänzender Sachverstand und zusätzlicher Erfahrungshorizont in die Hochschule eingebracht werden, um weitreichende Entscheidungen für die Zukunft einer modernen Hochschule in ihrer Gesamtheit sinnvoll und sachgerecht treffen zu können. [30]
Entscheidendes Kriterium sei in diesem Zusammenhang aber, dass die hochschulexternen Mitglieder gegen den Willen der hochschulinternen Senatsmitglieder keine Entscheidung des Hochschulrats herbeiführen könnten. Eine Steuerung der Hochschule durch Externe sei damit ausgeschlossen [31]: So heißt es näherhin zu den Erfordernissen einer verfassungskonformen Zusammensetzung des Hochschulrats: Nach Art. 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. Art. 25 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 4 BayHSchG gehören dem Hochschulrat zum einen die gewählten Mitglieder des Senats, das heißt acht Mitglieder der Hochschule, an. Hinzu kommen gemäß Art. 26 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BayHSchG acht Persönlichkeiten aus Wissenschaft und Kultur und insbesondere aus Wirtschaft und beruflicher Praxis (nicht hochschulangehörige Mitglieder).
Dass sich die externen Mitglieder des Hochschulrats nicht gegenüber den internen Mitgliedern durchsetzen können, liegt daran, dass das Bayerische Hochschulgesetz keine Vorgaben für einen Stichentscheid oder eine andere Form der Entscheidungsfindung bei Stimmengleichheit enthält, sondern vielmehr auf die Kompromissfähigkeit und -bereitschaft aller Beteiligten setzt. Eine im Konfliktfall lediglich abstrakt denkbare Blockadesituation im Hochschulrat gefährde jedoch nach Ansicht des bayerischen Verfassungsgerichtshofs die Funktionsfähigkeit des Hochschulbetriebs nicht. Prüft man das Hochschulgesetz NRW an diesem Maßstab, ergibt sich Folgendes: In Nordrhein-Westfalen haben die externen Mitglieder des Hochschulrats auch im Falle der paritätischen Besetzung dieses Gremiums mit internen und externen Mitgliedern die Möglichkeit, sich gegenüber den internen Hochschulratsmitgliedern durchzusetzen. Dies ergibt sich aus § 21 Abs. 6 S. 1 HG NRW, nach dem der Stimme des Hochschulratsvorsitzenden, der zwangsläufig aus dem Kreis der Externen kommen muss, bei einem Abstimmungspatt der Ausschlag zukommt. Das Hochschulgesetz NRW verstößt damit gegen das vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof angelegte Kriterium zur Garantie der Selbstverwaltung. Zusammenfassend: Sowohl nach dem Grundgesetz als auch nach der Landesverfassung NRW ergeben sich schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken gegen das nordrhein-westälische Hochschulgesetz. Dass dieses Gesetz gleichwohl in dieser Form verabschiedet werden konnte, ist um so erstaunlicher, als in der öffentlichen Anhörung einige dieser Bedenken nicht nur von den für Deregulierung eintretenden Vertretern wie Frau Wintermantel, der Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz, Herrn Müller-Böling vom CHE, Herrn Hillgruber vom DHV, sondern auch von allen Fachjuristen, u.a. von dem Verfassungsrechtler Hellermann vorgetragen wurden. Lassen Sie mich abschließend diese Stellungnahme von Prof. Hellermann zitieren [33]: So notwendig rechtliche Korrekturen des Hochschulgesetzes NRW in diesem Sinne sind, so wenig ist es damit getan. Wenn konstitutive normative Prinzipien in der beschriebenen Weise bedenkenlos unterhöhlt bzw. ausgehebelt werden können, ist dies als Verlust juristischer Solidität, demokratischer Kultur und politischer Verantwortlichkeit ernst zu nehmen. Nur so können die rhetorischen Schlagworte zur Legitimation der Hochschulreform, die neuen Leitbilder dieser so genannten freien und autonomen bzw. der „entfesselten“ Hochschule auf den Prüfstand kommen. Was also ansteht, ist die substanzielle politische Diskussion darüber, welche Konzeption von Hochschule aus welchen Gründen gewollt wird, offenzulegen, welche Ziele mit welchen „Kosten“ und Risiken zu realisieren sind – eine Reflexion auf Gewinne und Verluste in anderen als betriebswirtschaftlichen Kategorien. Der Aufsatz erscheint in
Christian Krijnen (Hg.): “Wahrheit oder Gewinn?
Über die Ökonomisierung von Universität und Wissenschaft”
ca. 260 Seiten, ca. 39,80, Verlag Königshausen & Neumann (K&N) Frühjahr 2011
ISBN 978-3-8260-4329-1
Wir danken dem Verlagsgeschäftsführer Prof. Dr. Johannes Königshausen für die freundliche Erlaubnis, diesen Aufsatz vorab veröffentlichen zu dürfen. | Wolfgang Lieb | Sowohl nach dem Grundgesetz als auch nach der Landesverfassung NRW ergeben sich schwerwiegende verfassungsrechtliche Bedenken gegen das nordrhein-westälische Hochschulgesetz. Ein Aufsatz, der die undemokratische, die Selbstverwaltung der Hochschule aushebelnde Praxis des Hochschulrats an einer Hochschule exemplarisch schildert und der zum Ergebnis kommt, dass die Befugnisse dieses Entscheidung ... | [
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] | 01. Oktober 2010 9:31 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=6911&share=email&nb=1 |
Interview mit Friedhelm Hengsbach – einem der letzten Intellektuellen mit einer eigenen Meinung | “Ich halte die Linkspartei für einen Segen – Eine CDU-geführte Regierung wird das fortsetzen, was Gerhard Schröder angefangen hat: die Deformation des Sozialstaats und die Entsolidarisierung. Ein Drittel der Bevölkerung ist im Parlament gar nicht mehr repräsentiert“, so Hengsbach.
Den Eindruck, unsere Intellektuellen seien ansonsten unfähig oder unwillig, den Charakter und die Folgen der Reformpolitik wahrzunehmen, gewinnt man, wenn man das Interview mit Friedhelm Hengsbach liest und seine Äußerungen zum Beispiel mit der Rede von Günter Grass vergleicht, die dieser im Wahlkampf pro Schröder hält und die in der Süddeutschen Zeitung vom 14.9. abgedruckt war. Grass spricht zu den Reformen nur nach, was gängige Meinung ist und ihm vermutlich aufgeschrieben worden ist. Ähnlich ist das beim Aufruf der „Aktion für mehr Demokratie“ In diesem Aufruf wird behauptet, es gehe bei der Wahl „um eine Richtungsentscheidung“. Und es findet sich dort die erstaunliche Feststellung: Die vielen Intellektuellen, die dies unterschrieben haben, sind offensichtlich blind, jedenfalls nehmen sie nicht wahr, was um sie herum vorgeht und direkt die Folge der Reformpolitik Schröders und seiner Koalition ist: zum Beispiel die massive Propaganda für die Privatisierung der Altersvorsorge und gleichzeitig die gezielte Erosion des Vertrauens in die Gesetzliche Rente. Ich mache dazu auf eine Kampagne von Allianz, Dresdner Bank und BILD aufmerksam: „Bild.T-Online und Allianz Leben präsentieren die Volks-Rente. Ohne sehen Sie ganz schön alt aus!“, so heißt es zu Beginn eines Textes bei Bild.T-Online. Ähnliche Texte finden Sie in einer Reihe von Anzeigen in BILD und anderen Werbemitteln, mit denen jetzt eine Offensive von Allianz und Dresdner Bank zur weiteren Privatisierung der Altersvorsorge beworben und begleitet wird. In den Texten wird den Menschen immer wieder eingeredet, die gesetzliche Rente reiche nicht mehr. Wörtlich: Darüber, wie falsch diese Behauptungen sind, haben wir in den NachDenkSeiten schon mehrmals ausführlich erläutert. Die Regierung Schröder hat den Vertrauensverlust der gesetzlichen Rente mit der Einführung der Riester-Rente und mit einer begleitenden Propaganda beschleunigt, nachdem in der Regierung Kohl damit begonnen worden war. Schwarz-gelb würde darauf aufbauen und vielleicht etwas schneller weitermachen. Das ist der einzige Unterschied. Eine Richtungsentscheidung steht da wie bei anderen Themen nicht an. Sie wird in diesem zutiefst verlogenen Wahlkampf immer nur behauptet. Wenn es eines Beweises der Richtigkeit des roten Fadens meines Buches „Die Reformenlüge“ bedurft hätte, der zu Ende gehende Wahlkampf hat wieder einmal gezeigt, wie nahe wir an dem sind, was George Orwell in „1984“ so skizziert hat: Nahezu alle unsere Intellektuellen geben sich dafür her. Um so dankbarer muss man Friedhelm Hengsbach sein, dass er seine Stimme gegen diese selbst betriebene Gleichschaltung erhebt. | Albrecht Müller | "Ich halte die Linkspartei für einen Segen - Eine CDU-geführte Regierung wird das fortsetzen, was Gerhard Schröder angefangen hat: die Deformation des Sozialstaats und die Entsolidarisierung. Ein Drittel der Bevölkerung ist im Parlament gar nicht mehr repräsentiert“, so Hengsbach.
Den Eindruck, unsere Intellektuellen seien ansonsten unfähig oder unwillig, den Charakter und die Folgen der Re ... | [
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] | 18. September 2005 17:42 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=878 |
Vorwärts | RT Deutsch hat zum Gedenken an das Ende des Zweiten Weltkrieges am 8. Mai/9. Mai ein interessantes Projekt gestartet und verwirklicht. Es ist eindrucksvoll. Es dient der Erinnerung an den Krieg und es dient dem Frieden. Deshalb möchten wir unsere Leserinnen und Leser auf das Ergebnis dieses Projektes aufmerksam machen. Hier ist der Link und es folgt die Vorstellung des Projektes, die Sie selbstverständlich auch nach Öffnung des Links lesen können. Am Ende verweisen wir auch auf einen Kommentar des sozialdemokratischen vorwärts zum 8. Mai. Albrecht Müller. | [] | [] | 08. Mai 2020 16:00 | https://www.nachdenkseiten.de/?tag=vorwaerts |
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Link zum Sommer-Interview im Stern vom August 2004 | Von Lesern kam die Anregung, auf den Link zum Stern-Interview des DGB-Vorsitzenden vom August 2004 hinzuweisen. Die Unterschiede zum Spiegel-Interview – siehe Tagebucheintrag vom 16.2.2005 – sind gravierend.
Hier ein paar Auszüge aus dem Stern-Interview: Das Verdi-Mitglied Gerhard Schröder sagt, diese Reformen sind ohne Alternativen: “Ich kann keine andere Politik machen!”
Nein! Politik heißt seit Tausenden von Jahren: in Alternativen denken. Wer das nicht will, handelt unpolitisch! Politische Entscheidungen sind doch nicht unkontrollierbare Naturereignisse! Es waren politische Entscheidungen, die dazu führen, dass die Reichen reicher, die Armen ärmer werden. Hartz IV bedeutet in weiten Teilen die soziale Deklassierung von Menschen, Hartz IV ist für Hunderttausende ein Verarmungsprogramm. (…) “Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat”, heißt es in Artikel 20 des Grundgesetzes. Aber dieser sozialstaatliche Konsens ist nun gebrochen. Bisher war unser System so ausgerichtet, den Lebensstandard gerade in Notfällen zu sichern. Mit Hartz IV ist das vorbei: Jetzt wird nur noch dafür gesorgt, dass man nicht völlig verarmt. (…) So sagen Sie doch nun, was zu tun ist!
Wir brauchen Arbeit. Wir müssen die Unternehmer gewinnen, in diesem Land wieder zu investieren und Leute einzustellen, Risiken einzugehen. Die Wirtschaft redet immer davon, dass sich der Staat aus allem zurückziehen soll. Aber gleichzeitig macht die Wirtschaft ohne den Staat nichts – über 100 Milliarden Euro bekommt sie jährlich an Subventionen! Außerdem hat der Staat den Großkonzernen Milliarden geschenkt – Gewerbesteuer faktisch abgeschafft, Körperschaftssteuer deformiert, Verlustvorträge erlaubt. Da kommen für die letzten zwei Jahre über 50 Milliarden zusammen. So hat sich der Staat handlungsunfähig gemacht, sich selbst verarmt. | Albrecht Müller | Von Lesern kam die Anregung, auf den Link zum Stern-Interview des DGB-Vorsitzenden vom August 2004 hinzuweisen. Die Unterschiede zum Spiegel-Interview – siehe Tagebucheintrag vom 16.2.2005 – sind gravierend.
Hier ein paar Auszüge aus dem Stern-Interview:
Das Verdi-Mitglied Gerhard Schröder sagt, diese Reformen sind ohne Alternativen: "Ich kann keine andere Politik machen!"
Nein! Politik ... | [
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"Gewerkschaften",
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] | 25. Februar 2005 16:18 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=474&share=email |
Wenn es die von Russland finanzierten Medien in Deutschland nicht gäbe, müsste man sie erfinden. | Jüngstes Beispiel: Fall Biden/Trump. Das von Russland finanzierte Medium RT Deutsch bringt am Abend des 27. September einen Kommentar des Chefredakteurs und darin integriert eine Äußerung des Präsidentschaftskandidaten der Demokraten und früheren Vizepräsidenten bei Obama, Joe Biden. Diese Äußerung zeigt, dass der frühere Vizepräsident nicht nur Opfer, sondern Täter ist. Alleine schon das folgende Zitat müsste das Amtsenthebungsverfahren gegen den amtierenden Präsidenten Trump wie ein Kartenhaus zusammenfallen lassen. Aber die USA sind das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, wie wir wissen. Albrecht Müller
Hier ist Bidens Äußerung verschriftet: In diesem Kommentar des Chefredakteurs von RT Deutsch, Ivan Rodionov, wird visuell gezeigt, wie der ehemalige Vizepräsident sich geäußert hat – bei Minute 0:58: Schauen Sie sich das Video mit dem Kommentar an und Sie werden erkennen, wie wichtig das Medium RT Deutsch als der „Andere Part“, wie es heißt, in Deutschland ist. Klar, dass man sich auch in deutschen Medien informieren sollte. Ich habe beim Berliner Tagesspiegel nachgeschaut und das hier gefunden: In diesem Artikel wird von der oben zitierten Drohung des ehemaligen Vizepräsidenten berichtet. Dann aber wird er mit einem ausführlichen Angriff auf den damaligen Generalstaatsanwalt rausgehauen. So sind sie, unsere deutschen Medien. Kampagnen-Medien. Titelbild: Drop of Light/Shutterstock.com | Albrecht Müller | Jüngstes Beispiel: Fall Biden/Trump. Das von Russland finanzierte Medium RT Deutsch bringt am Abend des 27. September einen Kommentar des Chefredakteurs und darin integriert eine Äußerung des Präsidentschaftskandidaten der Demokraten und früheren Vizepräsidenten bei Obama, Joe Biden. Diese Äußerung zeigt, dass der frühere Vizepräsident nicht nur Opfer, sondern Täter ist. Alleine schon das folg ... | [
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"Kampagnenjournalismus",
"Russia Today",
"Tagesspiegel",
"Trump, Donald"
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"einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte",
"Medien und Medienanalyse",
"Medienkritik"
] | 28. September 2019 12:27 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=55222&share=email |
Die coolen Rüstungskonzerne von nebenan – „Pinkwashing“ und die Normalisierung des Tötens | Wenn sich Paraden einer „Gegenkultur“ von Waffenschmieden sponsoren lassen, dann ist das Teil und Ergebnis der aktuellen Propaganda zur Verniedlichung des Militärischen. Die „Normalisierung“ von Krieg und Rüstung wird mit Macht vorangetrieben, sie ist erfolgreich und sie trifft auf viel zu wenig Gegenwehr. Ein Kommentar von Tobias Riegel. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download Der laut Medien größte Waffenfabrikant der Welt, die US-Firma Lockheed Martin, hat an der diesjährigen „Pride Parade“ in Washington DC teilgenommen (siehe Titelbild und das unten folgende Bild). Etwa laut dem US-Medium „Military News“ wurde auch ein Pride-Event in Texas von Lockheed gesponsert. Eine solche Instrumentalisierung der Regenbogenkultur ist kein Einzelfall: Im Artikel Wenn der Regenbogen zur Farce wird hat Jens Berger bereits beschrieben, dass weitere Rüstungsfirmen, Autokonzerne, private Lobby-Gruppen oder staatliche Organe wie die deutsche Polizei oder die EU-Grenzschützer Frontex inzwischen auf den Regenbogen-Zug zur Eigen-PR aufgesprungen sind. Die zehn momentan größten deutschen Rüstungsunternehmen finden sich unter diesem Link. Russel Brand fragte anlässlich des aktuellen Vorgangs bei der Pride-Parade in einer seiner kürzlichen Sendungen treffend, ob es denn verwunderlich sei, dass Krieg gesellschaftlich so akzeptabel geworden zu sein scheint, wenn sogar ein Event, das doch einer Gegenkultur entstamme wie der „Pride-Month“, nun von Lockheed Martin gesponsert werden dürfe. Ich finde es bereits fragwürdig, wenn Zuckerdrinks große Sportveranstaltungen instrumentalisieren dürfen. Aber die Akzeptanz von Waffenschmieden auf der eigenen Bühne ist ein erheblicher Schritt weiter – das findet auch Russel Brand: „Das ist Lockheed Martin! Sie produzieren Waffen, die auf die Kinder des Feindes niedergehen.“ Wie könne man das noch übertreffen, fragt er, wo sei noch die Grenze, wenn man solches Geld annehme? Ein Twitternutzer bringt die massiven moralischen Doppelstandards auf den Punkt: „Lockheed Martin möchte, dass Sie wissen, dass sie – obwohl sie Saudi-Arabien mit Raketen und anderer Militärausrüstung bewaffnen – große Unterstützer von LGBT-Rechten sind.“ Verniedlichung des Militärischen Der Vorgang illustriert neben der Heuchelei vonseiten des Waffenkonzerns eine massive Verniedlichung des Militärischen, die auf viel zu wenig gesellschaftlichen Widerstand trifft. Leider muss man davon ausgehen, dass sogar solche offenen Strategien zur „Normalisierung“ von Krieg und Waffenschmieden erfolgreich sind – und das sagt einiges über die Wehrhaftigkeit unserer Psychen gegenüber Propaganda aus, wenn es sogar so deutlich sein darf. Neben dem politischen „White-Washing“ und „Green-Washing“ gibt es also auch das „Pink-Washing“, das Wikipedia folgendermaßen beschreibt: „Strategien, die durch das Vorgeben einer Identifizierung mit der LGBT-Bewegung bestimmte Produkte, Personen, Organisationen oder Staaten bewerben, um dadurch modern, fortschrittlich und tolerant zu wirken.“ Entsprechend finden sich auch in der aktuellen Kriegspropaganda zahlreiche Vokabeln wie „divers“, ein Ausdruck, der wegen seiner teils irreführenden Nutzung inzwischen einen Eintrag in unserem „Wörterbuch der Phrasendrescher“ verdient hätte. Eine Armee „in der Mitte der Gesellschaft“ wurde auch durch die Corona-Politik begünstigt (Stichwort: Soldaten im Impfzentrum), wie etwa „Telepolis“ beschreibt: Die Bundeswehr und der Regenbogen Der Einzug des Regenbogens bei der Bundeswehr unterliegt einerseits ähnlichen Vorwürfen der Heuchelei wie bei Lockheed. Aber: Bezüglich der einstigen Diskriminierung von Homosexuellen bei der Bundeswehr ist es andererseits auch ein gutes Zeichen. Unter diesem Link finden sich Infos des Verteidigungsministeriums darüber, dass „erst durch die Aufhebung eines Erlasses zur Personalführung homosexueller Soldat*innen“ im Jahr 2000 die institutionelle Diskriminierung bei der Bundeswehr beendet worden sei. Das Gesetz ermögliche queeren Personen im Militärdienst, die bis zum Jahr 2000 diskriminiert worden seien, Rehabilitierung und Entschädigung. Die geballte eigene Meinungsmache der Bundeswehr zur „Vermenschlichung“ und Normalisierung des Militärischen in unserer Gesellschaft findet sich in der Mediathek der Bundeswehr. Dieser Text richtet sich selbstverständlich nicht gegen die LGBTQI+-Community, sondern gegen die Instrumentalisierung einer Bewegung und ihrer Symbolik, die einst als Gegenkultur wahrgenommen wurde. Die einzelnen Mitstreiter der Bewegung selber können nichts für die Vereinnahmung ihrer Symbole und die Instrumentalisierung des reichen schwul-lesbischen popkulturellen Kapitals, das in Jahrzehnten kreativ aufgebaut wurde. Aber prominente Vertreter von LGBTQI+ könnten sich laut gegen Vereinnahmungen durch Kriegstreiber aussprechen (vielleicht ist das geschehen, dann bitte ich um Hinweise). Und wenigstens die Veranstalter der erwähnten Pride-Märsche hätten doch eingreifen können: Sie hätten die Instrumentalisierung ihrer Parade durch einen riesigen Rüstungskonzern verhindern müssen. Abgesehen davon muss die Wut über solche Tendenzen die Konzerne treffen, nicht die Menschen. | Tobias Riegel | Wenn sich Paraden einer „Gegenkultur“ von Waffenschmieden sponsoren lassen, dann ist das Teil und Ergebnis der aktuellen Propaganda zur Verniedlichung des Militärischen. Die „Normalisierung“ von Krieg und Rüstung wird mit Macht vorangetrieben, sie ist erfolgreich und sie trifft auf viel zu wenig Gegenwehr. Ein Kommentar von Tobias Riegel.
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Die hausgemachte Energiekrise | Wir steuern auf einen teuren Winter zu. In Europa leeren sich die Erdgas-Vorräte und weltweit steigen die Preise für Erdgas täglich auf neue Rekordwerte. Hierzulande macht man wieder einmal Russland für die Probleme verantwortlich. Der Russe würde zu wenig Gas liefern und Europa erpressen. Doch so einfach ist es nicht. Die Energiekrise kam mit Ansage und ist hausgemacht. Man hat im Namen der Energiewende Atomkraftwerke geschlossen und die Kohleverstromung heruntergefahren, ohne sich ernsthaft Gedanken darüber zu machen, wie man die Lücken schließen kann. Die Folgen dieser hausgemachten Krise sind global und auch die Inbetriebnahme von Nord Stream 2 kann die Krise zwar mildern, aber nicht beseitigen. Von Jens Berger Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download Im März 2019, als noch niemand ahnen konnte, dass ein Virus die Weltwirtschaft ein Jahr später lahmlegen wird, erstellte die Internationale Energieorganisation IEA eine Prognose für den europäischen Gasmarkt in den nächsten Jahren. Die Botschaft war eindeutig. Bereits für 2020 sagte man für die EU eine noch nicht geschlossene Versorgungslücke in Höhe von 48 Milliarden Kubikmeter Erdgas voraus. Die Krise blieb bekanntlich aus, die Corona-Maßnahmen ließen weltweit die Industrie auf Sparflamme fahren. Nun läuft die Wirtschaft wieder auf Touren und der vorhergesagte Engpass ist eingetreten. Das ist im Prinzip aber weniger dramatisch, als es sich zunächst anhört, da diese Lücke den Unterschied zwischen der angenommenen Nachfrage und den bereits durch langfristige Lieferverträge gedeckten Mengen angibt. In anderen Worten: Die EU muss diese Menge an Gas auf den Rohstoffmärkten über kurzfristige Kontrakte oder auf dem sogenannten Spotmarkt, auf dem freie Kapazitäten gehandelt werden, einkaufen. Laut IEA-Prognose wird diese Versorgungslücke von Jahr zu Jahr jedoch zunehmen und für das nicht mehr allzu ferne Jahr 2025 soll die Lücke bereits 162 Milliarden Kubikmeter betragen. Das ist mehr, als die EU zurzeit von ihrem mit Abstand größten Lieferanten, Russland, über feste Verträge pro Jahr bezieht.
Quelle: IEA (der graue Bereich stellt die Versorgungslücke dar) Warum diese „geplante Unterversorgung“ überhaupt derart hohe Volumina umfasst, hat mehrere Gründe. Zum einen gehen die heimische Förderung in der Nordsee und der Import aus Norwegen (in der Grafik blau und lila) von Jahr zu Jahr zurück, da die Vorkommen langsam zu Neige gehen. Machten die heimische Förderung und die Importe aus Norwegen im Jahr 2018 noch fast 200 Milliarden Kubikmeter aus, prognostiziert die IEA bis 2025 eine Halbierung dieser Menge. Die daraus resultierende Unterversorgung hätte man seitens der EU andererseits aber relativ problemlos durch neue Lieferverträge mit Russland ausgleichen können. Doch man will sich ja nicht in die Abhängigkeit von Russland begeben und im derzeitigen politischen Umfeld, das durch Aggressionen gegen Russland geprägt ist, scheinen solche Verträge nicht opportun zu sein. Nun kann man natürlich nicht langfristig mehr Gas verbrauchen, als man fördert und einkauft. Sonst leeren sich die Speicher. Das passiert zurzeit. Mittel- bis langfristig muss man also entweder den Verbrauch drosseln oder aber die Fehlmengen auf dem Markt einkaufen. Ersteres wäre im Sinne der Ressourceneffizienz zwar sinnvoll, steht der Politik der Energiewende aber im Weg. Nicht nur in Deutschland, sondern europa- und sogar weltweit will man den CO2-Ausstoß durch das Herunterfahren der Kohleverbrennung senken. Das klingt gut. Wenn die fehlenden Kapazitäten in der Stromerzeugung jedoch nicht voll durch regenerative Energien ausgeglichen werden können, führt dies wohl oder übel zu einem steigenden Anteil der Gasverstromung. Und genau dies ist zurzeit der Fall. Alleine in Deutschland wurde im ersten Quartal 2021 46,2 Prozent mehr Strom aus Erdgas erzeugt als im Vorjahr. In Großbritannien, das zwar nicht mehr zur EU gehört, aber das Gas auf den gleichen Märkten wie die EU-Länder einkauft, beträgt der Anteil der Gasverstromung an der gesamten Stromerzeugung schwindelerregende 40%. Nicht die Heizungen der Privathaushalte, sondern die Stromerzeugung der Stromversorger und vor allem die energieintensive Großindustrie sind die größten Gasabnehmer. Es geht bei der „Gaskrise“ also keinesfalls um „unsere Heizung“, sondern vor allem um Strom. Die Lücken, die der Atomausstieg und der Abschied aus der Kohle hinterlassen haben, haben zu einer höheren Nachfrage nach Erdgas geführt und diese Lücke wurde nicht durch langfristige Lieferverträge geschlossen. Bleibt also nur eine andere Option – man kauft die fehlende Gasmenge auf dem Markt ein. Doch dummerweise gibt es dort nicht nur die Europäer als Kunden. Weltweit ist Gas eine knappe Ware. Allein China, der weltweit größte Kunde von Gaslieferungen, hat seine Importe in diesem Jahr verdoppelt und noch nicht einmal das reicht aus, um die Gasspeicher des Landes zu füllen. Noch angespannter ist die Lage in Staaten, die über keinen Anschluss an große Pipelinesysteme verfügen und auf den Import von verflüssigtem Gas (LNG) mit Tankern angewiesen sind. Hier ist der Markt so gut wie tot. Die beiden größten Produzenten Katar und die USA fördern beide am Limit und haben keine Reservekapazitäten. Während große LNG-Importeure wie Südkorea und Japan recht gut über langfristige Lieferverträge abgesichert sind, müssen die meisten Kunden aus Asien, Südamerika, dem Mittleren Osten und Europa ihre benötigten Kapazitäten auf dem Spotmarkt decken. Und dieser Markt reagiert auf die Knappheit, wie Märkte nun einmal reagieren. Die Preise gehen durch die Decke.
Quelle: Global LNG Hub So hat sich der Benchmark für Erdgas auf dem Spotmarkt binnen eines Jahres mehr als verfünffacht. Der Spotmarktpreis für LNG beträgt zurzeit für eine Novemberlieferung in Asien 20,1 US$ für die Maßeinheit mmBtu. Zum Vergleich: Im letzten Jahr rangierte er bei rund zwei US$ – eine Verzehnfachung. Die Folgen werden wir schon bald zu spüren bekommen, da chinesische Aluminiumhütten, japanische Autoproduzenten oder europäische Düngemittelhersteller die massiv gestiegenen Energiepreise natürlich auf ihre Produkte umlegen, die am Ende der Lieferkette in unseren Märkten stehen. Doch hierzulande betrachtet man die gesamte Krise bislang nur unter dem Gesichtspunkt, dass Russland angeblich zu wenig Gas liefern würde. Und sogar das ist falsch, wenn man den Angaben von Gazprom Glauben schenken kann. Laut Konzernangaben hat man im laufenden Jahr nicht etwa weniger, sondern 19,4% mehr Gas als im Vorjahreszeitraum exportiert. Der Gasexport nach Deutschland soll demzufolge sogar um 39,3% gestiegen sein. Dem widerspricht man in Deutschland auch nicht, verweist jedoch darauf, dass Russland mehr liefern könnte, wenn es denn nur wollte. Das ist richtig. Richtig ist jedoch auch, dass Gazprom betont, man würde gerne mehr liefern, dies jedoch lieber im Rahmen neuer, langfristiger Verträge festzurren. Die fertiggestellte Gaspipeline Nord Stream 2 wäre dafür auch in der Tat die ideale Versorgungsplattform. Doch offenbar zögert man in Deutschland. Das ist für die Industrie und für die Haushalte fatal, da die Alternative zu neuen Lieferverträgen mit Russland ein Einkauf des Gases auf dem vollkommen überhitzten Spotmarkt wäre. Und von wem würde man dann kaufen? Die LNG-Verarbeitungskapazitäten sind begrenzt und außer Russland liefern alle Exporteure, die ins europäische Pipelinenetz einspeisen, ohnehin an der Kapazitätsgrenze. Man würde also dasselbe Gas zu den Mondpreisen des Spotmarkts von Russland einkaufen und die Haushalte sowie die Industrie müssten dafür tief in die Tasche greifen. Dabei steht vor allem Deutschland eigentlich sehr komfortabel da. Wir haben einen Pipelineanschluss an einen zuverlässigen Exporteur, der nicht nur gewillt ist, den Bedarf zu decken, sondern auch die freien Kapazitäten hat. Selbst wenn man so dumm wäre, russisches Erdgas durch LNG aus den USA oder Katar zu ersetzen, ist dies – unabhängig von den Verarbeitungskapazitäten – gar nicht möglich, da diese beiden Länder überhaupt keine freien Kapazitäten haben. Dann müsste man sich unter die anderen Interessenten mischen und die Sache halt über den Preis ausmachen. In den USA und Katar würde man sich ins Fäustchen lachen, in Deutschland würde der Preis für Gas und Strom förmlich explodieren und ärmere Länder in Asien, dem Mittleren Osten oder Südamerika müssten halt die Stromversorgung einstellen. Das ist Wahnsinn. Und die derzeitigen Koalitionsverhandlungen mit den Betonköpfen von Grünen und FDP machen diesen Wahnsinn leider immer wahrscheinlicher. Titelbild: Alexyz3d/shutterstock.com | Jens Berger | Wir steuern auf einen teuren Winter zu. In Europa leeren sich die Erdgas-Vorräte und weltweit steigen die Preise für Erdgas täglich auf neue Rekordwerte. Hierzulande macht man wieder einmal Russland für die Probleme verantwortlich. Der Russe würde zu wenig Gas liefern und Europa erpressen. Doch so einfach ist es nicht. Die Energiekrise kam mit Ansage und ist hausgemacht. Man hat im Namen der E ... | [
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] | 30. September 2021 11:44 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=76534 |
Merkels Herrenmenschentum gründet nicht auf eigener Leistung sondern auf der Fehlkonstruktion der Eurozone und der brutalen Ausnutzung dieser Fehlkonstruktion | Es wird in diesen Tagen und Stunden viel geschrieben. Alleine die Hinweise des Tages enthalten eine Reihe von sehr guter Analysen, darunter einen Beitrag von Don Alphonso „Das ist ein Putsch gegen die alte BRD“ auf faz.blog, dem ich die Erinnerung an die Tradition des „Herrenmenschen“ verdanke. In den Analysen und Wertungen der verschiedenen Artikel kommt ein Hinweis zu kurz: Die deutsche Volkswirtschaft verdankt ihre Stärke im Vergleich zu der Mehrheit der anderen Euro Staaten einer Fehlkonstruktion. Man kann eine Währungsunion nämlich nicht gründen, wenn man nicht zugleich dafür sorgt, dass die Wettbewerbsfähigkeiten der Partner/alias: die Lohnstückkosten sich einigermaßen ähnlich entwickeln und auf mittlere Sicht ein Ausgleich der Leistungsbilanzüberschüsse und -defizite stattfindet. Deutschland hat diese Fehlkonstruktion brutal ausgenutzt. Es hat mit der Agenda 2010 die Löhne gedrückt und ist stolz auf die Entwicklung eines Niedriglohnsektors. Von Albrecht Müller Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download Damit wurden immer mehr Leistungsbilanzüberschüsse produziert. (2014 ca. 220 Milliarden Euro) Das bedeutet: Deutschland hat seine Arbeitslosigkeit exportiert. Es hat mehr produziert, als es selbst konsumiert und investiert hat. Das ist keine neue Analyse. Aber man muss daran erinnern, wenn man die deutsche Politik richtig bewerten will. Merkels, Schäubles, Gabriels und aller anderen Herrenmenschengehabe gründet auf einer falschen Anlage der Währungsunion, und wenn diese falsche Konstruktion nicht geändert wird, dann wird sich auch an den Krisen nichts ändern. Das Herrenmenschenturm gründet darüber hinaus auf der Charakterlosigkeit und dem Egoismus der handelnden Personen. Wenn man es gut mit ihnen meint, kann man Charakterlosigkeit auch durch Nichtwissen ersetzen. Aber das macht die Sache nicht besser. Die Agenda 2010 hat die Auswirkungen der Fehlkonstruktion verschärft Sigmar Gabriel und die anderen Führungspersonen der SPD könnten ja mildernde Umstände verlangen, weil sie es vermutlich wirklich nicht besser wissen und weil ihre Not mit der innerparteilichen Verteidigung der Agenda 2010 sie zu einer folgenschweren Falschbewertung veranlasst: Im gerade veröffentlichten „Impulspapier“ der SPD heißt es unter Ziffer 3., Deutschland sei ein starkes Land. Die SPD rühmt sich einer „beispiellosen Exportstärke“ und führt diese wesentlich auf die vor zehn Jahren durchgeführten Reformen, gemeint ist die Agenda 2010, zurück. Das bedeutet: Die SPD Führung versteht nicht einmal, dass die aus der Agenda 2010 folgende relative Lohndrückerrei und der von Gerhard Schröder ausdrücklich gerühmte Aufbau des Niedriglohnsektors die Fehlkonstruktion der Währungsunion verschärft hat. Nebenbei: So anders kann eine Parteiführung handeln, wenn sie von volkswirtschaftlichen Kenntnissen verschont bleibt. 1969 hat die damalige SPD Führung den Wahlkampf mit der Forderung nach Aufwertung der D-Mark geführt. In einer total vergleichbaren Situation. Und sie hat damit gewonnen und den Kanzlerwechsel geschafft. Jetzt trudelt sie Richtung 20 %. Zurück zur Sache und zu einem alten aber stimmigen Lied: um den weiteren Zerfall der Eurozone zu verhindern, ist es dringend notwendig, die Entwicklung der Lohnstückkosten aneinander anzupassen. Das kann man nicht alleine nur von den Leistungsbilanzdefizitländern verlangen. Daran müssen Deutschland, Österreich, die Niederlande und andere Überschussländer mitwirken. In Europa bedarf es also keineswegs nur einer Koordination der Fiskalpolitik, wie oft behauptet wird. | Albrecht Müller | Es wird in diesen Tagen und Stunden viel geschrieben. Alleine die Hinweise des Tages enthalten eine Reihe von sehr guter Analysen, darunter einen Beitrag von Don Alphonso „Das ist ein Putsch gegen die alte BRD“ auf faz.blog, dem ich die Erinnerung an die Tradition des „Herrenmenschen“ verdanke. In den Analysen und Wertungen der verschiedenen Artikel kommt ein Hinweis zu kurz: Die deutsche Volk ... | [
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] | 14. Juli 2015 13:31 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=26783&share=email&nb=1 |
Kriegstreiberei: Panzer-Debatte treibt bizarre Blüten | Die aktuelle Meinungsmache für Waffenlieferungen aus Deutschland nimmt immer groteskere Formen an. Diese Waffenlieferungen in den Ukrainekrieg sind aus politischen und moralischen Gründen strikt abzulehnen, so auch die aktuell beschlossenen Panzerlieferungen. Wer sie dennoch fordert, macht sich der versuchten Verlängerung des Leids schuldig und stellt sich gegen die Interessen der Bevölkerung. Ein besonders schräges Beispiel liefert aktuell die FDP. Ein Kommentar von Tobias Riegel. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download Waffenlieferungen Deutschlands in den Ukrainekrieg sind scharf abzulehnen, die offiziellen politisch-moralischen Begründungen für diese gefährlichen Handlungen sind nicht akzeptabel. Verweise zu diesem Standpunkt folgen weiter unten. Ein besonders abwegiges Zeichen für die aktuelle Debatte um Panzerlieferungen haben gerade die „Jungen Liberalen“ anlässlich des traditionellen Dreikönigstreffens der FDP in der Stuttgarter Staatsoper gesetzt (siehe Titelfoto). Unter der Überschrift „Krieg beenden, Panzer senden!“ forderten sie die Bundesregierung und Bundeskanzler Scholz dazu auf, die angekündigte Lieferung der Marder-Panzer zu einem umfangreichen Kurswechsel auszubauen, wie die Jugendorganisation der FDP mitteilt. Sprachverdrehung und rechtsradikale Slogans Die Veranstaltung und ihr Slogan ist innerhalb der aktuellen politischen und medialen Propaganda für Waffenlieferungen nur ein Beispiel unter vielen – aber ein besonders schrilles: Die in jeder Beziehung irreführende Losung „Krieg beenden, Panzer senden!“ muss als eine geradezu Orwell’sche Sprachverdrehung bezeichnet werden. Zusätzlich scheuten sich die „Jungen Liberalen“ nicht, bei der Veranstaltung unter der rechtsradikalen Losung „Slawa Ukrajini!“ aufzutreten. Das kann zweierlei bedeuten: Entweder sind sie gefährlich ahnungslos (schwer vorstellbar). Oder sie haben keine Skrupel, jene Heuchelei zu befeuern, bei der Rechtsradikale in Deutschland (zu Recht) als gesellschaftliches Problem dramatisiert werden, während Nazis in der Ukraine verniedlicht werden. Die „Jungen Liberalen“ mögen als Gruppe irrelevant sein, aber die für ihre Kundgebung gewählte Botschaft ist (in Abstufungen) in der deutschen Parteienlandschaft erschreckend weit verbreitet – und auch in zahlreichen Medien. So verbindet auch etwa die „Welt am Sonntag“, beispielhaft für viele Medien, unrealistische Kriegsziele mit der Forderung nach mehr deutschen Waffen: Marie-Agnes Strack-Zimmermann von der FDP reklamierte die Verantwortung für die nun beschlossenen gefährlichen deutschen Panzerlieferungen für ihre Partei und drohte bei dem Anlass: Grüne und FDP: Radikale Gruppierungen Wie gesagt, das Versagen beim Thema Ukraine ist bei den deutschen Parteien weit verbreitet. Doch es gibt Schattierungen bei der Verantwortungslosigkeit: Die FDP ist nach den Grünen die Partei in Deutschland, die am heftigsten für deutsche Waffenlieferungen eintritt. Man kann beide Parteien zumindest teilweise als radikale Gruppen einordnen, die sich ohne Skrupel transatlantischen Wünschen unterwerfen, um eine Politik zu verfolgen, die sowohl gegen die Interessen der deutschen Bevölkerung gerichtet ist, als auch das Leid der Ukrainer nicht lindert. Das bezieht sich nicht nur auf Waffenlieferungen, sondern auch auf die Wirtschaftssanktionen. Das muss immer wieder betont werden: Die aktuelle Politik der Bundesregierung lindert nicht das Leid der ukrainischen Zivilisten – weder durch die Sanktionen noch durch die Waffenlieferungen noch durch die Ausbildung von ukrainischen Soldaten. Eher ist das Gegenteil festzustellen. Die Gleichung, „Wer gegen die Sanktionen ist, ist gegen die Ukraine“, hält nicht stand, wie wir in diesem Artikel beschrieben haben. Dass Waffenlieferungen in Kriegsgebiete politisch und moralisch nicht haltbar sind, wurde bereits im Artikel „Kriegsverlängerung – Und die ‚Moral’ der grünen Sofa-Soldaten“ beschrieben. Häufig erklingt das Argument: „Dann sollen die Russen eben die Ostukraine verlassen, dann ist doch Frieden.“ Diese Sichtweise lässt die zur seriösen Beurteilung des Konfliktes unerlässliche Vorgeschichte des Ukrainekrieges unter den Tisch fallen und ist in dieser simplen Form nicht haltbar. Aber selbst wenn die moralische Beurteilung des Ukrainekrieges so einfach und so klar wäre, wie das vor allem von den Grünen dargestellt wird: Auch das würde nichts an der Entschlossenheit Russlands und an der verbissenen Fortführung des Krieges in der Ostukraine ändern. Zu diesem Aspekt haben die NachDenkSeiten im Artikel Rückschläge für die Russen erhöhen die Gefahr eines „großen Kriegs“ geschrieben: Macht die Regierung Deutschland zur Kriegspartei? Im Artikel Deutsche Panzer, die auf Russen schießen – Diese Regierung führt uns an den Abgrund“ hatten wir kommentiert, wie gefährlich und moralisch abwegig bereits die Lieferungen schwerer Waffen an die Ukraine durch Deutschland sind. Ein noch über die Waffenlieferungen hinausgehender Punkt ist die Ausbildung von Ukrainern an Waffen in Deutschland, da diese Ausbildung völkerrechtlich eine andere, noch gefährlichere Qualität haben kann, wie etwa im Artikel “Verfassungsbeschwerde gegen Ausbildung ukrainischer Soldaten in Deutschland” beschrieben wird. Im Artikel “Panzer-Ausbildung: Wird Deutschland Kriegspartei gegen Russland?” heißt es: Leserbriefe zu diesem Beitrag finden Sie hier. Titelbild: Twitter @ulrikeguerot | Tobias Riegel | Die aktuelle Meinungsmache für Waffenlieferungen aus Deutschland nimmt immer groteskere Formen an. Diese Waffenlieferungen in den Ukrainekrieg sind aus politischen und moralischen Gründen strikt abzulehnen, so auch die aktuell beschlossenen Panzerlieferungen. Wer sie dennoch fordert, macht sich der versuchten Verlängerung des Leids schuldig und stellt sich gegen die Interessen der Bevölkerung. ... | [
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] | 09. Januar 2023 11:52 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=92256&share=email |
Hexenjagd auf ukrainische Journalisten | Ein ukrainischer Ultranationalist hat eine „Schwarze Liste“ von 1.500 Fernsehjournalisten erstellt, deren Kanäle wegen „Propaganda“ von Präsident Wolodymir Selenski abgestellt wurden. Das Desinteresse der deutschen Medien an diesen Entwicklungen in der Ukraine ist erschreckend. Aus Moskau berichtet Ulrich Heyden.
Am 3. Februar 2021 hat der ukrainische Präsident Wolodymir Selenski die oppositionellen Fernsehkanäle 112, NewsOne und ZIK abgeschaltet. Selenski erklärte, die drei Kanäle würden „Propaganda“ betreiben. Mit dieser Formulierung wird eine Parteinahme für Russland unterstellt. Selbst Präsident Selenski trat im „Propaganda-Sender“ auf Wie das oppositionelle Kiewer Portal strana.ua berichtete, ist der Vorwurf der “Propaganda” gegen die drei Fernsehkanäle heuchlerisch. Denn bei den drei am 4. Februar abgeschalteten Fernsehkanälen ZIK, NewsOne und 112 seien zahlreiche hohe ukrainische Politiker und Beamte aufgetreten. In Sendungen der drei Kanäle aufgetreten sind keine Geringeren als der erste Präsident der Ukraine, Leonid Kutschma, der Leiter des rechtsradikalen Nationalen Korpus, Andrej Biletski, und sogar der Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenski. Einen Monat vor der Abschaltung gab die Pressesprecherin von Selenski, Julia Mendel, dem Fernsehkanal ZIK ein Exklusiv-Interview. Jetzt erklärt Mendel, der Fernsehkanal sei propagandistisch und die Abschaltung der Fernsehkanäle völlig dem Gesetz entsprechend. Präsidenten-Partei nur auf Platz drei Dass der ukrainische Präsident jetzt massiv gegen oppositionelle Medien vorgeht, hängt offenbar damit zusammen, dass die Popularität von Selenski und seiner Partei „Diener des Volkes“ massiv gesunken ist. Grund für den Popularitätsverlust der Präsidenten-Partei ist, dass Selenski keines seiner Versprechen gehalten hat. Der Krieg gegen die „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk geht auf kleiner Flamme weiter. Die Wohnungsbetriebskosten in der Ukraine steigen immer mehr. Neue Arbeitsplätze gibt es nicht und die Ukrainer werden faktisch zur Arbeitsmigration nach Polen und in andere EU-Staaten gezwungen. Wie die „Ukrainische soziologische Gruppe“ Anfang Februar bekanntgab, würde die russland-freundliche „Oppositionspartei – für das Leben“ – wenn in den nächsten Tagen Wahlen wären – mit 25,7 Prozent stärkste Partei. Auf Platz zwei käme die Partei des ehemaligen ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko mit 20,1 Prozent. Erst auf Platz drei käme die Partei von Selenski, „Diener des Volkes“, mit 16,6 Prozent. 10,8 Prozent der Stimmen bekäme die Partei der ehemaligen „Gas-Prinzessin“ Julia Timoschenko. Journalisten fürchten um ihr Leben Einen Tag nach der Abschaltung der drei Fernsehkanäle, bei denen insgesamt 1.500 Journalisten arbeiteten, rief der ukrainische Ultranationalist Sergij Sternenko via Facebook auf, eine “schwarze Liste” aller Journalisten zu erstellen, die bei den drei Fernsehkanälen gearbeitet haben. Der Ultranationalist Sergij Sternenko will eine schwarze Liste mit Fernsehjournalisten anlegen. Foto: Facebook. Sternenko stammt aus Odessa. Er gehörte dem Rechten Sektor an und wird wegen eines Mordes beschuldigt. Wozu die „schwarze Liste“ nötig ist, begründete Sternenko via Facebook folgendermaßen: Das Echo auf den Post des Ultranationalisten Sternenko war gewaltig. Sein Post auf Facebook bekam 3.400 Likes. Er wurde 203 Mal geteilt und 384 Mal kommentiert. Was bedeutet es, in der Ukraine auf einer schwarzen Liste zu erscheinen? Das bedeutet nicht nur Schwierigkeiten bei der Arbeitsplatzsuche, sondern das bedeutet auch, dass man zur Zielscheibe von Ultranationalisten wird. Erinnert sei an den Fall des russlandfreundlichen Schriftstellers Oles Busyna, der im April 2015 – mutmaßlich von dem Ultranationalisten Andrii Medvedko – vor seinem Haus erschossen wurde. Erinnert sei auch an den liberalen Journalisten Pawel Scheremet, der im Juli 2016 im Zentrum von Kiew mit einer Bombe getötet wurde. Täter waren mutmaßlich Ultranationalisten. Kotsaba: Ich ändere ständig meinen Aufenthaltsort Der Journalist Ruslan Kotsaba, der für alle drei abgeschalteten Fernsehkanäle arbeitete, sagte gegenüber dem Autor dieser Zeilen, dass er seinen Aufenthaltsort zurzeit ständig wechsle und nur mit dem Taxi fahre. Kotsaba ist ein bekannter Journalist. Weil er 2015 zur Kriegsdienstverweigerung in der Ost-Ukraine aufrief, läuft gegen ihn jetzt ein Verfahren wegen Landesverrates. Bei der letzten Sitzung des Gerichts am 22. Januar in der westukrainischen Stadt Kolimya wurden Kotsaba und seine Anwältin Tatjana Montian von 70 Ultranationalisten mit einem Feuerlöscher und Knüppeln angegriffen. Die Polizei, die vor dem Gericht nur schwach vertreten war, nahm keinen der Angreifer fest und lehnte es auch ab, Kotsaba vom Ort der Auseinandersetzung zu evakuieren. Kotsaba meint, wenn Vertreter ausländischer Staaten wie Journalisten, Botschafter oder Vertreter von Menschenrechtsorganisationen im Gericht anwesend gewesen wären, hätten die Ultranationalisten nicht gewalttätig vorgehen können. Reporter ohne Grenzen schweigt Das Desinteresse der deutschen Medien an dem Fall Kotsaba und an der Abschaltung der drei ukrainischen Fernsehkanäle ist erschreckend. Auch die deutsche Sektion von „Reporter ohne Grenzen“ hat bis heute nicht über die Abschaltung der Fernsehkanäle und die Verfolgung von Ruslan Kotsaba berichtet. Der letzte längere Bericht über die Ukraine auf der Website von „Reporter ohne Grenzen“ stammt von 2010. Ein Bericht über die Situation der Medien nach dem Maidan wurde gelöscht. Dass deutsche Medien keine kritischen Artikel über die Politik der ukrainischen Regierung bringen und über brisante innenpolitische Fälle meist gar nicht berichten, hat seit dem Maidan 2014 Tradition. Das hat der Autor dieser Zeilen schon 2018 bei einer Anhörung der Partei „Die Linke“ im Deutschen Bundestag ausgeführt. Titelbild: Rishad Allaberdiev / Shutterstock | Ulrich Heyden | Ein ukrainischer Ultranationalist hat eine „Schwarze Liste“ von 1.500 Fernsehjournalisten erstellt, deren Kanäle wegen „Propaganda“ von Präsident Wolodymir Selenski abgestellt wurden. Das Desinteresse der deutschen Medien an diesen Entwicklungen in der Ukraine ist erschreckend. Aus Moskau berichtet Ulrich Heyden.
Am 3. Februar 2021 hat der ukrainische Präsident Wolodymir Selenski die opposi ... | [
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] | 11. Februar 2021 9:00 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=69716 |
„Wir stehen vor einem Abgrund von Landesverrat!“ – oder: Klopfzeichen aus dem Jenseits? | Ein Bundeskanzler nimmt im Handstreich sein gesamtes Volk, über 84 Millionen Menschen, in Geiselhaft. Wie soll man eigentlich eine solche Maßnahme adäquat benennen? Darauf hat möglicherweise bereits vor über 60 Jahren ein anderer Kanzler eine recht plausible Antwort geliefert. Von Leo Ensel. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download Hat Konrad Adenauer den obigen Satz wirklich Anfang November 1962 während einer turbulenten Bundestagsdebatte im Zusammenhang mit der sogenannten „Spiegel-Affaire“ geäußert? Oder hat er sich nicht vielleicht doch erst kürzlich anlässlich einer gewissen Ankündigung eines anderen deutschen Bundeskanzlers in Washington am 11. Juli 2024 via Klopfzeichen aus dem Jenseits gemeldet? Der Autor dieser Zeilen, Nichtjurist seines Zeichens, ist sich da keineswegs sicher. Je mehr er darüber nachgrübelt, desto plausibler erscheint es ihm, dass der altbundesrepublikanische Ex-Kanzler diesen Satz eigentlich nur auf die aktuelle Situation gemünzt haben kann! Denn wie soll man es anders benennen, wenn ein Bundeskanzler, der einen Eid abgelegt hat, Schaden von seinem Volk abzuwenden, im Handstreich beschließt, eben dieses Land und dessen gesamte Bevölkerung – mehr als 84 Millionen Menschen – in Geiselhaft zu nehmen, sprich: sie im Krisen- und erst recht im Kriegsfalle zur Zielscheibe gegnerischer Präventiv- oder Vergeltungsschläge zu verwandeln? Und dessen smarte Außenministerin einen Verzicht auf eben diese Geiselnahme als „nicht nur verantwortungslos, sondern auch naiv gegenüber einem eiskalt kalkulierenden Kreml“ bezeichnet? Der stramme Kriegstüchtigkeitsminister das Volk beschwichtigend einlullt: die Gefahr, das Land drohe selbst zum Kriegsschauplatz zu werden, sei „blanker Unsinn“? Der Vizekanzler – wie die Außenministerin Mitglied einer einstmals friedensbewegten Partei, die vor vier Jahrzehnten gegen analoge Maßnahmen vehement protestierte – scheinbar verantwortungsbewusst stammelt, Aufrüstung sei „erst mal nichts, mit dem ich mich leicht tue“, um dann mit sorgendurchfurchter Mine, stellvertretend für sein Volk (das es ausbaden muss), die bittere Pille tapfer zu schlucken und diesem verhängnisvollen Beschluss umgehend seinen Segen zu erteilen? Und dann, eine Reminiszenz an das Altwählerklientel, das Valium – „Wir dürfen nicht dabei stehen bleiben, in Kriegsszenarien zu denken. Die Arbeit muss auf den Frieden gerichtet sein“ – postwendend nachliefert? Kinderfragen eines Nichtjuristen. Chapeau, dass jedenfalls ein gelernter Jurist, Alexander Unzicker, nun die Zivilcourage besitzt, solche Fragen einmal grundsätzlich vom Bundesverfassungsgericht klären zu lassen! Sollten immer mehr Menschen seinem Beispiel folgen und, jeweils an ihrem Platz, endlich anfangen, Sand ins Getriebe der sich ins Unermessliche steigernden Kriegsmaschinerie zu streuen, dann wäre unser Land vielleicht doch noch nicht verloren … Mit freundlicher Genehmigung von Globalbridge.
Titelbild: Juergen Nowak/shutterstock.com | Leo Ensel | Ein Bundeskanzler nimmt im Handstreich sein gesamtes Volk, über 84 Millionen Menschen, in Geiselhaft. Wie soll man eigentlich eine solche Maßnahme adäquat benennen? Darauf hat möglicherweise bereits vor über 60 Jahren ein anderer Kanzler eine recht plausible Antwort geliefert. Von Leo Ensel.
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] | 01. August 2024 11:00 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=119019&share=email |
Sadiq al-Azem, der große syrische Philosoph, ist in Berlin verstorben. Ein Nachruf von Heiko Flottau. | Der frühere Nahostkorrespondent und Kenner der Szene, Heiko Flottau, hat für die NachDenkSeiten den syrischen Philosophen gewürdigt. Danke für diesen Text. Manche Leserinnen und Leser der NachDenkSeiten mögen solche Texte für ausgefallen halten. Die NachDenkSeiten füllen aber damit bewusst eine Lücke. Albrecht Müller.
Der Nachruf So tapfer er im Leben für seine Überzeugungen gekämpft hat, so tapfer ist er gestorben. Sadik al-Azem, Syrer, der arabischen Welt berühmtester Philosoph, erlag am 11.Dezember in Berlin im Alter von 82 Jahren einem Krebsleiden. Eine weitere Behandlung der tödlichen Krankheit hatte er abgelehnt, gefaßt hatte er die letzten Wochen seines Lebens verbracht. Gefaßt und kämpferisch war Al-Azem auch allen Anfeindungen seiner Gegner aus dem traditionellen islamischen Lager begegnet. Es war, zum Beispiel, eine Sensation – und für das muslimische Establishment ein Skandal –, als Sadik al-Azm im Dezember 1969 in der libanesischen Hauptstadt Beirut sein Werk Naqd al-Fikr ad-Dini – Critique of Religious Thought – veröffentlichte. Der Mufti des Libanon setzte das Werk sofort auf den Index, der Autor kam vorübergehend ins Gefängnis. Überall, außer im Libanon, wurde die Abhandlung offiziell verboten. Dennoch, schreibt Sadik al-Azm im Vorwort der englischen Übersetzung, welche 2015 bei Gerlach-Press in Berlin herauskam, sei das Buch überall in der arabischen Welt erhältlich – für jene, «die es lesen und für jene, die es verbrennen» wollten. Lesen wollten es, trotz der offiziellen Verbannung, viele. Und schon zur Zeit der Erstveröffentlichung gab es im Libanon wenigstens ein paar vernünftige Leute, die dazu rieten, sich mit dem Werk auseinanderzusetzen. Eine der anerkanntesten Persönlichkeiten der arabischen Welt, Drusenführer Kamal Jumblatt (damals Innenminister des Landes, später, 1978, vermutlich von syrischen Agenten ermordet) schützte Sadik al-Azm davor, aus dem Libanon deportiert zu werden. Und der vielmalige Premier Saeb Salam riet dazu, sich mit dem Buch ernsthaft zu beschäftigen, statt unnötige und unfruchtbare Aufregung zu verbreiten. Schließlich und, besonders aus heutiger Sicht, am bedeutendsten: das schiitische Establishment des Libanon äußerte sich gegenüber dem Sunniten Sadik al-Azem «wohlkalibriert mit einer maßvollen Position der Toleranz», wie Sadik al-Azm im Vorwort der englischen Ausgabe schreibt. So erklärte der am meisten verehrte schiitische Geistliche der Epoche, Mohammed Jawad Moughniyya, er lehne zwar alle Thesen des Buches ab; aber er fügte hinzu, der Islam werde der Verlierer sein, wenn er es versäume, sich mit den Themen, Dilemmata und Problemen zu beschäftigen, die Sadiq al-Azm angesprochen habe. – Prophetische Worte. Heute, 47 Jahre später, sind sie von unerhörter Aktualität. Dennoch kam es im Frühjahr 1970 zum Prozeß gegen Sadik al-Azm. Mit Hilfe der besten Rechtsanwälte des Landes, die kaum Honorar verlangten, wurde der Autor freigesprochen. Da es sich bei dem Werk des Angeklagten um ein Buch handle, das eine wissenschaftliche und philosophische Studie darstelle, die nicht beabsichtige, konfessionellen und rassischen Zank zu provozieren, sei die Anklage, so urteilte das Gericht, gegen den Autor fallenzulassen. Im Zeitalter des «Islamischen Staates», der Taliban, des durch die Familie Al-Saud geförderten Ideologie-Exports des Salafismus und des restaurierten Staatsislams, so steht zu befürchten, würde die Veröffentlichung eines ähnlichen Werkes heute für den Autor kaum so glimpflich ablaufen. Beispiel dafür ist das Schicksal des Ägypters Nasr Hamed Abu Zaid, der für sein Buch «Kritik des religiösen Diskurses» (1992) praktisch von muslimischen Hardlinern exkommuniziert wurde und Ägypten verlassen mußte. Und: die These des Autors, wonach sich die herrschenden Eliten in der arabischen Welt den starr, konservativ und buchstabengetreu interpretierten Ur-Islam zu eigen gemacht hätten und damit bis heute ihren Herrschaftsanspruch begründeten, ist nach wie vor gültig. Stets wurden Neuauslegungen des Islam von einer Allianz aus Königen, Sultanen, staatlich ernannten Großmuftis und reaktionären Klerikern als häretisch verurteilt. Die marokkanische Autorin Fatima Mernissi spricht in ihrem 1992 erschienenen Buch «Islam and Democracy – Fear of the Modern World» vom «Islam der Paläste», wenn sie die intellektuelle Kapitulation vor einer Auseinandersetzung mit dem Text des Korans beschreibt. Sadik al-Azm, in der arabischen Welt weitgehend verfemt, im Westen als Erleuchtung aus dem Orient begrüßt, wurde 1934 in Damaskus geboren. Er stammt aus einer alteingesessenen syrischen Familie, deren wunderbarer Palast in Friedenszeiten in der Damaszener Altstadt zu besichtigen ist. Er lehrte weltweit, etwa in den USA als Fellow in Princeton und am Berliner Wissenschaftskollege (um nur einige seiner Stationen zu nennen). In seinem Buch «Critique of Religious Thought» setzt er sich in erster Linie mit dem Verhältnis von Glauben und Wissenschaft auseinander. In einem historisch-ideologischen Rückblick geht der Autor zunächst auf den Konflikt zwischen Glauben und Wissenschaft in Europa ein. Sadik al-Azm schreibt, daß Religion in Europa ein Verbündeter der feudalen Organisation sozialer und gesellschaftlicher Beziehungen gewesen sei. Diese Rolle spiele die Religion weiterhin in zurückgebliebenen Gesellschaften. Tatsächlich sei der Islam «die offizielle Ideologie der reaktionären, rückwärts gerichteten Kräfte in und außerhalb der arabischen Welt (Saudi-Arabien, Indonesien, Pakistan)» geworden. Offen und sehr direkt sei er verbunden mit dem Neo-Kolonialismus, der von den USA gesteuert werde. «Religion ist auch», schreibt der Autor weiter, «die Hauptquelle der Legitimierung monarchischer Regime, da die Religion Regeln verbreitet habe, wonach das Recht der Monarchen, die Völker zu regieren, vom Himmel komme und nicht von der Erde.» Wie gesagt, diese Worte stammen aus dem Jahre 1969. Die heutige Situation treffen sie aber immer noch ziemlich genau. Sadik al-Azm schreibt, ein normaler Muslim, ein Mr. X, wie er ihn nennt, stehe vor folgendem Problem: Wie könne dieser Mr. X, der im Rahmen traditioneller muslimischer Doktrinen aufgewachsen und erzogen sei, diese religiösen Doktrinen mit der modernen Wissenschaft in Einklang bringen? Die Völker des Mittelmeerraumes, also auch jene muslimischen Glaubens, und deren Nachbarn seien mit folgenden Entwicklungen konfrontiert worden: Gewollt oder ungewollt – diese Entwicklungen seien letztlich ein Frontalangriff auf die Dogmen der im Mittelmeerraum verbreiteten Religionen gewesen. Was den Islam betreffe, argumentiert Sadik al-Azm, so stünden dessen Doktrinen über die Entwicklung, die Struktur und die Natur des Universums sowie über den Ursprung und die Geschichte menschlichen Lebens zweifellos im Gegensatz zu wissenschaftlichen Kenntnissen. Und der Alltagsislam? Sadik al-Azem unterscheidet drei Gruppen. Da sei einmal der «Staatsislam» – repräsentiert durch Regierungen und religiöse Institutionen. In Saudi-Arabien herrsche ein, wie er es nennt, Petro-Islam, ein islamisches System, gestützt durch Petro-Dollars. Das andere Extrem des Islam bilde heute eine «Plethora» islamistischer Gruppen, die aus dem Dschihad heraus geboren worden seien. Ein Ursprung dieser Gruppen liege bei jenen Dschihadisten, welche im Jahre 1979 die Kaaba in Mekka besetzt und damit gegen die ausschweifende Lebensweise der regierenden Familie Saud protestiert hätten. In dieselbe Kategorie zählt Sadik al-Azm auch die Attentäter des 11. September 2001 und verwandte Gruppen. Diese kämpften gegen alle islamischen Regierungen und Gesellschaften; ihr Ziel sei «die Wiederherstellung der Souveränität Gottes in der islamischen Welt». Sie verfolgten dieses Ziel unabhängig davon, dass ihnen ihre eigenen Aktionen ein total negatives Image einbrächten. In diesem Punkt ähnelten Gruppen wie Al-Qaida der deutschen Baader-Meinhof Gruppe, der französischen «Action directe» und den italienischen «Roten Brigaden», welche den Politiker Aldo Moro ermordet hatten. Das Ziel der radikalen muslimischen Gruppen könne mit den Worten «Islam jetzt» umschrieben werden. In seinem in Berlin im Jahre 2015 während einer Vortragsveranstaltung wieder vorgestellten Essay «On Fundamentalism» argumentiert Sadik al-Azem zudem, daß es durchaus einen triftigen Grund habe, wenn sich Fundamentalisten in Gruppen – Jamaat – vereinigten statt in «Parteien». Denn Ausdrücke wie «Koalition», «Partei» oder «Organisation» seien dem Islam fremd, seien eher ein Spaltpilz für die Umma, die allumfassende islamische Gemeinschaft. Der Ausdruck Jamaat dagegen invoziere die Erfahrungen, die vermeintlich positiven Erfahrungen der frühen muslimischen Gemeinschaften Als dritten Zweig des Islam führt Professor al-Azem den, wie er ihn nennt «Good for Business Islam» an. Getragen werde dieser Islam von der bürgerlichen Mittelklasse, vom «Islamic Banking», von den Handelskammern, von jenen Geschäftsleuten, die mit ihrem Kapital an der Börse Geld verdienen wollten («Venture-Capital»). Wo aber liegen die eigentlichen Gründe für die «Revitalisierung» des Islam, die sich viele der Jamaat zum Ziel gesetzt haben? In seinem Essay «Islamic Fundamentalism Reconsidered» versucht Professor al-Azm eine Antwort. Er schreibt: «All jene Kräfte, welche die arabische Welt in den letzten 150 Jahren geformt und umgeformt haben, waren, letztlich, in jedem einzelnen Fall europäischen Ursprungs: Kapitalismus, Nationalismus, Kolonialismus, Säkularismus, Liberalismus, Populismus, Sozialismus, Kommunismus, Marxismus, Modernismus; das Ziel sei gewesen, sich entwickeln zu wollen, «die Idee des Fortschritts, wissenschaftliches Wissen, angewandte Technologie (zivil und militärisch), das moderne Nationenbauen (‚Modern Nation-Statebuilding’)“ zu fördern. Ob es, fragt Sadik al-Azem eher rhetorisch, angesichts dieser Invasion von Begriffen und Bewegungen jemanden verwundern könne, daß es Gegenbewegungen gebe wie den islamischen Fundamentalismus? Und kein Wunder sei es auch, daß das Original aller Reform- bzw. Revitalisierungsbewegungen mit der Muslimbruderschaft in Ägypten entstanden und das Land dadurch zum «locus classicus» der islamischen Reformation geworden sei. Das ganze Thema sei indessen, schreibt Sadik al-Azm, durch die feindlichen Blicke und Urteile, die der Islam und das Christentum gegenseitig ausgetauscht hätten, vernebelt worden. In Wahrheit aber seien beide Anschauungswelten gar nicht so weit auseinander, wie stets geglaubt. Schließlich entstammten beide Religionen und auch das Judentum ähnlichen Ursprüngen. Sadik al-Azem: ein großer arabischer Philosoph, den Herrscher wie Baschar al-Assad, Ägyptens Abdel Fatah al-Sissi und der saudische König Salman am liebsten aus dem islamisch-arabischen Kosmos verbannen würden. In der Finsternis ihrer Welt war er ein wärmendes Feuer – von seinen muslimischen Zeitgenossen wurde es absichtlich übersehen, am liebsten aber hätten die Herrschenden dieses Feuer ausgetreten. Gestorben ist Sadik al-Azem im westlichen Exil. Doch heimkehren will er dennoch. | Heiko Flottau | Der frühere Nahostkorrespondent und Kenner der Szene, Heiko Flottau, hat für die NachDenkSeiten den syrischen Philosophen gewürdigt. Danke für diesen Text. Manche Leserinnen und Leser der NachDenkSeiten mögen solche Texte für ausgefallen halten. Die NachDenkSeiten füllen aber damit bewusst eine Lücke. Albrecht Müller.
Der Nachruf
So tapfer er im Leben für seine Überzeugungen gekämpft hat ... | [
"Nachruf"
] | [
"Ideologiekritik",
"Kirchen/Religionen"
] | 14. Dezember 2016 10:38 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=36270&share=email |
Tsipras, Alexis | In den letzten Wochen erreichten uns zu diesen Themen einige interessante Leserbriefe mit teilweise sehr ausführlichen Überlegungen. Einen Teil davon veröffentlichen wir hier nun und hoffen, dass diese Leserbriefe und die weiterführenden Links einmal mehr ein weiterer Baustein für die Meinungsbildung und Information unserer Leser sein werden. Zusammengestellt von Moritz Müller. | [] | [] | 13. Februar 2019 10:21 | https://www.nachdenkseiten.de/?tag=tsipras-alexis |
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Journalismus als PR-Waffe der Industrie | Viele glauben, Wissenschaft sei frei. Das stimmt aber nicht. Denn überall dort, wo diese Erkenntnisse generiert, die mächtigen Interessen in die Quere kommen, kommt es umgehend zu sozialen, politischen und wissenschaftlichen Kämpfen, setzen Rufmordkampagnen ein oder geschieht Schlimmeres. Womit wir daher inzwischen oftmals konfrontiert sind, bezeichnen aufmerksame Beobachter der Entwicklungen daher längst als „missbrauchte“ oder gar „gekaufte Wissenschaft“; eine Wissenschaft also, die sich den Mächtigen andient und nur noch erforscht und kommuniziert, was diesen dienlich ist. Zum Thema eines zweiten „Stummen Frühlings“ hatten die NachDenkSeiten bereits vor einiger Zeit darüber berichtet, wie kritische Forschung, die sich dem Gemeinwohl verpflichtet sieht, immer stärker unter Beschuss gerät. Im Interview mit Jens Wernicke berichtet die österreichische Journalistin Tina Goebel nun von ähnlichen Entwicklungen im Bereich der Mobilfunkindustrie, die seit Jahren alle wissenschaftlichen Belege zu den von ihren Produkten ausgehenden Gesundheitsgefahren unterdrückt – und von der Kollaboration der meisten Medien hierbei. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download Frau Goebel, Sie haben als Journalistin für das österreichische Magazin profil gearbeitet und arbeiten nun unter anderem als Nachrichtenredakteurin für den Privatfernsehsender PULS 4. Sie haben, will es scheinen, im Gegensatz zu einer größer werdenden Anzahl unserer Kolleginnen und Kollegen den Journalistenkodex noch nicht ad acta gelegt, nach welchem nicht nur Informationen stets noch einmal zu überprüfen sind, sondern immer auch „die andere Seite“ zu Wort kommen muss. Das hat schließlich anlässlich eines „Medizinskandals“, der vor einigen Jahren mehr oder minder die gesamte Welt erschütterte, dazu geführt, dass Sie die Artikel der Mainstream-Medien kritisch hinterfragt und sich dann in einer eigenen Darstellung, der kurz darauf eine zweite folgte, gegen die Manipulation der öffentlichen Meinung gewandt haben. Was war geschehen? Da muss ich ein bisschen ausholen: Es war das Jahr 2008, da brach der sogenannte Wiener Handystudien-Skandal los. An der Medizinischen Universität Wien wurde im Rahmen eines EU-weiten Projekts erforscht, ob Handystrahlen für den Menschen schädlich sind. Und tatsächlich haben die Forscher damals herausgefunden, dass elektromagnetische Strahlen die DNA in den Zellen schädigen kann. Eine Zelle kann sich zwar selbst reparieren, macht sie dabei jedoch einen Fehler, so kann sie sich in eine Krebszelle verwandeln. Dieser Befund hat natürlich dementsprechend für Aufsehen gesorgt, schließlich sind wir heutzutage mit unseren Smartphones fast verwachsen und wollen alle wissen: Kann ich durch diese Strahlung nun krank werden oder nicht? Doch dann kam der Knalleffekt: Die Studien waren angeblich gefälscht! Eine Laborantin hatte die Ergebnisse angeblich hingetrickst! Welche Medien genau hatten mit welchen Argumenten das Feuer auf die Forscher eröffnet? Das war damals vor allem der Spiegel. Was mich an dieser Berichterstattung etwas fassungslos gemacht hat: Es wurde wild über das Motiv der Laborantin spekuliert. Weil das war natürlich die Frage: Warum sollte sie das tun? Frau K. wurde wild durch den Dreck gezogen. Sie wurde als verrückt bezeichnet und liebestoll, sie sei in ihren Professor verliebt gewesen und hätte aus Liebe zu ihm die Studie gefälscht, damit er dadurch berühmt würde, da ein solches Ergebnis natürlich weltweit für Aufsehen sorgen würde… Das war natürlich alles Quatsch! Ich bin, glaube ich, die einzige Journalistin, die Frau K. jemals getroffen hat. Sie hat einen sehr bodenständigen und gar nicht verwirrten Eindruck auf mich gemacht. Und ich kenne natürlich auch ihren Arbeitgeber: Die beiden passen zusammen wie Katz und Maus. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass das Verhältnis der beiden jemals über ein rein professionelles hinausgegangen ist. Und auch wenn schon: Es handelt sich hier um reinen Sexismus. Wäre es hier um einen jungen Mann gegangen – wäre hier auch gleich so unter der Gürtellinie spekuliert worden? Und an den vorgebrachten Beschuldigungen, die Studie sei manipuliert worden, ist nach Ihren Recherchen also nichts dran? Wie stellt die Sache sich für Sie stattdessen dar? Mein Glück damals war, dass ich an dem Thema schon länger recherchiert hatte und die Protagonisten daher schon kannte. Als dann der Fälschungsskandal losbrach, habe ich mich zunächst gewundert, mit welcher Aggressivität und fast Schadenfreude jene, die „schon immer gesagt haben, dass diese Ergebnisse einfach nicht stimmen können“, auftraten und sofort gefordert haben, dass die Studien unverzüglich zurückgezogen werden müssen – ohne, dass vorher etwa eine Kommission überprüft hätte, ob die Vorwürfe überhaupt berechtigt sind oder nicht. Und da habe ich dann zu graben begonnen und festgestellt, dass jenen Forschern, die hier sofort wild herumgepoltert haben, eine gewisse Nähe zu Mobilfunklobbyisten nicht abgesprochen werden konnte. Und dann habe ich weiter recherchiert und ein sehr interessantes Buch entdeckt: David Michaels „Doubt is their product“. Herr Michaels ist US-Amerikaner und hat unter Bill Clinton im Gesundheitsministerium gearbeitet. Dort hat er eine interessante Beobachtung gemacht: Forschung, die in irgendeiner Weise einer Industrie schadet, wird interessanterweise immer sofort von sogenannten „Experten“ kritisiert. Er hat ein Muster aufgedeckt, dass sich auch genauso beim Wiener Handystudienskandal finden ließ: Bei industriekritischer Forschung treten sofort andere „Wissenschaftler“ auf, die Zweifel sähen und die Statistik oder Methodik kritisieren. Natürlich ist das oft auch berechtigt, aber es gibt eben auch Forscher, die stehen auf der Payroll der Industrie und betreiben nichts anderes als, ja, wenn Sie so wollen: Auftrags-Rufmord. Und, dass die Studien keineswegs gefälscht sind, das ist spätestens jetzt in einer Wiener Nachfolgestudie belegt worden. Nun wissen die Forscher auch, dass freie Radikale schuld daran sind, dass bei einer elektromagnetischen Exposition die DNA-Stränge in einer Zelle brechen! Aber das Forum Mobilkommunikation, das ist die freiwillige Interessensvertretung der Mobilfunkbranche in Österreich, sieht das natürlich anders. Sie haben sich die Daten angesehen und anders „interpretiert“. Sie meinen, die Daten würden ja nur bestätigen, dass Strahlung nicht schädlich sei und es sei daher reine Panikmache, wenn man den Menschen zu einem sorgsameren Umgang rät. Aber warten wir erst einmal ab, welche „kritischen Stimmen“ sich noch gegen diese Studie erheben werden. Wir dürfen wohl getrost davon ausgehen, dass die mediale und PR-mäßige Offensive gewaltig sein wird. Wie kommt es, dass derlei konzertierte Angriffe auf die Glaubwürdigkeit kritischer Forschung medial so immense Verbreitung finden? Handeln einige unserer Kollegen hier … als Auftragsschreiber für die Großindustrie, die bei diesem wie ähnlichen Fällen viel zu verlieren hat? Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass es so viele korrupte Journalisten gibt, die als Handlanger der Industrie arbeiten. Es ist vielmehr der ohnehin schon prekären Situation im Journalismus geschuldet: Es bleibt immer weniger Zeit für Recherche. Und gerade wissenschaftliche Studien sind oft hunderte Seiten umfangreich und schwer zu verstehen. Bei vielen braucht es auch fundierte Fachkenntnisse, um diese Arbeiten wirklich begreifen zu können. Im Grunde läuft Journalismus heute so ab: Wir fragen einfach Experten nach ihrer Meinung. Und wenn es seriös hergeht, dann wird vielleicht noch eine konträre Stimme eingeholt. Wenn keine Zeit bleibt, dann wird einfach die Google-Recherchemaschine angeworfen und ein Exzerpt aus den Artikeln zusammengeschustert, die da so in der Suchabfrage auftauchen. Und oft ist da nicht mehr klar ersichtlich, ob es sich hier um seriösen Journalismus oder einen PR-Artikel handelt. Außerdem müssen wir bedenken: In Zeiten wie diesen wird immer mehr Forschung von der Industrie bezahlt, die unabhängige Forschung nimmt ab. Da muss man oft genau auf den Auftraggeber einer Studie schauen! Es ist oft einfach, eine Studie so zu designen, dass die Ergebnisse der Industrie passen. Zum Beispiel bei der Handystrahlung: Man weiß, dass manche Zellen gar nicht auf Strahlung reagieren. Da mache ich doch eine Studie, bestrahle solche Zellen Tag und Nacht und hab dann ein schönes Ergebnis und kann sagen: „Zellen reagieren nicht auf Strahlung! Da haben wir es schwarz auf weiß!“ Oder erinnern wir uns einmal kurz an den VW-Abgasskandal! Wir haben hier eindrucksvoll vor Augen geführt bekommen: Die Bedingungen, unter denen Autos getestet werden, haben nichts mit realem Fahrverhalten zu tun. Und genügt das nicht, dann wird auch noch bewusst manipuliert. Und die Autobranche ist bestimmt nicht die einzige, in der so getrickst wird. Malen Sie sich doch mal aus, was da in der Pharma- oder Lebensmittelindustrie passiert! Außerdem bemerke ich im Wissenschaftsjournalismus oft, dass Journalisten, die sich selbst als absolut objektiv und kritisch bezeichnen, leider manchmal selbst gewissen Trends auf den Leim gehen. Im Falle der Handystrahlen sehe ich zum Beispiel, dass viele Journalisten einfach relativ unreflektiert die Besorgnis über die gesundheitsschädliche Auswirkung von Handystrahlen mit Chemtrails oder ähnlichen Verschwörungstheorien gleichsetzen. Sie beschäftigen sich nicht damit, für sie ist das Thema einfach schon von vornherein lächerlich. Und ich glaube, dass diese Einstellung auch den Bemühungen der Industrie im Hintergrund geschuldet ist, die sich dann leise ins Fäustchen lacht. Aber ich muss da leider auch dazu sagen: Es laufen wirklich viele Verrückte herum, die das Thema in den Bereich der esoterischen Verschwörungstheorien rücken! Bei mir haben sich etwa Menschen gemeldet, die im Keller schlafen, da bis dorthin die böse Strahlung ja nicht durchdringen kann. Ein anderes Mal war ich auf einer Ärztetagung zu dem Thema und da waren auch sehr viele sogenannte Elektrosensible im Publikum, die sogar Terror gemacht haben, dass bitte keiner der Vortragenden den Videobeamer benutzt, da für diesen eine Fernbedienung erforderlich ist und diese ja auch Funkwellen ausstrahlt. Und auch die Neonröhren würden die Menschen verstrahlen und so saßen irgendwann alle im Dunkeln. Wer so etwas erlebt hat, hat da schon Vorbehalte. Sagt Ihnen in diesem Zusammenhang das sogenannte „War Game Memo“ der Mobilfunkindustrie etwas? Natürlich. Das „War Game Memo“ ist eine PR-Strategie, von deren effektiver Wirkung ich mich schon einige Mal selbst überzeugen durfte. Werden Forschungsergebnisse publiziert, die einem gewissen Markt schaden könnten, so wird zunächst mal die Methodik angezweifelt oder die Statistik. Funktioniert das nicht, so wird den besagten Forschern ein toller Job in der Industrie angeboten und da werden viele schwach – weil diese Positionen einfach oft um ein Vielfaches besser bezahlt sind als in der unabhängigen Forschung. Und Wissenschaftler, die sich nicht kaufen lassen, die werden dann eben auch auf persönlicher Ebene fertiggemacht, das geht oft bis zu Bedrohungen und es gibt inzwischen auch Fälle von offensichtlicher Brandstiftung. Ich habe leider sehr gute Forscher gesehen, die eine kritische Arbeit publiziert haben und dann plötzlich „weg“ waren. Sie hatten plötzlich einen neuen Job und wollten von ihrer alten Arbeit nichts mehr wissen oder meinten plötzlich, dass es da noch weitaus mehr Forschung bedürfe, um wirklich konkrete Aussagen über etwas treffen zu können. Andere Wissenschaftler haben mir auch erzählt, dass kein normal tickender Mensch mehr über elektromagnetische Felder forschen will, da man eben gesehen habe, wie es Kollegen geht, die herausfinden, dass es gesundheitsschädliche Effekte geben könnte… Aus der Friedensbewegung kennen wir die Stigmatisierung gefährlich werdender seriöser Kritiker bereits. Neu war mir, dass das nun auch hier, in diesem Bereich geschieht, und dann noch so massiv. Ihr eigenes Magazin kritisierte etwa gerade einen der soeben angelaufenen und sachlich fundierten mobilfunkkritischen Kinofilme als „typische Verschwörungstheorie“ – etwas, das Kriegstreiber seit Jahren auch mit Friedensschreibern tun. Wie kommt es dazu, dass sich Journalisten mit einem Thema gar nicht mehr befassen wollen, sondern stattdessen einfach Rede- und Denktabus verhängen, indem sie alle Argumente per se abwerten, die nicht diesen oder jenen Interessen dienlich sind? Das ist doch keine legitime Art der Auseinandersetzung mehr… Ich finde es grundsätzlich gut, dass es auch Debatten unter Journalisten gibt und kenne den betreffenden Kollegen gut, ich habe lange mit ihm zusammengearbeitet und schätze ihn sehr. Wir haben zu dem Thema einfach eine unterschiedliche Meinung. Aber leider gibt es eben wie gesagt gewisse Trends. Ich erinnere mich, dass im profil auch Artikel publiziert wurden, die den Klimawandel als Verschwörungstheorie hingestellt haben. Aber es werden solche Themen dann auch in der Redaktionssitzung kontrovers diskutiert und ich glaube, dass profil eines der wenigen Magazine ist, das manchmal sogar zwei Leitartikel veröffentlicht hat, weil gewisse Redakteure eben zu manchen Themen eine ganz konträre Meinung haben und allen Seiten Gehör geschenkt werden sollte. Und schließlich hat ja auch der Filmemacher Klaus Scheidsteger einen Gegenkommentar zu besagtem Artikel in der nächsten Ausgabe schreiben dürfen. Wie gesagt: Das Thema wird leider gerne unreflektiert in die Ecke der Verschwörungstheorien gestellt. Es gibt zum Beispiel auch in Österreich das „goldene Brett“. Das ist eine Veranstaltung, bei der jährlich Menschen ausgezeichnet werden, die Verschwörungstheorien verbreiten oder andere esoterische Schwachsinnigkeiten wie etwa Granda-Wasser oder ähnliches. Diese Kollegen meinen eben, dass es nach heutigem Wissenstand keine klare gesundheitsschädliche Wirkung durch Handystrahlen gibt. Erst wenn es in zehn bis zwanzig Jahren wirklich mehr Hirntumore gibt, die sich auf elektromagnetische Strahlung zurückführen lassen, dann wollen sie es glauben. Im Gegensatz dazu bin ich der Meinung, dass nach heutigem Wissensstand sehr wohl Hinweise – und zwar deutliche – für gesundheitsschädliche Wirkungen vorhanden sind und dass wir lieber präventiv vorgehen sollten. Das ist ja auch die Einstellung der besagten, angegriffenen Forscher. Denn wenn es nur ein klitzekleines Risiko gibt, dann betrifft das bei einer Technik, die so gut wie jeder Mensch in der westlichen Welt benutzt, in Summe wieder wahnsinnig viele. Ich selbst laufe übrigens nicht mit Alufolie am Kopf herum und schlafe auch nicht im Keller. Ich laufe auch ständig mit zwei Handys herum, benutze eines davon als Wecker und werde unrund, wenn ich mein iPhone einmal zu Hause vergesse. Aber sollte ich wirklich eines Tages einen Tumor bekommen, dann kann ich wenigstens sagen: „Ich hätte es besser wissen müssen.“ Und nicht: „Warum habe ich das nicht gewusst?“ Ich bedanke mich für das Gespräch. Tina Goebel, geboren 1984 in Scheibbs in Niederösterreich ist eine österreichische Journalistin. Sie studierte Theater-, Film- und Medienwissenschaft in Wien und stieg 2006 in den Journalismus ein. Von 2007 bis 2015 arbeitete sie als freie Journalistin für das österreichische Nachrichtenmagazin profil und widmete sich vor allem wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Themen. 2010 erhielt sie den Förderpreis zum Staatspreis für Bildungsjournalismus. Seit Mai 2015 arbeitet sie in der Nachrichtenredaktion des privaten TV-Senders PULS4, der zur Pro7/Sat1 Gruppe gehört. Weiterschauen: Kino-Trailer: „Das Strahlungskartell“ Kino-Trailer: „Thank you for calling“ Weiterlesen: Weitere Veröffentlichungen von Jens Wernicke finden Sie auf seiner Homepage jenswernicke.de. Dort können Sie auch eine automatische E-Mail-Benachrichtigung über neue Texte bestellen. | Jens Wernicke |
Viele glauben, Wissenschaft sei frei. Das stimmt aber nicht. Denn überall dort, wo diese Erkenntnisse generiert, die mächtigen Interessen in die Quere kommen, kommt es umgehend zu sozialen, politischen und wissenschaftlichen Kämpfen, setzen Rufmordkampagnen ein oder geschieht Schlimmeres. Womit wir daher inzwischen oftmals konfrontiert sind, bezeichnen aufmerksame Beobachter der Entwicklunge ... | [
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Noch mehr Mini-Jobs und endlich Einstieg in die Aktien-Rente | Auf dem Weg zur grün lackierten Klassengesellschaft: Die Ampel-Koalition mit verschärfter Arbeits- und Rentenarmut, aber genderpolitisch korrekt. Von Werner Rügemer. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download „Wir wollen die Minijobs attraktiver machen“: Bei allen sonstigen Streitpunkten konnten sich SPD, Grüne und FDP darauf schnell einigen. Die Verdienstgrenze der Mini-Jobs soll von 450 Euro auf 520 Euro pro Monat angehoben werden, zudem mit der Aussicht, dass der Mindestlohn auf 12 Euro pro Stunde steigt. Und der Einstieg in die von BlackRock&Friedrich Merz lobbyierte Aktien-Rente ist auch schon klar. Ausweitung der Minijobs längst im Gange Doch die Ausweitung der Minijobs – das ist längst im Gange, auch ohne die angekündigten „Verbesserungen“: Minijob-Angebote im kostenlosen Kölner Wochenspiegel Massenmedien der unteren Klassen agieren schon seit Monaten als Dienstleister dieser Entwicklung. Zum Beispiel der Kölner Wochenspiegel: Er ist die bei weitem auflagenstärkste Zeitung in der Millionenstadt Köln: Verteilte Auflage laut Impressum 516.046. Der Kölner Stadt-Anzeiger für das akademisch sich dünkende Publikum kommt im Kölner Stadtbezirk auf gut 100.000 Auflage, der Kölner Express für den Normalo-Prolo gerade einmal auf 50.000. Und alle drei kommen aus demselben lokalen Medien-Monopol DuMont Schauberg. Der Wochenspiegel wird jedes Wochenende kostenlos an alle Haushalte verteilt – außer in den Villen-Vierteln – und wird in den ärmeren Stadtteilen auch gelesen. Von den 12 Druckseiten sind die meisten mit Anzeigen für wieder neue Sparpreise und Sonderangebote gefüllt sowie mit Hilfen bei Alltagssorgen: „So bekommen Sie sexuelle Schwäche in den Griff“ und „Haarausfall? Kahle Stellen? Hier kommt Hilfe aus der Apotheke.“ Heimelige redaktionelle Kurzbeiträge zeigen den hilfsbereiten Kölsch-Menschen: „Müll sammeln für ein sauberes Veedel“ (Veedel = Stadtviertel) und stimmen auf die kommende Karnevals-Saison ein. Aber drei ganze Seiten sind eng bedruckt mit Stellenangeboten und Stellengesuchen. Bei drei Viertel der Angebote und Gesuche geht es um 450-Euro-Jobs. An erster Stelle steht da der Verlag DuMont Schauberg selbst: Er sucht laufend Minijobber zur wöchentlichen Verteilung des Wochenspiegels, Kinderarbeit eingeschlossen: „Jeder ab 13 Jahren kann für uns tätig werden.“ Über den weltweiten Leiharbeitsvermittler Randstad sucht der Verlag im Wochenspiegel auch kaufmännische Hilfskräfte im Bereich Datenerfassung. Ladehelfer, Lagerhelfer, Nachtportiers, Sex-Telefonistin … Gesucht werden Ladehelfer, Lagerhelfer, Montagehelfer, Lageristen und Lageristinnen, Beifahrer, Aushilfsfahrer – möglichst mit eigenem Auto – Haushaltshilfen für Privathaushalte, Bürohilfen, Küchenhilfen, Spüler, Menüassistenten, Hausmeisterhilfen, Winterdienstler, Reinigungskräfte, Raumpfleger, Sicherheitsmitarbeiter, Nachtportiers, Versandmitarbeiter, Verkäuferinnen für den Weihnachtsmarkt, Telefon-Kundenbetreuer im notfall-medizinischen Bereich, Telefonistin für eine Flirtline – alle gesucht auf Minijob-Basis. Die meisten Angebote laufen über Agenturen und Vermittler. Aber einige Unternehmen bieten direkt an. So sucht das kirchliche St. Bonifatius-Wohnheim Minijobber für Reinigung, Wäscherei und Service. Die Service Group Stölting sucht Reinigungskräfte für Klinikreinigung. Die Ambulante Krankenpflege Hamacher sucht eine 450-Euro-Kraft für Pflege und Betreuung älterer Menschen. Die bundesweite WISAG Facility Service sucht Reinigungskräfte für die Industrie. Die Tortenmanufaktur deineTorte.de wirbt um Aushilfen, Studentinnen und Studenten, Teilzeit- und Vollzeitmitarbeiter. Hotels, Altenheime, Restaurants, Reinigungsfirmen und ein Erotik-Dienstleister suchen direkt, geben aber meist ihre Namen nicht an. Die Unternehmen wissen: Auch Rentner und Rentnerinnen brauchen immer häufiger einen Nebenjob. Deshalb wird typischerweise häufig gesucht „rüstiger Rentner“, zum Beispiel für Hausmeistertätigkeiten. Gleichzeitig fehlt häufig nicht der dezente Hinweis „Ihr Profil: zeitlich flexibel und körperlich belastbar“. Genderpolitisch superkorrekt In vielen Anzeigen geht es super-freundlich zu, nach US-amerikanischem Muster: Das kumpelhafte Du herrscht vor: „Wir bieten dir flexible Arbeitsmodelle …“ heißt es da. „Junges, motiviertes Team erwartet dich“, wird versprochen. Auch kleine Häppchen werden in Aussicht gestellt: So bietet die Tortenmanufaktur deineTorte.de neben den 450 Euro auch freien Tortenverzehr an. Und bei allen Stellenangeboten folgt nach der Berufsangabe in allen Fällen genderpolitisch superkorrekt in Klammern die Angabe (m, w, d), d für divers, also für alle etwa 40 bei Facebook kodifizierten Geschlechtsvarianten neben männlich und weiblich. Auch der gesuchte „rüstige Rentner“ darf alle Geschlechterrollen einnehmen, darf m oder w oder d sein. Ausbeuten ja, aber jetzt gendermäßig korrekt – die vorgestrigen Gender-Muffel von den Christen-Parteien haben ja nichts mehr zu sagen. Bedürftige bieten sich selber an Neben den Stellenangeboten durch Unternehmen und Vermittler bringt der Wochenspiegel auch Stellengesuche von Arbeitssuchenden selbst. Darunter sind nicht wenige Rentner. Sie deuten oft ihre Lage an, verhalten: Durch die Corona-Politik beschleunigt In den vier Regierungen unter der CDU-Kanzlerin Merkel wurde die Zahl der Minijobs von vier auf sieben Millionen schrittweise ausgedehnt, im Kontext stagnierender und sinkender Arbeitseinkommen bei der Mehrheit der abhängig Beschäftigten. Damit nahm nicht nur die Armutsarmut, sondern auch die Rentenarmut zu.[1] Unter Merkel hat die Zahl der Minijobber unter den Rentnerinnen und Rentnern zugenommen – um 40 Prozent. Im Jahre 2020 waren dies 1,04 Millionen Menschen. Noch im Alter zwischen 75 und 85 Jahren hielten sich 207.586 Rentner mit meist geringfügigen Arbeiten wie Putzen, Ausliefern und Bürodiensten über Wasser, im Alter über 85 Jahren waren es in Deutschland noch 12.101! Die Corona-Politik der Bundesregierung hat gerade die prekär Beschäftigten am härtesten getroffen. Sie wurden im Einzelhandel, in der Gastronomie usw. arbeitslos. Die meisten, wie die Minijobber, bekommen kein Kurzarbeitergeld. So sind sie mittlerweile das Arbeitskräfte-Reservoir etwa für die mit dieser Politik geförderten Lieferdienste wie Wolt, Tier, Gorillas, Lift, Flink und für die neuen Ausliefer-Subunternehmer von Amazon. Die auch von den Ampel-Koalitionären und von den Konzernen sowieso forcierte Digitalisierung wird zur Aufteilung des Arbeitsvolumens in immer kleinere und bewegliche Portionen genutzt. Die crowdworker für Software-Puzzles etwa bei der Vorbereitung für die digital gesteuerten Autos und für sonstige gestückelte Home-Office-Arbeiten – die werden allerdings nicht in solchen Armuts-Medien wie dem Kölner Wochenspiegel gesucht, sondern woanders. Missbrauch von Minijobs zukünftig verhindern? Alle diese Unternehmen setzen auf Minijobs und andere Formen prekärer Arbeitsverhältnisse als Dauerzustand. Da ist das einschränkende Versprechen der neuen Neoliberalen, den Missbrauch der aufgewerteten Minijobs zu verhindern und auch nicht zur Teilzeitfalle für Frauen werden zu lassen, reine Demagogie. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung IAB der Bundesagentur für Arbeit hat 2021 empirisch belegt: Die 450-Euro-Jobs sind seit ihrer Einführung 2003 immer mehr zu einer Falle geworden, aus der mann und frau allermeist nicht mehr rauskommt. Die versprochene Brückenfunktion hinein in ein reguläres Arbeitsverhältnis gibt es nicht.[2] Die in der neuen Koalition führende SPD hat schließlich nicht nur unter ihrem Kanzler Schröder ab 2000 den „größten Niedriglohnsektor Europas“ implantiert, sondern hat seit 2005 unter Merkel mit ihren SPD-Arbeitsministern Franz Müntefering, Olaf Scholz, Hubertus Heil und auch mit ihren Arbeitsministerinnen Andrea Nahles und Katarina Barley die Zahl der Minijobs ständig erweitert und Millionen Frauen in die Falle geführt. Jetzt soll das unter Führung des Ex-Arbeitsministers Scholz plötzlich anders werden, angetrieben von den neu-alten Besserverdiener-Parteien Grüne und FDP? Die Arbeitsarmut ist soweit gediehen, dass gegenwärtig 8,6 Millionen Beschäftigte weniger als 12 Euro pro Stunde verdienen, dazu zählen auch viele Minijobber[3], für die die für Anfang 2023 versprochene Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro hochwillkommen sein wird. Doch das ist nur ein Almosen: Für den 1.7.2022 ist die Erhöhung des Mindestlohns von jetzt 9,60 Euro auf 10,45 Euro schon beschlossen. Da käme unter der Führung des Ex-Arbeitsministers und nunmehrigen Bundeskanzlers Scholz nicht mehr viel drauf. Millionenfache Freude über Almosen! Und wenn wir die in die Corona- und Umwelt-Politik eingepreiste Inflation nicht nur bei Strom und Gas mal einbeziehen, dann sind 12 Euro Mindestlohn ein kümmerliches Almosen, ein erneut fortgesetzter Armutslohn mit nachfolgender Armutsrente, selbst bei einer Vollzeitstelle – davon abgesehen, dass die meisten Betroffenen gar keine Vollzeitstelle haben. Neben der Minijob-Falle noch die Privatrenten-Falle Schnell wie bei der größeren „Attraktivität“ der Minijobs haben sich SPD, Grüne und FDP auch auf den Einstieg in die private Aktien-Rente geeinigt. Die Lobbyisten von BlackRock&Co lassen grüßen. Der langjährig oberste deutsche BlackRock-Lobbyist Friedrich Merz braucht mit seiner ollen CDU und seinem CDU-Wirtschaftsrat gar nichts dazutun. So sollen die zukünftigen Rentner mit der Steigerung der Aktienwerte mitbibbern, also auf die möglichst schnellen und hohen Gewinne für die Aktionäre hoffen – während die Aktienwerte und Gewinne dann am besten steigen, wenn es möglichst viele Minijobs und andere prekäre Arbeitsverhältnisse gibt. Neben der Minijob-Falle also noch die Privatrenten-Falle. Neu Besinnen Die Etablierung dieses noch „attraktiveren“ Arbeitsarmuts- und Rentenmarktes zugunsten von Besserverdiener-Haushalten, Altenheimbetreibern, Wohnungskonzernen bis hin zu Amazon zu verhindern, gegen die modernisierten Neoliberalen, gegen die verjüngten Konservativen mit dem grinsenden Friedrich Merz im Hintergrund – das scheint gegenwärtig unmöglich. Aber wir müssen anfangen. Nicht nur die abgehalfterten Alt-„Konservativen“ mit den Missbrauchs-Kirchen im Schlepptau – Missbrauch des Christentums auch durch zwei Jahrzehnte Vor-Ort-Absegnung des Kriegseinsatzes in Afghanistan[4] – wollen sich in der Opposition neu besinnen, sortieren, aufstellen. Wieviel mehr müssen das diejenigen in ihrer Weise tun, die die Menschenrechte gerade im reich-armen Deutschland auch im Bereich der Arbeit, der Wirtschaft, des Wohnens, der Gesundheit, des Wissens, der Bildung und der Kultur stärken (wollen)! Titelbild: Pressmaster / Shutterstock | Werner Rügemer | Auf dem Weg zur grün lackierten Klassengesellschaft: Die Ampel-Koalition mit verschärfter Arbeits- und Rentenarmut, aber genderpolitisch korrekt. Von Werner Rügemer.
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„Wir wollen die Minijobs attraktiver machen“: Bei allen sonstigen Streitpunkten konnten sich SPD, Grüne und FDP darauf schnell einigen. Die Verdienstgrenze der Mini-Jo ... | [
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] | 02. November 2021 9:05 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=77492&share=email |
Leserbriefe zu „Armin Laschet verrät – ohne es zu bemerken – worum es beim „Kampf gegen rechts“ auch geht“ | Hier kommentiert Jens Berger den Auftritt des ehemaligen Kanzlerkandidaten Armin Laschet in der ARD-Sendung „Maischberger“. Dem Spitzenpolitiker seien zum Thema „AfD-Verbot“ ehrliche Sätze heraus gerutscht. Laschet habe vor einer AfD-Regierungsbeteiligung oder gar AfD-Alleinregierung gewarnt, weil sie „die Demokratie vernichten“ könne, indem sie Justiz, Medien und Exekutive mit ihren Parteigängern besetze. Das sei zwar richtig. Hinterfragt wird, weshalb niemand bemerke, dass er genau die Praxis beschreibe, mit der heute Parteien wie die CDU diese „unabhängigen Staatsorgane“ in ihrem Sinne lenken würden. Wir danken für die interessanten Leserbriefe. Es folgt nun eine Auswahl, die Christian Reimann für Sie zusammengestellt hat.
1. Leserbrief Wie all überall: Messe mit zweierlei Maß – dann wirst du allen gerecht! Gruß
D. Brauer 2. Leserbrief Guten Tag Ich habe mir nur die Einleitung gelesen und dachte mir sofort : Was soll das, genau das macht doch die jetzige Regierung ! Und der letzte Abschnitt bestätigte meine Ansicht ! Maischberger , Illner , Lanz schau ich aber nicht mehr ! Reine Shows ! « Kampf gegen rechts « ? Reines Hass schüren der momentanen Regierung , gegen die AfD weil sie zu viele Wähler anzieht ,man nennt sich aber immer noch « Demokratie « . Wenn man die Veröffentlichungen der Gehälter dieser Moderatoren , Maischberger , Illner , Lanz gesehen hat ist mir vollkommen klar, dass diese die Systemmeinung kundtun , und nichts anderes ,also uninteressant . Mit freundlichen Grüssen
J.Blumer 3. Leserbrief Sehr geehrter Herr Berger, wertes NDS Team, Danke für den guten Artikel. Sehr zutreffend und gut analysiert. Ich kann mich noch erinnern als ich in meiner Schulzeit in den 80er gelernt habe das die Präsidenten in den USA in ihrer Amtszeit alle wichtigen Posten mit „ihren Leuten“ besetzen und somit ggf. noch auf Jahre/Jahrzehnte hin ihren Fingerabdruck hinterlassen. Damals dachte ich mir bzw. wurde uns vermittelt: ganz gut das wir hier in der BRD keine solche „Seilschaften“ haben, obwohl auch damals sicherlich schon Tendenzen vorhanden waren. Interessant ist, das heute zeitgleich mit der AfD-Futtertrog-Posten-Diskussion, die Partei nahen NGO/Thinktanks rasant an Einfluss gewinnen und mit dem Demokratieförderungs- bzw. Parteiförderungs- „Gesetz“ genau das langfristig zementiert werden sollte, wovor Laschet warnt bzw. sich das Establishment im Hinblick auf die AfD empört/ängstigt. Zweierlei Maaß halt. Was wir als NDS Freigeister -glaube ich- nicht nachvollziehen können ist die tiefe Überzeugung (Ignoranz) mit der die Alt Parteien ihre Handlungen als unzweifelhaft demokratisch und moralisch wertvoll betrachten während alle anderen „Nörgler“ (also wir) die beste Demokratie (inkl. den fettesten Futtertrögen) blasphemisch hinterfragen und ketzerische Zwietracht sähen. Wenn dieses System wenigstens Respekt vor der körperlichen Unversehrtheit seiner Bürger hätte, eine echte Friedenspolitik betreiben würde und öffentliche Nachrichten sachlich informativ und ausgewogen wären (u.v.m.), dann könnten sie sich auch gerne in ein paar wenigen Futtertrögen suhlen, so wie es aber aktuell läuft ist das tatsächlich ein Ausdruck/Symptom von einer tiefer sitzenden Erkrankung. Beste Grüße,
Frank Stelzel 4. Leserbrief Jens Bergers Einlassungen schliesse ich mich an. Auch seiner abschließenden Frage: Was es weiter zu erörtern gilt ist die Frage, wie der “vorherrschende Parteienstaat”der auch immer einer gespaltenen Gesellschaft bedarf um “sein Wahlklientel” zu bedienen, abgeschafft werden kann zugunsten “echter Demokratie” durch alle für alle? L.G.
Ute Plass 5. Leserbrief Sehr geehrter Herr Berger, vielen Dank für Ihren so wichtigen Kommentar. Dass der Ministerpräsident eines Landes “Zugriff auf die Sicherheitsbehörden, auf die Ernennung der Polizeipräsidenten, auf den Verfassungsschutz, die Medienaufsicht und die Staatsanwaltschaften einschließlich der Ernennung der Richter” hat, äußerte Armin Laschet das erste Mal vor zwei Wochen in einem Gastbeitrag in der Kölnischen Rundschau, wie hier von der “Welt” berichtet. Da gibt also ein ehemaliger Ministerpräsident nun schon in mehreren Medien zu Protokoll, dass die in unserem Grundgesetz festgelegte Gewaltenteilung ganz offensichtlich nicht (mehr) existiert – und keinen der Berichterstatter juckt’ s. Dass eben diese Gewaltenteilung genau das, wovor Herr Laschet warnt, verhindern sollte, nämlich Machtmissbrauch, fällt niemandem auf, ihm selbst schon mal gar nicht. Ich schließe mit einem Zitat: “Man kann die Mechanismen der Macht und die Gefahren für die Demokratie sehr gut analysieren und Lehren daraus ziehen.” (in: rundschau-online.de). Beste Grüße
Dr. Juliane Bitsch 6. Leserbrief Liebe Redaktion der Nachdenkseiten, Passend zu Ihrem Artikel “Armin Laschet verrät – ohne es zu bemerken – worum es beim „Kampf gegen rechts“ auch geht” wollte ich Ihnen folgenden Aufruf meiner(noch) Gewerkschaft zukommen lassen: “Aktiv gegen Rechts” Man muss kein Fan der besagten Partei sein oder die AFD mögen aber diese gesteuerten Demos “gegen rechts” sind an Lächerlichkeit kaum zu überbieten im Angesicht von Kriegstreibern in der Regierung, der Gefahr von Krieg und der Verarmung der Gesellschaft. Bitte macht weiter mit eurer sehr guten Arbeit, welche ich seit Jahren sehr schätze. Ein schönes Wochenende
Sven Seifert. 7. Leserbrief Sehr geehrte Damen und Herren Bei aller Kritik am Einfluss von Parteien an Besetzung von Ämtern: Es ist eben nicht dasselbe, was diese machen und was die AfD plant – und zT ja ganz offen sagt. Kann es sein, dass J. Berger den Unterschied zwischen den demokratischen Parteien und der AfD nicht erkannt hat? Gruß
Jürgen Eichel 8. Leserbrief Hallo Herr Berger, gut, dass das wichtige Thema Ämter und Parteien mal besprochen wird. Eines der größten Probleme ist m.E. bei der Praxis der Vergabe von Ämtern und Posten nach Parteibuch die Tatsache, dass gerade mal etwa 1,5% der Deutschen einer politischen Partei angehören (ca. 1,2 Mio bei ca. 85 Mio Einwohnern). Das heißt, in einer Zeit der Krisen und Probleme leisten wir es uns, auf 98,5% der Kompetenzen und Fähigkeiten unserer Menschen zu verzichten. Wir vergeben die wichtigsten Ämter und Posten an eine kleine Auswahl von nur 1,5% der Bürger und hoffen, dass sich die Besten und Fähigsten ausgerechnet in dieser Gruppe befinden? Wohl kaum… Meines Erachtens steht nirgendwo im Grundgesetz, dass Minister, Staatssekretäre, Rundfunkintendanten, oder Polizeichefs ein Parteibuch haben müssen. Trotzdem hat sich diese Praxis eingeschlichen. Von Geldverschwendung, weil zum Beispiel ein Minister seine eigenen Staatssekretäre mitbringt, die alten (von der falschen Partei), aber nicht entlassen werden können und sich so der Personalbestand immer weiter aufbläht, mal ganz abgesehen. Für mich wäre es eine schöne Idee, Ämter und Posten einfach mal nach Fähigkeiten zu vergeben. Aber da habe ich wohl die Rechnung ohne die Parteigenossen und ihre Spezis gemacht… mit freundlichen Grüßen,
Uwe Weissbach 9. Leserbrief Sehr geehrtes Team der NachDenkSeiten, anbei eine ergänzende Anmerkung, zu Herrn Bergers, “Armin Laschet verrät – ohne es zu bemerken – worum es beim „Kampf gegen rechts“ auch geht”, vom 14. März 2024. Sein Text streift die dem ganzen System inhärente Korruption und schließt mit: “Kann es vielleicht sogar sein, dass es beim „Kampf gegen rechts“ vor allem um einen Kampf um die Futtertröge geht?” Dazu, in aller Kürze, ein Auszug aus Herrn Mausfelds aktuellem Buch: Eine beschließende Anmerkung noch. Zur quasi orthodoxen Verkündung des “Kampfes gegen rechts”, der ja postulieren soll, daß man selbst nicht rechts sei, wobei aber nur der selbst praktizierte moralische Nihilismus verdeutlicht wird. Dazu der Hinweis auf ein Pleisweiler Gespräch: Aus:
28. Pleisweiler Gespräch mit Professor Mausfeld – 22. Oktober 2017
Wie sich die „verwirrte Herde“ auf Kurs halten lässt: Neue Wege der „Stabilitätssicherung“ im autoritären Neoliberalismus
nachdenkseiten.de/upload/pdf/171022-Mausfeld_Transkript_Landau_NDS.pdf Ich denke der von den Funktionären aller Parteien zuvorkommend beförderte gesellschaftliche Verteilungsmodus, gerne auch unter Zuhilfenahme autoritärster Maßnahmen, verdeutlicht nur all zu sehr, wo im politischen Spektrum auch jene kämpfenden Heroen angesiedelt sind. Mit freundlichen Grüßen
Mike Holstein 10. Leserbrief Sehr geehrter Herr Berger,
sehr geehrte Redaktion Ihr Analyse der Äusserungen von Herrn Laschet stimme ich voll und ganz zu. Nach den Erfahrungen in der NS-Zeit und auch in der DDR, welche die hiesige Bevölkerung machen “durfte” ist ihre Schlußfolgerung nur stringend und logisch. Was früher der Eintritt in die NSDAP, später in die SED für Möglichkeiten für den Einzelnen eröffnete, fand nuancierter, aber genauso übergreifend (und übergriffig) sein Pendant im Eintritt in CxU/SPD/FDP/Grüne et all. Das führt zu so “lustigen” Ereignissen, dass beim Wechsel eines Sparkassenvorstandes vollkommen klar ist, dass nun jemand aus der CDU dran sei, der Letzte wäre ja aus der SPD gekommen. Was so dann auch unwidersprochen in der regionalen Presse nachgelesen werden kann. Da treffen sich Ortsvorsteher mit (damals) amtierenden Finanzministern, um gemeinsam die Ausbildungsgänge der Kinder in sich anbietenden Behörden beim Abendessen zu besprechen. “Parteilose” Direktoren einer öffentlichen Schule? Mit über 50 Lebensjahren habe ich so was noch nie erlebt. Und wie zu Zeiten des “dritten Reiches”, der DDR oder aktuell bei uns, spielt die politische Ausrichtung oder gar die tatsächlich ausgeübte politische Praxis keinerlei Rolle. Was zählt, ist das persönliche Vorankommen oder dass der eigenen Kinder oder Enkel. Wie zu Zeiten des Feudalismus stellt man sich gut mit den Herrschenden und wenn es nur der Meier des Gutshofes ist. Und nun AfD ante portas. Was wird passieren? Genau das, was immer geschehen ist. Wenn man was will, stellt man sich eben gut mit dem neuen Meier auf dem Hof. Wie könnte man das nun ändern? De facto gar nicht, da dazu sicherlich Gesetze bis hin zum Grundgesetz konkretisiert werden müssten. Innerhalb der vorgegebenen Gesetzgebungsverfahren der Parlamente. Diese sind besetzt von… fast ausnahmslos Parteimitgliedern. Wie kamen die auf die Wahllisten? Durch “Auswahlverfahren” in Hinterzimmern und Netzwerken im Inneren der Parteien. Alles absolut undemokratisch, intransparent und vor allem nicht öffentlich hinterfragt! Was immer die AfD auch politisch will und evtl. durchzusetzen vermag ist eine Sache. Ihr einen Strick daraus drehen zu wollen, was mindestens seit der Weimarer Republik Usus ist, wirkt erschreckend lächerlich. Interessant ist aber die Selbstverständlichkeit eines Herrn Laschets, so frei über dieses Thema zu sprechen. Alles völlig normal in diesem Land. Und Frau Maischberger widerspricht nicht? Ein Blick in die Strukturen und auf verantwortliche Posten der ÖRRundfunkanstalten zeigt auch hier diese “Normalität”. Warum also etwas als normal empfundenem widersprechen… mit freundlichen Grüßen
Georg Meier 11. Leserbrief Hallo Herr Berger, sehr geehrtes NDS-Team, vielen Dank für den Artikel über die Äußerungen von Herrn Laschet. Für mich sind seit vielen Jahren die Regierungsgewalten von den Parteien übernommen. Dies gilt nicht nur für rechts-konservativ sondern für alle Parteien. Selbst in den USA ist es so. Deshalb war/ist auch Trump so verhasst, weil er es sich leisten konnte, als reicher Quer- und Späteinsteiger keine Rücksicht auf etablierte Partei- und Staatsstrukturen zu nehmen, Gewohnheitsrechte von irgendwelchen Organisationen, permanentes Einreden bzw. Beeinflussen zu ignorieren (ich denke da nur an die angeblich üblichen morgentlichen Infos der Geheimdienste, die Trump ignorierte – Quelle u.A. NZZ). Gerade solches Verhalten hat ihn bei der gewöhnlichen Bevölkerung so beliebt gemacht. Und gerade das hat das Establishment sowohl der Reps als auch der Democrates motiviert, eine Widerwahl von Trump seinerzeit nicht unbedingt zu wollen (Reps) bzw. u. allen Umständen zu verhindern. Denn in einer 2. Amtszeit, die vermutlich jetzt bevorsteht, bei der er nicht auf eine evtl. Wiederwahl Rücksicht nehmen muss, kann er sich voll “austoben”. Bei uns ist es etwas anders, da keine Begrenzung einer Wiederwahl einer Person besteht. Deshalb achten die Partei-Funktionäre – je weiter oben um so mehr – darauf, dass keine Person zu stark wird, ohne die Partei mitzunehmen, d. h. ohne dass ausreichend -ggf. auch neu geschaffene Posten – für “verdiente” Parteifunktionäre anfallen. Nun haben mittlerweile eine erhebliche Anzahl der Wähler erkannt, dass sie die Kosten tragen müssen, während Parteifunktionäre und solche die es werden wollen, in erster Linie ihre eigenen Interessen verfolgen – im Schutzmantel der Partei. Schon das Aufkommen der Grünen brachte eine gewisse Verunsicherung bei den Alt-Parteien Union, SPD und FDP. Nur hatten die Grünen die bei der Bevölkerung wichtige Themen Umweltschutz und Frieden groß auf ihrer Agenda. Also haben die o.g. Altparteien letztendlich die Grünen teilhaben lassen, um zumindest wechselweise auch immer wieder als Partei(-Mitglieder) davon profitieren zu können. Die Grünen haben im Gegenzug sich nach und nach etabliert und es geschafft, ein Kern-Wählerpotential zu schaffen und diese auch mit Posten und Positionen zu versorgen. Jetzt kommt seit einigen Jahren die AfD nach und nach ins Blickfeld. Die versuchten Verächtlichmachungen als Professoren-Partei, Alte-Männer-Partei, Fremdenfeinliche Partei und jetzt verstärkt als “Nazi-Partei” hatten und haben alle nichts mit den Inhalten zu tun – es geht darum einen ernsthaften Bewerber / Anspruchsteller an die Macht- und Futtertöpfe kleinzuhalten. Denn dem immer wieder angekündigten inhaltlichen Stellen geht man sowohl von Parteien- als auch Medienseite immer aus dem Weg. Lieber greift man irgendwelche Teil-Aussagen auf, deutet Aussagen oder Partei- und Wahlprogramme, ohne dass man mit der Partei in aller Öffentlichkeit diskutiert. Und das müsste noch fair sein, d.h. in Talkshow 5+1 Moderator gegen 1 müsste eigentlich dem Einen die fünffache Zeit für Antworten und Ausführungen zustehen. Das bisher angestrebte “Vorführen”, wenn schon einmal eine AfD-Person vor Ort is, wird zunehmend vom Publikum (nicht von dem vor Ort – aber zuhause) als lächerlich erkannt. Darauf beruht m.E. auch viel vom Erfolg der AfD. Die AfD kann als Partei, da sie keine Positionen – weder in irgendwelchen Regierungsorganisationen, Verbänden, Räten (Rundfunk-, Ethik- etc.), Kirchen, Gewerkschaften, NGOs etc. – zu verlieren hat, die Mängel und Ungereimtheiten deutlich ansprechen. Plötzlich werden vielen Institutionen bewußt, dass ihre bisher als demokratisch eingestufte Legitimation nichts anderes ist, als Parteien-Dank und bei einer starken anderen Regierungspartei, diese mitreden – wenn nicht sogar die Geldmittel ganz streichen – wird. Man sollte sich bei den etablierten Parteien ( zu denen ich mittlerweile auch die Grünen zähle, und die “Linken” gerne dazugehören würden, weil sie auch profitieren) bewusst sein, dass nach einer demokratischen Wahl die Einschränkungen, die man derzeit der AfD auferlegt (ich nenne hier nur BT-Vizepräsidenten-Posten, Ausschuss-Vorsitze etc.) plötzlich auf sie selbst zurückfallen. Man kann nur hoffen, dass in diesem Falle sich die AfD tatsächlich so demokratisch verhält (Bürgerentscheide, Bürgerbegehren), wie es in den Partei- und Wahlprogrammen steht. Und was auch noch wichtig ist, dass dann von den anderen Parteien die demokratischen Entscheidungen anerkannt werden (ohne Antifa- oder ähnl. Aktivitäten, um sie nicht Terrorismus zu nennen). Denn sonst steht uns tatsächlich ein Bürgerkrieg bevor, der sicher nicht von den “Reichsbürger” o. ähnl. Gruppierungen ausgehen würde, sondern von der Masse (wie seinerzeit am Ende der DDR). Leute, wie ein Hr. Laschet haben m.E. dazu eine völlig einseitige Sicht, die vermutlich auf Hoffnung und Dummheit der Wähler beruht. Hans Walter Müller 12. Leserbrief Hallo Herr Berger, liebe NDS-Redaktion, Allein in Deutschland fest in “grüner Hand”: Agora Energiewende, Agora Verkehrswende, Agora Agrar, Agora Digital, Bundesnetzagentur, BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V., Clean Energy Wire, Klimafakten, Deutsche Umwelthilfe, Verkehrsclub Deutschland, Stiftung Klimaneutralität, BUND, NABU, Öko Institut, Wuppertaler Institut für Umwelt, Klima, Energie. Die Institute erhalten Gelder vom Umweltministerium, Wirtschaftsministerium, Entwicklungs- und Verkehrsministerium, dem Umweltbundesamt. Weitere Gelder kommen von der Mercator Stiftung, European Climate Foundation, ClimateWorks Foundation, Oak Foundation, Packard Foundation, Climate Imperative Foundation, Energy Foundation, Aspen Global Change Institute, Ford Foundation, Children´s Investment Fund Foundation. Silvia Bender, Jochen Flasbarth, Dr. Christiane Rohleder und Stefan Tidow haben zwei Dinge gemeinsam: Sie sind Staatssekretäre der Bundesregierung und sie gehören den Räten einer der Denkfabriken Agora Agrar, Agora Energiewende oder Agora Verkehrswende an. Warum bringt unsere Demokratie nach jahrzehntelanger Vergangenheitsbewältigung, gedacht als Bollwerk gegen Faschismus, eigentlich immerfort Deutsche mit neofaschistischen Neigungen hervor? Finde den Fehler! Wer den Protest gegen „Rechts“ lobt, wählt brav die Parteien der “extremistischen Mitte”. Die Parteien, die Märkte entfesseln wollen, Banken und Konzerne mit zig-Steuermilliarden retten und den Bürgern rigide Spar-und Kürzungsprogramme verordnen. Arbeiten bis 70 und darüber hinaus, alles vernünftig und ALTERNATIVLOS! Wer das infrage stellt und dann auch noch gegen die „weltoffene“ EU argumentiert, ist ein Extremist. Die EU ist so “weltoffen”, dass man sogar Kommissionspräsidentin werden kann, ohne auf einem Wahlzettel gestanden zu haben. Auch die kommende “EU-Wahl”, ist eher eine Akklamation – denn the winner is: Frau von der Leyen. Von der EVP auf´s Schild gehoben, muss sie sich um einen Sitz im Parlament gar nicht erst bemühen. Da die EVP die größte Fraktion ist, wird Frau von der Leyen wohl die meisten Stimmen auf sich vereinen – tja, der Drops ist gelutscht. Es muss demokratisch aussehen, aber wir müssen alles in der Hand haben. Auch eine Bundestagswahl/Landtagswahl ist im eigentlichen Sinn keine Wahl, denn es findet eine “Vorauswahl” durch die Wahlgremien (ein kleiner Personenkreis der Parteiführung) der jeweiligen Parteien statt. Der Bürger hat auf die Auswahl des politischen Personals kein Mitspracherecht. Die Hälfte der Abgeordneten kommt über die Liste ins Parlament. Im Grunde ist die Wahl nur ein plebiszitärer Akt.
In einer wirklichen Demokratie geht die Volkssouveränität der Verfassung voraus. Die Verfassung als normative Grundlage des Staates erhält in der Demokratie ihre Legitimität dadurch, dass das Volk zunächst eine “verfassungsgebende Versammlung” wählt und später über deren Verfassungsentwurf durch Volksabstimmung entscheidet. Schon die Präambel unseres Grundgesetzes ist gelogen (… hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben…) – Pustekuchen, das GG wurde dem Deutschen Volk von der “Obrigkeit” überreicht. Auch die 1992 in der Bundesrepublik eingesetzte 64-köpfige Gemeinsame Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat, die Vorschläge für Änderungen des Grundgesetzes machen sollte, war nicht vom Volk für diese Aufgabe eingesetzt, sondern je zur Hälfte vom Bundestag und Bundesrat gewählt worden. Nicht der Wähler hat das entscheidende Wort, sondern die Parteien entscheiden in eigener Sache. Vom schönen Schein der Demokratie: Die Monstrosität bestand in den dystopischen Romanen „Schöne Neue Welt“ (Huxley) oder „Walden 2“ (Skinner) ja gerade darin, dass alles immer gut war, dass alle es immer gut meinten und das Gedanken außerhalb des Gutgemeinten gar nicht erst gedacht werden sollten. ? Viele Grüße
Michael Wrazidlo Anmerkung zur Korrespondenz mit den NachDenkSeiten Die NachDenkSeiten freuen sich über Ihre Zuschriften, am besten in einer angemessenen Länge und mit einem eindeutigen Betreff. Es gibt die folgenden E-Mail-Adressen: Weitere Details zu diesem Thema finden Sie in unserer „Gebrauchsanleitung“. | Redaktion | Hier kommentiert Jens Berger den Auftritt des ehemaligen Kanzlerkandidaten Armin Laschet in der ARD-Sendung „Maischberger“. Dem Spitzenpolitiker seien zum Thema „AfD-Verbot“ ehrliche Sätze heraus gerutscht. Laschet habe vor einer AfD-Regierungsbeteiligung oder gar AfD-Alleinregierung gewarnt, weil sie „die Demokratie vernichten“ könne, indem sie Justiz, Medien und Exekutive mit ihren Parteigän ... | [] | [
"Leserbriefe"
] | 19. März 2024 15:02 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=112639 |
Frankreichs Verlust ist kein Gewinn für China im indo-pazifischen Raum | Chinesische Medien haben die Uneinigkeit zwischen den USA und der EU über den AUKUS-Atom-U-Boot-Deal hochgespielt, aber die Kampflinien zwischen dem Westen und China sind nach wie vor fest verankert. Wir geben hier einen Artikel aus der „Asia Times“ wieder – Übersetzung aus dem Englischen von Marco Wenzel.
Eine Analyse dieser Vorgänge können Sie im gestrigen Artikel von Marco Wenzel noch einmal nachlesen. Von BERTIL LINTNER, Asia Times, 23. September 2021 Originaltitel: France’s loss is not China’s gain in the Indo-Pacific Chinas offizielle Staatsmedien haben keine Zeit verloren, den Riss in den Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und der Europäischen Union hervorzuheben, der durch Washingtons und Londons überraschenden Atom-U-Boot-Deal mit Australien entstanden ist. Es begann mit einem Meinungsartikel vom 18. September, in dem es hieß, dass die neu gegründete trilaterale Sicherheitspartnerschaft, bekannt als AUKUS, „Japan und Indien als Quad-Mitglieder einen psychologischen Schlag versetzt hat“ – womit der vierseitige Sicherheitsdialog gemeint ist, der die USA, Indien, Japan und Australien in einer strategischen Umarmung gegen China zusammenbringt. Am 21. September schrieb ein Kolumnist des Sprachrohrs der Kommunistischen Partei Chinas in einem Kommentar, dass „man früher dachte, Trump sei der US-Präsident, der den transatlantischen Beziehungen am meisten geschadet hat, und [der derzeitige US-Präsident] Biden würde sie reparieren, aber jetzt hat Biden etwas noch Schlimmeres getan – er hat noch mehr Schaden angerichtet, indem er die Verbündeten verraten hat.“ Ein anderer Kolumnist ging sogar noch weiter und erklärte, dass „Canberra die ASEAN zwingen wird, sich mit den USA und Australien gegen China zu verbünden“, während er feststellte, dass Malaysia „stark“ gegen den AUKUS-Pakt reagiert habe. Auch Indien sollte vorsichtig sein, denn, wie der Kolumnist schrieb, „die USA können auch sie verraten oder im Stich lassen“. In der Tat haben die jüngsten Entwicklungen im indopazifischen Raum zu einer ernsten Krise in den Beziehungen zwischen den USA und Frankreich geführt, das im Rahmen eines inzwischen geplatzten 66-Milliarden-Dollar-Geschäfts eine Flotte von Diesel-U-Booten an Australien verkaufen wollte. Frankreich rief seine Botschafter in Washington und Canberra zurück, ein Schritt, den Paris im Falle der USA bis nächste Woche rückgängig machen will, während sich die Europäische Union hinter ihren französischen Partner stellte. Der Chef der EU-Außenpolitik, Joseph Borrell, sagte am Rande der UN-Generalversammlung in New York, dass „mehr Zusammenarbeit, mehr Koordination und weniger Zersplitterung“ für eine „stabile indo-pazifische Region“ erforderlich seien, in der China die wichtigste aufstrebende Macht sei. Solche Unstimmigkeiten, die an Interessenskonflikte grenzen, sollten zwar nicht unterschätzt werden, sind aber nicht unbedingt zum Vorteil Chinas, wie es seine nationalistischen Staatsmedien darzustellen versuchen. Unmittelbar nach dem verlorenen U-Boot-Deal mit Australien telefonierte der französische Präsident Emmanuel Macron mit dem indischen Premierminister Narendra Modi, um die bilaterale Zusammenarbeit zu besprechen. Vielen internationalen Beobachtern ist nicht bewusst, dass Frankreich eine Macht im Indischen Ozean ist und dort mehr Meeresgebiet kontrolliert als jedes andere Land. Frankreichs Wirtschaftszone im Indischen Ozean umfasst insgesamt 2.650.013 Quadratkilometer, was durch die vielen verstreuten Inseln, die unter französischer Kontrolle stehen, zu erklären ist. Réunion mit 860.000 Einwohnern ist ein Departement d’outre mer, also ein Überseedepartement Frankreichs, ebenso wie die kleinere Insel Mayotte nordwestlich von Madagaskar mit 270.000 Einwohnern. Réunion und Mayotte gehören ebenfalls zu den überseeischen Departements Frankreichs. Neben diesen bewohnten Inseln kontrolliert Frankreich auch die Kerguelen, den Crozet-Archipel, die St.-Paul- und Amsterdam-Inseln sowie eine Reihe kleinerer Inseln um und in der Nähe von Madagaskar: Juan de Nova, Europa, Bassas da India, Cloriosa und Tromelin. Auf keiner dieser Inseln gibt es eine ständige Bevölkerung, aber französische Wissenschaftler und Forscher sind auf einigen von ihnen auf Rotationsbasis ansässig. Die meisten dieser Inseln sind klein, aber die größte und gebirgigste, Kerguelen, ist halb so groß wie Connecticut. Mehr als 100 französische Wissenschaftler sind im Sommer auf den Kerguelen stationiert, im Winter sind es etwas weniger. Die Hauptsiedlung, Port-aux-Français, beherbergt eine von der französischen Raumfahrtbehörde betriebene Satellitenstation, wissenschaftliche Labors, technische Anlagen und, wie man munkelt, auch Waffenlager. Offiziell unterhält Frankreich neben seinen Truppen auf La Réunion auch einen Militärstützpunkt in seiner ehemaligen Kolonie Dschibuti am Horn von Afrika sowie eine Abordnung der Fremdenlegion auf Mayotte. Frankreichs gesamte Truppenstärke im südlichen Indischen Ozean umfasst 1.900 Flugzeuge und Marinepatrouillenboote sowie 1.350 Soldaten mit Luftunterstützung in Dschibuti. Frankreich unterhält auch einen Marinestützpunkt in den Vereinigten Arabischen Emiraten mit 700 Soldaten, Schiffen und Flugzeugen. Bisher lag Frankreichs Schwerpunkt in der Region des Indischen Ozeans auf der Bekämpfung der Piraterie, humanitärer Hilfe, Katastrophenhilfe und Klimaforschung sowie der Unterstützung der von den USA geführten Kriegsanstrengungen im Nahen Osten. Doch mit der Verschärfung des neuen Kalten Krieges zwischen dem Westen und China wird die Rolle Frankreichs in diesem Machtspiel nicht weniger, sondern mehr Bedeutung erlangen. Bezeichnenderweise hat Frankreich die Idee von routinemäßigen EU-Patrouillen im Südchinesischen Meer vorangetrieben, um die Freiheit der Schifffahrt in den von China beanspruchten Gewässern zu gewährleisten. Abgesehen von seiner Präsenz im Indischen Ozean verfügt Frankreich auch über Besitzungen im Südpazifik – Neukaledonien, Französisch-Polynesien sowie Wallis und Futuna – was ihm in beiden Ozeanen einen strategischen Vorteil verschafft. Obwohl China nicht offen als Gegner genannt wird, betont ein vom französischen Verteidigungsministerium 2016 veröffentlichtes Dokument „eine wichtige strategische Partnerschaft“ mit Australien und Indien. Mit Australien hat Frankreich „zunehmend konvergierende Interessen und gemeinsame demokratische Werte“. Die „privilegierten Beziehungen“ Frankreichs zu Indien werden „durch große jährliche Übungen zwischen Marine (Varuna), Luftwaffe (Garuda) und Armee (Shakti) verkörpert“. Demselben Dokument zufolge hat Frankreich auch eine „Ausnahmepartnerschaft“ mit Japan aufgebaut. Obwohl die „Partnerschaft“ mit Australien auf der Kippe steht, gibt es bei der französisch-indischen Militärkooperation keine Anzeichen für eine Abschwächung. Im April führten Frankreich und Indien ihre 19. bilaterale Varuna-Übung im Arabischen Meer durch. Die Übung umfasste fortgeschrittene Luftverteidigungs- und U-Boot-Übungen, Starr- und Drehflugeinsätze und, wie die Organisatoren es nannten, „taktische Manöver“. Indien und Frankreich haben außerdem ein 2018 unterzeichnetes Militärlogistikabkommen geschlossen, das den gegenseitigen Zugang zu den Militäreinrichtungen der jeweils anderen Seite in der Region ermöglicht. Frankreich unterhält auch enge Verteidigungsbeziehungen zu Japan. Laut einer gemeinsamen Erklärung, die nach einem Gipfeltreffen zwischen Premierminister Yoshihide Suga und Präsident Macron in diesem Monat veröffentlicht wurde, haben sich beide Seiten darauf geeinigt, die Verteidigungszusammenarbeit „aktiv“ fortzusetzen, um einen freien und offenen Indopazifik zu sichern. Wie bei der Partnerschaft zwischen Indien und Frankreich ist die Hauptsorge die zunehmend selbstbewusste Präsenz Chinas im Indischen und Pazifischen Ozean. Am 18. September unterzeichneten das taiwanesische Verteidigungsministerium und der französische Flugzeughersteller Dassault einen Vertrag über technische Dienstleistungen im Wert von 28,45 Millionen Dollar für die Instandsetzung von 60 Mirage-2000-Jets, die in den 1990er Jahren gekauft wurden. Zum Leidwesen Chinas verkaufte Frankreich im selben Zeitraum sechs Fregatten des Typs Lafayette an Taiwan. Als im Mai letzten Jahres bekannt wurde, dass Frankreich Techniker nach Taiwan entsandt hatte, warnte China Paris eindringlich davor, die „chinesisch-französischen Beziehungen zu beeinträchtigen“. Frankreich antwortete daraufhin, China solle sich stattdessen auf den Kampf gegen das Covid-19-Virus konzentrieren. Taiwan versucht nun, französische Ausrüstung zu kaufen, um die Raketenabwehrsysteme seiner Lafayetten zu verbessern. Der Rückruf des französischen Botschafters in Canberra und des Botschafters in New York ist zwar beispiellos, aber es ist nicht das erste Mal, dass Frankreich und die USA strategisch aneinandergeraten sind. Als die USA 2003 im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Genehmigung für eine Invasion im Irak einholen wollten, wurde diese zurückgezogen, nachdem klar wurde, dass die ständigen Mitglieder Frankreich – und Russland – ihr Vetorecht nutzen würden, um die Invasion zu verhindern. Auch Frankreichs damaliger Außenminister Dominique de Villepin erhielt für seine Rede gegen den Irak-Krieg vor den Vereinten Nationen am 14. Februar 2003 großen Beifall. Es besteht kein Zweifel, dass die „Fragmentierung“, von der EU-Außenpolitikchef Borrell sprach, real ist, ebenso wie der Wunsch der EU, dem Aufstieg Chinas entgegenzuwirken und ihn einzudämmen. Doch auch wenn Peking versuchen mag, das stümperhafte und erbitterte strategische Machtspiel zwischen den westlichen Staaten auszunutzen, so ist es doch unstrittig, wo die ultimativen Schlachtlinien gezogen werden. Titelbild: Aleksandar Mijatovic | Redaktion | Chinesische Medien haben die Uneinigkeit zwischen den USA und der EU über den AUKUS-Atom-U-Boot-Deal hochgespielt, aber die Kampflinien zwischen dem Westen und China sind nach wie vor fest verankert. Wir geben hier einen Artikel aus der „Asia Times“ wieder - Übersetzung aus dem Englischen von Marco Wenzel.
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] | 07. Oktober 2021 9:10 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=76738&share=email&nb=1 |
Der gescheiterte Parteivorsitzende bestimmt seine/n Nachfolger/in. Eine wirklich tolle Regel. | Die Mitglieder und auch die Delegierten eines Parteitages sind de facto ausgeschaltet. Gabriel dachte sich Schulz aus, propagierte ihn und schon war er abgenickt. Schulz denkt sich Frau Nahles aus. Eigentlich ist der Vorsitz einer Partei ein anspruchsvolles Amt; und die Suche müsste mit dem Anspruch verbunden sein, dafür eine qualifizierte Person zu finden. Das ist wohl vergessen und das hat Folgen: Alles deutet darauf hin, dass die Personalie Nahles wie auch die Personalie Schulz für das Amt des Außenministers und die Personalie Scholz für den Vizekanzler und Finanzminister jeweils nicht das Ende mit Schrecken, sondern der Schrecken ohne Ende sein wird. Albrecht Müller. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download Denn es gärt in der SPD. Es gibt einen treffenden Offenen Brief, dessen Autoren den Finger in die Wunde dieses unglaublichen Verfahrens der Vorsitzendenbestimmung legen. Und mit hoher Wahrscheinlichkeit werden die noch verbliebenen Sozialdemokraten mit Entsetzen entdecken, was ihnen mit Nahles, Schulz und Scholz ins Nest gelegt worden ist. Ich werde ein paar wenige Bemerkungen zu Schulz und Scholz machen und etwas mehr zur ausersehenen Parteivorsitzenden Nahles. Vorweg der Offene Brief: Soweit der offene Brief, nun ein paar Bemerkungen zu den drei Personen: Zur Personalie Martin Schulz als Bundesaußenminister Hier ist zunächst einmal die Frage nach der Qualifikation zu stellen und dann auch die Frage nach der sicherheits- und außenpolitischen Ausrichtung in der Phase einer schwierigen Konstellation zwischen West und Ost. Das gute Image von Martin Schulz, das er von Januar bis März 2017 genoss, folgte aus einer nach dem Vorschlag seines Vorgängers Gabriel erzeugten Euphorie. Da spielte vor einem Jahr (länger ist das noch nicht her!) die Sehnsucht der SPD-Anhänger eine Rolle, endlich überhaupt jemanden gefunden zu haben, der Kanzlerkandidat spielt. Dann kam die Sehnsucht der Medien hinzu, die Aussicht auf ein Duell mit Frau Merkel zu haben. Wirklich ernst gemeint war die Sympathie für Schulz bei wichtigen Medien nicht. Es war eine Spielerei. So wurde Martin Schulz hochgeschrieben und dann später fallengelassen. Zwischendurch hatte er 100 % der Stimmen bei der Wahl zum SPD-Vorsitzenden gewonnen. Vermutlich hat er dieses Votum ernstgenommen und hat deshalb nicht gemerkt, dass diese Zustimmung nicht echt war. Auf den NachDenkSeiten konnten Sie von Anfang an, vom Januar letzten Jahres an, sachlich begründete Skepsis lesen. Wir haben die Euphorie nicht mitgemacht und mussten deshalb beim Absturz des Martin Schulz auch nichts auf-löffeln. Wenn wir jetzt skeptisch sind in Bezug auf seine Fähigkeit, unser Außenminister zu sein, dann hat dies wiederum nichts Spielerisches an sich. Es folgt zum Beispiel aus der Beobachtung, dass Schulz sich völlig irrational an den französischen Präsidenten klammert. Er merkt offenbar nicht mal, dass Macron alles andere als sozialdemokratisches Gedankengut mit sich herum trägt. Die Skepsis folgt weiter daraus, dass man von Martin Schulz immer nur das Gegenteil dessen hörte, was eine neue Entspannungspolitik verlangen würde: Man hat den Eindruck, dass dieser sich gerade verabschiedende Parteivorsitzende und ins hohe Amt des Außenministers wechselnde Martin Schulz das Konzept der Entspannungs- und Friedenspolitik nicht in sich aufgenommen hat. Möglicherweise hat er es gar nicht richtig mitgekriegt. Das ist im Kern furchtbar und furchterregend. So empfinden es viele Menschen, ich auch. Wir haben niemanden in Regierungsnähe, auf den wir uns verlassen können, wenn es darum geht, einen kriegerischen Konflikt in Europa zu verhindern. Vergleichen Sie das mal mit früheren Persönlichkeiten der SPD: Egon Bahr, Staatssekretär im Auswärtigen Amt und dem Bundeskanzleramt, Willy Brandt, Außenminister, Bundeskanzler und Parteivorsitzender. Hans-Jochen Vogel, Parteivorsitzender. Oskar Lafontaine Parteivorsitzender. Johannes Rau dito. Gustav Heinemann Bundespräsident. Von ihm stammt der Satz, der Friede ist der Ernstfall. So bei seiner Rede zu Beginn seiner Amtszeit als Bundespräsident im Jahre 1969. Bei allen anderen genannten Personen konnte man sicher sein, dass sie dieses Anliegen ernst nehmen. Das gilt nicht für den von Martin Schulz bewunderten französischen Präsidenten Macron. Und Schulz? Macron hat gerade verkündet, dass er viel mehr Geld für Verteidigung ausgeben wird und das 2-Prozent-Ziel der NATO erreichen will. Siehe Bericht von gestern hier zum Beispiel. Angesichts der Nähe von Schulz zu diesem französischen Präsidenten wird das Bundesaußenministerium seine wichtige Rolle, ein Gegengewicht zur Verteidigungsministerin Frau von der Leyen und der von ihr angestrebten stärkeren Militarisierung der Politik zu sein, von Beginn an aufgegeben haben. Mit dem Trio Macron, von der Leyen und Schulz wird die Europäische Union damit in den nächsten Jahren vor allem eine Militärunion werden. Auch der bekannt gewordene Vertrauensbruch zwischen Gabriel und Schulz – siehe hier – wirft kein gutes Licht auf den designierten Bundesaußenminister Martin Schulz. Insgesamt wird damit die Personalie Schulz zu einem wirklich gravierenden Argument für die SPD-Mitglieder, diese große Koalition mit diesen Inhalten und diesen Personen abzulehnen. Nur kurz zu Scholz Alle Welt wusste und weiß, dass er in Hamburg im Kontext des G-20-Gipfels ziemlich versagt hat. Schon das Angebot, die Stadt, für die er als Bürgermeister verantwortlich ist, für einen solchen Gipfel anzubieten, zeugte von einer gravierenden Fehleinschätzung. Man muss deshalb den Eindruck gewinnen, dass er nach Berlin flüchtet. Das ist keine gute Voraussetzung für das Amt des Vizekanzlers und Bundesfinanzministers. Zu erinnern ist auch daran, dass er bei den letzten Vorstandswahlen das schlechteste Ergebnis der SPD-Präsidiumsmitglieder bekommen hat. Auch nicht gerade ein Leistungsausweis. Scholz ist wie Schulz eng mit den Seeheimern verbunden. Zu Andrea Nahles, der designierten Parteivorsitzenden: Es ist gut, nach einer Frau als der Vorsitzenden dieser ältesten Partei Deutschlands zu suchen. Das Kriterium Frau ist viel, aber nicht alles. Und bei vielem anderen sind bei der designierten Vorsitzenden Nahles Zweifel erlaubt: Erstens, dass sie das Spiel, vom scheidenden und gescheiterten Vorgänger in einer Art von Coup vorgeschlagen zu werden, mitmacht, spricht für ein wenig entwickeltes demokratisches Empfinden. Das gilt insbesondere in Anbetracht der Tatsache, dass der Vorsitzende und der Vorstand der SPD gerade neu gewählt worden sind. Siehe dazu den Offenen Brief. Zweitens: Die oder der Vorsitzende einer Partei, die einmal groß war und dies wieder werden will, muss einen weiten Kreis von Menschen im Land ansprechen. Mit ihrer Sprache hat Frau Nahles diese Chance in einem weiten Kreis von Menschen schon verwirkt. Siehe dazu diesen Beitrag in den NachDenkSeiten: Der Wurm muss dem Fisch schmecken und nicht dem Angler. Nachbemerkungen zur schreienden SPD-Fraktionsvorsitzenden. Drittens: Die/der Vorsitzende einer Partei wie der SPD muss nicht nur eine organisatorische oder eine rhetorische Leistung vollbringen. Sie/er muss auch so etwas schaffen wie geistige Führung. Die Vorsitzende muss in der heutigen Zeit die weltanschauliche Auseinandersetzung führen. Sie muss fähig sein, Ideen zu entwickeln und durchzuhalten. Angesichts der eingetretenen Dürre im Umfeld der SPD gilt das heute in besonderem Maße. Haben Sie von der designierten Vorsitzenden in den letzten Jahren irgendwann und irgendwo einen beachtenswerten geistigen, eventuell sogar fortschrittlichen Impuls vernommen? Viertens: Die oder der Vorsitzende der SPD muss einigermaßen unabhängig sein. Einen solchen Eindruck habe ich bei Andrea Nahles nicht. Ich möchte das an einem viele Menschen betreffenden sachlichen Problem beschreiben: Die Ohren der bis vor kurzem amtierenden Arbeits- und Sozialministerin Nahles wie auch der maßgeblich an den Koalitionsvereinbarungen beteiligten Fraktionsvorsitzenden Nahles waren und sind taub für diese notwendigen Schritte. Stattdessen lobt sie mit den anderen Koalitionären die Durchschnittsrente von 48 %, die nie reichen, und sie fährt fort auf den Irrwegen Riester-Rente etc. Sie macht das vermutlich, um der Versicherungswirtschaft und den Banken das Geschäftsfeld Privatvorsorge zu erhalten, und sie stärkt die staatlich geförderte betriebliche Altersvorsorge, deren Fördermittel wiederum ganz wesentlich der Versicherungswirtschaft zugutekommen, weil dies auch Gewerkschaftsfunktionären nutzt, die zusammen mit der Versicherungswirtschaft die von uns Steuerzahlern subventionierten Rentensysteme ausprobieren, installieren und verwalten wollen. Fazit, festzumachen schon an diesem einen Beispiel: Mit Andrea Nahles bekommt die SPD keine unabhängige Vorsitzende. Und mit dem Dreigestirn aus Schulz, Scholz und Nahles wird die SPD die Erneuerung nicht schaffen und auch nicht zur Ruhe kommen. | Albrecht Müller |
Die Mitglieder und auch die Delegierten eines Parteitages sind de facto ausgeschaltet. Gabriel dachte sich Schulz aus, propagierte ihn und schon war er abgenickt. Schulz denkt sich Frau Nahles aus. Eigentlich ist der Vorsitz einer Partei ein anspruchsvolles Amt; und die Suche müsste mit dem Anspruch verbunden sein, dafür eine qualifizierte Person zu finden. Das ist wohl vergessen und das ha ... | [
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] | 09. Februar 2018 8:47 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=42336 |
Wie aus Geldern für Flüchtlinge Spenden für die AfD wurden | Es ist eine Geschichte, die in ihrer ganzen Groteske typisch für das heutige Deutschland ist. Björn Höckes thüringischer AfD-Landesverband bekommt eine stolze Spende in Höhe von 100.000 Euro. Der Spender heißt Christian Krawinkel und wird von den Medien wahlweise als Vermögensverwalter, Bau- oder Immobilienunternehmer beschrieben. Vergessen wird dabei, dass Krawinkels aufsehenerregendster Deal wohl die Vermietung einer Industrieruine an die Stadt Berlin war. Es ging um die Unterbringung von Flüchtlingen. Doch Flüchtlinge zogen nie in das Objekt ein. Dennoch kassierten Krawinkel und seine Partner in düsteren Steueroasen Millionen Euro Steuergelder. Über Umwege sind diese eigentlich für die Unterbringung von Flüchtlingen vorgesehenen Steuergelder jetzt die Mittel, die Höckes kommende Wahlkämpfe finanzieren. Von Jens Berger. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download Bis 2013 produzierte der Verpackungskonzern Tetra Pak im Berliner Stadtteil Heiligensee Getränkekartons. Ende 2013 stellte man die Produktion in Berlin ein und verkaufte das ehemalige Werksgelände. Als neuer Eigner trat später die CKV Vermögensverwaltung GmbH in Erscheinung; das „Projektentwicklungsunternehmen“ des AfD-Spenders Christian Krawinkel. Wie viel Krawinkel für das Areal bezahlt hat, ist nicht bekannt. Vergleichbare Gewerbeflächen wurden seinerzeit mit rund 50 Euro pro Quadratmeter gehandelt. Das entspräche dann rund vier Millionen Euro für das 80.000-Quadratmeter-Areal. Diese geschätzte Kaufsumme hatten die „Investoren“ jedoch bereits wenige Monate später wieder eingespielt. Der große Glücksfall für Krawinkel und seine Partner war die im Herbst 2015 über den Balkan rollende Flüchtlingswelle. Wie viele andere Krisengewinnler nutzten Krawinkel und Co. die Gelegenheit und zogen das Land Berlin so richtig über den Tisch. Dem Stern zufolge ermittelte ein Gutachter – und das auch noch im Auftrag des Vermieters – eine „marktübliche“ Gewerbemiete von 3,25 Euro pro Quadratmeter. Das Land Berlin zahlte acht Euro pro Quadratmeter und das auch noch über einen Mietvertrag ohne Sonderkündigungsrecht, der bis zum April 2019, also mehr als drei Jahre laufen sollte. Aus dem kleinen wurde ein großer Skandal, als sich dann auch noch herausstellte, dass die Industrieruine überhaupt nicht für das Unterbringen von Menschen geeignet war. Laut BZ „reichten Heizung und Belüftung nicht aus, die sanitären Anlagen waren defekt, die Hallentore funktionierten nicht, Fluchtwege und Brandschutz waren mangelhaft“. Eine Renovierung hätte laut Vertrag jedoch nicht der Besitzer, sondern der Mieter, also das Land Berlin zahlen müssen. Da die Flüchtlingszahlen im Sommer 2016 stark zurückgingen, verzichtete das Land auf die teure Renovierung und zahlte brav die vertraglich vereinbarte Miete … Monat für Monat, Jahr für Jahr, ohne dass das Areal überhaupt genutzt wurde. So flossen laut einer Rüge des Rechnungshofs mindestens 4,6 Millionen Euro an Steuergeldern an Krawinkel und seine Partner; mehr als das gesamte Areal schätzungsweise gekostet hat. Wer neben Christian Krawinkel noch zu den Gewinnlern dieses Flüchtlingsdeals zählt, ist leider nicht in Erfahrung zu bringen. Die CKV verkaufte das Areal in einem „Asset und Share Deal“ – das heißt unter Zuhilfenahme von Steuertricks ohne Entrichtung der Grunderwerbssteuer – an zwei dubiose Briefkastenfirmen aus Zypern, die laut Stern zum Umfeld der „geheimnisumwitterten“ 1,3 Milliarden Euro schweren Berliner „Capital Bay GmbH“ gehören. Nach Stern-Recherche soll ein „österreichisches Family Office“ eines Milliardärs aus der Alpenrepublik einer der maßgeblichen Kapitalgeber gewesen sein. Als Joint-Venture-Partner blieb die CKV jedoch an Bord. Wie dem auch sei. Dieses Fallbeispiel zeigt vortrefflich, wie abgebrühte und mit allen Wassern gewaschene Spekulanten die Flüchtlingskrise genutzt haben, um Millionen oder gar Milliarden an Steuergeldern in ihre eigenen Taschen umzulenken. Dass diese Gelder jetzt indirekt auf dem Konto von Björn Höckes Thüringer AfD gelandet sind, ist eine weitere skurrile Fußnote. Geld stinkt nicht und wenn nun mit Steuergeldern, die zur Versorgung von Flüchtlingen gedacht waren, Plakate finanziert werden, mit denen gegen Flüchtlinge Stimmung gemacht wird, zeigt dies als Metapher, wie ein dilettantisch agierender Staat und skrupellose Immobilienspekulation am Ende die AfD stärken. Und was wurde aus dem Tetra-Pak-Areal in Heiligensee? Dort sollen jetzt Wohnungen entstehen. Mit der Änderung des Flächennutzungsplans von einem Gewerbe- auf ein Wohngebiet hat sich der Wert des Geländes übrigens auf Basis von Vergleichswerten mindestens verzehnfacht. Da freuen sich die Thüringer AfD und ihr Spender sowie der unbekannte österreichische Milliardär samt seiner steueroptimierten Briefkästen auf Zypern. Was wohl Björn Höcke zu dieser Verschwendung von Steuergeldern im Namen der Flüchtlingskrise sagen würde? Titelbild: knipsdesign/shutterstock.com | Jens Berger | Es ist eine Geschichte, die in ihrer ganzen Groteske typisch für das heutige Deutschland ist. Björn Höckes thüringischer AfD-Landesverband bekommt eine stolze Spende in Höhe von 100.000 Euro. Der Spender heißt Christian Krawinkel und wird von den Medien wahlweise als Vermögensverwalter, Bau- oder Immobilienunternehmer beschrieben. Vergessen wird dabei, dass Krawinkels aufsehenerregendster Deal ... | [
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] | 13. Februar 2020 9:08 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=58427 |
Jens Wernicke | Jens Wernicke, Jahrgang 1977, arbeitete als Gewerkschaftssekretär und in der Politik. Inzwischen ist er freier Journalist und Geschäftsführer der Trägergesellschaft des „Rubikon – Magazin für die kritische Masse”. Zuletzt erschien von ihm “Netzwerk der Macht – Bertelsmann. Der medial-politische Komplex aus Gütersloh” im BdWi-Verlag. 2017 erschienen von ihm “Lügen die Medien? Propaganda, Rudeljournalismus und der Kampf um die öffentliche Meinung” im Westend-Verlag sowie “Fassadendemokratie und Tiefer Staat” als Mitherausgeber im Promedia-Verlag. | [] | [] | 25. November 2016 10:48 | https://www.nachdenkseiten.de/?gastautor=jens-wernicke&paged=2 |
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Globalisierung beflügelt deutsche Exportüberschüsse – Simulationsrechnung im neuen IMK-Report | Die deutsche Wirtschaft profitiert massiv vom globalen Handel. Die zunehmende internationale Verflechtung ist die wichtigste Ursache für das enorme Wachstum, das der deutsche Exportüberschuss in den vergangenen Jahren gezeigt hat. Daneben tragen zwei weitere Faktoren wesentlich zur positiven Entwicklung bei: die Differenz zwischen starker Auslandsnachfrage und schwächerer Nachfrage in Deutschland sowie die verbesserte Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen.
Zu diesen Ergebnissen kommt eine Simulationsstudie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung. Die Simulationen des IMK spielen die Entwicklung des deutschen Außenhandels mit Waren und Dienstleistungen von 1999 bis 2004 durch. Die Daten dazu stammen vom Statistischen Bundesamt, der Bundesbank, von der europäischen Statistikbehörde Eurostat, von OECD und Weltbank. Um zu berechnen, was den Außenhandel in den vergangenen Jahren beflügelt hat, wurde abwechselnd jeweils ein Einflussfaktor (Nachfrage aus dem In- und Ausland, relative Preise und Globalisierung) auf dem Niveau von 1998 konstant gehalten. Das Resultat: | Wolfgang Lieb | Die deutsche Wirtschaft profitiert massiv vom globalen Handel. Die zunehmende internationale Verflechtung ist die wichtigste Ursache für das enorme Wachstum, das der deutsche Exportüberschuss in den vergangenen Jahren gezeigt hat. Daneben tragen zwei weitere Faktoren wesentlich zur positiven Entwicklung bei: die Differenz zwischen starker Auslandsnachfrage und schwächerer Nachfrage in Deutschl ... | [
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] | 10. November 2005 11:18 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=939&share=email |
Erscheinungsdatum und Inhalt des NachDenkSeiten-Jahrbuchs | Bei den Informationen über Das kritische Jahrbuch 2007 fehlt bisher ein Hinweis auf das Erscheinungsdatum. Wir arbeiten intensiv daran. Es wird in der ersten Februarhälfte gedruckt vorliegen und ausgeliefert, selbstverständlich sofort an alle, die bis dahin bestellt haben. Einer unserer Leser findet es hilfreich, zu wissen, was in diesem Buch drinstehen wird. Natürlich orientiert sich das an den NachDenkSeiten. Wir informieren aber auch gerne über die bisherige Inhaltsübersicht. Hier ist sie:
Albrecht Müller. | Albrecht Müller | Bei den Informationen über Das kritische Jahrbuch 2007 fehlt bisher ein Hinweis auf das Erscheinungsdatum. Wir arbeiten intensiv daran. Es wird in der ersten Februarhälfte gedruckt vorliegen und ausgeliefert, selbstverständlich sofort an alle, die bis dahin bestellt haben. Einer unserer Leser findet es hilfreich, zu wissen, was in diesem Buch drinstehen wird. Natürlich orientiert sich das an d ... | [
"Das kritische Jahrbuch"
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"Aufbau Gegenöffentlichkeit",
"Veröffentlichungen der Herausgeber"
] | 15. Januar 2008 14:52 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=2894&share=email |
Die Kampagne gegen die Air Base Ramstein und für den Frieden geht weiter | Die wichtige Kampagne „Stopp Air Base Ramstein“ wird auch im kommenden Jahr fortgesetzt – ein Höhepunkt soll eine Protestwoche vom 5.-12. Juli sein, wie eine Konferenz der Initiative gerade beschlossen hat. Im Mittelpunkt der Aktionen sollen unter anderem ein internationales Friedenscamp, ein internationaler Anti-Militärbasen-Kongress in Kaiserslautern und eine Demonstration mit abschließendem Friedensfest in Ramstein stehen. Außerdem soll im September eine zentrale Protestaktion gegen Drohnen und Krieg in Berlin stattfinden. Diese Termine sollten sich Leser der NachDenkSeiten schon mal vormerken. Von Tobias Riegel. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download Die Aktionskonferenz der Kampagne „Stopp Air Base Ramstein“ hat vor einigen Tagen den „Fahrplan“ für das kommende Jahr beschlossen und Bilanz der jüngeren Vergangenheit gezogen. Diese Bilanz sei erfolgreich, teilt die Initiative auf ihrer Homepage mit: Mit 5000 Teilnehmer*innen bei der zentralen Demonstration und einem Friedenscamp mit annähernd 800 Friedensaktivist*innen in diesem Jahr sei dies es eine beeindruckende Protestaktion der Friedensbewegung gegen Drohnen und Krieg gewesen. Außerdem wurde auf der Konferenz betont, dass die Klima- und Umweltherausforderungen eng mit dem friedenspolitischen Anliegen der Kampagne verbunden seien und dass eine Zusammenarbeit und ein Dialog mit „Fridays for Future“ und weiteren Klima(gerechtigkeits)bewegungen, wie er sich schon bei den Protestaktionen 2019 in Ansätzen entwickelt habe, intensiviert und vertieft werden sollten. Friedenscamp, Demo, Assange, Drohnen, Atomwaffen Unterstrichen wird die Notwendigkeit der Proteste zusätzlich durch die aktuelle Diskussion um die Bewaffnung einer bewegungsfähigen deutschen Drohne und der Entwicklung der Eurodrohne. Die Aktionskonferenz drückte auch ihre Solidarität mit Julian Assange aus. Ein Höhepunkt des Widerstands im kommenden Jahr soll eine Protestwoche vom 5.-12. Juli sein. Im Mittelpunkt der Aktionen sollen unter anderem stehen: Ein internationales Friedenscamp (unter anderem mit Friedenswerkstatt und breitem kulturellen Angebot), ein internationaler Anti-Militärbasen-Kongress in Kaiserslautern, eine öffentliche Abendveranstaltung mit prominenten Redner*innen in Kaiserslautern sowie eine Demonstration mit abschließendem Friedensfest am 11. Juli in Ramstein. Erstmals sei außerdem ein zweiter Aktionshöhepunkt vereinbart worden: Am 26. September soll eine zentrale Protestaktion gegen Drohnen und Krieg in Berlin stattfinden. Gefordert wurde auf der Konferenz auch eine Unterstützung der Proteste gegen das NATO-Manöver „Defender 2020“, das von der Air Base Ramstein aus mit koordiniert werde, sowie einer geplanten Menschenkette zum Atomwaffenlager Büchel. Die Kampagne „Stopp Air Base Ramstein“ will sich nach eigenen Angaben aktiv an der Mobilisierung beteiligen und bei den Aktionen präsent sein. Titelbild: Michael Fitzsimmons/shutterstock.com | Tobias Riegel | Die wichtige Kampagne „Stopp Air Base Ramstein“ wird auch im kommenden Jahr fortgesetzt - ein Höhepunkt soll eine Protestwoche vom 5.-12. Juli sein, wie eine Konferenz der Initiative gerade beschlossen hat. Im Mittelpunkt der Aktionen sollen unter anderem ein internationales Friedenscamp, ein internationaler Anti-Militärbasen-Kongress in Kaiserslautern und eine Demonstration mit abschließendem ... | [
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] | 18. Dezember 2019 13:30 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=57195 |
Bertelsmann | Aus aktuellem Anlass geben wir einen Auszug aus “Meinungsmache” zur Kenntnis. Der Text ist von Wolfgang Lieb und es geht um die Rolle der Bertelsmann Stiftung. Es betrifft unseren nächsten Eintrag zur Zusammenarbeit von DGB NRW und Bertelsmann Stiftung. Albrecht Müller | [] | [] | 09. März 2010 14:51 | https://www.nachdenkseiten.de/?tag=bertelsmann&paged=7 |
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Freihandelsabkommen und Arbeitszeit: Ein Beispiel für die indirekte Senkung von Standards | Freihandelsabkommen wie TTIP oder CETA sollen Arbeit und Wohlstand bringen, so heißt es. Dazu sollen die Vertragspartner zwar gleichwertige Normen und Standards gegenseitig anerkennen – senken aber wolle man soziale und ökologische Standards nicht. So versprechen es jedenfalls die BefürworterInnen von Freihandelsabkommen. Schlüssig und überzeugend sind solche Beschwichtigungen nicht. Denn gerade die indirekte Senkung von Standards ist eine reale Gefahr. Dies sei nachfolgend an einem kleinen Beispiel aufgezeigt: dem deutschen Arbeitszeitgesetz. Von Patrick Schreiner[*].
Es gibt kaum einen Befürworter und kaum eine Befürworterin von TTIP, CETA und Co., der/die Ängste vor einer Senkung von Schutz- und Regulierungsstandards nicht regelmäßig herunterspielt. So sagte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) im Mai in seiner Eröffnungsrede beim „Dialogforum zur Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft“: Michael Froman, der US-Chefunterhändler für die Verhandlungen über ein EU-US-Freihandelsabkommen TTIP, will Standards setzen – nicht senken: Und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will beschwichtigen: Der Präsident des Europaparlaments und ehemalige Spitzenkandidat der europäischen Sozialdemokratie bei den Europawahlen, Martin Schulz, gab zum Besten: Das Problem ist nur: TTIP (und CETA und alle anderen Freihandelsabkommen) werden Standards unweigerlich unterminieren. Dies gilt zumindest, sofern die höchsten Standards nicht in den Abkommen selbst festgeschrieben werden (was nicht passieren wird). Um zu verstehen, weshalb und wie sie dies tun, ist es wichtig, den Unterschied zwischen einer direkten und einer indirekten Senkung von Standards zu verstehen. Ohne dass sie es auch explizit aussprechen, scheinen Gabriel, Froman, Merkel und Schulz nämlich nur die direkte Senkung von Standards zu meinen. Möglicherweise sagen sie damit nicht einmal gänzlich die Unwahrheit: Tatsächlich ist zu erwarten, dass die indirekte Senkung von Standards durch TTIP, CETA und Co. sehr viel umfangreicher ausfallen wird als die direkte. Im Folgenden sei zunächst erläutert, was eine „direkte“ von einer „indirekten“ Senkung von Standards unterscheidet. Beispiele für die indirekte Senkung von Standards gibt es viele. Eines sei im Folgenden im Detail dargestellt. Es bezieht sich auf das Verbot von Sonn- und Feiertagsarbeit, wie es im deutschen Arbeitszeitgesetz festgeschrieben ist. Zweck des gesamten Gesetzes ist es gemäß § 1, erstens die Arbeitszeit von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zu begrenzen, zweitens zugleich eine gewisse Flexibilität bei den Arbeitszeiten zu gewährleisten und drittens Sonntage sowie Feiertage bestmöglich von Arbeit freizuhalten. Das Gesetz enthält, entsprechend dieser Zielsetzung, konkretisierende Regelungen beispielsweise zur werktäglichen Arbeitszeit, zu Ruhezeiten und zu Nacht- und Schichtarbeit. Gleich in mehreren Paragraphen ist Sonn- und Feiertagsarbeit geregelt. Die hier relevante Ausnahme findet sich in § 13 Abs. 5. Sie hat es mit Blick auf Freihandelsabkommen durchaus in sich: Dieser Absatz räumt Unternehmen einen Rechtsanspruch (!) auf die Beschäftigung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen ein, sofern Dieser Absatz ist alles andere als nebensächlich: Quasi täglich wird heute schon in Deutschland Sonn- und Feiertagsarbeit auf dieser Grundlage genehmigt. Zuständig für die Umsetzung sind die Länder. In der Regel begnügen sich die jeweiligen Ministerien als Genehmigungsbehörden mit einer mehr oder weniger umfangreichen Begründung und Erläuterung seitens der antragstellenden Unternehmen. Eine intensive Prüfung der Sachverhalte erfolgt in der Regel nicht. Ablehnungen sind Ausnahmen. Und was hat das mit TTIP, CETA und Co. zu tun? Sinn und Zweck von Freihandelsabkommen ist es, den grenzüberschreitenden Handel auszuweiten. Dies hat unweigerlich zur Folge, dass die Konkurrenz zwischen Standorten und Unternehmen zunimmt. Damit wird auch die Zahl der Unternehmen zunehmen, die einen Rechtsanspruch darauf haben, ihre Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an Sonn- und Feiertagen zu beschäftigen. Dies stellt eine indirekte Senkung von Standards dar – denn das Verbot von Sonn- und Feiertagsarbeit wird weiter ausgehebelt, ohne dass dies in den Freihandelsabkommen selbst so festgeschrieben wäre. Darunter zu leiden haben die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Man könnte dies verhindern, indem man in den Freihandelsabkommen Sonn- und Feiertagsarbeit verbietet und Ausnahmen auf ein absolut notwendiges Minimum beschränkt (ähnlich wie in § 9 und 10 des deutschen Arbeitszeitgesetzes). Das aber ist weder geplant noch gewünscht. Stattdessen verkünden Merkel, Gabriel, Froman, Schulz und Co., dass man keine Standards senken werde. Und machen anschließend – indirekt – doch genau das. | Patrick Schreiner | Freihandelsabkommen wie TTIP oder CETA sollen Arbeit und Wohlstand bringen, so heißt es. Dazu sollen die Vertragspartner zwar gleichwertige Normen und Standards gegenseitig anerkennen – senken aber wolle man soziale und ökologische Standards nicht. So versprechen es jedenfalls die BefürworterInnen von Freihandelsabkommen. Schlüssig und überzeugend sind solche Beschwichtigungen nicht. Denn gera ... | [
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"Arbeitsmarkt und Arbeitsmarktpolitik",
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] | 18. September 2014 9:35 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=23318&share=email&nb=1 |
Spiegel-Interview mit dem Staatsoberhaupt: Der neoliberale Stammtisch unter sich | Wenn Bundespräsident Horst Köhler, der Chefredakteur des Spiegels Stefan Aust, und der Leiter des Berliner Büros, Gabor Steingart zusammensitzen, dann sind neoliberale „Reformer“ unter sich. Da wird, wie Tom Schimmeck in der taz schrieb, den Schwachen mal so richtig Druck gemacht und den Mächtigen devot am Bauch gekrault. Ein solches Interview hat auch sein Gutes: Unser Bundesaufsichtsratsvorsitzender wird so richtig aus seiner ideologischen Reserve gelockt. Hier ein paar Kostproben.
Erste Kostprobe: Anmerkung: Köhler hat Recht, die „Arbeitslosigkeit hat sich aufgrund von politischen Versäumnissen aufgebaut und verfestigt“. Nur was waren das für Versäumnisse?
Im letzten Jahr der Kanzlerschaft Helmut Schmidts 1981 lag die Arbeitslosigkeit bei 5,5%, sie stieg ab 1982 – nach der Regierungsübernahme von Helmut Kohl – auf 7,5% mit einem ersten Höhepunkt im Jahre 1985 mit 9,3%.
Mit dem Einigungsboom Anfang der 90er Jahre sank die Quote wieder auf 6,2%.
1990 wurde Köhler zum Staatssekretär im Finanzministerium berufen. Er war also selbst in verantwortlicher Position als der Einigungsboom abgewürgt und die Wirtschaft von 1993 bis heute ein miserables Wachstum von 1,2% hat.
Bei Köhlers Wechsel als Sparkassendirektor war die Arbeitslosenquote mit 8% wieder deutlich höher bis sie dann im letzten Jahr Kohls 1997 auf 10,8 Prozent anwuchs
Nur nach den Hartz-Reformen der Schröder-Regierung ist sie nochmals auf 11% angestiegen. (Zur Zeitreihe der Arbeitslosenstatistik siehe Statistisches Bundesamt)
Der Aufbau und die Verfestigung der Arbeitslosigkeit fand also statt, obwohl seit 1982 die neoliberalen wirtschaftspolitischen Konzepte aus dem legendären Lambsdorff-Papier Stück für Stück umgesetzt wurden.
Seit gut 24 Jahren wird also die gleiche angebotsorientierte Wirtschaftspolitik getrieben, seit einem Vierteljahrhundert gibt es einen Sozialabbau nach dem anderen und dennoch hat sich die Arbeitslosigkeit „aufgebaut und verfestigt“.
Nach jeder erdenklichen Logik müsste man eigentlich schließen: Das schwerste „politische Versäumnis“ ist, dass geleugnet wird, dass die angebotsorientierte Wirtschaftspolitik in Reinform gescheitert ist.
Nicht so unser Bundespräsident: Er behauptet in dem Interview, wir stünden bei der „grundlegende Erneuerung Deutschland“ „erst am Anfang“. (Siehe unten)
Wo hat die „Reformpolitik der vergangenen Jahre“ mit ihrer „arbeitsmarktpolitischen Kurskorrektur“ „zu wirken“ begonnen? Dazu das Statistische Bundesamt vom 2. Januar 2007: „Während im Jahr 2005 überwiegend die Förderung der Selbstständigkeit (Ich-Ags, WL) von Bedeutung war, zählten im Jahr 2006 im Vergleich zum Vorjahr die Arbeitsgelegenheiten nach der Mehraufwandsvariante (sogenannte 1-Euro-Jobs) zu dem zahlenmäßig bedeutendsten Instrument der Beschäftigung schaffenden Maßnahmen.“
Die Wirkung der vom Bundespräsident so gelobten Arbeitsmarktreformen besteht also vor allem in dem zunehmenden existenziellen Druck sog. „Arbeitsgelegenheiten“ anzunehmen.
Denn wenn Köhler von dem „Paradigmenwechsel bei er Auszahlung des Arbeitslosengeldes“ spricht, dann kann er wohl nur die eingeführten Sanktionen bei der Ablehnung einer Arbeitsgelegenheit meinen. Köhler vertritt also das Konzept, die Arbeitslosigkeit durch den Druck auf die Arbeitslosen zu bekämpfen. Zweite Kostprobe: Anmerkung: Dass Köhler ein Vertreter der Übertragung des Wettbewerbsprinzips in der Politik ist, hat er uns nicht erst in seiner Weihnachtsansprache als seine Botschaft verkündet, kein Wunder also dass er auch den Wechsel vom kooperativen zum Wettbewerbsföderalismus begrüßt.
Dass er vor allem die Rente mit 67 als Großtat der Großen Koalition hervorhebt, beweist nur einmal mehr, dass seine Vorstellung von „Reformen“ nur die weitere Kürzung von Sozialleistungen zum Ziel haben. Kein Wort vom Bundespräsidenten, dass damit zumindest die hohe Gefahr einer weiteren dramatischen Rentenkürzung verbunden ist, keine – wenigstens vorsichtige – Warnung davor, dass die Rente mit 67 zu mehr sozialer Ungleichheit führen könnte. Solche Bedenken kommen ihm bei seinem Reformeifer erst gar nicht in den Sinn. Dass Köhler für eine Fortsetzung, ja eher noch für eine Verschärfung des Agenda-Kurses eintritt, ist bekannt. Warum er „diese Linie für richtig“ hält, ist für ihn keinerlei Begründung wert. Dritte Kostprobe: Dazu statt einer Anmerkung: Das war fast wortwörtlich auch die Neujahrsbotschaft der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA): „Die Politik muss die gute gesamtwirtschaftliche Entwicklung 2007 endlich für durchgreifende strukturelle Reformen für Senkung von Lohnzusatzkosten und einen beweglicheren Arbeitsmarkt nutzen“. Haben wir mit erwarteten rd. 2 Prozent wirklich den von Köhler behaupteten „starken Wirtschaftsaufschwung“? Sind die Prognosen für 2007 nicht schon wieder deutlich niedriger?
Hat sich die „Wettbewerbsfähigkeit“ tatsächlich durch die Agenda 2010 verbessert? Die Bundesrepublik ist seit Jahren Exportweltmeister, schon lange bevor Schröder überhaupt an seine Agenda auch nur gedacht hat. Vierte Kostprobe: Nach dem jüngsten Armuts-Bericht des Statistischen Bundesamtes [pdf – 2,8MB] vom 5. Dezember 2006 beginnt die Armutsgefährdung bei einer vierköpfigen Familie mit zwei Kindern unter 14 Jahren tatsächlich – wie die Spiegel-Leute sagen – bei 1798 Euro pro Monat.
Haben die Herren vom Spiegel aber einmal nachgerechnet, was zwei Erwachsenen und zwei Kindern nach Abzug der Miete noch pro Kopf zum Leben bleibt? Können gerade solche Journalisten, die sich von ihren jährlichen Ausschüttungen einen Porsche oder einige Rennpferde leisten können, überhaupt vorstellen, was ein paar hundert Euro pro Kopf im Monat für ein Leben bedeutet? Nun setzen aber die Spiegel-Interviewer noch einen drauf und bedienen sich eines miesen demagogischen Tricks: Nach dem sie die beachtliche Zahl von 1798 Euro eingeführt haben, legen sie den Lesern die Assoziation nahe, als seien dies der Betrag, den „ein Hartz-IV-Empfänger“ bekäme. Wie vor einigen Monaten der stellvertretende Chefredakteur des Sterns, Ulrich Jörges, sehen nun auch die Austs und die Steingarts den Kommunismus ausgebrochen. Helga Spindler hat auf den NachDenkSeiten diese Demagogie entlarvt:
Nach einer Statistik, die die Arbeitsagentur im Januar 2006 unter dem Titel: „Geldleistungen an Bedarfsgemeinschaften“ ins Netz gestellt hat, gibt es 5,3% von 2.777.322 Millionen ausgewerteten Haushalten, wo Eltern 2 Kinder haben. Und bei gerade mal 0,1 Prozent (!) von diesen Haushalten sind – etwa wegen erhöhter Mietkosten oder Sonderaufwendungen – laufende Nettozahlungen in einer solchen Größenordnung von an die zweitausend Euro ausgewiesen. Was aber den Vergleich mit der „Frau an der Kaufhauskasse“ noch mieser macht, ist die Tatsache, dass bei der von den Spiegel-Leuten angeführten Verkäuferin – im Gegensatz zu den Übertreibungen bei den Hartz IV-Empfängern – die Transferleistungen für deren Kinder und deren Ansprüche auf Aufstockungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch nicht mit hinzu gerechnet werden, die ihr zusätzlich als Alleinverdienerin in einer vierköpfigen Familie nach Gesetz zustünden. Die Spiegel-Leute betreiben eben ihr übliches Geschäft des Schürens der Vorurteile, wonach die Sozialleistungen zu hoch und die Armutsgrenze noch viel niedriger angesetzt werden müsste. (Um es ganz bösartig zu sagen: Vermutlich haben Sie sich nach dem Interview sich erst einmal einen gegönnt und im Cafe „Einstein“ unter den Linden in Berlin eine Spesenrechnung gemacht, die in etwa dem Betrag der Regelleistung eines Hartz IV-Empfängers ausmachte. Taxikosten noch nicht eingerechnet.) Aber nun gut, das kann man noch als den alltäglichen Zynismus unserer Edel-Journalisten abtun. Erschreckender ist, wie unser Bundespräsident auf diese Frage antwortet. Was meint er denn damit, dass die „Diskussion, … sich noch nicht genügend der Realität und der Ehrlichkeit verpflichtet sieht“. Meint er damit, dass Hartz IV noch weiter gesenkt werden muss? Meint er, dass sich die Sozialleistungen mit einem deutlichen Abstand an die Niedrigstlöhne nach unten angepasst werden müssten? Im nächsten Satz beweist der Bundespräsident, dass er voll auf die Frage seiner gleichgesinnten Interviewer hereingefallen ist: Bei aller gespielten „Hochachtung für die Frau an der Kaufhauskasse“ vergisst er, dass sie als eine Frau die eine vierköpfige Familie durchbringen müsste, mit Sicherheit nicht auch noch Steuern bezahlen und den Sozialstaat finanzieren muss. Dieser Hinweis passt aber eben so gut ins Tremolo. Dazu muss man wissen: Spiegel-Interviews sind autorisierte Interviews, d.h. sie werden dem Interviewpartner vor Abdruck vorgelegt und wenn man im Gespräch etwas Unsinniges gesagt haben sollte – was jedem passieren kann -, dann kann man das ohne weiteres korrigieren.
So wie es da steht, muss es Köhler also gesagt haben, und da es nicht wenigstens sein Sprecher korrigiert hat, ist anzunehmen, dass so auch im Schloss Bellevue inzwischen gedacht wird. Andernfalls müsste er eigentlich seinen Sprecher entlassen. Hat unser Bundespräsident, der sich doch nun bei der Verweigerung seiner Unterschrift unter vom Bundestag verabschiedeten Gesetzen schon zum wiederholten Male zum obersten Verfassungshüter aufgeschwungen hat, eigentlich noch einen Begriff von der Unantastbarkeit der Würde des Menschen wie sie das Grundgesetz in der Präambel garantiert? Nimmt er nicht mehr wahr, dass ein Fürsorgesystem, wie es die Sozialhilfe oder heute das Arbeitslosengeld II ist, zielgenau für diejenigen da ist, die nicht genug Einkommen und Vermögen haben, um würdevoll zu existieren und die dazu womöglich noch eine Familie haben, die man ja nicht je nach Einkommenslage flexibel entlassen kann? Auf den Gedanke, dass umgekehrt ein Schuh daraus wird und schleunigst Mindestlöhne eingeführt werden müssten, die eine angemessene Existenzgrundlage ermöglichten, um wieder einen Abstand zwischen Löhnen und den Leistungen für das Existenzminimum herzustellen, kommt unser Bundespräsident natürlich erst gar nicht. In seiner Logik müssten eben die Sozialleistungen so weit gesenkt werden, dass es ökonomisch rational wird, auch zu Hungerlöhnen „noch arbeiten zu gehen“. Ich will hier abbrechen, dieses Interview im Spiegel weiter zu zitieren und weitere Kostproben dieses Stammtischgespräch unter neoliberalen Gesinnungsfreunden zu liefern.
Das Spiegel-Gespräch mit unserem „Staatsoberhaupt“ ist fast durchgängig bezeichnend dafür, welche Ideologie das Denken unserer „Reformer“ auf der Seite der Medien und bei unseren obersten politischen Repräsentanten bestimmt und wie sie sich gegenseitig die Stichworte liefern, um sich gegenseitig in ihrer abgehobenen Rolle untereinander zu bestätigen, auf die da unten Druck zu machen und entsprechende Reformen zu propagieren, damit es denen, die da oben das Sagen haben, noch besser geht. Ein weiteres Beispiel für die Meinung von über achtzig Prozent der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger, dass die Politik und ihre medialen Hofschranzen auf “auf die Interessen des Volkes keine Rücksicht” nehmen. | Wolfgang Lieb | Wenn Bundespräsident Horst Köhler, der Chefredakteur des Spiegels Stefan Aust, und der Leiter des Berliner Büros, Gabor Steingart zusammensitzen, dann sind neoliberale „Reformer“ unter sich. Da wird, wie Tom Schimmeck in der taz schrieb, den Schwachen mal so richtig Druck gemacht und den Mächtigen devot am Bauch gekrault. Ein solches Interview hat auch sein Gutes: Unser Bundesaufsichtsratsvors ... | [
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Ökonomie | Eigentlich müsste die derzeit so oft zitierte miserable Haushaltslage jedem, der die Wirklichkeit noch klar zu erkennen vermag, vor Augen geführt haben, dass Hans Eichel, der mit dem Image eines Sparkommissars populär wurde und lange Zeit populär blieb, obwohl seine ehrlichen Sparversuche total scheiterten, einfach nichts von Volkswirtschaft versteht und nicht begriffen hat, dass volkswirtschaftlich betrachtet Sparabsicht und Sparerfolg auseinander klaffen, wenn der Finanzminister „in die Krise hineinspart“ (Siehe Denkfehler 31/Reformlüge).
Bei Sabine Christiansen am 23.10. hat auch der frühere Finanzminister Waigel versucht, auf dieser Spar-Welle zu reiten. Er verwies auf ein angeblich erfolgreiches, so genanntes Föderales Konsolidierungsprogramm, das 1993 unter seiner Federführung verabschiedet wurde. Das ist wiederum ein Musterbeispiel einer so aus dem Ärmel geschüttelten manipulativen Behauptung. Die exakten Daten zeigen nämlich etwas anderes. | NachDenkSeiten - Die kritische Website | [] | [] | 26. Oktober 2005 12:49 | https://www.nachdenkseiten.de/?cat=131&paged=128 |
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„Industriestandort: So stark ist Deutschland wirklich“. Oder: War da was, genannt „Basarökonomie“? | Heute wird in Berlin eine Studie präsentiert, die das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums durchgeführt hat. Die Frankfurter Allgemeine und die Welt berichteten vorab davon. Wenn man diese Texte liest – zwei in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (hier und hier. Siehe Anlage 1 ) und einen bei Welt online (hier. Siehe Anlage 2) – , dann kann man amüsiert feststellen, wie die Meinungsführer zu Opfern ihrer eigenen Sprüche geworden sind und wie sie sich winden und drehen müssen, um ihren Lesern den Befund zu Deutschlands starker Industrie erklären zu können. NachDenkSeiten-Leserinnen und -Leser haben vermutlich noch in den Ohren, was der „beste“ Ökonom Deutschlands Hans-Werner Sinn seinen Zuhörern und Lesern verkündete: Wir sind nur noch eine Basarökonomie. Wir sind nicht mehr wettbewerbsfähig. Die USA verdrängen Deutschland von den Weltmärkten. Alles H.-W. Sinn 2003, 2004, 2005 (Autor von „Ist Deutschland noch zu retten?“ und „Basar-Ökonomie“). Und mit ihm Tausende Nachbeter. Albrecht Müller.
Der Abstieg eines Superstars, tönte Gabor Steingart, damals, 2004 Spiegel-Büroleiter in Berlin, im Blick auf die deutsche Industrie. Der damalige hessische Ministerpräsident Roland Koch schilderte der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in einem Gespräch vom 6. Februar 2004 den angeblichen totalen Abstieg Deutschlands beim Anteil am Welthandel. (Siehe Anlage 3) Das war schon damals schwarz malende Fantasie und absichtliche Täuschung. Hinter der Schwarzmalerei steckte Absicht. Es ging um die Durchsetzung der Agenda 2010 und anderer Reformen zulasten der abhängig Arbeitenden. Da musste die Lage der deutschen Volkswirtschaft schwarz gemalt werden. Und die Lage anderer Länder wurde über die Maßen schön geredet. Der Erfolg Irlands zum Beispiel, den man schon damals als hohl erkennen konnte, wurde gepriesen. Angela Merkel behauptete im Dezember 2003, Großbritannien und Spanien stünden einfach besser da als Deutschland. Dies alles stimmte damals schon nicht. Die deutsche Industrie war auch damals schon leistungsfähig, innovativ und exportstark. Der Saldo der Leistungsbilanz war ab 2001 wieder „positiv“, nachdem es im Zuge der deutschen Einheit in den neunziger Jahren Defizite gab. Nie aber dramatisch und angesichts der Notwendigkeit, dass sich Überschüsse der Leistungsbilanz und Defizite im Laufe der Zeit einigermaßen ausbalancieren sollten, ohnehin kein Anlass zur Sorge. Die Studie bestätigt, wenn man den Berichten glauben darf, die Stärke der deutschen Industrie und des Standortes Deutschland. Es wird wohl auch berichtet, dass diese Entwicklung schon seit mindestens 15 Jahren so ist – also nicht erst seit Umsetzung der Agenda 2010. Diese liegt erst zehn Jahre zurück. Außerdem kann man mit gutem Recht annehmen, dass die deutsche Industrie – der Maschinenbau, der Fahrzeugbau, die Chemie – auch schon vor 20 Jahren und mehr leistungsfähig gewesen war. Dass sie in den letzten zehn Jahren besonders wettbewerbsfähig erscheint, hat etwas mit der Auseinanderentwicklung der Lohnstückkosten im Euro Raum zu tun. Diese besondere Entwicklung wird in einer Abbildung im zweiten FAS- Artikel gefeiert. Dort wird der Anteil der Industrie am Bruttoinlandsprodukt für Deutschland, Italien, Frankreich und Großbritannien verglichen. Den vergleichsweisen Niedergang des Industrieanteils bei unseren Nachbarn sollte man jedoch nicht feiern, sondern eher bedauern. Außerdem bleibt noch anzumerken, dass die jetzigen euphorischen Berichte auf der Basis der Studie des IW genauso unter mangelnder Differenziertheit leiden wie die früheren Klagen. Wenn man nämlich etwas genauer auf die Entwicklung der deutschen Industrie schaut, dann wird man entdecken, dass es auch Industriezweige gibt, die wesentlich für den Binnenmarkt arbeiten und bei weitem nicht so wohl gebettet sind wie die mit der Exportwirtschaft eng verbundenen Industriebetriebe.
Eigentlich müsste sich Professor Sinn einmal erklären: Wie war das nochmal mit der Basar-Ökonomie? Geringe Wertschöpfung hier im Land, Import der außerhalb Deutschlands produzierten Teile, Zusammenbau und wieder Export. Der „beste“ Ökonom wäre doch einmal damit an der Reihe, öffentlich seine Fehleinschätzungen zu bekennen. Die Pirouetten, die in den beiden Artikeln in der FAS auch mit Berufung auf SPD und Gewerkschaften gedreht werden, sind apart. Da ist in dem Artikel mit dem Titel „Die Industrie ist wieder da“ die Rede davon, das Wachstum müsse „wieder auf reale Werte statt auf fiktive Finanzvermögen“ setzen. Wer hat denn auf fiktive Finanzvermögen gesetzt? Steinbrück vielleicht und vielleicht auch die Frankfurter Journalisten, die von den Börsen berichten. Diese glauben heute noch, auf den Aktienmärkten und Finanzcasinos würden Werte geschaffen. Aber daran glaubt die Mehrheit der deutschen Industrie doch nicht! Sie ist nicht erst seit der Finanzkrise im Jahre 2008 leistungsfähig. Die in der Studie offenbar gelobten Fachkräfte sind doch nicht etwa zu Zeiten der Finanzkrise vom Himmel gefallen. Sie waren real vorhanden und haben gearbeitet, wenn sie wegen der Schwäche der Binnennachfrage nicht arbeitslos waren. In der Welt der konstruierten Bedeutung des Finanzplatzes Deutschland lebten Politiker, Wissenschaftler und Journalisten, aber doch nicht die Maschinenbauer auf der schwäbischen Alb oder im Sauerland oder in Ostwestfalen. Im zweiten Beitrag der FAS, im Wirtschaftsteil mit dem Titel „Ein Lob auf die deutsche Industrie“, geht es auf der Basis eines Gesprächs mit der Chefvolkswirtin der Helaba, Gertrud Traud, ähnlich lustig zu. Da wird dann ernsthaft der Drang nach der Dienstleistungsgesellschaft beschworen und kritisiert. Aber es wird leider nicht deutlich genug analysiert, dass die Empfehlungen zum Tragen in die Dienstleistungsgesellschaft abgehobene Sprüche waren, die man – Politiker, Wissenschaftler, Medienmacher in gleicher Weise – geklopft hat, um sich interessant erscheinen zu lassen. Schon damals fehlte die nüchterne Analyse zur Bedeutung der Industrie. Es fehlte übrigens auch eine kritische Analyse der angeblichen Verschiebungen hin zur Dienstleistungsgesellschaft. Das waren nie Brüche sondern leichte Verschiebungen. Und wahrscheinlich oft auch nur Folgen der Statistik – wenn zum Beispiel ein großes Unternehmen seinen Dienstleistungsbereich ausgegliedert hat. Vielleicht ist die Besinnung auf die Fakten heute auch ein Anlass dafür, endlich damit aufzuhören, unsere Gesellschaften aufzuteilen in so grobe und willkürliche Raster wie Industriegesellschaft und Dienstleistungsgesellschaft. In dem zweiten Artikel in der FAS ist übrigens die Rede von der Renaissance der Industrie in Deutschland. Das soll suggerieren, dass sich Wesentliches geändert hat. Der Anteil der Industrie am Bruttoinlandsprodukt betrug 2002 21,5 %, 2011 22,6 %. Das ist eine kleine Veränderung. Von einer Renaissance muss man offensichtlich reden, weil man damit die frühere Schwarzmalerei entsorgen kann. Anlage 1
Zwei Artikel aus der FAS vom 21.10.2012: Anlage 2:
Ein Artikel von Welt online vom 21. Oktober 2012
Industriestandort
So stark ist Deutschland wirklich
Eine noch unveröffentlichte Studie zeigt: Der Industriestandort D gehört weltweit zu den besten, holt bei der Dynamik auf und wird auch immer besser. Akuter Reformbedarf besteht dennoch.
…
Eineinhalb Jahre haben IW-Forscher im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums untersucht, wie die deutsche Industrie im Vergleich zu 44 anderen Staaten da steht. Die fast 300 Seiten starke Studie mit dem Titel “Die Messung der industriellen Standortqualität in Deutschland” wird am Montag in Berlin vorgestellt und liegt der “Welt am Sonntag” bereits exklusiv vor.
Sie zeigt: Der Industriestandort Deutschland gehört weltweit nicht nur zu den besten. Als einer der wenigen Industrienationen gelang es Deutschland, in den vergangenen 15 Jahren die Rahmenbedingungen für die produzierende Wirtschaft auch noch zu verbessern.
… Anlage 3: Text aus Albrecht Müller, Die Reformlüge, München 2004, Seite 179: Nachtrag:
Hinweisen will ich noch auf den gesamten Text des Denkfehler Nr. 13 „Wir sind nicht mehr wettbewerbsfähig“, Seite 176-193 von Die Reformlüge. Das ist nahezu alles noch relevant. | Albrecht Müller | Heute wird in Berlin eine Studie präsentiert, die das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums durchgeführt hat. Die Frankfurter Allgemeine und die Welt berichteten vorab davon. Wenn man diese Texte liest – zwei in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (hier und hier. Siehe Anlage 1 ) und einen bei Welt online (hier. Siehe Anlage 2) - , dann kan ... | [
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] | 22. Oktober 2012 9:37 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=14795&share=email&nb=1 |
Missbrauch von Beitragsleistungen an die Arbeitslosenversicherung | Laut Bild am Sonntag streiten CDU und SPD über die Verwendung eines in diesem Jahr anfallenden Überschusses von 7 Milliarden Euro bei der Bundesagentur für Arbeit.
CDU-Politiker wollen die paritätisch finanzierten Beiträge, die ja schon von 6,5 auf 4,5 % gekürzt worden sind, noch weiter kürzen. SPD-Chef Kurt Beck und Finanzminister Steinbrück wollen die Versicherungsbeiträge zur Konsolidierung des Bundeshaushalts abschöpfen. Auf die Idee, die Überschüsse wieder den versicherten Arbeitslosen zugute kommen zu lassen oder für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit einzusetzen, kommt bei den Großkoalitionären und bei der Bundesagentur offenbar niemand.
Die Bundesagentur für Arbeit erwirtschaftet ihre Milliardenüberschüsse u.a. Diesen eisernen Sparkurs der Bundesagentur wollen offenbar beide Parteien der Großen Koalition knallhart fortsetzen. Auf den nahe liegenden Gedanken mit diesen Milliarden-„Überschüssen“ aus den Versicherungsbeiträgen, die Leistungen für die Versicherten zu verbessern oder den Arbeitslosen konkret und besser zu helfen oder wenigstens zur Entlastung des Lehrstellenmarktes ein vom Deutschen Gewerkschaftsbund gefordertes Sofortprogramm zur Schaffung von außerbetrieblichen Ausbildungsplätzen aufzulegen, kommt offenbar niemand mehr.
Die CDU frönt munter weiter dem Mythos der Senkung der Lohnnebenkosten und verlangt eine weitere Kürzung der Arbeitslosenbeiträge, um die Bundesagentur weiter auszubluten und deren Leistungen noch mehr einzuschränken. Die SPD will die Versicherungsbeiträge zur Finanzierung von Staatsschulen zweckentfremden und damit die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung als verdeckte Steuer missbrauchen. Welche Variante auch gewählt wird, in beiden Fällen würde das Vertrauen der Arbeitnehmer in die Arbeitslosenversicherung, diese wichtige gesellschaftliche Einrichtung, weiter zerstört. | Wolfgang Lieb | Laut Bild am Sonntag streiten CDU und SPD über die Verwendung eines in diesem Jahr anfallenden Überschusses von 7 Milliarden Euro bei der Bundesagentur für Arbeit.
CDU-Politiker wollen die paritätisch finanzierten Beiträge, die ja schon von 6,5 auf 4,5 % gekürzt worden sind, noch weiter kürzen. SPD-Chef Kurt Beck und Finanzminister Steinbrück wollen die Versicherungsbeiträge zur Konsolidierun ... | [
"Beck, Kurt",
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] | 17. Juli 2006 9:20 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=1418&share=email |
Die Parteien in Hessen im Wortbruch-Dilemma | „Was wir vor der Wahl gesagt haben, gilt auch noch der Wahl“, sagt die FDP von Parteichef Guido Westerwelle bis zu Jörg-Uwe Hahn, dem Vorsitzenden der Hessen-FDP: also dürfte es keine Ampel in Hessen geben. Der Spitzenkandidat der Grünen, Tarek Al-Wazir, hatte nur ein Ziel, nämlich seinen Intimfeind Roland Koch aus der Regierung zu kegeln: also dürfte es in Hessen keine Jamaika-Koalition geben. Andrea Ypsilanti hat noch am Wahlabend jede „wie auch immer geartete Zusammenarbeit“ mit der Linken abgelehnt: also dürfte es in Hessen keine SPD-Ministerpräsidentin und eben auch keine wie auch immer geartete Zusammenarbeit zwischen Rot-Rot-Grün geben. Der hessische SPD-Generalsekretär sieht „keine Möglichkeit für eine große Koalition“. Ypsilanti unter Koch, „das geht nicht gut“ sagte die SPD-Spitzenkandidatin: also wird es keine Große Koalition geben. Es wird keine also keine Regierungsmehrheit in Hessen geben, ohne „Wortbruch“. Wolfgang Lieb
Aber Neuwahlen wird auch keine der Parteien wagen, jedenfalls nicht sofort und sonst müsste man mit dem Zorn der Wählerinnen und Wähler rechnen, vor allem die Parteien, die das vorschlügen und eine nach der Verfassung mögliche Selbstauflösung des Parlaments durchsetzten. Das Wortbruchdilemma geht aber nicht nur bei den möglichen Koalitionskonstellationen, sondern noch viel mehr auf der programmatischen Ebene weiter. Legt man einmal die Wahlprogramme der Parteien und vor allem die Aussagen der Spitzenpolitiker nebeneinander, so ist keine Koalitionsbildung denkbar, ohne dass die Wahlkämpfer oder die Wahlkämpferin Wortbruch begingen, sowohl wenn es zu Jamaika oder zur Ampel käme aber auch, wenn es zur großen Koalition käme. Die SPD und vorne dran ihr Parteivorsitzender Beck buhlen in Hessen um die FDP.
Schaut man sich einmal die Wahlprogramme der SPD [PDF – 496 KB] und der FDP [PDF – 36 KB] , so sind diese inhaltlich nahezu komplett unvereinbar. Sie können alle der 76 Seiten des SPD Wahlprogramms durchgehen und es mit den Positionen der FDP vergleichen, man wird Mühe haben auch nur die kleinste Schnittmenge zu finden. „Freiheit oder Sozialismus“, das ist die Abgrenzung der Hessen-FDP zur SPD. Die FDP vertritt eine marktradikale und wirtschaftliberale Ideologei, die weit über die Agenda-Politik hinausgeht. Wie will also Andrea Ypsilanti ihr von den Wählerinnen und Wählern offenbar am stärksten zuerkannte Attribut, nämlich ihre Glaubwürdigkeit bewahren, wenn sie sich auf diese Programmatik der FDP einließe. Das wäre ein Wortbruch in der Sache mit Langzeitwirkung weit über Hessen hinaus. Das gleiche Dilemma gäbe es auch bei einer Großen Koalition, die Hessen CDU ist eben die Koch-CDU und die steht weit Rechts im Spektrum der Bundes-CDU. Was wäre aber mit dem anderen Wortbruch, nämlich einer wie auch immer gearteten Zusammenarbeit mit der Linken? Ypsilanti könnte Ministerpräsidentin werden und versuchen ihr Programm in praktische Politik umzusetzen. Sie könnte zeigen, dass sie politisch glaubwürdig ist, weil sie dazu steht, was sie angekündigt hat. Oder möchte sie etwa im Parlament gar nicht mehr als Gegenkandidatin antreten? Und wenn sie dann für diese Politik nicht die nötigen parlamentarischen Mehrheiten fände, dann würden auch die Bürgerinnen und Bürger in Hessen verstehen, dass Neuwahlen notwendig wären. Da könnten die Wählerinnen und Wähler auch beurteilen, wie sich die Linke in der Praxis verhielte und die SPD könnte. außer durch lächerlich wirkendes Abgrenzungsvokabular, durch Taten deutlich machen, wo die politischen Unterschiede liegen. Ist die Situation nicht ähnlich wie 1984 als die Grünen in den hessischen Landtag einzogen, und die galten damals in ähnlicher Weise als “Schmuddelkinder” der Politik, mit denen niemand koalieren wollte. Holger Börner ließ sich erst einmal ein Jahr lang von den Grünen tolerieren. In Sachsen-Anhalt hat das unter Ministerpräsident Höppner sogar acht Jahre ziemlich erfolgreich funktioniert. Aber würden dann nicht CDU und FDP und der konservative Medienchor Verrat rufen? Die SPD sei endgültig auf Linkskurs? Das sei ein Affront gegen Beck, Steinmeier und Steinbrück? Die SPD paktiere mit Kommunisten?
Ja, so würde das konservative Lager aufschreien! Aber was hätte sich damit geändert.
Die FDP und die CSU haben schon vor der Hessen-Wahl beschlossen, dass sie die Parole Freiheit oder Sozialismus wieder ausgraben werden. Die CDU wird das, wenn die Linke weiter zulegt, ebenso tun; ob nun Ypsilanti Ministerpräsidentin wird oder nicht. Hat die Union nicht von Adenauer bis Kohl mit dieser Keule gearbeitet? Das Wortbruchdilemma stellt sich für die SPD und Andrea Ypsilanti wie folgt dar: Entweder verlieren Partei und Kandidatin für längere Zeit ihre gerade zaghaft wieder gewonnene politische Glaubwürdigkeit. Ein Großteil der SPD-Wählerinnen und Wähler, die den Versprechungen von einer Politik mit mehr sozialer Gerechtigkeit geglaubt hat und der SPD erstmals wieder einen beachtlichen Stimmenzuwachs beschert haben, werden sich wieder getäuscht und enttäuscht abwenden. Die Linke wird dadurch weiteren Zuwachs bekommen und die Möglichkeit, dass die SPD eine relative Mehrheit erreicht und damit einen Ministerpräsidenten oder gar den Kanzler stellen könnte, auf unabsehbare Zeit verbauen. Oder die SPD wird vorgehalten, sie paktiere mit „den Kommunisten“ und die Konservativen werden ihr abgestandenes „Freiheit oder Sozialismus“ skandieren. Aber das tun sie doch ohnehin! Was wäre in Hessen anders, als in Berlin? Hat dort Rot-Rot der SPD im Land oder im Bund geschadet? Hat es der Berliner Politik geschadet? Im Übrigen: Wäre ein Umfallen FDP, den die SPD offenbar erhofft, nicht auch ein Wortbruch? Wäre dieser Wortbruch moralisch und politisch etwa anders zu bewerten? Die SPD könnte sich bei einer „wie auch immer gearteten Zusammenarbeit“ mit der Linken endlich aus der Sackgasse befreien, in die sie sich mit ihrer strikten Absage an die Linke verrannt hat. Schon in Hamburg und 2009 noch viel mehr im Saarland wird die SPD wieder vor dem gleichen Problem wie in Hessen stehen. Kurz: Mit ihrer bedingungslosen Abgrenzung gegen die Linken verschließt sich die SPD Mehrheitsoptionen und damit für die absehbare Zukunft jede Chance eine Regierung zu führen. Sie käme allenfalls noch als Juniorpartner einer Großen Koalition in Frage und würde weiter zusammenschrumpfen. Andere Lösungen für die Zwangslage der SPD und Andrea Ypsilanti gibt es nicht. Quelle: www.nwz-online.de | Wolfgang Lieb | „Was wir vor der Wahl gesagt haben, gilt auch noch der Wahl“, sagt die FDP von Parteichef Guido Westerwelle bis zu Jörg-Uwe Hahn, dem Vorsitzenden der Hessen-FDP: also dürfte es keine Ampel in Hessen geben. Der Spitzenkandidat der Grünen, Tarek Al-Wazir, hatte nur ein Ziel, nämlich seinen Intimfeind Roland Koch aus der Regierung zu kegeln: also dürfte es in Hessen keine Jamaika-Koalition geben ... | [
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] | 30. Januar 2008 9:13 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=2928&share=email&nb=1 |
Stephan Schulmeister | Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung, Wien Die „ausgeblendeten“ Ursachen der deutschen Wirtschaftskrise – Ein Vergleich der Entwicklung seit 1991 in den USA, in Deutschland und in der übrigen Eurozone. Quelle: Stephan Schulmeister … [PDF – 208 KB] » | Wolfgang Lieb | Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung, Wien
Die „ausgeblendeten“ Ursachen der deutschen Wirtschaftskrise - Ein Vergleich der Entwicklung seit 1991 in den USA, in Deutschland und in der übrigen Eurozone.
Quelle: Stephan Schulmeister ... [PDF - 208 KB] » | [
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] | 15. Januar 2005 12:52 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=161&share=email |
Telekom | Es gilt als ungeschriebenes Gesetz, dass es sich nicht schickt, wenn deutsche Regierungsvertreter sich in den Wahlkampf in befreundeten Staaten einmischen. Wer erinnert sich nicht mehr an den Trubel, den Angela Merkels missglückte Schützenhilfe für ihren politischen Freund Nicolas Sarkozy auslöste? Erstaunlicherweise scheint es jedoch niemanden zu stören, wenn ein deutscher Konzern, bei dem der deutsche Staat der mit Abstand größte Einzelaktionär ist, sich massiv in den US-Wahlkampf einmischt. Profiteure sind die Republikaner und ihr Frontmann Mitt Romney, der pikanterweise ein alter Freund von Stephen Schwarzman ist – dem CEO des Private-Equity-Unternehmens Blackstone, an das der Bund 2006 4,5% der Telekom-Anteile verkauft hat. Von Jens Berger. | [] | [] | 25. Juli 2012 9:07 | https://www.nachdenkseiten.de/?tag=telekom&paged=2 |
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Brown, Gordon | Am 17. Februar hatten wir mit diesem Beitrag (Medienzar Murdoch entschied gleich mehrmals, wer in GB regiert, außerdem gegen den Euro, für den Brexit u.a.m. – das nennt man Demokratie (Nr. 3)) auf diese Videos von Arte hingewiesen. Ein Leser der NachDenkSeiten hat daraufhin angeregt, die 3 Filme zu verschriften bzw. über den Inhalt inklusive Zeitangaben zu berichten. Freunde der NachDenkSeiten haben diese Arbeit übernommen. Danke vielmals. Die Struktur ist verschieden ausgefallen. Das macht aber nichts. Bitte auch beachten: die Videos sind nur noch bis zum 17.3.2021 verfügbar. Albrecht Müller. | [] | [] | 22. Februar 2021 15:20 | https://www.nachdenkseiten.de/?tag=brown-gordon |
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Suchergebnisse getrennt marschieren | Lautes Getöse, gezielt gestreute Indiskretionen und großes Geraune über eine endgültige Zerrüttung – keine Frage, die Politshow, die uns CDU und CSU momentan mit tatkräftiger Unterstützung der Medien präsentieren, hat Qualität. Man darf jedoch getrost davon ausgehen, dass der Krach | [] | [] | 18. Juni 2018 11:40 | https://www.nachdenkseiten.de/?s=getrennt+marschieren&Submit_x=0&Submit_y=0 |
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Die neu-alte Koalition hat eine große Chance vertan: Eine Brücke zu bauen in Europa statt sich auf die EU zu konzentrieren. Der Koalitionsvertrag. | Hier ist der Text des Koalitionsvertrages nach dem Stand vom 7. Februar 11:45 Uhr. Ein Blick auf den ersten Abschnitt I („Ein neuer Aufbruch für Europa“) zeigt, dass diese Koalition sich krampfhaft am EU-Europa festhält. Dafür gibt es mehr Geld, dafür werden schon in dieser Koalitionsvereinbarung große Reden geschwungen, es wird versäumt, die erkennbaren Krisen der EU anzugehen und es wird versäumt, Russland und die anderen Staaten Osteuropas mit nach Europa einzubeziehen. Europa könnte eine Brücke zwischen den USA und ihren Feinden zu bauen versuchen. Der Koalitionsvertrag bringt das nicht. Albrecht Müller.
In diesem Text werden schöne Worte zu Europa gemacht und dann wird im gleichen Absatz das Bekenntnis zur Militarisierung der Europäischen Union nachgeschoben. Schauen Sie sich als Beispiel die Randziffern 200-205 an. Da wird so nebenbei auf PESCO verwiesen. Dahinter verbirgt sich die militärische Zusammenarbeit jener Staaten in Europa, die mehr militärische Interventionen unternehmen wollen. Hier wird festgezurrt, dass wir die gleiche Entwicklung nehmen, die die „erfahrenen“ Militärinterventionsnationen Großbritannien und Frankreich gemacht haben, immer schön im Schlepptau der USA. Näheres dazu auch unter den Randziffern 6877ff. Dies schon einmal vorab. Mehr zum Koalitionsvertrag später, auch wenn einem bei diesen erwähnten Texten schon der Appetit vergeht. | Albrecht Müller | Hier ist der Text des Koalitionsvertrages nach dem Stand vom 7. Februar 11:45 Uhr. Ein Blick auf den ersten Abschnitt I („Ein neuer Aufbruch für Europa“) zeigt, dass diese Koalition sich krampfhaft am EU-Europa festhält. Dafür gibt es mehr Geld, dafür werden schon in dieser Koalitionsvereinbarung große Reden geschwungen, es wird versäumt, die erkennbaren Krisen der EU anzugehen und es wird ver ... | [
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] | 07. Februar 2018 15:21 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=42305 |
Nochmals Krake Bertelsmann: Auch bei ver.di und der Hans Böckler Stiftung hat er seine Fangarme | Zur Zusammenarbeit von ver.di, Hans-Böckler Stiftung und Bertelsmann Stiftung beim „Potsdamer Forum 5. Forum für Führungs- und Leitungskräfte in Bundes-, Landes- und Kommunalverwaltungen“ hat uns die Bundesfachbereichskonferenz Gemeinden der Gewerkschaft ver.di einen Beschluss zukommen lassen. Dieser Beschluss wurde ohne Gegenstimme gefasst und wird an die Bundeskonferenz, den Bundesvorstand und den Bundesfachbereichsvorstand weitergeleitet. Der Beschluss ist ein Beispiel unter vielen dafür, dass wir mit unserer Kritik nicht allein stehen. Wolfgang Lieb.
Initiativantrag Bundesfachbereichskonferenz 18./19.04.2007 Kein Forum für die Bertelsmann Stiftung bei verdi-Veranstaltungen Die Bundesfachbereichskonferenz beschließt: Anlässlich der aktuellen Ausschreibung zum sog. Potsdamer Forum, 5. Forum für Führungs- und Leitungskräfte in Bundes-, Landes- und Kommunalverwaltungen, am 5./6. Juni 2007, erklärt die Bundesfachbereichskonferenz Gemeinden:
Ver.di erklärt, dass es keine Grundlage für eine Zusammenarbeit mit der Bertelsmann Stiftung, insbesondere bei gewerkschaftlichen Veranstaltungen gibt. Die Ideologie und die Ziele der Bertelsmann Stiftung stehen im offenen Widerspruch zu gewerkschaftlichen Zielsetzungen und Forderungen. Begründung: „Das Potsdamer Forum wird gemeinsam von ver.di, der Bertelsmann Stiftung und der Hans-Böckler-Stiftung durchgeführt. Die Veranstaltung richtet sich an Führungskräfte mit Personalverantwortung“ heißt es im Ausschreibungstext der ver.di-Bundesverwaltung. Im Rahmen der Veranstaltung hält Dr. Johannes Meier, Vorstand der Bertelsmann Stiftung, sein Referat „Der öffentliche Dienst und die Zivilgesellschaft“. Den Workshop „Erfahrungen mit der Einführung der Leistungsbezahlung“ moderiert Oliver Staubner, Bertelsmann Stiftung, den Workshop „Privatisierung öffentlicher Dienste – nützlich oder schädlich?“ moderiert Dr. Andreas Osner, ebenfalls Bertelsmann Stiftung. Reinhard Mohn, der Stifter der Bertelsmann Stiftung, propagiert „Die gesellschaftliche Verantwortung des Unternehmers“ (Mohn 2003) „Die Wirtschaft“, so schreibt er dort, sei „dem Staat um vieles voraus“. Die „Kompetenz der Führung“ sei „in allen Lebensbereichen…der entscheidende Erfolgsfaktor“. Der hierarchisch-bürokratische Führungsstil sei jedoch veraltet und durch einen neuen, einen partnerschaftlichen zu ersetzen. Zu fordern seien Subsidiarität, Dezentralisierung, Freiheit, Transparenz, Wettbewerb, Leistung, Effizienz, Bürgerorientierung und Bürgerbeteiligung. Mohn wünscht „so wenig Staat wie möglich“. Allenfalls dort, wo das „freie Spiel der Kräfte“ die Menschen überfordere, sei staatliches Handeln angebracht…
Mohns gesamtes, aus der Betriebswirtschaftslehre entlehntes und ideologisch vom Neoliberalismus unterfüttertes Denken über Zukunftsfähigkeit, Bürgerkommune und Bürgergesellschaft mündet ein in das Credo von Kennziffern, Erfolgsrechnung und Nutzwertanalyse, Budgetierung und Effizienz, Leistungsvergleichen, Wettbewerben und Rankings, zuweilen gestützt auf die Ergebnisse methodisch dubioser Umfragen und Ratings.
Die hier genannten Zielvorgaben (Bürger- und Zivilgesellschaft usw.) sind Worthülsen eines „Projektdesigns“, das auf den ersten Blick relativ hohe gesellschaftliche Anerkennung findet. Bei der Umsetzung der Zielvorgaben werden jedoch überwiegend technokratische Kontrollverfahren aus der Betriebswirtschaftslehre angeboten und installiert.
Harald Schumann sprach im Tagesspiegel vom 24.9.06 mit Blick auf die Bertelsmann Stiftung von einer „Verklärung betriebswirtschaftlicher Methoden zum gesellschaftspolitischen Leitbild“.
Bürgerorientierung hat in diesem Sinne das hervorstechende Merkmal wirtschafts- und unternehmerfreundlich zu sein. Ein beliebter Weg der Bertelsmann Stiftung ist es, die ideologischen Inhalte über Kongresse und Foren, die Bildung von Netzwerken, im Rahmen von Wettbewerben, Kampagnen und Initiativen und durch aktive Öffentlichkeitsarbeit zu transportieren. Zielgruppe sind hierbei besonders die kommunalpolitischen Meinungsführer und Entscheidungsträger. Kongresse und Foren werden dabei von der Bertelsmann Stiftung als Orte von symbolischen Schulterschlüssen und nicht der Austragung von Kontroversen angesehen. Sie dienen der Selbstinszenierung und dazu, in der Außenwirkung den `großen Konsens´ zu demonstrieren.
Heribert Meffert, von 2002 bis 2005 Leiter der Bertelsmann Stiftung erklärte in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung am 29.4.05: „Die Politik braucht Unterstützung. Wir dürfen uns deshalb nicht nur als Think Tank, als Denkfabrik, betätigen, sondern müssen auch kampagnenfähig werden und konkrete Lösungsansätze bieten. Damit steigt natürlich der Einfluss.“ Auf dem Hintergrund der Macht eines den Medienmarkt beherrschenden Bertelsmann Konzerns werden im Rahmen der PR-Arbeit der Stiftung abweichende oder kontroverse Positionen entweder ignoriert oder totgeschwiegen… Das Ergebnis ist eine von oben gesteuerte, in demokratischer Hinsicht mehr als fragwürdige Einheitspropaganda unter dem verbindenden Label einer gesellschaftlich angesehenen und von der Politik hofierten Stiftung. Die Stiftung legt „einen Schutzschild der Gemeinnützigkeit um den Konzern und entzieht ihn damit der öffentlichen Kritik…Die Stiftung macht den Konzern unantastbar.“ (Böckelmann/Fischer 2004)
Dabei ist es so, dass 76,9 % eines der weltgrößten Medienkonzerne, die Bertelsmann AG, der Bertelsmann Stiftung gehören. Die Stiftung ist auf internationaler Ebene operativ tätig und bereitet dem Bertelsmann Konzern in vielfältigen wirtschaftlichen Bereichen das Feld. Sie beschränkt sich hierbei nicht auf den globalen Medienmarkt, sondern sieht ihre Produktpalette auch in Bereichen der Kommunal-, der Innen- und Justiz-, Steuer- und Sozial-, Umwelt und Bildungspolitik.
Im September 2006 profilierte sich die Stiftung im Bereich der Militärpolitik mit dem Gedanken der Bildung einer europäischen Streitmacht auf Augenhöhe mit den USA im Rahmen des „International Bertelsmann Forum“ (IBF). Der kommunale Bereich wird schon seit vielen Jahren durch Bertelsmann-Projekte durchdrungen. Die Stiftung engagierte sich für schlanke Verwaltungen, Public Private Partnership und die Privatisierung staatlicher Aufgaben. Mit der Gründung der Konzerntochter „Arvato“ zielt der Bertelsmann Konzern einen neuen Produktbereich an: die Government Services. In England übernahm Arvato im Sommer 2005 die Bezirksverwaltung des Distrikts East Riding of Yorkshire, eines Kreises von etwa der Größe des Saarlandes. Arvato erhebt dort im öffentlichen Auftrag Gebühren, zieht Steuern ein, zahlt Wohngeld aus und betreibt Bürgerbüros. Das Vorhaben gilt als Projekt von strategischer Bedeutung. Europaweit beabsichtigt Bertelsmann im Rahmen von Public Private Partnership in die derzeit noch unter nationalstaatlicher Kontrolle stehenden Bereiche vorzudringen und Aufgaben des öffentlichen Gemeinwesens zu übernehmen – auch in Deutschland. Die Bertelsmann Stiftung und der Bertelsmann Konzern haben inzwischen große Teile von Politik und Gesellschaft „unterwandert“. Es kann nicht in gewerkschaftlichem Interesse liegen, hierfür auch noch ein öffentliches Forum zu schaffen.
Auch die gewerkschaftliche Hans-Böckler-Stiftung sollte sich kritisch damit auseinandersetzen, ob die Zusammenarbeit mit der Bertelsmann Stiftung tatsächlich zu einer Verbesserung des wissenschaftlichen Diskurses führt oder ob dies letztendlich zu einer Funktionalisierung und ideologischen Durchdringung mit arbeitnehmer- und gewerkschaftsfeindlichem Gedankengut führt. (Die Antragsberatungskommission wird gebeten, diesen Antrag in Zusammenhang mit dem Antrag E 004 zu stellen) | Wolfgang Lieb | Zur Zusammenarbeit von ver.di, Hans-Böckler Stiftung und Bertelsmann Stiftung beim „Potsdamer Forum 5. Forum für Führungs- und Leitungskräfte in Bundes-, Landes- und Kommunalverwaltungen“ hat uns die Bundesfachbereichskonferenz Gemeinden der Gewerkschaft ver.di einen Beschluss zukommen lassen. Dieser Beschluss wurde ohne Gegenstimme gefasst und wird an die Bundeskonferenz, den Bundesvorstand u ... | [
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Forum Schule – wie weiter? Erste Zwischenbilanz | Vor zwei Wochen forderten wir Sie auf, sich an unserem Forum „Schule – wie weiter?“ zu beteiligen. Es kamen sehr viele Zuschriften, deren Umfang, Intensität und Themenvielfalt die Initiatoren und die Redaktion beeindruckt haben. Während die Forumsseiten für die Aufbereitung Ihrer Zuschriften und für weitere Fragerunden überarbeitet werden, hier eine erste Zwischenbilanz zu den wichtigsten Themen und Fragestellungen, die Sie uns genannt haben. Von Sandra Reuse und Ralf Lankau. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download Unser Forum „Schule – wie weiter?“ ist nun seit zwei Wochen offen. Lehrerinnen und Lehrer, Mütter und Väter, Schülerinnen und Schüler, aber auch Erzieher und all diejenigen, die mit Kindern arbeiten, waren (und sind weiterhin) aufgerufen zu berichten, wie sie die Corona-Maßnahmen an den Schulen und für die jüngere Generation erleben. Das haben Sie uns geschrieben und um diese Themen geht es Allen, die uns bis jetzt geschrieben haben, danken wir ganz herzlich und wir möchten uns an dieser Stelle entschuldigen, dass es mit diesem ersten Feedback etwas gedauert hat. Der Umfang, die Themenvielfalt und die Intensität der Zuschriften traf uns unvorbereitet. Ein Großteil der Zuschriften ist so, dass man sie am liebsten sofort beantworten oder kommentieren würde – um zu trösten, Verständnis zu äußern, Mut zuzusprechen – oder einfach nur zu sagen: Ja, das finde ich auch. Und um Empathie zu zeigen gegenüber Menschen, die das seit einem Jahr in ihrer „neuen Normalität“ schmerzlich vermissen, für sich und ihre Kinder, bei ihren Kolleginnen und Kollegen, ihren Vorgesetzten oder seitens der zuständigen Verwaltung. Humaner Umgang mit den Kindern Was mehr oder weniger alle, die uns geschrieben haben, umtreibt, ist die Art und Weise, wie mit den Kindern umgegangen wird, die fehlende Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse, die oft mangelnde Umsicht und Sorgfalt bei der Ausrichtung und Umsetzung der Hygienemaßnahmen. Dass Kinder andere Kinder brauchen, um motiviert zur Schule zu gehen, dass sie mit ihren Altersgenossen aber auch lachen, spielen und herumlaufen dürfen müssen, damit sie sich wohlfühlen, das scheint aus Sicht der Eltern sonnenklar. Auch dass die Schule als sozialer Ort einen wichtigen Beitrag zum Lernerfolg leistet, der eben wegfällt, wenn die Kinder oder Jugendlichen im Homeschooling sind, ist vielen Eltern spätestens seit dem ersten Lockdown hoch bewusst. So schreibt ein Vater: Psychische Probleme werden von einigen Eltern genannt, Probleme mit der Motivation ihrer Kinder von fast allen. Ein anderer schrieb uns morgens: Umso empörter oder aber auch verzweifelter sind Eltern, dass seit nunmehr 13 Monaten nach wie vor kein Konzept vorliegt, wie man es Schülerinnen und Schülern ermöglicht, unter altersgerechten Bedingungen miteinander zu lernen und Zeit zu verbringen. Der ständige Wechsel zwischen Schule auf und Schule zu, verschiedenen Unterrichtsformen und spontanen Quarantänesituationen steigert die psychischen Belastungen und macht es umso schwieriger, zu motivieren – denn auf was sollen die Kinder und Jugendlichen sich noch freuen? Worauf sich einstellen? „Nur die relativ leistungsstarken Kinder – die auch im Weltall lernen würden – bleiben am Ball“ Hier beschreibt eine Lehrerin ihre Einschätzung zum Lernstand der Kinder und zu ihrer sonstigen Verfassung nach einem Jahr Wechsel- und Distanzlernen: Manche Lehrerinnen und Lehrer und Erzieherinnen und Erzieher sind verzweifelt, wollen unter den Bedingungen von Maske, Abstand und ständigem Wechsel nicht mehr arbeiten, auch weil sie es für unvereinbar mit pädagogischen Grundsätzen und Zielen halten. Eine schreibt: Infektionsrisiko unter Kindern wird von vielen als geringer eingeschätzt Das Risiko, das für die Kinder mit gemeinsamen Treffen verbunden ist, wird von der überwiegenden Zahl der Eltern (die uns geschrieben haben) ausdrücklich als gering eingeschätzt. Dabei wird auf Studien verwiesen, die das geringere Infektionsgeschehen unter Kindern belegen (auch die NDS haben hierzu immer wieder berichtet, zu diesem Thema folgt in den nächsten Tagen eine Zusammenstellung interessanter Links); vor allem aber auch auf das geringe Risiko der Kinder, schwer zu erkranken. Eine Mutter schreibt: Auch Lehrerinnen und Lehrer haben uns geschrieben, dass sie sich gerade durch den regelmäßigen Umgang mit Kindern und Jugendlichen gesundheitlich eher resilienter fühlen und keine große Angst vor einer Ansteckung im Schulzusammenhang haben. Die Kollegien seien aber gerade in dieser Frage stark gespalten. Testen an sich oder Umsetzung der Tests wird als Zumutung empfunden Sehr viele Zuschriften gab es zum Thema Testen. Manche sehen keine Notwendigkeit dafür, anderen geht es um die Art und Weise, wie es umgesetzt wird, viele vermissen eine Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs, in dem es den Betroffenen nun auferlegt wird – wie von den beiden Lehrerinnen beschrieben. Hier exemplarisch die Zuschrift eines Vaters, eine weitergehende Zusammenstellung erfolgt auf den Forumsseiten: Wie geht es mit dem Forum weiter? In Kürze finden Sie eine weitergehende Auswertung Ihrer Zuschriften auf unseren Forumsseiten. Wir werden auf die Perspektiven und Berichte der Eltern, Schülerinnen und Schüler, der Lehrkräfte und Erzieher sowie der Träger und Anbieter von Sport- und Freizeitangeboten für Kinder genauer eingehen. Es wird Analysen zu Einzelthemen geben, wie etwa zu den Erfahrungen mit den verschiedenen Unterrichtsformen, der Digitalisierung der Kinder, den Folgen von Sport- und Kontaktverboten, dem sozialen Umgang miteinander u.v.m. Die Analyse, wo wir derzeit stehen und wie es den Betroffenen geht, soll die Ausgangsbasis für die Frage sein, wie es weitergehen sollte mit dem Schuljahr. Ein weiterer Punkt – und da geht es bei einer ganzen Reihe von Zuschriften ins Philosophische – ist die Frage, wo wir uns als Gesellschaft hinbewegen. Welche Bildung wollen wir denn eigentlich für unsere Kinder und worauf sollten wir besser verzichten? Welche Rolle spielen Bildungseinrichtungen im Kontext von digitaler Transformation und Datenökonomie? Welche Aufgaben und Funktionen haben Schule und Unterricht? Geht es primär um messbare Lernleistungen oder um die Persönlichkeitsentwicklung der nachfolgenden Generation? Dazu brauchen wir einen öffentlichen und vor allem offenen Diskurs. Gemeinsam mit den NachDenkSeiten veröffentlichen wir hierzu in den kommenden Tagen und Wochen Artikel, Beiträge und weitere Texte und laden Sie ein, sich weiterhin aktiv mit Ihren Berichten, Anregungen und Ideen zu beteiligen. Anmerkung: Die Namen der Verfasser aller hier zitierten Beiträge sind der Redaktion bekannt. Titelbild: ARIMAG / Shutterstock | Sandra Reuse | Vor zwei Wochen forderten wir Sie auf, sich an unserem Forum „Schule – wie weiter?“ zu beteiligen. Es kamen sehr viele Zuschriften, deren Umfang, Intensität und Themenvielfalt die Initiatoren und die Redaktion beeindruckt haben. Während die Forumsseiten für die Aufbereitung Ihrer Zuschriften und für weitere Fragerunden überarbeitet werden, hier eine erste Zwischenbilanz zu den wichtigsten Them ... | [
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Transparencys Rankingsabsturz von Griechenland: Irreführend! Mindestens aus dreierlei Gründen. | Gestern waren die Meldungen und heute sind die Zeitungen voll von der Nachricht der Anti-Korruptions-Organisation Transparency International, Griechenland sei inzwischen das korrupteste Land Europas. Das war eine wirksame Veröffentlichung. Bei Google News gab es 368 Hinweise, zwei davon in Anlage 1. Auch die Redaktion der NachDenkSeiten wurde aufgrund des Absturzes Griechenlands beim Ranking kritisiert, weil wir gerade einen relativierenden Beitrag von Heiner Flassbeck veröffentlicht hatten. Wir bestreiten nicht, dass die Korruption in Griechenland ein großes Problem ist. Aber selbst der Vertreter von Transparency weist darauf hin, dass der Absturz auf veränderten Erhebungsmethoden beruhen könnte – der erste Grund zur Skepsis. Siehe Anlage 2 . Noch gravierender sind zwei andere Schwächen der Messungen von Transparency. Von Albrecht Müller
Zweiter Grund für Skepsis: Die Meldungen über das Ranking erwecken mit hoher Wahrscheinlichkeit bei den meisten Menschen den Eindruck, ihre Grundlage seien Messungen und Zählungen von tatsächlichen Korruptionsvorgängen. Es ist aber von Transparency nicht beobachtet und gezählt worden, ob weitere Beamte und Politiker von irgendwelchen Unternehmen bestochen worden sind, um einen Auftrag zu ergattern. Stattdessen sind Experten und andere Menschen befragt worden, wie sie die Entwicklung der Korruption einschätzen. Die Messungen sind also mehr oder weniger der Abklatsch der veröffentlichten Meinung zum Thema. Angesichts des andauernden Einprügelns auf Griechenland ist das Ergebnis nicht erstaunlich. Zweiter Grund für Skepsis und Missachtung der Transparency-Ergebnisse:
Die politische Korruption wird nicht erhoben. Wenn das nämlich geschähe, dann würde Deutschland beim Ranking ganz unten stehen – unten heißt: viel Korruption. Bei uns blüht nämlich die politische Korruption, wie man Anfang November wieder daran sehen konnte, dass der Deutsche Bundestag zu Gunsten der Versicherungswirtschaft das Versicherungsaufsichtsgesetz geändert hat – mit der Folge, dass die Rendite von Lebensversicherungen dahinschmilzt. Siehe hier. Auf den NachDenkSeiten haben wir immer wieder von Fällen der politischen Korruption berichtet. Von Privatisierung, von der Riester-Rente, von der Kommerzialisierung des Fernsehens usw.. Hier zum Beispiel am 16. Juli 2012 um 14:38 Uhr „Wie korrupt geht es bei uns zu? Viel mehr, als viele ahnen.“. Deshalb ein Rat an Transparency International: Entweder sie messen anders, also nicht nur den Abklatsch der veröffentlichten Meinung, und erweitern den Korruptionsbegriff um die politische Korruption oder sie stellen die Veröffentlichung ihrer Rankings ein. Anlage 1 – zwei Beispiele von über 300 Meldungen zum Thema: Untersuchung von “Transparency International”: Griechenland ist das korrupteste Land Europas
In keinem Land Europas ist die Korruption so weit verbreitet wie in Griechenland. Das ist das Ergebnis einer Untersuchung von Transparency International.
(…)
Quelle: STERN 05. Dezember 2012, 06:46 Uhr
Transparency-Index
Griechenland wird zum korruptesten Land Europas
Von Johannes Korge
Bestechliche Beamte, käufliche Politiker: Transparency International hat in mehr als 170 Ländern die Korruption im öffentlichen Sektor untersucht. Alarmierend ist die Lage in Griechenland, Deutschland kann sich leicht verbessern.
Hamburg – Somalia, Nordkorea und Afghanistan sind die korruptesten Länder der Welt. Zu diesem Urteil kommt der Jahresbericht von Transparency International, den die Organisation am Mittwoch veröffentlicht hat. Wie schon im Vorjahr liegen diese drei Länder am Ende der Rangliste; 174 Nationen haben die Korruptionswächter dieses Mal unter die Lupe genommen.
Sie kommen auf der Skala von null (hohe Korruptionsrate) bis 100 (sehr wenig Korruption) nur auf jeweils acht Punkte.
(…)
Quelle: SPIEGEL Online Anlage 2: Transparency International: Athen zweifelt an Korruptionsindex
Dass Griechenland im Korruptionsranking einen heftigen Absturz hinnehmen musste, liegt an den veränderten Erhebungsmethoden – sagt der Direktor der griechischen Sektion von Transparency International.
(…)
Quelle: FTD | Albrecht Müller | Gestern waren die Meldungen und heute sind die Zeitungen voll von der Nachricht der Anti-Korruptions-Organisation Transparency International, Griechenland sei inzwischen das korrupteste Land Europas. Das war eine wirksame Veröffentlichung. Bei Google News gab es 368 Hinweise, zwei davon in Anlage 1. Auch die Redaktion der NachDenkSeiten wurde aufgrund des Absturzes Griechenlands beim Ranking ... | [
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Kipppunkt „Grüner Pass“ – Bewegungsfreiheit am historischen Scheideweg | Von Andrea Komlosy[*] – Seit Juli 2021 leben EU-BürgerInnen mit einem neuen Reisedokument, dem sogenannten „Grünen Pass“. Sie benötigen es nicht nur für das Überschreiten von Staatsgrenzen, sondern auch, um ihre Bewegungsfreiheit im Inland in Anspruch zu nehmen: als Voraussetzung für den Zugang zu Kulturveranstaltungen, Sportstätten, Gaststätten oder Hotels. Dieser Pass weist ihren Corona-Status als „Geimpft – Getestet – Genesen“ aus – Bedingungen, die in unterschiedlicher Anwendung und Kombination in den meisten EU-Staaten darüber bestimmen, wer am gesellschaftlichen Leben teilhaben darf und wer nicht. Die Grundlage bieten Gesetze und Verordnungen in den einzelnen Ländern, die Frage nach deren grundrechtlicher bzw. verfassungsmäßiger Legitimität wird durch ein Gewirr von ständig wechselnden Bestimmungen sowie einer eskalierenden Ausweitung der Anwendungspflicht überlagert. Dieser Eingriff in die bürgerlichen Freiheitsrechte ist ein Kipppunkt in der Entwicklung von Demokratie und Rechtstaatlichkeit.
Im Folgenden wird nach den historischen Blaupausen von Reisepass und Gesundheitsnachweis gefragt. (Das Ergebnis vorweggenommen: Beim Reisepass wird die emanzipatorische Tendenz der Egalisierung seit der Verstaatlichung des Passwesens durch die aktuellen, nach Körperzustand differenzierenden Anforderungen an den/die Einzelne abgebrochen. Die polizeiliche Überwachung der Gesundheit kehrt zu den ursprünglichen Aufgaben der historischen „Polizey“ zurück, bei der Hygiene-, Seuchenpolitik und medizinische Überwachung im Mittelpunkt gestanden hatte. In beiden Fällen werden staatliche Ermächtigung, Kontrolle und Disziplinierung durch digitale Technologien perfektioniert.) Reisepass: Vom Privileg zum staatsbürgerlichen Recht Passport leitet sich von der ursprünglichen Funktion des Dokuments ab, das dem Träger den Eintritt in ein bestimmtes Gebiet, das Überschreiten einer Grenze erlaubte. Im Deutschen drückt „Geleit“ oder „Passgeleit“ die königliche bzw. fürstliche Schutzfunktion für einen Reisenden aus. Ein Pass ermöglicht Zutritt, Mobilität, Sicherheit und Schutz. In einer ständischen, vormodernen Gesellschaft wird er nur an Berechtigte vergeben, es handelt sich um ein Privileg. Nur Adelige sind in der Regel von der Passpflicht ausgenommen. Je nach Personengruppe wird ein Pass von unterschiedlichen Instanzen und in unterschiedlichen Bezeichnungen an Boten, an Diplomaten, an Händler, an wandernde Handwerker und an Reisende vergeben. Er gilt in der Regel für eine bestimmte Reise und schließt mitreisende Angehörige oder Gesinde mit ein. Sonderformen sind Pässe, die z.B. an Bettler, fahrende Musikanten, Versehrte und Behinderte vergeben werden, damit sie ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Erst im 18. Jahrhundert zogen staatliche Behörden die Passerteilung an sich und drängten konkurrierende Herrschaftsträger sukzessive zurück. Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts koexistierten verschiedenste passausstellende Behörden nebeneinander. Die behördliche Kompetenz unterschied sich nach Person, Zweck und Ziel der Reise und oft waren gleich mehrere Instanzen in eine Passerteilung involviert; Ehefrauen benötigten das Einverständnis des Ehemannes. Reisehandbücher spiegeln dieses Wirrwarr wider, Reiseberichte die Umstände der Pass-Vidierung unterwegs – bei Polizeibehörden, Ämtern, Reiseunternehmern, Herbergen sowie an den Grenzen (Linien) großer Städte, wo die Reisepässe in Aufenthaltsscheine getauscht wurden. Vom Privileg zum Recht Die Konsolidierung der modernen Staaten, die Herausbildung des Konzepts der Staatsbürgerschaft und allgemeiner, nicht mehr an den Stand gebundener staatsbürgerlicher Rechte im 19. Jahrhundert markierte den Übergang vom Privileg zum Recht auf Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit. Es kam zu einer einheitlichen Festlegung der behördlichen Kompetenzen, zur Egalisierung der Bedingungen, um einen Pass zu erlangen, und zur Angleichung der dafür notwendigen Schritte und Dokumente. Dazu gehörte zum Beispiel ein einheitliches Passformular für die Personenbeschreibung: neben Name und Wohnort wurden Alter, Statur, Gesicht, Haare, Augen und Nase beschrieben, um die Identität des Inhabers eindeutig feststellen zu können; mit zunehmenden Schreibkenntnissen folgte die eigenhändige Unterschrift als Ausdruck der personalen Identität. Die befristete Gültigkeit und die auf eine bestimmte Reise oder Region eingeschränkte Reichweite wichen einer allgemeineren Festlegung der zeitlichen und räumlichen Geltungsbereiche. Eine zentrale Zäsur stellte um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Aufhebung der Passpflicht für Inlandsreisen dar – ein Schritt, der eng mit der im Zeitalter von Eisenbahn, Urbanisierung und Industrialisierung erhöhten Mobilität verknüpft war. Im internationalen Reiseverkehr folgte die gegenseitige Anerkennung von Pässen bis hin zur Aufhebung der Passkontrolle in akkordierten Reiseräumen, z.B. zwischen den deutschen Staaten (vor der Reichsgründung 1871) und bald darauf zwischen vielen west- und zentraleuropäischen Staaten (und ihren Kolonien) bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Wie unter dem Schengen-Regime bedeutete dies freilich auch die Akzentuierung der Außengrenzen, etwa zu Russland, dem Osmanischen Reich und den Balkanstaaten, die den europäischen Reiseräumen nicht angehörten. Im Binnenverkehr schob – neben der Frage, wer sich Reisen leisten konnte bzw. wer, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, keine Alternative zur Arbeitsmigration hatte – die Frage der heimatrechtlichen Zuständigkeit einen Riegel vor die freie Wahl des Aufenthaltsortes, die in Staatsgrundgesetzen verankert war. Anders als in Preußen bzw. im Deutschen Reich, wo das Heimatprinzip 1870 dem Unterstützungswohnsitzprinzip Platz machte, waren zum Beispiel in der Habsburgermonarchie oder im Russischen Reich soziale Dienste und Armenhilfe an das Heimatrecht in der Aufenthaltsgemeinde gebunden, sodass verarmte oder bedürftige Zugewanderte mit der Abschiebung in ihre Heimatgemeinde rechnen mussten. Rechtlich gesehen war der Reiseverkehr jedoch von Gleichförmigkeit im Verfahren und Egalität im Zugang und der Gültigkeit des Passdokuments gekennzeichnet; AusländerInnen wurde diese Freiheit im Zuge der zwischenstaatlichen Reziprozität ebenfalls gewährt. Nach dem Ersten Weltkrieg blieben die nationalstaatlichen Grenzen (die in der NS-Zeit massive Verschiebungen erlebten) der Bezugspunkt für die Passpflicht, bis ab den 1950er Jahren wieder verschiedene Passunionen geschlossen wurden, innerhalb derer die Passkontrolle ausgesetzt wurde. Die Feststellung der personalen Identität wurde mit den digitalen Speicher- und Überprüfungsmöglichkeiten perfektioniert; zur Unterschrift und dem obligatorischen Foto traten der Fingerprint, die maschinelle Lesbarkeit und möglicherweise bald die Iriserkennung; die Datenverknüpfung erlaubt die Nachverfolgung von Personen, die die Grenzkontrollpunkte passieren. Seit dem Zusammenbruch des Schengen-Systems im Gefolge der Flüchtlingskrise 2015, und noch stärker mit den Corona-Lockdowns, sind dies wieder, so wie überall sonst, die nationalstaatlichen Grenzen. Der Reisepass ist im Zeitalter des staatsbürgerlichen Grundrechts auf Freizügigkeit nicht nur ein Schlüssel zur Bewegungsfreiheit, sondern immer auch ein Instrument, mit dem Behörden Kontrolle über die Bewegung von BürgerInnen und AusländerInnen erhalten. Sie haben die Möglichkeit, diese Bewegungsfreiheit einzuschränken, an Bedingungen zu knüpfen und diese überall auf dem Staatsgebiet zu kontrollieren. Vollkommen neu ist das Ansinnen, die Freizügigkeit an die Bedingung pharmakologischer Verabreichungen und Tests zu knüpfen, wie dies unter dem Corona-Management der Fall ist; ein weiteres Novum seit Corona besteht darin, die alltäglichen Wege des Individuums an diese Bedingungen zu knüpfen und damit nicht nur die Freizügigkeit der Bewegung, sondern zahlreiche andere staatsbürgerliche Rechte außer Kraft zu setzen. Es ist ein grundrechtlicher Tabubruch, der mit den emanzipatorischen Traditionen des Passes bricht. Verordnete Gesundheit Wir sind uns meistens nicht bewusst, dass Polizei eine sehr junge Institution darstellt. Bis zur Konsolidierung der modernen Staaten im 17. und 18. Jahrhundert lag die Exekutive bei verschiedenen herrschaftlichen Machtträgern, die keineswegs immer im Interesse einer Zentralgewalt agierten. Es gab daher große kontrollfreie Räume, in denen sich fahrende Unterschichten bewegen konnten, solange ihre Aktivitäten den Interessen der Herrschaften nicht zuwiderliefen; in diesem Fall wurden sie in eine bereits im 16. Jahrhundert zwecks Evidenz der Staatsuntertanen installierte Heimatgemeinde bzw. Heimatpfarre abgeschoben, auch wenn diese Abschiebung in vielen Fällen mangels verfügbaren Ordnungskräften nicht umgesetzt werden konnte und das Umherziehen weiter seinen Lauf nahm. Da die Umherziehenden Tätigkeiten ausübten, auf die Sesshafte angewiesen waren, verfügten sie über einen, allerdings immer wieder von Übergriffen bedrohten, Freiraum. Die Polizey stellte einen Versuch dar, das alltägliche Geschehen vor Ort der staatlichen Aufsicht und Kontrolle zu unterstellen. Hygiene, Sauberkeit und die Bereitschaft zu regelmäßiger Erwerbstätigkeit waren zentrale Bestandteile in der Konzeption von Sicherheit und Kontrolle. Ein wichtiges Einfallstor bot das Armenwesen, das echte, bedürftige von unechten, nicht Anspruchsberechtigten zu unterscheiden lernen sollte. Die staatlichen Armenhäuser verbanden soziale Versorgung mit Arbeitszwang und medizinischer Kontrolle; erst später differenzierten sich Sozial-, Gesundheits- und Sicherheitspolitik in getrennte Institutionen. Die Verbesserung von Lebensumständen ging unter den Bedingungen der Sozialdisziplinierung stets mit dem Bestreben einher, über die Bereitstellung von Unterstützung die Bedürftigen zu gehorsamen und arbeitsamen Untertanen zu formen. Mit der im 18. Jahrhundert aufkommenden und im 19. Jahrhundert aufblühenden Statistik dienten die Armen-, Kranken- und Arbeitshäuser als Ort der Kategorisierung von StaatsbürgerInnen. Diese Kategorien, die etwa zwischen „bedenklichen und unbedenklichen Individuen“, „gut und schlecht gesinnten Fremden“ unterschieden, muten heute sehr diffus an. Sie kamen in der Armenpolitik ebenso zur Anwendung wie bei der Passerteilung und Kontrolle von Aufenthalt und Bewegung. Ein Gesundheitszeugnis war für die Einweisung in eine Anstalt oder den Erhalt eines Reisepasses jedenfalls keine Voraussetzung. Allerdings leitet sich die Bedingung, dass eine Person „keine Gefahr für Ordnung, Sicherheit und Gesundheit“ (Niederlassungsfreiheit gemäß EWG-Vertrag 1957) darstellen dürfe, die heute zur allgemeinen Voraussetzung für die Einreise in ein anderes Land zählt, aus diesem gesundheitspolitischen Sicherheitsdispositiv ab. Impfpässe, wie sie im Zuge der standardmäßigen Einführung von Impfungen gegen Infektionskrankheiten mit schwerwiegenden Folgen für Leben und Gesundheit in den westlichen sowie realsozialistischen Wohlfahrtsstaaten nach dem Zweiten Weltkrieg aufkamen, sind im Grunde keine Pässe. Es handelt sich lediglich um Listen, die Arzt/Ärztin und PatientInnen ermöglichen, ihre Impfgeschichte nachzuvollziehen. Neuerdings werden die Impfdaten in vielen Ländern in elektronischen Gesundheitsakten gespeichert, was manchen in Hinblick auf die Allmacht der Gesundheitsindustrie Sorge bereitet. Die Frage des Impfzwanges stellt(e) sich meistens nicht, weil die Impfung aufgrund von medizinischer Aufklärung und routinemäßiger Verabreichung im Zuge der Kleinkinder-, Schul- und Unfallmedizin unhinterfragt als selbstverständlich hingenommen wurde. Nur für wenige Krankheiten (insbesondere Pocken) wurden Impfungen phasenweise zur Verpflichtung erklärt. Kinderkrankheiten, die jedes Schulkind zwangsläufig durchläuft und so die notwendigen Antikörper aufbaute, wurden erst im Zuge der Pharmakologisierung der Gesellschaften ins allgemeine Impfprogramm aufgenommen und in manchen Staaten zeitweise zur Verpflichtung gemacht, werden aber nicht durchgängig angenommen. Zu einer Ergänzung des Reisedokuments werden Impfpässe nur dann, wenn bestimmte Staaten die Einreise an die Absolvierung bestimmter Impfungen binden. Dies betrifft vor allem Tropenkrankheiten sowie in Entwicklungsländern grassierende Infektionen, die für nicht immunisierte Reisende ein mehr oder weniger hohes Risiko darstellen; in der Regel handelt es sich jedoch meist um Empfehlungen, denen die meisten Reisenden gerne folgen. Dass erkrankte Reiserückgekehrte Isolation und besonderer Überwachung unterzogen werden, versteht sich von selbst. Selektionsinstrument Corona-Gesundheitsausweis Eine völlig andere Herangehensweise wurde im Fall des Sars-Cov-2-Virus gewählt. Die Erklärung der Erkrankung zur Pandemie durch WHO und die Übernahme in nationalstaatliche Maßnahmenprogramme ist an anderen Stellen ausführlich behandelt worden. Die medizinischen Einschätzungen über die Ausbreitungsgefahr und Gefährlichkeit der Erkrankung liegen weit auseinander, allerdings verhindert eine in den meisten Staaten und Medien verbreitete Informationsbeschränkung eine ernsthafte Diskussion und Abwägung. Regierungen setzen auf mathematische Modelle, um Lockdown, Kontaktverfolgung, Distanzgebote als notwendig, nützlich und alternativlos darzustellen. Dabei werden nicht nur grundlegende Unterscheidungen zwischen Personen, die mit dem Virus in Kontakt gekommen sind (wobei erhebliche Zweifel an der Nachweisbarkeit durch Tests bestehen), und Personen, die am Virus erkrankt sind (wobei auch hier die Mehrzahl der Erkrankungen glimpflich und ohne Folgewirkungen verläuft) im Sinne verwirrender Erkrankungskurven und alarmistischer Angstmache vor einer angeblichen Überbelegung von Intensivstationen verwischt. Es werden auch die Folgewirkungen der Maßnahmen auf eine Vielzahl gesellschaftlicher Bereiche, angefangen vom körperlichen und psychischen Wohlergehen und dem Gesundheitswesen über das Bildungswesen und die Arbeitsverhältnisse bis zur Wirtschaft ausgeklammert bzw. zögerlich und zu spät angesprochen. Die von vielen Seiten geteilte Befürchtung, dass die Maßnahmen gravierendere Folgen für die Gesellschaften haben als die vom Virus ausgehenden Gefahren, ist unterdessen zur Punze für die Diffamierung von Meinungen geworden, die vom eingeschlagenen Mainstream abweichen. Hier soll insbesondere die Schnittstelle zwischen Pass und Gesundheitsnachweis in den Blick genommen werden, die im „Grünen Pass“ zum Ausdruck kommt. Die Bezeichnung als „Pass“ spiegelt falsche Tatsachen vor, nämlich dass das Dokument Türen öffnet. Stattdessen zieht es klare Schranken ein: Für diejenigen, die sich damit Eintritt verschaffen können, beinhaltet es die Vorstellung, es handle sich um eine Rückkehr zur Bewegungsfreiheit, obwohl diese doch an den Vorweis eines mit mehr oder weniger Gesundheitsrisiko (Impfung) und mit mehr oder weniger Aufwand (Test) verbundenen Dokuments gekoppelt ist. Lediglich das dritte G, die Genesung, ist ohne weitere körperliche Eingriffe, oft jedoch nur mit einigem bürokratischen Aufwand zu erlangen, und auch dies nur für einen beschränkten Zeitraum. Für diejenigen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen können oder wollen, ist das Gerede von der Öffnung, die die Assoziation „Pass“, noch dazu mit der aus dem Verkehrswesen bekannten Farbe „Grün“, mit sich bringt, der blanke Hohn. Denn wer ihn nicht hat, scheitert bei so einfachen Vorhaben wie dem Kultur- und Gaststättenbesuch, geschweige denn der Auslandsreise. Darüber hinaus schwebt über all jenen das mit jedem Appell in Richtung Einschluss von Arbeitsstätten sowie Impfzwang verbundene Risiko des Ausschlusses von der Berufsausübung, mithin ein drohender Verlust der Existenz. Allerdings macht der „Grüne Pass“ in anderer Form Anleihen beim Reisepass. Er vermisst die Körper und fügt der Liste der identifizierenden Körpermerkmale auch das Impf- oder Testergebnis hinzu. Während die herkömmliche Personenbeschreibung jedoch vor allem der Identifizierung des Inhabers diente, ist die 3G-Pflicht keine Beschreibung, sondern eine Klassifizierung: Wer sie nicht aufweist, gehört zur gefährlichsten Kategorie, die das „Handbuch der österreichischen administrativen Polizey“ aus dem Jahr 1829 aufzuweisen hatte, nämlich zu den „bedenklichen Menschen überhaupt“, das heißt jenen, die dem rational-aufgeklärten, staatsgläubigen, arbeitsfleißigen Menschbild des Josephinismus und des Vormärz nicht entsprachen. Der „Grüne Pass“ ist also eine Art Anti-Pass. Statt dem Einschluss und der Ermächtigung dient er der Unterscheidung in Gesunde und Bedenkliche (Risikobehaftete, denn Erkrankte stehen im Corona-Management ja ohnehin unter Quarantänepflicht). Bedenklich ist, dass die Nichtausgewiesenen wie Kranke behandelt werden, denn anders ließe sich ihr Ausschluss nicht argumentieren. Einem gesunden Menschen die Bewegungsfreiheit zu entziehen, ließe sich mit den bürgerlichen Freiheiten ja selbst unter corona-bedingten Einschränkungen nicht rechtfertigen. Also werden die Nichtdokumentierten schlichterhand zum Gesundheitsrisiko, zu Kranken erklärt. In Umkehrung der Beweislast haben sie mit Impfung oder Testung die Möglichkeit, die prüfende Instanz vom Gegenteil zu überzeugen. Das „Grüne Pass“-Privileg Der „Grüne Pass“ ist ein Privileg, das man durch Anerkennung der Definitionen und Umsetzung der Beweisverfahren von Bedenklich- und Unbedenklichkeit erwerben kann. Ein starkes Stück Unterwerfung für die Illusion von Freiheit und Sicherheit! Es ist ein Rückfall in das Passwesen vor seiner Übernahme in staatliche Verantwortung und vor der Verallgemeinerung der Bewegungsfreiheit als staatsbürgerliches Recht. Nun sind es wieder bestimmte Institutionen, die – manche gegen Gebühr, andere für den Einzelnen zwar unentgeltlich, aber auf Kosten der Sozialversicherung – den Nachweis für das „Grün“ verschaffen: Ärzte, Apotheken, Labore, Test- und Impfstraßen, gegliedert nach dem Status im Infektionsgeschehen, Wirkungsdauer und Anwendungsbereich. Eine ebenso verwirrende und unübersichtliche, stetigen Änderungen, aber auch Umgehungsmöglichkeiten unterliegende Flut an Institutionen, wie wir sie aus der älteren Passgeschichte des ständischen Zeitalters kennen. Der/die Einzelne ist auf sie und ihr Wohlwollen angewiesen, damit er oder sie zum Beispiel ins Kino, auf den Sportplatz oder zum Friseur gehen kann. Warum beschränkt sich die Bedingungsliste für die Privilegienerteilung eigentlich nur auf den Covid-Sars-2-Erreger? Gibt es keine gefährlicheren Krankheitskeime, die auch in die Liste übernommen werden sollten? Müssen wir uns unter Umständen ohnehin darauf gefasst machen, dass Covid-Sars-2 den Einstieg in ein pharmakologisches Zeitalter darstellt, wo der Mensch gegen alle möglichen ständigen oder neu auftauchenden Erreger getestet wird, um seinen Status der Bewegungsfreiheit zu erhalten? Schließlich stellt sich die Frage, wer eigentlich zur Kontrolle befugt ist. Hier gibt es erstaunliche Parallelen mit den Anfangsjahren des staatlichen Passwesens. In der ständischen Gesellschaft gab es keine allgemeinen Regeln für die Kontrolle von Pässen und Geleitscheinen: Man wies einen solchen vor, wo immer man hoffte, er öffne einem einen Zugang; ob er nutzte oder nicht, blieb im Dunklen, manchmal war es vielleicht sogar besser, ohne Empfehlung und Schutzbrief zu reisen, wenn dieser von der falschen Person ausgestellt war. Das änderte sich mit der Verstaatlichung des Passwesens im 18. Jahrhundert, als sich die Passkontrolle auf die Grenzstationen an der Staatsgrenze konzentrierte. Solange jedoch die Passpflicht für Inlandsreisen bestand, also bis Mitte des 19. Jahrhunderts, wurde eine ganze Reihe von Institutionen entlang der Reiseroute dazu verpflichtet, das Passdokument zu überprüfen, und andernfalls dem Reisenden keine Beförderung (Fuhrwerker, Eisenbahn), keine Unterkunft und Verpflegung (Gastwirte) und keine Weiterreise (Polizei und Verwaltungsbehörden) zu gestatten. Damit keine „passlosen Individuen“ aus anderen Landesteilen in Wälder und schwach besiedelten Gegenden unterkommen konnten, wurden die Herrschaftsbesitzer wegen personeller Engpässe an staatlichen Polizeikräften in regelmäßigen Abständen dazu angehalten, „Streifungen“ (Razzien) auf ihrem Gebiet zu unternehmen und aufgegriffene Passlose den staatlichen Behörden zwecks Abschiebung zu nennen. (Diese wurden mit einem Dokument ausgestattet, das ebenso wie der „Grüne Pass“ rein gar nichts mit einem Türöffner zu tun hatte: Es diente der Dokumentation der Schubstationen auf der Zwangsroute in die Heimatgemeinde.) Heute sind es wieder Wirte, Kellnerinnen, Hoteliers, KulturveranstalterInnen, Security-Mitarbeiter oder körpernahe Dienstleistende, die mehr oder weniger freudig und freiwillig dazu verpflichtet werden, den Covid-Status ihrer KundInnen zu prüfen, ansonsten diese wegzuweisen sind. Man kann also durchaus der Meinung sein, dass der „Grüne Pass“ mit dem Ermächtigungsinstrument Reisepass eigentlich gar nichts gemein hat. Reisepässe werden schließlich unabhängig vom Gesundheitsstatus ausgestellt, mit allen Vorteilen der Inklusion, wenn es sich um eine begehrte Staatsbürgerschaft in einem Hochlohnland handelt, und allen Nachteilen, die anwesende oder einreisewillige Nicht-Staatsbürger über die aus ihrem sozialen Status resultierenden Schwierigkeiten hinaus in einem Aufenthaltsland zu gewärtigen haben. Der „Grüne Pass“ kehrt vielmehr in die Zeit des Reise- und Bewegungs-Privilegs zurück. Nicht das allgemein gültige (BürgerInnen)-Recht verschafft Zugang, sondern ein bestimmter Körperstatus. Zudem entwertet das verpflichtende Gesundheitszertifikat den Reisepass und setzt die Reisefreiheit außer Kraft. Denn wenn der Grenzübertritt an einen Gesundheitsnachweis geknüpft ist, dann hat mein Reisepass seine Funktion verloren. Das wichtigste Dokument in diesen Zeiten ist der QR-Code, die auf meinem Smart Phone gespeicherte Quick Response, die meine Daten speichert und verknüpft und den staatlich ernannten TürsteherInnen und den selbst ernannten BlockwartInnen der geschützten Zonen in Echtzeit signalisiert, ob sie mich eintreten lassen dürfen. Flüchtlinge und Staatenlose dieser Welt verzweifeln auf ihren Wegen oft am Mangel eines ermächtigenden Reisedokuments. In Zukunft droht der QR-Code diese Selektionsfunktion für jedermann und jedefrau, immer und überall, zu übernehmen. | Andrea Komlosy | Von Andrea Komlosy[*] - Seit Juli 2021 leben EU-BürgerInnen mit einem neuen Reisedokument, dem sogenannten „Grünen Pass“. Sie benötigen es nicht nur für das Überschreiten von Staatsgrenzen, sondern auch, um ihre Bewegungsfreiheit im Inland in Anspruch zu nehmen: als Voraussetzung für den Zugang zu Kulturveranstaltungen, Sportstätten, Gaststätten oder Hotels. Dieser Pass weist ihren Corona-Stat ... | [
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] | 06. August 2021 12:30 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=74934&share=email |
Sigmar Gabriels Schreiben an die SPD-Mitglieder: Mit Halbwahrheiten zum Freihandelsabkommen? | Der SPD-Vorsitzende und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat sich jüngst per E-Mail an die Mitglieder seiner Partei gewandt. Thema seines Schreibens: Das derzeit verhandelte Freihandelsabkommen “TTIP” zwischen der Europäischen Union und den USA sowie das “CETA”-Abkommen mit Kanada. Ziel seines Schreibens: Die SPD-Mitglieder zu beruhigen und auf Linie bringen. Überzeugend sind Gabriels Argumente nicht. Auch, weil er so manches verschweigt und anderes herunterspielt. Eine Analyse von Thorsten Wolff.
Der Mitgliederbrief wurde am 28. Januar per E-Mail versandt. Wir kommentieren im Nachstehenden zunächst einzelne Passagen des Schreibens (in kursiv) und dokumentieren dieses anschließend nochmals komplett. | Jens Berger | Der SPD-Vorsitzende und Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat sich jüngst per E-Mail an die Mitglieder seiner Partei gewandt. Thema seines Schreibens: Das derzeit verhandelte Freihandelsabkommen "TTIP" zwischen der Europäischen Union und den USA sowie das "CETA"-Abkommen mit Kanada. Ziel seines Schreibens: Die SPD-Mitglieder zu beruhigen und auf Linie bringen. Überzeugend sind Gabriels ... | [
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] | 02. Februar 2015 10:07 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=24825&share=email |
Druckvorlagen mit „Glaube wenig. Hinterfrage alles. Denke selbst.“ | Mehrere Leserinnen und Leser haben bei uns angefragt, ob wir Vorlagen für den Druck von Plakaten, Aufklebern und Flyern mit dem Buchtitel liefern könnten. Nachdem nun in der „Schwäbischen“ ein Bericht mit einem selbst gemachten Plakat erschienen ist, wollen wir der Anregung endlich folgen. Sie finden hier die Druckvorlagen 1. mit Glaube wenig. Hinterfrage alles. Denke selbst. Dann 2. mit dem Spruch und der Dachzeile NachDenkSeiten.de und 3. das Original-Cover des Buches. Albrecht Müller
Im Folgenden stellen wir Ihnen die Druckdaten der drei Versionen des Buch-Covers “Glaube wenig. Hinterfrage alles. Denke selbst.” in verschiedenen Größen zur Verfügung. Diese Druckdaten können Sie verwenden, um sich beispielsweise Plakate und/oder Aufkleber bei einer Digitaldruckerei oder Ihrem Copy-Shop vor Ort herstellen zu lassen. Flyer in Größe DIN A4 können Sie selbstverständlich auch selbst ausdrucken. Für den Fall, dass Sie sich für Ihr KFZ einen Folienaufkleber anfertigen lassen möchten, sollten Sie bitte darauf achten, dass dieser eine gute UV-Lichtbeständigkeit besitzt und den Lack nicht angreift. Lassen Sie sich in dem Fall bitte bei Ihrem KFZ-Beschriftungsservice vor Ort beraten. 1. Glaube wenig. Hinterfrage alles. Denke selbst Farbigkeit: vierfarbig, CMYK
Größen: 105x148mm, 148x210mm, 210x297mm (drucktechnisch mit jeweils mit 3mm-Beschnitt auf allen Seiten)
Hier die PDF-Druckdateien. 2. Glaube wenig. Hinterfrage alles. Denke selbst – einschließlich NachDenkSeiten-Schriftzug Farbigkeit: vierfarbig, CMYK
Größen: 64,5x105mm, 126x205mm, 182,5x297mm (drucktechnisch mit jeweils mit 3mm-Beschnitt auf allen Seiten)
Hier die PDF-Druckdateien. 3. Glaube wenig. Hinterfrage alles. Denke selbst. Original-Cover des Buches Farbigkeit: vierfarbig, CMYK
Größen: 64,5x105mm, 126x205mm, 182,5x297mm (drucktechnisch mit jeweils mit 3mm-Beschnitt auf allen Seiten)
Hier die PDF-Druckdateien. Anmerkung: Bitte verwenden Sie ausschließlich die oben verlinkten PDF-Dateien und nicht die gering aufgelösten Bilder, die oben als Voransichten eingeblendet sind. P.S.: Das Buch ist übrigens inzwischen auf Platz 7 der Spiegel-Bestsellerliste Paperback Sachbuch gestiegen, vermutlich auch wegen des treffenden Titels und wegen der darin beschriebenen Methoden der Manipulation, die zu kennen in diesen Zeiten sehr hilfreich ist. | Albrecht Müller | Mehrere Leserinnen und Leser haben bei uns angefragt, ob wir Vorlagen für den Druck von Plakaten, Aufklebern und Flyern mit dem Buchtitel liefern könnten. Nachdem nun in der „Schwäbischen“ ein Bericht mit einem selbst gemachten Plakat erschienen ist, wollen wir der Anregung endlich folgen. Sie finden hier die Druckvorlagen 1. mit Glaube wenig. Hinterfrage alles. Denke selbst. Dann 2. mit dem S ... | [
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] | 20. Mai 2020 17:46 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=61149&share=email&nb=1 |
Ukraine, Russland, Merkel und Putin – die Strategien der Meinungsmache sind perfekt und pervers | Im Folgenden Text wird – mit Bezug auf einen Beitrag vom Montag – die Strategie des Westens im Umgang mit der Ukraine-Krise analysiert, es wird weiter an Hand von kleinen Dokumentationen die Reaktion deutscher Medien auf Putins Interview, auf die Sendung von Jauch vom 16. November und auf Merkels Rede (Anlage 1 und 2) gezeigt, wie einseitig und konfliktfördernd viele Medien sind. Die hier abgebildete Karikatur steht symbolisch für den Zustand der öffentlichen Auseinandersetzung. Auf den Foren unserer Medien tobt ein harter Kampf. Ein NachDenkSeiten-Leser aus München, Franz Piwonka, hat zu letzterem einen lesenswerten Erfahrungsbericht geschrieben. Von Albrecht Müller.
Bundeskanzlerin Merkel hat in ihrer Rede in Sidney alle Hemmungen fallen lassen. Alltagssprachlich würde man sagen: sie hat das Tischtuch zwischen sich und der russischen Führung zerschnitten. Dazu gibt es einen treffenden Offenen Brief von Karl-Jürgen Mueller aus Konstanz „Kommen Sie zur Wahrheit, Frau Merkel!“ [PDF]. Lesenswert. Noch eine persönliche Anmerkung, bevor ich zur Skizze der westlichen Strategie komme: Nachdem wir im Vorfeld von 1989 erleben konnten, dass es möglich ist, den Konflikt zwischen Ost und West zu beenden, erfüllt mich der jetzt erkennbare Wiederaufbau der Konfrontation mit Sorge. Die Strategie, durch Abbau der Konfrontation und durch Vertrauensbildung einen Wandel beim Gegenüber zu erzeugen, hatte sich als erfolgreich erwiesen. Es gibt keinen sachlichen Grund, jetzt den notwendigen Wandel Russlands hin zur Modernisierung, – in gängigen Schlagworten ausgedrückt – hin zu Demokratie und Menschenrechten mit Hilfe von Sanktionen und Strafmaßnahmen und der Verschärfung des Misstrauens erreichen zu wollen. Putin und die russische Führung stehen – anders als hier bei uns suggeriert wird – mit dem Rücken zur Wand. Er steht vermutlich im Innern unter Druck. Die Eskalation des Konflikts wird vom Westen aber ohne Rücksicht auf diese Konstellation und die möglichen Folgen in Russland betrieben. Das Ende wird nicht bedacht, wie es auch bei der Intervention in Libyen, im Irak, in Afghanistan und an anderen Ecken der Welt nicht bedacht wurde. Tausende von Toten, zerstörte Städte und zerbombte Landschaften, die „Produktion“ von Rache und Terrorismus – auch das ist die Bilanz der westlichen Interventionen. Im Falle des Konflikts mit Russland werden kriegerische Auseinandersetzungen uns direkt berühren. Dass dies (fast) 70 Jahre nach dem Schrecken des Zweiten Weltkriegs von Politikern und Medien nicht mehr einkalkuliert und gewogen wird, ist ein Zeichen von Vergesslichkeit oder (eher) von Ignoranz gegenüber den Erfahrungen des eigenen Volkes und unserer Nachbarn. Und noch eine Bemerkung vorweg:
Wer sich Sorgen um diese gefährliche Entwicklung macht, wird schnell in die Ecke jener gestellt, die die Zustände in Russland beschönigen. Diese sind nicht zu bewundern. Putin und die russische Führung haben viele Fehler gemacht. Ein NachDenkSeiten-Leser hat mit Bezug auf meine Analyse des Putin-Interviews vom vergangenen Sonntag und der Sendung von Jauch gerade warnend geschrieben: „Wir Sympathisanten der Russen sollten nicht ihre Fans werden.“ Besser hätte ich es nicht formulieren können und möchte es aus aktuellem Anlass ergänzen: Die Gegenpropaganda, wie sie in Teilen der Arbeit von Russia Today (RT) sichtbar wird, ist auch nicht gerade das Gelbe vom Ei. Russland täte gut daran, seine Aufklärungsarbeit in Deutschland und Europa differenzierter und sachlich anzugehen. Die Elemente der Strategie des Westens in der Sache und in der Kommunikation Anlage 1: Eine kleine Dokumentation der Reaktion unserer Medien zum ARD-Interview mit Russlands Präsident Putin
(Basis: Google News vom 16. und 17.11.2014) Putin pöbelt gegen den Westen: „Ist etwas ausgefallen in deren Gehirnen?“ vom 16.11.2014
Quelle: Hamburger Morgenpost ARD verwandelt sich in Putins Kreml-TV vom 17.11.2014
Quelle: Die Welt Wie Putin die Welt sieht vom 17.11.2014
„Russlands Präsident zeigt offen, dass er bereit ist, seine Interessen mit Gewalt durchzusetzen.“, so der erste Satz des „SZ“-Artikels.
Quelle: Süddeutsche.de Berthold Kohler, Putins Propaganda vom 17.11.2014
Quelle: Frankfurter Allgemeine Auftritt in der ARD: Wie Putin die Fakten verdreht vom 17.11.2014
Quelle: Spiegel Online Wie Putin die ARD narrte vom 17.11.2014
Quelle: Bild Passend dazu: Merkel: Kampfansage an Putin
Kreml-Chef versucht im ARD-Interview Deutschland einzuwickeln – Kanzlerin warnt ihn vor Flächenbrand vom 17.11.2014
Quelle: Bild ARD-Interview mit Wladimir Putin: Der Faktencheck vom 17.11.2014
Ein angeblicher „Faktencheck“ soll die Argumente des russischen Präsidenten Putin entkräften.
Quelle: Web.de Kuschelkurs mit Putin: So verspielt die ARD jede Glaubwürdigkeit vom 17.11.2014
Quelle: Focus Online Wladimir Putin interviewt sich selbst vom 17.11.2014
Quelle: Wirtschaftswoche Plappern mit Putin vom 17.11.2014
Russlands Präsident Putn rede viel und sage nichts, so eine irritierende Zwischenüberschrift, die auch aus dem Kalten Krieg der 1970er Jahre hätte stammen können.
Quelle: stern Wladimir Putins Demagogie verfallen, vom 17.11.2014
Quelle: Kölner Stadt-Anzeiger Wladimir Putin schlägt Haken, Hubert Seipel hakt nicht nach vom 17.11.2014
Quelle: Der Tagesspiegel Passend dazu: Was Wladimir Putin nicht sagt vom 17.11.2014
Quelle: Der Tagesspiegel ARD: Der Nick-Seipel im Jauch-Gewitter vom 17.11.2014
Quelle: Tichys Einblick Putins Reitkunst: Ein Kommentar zu dem Interview der ARD vom 18.11.2014
„Ein Teil der Werte einer Demokratie liegt darin, dass Meinungen zulässig sind, selbst wenn sie von irgendwelchen Despoten stammen.“, womit im Eingangssatz suggeriert wird, dass der russische Präsident ein Despot sei.
Quelle: The Huffington Post Anlage 2: Kleine Dokumentation der Reaktion auf Merkels Rede in Sidney
(Basis Google News vom 16. November) Konflikt in der Koalition: SPD distanziert sich von Merkels’ Putin-Kritik
Wie scharf dürfen westliche Politiker den Kreml kritisieren? Kanzlerin Merkel hat in Australien deutliche Worte gefunden. Offenbar zu deutlich …
Quelle: Spiegel Online Presseschau zu Merkels Rede: Einer enttäuschten Kanzlerin platzt …
Angela Merkel hat im australischen Sydney mit deutlichen Worten die Politik von Wladimir Putin in der Ukraine-Krise kritisiert. Die deutsche …
Quelle: FOCUS Online Merkel rechnet mit Putin ab
Quelle: www.dw.de Merkel und Putin: Die Zeit der Spielchen ist vorbei
Quelle: n-tv.de Merkel: Kampfansage an Putin
Vier Stunden lang, bis tief in die Nacht hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (60,CDU) beim G20-Gipfel in Brisbane mit Russlands Präsident Wladimir Putin (62) …
Quelle: BILD G20-Gipfel: Merkel äußert sich nicht zu Gespräch mit Putin
Quelle: tagesschau.de Kommentar zur Russland-Rede: Merkel hat es satt
Es muss Merkel in der Bilanz des Treffens mit Putin wohl völlig klar geworden sein, dass mit ihm auf der Geschäftsgrundlage des geltenden ..
Quelle: tagesschau.de Merkels klare Worte über Putin
Merkel, die sich in Australien zuvor zu einem persönlichen Gespräch mit Putin getroffen hatte, sagte, Putin setze auf das Recht des Stärkeren …
Quelle: tagesschau.de “Merkel verliert die Geduld mit Putin”, Jauch ist schon längst …
Und was Staatsfrau und Staatsmann sich zu sagen wussten, blieb unbekannt, auch wenn der Welt-Reporter “Merkel mit Putin ringen” wähnte.
Quelle: Telepolis Nach ARD-Interview – Kanzlerin Merkel rechnet hart mit Putin ab
Quelle: Express.de Ukraine-Krise: Merkel kritisiert Putin ungewohnt scharf
Nach ihrem langen Vieraugengespräch mit Putin besteht offenbar immer … Bundeskanzlerin Angela Merkel hat überraschend deutlich vor …
Quelle: n-tv.de Beim G-20-Gipfel verändert Merkel ihre Putin-Strategie
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihre Strategie im Umgang mit Putin geändert. In Brisbane führte sie am Rande des G-20-Gipfels ein …
Quelle: DIE WELT | Albrecht Müller | Im Folgenden Text wird - mit Bezug auf einen Beitrag vom Montag - die Strategie des Westens im Umgang mit der Ukraine-Krise analysiert, es wird weiter an Hand von kleinen Dokumentationen die Reaktion deutscher Medien auf Putins Interview, auf die Sendung von Jauch vom 16. November und auf Merkels Rede (Anlage 1 und 2) gezeigt, wie einseitig und konfliktfördernd viele Medien sind. Die hier abge ... | [
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] | 21. November 2014 14:24 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=24014&share=email&nb=1 |
Sarrazin: „Deutschland wird immer ärmer und dümmer!“ | Kein Wunder, wenn Leute wie Sarrazin Deutschland systematisch zu verdummen versuchen, müsste man hinzufügen. „Deutschland schafft sich ab“ so heißt das Buch des ehemaligen Berliner Finanzsenators und heutigen Bundesbank-Vorstands und nach wie vor SPD-Mitglieds. Und ein ehemals renommierter Verlag wie die Deutsche Verlagsanstalt, der nun zum Bertelsmann-Verlagsimperium Random House gehört, druckt auch noch ein solches Machwerk. Der Verlag findet es aus Werbezwecken auch passend, dem Blatt, das die niedrigsten Instinkte der Deutschen zu wecken versucht, die Vorabdruckrechte zu geben. Seit gestern wird einem Millionenpublikum mit dicken Balkenüberschriften Sarrazins sozialdarwinistische Infamie eingeimpft. Knapp 90 Prozent der über 36.000, die sich an einer elektronischen Abstimmung beteiligt haben, sind der Meinung: „Ja, Sarrazin legt die Finger in unsere Wunde! Und er hat Recht!“ So dumm sind jedenfalls die sich an der BILD-Umfrage beteiligenden Deutschen schon jetzt. Wolfgang Lieb
Demagogie der Rechtspopulisten Nach der bewährten demagogischen Methode seiner rechtspopulistischen Gesinnungsgenossen, etwa des Niederländers Geert Willders, des französischen Rechtsextremisten Jean-Marie Le Pan oder einige der italienischen Neofaschisten, spielt sich Thilo Sarrazin als der Verkünder schonungsloser Wahrheiten auf, der Alle, die nicht seinen plumpen Parolen folgen, als „Kleingeister“ beschimpft (und damit diese Beschimpfung unverfänglich wirkt, stützt sich Sarrazin auf ein Zitat von Ferdinand Lassalle, einem der Gründer der Sozialdemokratie). Um das Gefühl der Überlegenheit bei seinen deutschen Lesern zu wecken, appelliert Sarrazin an den Stolz der Deutschen; an den „Stolz auf den Fleiß und die Tüchtigkeit seiner Bürger“ in den „wirtschaftlich und gesellschaftspolitisch sehr erfolgreichen Jahrzehnten seit dem Zweiten Weltkrieg“. Die Jahrzehnte dieses Erfolgs hätten aber „die Sehschärfe der Deutschen getrübt für die…Fäulnisprozesse im Innern der Gesellschaft“. Selbstzufriedenheit und „Fäulnis“, Motive, die man schon in Hitlers üblem Machwerk „Mein Kampf“ nachlesen konnte: „Während aus künstlich gehegten Friedenszuständen öfter als einmal die Fäulnis zum Himmel emporstank“, heißt es dort. „Die Deutschen aber schaffen sich allmählich ab“, schreibt Sarrazin und redet dann über die „Nettoreproktionsrate“ von „0,7 oder weniger, wie wir sie seit 40 Jahren haben“. Das bedeute ja nichts anderes, „als dass die Generation der Enkel jeweils halb so groß ist wie die der Großväter“. Wenn die Geburtenzahl weiter so sinke, dann werde die Zahl der Geburten in Deutschland „in 90 Jahren (!)“ bei rund 200.000 bis 250.000 liegen. Und, damit die Angst noch auf den richtigen Feind projiziert wird, fügt Sarrazin hinzu: „Höchstens die Hälfte davon werden Nachfahren der 1965 (!) in Deutschland lebenden Bevölkerung sein“ – also zu der Zeit als unser Land noch reinrassig deutsch war. Katastrophen-Rechnungen Seit Thomas Robert Malthus (1766 – 1834) die Bevölkerungslehre begründet hat, wurden die demografischen Entwicklungen oft in düstersten Farben gemalt. Mal war es die Bevölkerungsexplosion die Angst machen sollte, dann wieder an der Wende zum 20. Jahrhundert die Angst vor der „Entvölkerung“. Wäre es nach den Berechnungen der zu allermeist reaktionären Bevölkerungswissenschaftler gegangen, müssten wir entweder angesichts der von ihnen berechneten Überbevölkerung längst verhungert oder aber mangels Fruchtbarkeit längst ausgestorben sein – Motto: nach dem Mensch kommt der Wolf – das Spiel mit menschlichen Urängsten. Unzweifelhaft gibt es in Deutschland seit dem Baby-Boom der sechziger Jahre des letzten Jahrhunderts eine niedrige Geburtenrate. Aber wenn man auf die derzeitige Geburtenraten in Europa schaut, dann schafft sich nicht nur Deutschland ab, sondern laut Eurostat würden sich dann in Europa 10 andere Länder weit vorher abgeschafft haben, weil sie derzeit niedrigere Geburtenraten haben als wir. Aber was hat eine solche Katastrophen-Rechnung, in 90 Jahren (!) hätten sich „die Deutschen…quasi abgeschafft“ für einen Sinn. Rechnen wir doch einmal genauso schlicht wie Sarrazin dagegen und legen seine „knallharte Analyse“ (Bild) zugrunde: Seit der ersten Hälfte der sechziger Jahre sank in Deutschland die Geburtenzahl von über 1,3 Millionen auf 650.000 im Jahr 2009. Wäre die Geburtenfreudigkeit ungebrochen geblieben, dann hätten wir – vorsichtig gerechnet – mehr als 40 Jahre eine halbe Million Kinder mehr, also 20 Millionen mehr Menschen. Man stelle sich das einmal vor, bei derzeit schon über 3 Millionen statistisch erfassten Arbeitslosen und einer „stillen Reserve“ von 6 bis 7 Millionen Menschen. Man stelle sich vor wie noch viel schlimmer als heutzutage das mit den Kinderbetreuungs- oder Ausbildungsplätzen oder mit dem numerus clausus an den Hochschulen aussähe. Welche Katastrophe wäre das für die zwischenzeitlich mehr geborenen Kinder. Sie werden mir vielleicht vorhalten, meine Rechnung sei blödsinnig. Da haben Sie völlig Recht. Sie ist so blödsinnig, wie die Rechnung von Herrn Sarrazin. Nur ist sie sogar realistischer, als Sarrazins Vorhersage, was in 90 Jahren der Fall sein wird. Hat nicht die Zurückhaltung vieler Familien, Kinder in diese Welt zu setzen, auch etwas mit der Kinderfeindlichkeit unserer Gesellschaft, mit fehlenden Kindergartenplätzen, zu großen Schulklassen, zu wenig Ausbildungs- und Studienplätzen, der hohen Jugendarbeitslosigkeit und der Unsicherheit einen Arbeitsplatz zu bekommen, mit dem man eine Familie auch ernähren kann? Warum ist eigentlich die Geburtenziffer in der ehemaligen DDR von 1,5 im Jahr 1990 auf 0,77 bis 1994 abgesackt und warum liegt sie nach wie vor in den neuen Ländern hinter Westdeutschland? Nach Sarrazin hätte sich Frankreich schon halb abgeschafft und die USA wären verschwunden Und noch etwas: Mit dem ausschließlichen schielen auf die Geburtenziffer, wird von der viel entscheidenderen Frage abgelenkt: Was wäre so schrecklich für unser Land, wenn die Bevölkerung abnähme. Deutschland ist ein sehr dicht besiedeltes Land, 231 Menschen leben pro Quadratkilometer. Im Nachbarland Frankreich sind es weniger als die Hälfte, nämlich 105 Einwohner pro Quadratkilometer. Ist deshalb die „Grand Nation“ schon halb abgeschafft? An die Weltmacht USA mag man gar nicht erst denken, sie müsste nach Sarrazins Berechnungen mit 32 Einwohner pro Quadratkilometer quasi schon verschwunden sein. Beschimpfung der Kritiker Sarrazin bedient sich eines weiteren rhetorischen Tricks aller Demagogen: Er macht seine möglichen Kritiker madig, er wirft ihnen vor, sie stellten Denktabus auf oder sie scheuten die Wahrheit, weil sie Gefangene der politischen (gemeint ist: der demokratischen) Korrektheit. So macht der die Generation der Achtundsechziger madig, weil sie angeblich erst bereit gewesen seien „vernünftig“ über die demografische Entwicklung zu diskutieren, als sie „Angst um ihre Rente bekommen hat“. Sarrazin ist schlicht ignorant oder er setzt auf das schlechte Gedächtnis seiner Leser. Seit Jahren wird mit Modellrechnungen über die Bevölkerungsentwicklung Panik gemacht. Gab es nicht den Bestseller des FAZ-Herausgebers „Das Methusalem-Komplott“, wurde nicht im Fernsehen über den „Aufstand der Alten“ eine furchterregende „Doku-Fiktion“ ausgestrahlt. Hat nicht schon vor 10 Jahren der Spiegel ein Heft mit dem Titel „Raum ohne Volk“ herausgegeben. Schon in den 70er Jahren gab es im Bundeskanzleramt unter Helmut Schmidt ein Referat, das sich mit der demografischen Entwicklung befasste, weil schon damals mit den gleichen Parolen wie heute mit der Bevölkerungspolitik politische (meist „braune“) Süppchen gekocht wurden. Welche Katastrophenszenarien malen uns denn die Miegels, die Raffelhüschens oder die Birgs seit langer Zeit an die Wand, um die Privatisierung der Rente oder die Rente mit 67 zu propagieren? Auf paradoxe Weise hat Sarrazin Recht, eine „vernünftige“ Diskussion war das nie. Sie wurde immer politisch missbraucht. Man denke nur an die aktuelle Diskussion über die Rente mit 67. Neonazistische Argumentationsmuster Geradezu die Tonart der Neonazis schlägt Sarrazin mit dem Satz an: „Manche mögen dieses Schicksal (dass sich die Deutschen quasi abgeschafft hätten, WL) als gerechte Strafe empfinden für ein Volk, in dem einst SS-Männer gezeugt wurden – nur so lässt sich die zuweilen durchscheinende klammheimliche Freude über die deutsche Bevölkerungsentwicklung erklären.“ Das ist ein typisches Argumentationsmuster der Rechtsradikalen, die in Deutschland ein falsches Schuldbewusstsein gegenüber dem NS-Regime unterstellen und damit nicht nur den Nationalsozialismus verklären sondern diejenigen, die sich der Verantwortung gegenüber der unheilvollen Geschichte stellen, als Feinde der Deutschen bzw. des deutschen Volkes verunglimpfen. Die Bild-Zeitung streicht diesen Satz Sarrazins bezeichnenderweise auch noch dick heraus. Rassenhygienische und sozialeugenische Konnotationen Ganz typisch für die Demagogie Sarrazins ist die (mehr oder weniger geschickte) Vermischung von Demografie und Migration. „Die sozialen Belastungen einer ungesteuerten Migration waren stets tabu“, schreibt er, um dann gleich Satz anzuschließen, dass eben die Menschen „intellektuell mehr oder weniger begabt, faul oder fleißiger, mehr oder weniger moralisch gefestigt sind“. Das ist juristisch als Volksverhetzung nicht angreifbar formuliert, aber der Leser wird unter der Hand auf das Feindbild Ausländer gelenkt. So geschickt und subkutan spritzen auch die Funktionäre der Neo-Nazi-Parteien ihr Gift in die Gehirne ihrer Anhänger, wenn sie Hass säen wollen. Neben die rassenhygienischen Anklänge, die von Sarrazin dabei angestoßen werden, treten noch die sozialeugenischen. So spielt Sarazzin auf die längst überholte Mär an, dass „die intelligenteren Frauen weniger oder gar keine Kinder zur Welt bringen“ und wir deshalb „als Volk (?) an durchschnittlicher Intelligenz verlieren“. Mit dieser penetranten, aber frei erfundenen Behauptung Akademikerinnen seien mit 40 oder gar 43 Prozent weit überdurchschnittlich kinderlos, wurde schon das „Elterngeld“ begründet. Dabei liegt die Kinderlosigkeit von Akademikerinnen nur knapp über dem Durchschnitt aller Frauen, nämlich etwa bei 25 Prozent. Bei Abiturientinnen und Hochschulabsolventinnen liegt die Geburtenrate seit einigen Jahren sogar höher als im Durchschnitt. Auch die Legende, dass Migrantinnen mehr Kinder bekämen als die deutsche Frau, ist ja inzwischen zerstört. Frauen der zweiten Migrantengeneration haben sich dem Geburtenverhalten ihrer deutschen Geschlechtsgenossinnen nahezu angepasst. Auch die besondere Abschätzigkeit Sarrazins gegenüber dem Bildungsehrgeiz türkischer Migranten ist ein dummes Vorurteil: Bei gleicher Leistung und sozialer Herkunft wechseln türkische Kinder sogar häufiger auf Realschule oder Gymnasium als deutsche. Die Justiziare der Deutschen Verlagsanstalt werden es verhindert haben, dass Sarrazin nicht wie in früheren spontanen Äußerungen ausdrücklich die „kleinen Kopftuchmädchen“ oder die weniger gebildeten Zuwanderer „aus der Türkei, dem Nahen und Mittleren Osten und Afrika“ nennt. Aber der geneigte Leser kann sich denken, wer gemeint ist: die Unterschicht und die Zuwanderer, vor allem aus der Türkei. So wenn Sarrazin etwa schreibt: „So wurde viel zu lange übersehen, dass die Alterung und Schrumpfung der deutschen Bevölkerung einhergeht mit qualitativen Veränderungen in deren Zusammensetzung. Über die schiere Abnahme der Bevölkerung hinaus gefährdet vor allem die kontinuierliche Zunahme der weniger Stabilen, weniger Intelligenten und weniger Tüchtigen die Zukunft Deutschlands.“ Der gestrige Auszug aus dem Buch Sarrazins schließt mit dem Satz:
„Ich glaube, dass wir ohne einen gesunden Selbstbehauptungswillen als Nation (!) unsere gesellschaftlichen Probleme nicht lösen werden.“ Alles schon einmal dagewesen „Denn sowie erst einmal die Zeugung als solche eingeschränkt und die Zahl der Geburten vermindert wird, tritt an Stelle des natürlichen Kampfes um das Dasein, der nur den Allerstärksten und Gesündesten am Leben lässt, die selbstverständliche Sucht, auch das Schwächlichste, ja Krankhafteste um jeden Preis zu „retten”, womit der Keim zu einer Nachkommenschaft gelegt wird, die immer jämmerlicher werden muss, je länger diese Verhöhnung der Natur und ihres Willens anhält.
Das Ende aber wird sein, dass einem solchen Volke eines Tages das Dasein auf dieser Welt genommen werden wird…“. Nein, das letzte Zitat war nicht von Sarazzin, sondern von Hitler. Aber wo liegt der Unterschied? Sarrazin ist nicht nur selbst dumm und will mit seinem Buch die Deutschen auf sein Niveau von Dummheit ziehen, was noch viel schlimmer ist: Er ist gefährlich gerade für die Deutschen. Und die Bild-Zeitung trägt zur Verbreitung dieser Gefahr bei. | Wolfgang Lieb | Kein Wunder, wenn Leute wie Sarrazin Deutschland systematisch zu verdummen versuchen, müsste man hinzufügen. „Deutschland schafft sich ab“ so heißt das Buch des ehemaligen Berliner Finanzsenators und heutigen Bundesbank-Vorstands und nach wie vor SPD-Mitglieds. Und ein ehemals renommierter Verlag wie die Deutsche Verlagsanstalt, der nun zum Bertelsmann-Verlagsimperium Random House gehört, druc ... | [
"Bertelsmann",
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"Sarrazin, Thilo",
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"Anti-Islamismus",
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Naher Osten | Scott Horton – Chefredakteur von Antiwar.com, der wichtigsten Antikriegsplattform in den USA – gehört zu den profundesten Kritikern der US-dominierten westlichen Außenpolitik. Sein neues Buch „Provoked: How Washington Started the New Cold War with Russia and the Catastrophe in Ukraine” ist ein Meilenstein: Auf 900 Seiten seziert er die Vorgeschichte des Ukraine-Kriegs als Ergebnis jahrzehntelanger westlicher Provokationen. Wer die Komplexität des Konflikts verstehen will, kommt an diesem Werk nicht vorbei – eine ausführliche Besprechung finden Sie hier. Im Interview analysiert Horton wichtige Aspekte der NATO-Osterweiterung, die Einmischung des Westens in die russische Politik der 1990er-Jahre und die fünf Schlüsselkriege – Bosnien, Kosovo, Tschetschenien, Georgien und Syrien –, die Russlands Trauma einer „Einkreisung“ zementierten. Das Gespräch führte Michael Holmes am 31. März 2025. | [] | [] | 28. April 2025 11:34 | https://www.nachdenkseiten.de/?tag=naher-osten |
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Aus Verzweiflung erbrüteter Sprengstoff | Anmerkungen und Fragen zur Messerattacke im Jobcenter von Neuss.
Man müsste den Neusser Fall zum Gegenstand einer gründlichen Recherche machen. Wir könnten, sollten und müssten aus ihm lernen. Wo sind die Repräsentanten einer engagierten Literatur, die sich eines solchen Geschehens annehmen?
Es geht nicht darum, den Täter zu exkulpieren. Eine Tat verstehbar werden zu lassen, ist etwas anderes, als sie und den Täter zu entschuldigen.
Schon ist davon die Rede, es sollten Barrieren zwischen Mitarbeitern und Kunden errichtet sowie Fluchtwege ausgebaut werden. Auch der Einsatz von qualifiziertem Sicherheitspersonal in “sensiblen” Verwaltungsbereichen wird diskutiert.
Eine Gesellschaft, der es ernst wäre mit dem Gedanken der Prävention, würde jenseits der und unabhängig von den Zwängen und Begrenzungen der juristischen Wahrheitsfindung umgehend ein interdisziplinäres Forschungsprojekt auf den Weg bringen, dessen Aufgabe es wäre, all das auszuleuchten, was vom Gericht als „nicht zur Sache gehörig“ erklärt und außer Acht gelassen wird. Es hätte den gesellschaftlichen Hintergründen und psycho-sozialen Bedingungen der Möglichkeit dieser Tat rückhaltlos auf den Grund zu gehen. Von Götz Eisenberg [*]
Am Morgen des 26. September 2012 betrat der 52 Jahre alte Ahmed S. das Jobcenter in Neuss. Der aus Marokko stammende Mann bezog dort seit einiger Zeit Hartz IV. Obwohl er keinen Termin vereinbart hatte, begab er sich ohne Umschweife in das Büro seiner Beraterin. Als er es verließ, lag die Frau, von Messerstichen tödlich getroffen, am Boden. Der Notarzt wurde gerufen, aber der Frau konnte nicht mehr geholfen werden. Sie erlag im Krankenhaus ihren schweren Verletzungen. Sie hinterlässt ihren Ehemann und einen zweijährigen Sohn. Die Polizei vermutet inzwischen, dass die Beraterin eher zufällig Opfer der Messerattacke wurde. Der Mann habe kurz vor der Tat eine Datenschutzerklärung für das Jobcenter unterschrieben und nun den Verdacht gehegt, dass Missbrauch mit seinen Daten getrieben werden könnte. Ein Fernsehbeitrag habe seinen Argwohn geweckt und er habe wegen dieser Befürchtungen nächtelang nicht schlafen können. Deswegen wollte er sich am Tattag eigentlich den Mitarbeiter vorknöpfen, bei dem er die Erklärung unterschrieben hatte. Da er diesen nicht antraf, betrat er das Büro der Mitarbeiterin Irene N. Arbeitsämter heißen seit einigen Jahren Jobcenter, ihre Klienten Kunden. Das soll etwas freundlicher klingen, ändert aber nichts daran, dass Jobcenter für viele Arbeitslose Orte der Demütigung, Kränkung und Beschämung sind. Die semantischen Waschstraßen, durch die wir in letzter Zeit unangenehme soziale Phänomene laufen lassen, spülen sie äußerlich rein und polieren die Oberfläche auf, hinter der die Lage der Betroffenen selbst unverändert fortbesteht. Die alten Begriffe waren ehrlicher, indem sie den Gewaltgehalt der dahinter stehenden sozialen Phänomene aufbewahrten und auch zum Ausdruck brachten. In Jobcentern wird das Scheitern verwaltet, hier werden Menschen, die vielfach unter großen lebensgeschichtlichen Entbehrungen Qualifikationen erworben haben, die irgendwann nicht mehr nachgefragt werden, zu Nummern und Fällen verdinglicht und zu Objekten irgendwelcher Maßnahmen gemacht. Es geht ja, wenn Arbeit verloren geht, viel mehr verloren als Arbeit. Ein Mensch büßt seine Würde ein, er wird ent-gesellschaftet und droht, wenn ihn keine sozialen und emotionalen Netze auffangen, aus der Welt zu fallen. Der Arbeitslose stirbt einen sozialen Tod. So darf es uns eigentlich nicht wundern, dass es in Einrichtungen wie diesen immer häufiger zu unschönen Szenen, verbalen Attacken und Beschimpfungen und sogar zu gewalttätigen Angriffen auf Angestellte kommt. Vor allem seit im Zuge der nach Herrn Hartz benannten Reformen nicht mehr vorrangig gefördert, sondern gefordert wird, ist das Klima spürbar rauer geworden. Die Süddeutsche Zeitung erinnert am 28. September 2012 daran, dass allein im vergangenen Jahr drei schwere Gewalttaten in Jobcentern bekannt wurden. So hat ein Mann in Berlin das Büro eines Sachbearbeiters mit einer Axt kurz und klein geschlagen. Grausamkeit, heißt es bei Nietzsche, ist die Rache des verletzten Stolzes. In unsere heutige Sprache übersetzt heißt das: Der menschliche Narzissmus kann zu einer hochbrisanten, destruktiven Kraft werden, vor allem dann, wenn wir ihn ignorieren. Das Bedürfnis nach Reparatur eines durch erlittene Kränkungen beschädigten Selbstwertgefühls ist mitunter so drängend, dass archaische Racheimpulse und eine Wut freigesetzt werden, die den eigenen Untergang in Kauf nehmen. Gegen eine drohende narzisstische Katastrophe scheint Kampf mit allen Mitteln geboten. Motive und Hintergründe von Taten wie die von Neuss werden sich uns nur dann annähernd erschließen, wenn wir die Rückschläge des niedergedrückten Lebens und des verletzten Stolzes in unsere Überlegungen einbeziehen. Wie verzweifelt muss ein Mann und Vater von drei Kindern gewesen sein, dass er sich zu einer solchen schrecklichen Tat entschloss? Die Sorge wegen des möglichen Datenmissbrauchs mutet übersteigert, vielleicht sogar paranoid an. Aber in Zeiten tiefgehender lebensgeschichtlicher Krisen fällt es oft schwer, den Kopf über der Wasseroberfläche der Realität zu behalten und man ist anfällig für Wahrnehmungsverzerrungen und übersichtliche Freund-Feind-Verhältnisse. Welcher Dialog hat sich zwischen der Beraterin und dem Mann abgespielt? An der Grenze der Kulturen und Mentalitäten ist das Gelände vermint und voller Fallstricke. Die Nerven liegen blank und die Chance, missverstanden zu werden und dadurch eine ungeahnte Eskalation der Gewalt heraufzubeschwören, ist groß. Was hat letzten Endes seine Wut von der Leine gelassen? Wie lang trug er das oder die Messer schon bei sich? Wie stand es angesichts des dramatischen Niedergangs des einstigen Bauern um seine Selbstachtung und Würde? Schämte er sich vor seinen Kindern? Wie hat er das Scheitern seiner Ehe und die Trennung von seiner Frau verkraftet? „Ehre“, „Stolz“ und „Schande“ sind in muslimischen Ländern Kategorien von einer Bedeutung, die sich uns Westeuropäern nur schwer erschließt. Hass und Selbsthass sind oft wie zu einem Zopf verflochten und können sich als Mord, Selbstmord oder auch beidem zusammen, als erweiterter Suizid entäußern. Wenn die Klinge des ersten Messers nicht abgebrochen wäre, für wen war das zweite Messer ursprünglich gedacht? Wie oft hat der Mann schon seinen Strick geölt und auf dem Dachboden über einen Balken geworfen? Es werden meist mehrere Menschen getötet, wenn ein Mensch umgebracht wird. Wer war noch oder eigentlich gemeint? Es kommt vor, dass jemand, ohne es zu beabsichtigen und ohne es zu ahnen, eine weit zurückliegende Kränkung aktiviert und dadurch zum Double eines anderen wird, der einmal eine Schlüsselfigur in einer als traumatisch erlebten Szene gewesen ist. Gerade bei scheinbar motivlosen Taten stößt man bei näherem Hinsehen auf solche Energieverschiebungen und affektiven Fehlschlüsse, die zu Erregungen am falschen Ort und gegen versetzte Objekte führen. Wie ein Verstärker schließen sich uralte Kränkungserfahrungen und Traumatisierungen an aktuelle Unlust- und Kränkungserfahrungen an. Das Opfer steht mitunter symbolisch für die Summe der erlittenen Kränkungen und lebensgeschichtlich akkumulierten Enttäuschungen. Das sind alles bloß Spekulationen, Fragen und vage Möglichkeiten. Man müsste den Neusser Fall zum Gegenstand einer gründlichen Recherche machen. Wir könnten, sollten und müssten aus ihm lernen. Wo sind denn die Repräsentanten einer engagierten Literatur, die sich eines solchen Geschehens annehmen, die Hintergründe ausleuchten, die Motive des Mannes fassbar machen – wie es beispielsweise Alfred Döblin, Thomas Brasch oder Georg Büchner in seinem Dramenfragment Woyzeck getan haben? Was trieb den Perückenmacher Johann Christian Woyzeck am 3. Juli 1821 dazu, die Witwe Woost zu erstechen? Büchner liest über ein Jahrzehnt später über den Fall in einer medizinischen Zeitschrift und gibt sich mit den dort präsentierten Erklärungen nicht zufrieden. Der Mann wurde von einem zu Rate gezogenen Gutachter trotz massiver Hinweise auf eine wahnhafte Entwicklung für schuldfähig erklärt und 1824 auf dem Leipziger Marktplatz hingerichtet. Wenn er wirklich in den Bann eines Wahns geraten war, der ihn die Tat begehen ließ, was hat Woyzeck in den Wahnsinn getrieben? Erzeugen nicht soziale Umstände das, was man Umnachtung nennt? Auch wenn einer paranoid ist, heißt das nicht, dass sie nicht hinter ihm her sein können, hat viel später irgendjemand in der Sprache des 20. Jahrhunderts gesagt. Die Frage der sozialen Verursachung solcher Taten wird gestellt, die gesellschaftliche Lage des Täters ins Kalkül einbezogen. Es entstehen aus einer Mischung von Realität und Fiktion die Fragmente eines bis heute faszinierenden und erhellenden Theaterstücks. „Jeder Mensch ist ein Abgrund; es schwindelt einem, wenn man hinabsieht“, schreit Woyzeck heraus. Büchner lehrt uns zu fragen: Wie wird ein Mensch zum Straftäter? Was war aus ihm geworden, ehe er zum Straftäter wurde? Was ist der Straftäter noch, außer Straftäter? Und dann auch: Was wird aus einem Straftäter nach seiner Verurteilung? Fragen, die man gewöhnlich nicht stellt, weil sie die Exklusion des Straftäters aufheben, ihn innerhalb des Menschlichen situieren und als uns Ähnlichen kenntlich machen. Joke Frerichs hat am 28. Februar 2008 auf den NachDenkSeiten ein aktuelles Beispiel für eine solche Recherche geliefert, als er unter dem Titel Tod auf dem Hochsitz versuchte, die Geschichte eines 58 Jahre alten Mannes zu rekonstruieren, der sich, nachdem er seine Arbeit verloren hatte, auf einem Hochsitz zu Tode gehungert hatte. Eine Gesellschaft, der es ernst wäre mit dem Gedanken der Prävention, würde jenseits der und unabhängig von den Zwängen und Begrenzungen der juristischen Wahrheitsfindung umgehend ein interdisziplinäres Forschungsprojekt auf den Weg bringen, dessen Aufgabe es wäre, all das auszuleuchten, was vom Gericht als „nicht zur Sache gehörig“ erklärt und außer Acht gelassen wird. Es hätte den gesellschaftlichen Hintergründen und psycho-sozialen Bedingungen der Möglichkeit dieser Tat rückhaltlos auf den Grund zu gehen. Ernsthaft betriebene Prävention muss, wie schon Franz von Liszt wusste, eine soziale sein und dürfte sich nicht in polizeilichen und technischen Maßnahmen erschöpfen. Schon ist davon die Rede, es sollten Barrieren zwischen Mitarbeitern und Kunden errichtet sowie Fluchtwege ausgebaut werden. Auch der Einsatz von qualifiziertem Sicherheitspersonal in “sensiblen” Verwaltungsbereichen wird diskutiert. Einem solchen Forschungsprojekt müsste die Freiheit eingeräumt werden, an die Wunden zu rühren, die die bestehende Gesellschaft und die in ihr herrschende Form der Produktion und Reproduktion des Lebens den Menschen zufügt. Eine gründliche Erforschung des Neusser Falls wird die Zwischenglieder ans Licht befördern, die aus einem Arbeitslosen einen Mörder oder Totschläger werden ließen und über die ich einstweilen nur Vermutungen anstellen und im Konjunktiv sprechen kann. Die Resultate, die ein solches Forschungsprojekt zeitigen würde, müssten in die Form eines gesellschaftlichen Lehrstücks gebracht werden, das man im wahrsten Sinn des Wortes unters Volk bringen und das von ihm verstanden werden könnte. Um einem verbreitetem und immer wieder vorgebrachtem Missverständnis vorzubeugen, sei darauf hingewiesen: Es geht nicht darum, Ahmed S. zu exkulpieren. Eine Tat verstehbar werden zu lassen, ist etwas anderes, als sie und den Täter zu entschuldigen. Ahmed S. hat die Tat begangen und wird die Verantwortung dafür übernehmen müssen. Es sei denn, er hätte im Zustand eines Wahns gehandelt, also im Bann eines von ihm nicht beherrschbaren Zwangs, der ihm keine Möglichkeit ließ, sich anders zu entscheiden. Dennoch sollte, wer immer sich ein soziales Gewissen durch die eisigen neoliberalen Zeitläufte hindurch gerettet hat, sich hüten, den Tätern das individuell und ausschließlich als Schuld anzurechnen, was ihnen von außen zustößt und das ohne kompakt falsche gesellschaftliche Verhältnisse nicht möglich wäre. Nochmal anders formuliert: Die gesellschaftlichen Verhältnisse für sich genommen tun nichts, aber ohne sie wären Taten wie diese nicht möglich. Wir sollten uns auch und gerade anlässlich eines solchen Falles Gedanken darüber machen, ob es nicht höchste Zeit wird, gesellschaftliche Verhältnisse herzustellen, die den einzelnen weniger Wunden zufügen und ihnen weniger Bosheit und Gemeinheit einpressen, die sich dann häufig gegen versetzte Objekte, die als Sündenböcke fungieren, wenden. Wir sollten also den Blick in die Abgründe unserer Gegenwart wagen. Das wäre gleichzeitig auch die beste Form der Prävention für Mitarbeiter von Jobcentern, Sozialämtern und anderen Institutionen, die man noch so häufig in Deeskalationstechniken schulen kann, solange sie die Dynamik des gekränkten Stolzes nicht verstehen und nicht begreifen, was sie Menschen – meist ohne es zu wollen und zu wissen – qua Amt und der Logik bürokratischen Handelns antun. Das einzige Mittel gegen die bürokratische Kälte der Reduktion von Menschen auf Fälle, mit denen unter allen Umständen soundso zu verfahren ist, ist Mitgefühl, das immer Sensibilität für besondere Umstände voraussetzt. Es gibt Institutionen, die gleichsam Stolz-Vernichtungs-Maschinen sind und deswegen immer dicht an der Kränkungswut siedeln. In ihnen wird aus Verzweiflung erbrüteter Sprengstoff gelagert, und manchmal genügt eine kleine Reibung oder Erschütterung, um ihn scharf zu machen und eine Explosion auszulösen. Das Unkontrollierbare ist stets gegenwärtig und lauert dicht unter der Oberfläche angepassten Verhaltens. „Menschen, die etwas nicht mehr aushalten, ertragen es oft noch lang“, hat Alexander Kluge in einem seiner Filme gesagt, bis eines Tages ein für sich genommen läppisches Ereignis, eine harmlos aussehende Kränkung das Fass zum Überlaufen bringt. Der Status von Gerichtsvollziehern scheint noch prekärer. Ich erinnere an den Fall in Karlsruhe, wo im Juli 2012 ein von Zwangsräumung bedrohter 53-jähriger Mann den Gerichtsvollzieher, zwei seiner Begleiter und seine Lebensgefährtin umgebracht und sich dann selbst erschossen hat. Das Paar hatte die Hausumlage für die Eigentumswohnung nicht mehr bezahlen können und ihre Wohnung war deswegen zwangsversteigert worden. Als der neue Eigentümer mit dem Gerichtsvollzieher anrückte, bat der Mann die Leute in die Wohnung, holte dann eine Pistole herbei und erschoss zunächst die Männer und seine Frau und schließlich sich selbst. Die Ermittler sprachen von einer Hinrichtung. In der hessischen Kleinstadt Wetzlar eröffnete im Mai 2002 ein 80-jähriger Mann das Feuer auf den Gerichtsvollzieher und Möbelpacker, die auf richterliche Anordnung seine Wohnung räumen sollten. Er verletzte niemand, zog sich in die Wohnung zurück, wo er sich selbst erschoss. Er habe durch die angedrohte Räumung „sein Gesicht verloren“, hatte er zuvor seinem Rechtsanwalt gesagt. Nicht immer sind es Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Institution, die zu Opfern werden. Im Mai 2011 hat eine Polizistin in einem Frankfurter Jobcenter eine 39-jährige Frau erschossen, die dort randaliert und ihren Kollegen mit einem Messer attackiert hatte. Die Süddeutsche Zeitung hat am 14. Juli 2012 unter der Überschrift Tod im Amt [PDF – 210 KB] über die Hintergründe dieser Tat berichtet. Wenn meine These von den Institutionen, in denen der aus psycho-sozialer Verzweiflung stammende Sprengstoff zwischengelagert wird, richtig ist, muss man sich wundern, dass es nicht häufiger zu solchen Taten kommt. Das kann nur an immer noch wirksamen verinnerlichten Hemmungen liegen und daran, dass die meisten Arbeitslosen gelernt haben, sich selbst die Schuld an ihrer Malaise zuzuweisen. Die Sozialisation im Rahmen herkömmlicher Familien führt zur Ausbildung einer “inneren Selbstzwangapparatur” (Norbert Elias), die dafür sorgt, dass die Menschen sich in ihr oft trostloses Schicksal fügen und eher ein Leben in stiller Verzweiflung führen als sich aufzulehnen. Sie haben, wie Heinrich Heine bemerkte, den Stock, mit dem man sie geschlagen hat, verschluckt und wenden die Aggressionen, die das niedergedrückte und an der Entfaltung gehinderte Leben in ihnen hervorruft, gegen die eigene Person. Ihre Wut wird in der Watte verinnerlichten Hemmungen stumpf. Auch wenn hierzulande der Modus der Reprivatisierung sozialer Konflikte noch vorherrscht, heißt das keineswegs, dass das in Zukunft so bleiben wird. Vieles deutet darauf hin, dass angesichts der rapiden Erosion der Familie und der durch sie gewährleisteten Sozialisation der nachwachsenden Generationen das Zeitalter der Verinnerlichung der Aggression seinem Ende entgegengeht. Die vom Neoliberalismus propagierte Flexibilisierung tut ein Übriges. Der flexible Mensch (Richard Sennett) soll sich von Traditionen lösen, sein Fähnchen nach dem Marktwind hängen, Bindungen kappen und alte Hemmungen ablegen – damit er allseits kompatibel und zu allem fähig wird. So ist denn auch. Da können Eltern, Erzieher und Lehrer Aggressionshemmungen aufbauen so viel sie wollen, sie werden von den Medien, der Freizeitindustrie und den Verhaltensimperativen der Konsumgesellschaft postwendend wieder zerstört. Wenn die Verwandlung von „Fremdzwängen in verinnerlichte Selbstzwänge“ nicht mehr mit ausreichender Zuverlässigkeit stattfindet, obendrein immer mehr Menschen sozial desintegriert sind und wachsende Teile der jungen Generationen ohne jede Perspektive bleiben, ist damit zu rechnen, dass es in Zukunft vermehrt zu unkontrollierten Trieb- und Impulsdurchbrüchen kommt, die im Extremfall die Form der raptusartigen Aggressionsentladung und des Amoklaufs annehmen können. Die sogenannten Riots in englischen Großstädten haben uns letztes Jahr einen Vorgeschmack dessen geliefert, was auch auf uns zukommen könnte. | Götz Eisenberg | Anmerkungen und Fragen zur Messerattacke im Jobcenter von Neuss.
Man müsste den Neusser Fall zum Gegenstand einer gründlichen Recherche machen. Wir könnten, sollten und müssten aus ihm lernen. Wo sind die Repräsentanten einer engagierten Literatur, die sich eines solchen Geschehens annehmen?
Es geht nicht darum, den Täter zu exkulpieren. Eine Tat verstehbar werden zu lassen, ist etwas andere ... | [
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] | 10. Oktober 2012 10:10 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=14691&share=email |
Vortrag und Diskussion im Hofbräuhaus in München | Zu Gast bei einer Öffentlichen Tagung der GEW Bayern ist Albrecht Müller am Freitag, den 29.Februar. Thema: Die Mythen von Politik und Wirtschaft.
Mehr… | Albrecht Müller | Zu Gast bei einer Öffentlichen Tagung der GEW Bayern ist Albrecht Müller am Freitag, den 29.Februar. Thema: Die Mythen von Politik und Wirtschaft.
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] | 27. Februar 2008 8:18 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=3016&share=email |
Die Einkesselung – Für Aktion gegen Venezuela und Übernahme von Luftwaffen-Stützpunkt landet Trumps Verteidigungsminister nur Stunden vor Kandidatur-Anmeldung Lula da Silvas in Brasilien | Inmitten von Massenprotesten gegen die seit 100 Tagen andauernde Inhaftierung von Altpräsident Luiz Inácio Lula da Silva – erneuter Favorit der gerade angelaufenen Kampagne für die am 7. Oktober stattfindenden Präsidentschaftswahlen – landete am Sonntag, dem 12. August, Präsident Trumps Pentagon-Chef, General James Mattis, zu einem zweitägigen Besuch in Brasilien, von wo aus der US-Verteidigungsminister zur Fortsetzung seiner Gespräche nach Argentinien, Chile und Kolumbien weiterreist. Ein Bericht von Frederico Füllgraf.
Als förmliche Begründung für den Besuch, dem seit Trumps Amtseinführung immerhin drei politische Blitzvisiten von Vizepräsident Mike Pence in Südamerika vorausgingen, steht die vom Weißen Haus ausgegebene Devise “2018, das Jahr Amerikas”, in dem „die festen Verteidigungsbeziehungen des Departements mit Brasilien, Argentinien, Chile und Kolumbien“ hin zu einer „kollaborativen, prosperierenden und sicheren westlichen Hemisphäre“ gewürdigt werden sollen. „Ist Lula ein politischer Gefangener der USA?“ Nicht nur die politischen Hintergründe werfen Fragen über Mattis‘ eigentliche Absichten auf. Allein aus der Perspektive des politischen Anstands, insbesondere des Respekts vor den innerbrasilianischen Umständen, darf der zeitgünstige Charakter des Besuchs stark bezweifelt werden. Es sei denn, gerade der Besuch soll die Umstände, etwa die gerade begonnene Wahlkampagne beeinflussen; im ungünstigsten Fall militärische Einbindungen mit den USA forcieren, die eine neugewählte brasilianische Regierung nicht ohne weiteres ignorieren kann. Mattis landete in Brasilien während der am Wochenende verbreiteten Meldung über Bundesrichter Gebran Neto, der zugegeben hat, mit der Unterlassung der Anordnung seines Richter-Kollegen Rogério Favreto, Lula vor ca. drei Wochen auf freien Fuß zu setzen, das Gesetz gebrochen zu haben. Der US-General gastiert jedoch auch in Brasilien knapp zwei Tage vor der Registrierung der Präsidentschafts-Kandidatur Lula da Silvas. Tausende Bauern und Landarbeiter der Bewegung der Landlosen (MST) brachen deshalb am vergangenen 10. August in verschiedenen Landesteilen Brasiliens zu einem nationalen Fußmarsch mit Kurs auf die Hauptstadt Brasilia auf, wo sie am 15. August – der letzten Frist zur Anmeldung von Bewerbungen für die für den 7. Oktober angesetzten allgemeinen Wahlen – das Oberste Wahlgericht (TSE) umstellen wollen, das über Zulassung oder Ablehnung der Präsidentschaftskandidatur des in Haft befindlichen Altpräsidenten entscheiden wird. An dem ansehnlichen Marsch beteiligen sich ferner die “Frente Brasil Popular” (Volksfront Brasiliens) als Zusammenschluss hunderter sozialer Bewegungen, die politischen Parteien des linken Wahlbündnisses um Lula – darunter die kommunistische PCdoB und die sozialistische PSB – Gewerkschaftszentralen und Jugendbewegungen, die den 15. August im Bundesdistrikt Brasilia zum „Nationalen Kampftag ‚Lula Frei!‘ ” erklärt haben. Doch in Brasilien überstürzen sich Sensationen und Hiobsbotschaften. Als Hiobsbotschaft wirkte auf das in- und ausländische konservative Lager die zwischen dem 18. und 20. Juli durchgeführte jüngste Wählerumfrage des Meinungsforschungs-Instituts VoxPopuli, die Lula mit 41 Prozent als absoluten Favoriten der Wählerpräferenzen und einem mehr als 20-prozentigen Vorsprung gegenüber dem Kandidaten der extremen Rechten, Hauptmann a.D. Jair Bolsonaro, platziert. Die Sensation: Die Rechnung von Justiz, Medien und Finanzmarkt, die sich mit Lulas Inhaftierung eine Vernichtung seiner Kandidatur durch Wählerabwanderung versprachen, ging nicht auf. Es passierte das Gegenteil. Obwohl der Altpräsident seit mehr als 100 Tagen in Haft sitzt, scheint der Solidarisierungseffekt in drei Monaten mindestens 15 Prozent Wählerzustrom befördert zu haben. Damit setzte sich der Spürsinn und die darauf aufbauende, in breiten Kreisen der Arbeiterpartei (PT) zwar umstrittene, letztlich doch siegreiche Strategie Lulas durch, der trotz zweitinstanzlicher Verurteilung deshalb bis zuletzt auf seiner Kandidatur beharrte, weil er sich von der weltweiten Kampagne “Free Lula!” massiven Wählerzulauf versprach und im Fall einer endgültigen, gerichtlichen Untersagung seiner Wahlaufstellung durch das TSE seinem inzwischen nominierten Stellvertreter Fernando Haddad ein Maximum an potenziellen Stimmen übertragen könnte. Zwar gab sich Vox-Populi-Geschäftsführer Marcos Coimbra optimistisch mit seiner Erklärung gegenüber brasilianischen Medien, wonach „Lula die erste Wahlrunde gewinnen und Haddad als Sieger der Stichwahl hervorgehen wird “. Was allerdings kein Wahlfachmann gern kommentiert und zu beantworten weiß, ist die Frage, wie sich das massive Lager der 55 Prozent unentschiedener Wähler am 7. Oktober verhalten wird, die sich zu keinem der sieben Präsidentschaftskandidaten bekennen. Der heiße Krieger Mattis und die Geopolitik James Mattis ist General a.D. des US-Marine Corps und befehligte während der Amtszeit von Barack Obama als 11. Kommandeur das US-Central Command. Von 2007 bis 2010 diente Mattis gleichzeitig als Oberster Alliierter Befehlshaber der NATO, bevor er General David Petraeus als Kommandeur des US-Central Command ablöste. Seine eigentliche Karriere verdankt Mattis nicht Sitzungstischen und der Bürokratie, sondern den US-Kriegen in Fern- und Mittelost. Während des Irak-Krieges befehligte er den I. Marine Expeditionary Force, ferner den US-Marine Forces Central Command und die 1st. Marine Division. Weniger bekannt für „markige“ als für hasserfüllte und Gewalt predigende Sprüche wie „Sei der Jäger, nicht der Gejagte“, „Das US-Militär versucht tödlicher zu wirken, auch im Weltraum“, „Der Iran ist kein Nationalstaat, sondern eine revolutionäre Angelegenheit, die dem Chaos gewidmet ist“, und „Putin geht nachts ins Bett und weiß, dass er alle Regeln brechen kann, die der Westen allesamt befolgen wird“, spielte Mattis eine Schlüsselrolle bei den Kampfhandlungen in Falludscha sowie mit der Beteiligung an der Planung der nachfolgenden Operation Phantom Fury. Seinen Spitznamen „Mad Dog“ verdankt der General der Anordnung eines Massakers. Im Mai 2004 befehligte er um 3:00 Uhr morgens die Bombardierung eines mutmaßlichen, „feindlichen Sicherheitsverstecks“ nahe der syrischen Grenze, die zum Tod von 42 Zivilisten führte und weltweit als das Massaker der Mukaradeeb-Hochzeitsgesellschaft bekannt wurde. Als Leiter des US-Zentralkommandos überwachte Mattis schließlich die Kriege im Irak und in Afghanistan. Was sucht Mattis auf seiner Südamerika-Tour? Mattis pflegt dreierlei Obsessionen. Die erste heißt Iran. Laut Leon Panetta, Mattis Vorgänger, schenkte die Obama-Administration „Mad Dog“ deshalb wenig Vertrauen, weil er als „Hitzkopf“ eine militärische Konfrontation mit dem Iran vom Zaun brechen wollte. Mattis glaubt, dass der Iran vor Al-Qaida und ISIS die größte Bedrohung für die Stabilität im Nahen Osten darstellt und wagt Sätze wie: „Ich halte ISIS für nichts weiter als eine Entschuldigung dafür, dass Iran seinen Unfug fortsetzt.“ Seine zweite Feindbestimmung heißt Russland. Auf einer von der The Heritage Foundation in Washington im Jahr 2015 gesponserten Konferenz behauptete Mattis, die Absicht Wladimir Putins sei, „die Nato auseinanderzubrechen”. Noch am 16. Februar 2017 legte er nach: „Trotz Russlands Dementis wissen wir, dass sie versuchen, mit Gewalt neue internationale Grenzen zu ziehen, indem sie die souveränen und freien Nationen Europas untergraben.” Chinas Operationen im Südchinesischen Meer und sein Aufstieg zum wichtigsten Handelspartner und Großprojekte-Förderer in Lateinamerika ist des Pentagon-Chefs dritte Zwangsvorstellung. Als erste öffentliche Erklärung während seines Auftritts forderte der Pentagon-Chef laut und ungeniert eine „größere Distanzierung Brasiliens von China“. Die USA versuchen ihren politischen, wirtschaftlichen und militärischen Einfluss zurückzugewinnen, den sie in den vergangenen 15 Jahren in Lateinamerika an China als mächtigsten Handelspartner der Region verloren haben. Allein 2017 nahm das Handelsvolumen zwischen Lateinamerika und China um 20 Prozent zu – ein bedrohliches Szenario für die US-Regierung, die bereit ist, die kommerzielle Expansion des asiatischen Giganten mit allen Mitteln zu drosseln. Mattis‘ Aufforderung an Brasilien macht zum einen deutlich, dass die Trump-Administration Lateinamerika in ihren aggressiven Handelskrieg mit China und der EU involvieren wollen. China hatte kürzlich die USA wissen lassen, dass ihr Embargo von Agrargütern durch lateinamerikanische Lieferungen ersetzbar ist. Zum anderen signalisiert Mattis‘ Entsendung nach Südamerika eine neue Qualität im weltweiten Handelsdisput: seine Militarisierung. Unter dem Vorwand, China betreibe auch eine „aggressive Waffenexport-Politik in Lateinamerika“, die allerdings bei weitem nicht an den Umsatz des US-Waffenexports in die Region heranreicht, befeuern die USA nicht nur den Handels- und Investitionskrieg, sondern nötigen parallel dazu lateinamerikanische Regierungen zu Waffenkäufen in den US-Arsenalen, mit der gleichzeitigen Einbindung der Streitkräfte der Region in ihre geopolitischen Strategie-Manöver. Der Alcântara-Stützpunkt zur elektronischen Kontrolle von Karibik und Südatlantik Die Mattis Besuchs-Agenda verfolgt in Wahrheit drei strategische Ziele. Zum einen, verbindliche Absprachen von harten Operationen gegen Venezuela, die in drei Besuchen von Mike Pence den südamerikanischen „Partnern“ aufgenötigt, jedoch bisher nicht befolgt wurden. Zum anderen, militärische „Kooperation“ mit massiven Waffenlieferungen an Brasilien, Argentinien, Chile und Kolumbien und Unterordnung deren Streitkräfte unter das US-Militärkommando. Von herausragender Bedeutung ist jedoch die Vorbereitung der Vertragsunterzeichnung zur Übernahme des Luftwaffen-Stützpunktes mit Raumfahrt-Basis Alcântara durch die USA, an der Schnittlinie zwischen Nord- und Südatlantik, im brasilianischen Maranhão. Glaubt man brasilianischen Medienberichten, geht der Druck für die Übernahme allerdings von der De-facto-Regierung Michel Temer und ihren US-freundlichen Generälen aus. Laut O Globo „wertet Brasilien Verhandlungen über die Alcântara-Basis als Priorität beim Besuch des US-Sekretärs“. In diesem Sinne forderte der brasilianische Verteidigungsminister, General a.D. Joaquim Silva e Luna, Mattis dazu auf, so bald wie möglich ein technisches Schutzabkommen mit den USA abzuschließen, das den Abschuss von Satelliten möglich machen kann. Silva e Luna erklärte, das Abkommen werde noch vor Jahresende unterzeichnet. Die Übernahme-Vereinbarung war eine Initiative der Regierung Fernando Henrique Cardoso (1995-2003), die seit 2003 wegen fehlender Zustimmung des brasilianischen Parlaments stagniert. Zur Begründung führte der brasilianische Kongress damals an, die Übergabe der Basis an die USA verletze die nationale Souveränität. US-Einzelbestimmungen, wie Brasilianern Zugang zu Einzelabschnitten der Basis zu untersagen, und die Weigerung der USA, Luft- und Raumfahrt-Technologie an Brasilien zu übertragen, lösten damals einen öffentlichen Skandal aus und gipfelten im Abbruch der Verhandlungen. „Es gab zwei Klauseln mit unterschiedlicher Redaktion, einen strittigen Punkt haben wir bereits gelöst und arbeiten am zweiten“, besänftigte Silva e Luna nun die Öffentlichkeit. Der Vertrag muss selbstverständlich nochmal vom Parlament genehmigt werden. Kunststück! Dasselbe, korrupte Parlament verabschiedet in diesen Tagen eine Steuerhinterziehungs-Amnestie für Großunternehmer im umgerechneten Wert von 121 Milliarden Euro. Welchen Stellenwert besitzt nun die Alcântara-Basis? Für die USA ist sie aus zweierlei Gründen bedeutsam. Als Raumfahrt-Station liegt sie unmittelbar unterhalb des Äquators und erspart US-amerikanischen Raketen große Mengen Treibstoff, bevor sie auf Umlaufbahn gehen. Als Militärstützpunkt erlaubt sie die nahtlose elektronische Überwachung des Übergangs vom Nord- zum Südatlantik und der gesamten Karibik. Die militärische „Bedrohung” durch China klingt überdies von lächerlich bis hin zu schwarzem Humor: Die USA unterstellen, die im argentinischen Neuquén kürzlich in Betrieb gegangene Station für Spacetracking (Tiefer Weltraum) der chinesischen Weltraumbehörde CSNA, sei eine „Militärbasis”. Zum Vergleich, die Amerikaner betreiben neben Kasernen, Landepisten und Beobachtungs-Stationen, einschließlich NATO-Stützpunkten, 76 Militärbasen auf dem lateinamerikanischen Kontinent. Übernehmen die USA die brasilianische Alcântara-Basis, ist Südamerika endgültig eingekesselt. | Frederico Füllgraf |
Inmitten von Massenprotesten gegen die seit 100 Tagen andauernde Inhaftierung von Altpräsident Luiz Inácio Lula da Silva – erneuter Favorit der gerade angelaufenen Kampagne für die am 7. Oktober stattfindenden Präsidentschaftswahlen – landete am Sonntag, dem 12. August, Präsident Trumps Pentagon-Chef, General James Mattis, zu einem zweitägigen Besuch in Brasilien, von wo aus der US-Verteidig ... | [
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] | 15. August 2018 9:20 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=45473 |
USA | Seit mehr als drei Jahren bombardiert eine von Saudi-Arabien geführte Koalition den Jemen mit dem Ziel, die Houthi-Rebellen, die große Teile des Landes kontrollieren, zurückzuschlagen und den illegitimen Exil-Präsidenten Abed Rabbo Mansur Hadi zurück an die Macht zu bringen. Mindestens 10.000 Menschen wurden seit März 2015 getötet, darunter über 8.000 Zivilisten, 45.000 weitere verletzt. Die UN spricht von der „schlimmsten humanitären Katastrophe der Welt“, denn neben Panzern und Raketen wird die Bevölkerung von zwei weiteren Geißeln geplagt: Der größten jemals dokumentierten Cholera-Epidemie mit 1,1 Millionen Infizierten sowie der historischen Hungerkatastrophe mit über 8 Millionen Menschen am Rande des Hungertods. 22 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen – 75 Prozent der Bevölkerung. Alle zehn Minuten stirbt ein Kind an Hunger oder problemlos vermeidbaren Krankheiten. Von Jakob Reimann. | [] | [] | 13. Juni 2018 8:40 | https://www.nachdenkseiten.de/?tag=usa&paged=98 |
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IAB | Gestern noch berichteten wir über das Eingeständnis des neuen IAB-Chefs Möller, dass sich noch keiner die Daten zum Mindestlohn im Baugewerbe angeschaut habe, obwohl alle ihr Urteil darüber abgäben. Was etwa in England längst als erwiesen gilt [PDF – 268 KB], aber als nicht übertragbar abgestritten wurde, konnte jetzt eine neue empirische Studie auch für Westdeutschland feststellen: Der Mindestlohn im Baugewerbe hatte keine negativen Beschäftigungseffekte. Entsprechend groß ist die Aufregung im Hühnerstall der deutschen Wirtschaftsexperten. Das Handelsblatt dokumentiert das Kikeriki unserer eitlen ökonomischen Hähne auf ihren Misthaufen. Ein herrlicher Beleg für die Grundhaltung unserer „Experten“ namens Franz, Snower, Rürup, Zimmermann etc., die sich so zusammenfassen lässt: Umso schlimmer für die Wirklichkeit, wenn sie unserer Glaubenslehre nicht entspricht. Wolfgang Lieb | [] | [] | 28. November 2007 8:39 | https://www.nachdenkseiten.de/?tag=iab&paged=2 |
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„Mit dem Demografiemythos in die Endlosschleife“ | So ist ein Kommentar von Jürgen Voß zu einem Auftritt von Franz-Xaver Kaufmann in den WSI- Mitteilungen 3/2007 überschrieben. Den Beitrag von Voß übernehmen wir in die Rubrik Andere interessante Beiträge.
Eine Vorbemerkung zum Vorgang: Das ist schon der zweite mir heute begegnende Beleg dafür, dass Gewerkschaften und ihre Einrichtungen erklärten Gegnern der Arbeitnehmerinteressen Foren bieten. Der andere Fall. Da dies nicht mehr Zufall sein kann und man auch nicht so dumm sein kann, nicht zu erkennen, dass zum Beispiel Kaufmanns Demographieagitation und Systemkritik gegen wichtige Interessen der Arbeitnehmerschaft an einer sicheren und preiswerten Alters- und Gesundheitsvorsorge gerichtet ist, glaube ich langsam fest daran, dass wichtige Teile und Einrichtungen der Gewerkschaften von ihren Feinden unterwandert sind. Diese Feststellung spricht nicht gegen Gewerkschaften, im Gegenteil. Sie spricht aber dagegen, weiter zu schweigen. Albrecht Müller.
Jürgen Voß
Mit dem Demografiemythos in die Endlosschleife
Zu Franz-Xaver Kaufmanns Auftritt in den WSI-Mitteilungen 3/2007 In den nachdenkseiten wurde schon häufig auf die fatale Rolle der Demografiediskussion im Rahmen der gegenwärtigen “Systemveränderung” eingegangen, dient doch die seit über drei Jahrzehnten niedrige Geburtenrate den unterschiedlichsten politischen Gruppierungen als argumentativer Passepartout zur Durchsetzung ihrer politischen und materiellen Interessen, wobei die Umfinanzierung der sozialen Sicherungssysteme von “öffentlich” auf “privat”, von “solidarisch” auf “individuell”, ganz oben auf der “Agenda” steht. Die “Rente mit 67”, die groteske Umgestaltung des solidarischen Krankenversicherungssystems, die “Riesterrente”, die massiven Rentenabschläge seit 1996, die (wahrscheinlich) bevorstehende Umwandlung der Pflegeversicherung in eine Kapitalversicherung, all dies sind nicht nur katastrophale Niederlagen der gewerkschaftlichen Bewegung, die tief in die individuelle Lebensgestaltung von Millionen Menschen eingreifen, sie sind – das ist ihr entscheidendes Merkmal – nicht zuletzt mit nicht selten obskuren Argumenten aus einer längst vulgarisierten Demografiediskussion (“zu wenig Kinder – zu viele alte Menschen!”) als zwingend notwendig begründet worden. Insofern ist es schon erstaunlich, wenn ausgerechnet die Gewerkschaften in ihrer wichtigsten wissenschaftlichen Publikation, den WSI-Mitteilungen, einem der militantesten Demografieideologen unserer Zeit, Franz-Xaver Kaufmann, Professor für Sozialpolitik und Soziologie in Bielefeld, der sich vor kurzem in der Süddeutschen Zeitung dazu hinreißen ließ, die bevölkerungspolitische Situation in Deutschland mit der nach dem dreißigjährigen Krieg (!!!) zu vergleichen, in ihrem neuesten Heft (3/ 2007) eine Plattform für die Ausbreitung seiner Thesen bieten. (Siehe: Zusammenfassung) Unter der Überschrift “Bevölkerungsrückgang als Problemgenerator alternder Gesellschaften” bietet uns Kaufmann nach einem zunächst erstaunlich realistischen Rückblick auf die segensreiche Wirkung von reduzierter Geburtenhäufigkeit (“Hätte sich dieser säkulare Sterblichkeitsrückgang bei unverminderter Fertilität vollzogen, so wäre es im 20 Jahrhundert zu einem explosiven Bevölkerungswachstum in Europa gekommen. Deshalb war die Beschränkung der Geburten….. eine notwendige Anpassungsreaktion, die zwangsläufig zu einem Altern der Bevölkerung führte”, S.108) die auch von anderen Autoren längst bekannte Palette an Katastrophenszenarien, deren Zeithorizont sage und schreibe bis 2100 reicht und damit die des Statistischen Bundesamt noch um eine halbes Jahrhundert übertrifft. Aus dem fehlenden Nachwuchs folgert er drastische Produktivitätsrückgänge, mangelnde Innovationskraft und eine auf Dauer nicht mehr zu tragende Belastung der “erwerbstätigen” Generation, denn ” je mehr Alte zu versorgen sind, desto mehr Nachwuchs ist erforderlich” (S. 112) – eine angesichts der chinesischen Situation mit ihren “Ein-Kind-Familien” schon fast kabarettistisch anmutende These: Permanentes Bevölkerungswachstum als zwingendes Resultat gestiegener Lebenserwartung! Da ein plötzlicher Anstieg der Geburtenhäufigkeit aber nicht zu erwarten ist, empfiehlt Kaufmann die bekannten Rezepte: Die “Kapitalfundierung der Renten” (wofür es nach seiner Auffassung an sich schon zu spät ist), eine “massive Umverteilung öffentlicher Mittel zugunsten der nachwachsenden Generation”, eine Reduzierung der Renten von Kinderlosen “zugunsten von Eltern mit mehr als zwei Kindern” ähnlich wie Sinn (!), und generell “einen Abbau der Prämien für Kinderlosigkeit” (alle Zitate S. 112). Kennzeichnend für Kaufmann ist ebenso wie für die anderen Streiter auf dem Feld der Demografie die augenfällige Ignoranz der ökonomischen und machtpolitischen Sachverhalte, die ihn und seine Mitstreiter wohl auch blind dafür machen, wie stark ihre an sich gut gemeinten wenn auch falschen Aussagen ideologisch mißbraucht werden. Es ist hier nicht der Platz, alle bekannten Argumente gegen die teilweise absurden Demografieszenarien zu wiederholen, wie sie längst etwa von Christoph Butterwege (Autor in der selben Ausgabe!), Gerd Bosbach und auch von Claus Schäfer (des häufigeren gerade in den WSI-Mitteilungen !) dargelegt worden sind: Der Hinweis auf die rein quantitativ biologische Argumentation, die wir wohl aus der Zeit der Jäger und Sammler mit uns schleppen; die Ausblendung der Nachteile eines permanenten Bevölkerungswachstums; die drastische Unterschätzung des Produktivitätsfortschritts; die Mißachtung der seit Anfang der neunziger Jahre einseitig erfolgenden Verteilung der Zuwächse des Bruttoinlandsprodukts; die gigantische Solidarleistung, die kinderlose Erwerbstätige schon seit Jahrzehnten im Rahmen unseres Steuer- und Abgabenrechts für Familien aufbringen; die stur durchgehaltene Verwechslung von “erwerbsfähig” mit “erwerbstätig”; die “20-60-Szenarien” bei einer Altersgrenze von mittlerweile 67(!); der ständige Rückgang von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen und existenzsichernder Beschäftigung überhaupt etc.. Hier soll nur ein einziges weiteres Argument angesprochen werden, das an sich sehr naheliegt und es darum um so erstaunlicher ist, wie wenig es in der aktuellen Diskussion verwendet wird. Die Bundesrepublik befindet sich nämlich – was sich zunächst absurd anhört – zur Zeit in einer demografisch glänzenden Situation: Aufgrund niedriger Geburtenzahlen seit Beginn der siebziger Jahre und deutlich reduzierter Altersjahrgänge (so fehlen etwa die geburtenstarken Männerjahrgänge aus den zwanziger Jahren kriegsbedingt fast völlig, wie jede Bevölkerungs”pyramide” zeigt; des weiteren kommen demnächst die geburtenschwachen 40er Jahrgänge ins Rentenalter) und eines Erwerbspersonenpotentials, das so zahlreich ist wie noch nie in den letzten 100 Jahren (52,5 Mio. Menschen) ist – zumindest temporär – eine Idealsituation vorhanden: Die Gesamtlast “Jugend plus” Alter ist niedriger denn je. Komisch nur, dass das weder Rentner noch Arbeitnehmer, geschweige denn Berufsanfänger, zu spüren bekommen. Denn das Resultat von einem kompletten Jahrzehnt geburtenstarker Jahrgänge und damit großen Erwerbspersonenpotentials bei niedriger Gesamtlast ist nicht etwa ein wohlfahrtstaatliches Paradies mit traumhaften Wachstumsraten sondern Massenarbeitslosigkeit. Und selbst bei den längst erwerbsfähigen Jahrgängen 1970 – 1990 – geburtenschwach allesamt – ist die arbeitsmarktpolitische Situation nicht rosig sondern perspektivlos. Selbst bestens ausgebildete junge Menschen befinden sich im “Prekariat”. Hier schließt sich die logische Frage an, was wäre wohl geschehen, wenn sich die geburtenstarken Jahrgänge der sechziger Jahre bis heute fortgesetzt hätten und unser Erwerbspersonenpotential nicht 52,5 Mio. Menschen sondern vielleicht 62 – 63 Mio. umfassen würde, bei vielleicht noch 20 Mio. existenzsichernden Vollzeitjobs? Doch ein solcher Blick zurück, der sich angesichts der leicht überprüfbaren Fakten ja anböte, gehört nicht zum wissenschaftlichen Repertoire unserer Demografiemythologen. Wozu auch?: Das hieße ja auf die Wärmstube “Mainstream” zu verzichten und von Provinzial, MLP et. al. und vielleicht sogar von Christiansen nicht mehr eingeladen zu werden. Mit Horrorzahlen des Jahres 2090 läßt sich ja viel mehr Aufsehen erregen! | Albrecht Müller | So ist ein Kommentar von Jürgen Voß zu einem Auftritt von Franz-Xaver Kaufmann in den WSI- Mitteilungen 3/2007 überschrieben. Den Beitrag von Voß übernehmen wir in die Rubrik Andere interessante Beiträge.
Eine Vorbemerkung zum Vorgang: Das ist schon der zweite mir heute begegnende Beleg dafür, dass Gewerkschaften und ihre Einrichtungen erklärten Gegnern der Arbeitnehmerinteressen Foren biete ... | [
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] | 03. April 2007 13:11 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=2232 |
NATO-Gipfel im September mit 60 Staats- und Regierungschefs einschließlich Poroschenko aus der Ukraine | Das ist ein Signal für eine Verschiebung zulasten der Vereinten Nationen und zu Gunsten der Militarisierung der Politik. Die Einladung des ukrainischen Präsidenten ist das Gegenteil einer vertrauensbildenden Maßnahme im Verhältnis zu Russland. Der frühere MdB und Parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium Willy Wimmer (CDU) hat dazu einen Text geschrieben. Im Nachtrag 2 wird zum besseren Verständnis auf einen früheren Brief Wimmers an Kanzler Schröder hingewiesen. Albrecht Müller
Willy Wimmer NATO-Gipfel in Wales am 4./5. September 2014. Wo ist die deutsche Position? Dieser Gipfel hat es in sich. Nicht nur, weil für den Gastgeber, die britische Regierung, ganz klare innenpolitische Gründe vor dem Unabhängigkeitsvotum in Schottland und demnächst wohl auch in Wales zu erkennen sind. Wales, so sagt es die Regierung Cameron, soll auf die Weltbühne gehoben werden. Selbstredend geht das nur über eine auch für Wales zuständige Regierung in London und ist als Warnung für die Schotten bei der Abstimmung am 18. September 2014 gedacht. NATO, die personifizierte Einmischung in die inneren Angelegenheiten von Mitgliedsstaaten? Bei Großbritannien ist das allerdings kein Wunder. Deutschen Diplomaten ist schon seit Jahrzehnten und bei jedem Konflikt nach Ende des Kalten Krieges schmerzlich bewusst geworden, wie sehr London jede Verhandlung über Krisen und Kriege davon abhängig gemacht hat, welche Auswirkungen die jeweilige Position auf den Zusammenhalt des Inselreiches haben werde. Wir dürfen schon aufhorchen, wenn es um die Zahl der staatlichen Repräsentanten geht, die sich in Wales einfinden werden. Es sind nicht nur die Vertreter der Mitgliedsstaaten der NATO. Nein, es sind 60 Staats- und Regierungschefs aus aller Welt, die sich die Einladung nach Wales etwas kosten lassen. Für sie gilt das olympische Motto, nach dem dabei gewesen sein alles bedeutet. Bei dieser Gesamtzahl ist nicht nur Erstaunen angebracht. Damit wird eine Perspektive für die NATO sichtbar, die an prominentester Stelle einst der berüchtigte Vizepräsident der USA, Dick Cheney, ausgegeben hatte. Zunächst haben die USA die Vereinten Nationen genötigt, gleichsam die NATO als militärischen Dienstleister für ihre sicherheitspolitischen Maßnahmen zu akzeptieren. Das darüber verfolgte amerikanische Ziel ging und geht in eine völlig andere Richtung. Die Vereinten Nationen sollen soweit marginalisiert werden, dass sich baldmöglichst die von den USA dominierte NATO an die globale Stelle der Vereinten Nationen setzen kann. Auf einen Gast wird der erstaunte Kontinent besonders achten. Es handelt sich um den ukrainischen Präsidenten Poroschenko, der zumindest in einem großen Teil seines Landes mit einer Mehrheit von über 50 Prozent derjenigen gewählt worden ist, die zur Wahl unter den obwaltenden Umständen gegangen sind. Das bedeutet in der Ukraine nicht viel, weil auch der gestürzte Präsident Janukowitsch bei freien Wahlen nach internationalen Standards gewählt worden ist. Fraglich ist allerdings, was die von der deutschen Bundeskanzlerin, Frau Dr. Merkel, gebetsmühlenartig an die Adresse des russischen Präsidenten Putin gerichtete Mahnung, sich nicht in der Ost-Ukraine einzumischen, eigentlich soll? Die NATO macht durch die Einladung ihres Kumpels aus Kiew doch mehr als deutlich, wie sehr sie die inneren Verhältnisse in der Ukraine bestimmt. Sie ist mehr als jeder andere Partei in dem Bürgerkrieg, nicht zuletzt über amerikanische Privatarmeen, die im amerikanischen Staatsauftrag die Ostukraine von russisch-sprechenden Menschen „säubern“ sollen. Zu diesem Komplizen-haften Verhalten zählt aber zunächst das beharrliche Unterdrücken jeder Aufklärung der schrecklichen Tragödie von Flug MH17 mit den fast 300 toten Fluggästen und Mannschaftsmitgliedern, dem Massaker auf dem Maidan-Platz in Kiew und den Brandopfern im Gewerkschaftshaus von Odessa. Von der einstmals vielgerühmten „westlichen Wertegemeinschaft“ ist nichts mehr übrig geblieben. Natürlich ist die Anwesenheit von Präsident Poroschenko in Wales ein Signal. Dazu dürfte auch der Blick auf seine Entourage zählen. Werden wir zum ersten Male bei einem NATO-Gipfel NAZI-Militärs als Vertreter der ukrainischen Nationalgarde-Einheit „Asow“ begrüßen dürfen? Hat auch das Signalcharakter für Europa? Will man mit diesen Leuten in Wales daran erinnern, warum vor 75 Jahren der Zweite Weltkrieg ausgebrochen war? Es fällt ja schon auf, wer in Kiew so alles zu den Faschisten schweigt, obwohl man einen Aufschrei erwarten müsste. Bereitet man sich schon auf Marie Le Pen vor, indem man diese Bagage hoffähig macht? Oder will die amerikanische NATO-Führungsmacht nur klarstellen, dass sie es auch in Europa mit jedem macht, den sie gegen Russland in Stellung bringen kann? Jetzt müsste jeder Deutsche erwarten können, dass die deutsche Bundeskanzlerin vor einem derartig gewichtigen NATO-Gipfel die deutsche Öffentlichkeit über eine Regierungserklärung im Deutschen Bundestag wissen lässt, wie nicht sie persönlich sondern Deutschland die Zukunft der NATO sieht? Oder will sie den Umstand, wie konturenlos die deutsche Außenpolitik in diesem Kontext ist, dadurch übertünchen, dass sie lieber gar nichts sagt. Dann kann man später natürlich darauf verweisen, welchen Einfluss man als angeblich „mächtigste Frau der Welt“ auf amerikanische Zielvorgaben gehabt haben könnte. Dafür steht für Deutschland bei diesem NATO-Gipfel alles auf dem Spiel. Das in Aussicht genommene transatlantische Freihandelsabkommen bedarf nur der „Übernahme“, d.h. der politischen Steuerung der Ukraine durch die USA, um aus Ländern wie Frankreich, Benelux, Österreich, Italien und Deutschland Kolonialgebiete unter extensiver US-Kontrolle zu machen. Da sieht man nicht nur im Großen, sondern auch die von den USA auf deutschem Territorium beabsichtigten Fluggastkontrolle durch amerikanisches Staatspersonal. Wir sollen von unseren natürlichen Partnern, weil Nachbarn im gemeinsamen Haus Europa, auf Dauer getrennt werden. Natürlich mit Hilfe der baltischen Staaten, Polens und der Ukraine. Von Bulgarien und Rumänien sollte man alleine schon deshalb schweigen, weil schon der Besuch von US-Senatoren in diesen Ländern die dortigen Regierungen veranlasst, ihre Politik – siehe „south stream“ – zu ändern. Für Deutschland war seit dem „goldenen Zeitalter Deutschlands“ unter dem Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl* Russland der Nachbar und der Partner. Für die USA ist Russland erkennbar der Rivale, der Feind, die Beute**. Das soll in Wales zementiert werden. * Nachbemerkung 1 von A.M.: Na ja, das „goldene Zeitalter“ der West-Ost-Partnerschaft hat nun wahrlich nicht erst mit Helmut Kohl begonnen. ** Nachbemerkung 2 von A.M. zum besseren Verständnis von Willy Wimmers Sorgen: Wimmer hat im Jahr 2000 an einer vom State Department der USA und dem American Enterprise Institute getragenen Konferenz in Bratislava teilgenommen und dem damaligen Bundeskanzler Schröder in einem Brief davon berichtet. Die NDS hatten am 25.4.2014 darauf hingewiesen. Der Brief ist wegen seiner Aktualität hier noch einmal angehängt: Anhang: Willy Wimmer, Mitglied des Bundestages,
Vorsitzender des CDU-Bezirksverbandes Niederrhein,
Vizepräsident der Parlamentarischen Versammlung der OSZE Herrn Gerhard Schröder, MdB,
Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland,
Bundeskanzleramt, Schlossplatz 1, 10178 Berlin
Berlin, den 02.05.00 Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, am vergangenen Wochenende hatte ich in der slowakischen Hauptstadt Bratislava Gelegenheit, an einer gemeinsam vom US-Außenministerium und American Enterprise Institute (außenpolitisches Institut der republikanischen Partei) veranstalteten Konferenz mit den Schwerpunktthemen Balkan und NATO-Erweiterung teilzunehmen. Die Veranstaltung war sehr hochrangig besetzt, was sich schon aus der Anwesenheit zahlreicher Ministerpräsidenten sowie Außen- und Verteidigungsminister aus der Region ergab. Von den zahlreichen wichtigen Punkten, die im Rahmen der vorgenannten Themenstellung behandelt werden konnten, verdienen es einige, besonders wiedergegeben zu werden: | Willy Wimmer | Das ist ein Signal für eine Verschiebung zulasten der Vereinten Nationen und zu Gunsten der Militarisierung der Politik. Die Einladung des ukrainischen Präsidenten ist das Gegenteil einer vertrauensbildenden Maßnahme im Verhältnis zu Russland. Der frühere MdB und Parlamentarische Staatssekretär im Verteidigungsministerium Willy Wimmer (CDU) hat dazu einen Text geschrieben. Im Nachtrag 2 wird z ... | [
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] | 18. August 2014 9:05 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=22855 |
Zerstörte Ordnung am Arbeitsmarkt (1): Privatisierungen und Liberalisierungen seit den 1980ern | Ein Blick auf Frankreich, Griechenland, Italien oder die jüngsten Brüsseler Papiere zeigt: Europa ist drauf und dran, mit noch mehr Liberalisierung und Flexibilisierung seine Ordnung am Arbeitsmarkt zu zerstören. In manchen Ländern lässt sich mit Fug und Recht von den letzten Resten sprechen, die derzeit kaputtgemacht werden. Nicht zu Unrecht wird – von Befürwortern und Gegnern dieser Politik – die rot-grüne „Agenda 2010“ als Beispiel und Vorbild dieser Politik angeführt. Die Wurzeln neoliberalen Denkens und Handelns in der deutschen Arbeitsmarktpolitik sind aber älter. In dieser kleinen Artikelreihe gibt Patrick Schreiner[*] einen Überblick über 35 Jahre Neoliberalismus in Deutschland. Teil 1 widmet sich insbesondere den Privatisierungen und Liberalisierungen seit den 1980er Jahren – ein Thema, das heute viel zu oft vergessen wird, wenn von Sozialabbau und Prekarisierung die Rede ist.
Deutschland ist in der Tat schon lange ein schlechtes Vorbild: Der Kündigungsschutz und die Tarifautonomie wurden schon in den 1980er Jahren angegriffen, die „Lohnnebenkosten“ schon in den 1990er Jahren als zu hoch beschimpft – und auch der Sozialabbau begann nicht erst in den 2000er Jahren. Vielmehr gab es erste Sozialkürzungen schon unter SPD-Bundeskanzler (1974-1982) Helmut Schmidt in den späten 1970er Jahren, CDU-Bundeskanzler (1982-1998) Helmut Kohl verschärfte sie in den 1980ern. Neoliberale Politikmaßnahmen reichen zudem über Arbeitsmärkte im engeren Sinne hinaus. Wer über Deutschlands Arbeitsmarktpolitik der letzten 35 Jahre spricht, der sollte auch die Liberalisierung von Märkten und die Privatisierung ehemals öffentlicher (staatlicher, kommunaler) Einrichtungen und Unternehmen in den Blick nehmen. Denn auch sie hatten massive Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt, auf Arbeitsbedingungen und Löhne. Als in den frühen 1980er Jahren die CDU-CSU-FDP-Regierung unter Kohl an die Macht kam, hatte sie sich zumindest verbal einer Privatisierungspolitik verschrieben. Im Ausmaß ihrer Privatisierungen blieb sie zwar hinter anderen Ländern – allen voran Großbritannien – zurück, gleichwohl kam es in den 1980er und vor allem in den 1990er Jahren in größerem Umfang zu Privatisierungen und Liberalisierungen (Tofaute 1994; Zohlnhöfer 2001). Nicht selten fand die konservativ-liberale Regierung dabei die Zustimmung auch der sozialdemokratischen Opposition. Und nicht selten trat die Europäische Union gegenüber ihren Mitgliedstaaten schon damals als Treiberin von Privatisierungen und Liberalisierungen auf. Noch in den 1980er Jahren spielten öffentliche Unternehmen eine durchaus bedeutende Rolle in der westdeutschen Wirtschaft. Bund, Länder und Gemeinden besaßen keineswegs nur Unternehmen der Daseinsvorsorge (etwa Energieversorgung, Post, öffentlicher Verkehr, Krankenhäuser), sondern auch Industrieunternehmen. Im Wirtschaftszweig “Versorgung und Verkehr” waren 1985 zwar nur 5 Prozent aller Kapitalgesellschaften in öffentlicher Hand, diese hielten allerdings 74,6 Prozent des Nennkapitals der Unternehmen dieses Wirtschaftszweigs. Eine bedeutende Rolle spielten öffentliche Unternehmen auch im Wohnungs(bau)- und Grundstückswesen (1,9 Prozent / 41,8 Prozent) sowie in geringerem Umfang bei Kreditinstituten (8,5 Prozent / 13,1 Prozent) und Versicherungen (1,8 Prozent / 11,8 Prozent). Über alle Branchen hinweg waren damals zwar nur 0,5 Prozent aller Kapitalgesellschaften in öffentlicher Hand, diese aber machten 18,6 Prozent des Nennkapitals aller deutschen Kapitalgesellschaften aus (Tofaute 1994: 220-221). Diese Zahlen zeigen, dass Bund, Länder und Gemeinden weit überdurchschnittlich bei großen Unternehmen engagiert waren. Die 1980er und vor allem die 1990er Jahre waren Jahrzehnte der Privatisierung öffentlicher Unternehmen und öffentlichen Eigentums. Und dies keineswegs nur – „nach der Wende“ – auf dem Gebiet der ehemaligen DDR, wo sich weite Teile der Unternehmen aller Branchen in staatlicher Hand befanden. Vielmehr kam es auch in Westdeutschland neben der Privatisierung von Industrieunternehmen (VEBA, VIAG, Bundesanteile an Volkswagen) auch zu Privatisierungen und Liberalisierungen im Bereich der öffentlichen Dienstleistungen (Lufthansa, Bundespost, Bundesbahn, diverse Banken und Versicherungen) (Abelshauser 2004: 505). In großem Umfang hat man noch bis in die 2000er Jahre hinein auch Wohnungsbestände von Bund und Ländern an private Finanzinvestoren verkauft, was heute mit zum Mangel an bezahlbarem Wohnraum in Ballungszentren und Universitätsstädten beiträgt. Auch auf kommunaler Ebene kam es in vielen Fällen zu entsprechenden politischen Entscheidungen (Krankenhäuser, Müllentsorgung, Energieversorgung, Wohnungsbestände, Wasserver- und -entsorgung). Um beispielhaft Zahlen zu nennen: Die Zahl öffentlicher Krankenhäuser sank von 1991 bis 2013 von 1.110 auf 596 Einrichtungen, ein Minus von 46,3 Prozent. Die Zahl freigemeinnütziger Krankenhäuser ging im gleichen Zeitraum von 943 auf 706 zurück, ein Minus von 25,1 Prozent. Hingegen stieg die Zahl privater Krankenhäuser von 358 auf 694, ein Plus von 93,9 Prozent. Während der Anteil öffentlicher Krankenhäuser 1991 noch 46 Prozent betrug, lag er 2013 nur noch bei 29,9 Prozent. Demgegenüber war der Anteil privater Krankenhäuser von 14,8 Prozent auf 34,8 Prozent angestiegen (Statistisches Bundesamt 2014, eigene Berechnungen). Nicht immer wurde das Eigentum an den ehemals öffentlichen Unternehmen vollständig in private Hände gegeben, wie es überwiegend bei Industrieunternehmen geschah. An privatisierten Dienstleistungsunternehmen wie der Deutschen Post, der Deutschen Bahn, der Deutschen Telekom oder auch an vielen kommunalen Krankenhäusern behielt die öffentliche Hand vorübergehend oder dauerhaft noch Anteile, teils bis zu 100 Prozent. Indem die Unternehmen allerdings auf Gewinn getrimmt und auf den entsprechenden Märkten Wettbewerber zugelassen wurden, veränderten sie sich grundlegend: Betriebswirtschaftliche Logiken und Effizienzansprüche hielten Einzug, Gemeinwohlaufgaben spielten keine Rolle mehr. Bis heute gilt die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen durch öffentliche Einrichtungen ebenso als fragwürdig und ineffizient wie das öffentliche Eigentum an Betrieben der Schlüsselindustrien. Vor der Privatisierung und dem Einzug von Marktlogiken kam den öffentlichen Unternehmen eine gewisse arbeitsmarktpolitische Funktion zu (bei öffentlichen Dienstleistern allerdings weit stärker als bei staatlichen Industrieunternehmen). So boten sie für schwer benachteiligte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer Beschäftigungschancen, und in Rezessionen konnten sie antizyklisch Arbeitsplätze erhalten oder gar schaffen. Ab den 1980er und 1990er Jahren galt dies aber zunehmend als betriebswirtschaftlich und volkswirtschaftlich ineffizient: Mit der Privatisierung öffentlicher Unternehmen und Liberalisierungen im Bereich öffentlicher Dienstleistungen ging die Pufferfunktion öffentlicher Unternehmen verloren. Diese Nebenfolge war politisch erwünscht. Diese Politik musste unmittelbare Auswirkungen auf die Situation der abhängig Beschäftigten und ihre Arbeitsbedingungen haben. Arbeitsplätze bei (ehemals) öffentlichen Einrichtungen und Unternehmen wurden abgebaut oder privatisiert. Insgesamt ging die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst (ohne Industrieunternehmen in einst öffentlichem Eigentum) alleine zwischen 1991 und 2006 um 32,1 Prozent zurück (Brandt/Schulten 2008: 71). Der Hauptgrund dafür war zwar eine Kürzungspolitik in den öffentlichen Haushalten vor allem Ostdeutschlands, daneben hatten aber auch Privatisierungen einen wesentlichen Anteil. Im Branchenvergleich zeigt sich, dass Personal gerade in den von Privatisierungen besonders betroffenen Wirtschaftszweigen abgebaut wurde: Im Energie- und Wasserbereich ging die Zahl der Beschäftigten zwischen 1991 und 2005 um 30,3 Prozent zurück. Im öffentlichen Straßenpersonenverkehr waren es zwischen 1994 und 2003 insgesamt 9,6 Prozent. Auf dem Briefmarkt glichen die Wettbewerber der Deutschen Post AG zwar die Beschäftigungsverluste ziemlich genau aus, schufen allerdings überwiegend schlechter bezahlte, prekäre Arbeitsplätze (Brandt/Schulten 2008: 74). Letzteres war keineswegs ein Einzelfall: Da die (teil- oder voll-) privatisierten Unternehmen fortan auf liberalisierten Märkten agierten, waren sie der Konkurrenz durch andere Unternehmen ausgesetzt. Diese Konkurrenz wurde gerade im Dienstleistungsbereich auf dem Rücken der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ausgetragen. Wo früher gute Löhne und starke Gewerkschaften Grenzen setzen konnten, etwa bei Post und Bahn, musste man nun mit konkurrierenden Billigunternehmen zurechtkommen. Ein umfassender Personalabbau, der Rückgriff auf flexible Arbeitsmarktinstrumente (wie Befristungen, Werkverträge oder Leiharbeit), Ausgliederungen und der Rückgriff auf externe Billig-“Dienstleister” führten zu sinkenden Löhnen und schwächten die Gewerkschaften. Arbeitsplätze für benachteiligte Beschäftigte fielen weg, was deren Position am Arbeitsmarkt weiter verschlechterte. So wurden etwa die neuen Post-Konkurrenten zu “tarifvertragsfreie[n] Zone[n]” (Flecker 2014: 31). Die neuen privaten Wettbewerber beispielsweise im Post- und Bahnsektor, in der Telekommunikation, im öffentlichen Verkehr oder in Krankenhäusern zeichnen sich weit überwiegend durch prekäre Beschäftigungsverhältnisse mit niedrigeren Löhnen und geringerer Arbeitsplatzsicherheit, durch eine geringere Tarifbindung und einen niedrigeren gewerkschaftlichen Organisationsgrad aus. Der zunehmende Wettbewerb, der gerade in personalintensiven Branchen auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen wird, führt zudem zu Arbeitsverdichtung. Als Beispiel seien Krankenhäuser genannt: Von 1991 bis 2007 ging die Zahl der Pflege-Beschäftigten dort (in Vollzeitäquivalenten) um 14,6 Prozent zurück, dieser Rückgang wurde danach nur teilweise wieder ausgeglichen (Statistisches Bundesamt 2014, eigene Berechnungen). Mit diesem Personalabbau ging zugleich eine Verschlechterung der Pflegequalität einher: Gegenüber 1991 war 2013 die durchschnittliche Zahl der Fälle je Pflegekraft um mehr als 30 Prozent angestiegen (Eicker-Wolf 2015). Privatisierungen und Liberalisierungen haben damit die Position von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern am Arbeitsmarkt seit den 1980er Jahren drastisch verschlechtert. Sie wirkten sich, wenn man so möchte, auf indirekte Weise negativ aus. Auch die Massenarbeitslosigkeit, die trotz sinkender Arbeitslosenquoten im Grunde bis heute anhält, ist unter anderem auf diese neoliberale Politik der Privatisierungen und Liberalisierungen zurückzuführen. Hinzu kamen seit den 1980er Jahren Verschlechterungen, die unmittelbar durch Änderungen im Arbeitsrecht ausgelöst wurden. So wurden im Zuge einer zunehmend neoliberalen Ausrichtung der Arbeitsmarktpolitik vermehrt Forderungen nach einer stärkeren Flexibilisierung der Arbeitsmärkte und nach einer Verbilligung von Arbeit erhoben. Sie zielten konkret auf die Aufweichung des Kündigungsschutzes, auf (für Arbeitgeber) flexiblere Arbeitsverhältnisse und Arbeitszeiten sowie auf die Senkung der so genannten “Lohnnebenkosten” und der Löhne. Darum wird es im zweiten Teil dieser kleinen Artikelreihe gehen. Literatur | Patrick Schreiner | Ein Blick auf Frankreich, Griechenland, Italien oder die jüngsten Brüsseler Papiere zeigt: Europa ist drauf und dran, mit noch mehr Liberalisierung und Flexibilisierung seine Ordnung am Arbeitsmarkt zu zerstören. In manchen Ländern lässt sich mit Fug und Recht von den letzten Resten sprechen, die derzeit kaputtgemacht werden. Nicht zu Unrecht wird – von Befürwortern und Gegnern dieser Politik ... | [
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] | 15. September 2016 14:28 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=35018 |
Leserbriefe zu „„Nazis“ – Die letzte Patrone der Ampel“ | Tobias Riegel kommentiert in diesem Beitrag die unangenehm auffallenden „Nazi“-Aussagen hoher SPD-Politiker. Die pauschale Nazi-Keule habe sich jedoch als Ablenkung abgenutzt. Auf „dem Feld der konkreten politischen Schritte gäbe es Vieles, das man der AfD und ihrem Aufwind sofort entgegensetzen“ könne. Fest stehe einerseits: „Die Ampel muss weg!“ Andererseits könne ein Ende der Ampel bei den aktuellen Verhältnissen im Bundestag aber sogar eine Verschlechterung bedeuten. Wir danken für die interessanten Zuschriften. Hier nun eine Auswahl der Leserbriefe. Zusammengestellt von Christian Reimann.
1. Leserbrief Guten Tag, inzwischen frage ich mich schon, warum der (übermäßige und überzogene) Gebrauch des Wortes “Nazi” bzw. die Zuschreibung an Personen, deren politische Meinung einem nicht passt, vom Straftatbestand der Volksverhetzung nicht erfasst wird. Ist es nicht eine groteske Verharmlosung von Hitler, Himmler und den vielen, die Millionen Menschen deportiert und ermordet haben? Mit freundlichen Grüßen
Stephan Bressler 2. Leserbrief Anbei mein Kommentar zu dem sehr guten Beitrag Grüß Uwe Peters „Nazis“ – Die letzte Patrone der Ampel von Tobias Riegel Ein ausgesprochen guter Artikel mit einer so treffenden und einfachen Analyse des Wahlergebnisses. Dem ist nur noch hinzuzufügen, dass eine Partie wie die Grünen „Frieden schaffen ohne Waffen“ – nun den jungen Erwachsenen mit der Wehrpflicht drohen. Kein Wunder, dass sich auch die Altersgruppe 18 – 35 deutlich von der Partei abwendet. Und 28 % für die sonstigen Parteien bei diesen jungen Wählern ist ebenfalls eine klare Ansage. Wenn nun die CDU erklärt u.U. nach den Wahlen im Osten im September eher mit BSW koalieren würde als mit der AFD, dann muss man sich nicht wundern, wenn CDU-Wähler die AFD am Ende auch aus taktischen Gründen stärken, damit ein Koalition BSW und CDU nicht mehrheitsfähig ist. Ich teile dabei voll die Kritik an der AFD, aber entzaubern muss man sie anders. Vertrauen können die „Altpartien“ nur wiedergewinnen, wenn man die Debatten breit öffnet, für Coronamaßnahmen und Folgen, Klima, die beiden großen Krisenherde – Israel und Ukraine, Migration und die Nebenschauplätze Gendern, Anzahl der Geschlechter usw. verlässt. Niemand will in 5 Jahren in den Krieg ziehen und eine Partie, die nicht mehr von verteidigungsbereit und -fähig redet, sondern von kriegstüchtig, braucht nicht zu fragen wo die Wählerstimmen bleiben. Zudem wäre es klug im Parlament gute Ideen der Volksvertreter unabhängig von der Parteienzugehörigkeit aufzugreifen zu diskutieren und am Ende auch umzusetzen. Demokratische Kultur ist auch anzuerkennen, dass der politische Gegner auch „ein Tor schießen kann“. Auch bei der Europameisterschaft gilt: Wie freuen uns über den Erfolg der deutschen Mannschaft, aber auch wenn er ausbleibt wird es schöne und spannende Fußballspiele zu sehen geben. Das ist sportliche Fairness und wir brauchen auch politische Fairness gegenüber allen Parteien, die im Parlament sitzen. 3. Leserbrief ‚Treffende‘ Überschrift zu dem Beitrag von Tobias Riegel. Damit entlarvt diese die Heuchelei einer Ampel-Regierung , die meint mit ihrer Denunziationspolitik sich ins bessere Licht stellen zu können. Um im Schreibjargon zu bleiben: „Der Schuss geht nach hinten los“, siehe letzte Wahlergebnisse. Allerdings ist das BSW nicht gut beraten, wenn es AfD-Anträge „zum Thema Corona aus taktischen Gründen nicht zustimmt“.
Eigene Akzente könnte das BSW ja trotzdem setzen.
Die weitere Dämonisierung dieser Partei wird ihr ganz sicher nicht mehr Stimmen bringen. Im Gegenteil! Beste Grüße
Ute Plass 4. Leserbrief Lieber Herr Riegel, Sie schreiben: Die Bürger wissen, dass die USA dahinter stecken. Was sie bewegt ist, wann die Leitungen repariert und wieder in Betrieb genommen werden. Sie zählen die wichtigsten Punkte auf, in denen es dringenden Handlungsbedarf gibt. Aber die Liste ist lang. Ich möchte z.B. mal wieder stressfrei mit der Bahn fahren. Sie begleiten das was zu tun ist mit dem Konjunktiv “wäre”. Richtig, die derzeitige Politik ist dazu nicht in der Lage, die ist zu nichts Positivem in der Lage. Nur ein klitzekleiner, harmloser Test: Wie wäre es, wenn der Deutsche Kanzler, dessen Vorgängerin Uschi von der Leine zur EU-Chefin gemacht hat, die EU-Kommission anweist die Sommerzeitumstellung endlich abzuschaffen? Darauf warte ich schon lange. Ist das so schwer? Diese Regierung hat jeden Kontakt zu den Menschen verloren. Sie schreiben: “rechter Höhenflug bremsen” und meinen damit die AfD. Geschenkt, gefährlicher als die CDU sind die auch nicht. Der “Rechte Höhenflug” ist schon lange oben angekommen, mit dem Eintritt der Grünen in die Regierung. Wer wieder “Krieg gegen Russland” führt, wie Baerbock, nach 27 Millionen Sowjetischen Opfern in WK-II, die meisten davon Russen, und in der Ukraine mit den neuen Nazis kooperiert, der ist Nazi. Es redet wie Nazi, handelt wie Nazi, das sind die Grünen. Viele Grüße,
Rolf Henze 5. Leserbrief Sehr geehrter Herr Riegel, Sie sagen: Fast all Ihre Vorschläge hat die AfD im Programm. Nordstream aufklären, keine Waffen in die Ukraine, Sanktionen gegen Russland beenden, Coronamaßnahmen aufarbeiten. Die AfD steht für einen (von Ihnen geforderten und auch nötigen) diplomatischen Ausgleich mit Russland. Deswegen wird sie ja auch von den transatlantischen Alt-Parteien als Putin-Trollpartei und Agent Moskaus verunglimpft. Außer der AfD gibt es nur noch BSW mit großen Schnittmengen in diesen wichtigen Punkten. Alle anderen können oder dürfen nicht. Hier ist die Rolle der US- Hörigkeit zu untersuchen. Da bleibt der grünen Einheitspartei (einschl. schw. Scheinopposition) nur noch die Nazi- Keule. Argumente haben die nicht, nur inhaltsleere Phrasen. Ich studiere nicht die Reden diverser AfD Politiker und auch grenzwertige Äußerungen von ehemaligen Mitgliedern in der Vergangenheit kann man nicht ewig als Monstranz vorne weg tragen. Weswegen wurde nochmal die Immunität von Herrn Höcke aufgehoben und er verurteilt? Der Satz „alles für Deutschland“ (so früher auch mal von der SPD geäußert und im Spiegel gestanden) ist jetzt voll Nazi? Mehr haben die nicht? Wie wollen denn die Altparteien der AfD den Wind aus dem Segel nehmen, wenn sie Angst vor einer Debatte mit ihr haben und teilweise den Saal verlassen, wenn ein AfD Politiker spricht? Die AfD bietet weit mehr, als nur hole Phrasen. Da kann und muß man miteinander diskutieren. Das geht aber nicht, wenn man antidemokratische Brandmauern bastelt und danach behauptet, einer „demokratischen“ Partei anzugehören. Das sind diese Parteien gerade nicht. Wie breit sollte eine funktionierende Demokratie aufgestellt sein, gehört neben links nicht auch rechts dazu (immer ohne „extrem“)? CDU/CSU heben sich unter Merkel weit aus der rechten Ecke verabschiedet, sind nun oftmals grüner als die Grünen. Wenn es „rechts“ nicht mehr im Parlament gibt, haben wir keine Demokratie mehr, dann haben wir eine Diktatur. — Mit freundlichen Grüssen
Ralf Binde 6. Leserbrief Sehr geehrter Herr Riegel, meine Betreffzeile bezieht sich auf einen Absatz in Ihrem gestrigen Artikel: Ich kann das Verständnis, um das Sie hier werben, leider nicht aufbringen. Entweder meinen Sie, dass „wohlklingende AFD-Anträge etwas heuchlerisches an sich haben, oder die Rechtfertigung, die in Ihrer Formulierung „aus taktischen Gründen“ steckt, bedeutet den Neubau einer weiteren von mittlerweile unzählbaren Brandmauern, die zu nichts anderem dient, als Mehrheiten jenseits des herrschenden Mainstreams zu zerbröseln. Traurig grüßt
Lothar Littmann. 7. Leserbrief Sehr geehrte Damen und Herren, das Ziel von Menschen, die die brandgefährliche Kriegstreiberei, den Meinungsterror, die Kriminalisierung von Regierungskritikern, die Kriminalisierung von Ärzten, die ihren hippokratischen Eid ernst nahmen, die Kriminalisierung der politischen Opposition, die undemokratische, korrupte EU-Bürokratie mit Frau von der Leyen an der Spitze, für die die Staatsanwaltschaft mal eben die Ermittlungen aussetzte, die Gesundheitsdiktatur im Sinne des Profits von Big Pharma, die grüne Deindustrialisierung, Klimairrsinn, Genderwahnsinn, Überwachungs- und Zensurterror, Regierungspropaganda auf allen Kanälen u.v.a.m. aus ganzem Herzen ablehnen, besteht keineswegs darin, sich zu überlegen, wie man “der AfD den Wind aus den Segeln nehmen” oder deren “Höhenflug bremsen” kann. Abgeordnete/Kandidaten, die eine vernünftige Politik, Frieden, Freiheit, die uneingeschränkte Geltung der Grund- und Menschenrechte, faires Wirtschaften, die Aufarbeitung des Corona-Verbrechens, eine vernünftige Asylpolitik usw. erreichen wollen, wie sie in wohlklingenden Worten in Talk Shows und Interviews stets betonen, lehnen keine vernünftigen Anträge nur deshalb ab, weil diese von der AfD oder der CDU eingebracht wurden, sie stimmen nicht aus “taktischen Gründen” gegen das bzw. nicht für das, was sie andauernd in wohlklingenden Worten propagieren. “Es geht [nämlich] um konkrete Politik jenseits von „Demokratie“-Posen und Haltungsnoten”, wie Herr Riegel zutreffend anmerkt. Das gilt selbstverständlich auch für das BSW. Tobias Riegel hat recht: “Die Zeit der Phrasen ist mehr als vorbei.” Es geht um glaubhaftes Eintreten für all das, was man in wohlklingenden Worten propagiert und das BSW hat schon viel zu oft bei wichtigen Abstimmungen durch Abwesenheit, Taktiererei, Unglaubwürdigkeit geglänzt. Die jeweiligen Ausreden waren abstrus. Wir brauchen keine weitere Partei, die in wohlklingenden Reden das Blaue vom Himmel verspricht, aber im praktischen Tun im Parlament die katastrophale Politik der grün gefärbten Globalisten-Einheitspartei stärkt. Ich finde es sehr erstaunlich, dass Herr Riegel beim BSW um Verständnis für “taktische” Abstimmungsmanöver wirbt, wo es doch, wie er selbst an anderer Stelle schreibt, um “konkrete Politik” geht und nicht um “Haltungsnoten”. Herr Riegel schreibt: “Dass die AfD bei den hier aufgezählten Themen tatsächlich eine bürgerfreundlichere Politik machen würde, ist höchst unsicher. ” Das mag sein – nichts ist sicher. Aber dass das BSW in mehreren wichtigen Abstimmungen keineswegs bürgerfreundlich agierte, sondern sich aus taktischen Gründen der “Brandmauer” der “Gegen-rechts-alles-rrrächts-rrrächst-Nazi”-Allparteien-Medien-Koalition unterwarf, ist absolut sicher. Tobias Riegel, der um Verständnis für diese nicht an Inhalten orientierte Taktiererei wirbt, räumt selbst ein, dass es hierbei nicht um Inhalte, sondern um “taktische Gründe” geht. Wer aus taktischen Gründen gegen Inhalte stimmt, die er in wohlklingenden Worten in Talkshows und Interviews propagiert, um eine sogenannte Brandmauer zu bedienen, um denen zu gefallen, deren Politik er angeblich bekämpft, hat (nicht nur) für mich jedwede Glaubwürdigkeit verloren. Freundliche Grüße
A. S. 8. Leserbrief Lieber Tobias Riegel, liebe NDS, ich bin da etwas anderer Meinung. Durch die ausgesprochene Dummheit und Arroganz der Altparteien – Aller Altparteien !! – ist die Alternative für Deutschland (AfD) scheinbar mittlerweile wirklich zur einzigen “Alternative für Deutschland” geworden. In einem Land, in dem selbst der Bundespräsident und Kanzler mit Ultra-Nazis und Faschisten paktiert, in dem der Bundestag stehenden Beifall gegenüber einem Massenmörder klatscht, der weit über 500.000 Ukrainer auf dem Gewissen hat, da habe ich bis jetzt kein Problem mit Herrn Höcke. Alternativ dazu ist nur noch das BSW – aber noch im Aufbau. Alle Altparteien haben in den vergangenen 40 Jahren unser Land völlig herunter gewirtschaftet, denn das kumulierte Ergebnis sehen wir heute! An den staatlichen “Füttertrögen” hat es sich gut gelebt für CDU und CSU, für FDP und teilweise SPD, und die Grünen wollten auch mal ran und satt werden. Was hat die CDU denn eigentlich in der Opposition gegen die “Ampel” unternommen? Nichts. Rein gar nichts, weil diese a-sozialen Transatlantiker genau das, was die Ampel gemacht hat, ja genau richtig fanden. Da braucht man keine Opposition zu machen. Als Friederich Merz mal von der “Steuererklärung auf einem Bierdeckel” sprach, hat er nichts weiter als einen wirklich saudummen Witz gemacht. Intelligenz steckte nicht dahinter, denn die hätte man dann ja jetzt während der Oppositonsarbeit sehen müssen. Merz ist nichts weiter, als ein eloquent daherredender, eingebildeter Spinner, der nicht wirklich was drauf hat. Wollen wir mit diesen politischen Bruchpiloten weitermachen in Deutschland? Die Ampel ist ein abgelutschter Drops und bald Geschichte. Wir haben mit den neuen Parteien alles, was man in der Politik braucht: Die AfD ist keine rechtsextreme, sondern eine durchwegs echt konservative Partei. BSW ist keine linksextreme, sondern eine hoch-sozialverantwortliche und vernunftgesteuerte, sogar teilkonservative Partei. Beide werden als neuer Aufbruch für Deutschland gebraucht. Die AfD kann besser als eine “neue CDU” sein. BSW ist besser, als alle anderen zusammen. Die Altparteien werden nicht mehr gebraucht. Die Freie Dödelpartei Deutschland’s, die FDP mit ihrer kriegsbesoffenen Ober-Dödeline ist zum Glück endlich versenkt worden. So einfach ist das. Die CDU/CSU war nie eine konservative Partei, sondern schon immer eine transatlatische a-soziale und neoliberale Partei, die affin zum CFR und Marshall Fund war – seit Adenauer. Jetzt nur fällt es endlich auf, weil das westliche System im “Zusammenkrachen” ist und die Kriminellen aus den Hintergrund hervortreten, um zu retten was zu retten geht. Und wir alle sehen, wie verächtlich neoliberal und a-sozial sie dabei vorgehen. Und der schöne Gabriel? Der soll aufpassen, dass ihm Russland nicht mit dem Bleifuß einen neuen Scheitel zieht. Von seinem Lebenslauf würde er sogar – ohne den Freimaurer-Rucksack der Trilateralen Kommission (“Rockefellar”) und dem ECFR – fast zum BSW passen. Aber das ist für Freimaurer nicht mehr drin. Alles, was wir geopolitisch und wirtschaftlich momentan brauchen, hat die AfD im Portfolio. Alles, was wir im Bereich des sozialen Neuaufbaus und sozialer Gerechtigkeit brauchen hat Wagenknecht mit dem BSW im Portfolio. Sehen wir zunächst, dass wir dies gemeinsam umgesetzt bekommen, möglichst schnell. Und sehen wir zu, diesen irrsinnigen Krieg gegen Russland zu beenden. Dann sehen wir weiter! Liebe Grüße
von unserem Leser R.O. 9. Leserbrief Me: Kannst Du folgenden Artikel als Basis für ein politisches Progamm formulieren. [es folgt der Artikel „Nazis“ – Die letzte Patrone der Ampel von Tobias Riegel] ChatGPT: Basierend auf dem Artikel von Tobias Riegel könnte ein politisches Programm folgendermaßen formuliert werden: Politisches Programm Präambel Wir stehen an einem Wendepunkt. Die politische Landschaft in Deutschland ist von einer zunehmenden Polarisierung geprägt, die in erster Linie durch das Versäumnis der Regierungsparteien entstanden ist, die wahren Ursachen und Bedürfnisse der Bürger anzusprechen. Unser Ziel ist es, durch konkrete und sachliche Politik den sozialen Zusammenhalt zu stärken und den Aufstieg extremer Parteien zu verhindern. Schlusswort
Die Zeit der Phrasen ist vorbei. Nur durch konkrete und zielgerichtete Politik können wir den Herausforderungen unserer Zeit begegnen und eine gerechtere und friedlichere Gesellschaft schaffen. Die Ampel-Koalition hat versagt; es ist an der Zeit, neue Wege zu gehen und die Politik im Interesse aller Bürger zu gestalten. Von unserem Leser T.B. Anmerkung zur Korrespondenz mit den NachDenkSeiten Die NachDenkSeiten freuen sich über Ihre Zuschriften, am besten in einer angemessenen Länge und mit einem eindeutigen Betreff. Es gibt die folgenden E-Mail-Adressen: Weitere Details zu diesem Thema finden Sie in unserer „Gebrauchsanleitung“. | Redaktion | Tobias Riegel kommentiert in diesem Beitrag die unangenehm auffallenden „Nazi“-Aussagen hoher SPD-Politiker. Die pauschale Nazi-Keule habe sich jedoch als Ablenkung abgenutzt. Auf „dem Feld der konkreten politischen Schritte gäbe es Vieles, das man der AfD und ihrem Aufwind sofort entgegensetzen“ könne. Fest stehe einerseits: „Die Ampel muss weg!“ Andererseits könne ein Ende der Ampel bei den ... | [] | [
"Leserbriefe"
] | 14. Juni 2024 14:50 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=116721 |
Steingart/Spiegel-Polemik gegen Obamas Konjunkturprogramm im besonderen und gegen Konjunkturprogramme im allgemeinen | Das Bemerkenswerteste an dem am 5.2. erschienenen SpiegelOnline-Artikel „Was Obama von Deutschland lernen kann“ des Washingtoner Korrespondenten Gabor Steingart ist die Tatsache, dass der Spiegel überhaupt noch Artikel dieses Autors bringt. Denn diese frühere Nachwuchshoffnung des Spiegel hat sich in mehreren Beiträgen so fundamental vertan, dass man schon aus Zeitgründen auf die Lektüre seiner Artikel verzichten könnte. Im konkreten Fall polemisiert Steingart gegen den New Deal und die Staatsschulden des früheren US-Präsidenten Roosevelt und empfiehlt Ludwig Erhard. Albrecht Müller
Da Steingart wieder einmal bar jedes Selbstzweifels formuliert, ist es angebracht, an frühere Flops zu erinnern: Gabor Steingart hat zum Beispiel in seinem Buch „Der Abstieg eines Superstars“ und in vielen anderen Beiträgen den Niedergang der Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands beschworen und de facto eine Lohnanpassung an die Niedriglohnländer empfohlen. Das hat sich rundum als falsch erwiesen, wie die Leistungsbilanzen Deutschlands und unserer Partnerländer zeigen. Steingart hat mit seiner Agitation und dem meinungsführenden Medium Spiegel im Hintergrund vermutlich kräftig dazu beigetragen, das durch Lohnzurückhaltung und mangelnde staatliche Nachfrage herbeigeführte Leistungsbilanz-Ungleichgewicht entstehen zu lassen. Wir haben unsere europäischen Partner mit vergleichsweise sinkenden Lohnstückkosten kaputt konkurriert. Steingart hat dann im September 2006 mit einem neuen Werk über den Wirtschaftsweltkrieg und einer Serie von Spiegelartikeln eine „NATO der Wirtschaft“ gefordert. Er berichtete, „in Angela Merkels Kanzleramt wird über Geschichtsmächtiges nachgedacht: eine europäisch-amerikanische Freihandelszone.“ Das war offensichtlich seine Idee, von der seitdem niemand mehr geredet hat. Mit Recht. Man muss sich heute einmal vorstellen, wir säßen in dieser Finanzkrise in einer noch engeren Abhängigkeit von der wirtschaftlichen und finanziellen Entwicklung der USA. Wie wahnsinnig das ist, konnte man auch schon 2006 wissen. Schon damals waren die Schulden und die Leistungsbilanzdefizite der USA erschreckend. In den NachDenkSeiten sind wir am 25. September 2006 ausführlich auf die damaligen Produkte von Steingart eingegangen: „Steingart – Mittelmaß in der Sache aber Meister in der Kunst der Verführung“. Das ist immer noch lesenswert. Sein neuer Text zeigt, dass dieser Autor einfach nicht verstanden hat, dass die Neuverschuldung, die man hinnehmen muss, um Konjunkturprogramme zu finanzieren, am Ende nicht zwangsläufig zu höheren Schulden führen, sondern zu niedrigeren führen können. Er hat bis heute nicht akzeptiert, dass im Falle des Nichtstuns die Schulden noch viel höher würden und außerdem wichtige staatliche Leistungen unterbleiben. Im konkreten Fall des kritisierten Präsidenten Roosevelt waren das viele nützliche öffentliche Investitionen. Steingart tut dann so, als wäre der damalige amerikanische Präsident nur durch den zweiten Weltkrieg von den Schulden befreit worden. Wie das funktioniert haben soll, habe ich bei der Lektüre des SpiegelOnline-Beitrags nicht verstanden. Wahrscheinlich versteht es der Autor auch nicht.
Den Amerikanern wird vom SpiegelOnline-Autor dann Ludwig Erhard empfohlen. Richtig an den Anmerkungen von Steingart ist, dass ein Land ohne die Arbeit seiner Bürgerinnen und Bürger auf keinen grünen Zweig kommt. Ohne Fleiß kein Preis, o.k.. Das gilt auch für die heutigen Amerikaner und das galt auch schon für die Amerikaner, mit denen uns Steingart im Jahr 2006 in eine Freihandelszone und damit einen gemeinsamen Wirtschaftsraum zwingen wollte. Beim Rückgriff auf Erhard lässt der Autor übrigens das schmähliche ökonomische Ende des damaligen Bundeskanzlers Erhard weg. Dieser hatte uns nämlich in eine Rezession geführt, die nur mit Konjunkturprogrammen des Bundeswirtschaftsministers Schiller und der damaligen Großen Koalition überwunden werden konnte. Nicht nur mit Fleiß, auch mit einer guten makroökonomischen Politik. Es fällt noch etwas auf bei der Polemik des Autors gegen Roosevelt und indirekt gegen Obama. Steingart polemisiert gegen die gigantischen Konjunkturprogramme und behauptet, der Kater sei damit programmiert und er werde gigantisch ausfallen. Wo bleibt die Polemik gegen die Rettungsschirme zu Gunsten der Banken, die eine größere Dimension und die größere Folgen für die Staatsschulden haben dürften als die Konjunkturprogramme, in den USA wie bei uns? Die Rettungsschirme für die Banken erwähnt Steingart vermutlich nicht, weil er seine Freunde bei den Banken schätzen will. Im zuvor erwähnten Buch über den Abstieg eines Superstars wird vom Autor ausdrücklich ein Dank an die Zuarbeit der Wirtschaftsforscher der Deutschen Bank ausgesprochen. Diese (wie auch andere deutsche Banken) war bei Erscheinen des damaligen Steingart-Buches übrigens schon mittendrin im Sumpf der Auslagerung von faulen Forderungen auf Zweckgesellschaften und andere Institute mit dem Charakter von üblen Banken, so genannten Bad Banks. Siehe dazu: “Die politisch Verantwortlichen haben systematisch an der Verschleierung der Finanzkrise in Deutschland mitgearbeitet (Teil VI Finanzkrise)”. | Albrecht Müller | Das Bemerkenswerteste an dem am 5.2. erschienenen SpiegelOnline-Artikel „Was Obama von Deutschland lernen kann“ des Washingtoner Korrespondenten Gabor Steingart ist die Tatsache, dass der Spiegel überhaupt noch Artikel dieses Autors bringt. Denn diese frühere Nachwuchshoffnung des Spiegel hat sich in mehreren Beiträgen so fundamental vertan, dass man schon aus Zeitgründen auf die Lektüre seine ... | [
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] | 05. Februar 2009 17:32 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=3748&share=email |
NDS Videopodcast 13/10 Abgeltungssteuer und Steuerflucht | In diesem Videopocast beantworten die NachDenkSeiten Fragen ihrer Leser. Heute geht es um die Frage, ob die Vermögenden wirklich weniger Steuern zahlen als Arbeitnehmer und ob sie das Land verlassen würden, wenn man dies ändert. | Jens Berger |
In diesem Videopocast beantworten die NachDenkSeiten Fragen ihrer Leser. Heute geht es um die Frage, ob die Vermögenden wirklich weniger Steuern zahlen als Arbeitnehmer und ob sie das Land verlassen würden, wenn man dies ändert. | [] | [
"Video-Podcast"
] | 28. März 2013 10:13 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=16701&share=email&nb=1 |
Myanmar, Daw Aung Suu Kyi und die Revolution – Teil 3/3: Die Regierungsjahre und der Putsch | Im November 2015 fanden Parlamentswahlen statt, an denen sich auch die NLD beteiligte. Die NLD konnte einen erdrutschartigen Sieg verbuchen und stellte ab Februar 2016 mit Htin Kyaw den Staatspräsidenten, einen Posten, den Suu Kyi laut Verfassung nicht bekleiden konnte. Suu Kyi wurde Außenministerin und Staatsrätin und die De-facto-Regierungschefin in einer Regierung, in der laut Verfassung das Militär 25 Prozent der Sitze im Parlament und die drei Ministerien für Inneres, Verteidigung und Grenzangelegenheiten innehat. Von Marco Wenzel.
Lesen Sie dazu auch Teil 1: Die frühen Jahre und Teil 2: Unter Hausarrest Viele meinten, nun sei Myanmar endgültig auf dem Weg zur Demokratie. Aber der Teufel steckt wie immer im Detail, in diesem Fall genauer: in der Verfassung, die vom Militär im Vorfeld so zugeschnitten worden war, dass das Militär die Kontrolle über das Land behalten würde, egal wie zukünftige Wahlen ausgehen würden. Eine wirkliche Demokratie wäre das Ende der Tatmadaw und ihrer Privilegien, vor allem aber ihrer militäreigenen Firmen, die noch nicht einmal ihre Bilanzen offenlegen und Steuern zahlen müssen. Zudem beruhen viele der Einkünfte des Militärs auf einer zweifelhaften Geschäftsgrundlage und auf illegalen Geschäften wie Drogenhandel, illegalem Holz- und Edelsteinabbau und -handel oder ganz einfach auf Korruption durch die Vergabe von Konzessionen an ausländische, meist chinesische, Firmen oder an die Familienmitglieder ihrer Kumpane. Über das Militärbudget hat die Regierung kein Mitspracherecht und dort ist Korruption durch überteuerte Einkäufe an Rüstungsgütern an der Tagesordnung. Zwischen 1988 und 2015 hatte sich das Militärbudget mehr als verzehnfacht. Rechnet man noch die Polizei hinzu, die dem Militär nahesteht, so werden etwa 40 Prozent der Staatseinnahmen Myanmars für das Militär verwendet. Rohingya-Konflikt Der Konflikt zwischen muslimischen Rohingya und buddhistischen Arakanesen im westlichen Rakhaing-Staat (früher Arakan) dauert seit der Unabhängigkeit Burmas (1947) an. Die Rohingya werden nicht als Staatsbürger Myanmars anerkannt, obwohl sie dort bereits seit Generationen leben. Ihnen werden viele Beschränkungen auferlegt und sie leben in einer Art von Apartheitssystem in Myanmar. Seit 2012 haben sich die Konflikte durch Hitzköpfe auf beiden Seiten verschärft. Nationalistische buddhistische Mönche riefen zur Vertreibung der Rohingyas auf, bei Ausschreitungen zwischen den beiden Volksgruppen im Jahr 2012 starben 160 Menschen. Buddhisten steckten Häuser von Rohingyas in Brand und diese wiederum zündeten buddhistische Tempel an. 2015 kam es zu einer Flüchtlingskrise, zehntausende flohen nach Bangladesch oder über das Meer nach Thailand, Malaysia und Indonesien. 2016 wurde die Arakan Rohingya Salvation Army (ARSA) gegründet, die den bewaffneten Kampf mit Regierungstruppen und der Armee der Arakanesen (AA) aufnahm und für die Gründung eines unabhängigen islamischen Staates mit der Scharia als Gesetz kämpfte. Ihr Anführer war ein gebürtiger Pakistani, der in Mekka „studiert“ hatte. Es ist davon auszugehen, dass die ARSA auch von Saudi-Arabien und vom pakistanischen Geheimdienst ISI unterstützt wurde. Die Angriffe der ARSA auf Polizeiposten im Rakhaing-Staat provozierten jedenfalls eine unverhältnismäßige Gegenreaktion der Tatmadaw. Bei der Niederschlagung des Aufstandes starben über tausend Menschen, viele davon unschuldige Zivilisten. Die Tatmadaw ging wie gewohnt rücksichtslos gegen die Bevölkerung vor und machte keinen Unterschied zwischen Aufständischen und unbewaffneten normalen Dorfbewohnern, die mit der Sache nichts zu tun hatten und nur in Frieden leben wollten. Die UN ordnet das Vorgehen der Tatmadaw gegen die Rohingya als Genozid ein. Sowohl die ARSA als auch die Tatmadaw haben in dem Konflikt zweifellos Menschenrechtsverletzungen begangen. Leidtragende war vor allem die Bevölkerung, die mehrheitlich friedliebend ist. Schnell gab man auch Suu Kyi die Mitschuld an dem brutalen Vorgehen der Tatmadaw, weil sie die Generäle nicht unter Kontrolle halte, manche wollten ihr den Friedensnobelpreis wieder aberkennen. Dies zeugt von einer völligen Unkenntnis der damaligen Machtverhältnisse in Myanmar. Denn die Regierung hat laut Verfassung kein Mitspracherecht in Militär- und Grenzangelegenheiten, Suu Kyi war schlicht und einfach machtlos. Jedoch hat ihr Schweigen und ihre Untätigkeit in der Angelegenheit sowie ihr Erscheinen im Dezember 2019 vor dem internationalen Gerichtshof in Den Haag, um Myanmar gegen den Vorwurf des Völkermords zu verteidigen, ihren internationalen Ruf schwer beschädigt. Die zuvor noch so begeisterte internationale Gemeinschaft begann sich wieder von Myanmar zu entfernen, was wiederum Myanmar enger an China band, das Myanmar aus nicht ganz uneigennützigen Gründen immer die Treue hielt und wieder einmal im UN-Sicherheitsrat sein Veto gegen Maßnahmen gegen Myanmar einlegte. Reformen unter Suu Kyi Eines der wichtigsten Wahlkampfversprechen der NLD war eine beabsichtigte Änderung der Verfassung gewesen. 2019 hat das von der NLD kontrollierte Parlament den Prozess zur Änderung der Verfassung Myanmars von 2008 mit der Einsetzung eines Parlamentarischen Ausschusses zur Verfassungsänderung eingeleitet. Im Juli 2019 legte der Ausschuss dem Parlament seine Änderungsvorschläge vor. Die Vorschläge beinhalteten unter anderem eine schrittweise Verringerung der Zahl der für das Militär reservierten Parlamentssitze von 25 Prozent auf 5 Prozent bis 2030. Damit wäre eine Verfassungsänderung und damit eine zunehmende Einengung der Kontrolle der Generäle über den Staatsapparat in nächster Zukunft in greifbare Nähe gerückt. Aber bis jetzt noch bedürfen Gesetzentwürfe zu einer Verfassungsänderung einer Mehrheit von 75 Prozent der Stimmen im Parlament und eventuell noch zusätzlich eines Referendums. Angesichts der Tatsache, dass die Tatmadaw bereits 25 Prozent der Abgeordneten selber ernannten, war eine Ablehnung von Anfang an zu erwarten. Auch kein Änderungsvorschlag zum Thema Föderalismus oder zur Dezentralisierung, einer für ethnische Gruppen entscheidenden Frage, konnte durch das Veto der Tatmadaw eine ausreichende Mehrheit erlangen. Obwohl von Anfang an zu erwarten war, dass die Mitglieder der USDP, der Partei des Militärs, zusammen mit den von den Tatmadaw ernannten Abgeordneten die Vorschläge ablehnen würden, war der Prozess für die NLD nichtsdestotrotz ein politischer Sieg. Er bestätigte das, was bereits alle wussten, nämlich dass das Militär alle demokratischen Vorstöße kompromisslos blockiert. Und es zeigte, dass die NLD wenigstens versucht hat, ihr Wahlversprechen zu erfüllen, aber an der Sturheit der Generäle scheiterte. Ein wichtiger Erfolg in Richtung Demokratisierung gelang aber trotzdem: die Ausgliederung der GAD aus dem vom Militär kontrollierten Innenministerium. Der Transfer des General Administration Departments (GAD) Ende 2018 vom Innenministerium zur Zivilregierung war ein wichtiger Schritt in Richtung Entmilitarisierung der Regierungsführung, um eine föderale Zukunft für Myanmar einzuleiten. Die GAD ist ein bürokratisches Netzwerk mit fast 36.000 Mitarbeitern, das sich über ganz Myanmar bis in jeden Bezirk oder jedes Dorf erstreckt, es ist die Distriktverwaltung schlechthin und erlaubt die Kontrolle über jeden Winkel des Landes. Ihre Beamten haben eine Vielzahl von Aufgaben, neben der Verwaltung auch das Erbringen von Dienstleistungen und die Steuererhebung. In der GAD haben 30 Prozent aller Beamten direkte Verbindungen zum Militär. Als das GAD Teil des Innenministeriums war, waren die Mitarbeiter der GAD ausschließlich den Tatmadaw und nicht der zivilen Verwaltung verantwortlich, ein Haupthindernis für die Umsetzung der Reformagenda der NLD. Nach der Ausgliederung aus dem Innenministerium sollte eine Modernisierung, die Reform von Vorschriften und die Neuausrichtung auf eine stärker bürgernahe Erbringung von Dienstleistungen mit größerer Transparenz und Rechenschaftspflicht in Angriff genommen werden. Durch die Stärkung der Lokalverwaltungen in den Bundesstaaten und in den Regionen hätte die GAD-Reform den “Föderalismus von unten” vorantreiben und die Grundlage für einen unabhängigen und professionellen öffentlichen Dienst sein können. Nach den Reformen wurden die 16.000 Verwalter der Bezirke und Dörfer gewählt und nicht mehr vom Staat ernannt. Dies war der erste Schritt hin zu einer lokalen Regierung. Nach dem Putsch war eine der ersten Maßnahmen der Tatmadaw, die GAD wieder dem Innenministerium zu unterstellen, die gewählten Verwalter zu entlassen und wieder ihre eigenen Leute vor Ort zu ernennen. Diese jedoch stehen jetzt als Kollaborateure ganz oben auf den Abschusslisten der Volksverteidigungskräfte. Viele von ihnen sind bereits Anschlägen zum Opfer gefallen und noch mehr haben, nach einer offiziellen Warnung der Untergrundregierung NUG, demissioniert, da sie die Rache des Volkes fürchten. Der Putsch im Februar 2021 Im November 2020 wurde das Parlament neu gewählt. Wiederum erzielte die NLD einen überwältigenden Sieg und gewann über 80 Prozent der zu vergebenden Sitze. Die Partei des Militärs (USDP), die gesondert kandidierte, erlitt erneut eine verheerende Niederlage. Die Wahlen waren ein klares Referendum gegen das Militär und für Suu Kyi, die mit 75 Jahren erneut kandidiert hatte. Das Ergebnis der NLD übertraf diesmal noch dasjenige von 2015. Damit bekam die NLD klar das Mandat, die begonnenen politischen Reformen und den Demokratieprozess in Myanmar weiter voranzutreiben. Nichts fürchten die Tatmadaw mehr als Demokratie. Demokratie ist nicht vereinbar mit dem Staat im Staat, den sie sich aufgebaut haben. Die vorherige Regierung hatte demokratische Reformen angestrengt, war aber am Veto der Tatmadaw und an der Verfassung gescheitert. Der erneute überwältigende Wahlsieg ihrer Gegner konnte nichts anderes bedeuten, als dass die NLD eine Mehrheit von über 90 Prozent der Bevölkerung für weitere Reformen hinter sich wusste. Und was nicht sein kann, das darf ja bekanntlich auch nicht sein. Spätestens Anfang Januar 2021 (das neue Parlament sollte am 1. Februar zusammentreten und eine neue Regierung bilden) begann die Tatmadaw öffentlich von Wahlbetrug zu reden und verlangte eine neue Auszählung der Stimmen. Der Ton wurde immer aggressiver und wenige Tage vor dem Putsch schloss niemand mehr einen Militärschlag aus. (Siehe hierzu: Gebrochene Flügel.) Es kam wie befürchtet, das Militär putschte am Morgen des 1. Februar, kurz vor dem Zusammentreten des neuen Parlaments, nahm Suu Kyi, Staatspräsident U Myint und andere Führer der NLD fest, trieb die Versammlung auseinander und ernannte kurz darauf eine Militärjunta als Regierung. Die gewählten Abgeordneten gingen in den Untergrund und wählten eine Gegenregierung. Die Tatmadaw töteten seither 1.300 Demonstranten, warfen ihre politischen Gegner ins Gefängnis, installierten ein Terrorregime und annullierten die verlorenen Wahlen. All das soll hier nicht nochmals geschildert werden. Der interessierte Leser findet hierzu zahlreiche Beiträge auf unserer Webseite, die NachDenkSeiten haben seit Februar regelmäßig über die Ereignisse in Myanmar berichtet und die Hintergründe beleuchtet. Die geplante Zerstörung der NLD und der Prozess gegen Aung Suu Kyi Gleich nach dem Coup unter dem Vorwand der Wahlfälschung kündigte Putschistenführer Hlaing Neuwahlen in einem Jahr an. Dieser Termin musste bereits wieder verschoben werden, das Land ist aufgrund der starken Widerstandsbewegung 11 Monate nach dem Putsch immer noch unregierbar. Zudem muss die Junta zuerst sicherstellen, dass sie die Neuwahlen auch gewinnt. Wenn unter den jetzigen Umständen neue Wahlen stattfänden, würde das Militär wiederum haushoch verlieren. Die Tatmadaw sind in der Bevölkerung so verhasst wie nie zuvor, außer ein paar Kumpane der Generäle würde niemand sie wählen. Nicht einmal der Wahlstimmen ihrer eigenen Truppen können sie sich sicher sein, wie eine Analyse der Wahlen von 2010 und 2015 zeigt. Um die nächsten Wahlen zu gewinnen, muss das Wahlgesetz geändert werden und, noch wichtiger, die größte Oppositionspartei und ihre Anführerin und Ikone Aung Suu Kyi müssen beseitigt werden. Ende Oktober wurde Win Htein, ein 79-jähriger enger Vertrauter von Suu Kyi, wegen Hochverrats zu 20 Jahren Haft verurteilt. Der abgesetzte Ministerpräsident der Region Mandalay, Dr. Zaw Myint Maung, wurde von einem Junta-Gericht zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, der stellvertretende Vorsitzende der NLD wurde zu zwei Jahren Haft wegen Aufwiegelung und zu weiteren zwei Jahren Haft wegen angeblicher Verstöße gegen die COVID-19-Vorschriften verurteilt. Der an Leukämie erkrankte Politiker ist außerdem in fünf Fällen wegen Korruption und zwei Fällen wegen Wahlbetrug angeklagt. Der Minister für Landwirtschaft und Bewässerung der Region Mandalay, Dr. Soe Than, der Minister für Elektrizität, U Zar Ni Aung, und U Tin Ko Ko, Sekretär des NLD-Zweiges der Region Mandalay, wurden wegen Verstoßes gegen das Gesetz über Naturkatastrophen zu zwei Jahren Haft verurteilt, Dr. Ye Lwin, Bürgermeister von Mandalay und regionaler Kommunalminister, wurde wegen Aufwiegelung verurteilt. Daw Nan Khin Htwe Myint, die entmachtete Ministerpräsidentin des Karen-Staates, wurde Anfang November wegen Korruption und Aufwiegelung zu 77 Jahren Haft verurteilt. Ein Parteiverbot für die NLD ist in Vorbereitung, viele ihrer Anführer sind verhaftet, manche wurden getötet und der Rest ist auf der Flucht, um einer drohenden Verhaftung zu entgehen oder um im Untergrund den Widerstand zu organisieren. Suu Kyi steht seit ihrer Festnahme wieder unter Hausarrest, an einem geheimen Ort und von der Außenwelt abgeschnitten. Gegen sie wurde Anklage in gleich zehn verschiedenen Punkten erhoben: illegale Einfuhr von Walkie-Talkies, Aufruhr, Korruption und Anstiftung zu öffentlichen Unruhen. Sie wurde auch wegen Verstoßes gegen die Covid-19-Beschränkungen angeklagt und Mitte November fügte die Junta eine Anklage wegen Wahlbetrugs hinzu. Eine Anklage ist absurder als die andere, alle haben das Ziel, sie für den Rest ihres Lebens hinter Gittern zu bringen. Wäre sie nicht die Tochter von Aung San, dem Nationalhelden, Kämpfer für die Unabhängigkeit Burmas und Gründer der Armee, wäre Suu Kyi wahrscheinlich, wie viele ihre Parteigenossen, bereits tot. Deshalb müssen fadenscheinige Anklagen her, um sie unter Wahrung zumindest eines Anscheins von Rechtmäßigkeit lebenslänglich hinter Schloss und Riegel zu bringen. Ein erster Prozess gegen Suu Kyi (76) und den früheren Staatspräsidenten U Myint (70) endete am 6. Dezember mit einem Schuldspruch und einer Verurteilung zu je vier Jahren Gefängnis wegen Aufwiegelung und wegen Verstoßes gegen die Covid-19-Vorschriften. Der mitangeklagte frühere Bürgermeister der Hauptstadt Naypyidaw, Myo Aung, wurde zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt. Die Verurteilung wegen Aufwiegelung ist allein schon deshalb lächerlich, weil Aung Suu Kyi seit dem Putsch von der Außenwelt abgeschnitten unter Hausarrest steht. Wen also hätte sie aufwiegeln können? Die Medien durften nicht am Prozess teilnehmen, der hinter verschlossenen Türen vor einem Sondergericht in Naypyidaw stattfand. Das Regime hat Suu Kyis Anwälten verboten, in der Öffentlichkeit über ihren Fall zu sprechen, mit der Begründung, dass dies “die öffentliche Ruhe stören” könnte. Gleich nach der Urteilsverkündung reduzierte Juntachef Hlaing die Strafe auf zwei Jahre Hausarrest, ohne Begründung für diese Begnadigung. Wahrscheinlich wollen die Militärs zeigen, wie viel Macht sie über das Justizsystem haben, während sie gleichzeitig vorgeben, großmütig und kompromissbereit zu sein. Und im Fall von Suu Kyi können sie das auch ruhig tun, denn mit den noch ausstehenden Prozessen werden in Kürze weitere Urteile erwartet. Das Urteil gegen sie wegen des Besitzes von Walkie-Talkies wird für die letzte Kalenderwoche erwartet. Sollte sie, was bereits abgemacht scheint, in allen Fällen schuldig gesprochen werden, so drohen ihr weitere 100 Jahre Gefängnis. Selbst nochmals auf die Hälfte reduziert reicht das locker aus, sie bis zu ihrem Lebensende mundtot zu machen. Hauptziel der Junta ist es, sie für immer aus der Politik zu vertreiben. Das Urteil wurde von den Vereinten Nationen verurteilt und hat Myanmars Ruf als Pariastaat weiter offengelegt. “Die Verurteilung der Staatsrätin nach einem Scheinprozess in einem geheimen Verfahren vor einem vom Militär kontrollierten Gericht ist nichts anderes als politisch motiviert”, sagte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet. “Es geht nicht nur um die willkürliche Verweigerung ihrer Freiheit – es schließt eine weitere Tür zum politischen Dialog.” Das Urteil wurde auch von mehreren internationalen Organisationen verurteilt, darunter den Vereinten Nationen, der Europäischen Union und der britischen Regierung, die alle den Prozess als politisch motiviert bezeichneten. Die Verurteilung von Suu Kyi und weiteren hochrangigen Führerpersönlichkeiten der NLD wird weiteres Öl ins Feuer gießen. Es wird die Bevölkerung nicht davon abhalten, weiter zu demonstrieren, und es wird auch die Volksverteidigungskräfte und die ethnischen Gruppen nicht davon abhalten, den bewaffneten Kampf fortzuführen. Der Tag, an dem die Revolution siegt, wird der Tag sein, an dem die politischen Gefangenen wieder freikommen, wenn die Revolution nicht siegt, ist ihr Schicksal hinter Gefängnismauern besiegelt. Ob man Suu Kyi ins Gefängnis werfen wird oder ob sie in Hausarrest bleiben darf, ist noch nicht geklärt. Das hängt ganz von der Laune der Generäle ab. Am 17. Dezember wurde sie zum ersten Mal in Sträflingskleidung dem Gericht vorgeführt, eine weitere Herabsetzung von Aung Suu Kyi, die bisher, in der Öffentlichkeit und auch vor Gericht, immer elegant gekleidet und mit Ohrringen und mit einer Blume im Haar erschien, ein Zeichen für eine Veränderung in der Art und Weise, wie man sie und andere hohe Beamte demnächst zu behandelt gedenkt. Schlussbemerkungen Der Staatsstreich hat die Militärs zur meistgehassten Institution des Landes gemacht. Wenn Myanmar überhaupt jemals auf dem Weg zur Demokratie war, so ist der Traum definitiv am 1. Februar geplatzt. Ein Aktivist drückte es so aus: „Myanmar war wie ein Vogel, der gerade das Fliegen lernt, jetzt hat das Militär ihm die Flügel gebrochen.“ Die Generäle haben definitiv eine rote Linie überschritten, es gibt keinen Spielraum für Kompromisse mehr, sie haben im wahrsten Sinne des Wortes zu viele Leichen im Keller. Wenn die Tatmadaw verlieren, was der Autor dieser Zeilen hofft, dann werden sie mit viel Glück im Gefängnis landen, schlimmstenfalls werden sie am nächsten Laternenmast baumeln. Das Volk wird sie nicht noch einmal davonkommen lassen. Es wird eine Art Nürnberger Prozess geben. Die Tatmadaw wissen das nur zu gut, deshalb sind sie auch nicht an Kompromissen interessiert. Das Militär hat sich verrechnet und sich mit dem Putsch am 1. Februar in eine Sackgasse begeben, aus der es kein Zurück mehr gibt. An der Macht bleiben oder ins Gefängnis wandern, das sind die Perspektiven, die ihnen jetzt noch verbleiben, und es erklärt zum Teil auch die Brutalität ihres Vorgehens. In der Zeit der relativen Öffnung Myanmars, wo die Militärs ihren „Weg zur Demokratie“ ausprobierten, hat sich die Gesellschaft in Myanmar verändert. Die neue Generation hat gelernt, das Internet zu nutzen und sich für Themen wie Demokratie und Bürgerrechte zu interessieren und sich untereinander, auch international, auszutauschen. So entstand die „Generation Z“, und das hatten die Militärs nicht mit auf der Rechnung, als sie am 1. Februar ihren Putsch ausführten. Nachdem die alten Kader der NLD von den Militärs verjagt wurden, ist diese neue Generation in den Vordergrund getreten. Sie führen die Demonstrationen an, viele von ihnen beteiligen sich jetzt am bewaffneten Widerstand und sie nutzen die sozialen Medien, um ihre Botschaft zu verbreiten. Die Tatmadaw hat keine Chance, jemals die Herzen und Köpfe dieser jungen Menschen zu gewinnen. Sie sind mutig, die Frauen haben sich oft als noch mutiger als die Männer erwiesen und nehmen führende Rollen in der Organisation des Widerstandes ein. Suu Kyi ist die erste Frau in der modernen Geschichte Myanmars, die eine herausragende Rolle in der Politik des Landes gespielt hat, sie wird nicht die letzte dieser modernen, mutigen Kämpferinnen sein. Die jungen Menschen wollen eine andere Zukunft für sich und ihr Land, eine Zukunft frei von Angst und ohne Militärdiktatur. Und sie werden sich diese Zukunft erobern. Die Junta hat auf lange Sicht keine Daseinsberechtigung, sie gehört auf den Kehrichthaufen der Geschichte und sie wird auch bald dort enden. Und Suu Kyi? Es ist nicht klar, wie Suu Kyi zu den Gegenmaßnahmen der NUG steht. Sie ist von der Außenwelt abgeschnitten, es ist nicht einmal sicher, dass sie überhaupt weiß, was im Land geschieht. Während der Widerstand gegen den Putsch immer mehr an Fahrt gewinnt, wird in der politischen Gemeinschaft Myanmars häufig die Frage gestellt, ob die inhaftierte Suu Kyi die aktuelle revolutionäre Bewegung unterstützt. In Anbetracht ihrer bisherigen Philosophie und ihres langjährigen Bekenntnisses zur Gewaltlosigkeit ist dies eine Frage, die man sich stellen muss. Die NUG hat den Tatmadaw offiziell den Krieg erklärt und bekämpft sie nun auch militärisch. In allen Städten des Landes haben sich Volksverteidigungskräfte gebildet, die Anschläge gegen die Tatmadaw ausführen. Die ethnischen Gruppen sind täglich in Kämpfe gegen die Armee verwickelt. Da Suu Kyi bisher ständig von Verhandlungen und Versöhnung sprach, könnte es sein, dass sie die jetzige Politik der Untergrundregierung, die mehrheitlich aus Mitgliedern der NLD besteht, nicht gutheißen würde. In der Öffentlichkeit genießt Suu Kyi immer noch einen gottähnlichen Status. Von der Außenwelt abgeschnitten, ist sie nicht in der Lage, den laufenden politischen Kampf gegen die Militärherrschaft zu beeinflussen. Im Gegensatz zum Aufstand von 1988 haben neue Gesichter, vor allem junge Menschen, die Hauptrolle übernommen. Diese Generation Z setzt entschlossen ihr Leben aufs Spiel. Sie kämpfen nicht für eine Mehrheit im Parlament, sondern für ihre Freiheit, ihre Rechte und ihre Zukunft. Die NUG versucht, eine kollektive Führung aufzubauen, indem sie Angehörige ethnischer Minderheiten in Spitzenpositionen beruft und die Beteiligung von Frauen und Jugendlichen ausweitet, anstatt auf eine charismatische Führerin zu bauen. Die bisherige Politik, auch unter San Suu Kyi, sagte bisher nur, wogegen sie kämpft, aber nicht wofür. Der Kampf geht gegen den Putsch und die Junta, es stellt sich aber immer mehr die Frage, was danach kommen soll. Es fehlt immer noch eine große politische Vision. Es wurden Gremien geschaffen, die ihre Vorschläge ausarbeiten, wobei eines der wichtigsten Themen die Integration der mehr als 130 ethnischen Minderheiten in einem föderalen Staat und der Aufbau einer neuen Armee ist. Die gute Nachricht: Die NUG scheint sich des Problems bewusst und arbeitet daran, sie stellt die richtigen Fragen. Die Politik ist in Myanmar in eine neue Ära eingetreten, die Demokratiebewegung hat inzwischen ihre eigene Dynamik entwickelt und braucht dazu nicht mehr den Segen von Aung Suu Kyi. Es wäre aber gut, wenn Suu Kyi die NUG mit ihrem politischen Gewicht unterstützen würde, sobald sie wieder in Freiheit ist. Titelbild: Mamunur Rashid/shutterstock.com Literatur: Burma in Revolt, Bertil Lintner, Silkworm Books, ISBN 978-974-7100-78-5
Aung San Suu Kyi, Bertil Lintner, Silkworm Books, ISBN 978-616-215-015-9
Merchants of Madness, Bertil Lintner, Silkworm Books, ISBN 978-974-9511-59-6
The Rise and Fall oft the Communist Party of Burma, Bertil Lintner, Cornell Southeast Asia Program, ISBN 0-87727-132-2
Die CIA und das Heroin, Alfred Mc Coy, Westend-Verlag, ISBN 978-3-86489-134-2 Myanmar now, online newspaper, https://www.myanmar-now.org/en
The Irrawaddy, online newspaper, https://www.irrawaddy.com/category/news
Frontier Myanmar, online newspaper, https://www.frontiermyanmar.net/en/
Burma news International, online newspaper, https://www.bnionline.net/en/news
The diplomat, online newspaper, https://thediplomat.com/regions/east-asia/
Bangkok Post online, https://www.bangkokpost.com/
South China Morning Post online, https://www.scmp.com/ | Marco Wenzel | Im November 2015 fanden Parlamentswahlen statt, an denen sich auch die NLD beteiligte. Die NLD konnte einen erdrutschartigen Sieg verbuchen und stellte ab Februar 2016 mit Htin Kyaw den Staatspräsidenten, einen Posten, den Suu Kyi laut Verfassung nicht bekleiden konnte. Suu Kyi wurde Außenministerin und Staatsrätin und die De-facto-Regierungschefin in einer Regierung, in der laut Verfassung da ... | [
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] | 31. Dezember 2021 9:00 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=79325&share=email&nb=1 |
Das „Ökumenische Friedenszentrum am Rand des Kirchentages in Hannover“ wurde bisher nicht wirklich wahrgenommen | Zum Beitrag der NachDenkSeiten mit dem Thema „Waffenlieferungen für den Frieden? Evangelischer Kirchentag als Steigbügelhalter der vorherrschenden Politik“ und zu den dazu eingegangenen und veröffentlichten Leserbriefen schreibt uns ein Pfarrer aus Württemberg. Er findet, das „Ökumenische Friedenszentrum“ sei nicht gebührend wahrgenommen worden. Wir geben seine Mail, obwohl sie nicht als Leserbrief gedacht war, unseren Leserinnen und Lesern wegen des Inhalts zur Kenntnis. Albrecht Müller.
Liebes Redaktionsteam der NachDenkSeiten, was ich hier schreibe, soll kein Leserbrief werden, sondern eher eine Anregung für einen redaktionellen Artikel in den NachDenkSeiten. Ich bin evangelischer Pfarrer der württembergischen Landeskirche. Beim Durchlesen der Leserbriefe zum Artikel „Waffenlieferungen für den Frieden? Evangelischer Kirchentag als Steigbügelhalter der vorherrschenden Politik“ ist mir aufgefallen, dass bei aller Erregung über die von Politikern bestrittenen Veranstaltungen auf dem eigentlichen Kirchentag das „Ökumenische Friedenszentrum am Rand des Kirchentages in Hannover“ in seiner Bedeutung bisher nicht wirklich wahrgenommen wird. Wobei Sie in den „Hinweisen des Tages“ am 2. Mai dankenswerterweise den Artikel von BR24 verlinkt haben, in dem das Friedenszentrum erwähnt wird und wo im Radiobeitrag Dekanin Susanne Büttner, die zum Kernkreis der Initiatoren gehört, ausführlich zu Wort kommt. Um das Friedenszentrum mit der ökumenischen Friedenssynode wirklich zu verstehen, ist es wahrscheinlich notwendig, sich seine Geschichte zu vergegenwärtigen. Der Anfang liegt schon im Sommer 2022, als Susanne Büttner, Ev. Dekanin im Justizvollzug, zusammen mit einem kleinen Kreis württembergischer Theologinnen und Theologen eine Erklärung „Christ*innen sagen Nein zu Waffenlieferungen und Aufrüstung“ verfasst hat. Diese Erklärung war ein Widerspruch gegen das Einschwenken der medial wahrnehmbaren Kirchenvertreter auf die Linie der von der Politik ausgerufenen Zeitenwende. Damals hat sie formuliert: Über innerkirchliche Kanäle verbreitet, wurde diese Erklärung bis April 2023 über 300-mal unterschrieben. Ein Kreis von württembergischen Pfarrerinnen und Pfarrern hat sich dann bis zum Herbst 2023 mehrfach getroffen, um eine grundlegende Stellungnahme zu erarbeiten, die, abweichend vom kirchlichen Mainstream, theologische Kritik an einer Politik der Waffen formuliert, um damit inner- und außerkirchlich sichtbar und aktiv werden zu können. Ende Oktober 2023 wurde die Erklärung als „Württembergischer Friedensaufruf“ veröffentlicht. Den sieben Thesen ist dabei immer ein Bibelzitat vorangestellt. Dann wird eine der in Medien, Politik und Kirche vertretenen Positionen zum Ukrainekrieg aufgegriffen und dem eine aus der Bibel begründete Haltung entgegengestellt. Zentral ist die Zumutung von Jesus, auch die Feinde zu lieben. Dabei nimmt der Friedensaufruf ernst, dass die Feindesliebe, zu der Jesus auffordert, nicht für harmlose Umstände gedacht ist, sondern gerade für die Auseinandersetzung mit wirklichen Feinden. Über den Württembergischen Friedensaufruf wurde in der regionalen Presse berichtet, er wurde im Deutschen Pfarrerblatt publiziert, doch der erhoffte breitere innerkirchliche Dialog blieb aus. Bei einem Treffen des Initiativkreises im Sommer 2024 zur Frage, wie es angesichts der spärlichen Reaktionen auf die bisherigen Äußerungen weitergehen sollte, entstand die Idee einer ökumenischen Friedenssynode auf dem Kirchentag in Hannover, 1. bis 3. Mai 2025. Nach ersten Sondierungen war im Herbst 2024 jedoch klar, dass die Kirchentagsleitung eine Veranstaltung, bei der Thesen auf der Linie des „Württembergischen Friedensaufrufs“ verabschiedet werden sollten, nicht mittragen würde. So wurde der kühne Entschluss gefasst, unabhängig vom Kirchentag, aber zentral in Hannover, drei Tage lang ein ökumenisches Friedenszentrum zu veranstalten, bei dem eine Synode von Christen aus ganz Deutschland, unabhängig von kirchlichen Institutionen und Strukturen, einen Friedensruf beschließen würde. Dazu sollten Räume in den Ver.di-Höfen angemietet werden, was sich auf Kosten von 20.000 Euro belaufen würde. Für die Veranstaltung gab es keinerlei amtskirchlichen Hintergrund. Die Summe musste vollständig aus Spenden aufgebracht werden. Somit war das Wagnis für die kleine Gruppe der Initiatoren enorm. Wie viele Christen würden überhaupt von dem Vorhaben erfahren, die Sache mittragen und sich nach Hannover aufmachen? Es gelang, Margot Käßmann als Schirmfrau zu gewinnen und ein beachtliches Programm mit hochkarätigen Referenten auf die Beine zu stellen. Außerdem ließen sich ca. 25 Friedensorganisationen als Unterstützer gewinnen. Dabei bestand der harte Kern der Organisatoren aus einer sechsköpfigen Gruppe, die es schließlich geschafft hat, die drei Tage in Hannover hochprofessionell vorzubereiten und durchzuführen. Die Friedenssynode am 1. Mai 2025 war dann ein voller Erfolg. Nach einer Bibelarbeit von Margot Käßmann diskutierten etwa 300 Teilnehmer in mehreren Räumen und verschiedenen Runden den vorgelegten Entwurf und brachten Ergänzungen ein. Am Ende des Tages wurde der „Friedensruf von Christinnen und Christen“ einstimmig verabschiedet. In Vorträgen und Diskussionen und bei Gesprächen am Rand der Veranstaltung wurde die Thematik während der folgenden zwei Tagen weiter vertieft. Über die große Zahl der Besucher waren die Veranstalter des Friedenszentrums erstaunt. Immer wieder mussten Besucher wegen Überfüllung der Räume abgewiesen werden. Der Text des Hannoverschen Friedensrufs führt den Württembergischen Friedensaufruf von 2023 weiter. Seine Bedeutung liegt darin, dass hier Christen von der Basis her ihre Stimmen erheben, indem sie sich direkt auf die Bibel berufen und den Anspruch und Zuspruch von dem, was sie als Gottes Wort hören, der vorgeblichen Rationalität von „Kriegstüchtigkeit“ entgegenstellen. Der ehemalige Landesbischof der badischen evangelischen Kirche, Jochen Cornelius-Bundschuh, wies in seinem Vortrag im Friedenszentrum darauf hin, dass die Bibelzitate des Friedensrufes ja keineswegs willkürlich ausgewählt seien, sondern als Spitzensätze die umfassende „Friedensbewegung Gottes“ markierten, mit der Gott durchgängig um die Erde und das Leben auf ihr ringe. Der Friedensruf bezieht also eine Position konsequent auf der Seite der einzelnen Menschen und des Lebens. Damit wendet er sich gegen jede Ideologie, die irgendwelche Werte – und seien es Freiheit und Demokratie – über die Menschen stellt. Grundlage ist die Erkenntnis, dass sich der gewaltsame Kampf gegen Gewalt unweigerlich ad absurdum führt, weil der Kämpfer gegen Gewalt genau zu dem mutiert, was er zu bekämpfen vorgibt. „Es wird gesagt, Gewaltverzicht sei naiv, unrealistisch und unvernünftig. Jesus aber lehrt uns die Vernunft eines Gewaltverzichts, der die Spirale der Eskalation durchbricht“, formuliert die 5. These des Friedensrufes. Ebenfalls bemerkenswert am Hannoverschen Friedensruf ist, dass er sich konsequent der Huldigung vor dem Narrativ von „Russlands unprovoziertem, ungerechtfertigten, völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine“ verweigert. Seine Standhaftigkeit schöpft der Friedensruf aus der Verbundenheit mit Jesus Christus, der uns zumutet, unsere Feinde zu lieben und deshalb „verlangt, sich von vereinfachendem Gut-Böse-Denken zu lösen und die eigene Mitverantwortung für die Entwicklung von Konflikten zu erkennen“ (These 2). Ein Problem der dominierenden Medien ist, dass sie nach prominenten Personen suchen, an denen sich Positionen festmachen lassen. Der Hannoversche Friedensruf lässt sich jedoch keiner Führungsperson zuordnen, sondern lebt allein von seinem Inhalt, was die mediale Vermittlung erschwert. Doch vielleicht ist das persönliche Weitertragen ja nachhaltiger als die mediale Vermittlung. Die Friedenssynode lebt von der Hoffnung, dass Christen, berührt von der Kraft der Worte, inmitten der Gewaltbereitschaft in Politik und Kirche als Salz der Erde und Friedensstifter wirken. Es wäre trotzdem schön, wenn sich die NachDenkSeiten auch ein wenig an der medialen Vermittlung dieser Basisbewegung beteiligen könnten. Mit freundlichen Grüßen
Pfarrer Michael Rau
89542 Herbrechtingen | Albrecht Müller | Zum Beitrag der NachDenkSeiten mit dem Thema „Waffenlieferungen für den Frieden? Evangelischer Kirchentag als Steigbügelhalter der vorherrschenden Politik“ und zu den dazu eingegangenen und veröffentlichten Leserbriefen schreibt uns ein Pfarrer aus Württemberg. Er findet, das „Ökumenische Friedenszentrum“ sei nicht gebührend wahrgenommen worden. Wir geben seine Mail, obwohl sie nicht als Leser ... | [
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Hat „Putins Überfall“ die Weltwirtschaft 1.600 Milliarden Dollar gekostet? | Glaubt man dem SPIEGEL, hat die Invasion der Ukraine durch russische Truppen jedem Erdenbürger, vom Säugling im Kongo bis zum Greis in Japan, stolze 200 Dollar gekostet. Wäre diese Zahl korrekt, wäre sie in der Tat erstaunlich. Doch das ist sie nicht. Die ganze Story, bei der sich der SPIEGEL auf eine „noch nicht veröffentlichte Untersuchung des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW)“ bezieht, ist vielmehr von vorne bis hinten „Junk Science“ und die ideologische Deutung des SPIEGELs ist hochgradig manipulativ. Von Jens Berger. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download Zunächst stellt sich die Frage, wie die IW-Ökonomen eigentlich auf diese extrem hohe Zahl kommen. Der Artikel gibt die Antwort. Man hat die Herbstprognosen des Internationalen Währungsfonds für die „faktische (Wirtschafts-)Entwicklung“ des Jahres 2022 und die Prognose für 2023 genommen und sie mit der „ursprünglich erwarteten Entwicklung vom Jahresende 2021“ verglichen. Schauen wir uns diese Zahlen doch einmal an. Die Prognosen vom „Jahresende 2021“ finden sich im World Economic Outlook des Januars 2022 – also vor der Invasion – wieder. Damals ging der IWF von einem weltweiten Wachstum von 4,4% für 2022 und 3,8% für 2023 aus. In der Herbstprognose 2022 wurden diese Zahlen auf 3,2% für 2022 und 2,7% für 2023 korrigiert. Doch warum hat man die Herbstprognose 2022 für eine „noch nicht veröffentlichte“ und damit wohl aktuelle Untersuchung herangezogen? Immerhin liegt doch bereits die Frühjahrsprognose 2023 vor. Doch die korrigiert die zu niedrigen Prognosen aus dem Herbst und sieht für 2022 immerhin ein Wachstum von 3,4% und für 2023 2,9% vor. Hätte man also die aktuellen Zahlen genommen, wären die vermeintlichen „Kosten“ deutlich niedriger ausgefallen. Interessant ist sicher auch ein Blick auf diese Zahlen, machen sie doch klar, wer die Verlierer und wer die Gewinner der im Folgenden diskutierten Entwicklungen sind. Neben Russland – hier sind die Gründe klar – gehören für das Jahr 2022 lt. IWF vor allem die USA und Deutschland zu den großen Verlierern. In der Projektion für das laufende Jahr gesellt sich Großbritannien zu Deutschland in den Verliererclub. Beide Staaten werden lt. IWF-Prognose schlechtere Wirtschaftsdaten erzielen als Russland. Der große Gewinner steht auch fest: Saudi-Arabien. Wen wundert es? Bilder: IWF Abseits dieser Zahlen selbst stellt sich natürlich die Frage, welche Faktoren überhaupt für sie verantwortlich sind. Dazu äußert sich der Internationale Währungsfonds in allen hier genannten Gutachten. Als maßgeblichen Faktor für die schlechtere konjunkturelle Entwicklung nennt er die Zinspolitik der Notenbanken. Als zweiter Faktor werden die chinesischen Corona-Maßnahmen genannt, die vor allem das chinesische Wachstum in der ersten Hälfte 2022 deutlich schwächten. Und als dritter Faktor kommt schließlich die Inflation und hier vor allem die Preissteigerung für Energie ins Spiel. Nun könnte man die Zinspolitik und die Energiepreisentwicklung durchaus mit dem Ukraine-Krieg in einen Zusammenhang bringen. „Putins Überfall“ dafür monokausal verantwortlich zu machen, hat mit Wissenschaft nichts zu tun, sondern ist Ideologie pur. Hat Putin die Leitzinsen erhöht? Natürlich nicht. Die Notenbanken der westlichen Staaten haben vor allem deshalb an der Zinsschraube gedreht, weil sie ihren Pawlow’schen Reflexen folgend stets auf Preiserhöhungen mit Zinserhöhungen reagieren. Damit wollen sie die Inflation steuern. Eine Irrlehre des Monetarismus, wie ich es im Herbst auf den NachDenkSeiten ausführlich dargelegt habe. Mit den Leitzinserhöhungen haben die Notenbanker die Preissteigerungen um kein Jota beeinflusst, dafür aber die Konjunktur völlig ohne Not abgewürgt. Das ist auch der Grund, warum die USA im letzten Jahr zu den großen Verlierern gehörten. Warum hat der SPIEGEL nicht getitelt: „Powell und Lagardes Irrlehren kosten die Weltwirtschaft 1.600 Milliarden Dollar“? Wir kennen die Antwort. Auch ein „Xis Corona-Wahnsinn kostet die Weltwirtschaft 1.600 Milliarden“ würden wir wohl im SPIEGEL, trotz dessen ausgeprägter Sinophobie, wohl eher nicht lesen. Dabei ist klar, dass die mittlerweile aufgegebenen drakonischen Corona-Maßnahmen nicht nur auf China, sondern auf die gesamte Weltwirtschaft einen negativen Einfluss hatten. Ebenso klar ist, dass es hier keinen wie auch immer gearteten Zusammenhang mit dem Ukrainekrieg gibt. Kommen wir also zum dritten Faktor, der wohl am ehesten mit dem Ukrainekrieg in Verbindung steht – den Teuerungsraten, insbesondere für Energie. Doch weder Öl noch Gas wurden teurer, weil russische Truppen in die Ukraine einmarschiert sind. Die Teuerungen waren vielmehr eine direkte Folge der Sanktionen. Angebot und Nachfrage gingen auseinander, die Transportwege verlängerten sich und insbesondere bei der europäischen Gasversorgung waren die Umstellung auf teure LNG-Importe und eine nur noch als wahnwitzig zu bezeichnende Einkaufspolitik der Staaten die eigentlichen Auslöser für die enormen Preissteigerungen. Und die hatten gleich zwei Folgen: Einerseits mussten die Bürger immer mehr Geld für Energie ausgeben, was die Binnenkonjunktur in eine Krise trieb. Und andererseits haben insbesondere energieintensive Betriebe mit deutlich steigenden Produktionskosten zu kämpfen, was negative Auswirkungen auf die Produktionsmengen hat. Beide Faktoren hatten einen signifikant negativen Einfluss auf die Konjunktur. Der SPIEGEL hätte also ebenso gut titeln können: „Von der Leyens und Habecks Sanktionen kosten die Weltwirtschaft 1.600 Milliarden“. Auch diese Überschrift suchen wir freilich vergebens. Gut, dass der SPIEGEL seinen Putin hat. So kann er wenigstens von den – größtenteils hausgemachten – Fehlern des Westens ablenken und da Putin ja ohnehin der Platzhalter für jede Bösewicht-Rolle ist, stellt auch niemand außer den NachDenkSeiten unbequeme Fragen. p.s.: Dass der SPIEGEL den Artikel ausgerechnet mit einem Bild der zerstörten Nord-Stream-Pipeline illustriert, zeigt, dass man entweder gar nichts verstanden hat oder einen subtilen schwarzen Humor besitzt. Titelbild: Screenshot SPIEGEL.de | Jens Berger | Glaubt man dem SPIEGEL, hat die Invasion der Ukraine durch russische Truppen jedem Erdenbürger, vom Säugling im Kongo bis zum Greis in Japan, stolze 200 Dollar gekostet. Wäre diese Zahl korrekt, wäre sie in der Tat erstaunlich. Doch das ist sie nicht. Die ganze Story, bei der sich der SPIEGEL auf eine „noch nicht veröffentlichte Untersuchung des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft (IW)“ ... | [
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] | 22. Februar 2023 9:45 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=94110 |
Cross Border Leasing | Die hessische Landesregierung will eine teure Hinterlassenschaft der Ära Roland Koch auf den Prüfstand stellen. Mit der sogenannten Leo-Strategie waren vor 15 Jahren Dutzende landeseigene Liegenschaften unter den Hammer gekommen. Im Gegenzug müssen Polizeipräsidien, Finanzämter und Behördenzentren voraussichtlich bis 2035 von Staats wegen zurückgemietet werden. Der Fall folgt einer gängigen Privatisierungslogik, deren Ziel nicht die Ent-, sondern Belastung der Steuerzahler im Interesse profithungriger Investoren ist. Verfahren wird danach allerorten und parteiübergreifend. Den Zeigefinger sollten deshalb auch SPD, Grüne und Linke besser steckenlassen. Von Ralf Wurzbacher. | [] | [] | 04. September 2019 9:10 | https://www.nachdenkseiten.de/?tag=cross-border-leasing |
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Termine und Veranstaltungen der Gesprächskreise | An jedem Samstag informieren wir Sie über die Termine für Veranstaltungen von Gesprächskreisen der NachDenkSeiten. Heute liegen Informationen für Termine in Pfaffenhofen, Nürnberg, Frankfurt, Hamburg und Darmstadt vor. Wenn Sie auch in der weiteren Zeit auf dem Laufenden bleiben wollen, dann schauen Sie hier. Da werden mögliche neue Termine ergänzt. Außerdem bitten wir hiermit auch auf diesem Wege die Verantwortlichen in den Gesprächskreisen, uns rechtzeitig Termine zu melden.
NachDenkSeiten-Gesprächskreis Pfaffenhofen Am Freitag, 7. Juni 2024, um 19:30 Uhr
Thema: „Sold City – Wenn Wohnen zur Ware wird” Ort: Hofbergsaal
Hofberg 7
85276 Pfaffenhofen Filmabend und anschließende Diskussion zu den Ursachen von Wohnungsmangel und Mietenexplosion Eintritt frei. NachDenkSeiten-Gesprächskreis Nürnberg Am Samstag, 15. Juni 2024, um 18:30 Uhr
Thema: Im Moralgefängnis und wieder hinaus – Vortrag mit Dr. Michael Andrick
Redner/Diskussionspartner: Dr. Michael Andrick Ort: Rudolf Steiner Haus
Rieterstraße 20
90408 Nürnberg Spenden zur Deckung der Unkosten erwünscht. NachDenkSeiten-Gesprächskreis Frankfurt a. M. & Deutscher Freidenker-Verband e.V. Am Montag, 17. Juni 2024, um 19:00 Uhr
Thema: Globalisiertes Notstandsmanagement als Gefahr für den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat – Vortrag & Diskussion
Redner/Diskussionspartner: Dr. Martin Schwab Ort: Bürgerhaus Saalbau im Südbahnhof
Albert-Mangelsdorff-Saal
Hedderichstr. 51
60594 Frankfurt Informationen zur Veranstaltung Am 16. Mai stimmte das deutsche Parlament über einen Antrag zur Ablehnung des neuen WHO-Pandemievertrags ab. Eine überwältigende Mehrheit stimmte gegen den Antrag und damit zu Gunsten eines globalen Pandemie- und Notstandsmanagements unter der Federführung der WHO. Die in manchen Kreisen geäußerte deutliche Kritik am neuen Vertrag und den veränderten Internationalen Gesundheitsvorschriften (IHR) bezeichneten viele Parlamentarier als Gerüchte und Fake News. Ein neues globales Krisenmanagement nicht nur für Pandemien, sondern im Rahmen des One-Health-Ansatzes auch für Umwelt- und Klimathemen sollte auf den Weg gebracht werden. Dieser Vertrag wurde jetzt von zahlreichen Nationen der Welt, unter anderem Russland, Brasilien und Indien, abgelehnt und ist somit bis auf Weiteres gescheitert. Doch es wird bereits eine weitere Runde im globalisierten Notstandsmanagement eingeläutet. Mit der UN 2.0 und dem ‚Pakt für die Zukunft‘ soll im September 2024 den 17 Nachhaltigkeitszielen der Agenda 2030 beschleunigte Durchsetzung ermöglicht werden. Eine Plattform für die Ausrufung des planetaren Notstands soll geschaffen werden und die Nationen sollen sich vertraglich einem globalen Krisenmanagement verpflichten. Informationen in den Medien sind dürftig. Was erwartet uns hier? Sind diese Ambitionen supranationaler Organe vereinbar mit nationaler Souveränität und unserem Grundgesetz? Im Anschluss Frage- und Diskussionsrunde mit dem Publikum. Eintritt frei – Spenden zur Deckung der Unkosten willkommen. Um ausreichende Bestuhlung zu gewährleisten, wird eine unverbindliche Rückmeldung unter Angabe der Personenzahl erbeten an: [email protected] – jedoch nicht erforderlich. NachDenkSeiten-Gesprächskreis Hamburg | nachdenken-in-hamburg.de Am Samstag, 22. Juni 2024, um 19:00 Uhr
Thema: „Die Waffen nieder!“ Zum 110. Todestag Bertha von Suttners Ort: Christuskirche Altona
Suttner-Str. 18
22765 Hamburg Stummfilm von 1914 mit Livemusik und Texten aus dem berühmten Roman
Veronika und Aisha Otto (Komposition und Aufführung)
Veranstaltung in Kooperation mit dem Hamburger Forum und der Friedensinitiative Altona Die im Juli 1914 fertiggestellte Verfilmung von Holger-Madsen sollte kurz darauf auf der Weltfriedenskonferenz in Wien gezeigt werden – doch der Kriegsausbruch im August verhinderte die Konferenz und die Zensur versperrte die Kinos.
Bis heute führt Bertha von Suttner als erste Friedensnobelpreisträgerin der Geschichte alle zusammen, die den Krieg ablehnen und sich die Freude an der freien Diskussion nicht nehmen lassen wollen.
„Die Waffen nieder!“ Ist eine grossartige Inspiration für unser gemeinsames Handeln für den Frieden, gegen Kriegslogik, Manipulation und Repression. Anmeldung erbeten unter lets-meet.org/reg/f63fccf12fd6f65c18 NachDenkSeiten-Gesprächskreis Darmstadt & Deutscher Freidenker-Verband e.V. Am Donnerstag, 11.Juli 2024, um 19:00 Uhr
Thema: „Full Spectrum Dominance – Wege zum Frieden”
Redner/Diskussionspartner: Wolfgang Effenberger Ort: HoffART – Theater
Lautenschlägerstraße 28A
64258 Darmstadt Als aktiver Pionierhauptmann erhielt Hr. Effenberger während des Kalten Krieges tiefere Einblicke in das von den USA vorbereitete „atomare Gefechtsfeld” in Europa. Nach der zwölfjährigen Dienstzeit studierte er in München Politikwissenschaft. Als Fachmann für geopolitische Fragestellungen und Autor mehrerer Bücher engagiert er sich heute für den Frieden und ist Mitbegründer der „Gesellschaft für Internationale Friedenspolitik (GIF) – Verstehen und Verständigen”. Im Anschluss an den Vortrag steht genügend Zeit für Fragen und kurze Diskussionsbeiträge zur Verfügung. Der Eintritt ist frei – Solidarspenden zur Kostendeckung sind erwünscht. | Redaktion | An jedem Samstag informieren wir Sie über die Termine für Veranstaltungen von Gesprächskreisen der NachDenkSeiten. Heute liegen Informationen für Termine in Pfaffenhofen, Nürnberg, Frankfurt, Hamburg und Darmstadt vor. Wenn Sie auch in der weiteren Zeit auf dem Laufenden bleiben wollen, dann schauen Sie hier. Da werden mögliche neue Termine ergänzt. Außerdem bitten wir hiermit auch auf diesem ... | [
"NDS-Gesprächskreis"
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"Veranstaltungshinweise/Veranstaltungen"
] | 01. Juni 2024 16:00 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=116021&share=email&nb=1 |
CDU überholt SPD bei Mitgliederzahl | Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik hat die CDU mehr Parteimitglieder als die SPD. Das erfuhr FTD-Online aus Parteikreisen in Berlin. Parteigeneralsekretär Ronald Pofalla will die genauen Mitgliederzahlen heute im Adenauer-Haus in Berlin auf einer eigens einberufenen Pressekonferenz verkünden. Ende Mai lagen die Sozialdemokraten auf Grund ihres dramatischen Mitgliederschwunds mit 531.737 eingeschriebenen Anhängern nur noch hauchdünn vor der CDU, die noch 531.299 Mitglieder verzeichnete. Ende Juni besaßen nur noch 529.994 Menschen ein SPD-Parteibuch. Seit Anfang der 90er-Jahre hat die SPD im Jahresschnitt 24.000 Mitglieder verloren. Während der Auseinandersetzungen über die Reformpolitik der “Agenda 2010” des früheren Bundeskanzlers Gerhard Schröder 2003 und 2004 kehrten sogar rund 50.000 Mitglieder der Partei den Rücken. Unter dem Titel „In der Mitte gähnt der Abgrund“ schrieb dazu der Politikwissenschaftler Oliver Nachtwey einen Aufsatz in den „Blättern für deutsche und internationale Politik“, dessen Argumenten ich weitgehend zustimmen kann.
Die Entwicklung hat sich ja seit längerem abgezeichnet, und es war vorherzusehen, wann der Zeitpunkt kommen würde, dass die „Honoratiorenpartei“ CDU die SPD als die Partei der breiten Masse in der Mitgliederzahl übertrumpfen würde. Der Aufsatz von Oiver Nachtwey in den „Blättern“ 8`08 ist leider online nicht verfügbar, deshalb referiere einige der Thesen, die mir am wichtigsten erscheinen: Die Ablösung der SPD als größte Volkspartei sei nicht nur ein epochales Datum in der deutschen Parteiengeschichte, sondern von großer symbolischer Bedeutung für das Selbstverständnis der SPD, schreibt Nachtwey. Das kann die SPD-Parteizentrale auch nicht damit abwiegeln, dass ihr Sprecher darauf hinweist, dass ja auch die CDU in den letzten Jahren von 735.000 Anfang der 80er Jahren auf etwas über eine halbe Million zurückfiel – aber immerhin müsste man für einen nationalen Vergleich noch die rund 170.000 Mitlieder der bayerischen CSU hinzurechnen. Der anhaltende Mitgliederschwund, so Nachtwey, untergrabe das Fundament der SPD, nämlich die Ortsvereine. Auch ihre Zahl sei dramatisch zurückgegangen. Die SPD könne ihre alte Stammklientel, die Arbeiter, nicht mehr mobilisieren. Bis Ende der 80er Jahre erreichte die SPD unter den gewerkschaftlich organisierten Arbeitern nahezu 60 Prozent; bei der Bundestagswahl 2005 waren es gerade noch 41 % der Arbeiter und 55 % der gewerkschaftlich Organisierten. Nachtwey sieht zwei Hauptgründe für den organisatorischen Niedergang der SPD: Die Arbeiterschaft als soziale Schicht hätte zwar an Bedeutung verloren, aber sie sie eben nicht verschwunden, noch immer seien 30 Prozent der Erwerbstätigen Arbeiter, auch die untere Schicht der Angestellten müsse man zur Arbeiterschaft rechnen und sie fühle sich auch so. Die SPD sei als Organisation zu ihrem Höhepunkt aufgestiegen, als auch die Arbeiter aufstiegen. 2004 seien jedoch nur noch 12,1 % der SPD-Mitglieder Arbeiter gewesen, auch eine Gewerkschaftsbindung wiesen nur noch 20 % der Neumitglieder auf. Aus der „privilegierten Partnerschaft“ zwischen SPD und Gewerkschaften sei eine Zweckgemeinschaft ohne Leidenschaft und Loyalität geworden. Kein einziger Gewerkschaftsführer befinde sich noch in der SPD-Fraktion. Die Kaderschmiede für den SPD-Nachwuchs seien allenfalls noch die Jusos. Schröder selbst hätte die SPD zur Partei des „aufgeklärten Bürgertums“ erklärt. Willy Brandt habe 1972 die „Neue Mitte“ als Bündnis von Mitte und Unten verstanden, aus „der Öffnung zur Mitte (sei aber) eine Orientierung auf die Mitte“ geworden. Dabei sei allerdings nicht wahrgenommen worden, dass gerade auch durch die Agenda-Politik Schröders es für Facharbeiter und Mittelschichten schwieriger geworden sei, ihren „prekären Wohlstand“ zu sichern. Diese Analyse Nachtweys stimmt mit meinen Beobachtungen in Nordrhein-Westfalen weitgehend überein. Nicht nur die Vernetzung mit dem gewerkschaftlichen Milieu ist in den letzten Jahren verlorengegangen, auch die Ansprechpartner zu den großen sozialen Verbänden oder zu den Vereinen oder Bürgerinitiativen, gar nicht zu reden von den linken Netzwerken, sind weitgehend verlorengegangen. Die neue Politikergeneration der SPD kommt aus dem öffentlichen oder halbstaatlichen Dienst, sie hat sich häufig schon im Studium bei den Jusos profiliert oder sie stammt von Selbständigen, die sich noch nicht so etabliert haben, dass sich für sie ein Engagement in der Partei nicht mehr lohnt. Nachtwey verweist auf einen weiteren Gesichtspunkt: die SPD habe sich von einer Interessenvertretung sozialer Gruppen in eine Regierungspartei gewandelt. Die Eliteschicht der Partei sei mit den staatlichen oder halbstaatlichen Institutionen fest verwachsen. Kennzeichnend dafür sei der Satz Münteferings: „Opposition ist Mist“. Die beiden Lager in der SPD konkurrierten vor allem um Koalitionsausrichtungen, um an der Regierung zu bleiben oder an die Regierung zu kommen, aber nicht um verschiedene Gesellschaftsentwürfe. Geradezu prototypisch für diese These sind nach meiner Ansicht die beiden stellvertretenden Parteivorsitzenden. Steinmeier und Steinbrück geht es in ihrem Politikverständnis kaum noch darum, Interessen der Anhänger der SPD oder der Gewerkschaften oder von sozialen Einrichtungen aufzunehmen und politisch zu integrieren, sie verhalten sich als Politiker vielmehr wie Karrierebeamte, nämlich so, als wären sie durch ihre Ernennungsurkunde ermächtigt, Entscheidungen zu treffen und diese mit ihrer Amtsautorität gegenüber unwilligen Genossen oder Gewerkschaftern durchzusetzen. Ihnen geht es auch nicht mehr darum zu überzeugen, mitzunehmen oder Mehrheiten für Sachfragen innerhalb der verschiedenen Organisationen zu organisieren, ihnen geht es um Gefolgschaft für die Ziele, die sie für richtig halten oder die sie durch ihr vorausgegangenes politisches Handeln gesetzt haben. In diesem Zusammenhang mag auch symptomatisch sein, wo die ehemaligen SPD-Spitzenpolitiker Schröder, Clement, Schily und viele andere mehr nach ihrer Abwahl gelandet sind: Kaum einer von ihnen hat sich – obwohl ökonomisch abgesichert – für soziale, karitative oder gewerkschaftliche Organisationen oder Themen engagiert. Nachtwey: „Die Verschiebung in den Staat, die Konzentration der Macht in der Parteiführung, die stärkere Rolle der Kommunikation über die Medien, die Entwertung der Partei an der Basis und die gegenseitige Neutralisierung der beiden Parteiflügel hat zu einer Lernpathologie in der SPD geführt, die ihren Charakter als sozial-liberale Elitenpartei bestärkt und so weiter an Verankerung in der Gesellschaft verliert.“ Das Paradoxe, so Nachtwey sei, dass die SPD tatsächlich die Partei der Mitte sei, weil sie von fast allen Bevölkerungsgruppen in gleicher Zurückhaltung gewählt werde. Aber sie sei „eine Volkspartei ohne Rumpf“, der ihre gesellschaftliche Kraftquelle immer weiter abhanden komme – und das unterscheide sie von den anderen Parteien, die gleichfalls um die Mitte kämpften. Die Logik der Öffnung zur Mitte habe sich in ihr Gegenteil verkehrt: Im sich etablierenden Fünfparteiensystem sei jeder weitere Schritt in die Mitte ein Schritt, der weitere Brücken nach links für die SPD abbreche und ihren gesellschaftlichen Radius verkleinere. Damit könne man für eine gewisse Zeit noch begrenzt politische Macht ausüben, aber keine gesellschaftliche Mehrheit zurückgewinnen. Leider hat auch der Politikwissenschaftler Nachtwey nicht über die politischen Inhalte gesprochen und sich auf die Erscheinungsformen der Entwicklung der SPD beschränkt. Eine der inhaltlichen Antworten für den Mitgliederverlust der Sozialdemokraten hat interessanterweise die Parteienforscherin Viola Neu für die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung – vermutlich unfreiwillig – gegeben: “Es geht nicht mehr um absolute Entscheidungen zwischen Ja und Nein. Es herrscht großer Konsens über das, was zu tun ist.” Konflikte wie um die Ostverträge in den 60er- und 70er-Jahren gebe es nicht mehr. Das dürfte ein entscheidender Punkt sein. SPD und CDU sind weitgehend im Konsens über das, was nach der herrschenden politischen Lehre „zu tun ist“. Wenn ohnehin keine Alternative mehr besteht oder angeboten wird, dann braucht man sich ja auch nicht mehr in den Parteien für seine Meinung und seine Interessen zu engagieren, und dann gewinnen diejenigen die Oberhand, die überwiegend nur noch ihr persönliches Karriereinteresse verfolgen – also etwa die Heils oder Pofallas. Und da sich die SPD an die CDU angeglichen hat, gilt eben die alte Wahrheit der Wahlforscher: Dann wählen die Wählerinnen und Wähler lieber gleich das Original statt der Kopie – oder sie gehen, sofern sie keine Alternative mehr sehen, eben gar nicht mehr zur Wahl. | Wolfgang Lieb | Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik hat die CDU mehr Parteimitglieder als die SPD. Das erfuhr FTD-Online aus Parteikreisen in Berlin. Parteigeneralsekretär Ronald Pofalla will die genauen Mitgliederzahlen heute im Adenauer-Haus in Berlin auf einer eigens einberufenen Pressekonferenz verkünden. Ende Mai lagen die Sozialdemokraten auf Grund ihres dramatischen Mitgliederschwunds mit 531 ... | [
"Parteiaustritt",
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Leserbriefe zu den Vorgängen in Venezuela | Die derzeitigen Umwälzungen in Venezuela, begleitet von eindeutigen und undurchdachten Stellungnahmen der Bundes- und anderer Regierungen, und die Berichterstattung der Nachdenkseiten dazu, „Regierungssprecher könnten zu den ersten gehören, die durch KI ersetzt werden.“, “Die Anti-Maduro-Koalition des Kuba-Amerikaners Marco Rubio und der Countdown in Caracas“, “Juan Guaidó: Ein Staatschef aus dem Regime-Change-Labor“, “Hinweis Nr.1 der Hinweise des Tages vom 05. Februar 2019” und “Hinweis Nr.4 der Hinweise des Tages vom 06. Februar 2019“, bewogen einige unsere Leser dazu, ihre Meinung zu äußern. Diese Leserbriefe veröffentlichen wir hier nun. Es besteht zu hoffen, dass sich die Lage beruhigt, und dass die sich einmischenden ausländischen Regierungen erkennen, dass dies ein Spiel mit dem Feuer ist. Zusammengestellt von Moritz Müller.
1. Leserbrief Anmerkung Jens Berger: Die negative Bewertung der venezolanischen Regierung durch den ehemalige Chavez-Berater Heinz Dietrich ist sehr vielsagend. Man sollte sich bei aller vollkommen berechtigter Kritik an der Interventionspolitik der USA nicht dazu hinreißen lassen, Maduro und die herrschende Junta mit rosaroter Brille zu sehen.
Quelle: Hinweis Nr.2 der Videohinweise am Samstag den 26. Januar 2019 Sehr geehrter Herr Berger,
die Argumentation von Herrn Dietrich scheint recht dünn und oberflächlich. Weit bedenklicher ist die Selbstverständlichkeit, mit der durch die Anerkennung eines bis jetzt nicht legitimierten Übergangspräsidenten in die Innenpolitik eines souveränen Staates eingegriffen wird.
Viele Grüsse,
Julius Schmitt 2. Leserbrief Sehr geehrtes NDS-Team, mit großer Sorge beobachte ich die Entwicklung in Venezuela. Die Vorgänge in diesem Land erinnern mich an Chile, als dort mit sehr aktiver Unterstützung der USA die sozialistische Regierung unter Slavador Allende gestürzt wurde.Die Gründe waren ähnlich wie jetzt in Venezuela. Salavdor Allende hatte eine Agrareform eingeleitet und die Bodenschätze verstaatlicht. Vor allem Kupferminen und ausländische Großunternehmen. Allende und seine Unitad Popular gerieten somit ins Visier der USA. Die Transportfahrer wurden bestochen, wenn sie dazu betragen, dass die Versorgung mit Lebensmittel zusammenbricht. So kam es auch, weil die Bestechungsgelder weit höher waren als ihr Lohn. Die Medien erhielten von den USA viel Geld um in ihrem Interesse zu berichten. Dies führte zu sozialen Spannungen im Land. Die Unruhen nahmen zu und es entwickelte sich eine explosive Stimmung. Die Geschehnissen in Venezuela sind mit den Ereignissen in Chile durchaus ähnlich. In diesem Fall geht es den USA vor allem um die Rückgewinnung der Erdölstätten. Dafür ist den USA scheinbar jedes Mittel recht. Wenn Guaido als selbsternannter Präsident von Venezuela auftritt, kann er das nur, weil er im Hintergrund die entsprechende Unterstützung hat. Zu den Unterstützern gehören neben den USA auch der rechtspopulistische Präsident von Brasilien Bolsonaro (er war übrigens beim Weltwirtschaftsforum in Davos ein gern gesehener Gast). Als Gründe für die Unterstützung beruft man sich gerne auf die “sozialisitische Diktatur” (Graf Lambsdorff) die in Venezuela herrsche. Im Grunde ist das nur ein vorgeschobenes Argument, denn es geht schlicht darum, die Regierung in Venezuela zu kippen, um den Einfluss der USA weiter zu stärken. Aus meiner Sicht ist eine solche politische Vorgehensweise ein aklatanter Verstoß gegen das Volkerrecht. Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Edelmann 3. Leserbrief Liebe Nachdenkseiten-Redakteure, ich habe eine Frage, auf die ich in den Zeitungen und Zeitschriften keine Antwort finde: Warum ist Venezuela nicht so reich und als Staat und Gemeinwesen nicht so gut aufgestellt wie z.B. Norwegen? Was ist der historische und ökonomische Hintergrund, vor dem -unabhängig von der zweifelhaften Person Maduros- das Land in den Abgrund schlittert? Ich war vor dreißig Jahren in Venezuela. Damals gab es meines Wissens nach eine Arbeitsmigration nach Venezuela. Aber auch da gab es Leute, die darauf hinwiesen, dass im Land nur wenig produziert wird und alles einseitig vom Ölexport abhängt. Vielleicht gibt es ja Quellen, die Auskunft geben über ökonomische und historische Ursachen des derzeitigen Desasters? Fragt ratlos und mit vielen Grüßen,
Gerd Borgmann 4. Leserbrief Liebe NachDenkSeiten, Bemerkungenzu Ihren diversen Beiträgen zum fatalen Druck auf Venezuela! Erstens:
Nach einem Jahrhundert wieder am Ziel: Im Versailler Vertrag wurden dem Deutschen Reich die Kolonien genommen. Heute steht Deutschland wieder Seite an Seite mit den großen Kolonialmächten Spanien, Frankreich, Großbritannien und den Niederlanden, wenn es darum geht Venezuela (erst einmal) “die Daumenschrauben anzuziehen” (wie es gestern am 28.1. in vielen Tageszeitungen und Nachrichtenportalen formuliert wurde). Und wie früher wird das Gold der Kolonien einbehalten. Zweitens:
Währenddessen stattet unser Bundespräsident der “Demokrtatie” Ägypten einen freundschaftlichen Besuch ab. Drittens:
In Hinweis b., aus “n-tv”, des heutigen Hinweises 2 ist, mit einer gewissen Hochachtung, von der “altehrwürdigen Bank of England” die Rede. Und dann heißt es über das von England einbehaltene Gold: “Die (Regierung von Venezuela) braucht es dringend für den Import von … Medikamenten und damit auch für das eigene politische Überleben”. Selten sind die ungeheuerlichen Pläne der Sanktionenmächte, den “Tod” einer unbequemen Regierung durch den Tod möglichst zahlreicher Bürger in die Wege zu leiten, in dieser Klarheit offenbart worden. M.K. Entschuldigen Sie, die Sache läßt mir keine Ruhe: In dem erwähnten (recht verbreiteten) Zeitungsartikel vom 28.1. mit der Überschrift “Europa zieht die Daumenschrauben an” von den dpa-Journalisten Patricia Rodriguez und Denis Düttman wird Juan Guaido mit Obama und Kennedy (sic!) verglichen. Lächerlicher und dümmer gehts nicht mehr.
Welche Leute werden heutzutage als Journalisten eingesetzt? Grüße,
M. K. 5. Leserbrief Guten Tag, ein insgesamt sehr interessanter Bericht der UN-Menschenrechtskommission.
Lesenswert insbesondere die Abschnitte D, §36ff. Vielleicht können / dürfen Sie das Material auszugsweise veröffentlichen ? Mit schönen Grüßen
Wulf Kisling 6. Leserbrief Sehr geehrte Redaktion der Nachdenkseiten, ich möchte gar nicht so intensiv auf den Inhalt des erwähnten Artikels eingehen. („Regierungssprecher könnten zu den ersten gehören, die durch KI ersetzt werden.“) Vielmehr muss ich ein ums andere Mal den Kopf schütteln, wenn ich lese, was Herr Rudolf beschreibt. Was mich in den letzten Jahren immer wieder beschäftigt ist die Frage, wo die Vernunft geblieben ist? Gern lese ich Berichte, oder Interviews mit ausgeschiedenen Politikern oder ausgeschiedenen Mitarbeitern des Regierungsbetriebes. Es ist aus heutiger Sicht immer interessant zu sehen, wie aktuell heutige Probleme auch damals schon waren, wie sie damals aber häufig rationaler entschieden wurden als heute. Wo man sagen kann, da hat der gesunde Menschenverstand entschieden. Wo man sagen kann, da wurde Politik im Interesse der Menschen gemacht, im Interesse, dass die Welt von morgen eine bessere ist als die von heute. Klar, auch früher ist viel Mist passiert. Aber mir scheint es doch, als hätten die Politiker und Entscheider von früher die Dinge besser gehandhabt. Als wären sie tatsächlich klüger gewesen als die Personen, die heute am Drücker sind. Manchmal lese ich Interviews von Politikern des aktuellen Zeitgeschehens und denke oft “So dumm ist er/sie ja doch nicht”. Ich muss annehmen, es gibt noch mehr Menschen im Politikbetrieb, die nicht so dumm sind, wie man vielleicht glauben mag. Ich muss auch annehmen, dass sich die Ausbildung an den Universitäten über die Jahrzehten verbessert hat. Es steht auch heute mehr Wissen zur Verfügung als früher und es ist leichter zu bekommen als früher. Warum dann in aller Welt nutzen wir das nicht? Warum werden die Debatten und Entscheidungen immer unvernünftiger? Wann wird endlich mal wieder eine bedeutende Entscheidung auf Basis von Vernunft getroffen? Wie kann es sein, dass wir diesen unsäglichen Flughafen in Berlin immer noch bauen? Obwohl er überhaupt nie hätte gebaut werden sollen? Dasselbe für Stuttgart 21? Wie kann es sein, dass es die bewusste Entscheidung von Europa ist Menschen im Mittelmehr zu ertränken? Wie kann es sein, dass wir nicht in der Lage sind ein Tempolimit auf unseren Autobahnen einzuführen? Wieso haben wir kein Geld für Polizisten, Pfleger, Erzieher, Richter oder Ingenieure im staatlichen Angestelltenverhältnis? Wieso verkaufen und verleasen wir unsere Wasserwerke/Netze oder andere kritische Infrastruktur, unser wertvollstes Gut? Wieso wird die DUH angeprangert und die Grenzwerte infrage gestellt, anstatt gottverdammtnochmal die Verursacher, die Lügner zu belangen? Warum müssen wir ein Cyberabwehrzentrum Plus haben, obwohl wir schon ein Cyberabwehrzentrum ohne Plus haben und das ganze nur, weil wichtige Leute zu dämlich waren die einfachsten Sicherheitsvorschriften zu befolgen? Wieso stelt sich da nicht mal ein Betroffener hin und sagt “Ja gut, sind wir selber Schuld. Wir müssen uns jetzt ändern”? Es kann doch nicht wahr sein, dass es nur noch so geht? Entscheidungen, wo sich jeder an den Kopf fasst. Wo sich keine Haltung mehr erkennen lässt, bar jeder Vernunft und gesunden Menschenverstandes. Sozusagen sehenden Auges und wider jeder Logik und wider jeder fundierter Gegenargumentation. Sie versuchen mit den Nachdenkseiten einen Gegenpol zu bilden. Aber selbst da frage ich mich, wieso haben sie nicht 50 Millionen Leser? Wieso werden sie angefeindet oder in das falsche Licht gerückt, obwohl hier nichts als die Wahrheit gesagt wird? Wie soll das weiter gehen und wo wird es enden? Grüße
Eric Förster
Münster 7. Leserbrief Ich habe einiges gelesen zu Politik, Finanzwirtschaft usw., verstehe es aber oft nicht, weil es derart Fremdwort lastig ist, dass ich es nicht verarbeiten kann. Ich habe angefangen, mir Fremdwörter und ihre Bedeutung aufzuschreiben, um sie nicht immer wieder nachschlagen zu müssen. Als ich dies einmal im Gespräch erwähnte, begann mein Gesprächspartner zu lächeln und fragte mich, ob ich nicht aus dem Zusammenhang eine Ahnung – Gefühl hätte, was es bedeutet. Ja, das habe ich. Aber ich bin mir eben nicht sicher, antwortete ich. Worauf er meinte, mehr sei gar nicht nötig, damit habe ich es doch verstanden. Dass er damit das Problem unserer Zeit auf den Kopf getroffen hat, habe ich da gar nicht begriffen. Im Grunde ist es doch so, dass wir ganz genau fühlen, was um uns passiert. Aber man hat ein perfektes System entwickelt, uns zu verunsichern. Wenn Menschen mit Titeln und Geld daher kommen, ziehen wir den Schwanz ein, weil wir uns unterlegen fühlen. Wir haben eine derartige Angst, etwas falsch zu machen, dass wir auf Leute hören, die nicht weniger Fehler machen als wir, sondern nur starrsinnig an ihnen festhalten, um nicht zuzugeben, Fehler gemacht zu haben. Ein Kabarettist hat einmal gesagt, man könne sich darauf verlassen, dass die USA alles richtig machen, nachdem sie alles andere versucht haben. Damit sind sie Weltmacht geworden. Die Liste der CIA Aktionen ist ein einziges Desaster. Die Fehler spielten aber keine Rolle, weil man seine Ziele konsequent weiter verfolgte. Der US Präsident kann heute ganz offen sagen: Amerika zuerst. Natürlich wissen wir nicht genau, was in der Ukraine, der Krim oder Venezuela vor sich geht. Wenn ich mir die Liste der CIA Aktionen ansehe , bei deren Finanzierung man weder vor Waffenschmuggel noch vor Drogenhandel zurückgeschreckt ist, sehe ich einen roten Faden. Wenn man sich dann immer noch vor einen Kriegskarren spannen lässt, ist uns nicht mehr zu helfen. Nur, um es noch einmal festzuhalten, wir haben eine reine Eliteherrschaft mit Titeln übersät und ihre einzige Leistung ist es, ihren Reichtum zu steigern, mit dem Ergebnis, dass die Menschheit Zukunftsängste hat. Wie dramatisch das alles ist, hängt von der Betrachtungsweise ab. Wir werden wahrscheinlich nicht aussterben. In einer verseuchten Welt wird die Lebenserwartung dramatisch sinken. Eines Tages werden wir nur noch 25 Jahre alt. Das reicht aber, um den Reproduktionsprozess aufrecht zu erhalten. Besser wird es erst wieder, wenn wir aufhören, mehr als andere haben zu wollen. Deshalb beginnen sie bei sich selbst und hören sie auf, sich einzureden, es genügt zu wählen oder sich zu organisieren. Die Katholische Kirche war lange Zeit die größte „Volkspartei“. Was hat sie von ihrem „Programm“ verwirklicht? Nichts. Sie ist größter Grundbesitzer geworden. Unsere Zeit ist extrem kurzweilig. Was heute galt ist morgen überholt. Das einzig dauerhafte ist eine über 2000 jährige Erfahrungsresistenz, was Organisationen betrifft. Wir bekommen es nicht hin, sie von Eliten und Korruption zu befreien. Da hilft es nicht, auf einzelne einzuschlagen. Wer eine Partei schwächt, stärkt andere. Die sind aber nicht besser. Wer ein System ändern will, muss sich selbst ändern. Für miese Geschäfte wird immer das Argument gebraucht: wenn ich es nicht mache, macht es ein anderer. So ein Vorteil ist aber nicht von Dauer und kann sich schnell zur Bedrohung wenden. Statt sich für vermeintliche Vorteile an die USA zu ketten, wäre es klüger, darauf zu verzichten. Man stellt sich damit auf die aussichtslose Seite. Was die Amerikaner nicht begreifen, ist, dass sich eine „Befreiungsarmee“ in eine Besatzungsarmee verwandelt, wenn sie nicht wieder abzieht. Da kann Hollywood so gute Arbeit leisten wie es will, Imperien sind nicht von Dauer. Der Traum vom Tellerwäscher zum Millionär hält die Menschen nicht mehr ruhig. Es wäre klüger, auf einen Kampf um Vorteile zu verzichten, damit man ruhig leben kann. Die Amerikaner führen den Kampf um Vorteile mit einer bemerkenswerten Kaltschnäuzigkeit. Beim ersten Atomwaffentest, mit dem man den Weltmachtstatus besiegelte, wusste man nicht einmal genau, ob man es überlebt oder die ganze Atmosphäre verbrennt. Ich habe da etwas von 30% Unsicherheit gelesen. Die folgenden Bomben auf Hiroschima und Nagasaki waren für die Kapitulation Japans überflüssig. Sie waren ein Test am lebenden Objekt. Um die Macht zu erhalten, „testet“ man heute alles mögliche. Ein Staatsstreich wird als geschäftliche Transaktion gesehen. Gewissensbisse wegen möglicher Opfer hat man nicht, denn schließlich bringt man die Demokratie und bewahrt die Menschen vor Kommunismus. Wenn der Kapitalismus das bessere der Systeme wäre, könnte man einfach abwarten und dem Sozialismus – Kommunismus beim Untergang zusehen. Dass dem nicht so ist, zeigt die Ermordung Rosa Luxemburgs und Karl Liebknechts, bis zu den zahlreichen Putschs, Staatsstreichen, Sanktionen…… in heutiger Zeit. Ich bin es leid, dass Opfer des Stalinismus und Mauertote als Rechtfertigung für alles herhalten müssen. Wenn es um die Opfer eines Volksaufstandes wie in Ungarn geht, ist die Anwendung von Gewalt natürlich Menschen verachtend, wenn in Frankreich Menschen verstümmelt werden und es sogar Tote gibt, ist die Entrüstung der Medien gleich null. Heute wird in der Politik gerne von Freundschaft gesprochen aber niemand bringt es fertig, unseren Freunden zu sagen, dass sie auf einem Irrweg sind. Was die Politik nicht fertig bringt, muss das Volk machen. Davon sollte man sich nicht abhalten lassen, weil Begriffe wie antiamerikanisch verwendet werden. Eine Regierung zu kritisieren, hat nichts mit ihrem Volk zu tun. Die Eliten eines Landes haben so wenig mit ihrem Volk zu tun, dass es eine Frechheit ist, sich hinter ihm zu verstecken. Außerdem gibt es die nationale Elite gar nicht mehr, die Eliten sind global. Wenn sich etwas ändern soll, muss jede soziale Bewegung global sein. Sie muss ihr gemeinsames Ziel erkennen und damit den Wettbewerb unter den Völkern beenden. Erst dann nimmt man dem Kapital die Möglichkeit, Aufstände durch das Umleiten der Kapitalströme zu ersticken. Der Erfolg einer sozialen Bewegung hängt auch von ihrer Gewaltlosigkeit ab. Mit dem Zerstören von Sachwerten erhält man vielleicht einen Termin beim Premierminister aber ändern wird sich nichts. Man spaltet die Bewegung. Das beste Mittel, etwas zu erreichen, ist, bewusster Konsumverzicht. Damit hat man das Kapital an den Eiern. Wenn du ein Problem erkannt hast und nichts zu seiner Lösung beiträgst, bist du Teil des Problems. T.A. 8. Leserbrief Hallo, zur Berichterstattung über die aktuelle Lage in Venezuela und deren Geschichte fallen mir 2 Punkte ein, Themen, die eigenartiger Weise nirgends Thema sind: Klimawandel
Für die Begrenzung des Klimawandels ist es gut, wenn in Venezuela die Ölindustrie darniederliegt – und am besten gar nicht mehr aufgebaut, sondern schonend (Schutz vor Leckagen!) stillgelegt wird. Und die Energie in eine diverse Wirtschaft gehen. Gesünder für die Wirtschaft und gut fürs Klima. (Könnte nur sein, dass dies die US-Ölkonzerne nicht interessiert). Ersatzteil-Mangel
Tausende neue Busse und U-Bahnzüge sollen rumstehen, weil es an Ersatzteilen fehlt. Ebenso bei anderen Maschinen. Das ist auch eine Frage der Technologie. Für ein Fahrrad kann ich ein neues Licht von zig Herstellern nehmen, weil die Anschluss-Stellen genormt sind. Für ein Auto, Bus, … brauchts das Spezialteil vom Hersteller des Fahrzeugs. Das ginge auch anders. Autolicht vorne, 2 Stück davon, eins links eins rechts einrasten und sichern, Stecker rein fertig. Ginge, wenn die Teile einheitlich und nicht proprietär je Hersteller wären. (Wäre auch mit viel Markt verbunden, aber offensichtlich nicht mit den Interessen der großen Fahrzeug-Hersteller). herzliche Grüße und Dank für Ihre kritische Berichterstattung
Stephan Pickl 9. Leserbrief Liebe Nachdenkseiten, ich möchte mich immer wieder bei Ihnen bedanken für Ihre kritische Stimmen bezüglich der Berichterstattung in den deutschen Medien. Wenn ich Ihre Kommentare nicht lesen könnte, wäre ich entweder noch verzweifelter als ich es jetzt schon bin oder würde in Unwissenheit leben. Was Venezuela anbetrifft, zerreisst es mir das Herz über die jetztige Entwicklung und es gibt keine kritische Stimme oder nur ein Hinterfragen auf ZDF , ARD und Co. Was unsere Regierung jetzt macht (Die Anerkennung von Guaido) ist meiner Ansicht nach ein Verbrechen oder zumindest ein starkes Unrecht und lässt mich jeden Glauben an irgendeinen guten Willen von Seiten Merkels verlieren. Was wird in den nächsten Jahren noch alles passieren? Ich schäme mich zutiefst für diese Regierung und unser Land und das ist wirklich neu für mich. Vielen Dank auch noch auf den Querfront Hinweis im HeuteJournal. Ich war einigermaßen entsetzt über die Berichterstattung. Frau Wagenknecht wurde praktisch in einem Atemzug mit der AfD in Verbindung gebracht und jeder potentielle Wähler in Deutschland, der die „Mitte“ wählt, wird sich angeekelt abgewendet haben, eben nicht nur von der AfD, sondern auch von Wagenknecht. Und ich kann mir nicht denken, dass es keine Absicht war, den Bericht genauso zu bringen. Ich glaube eigentlich an das Gute im Menschen und kann deshalb oft nicht glauben, was da läuft. Sehe ich alles zu negativ? War das immer schon so und ist es mit nicht aufgefallen? Gehöre ich auch schon zu den Verschwörungstheoretikern?. Ich weiß es nicht, aber finde das alles schon sehr besorgniserregend. Manchmal denke ich: Moment mal, das hört sich an wie die Geschichten meiner Eltern von Vor dem Krieg. Sowas gibt es doch in Deutschland nicht mehr. Oder doch wieder? Ich kann nur hoffen, dass es wieder einmal eine Wende zum Besseren gibt und wir nicht alle vor die Hunde gehen. Mit herzlichen Grüßen,
Maria McCray 10. Leserbrief Liebe NDS-Redaktion, merkwürdig, Italiens Regierung gilt hierzulande doch als rechts, setzt sich aber für Sozialisten ein? Was machen eigentlich die amerikanischen “Linken” Ocasio-Cortez, der brave Parteisoldat Sanders oder “Demokraten” wie Pelosi, die beim shutdown doch noch so beinhart gegen Trump waren? Schweigen? VG Michael Wrazidlo | Redaktion | Die derzeitigen Umwälzungen in Venezuela, begleitet von eindeutigen und undurchdachten Stellungnahmen der Bundes- und anderer Regierungen, und die Berichterstattung der Nachdenkseiten dazu, „Regierungssprecher könnten zu den ersten gehören, die durch KI ersetzt werden.“, "Die Anti-Maduro-Koalition des Kuba-Amerikaners Marco Rubio und der Countdown in Caracas", "Juan Guaidó: Ein Staatschef aus ... | [
"Allende, Salvador",
"Chile",
"Erdöl",
"Guaidó, Juan",
"Kampagnenjournalismus",
"Regime Change",
"USA",
"Venezuela",
"Wirtschaftssanktionen"
] | [
"Erosion der Demokratie",
"Kampagnen/Tarnworte/Neusprech",
"Leserbriefe",
"Medienkritik"
] | 06. Februar 2019 15:38 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=49130&share=email |
Was uns die Berichterstattung zur „Taubenproblematik“ über die Verbundenheit von Medien und Politik zeigt | Manchmal lohnt es sich, mit den Augen einer kritischen Wissenschaft auf politisch mehr oder weniger unverdächtige Themen zu schauen, wie zum Beispiel: Tauben. Minea Pejic hat in einer bemerkenswerten Studie aufgezeigt, dass viele Mediennutzer gar nicht so unrecht haben, wenn sie Journalisten vorwerfen, „herrschaftsnah“ zu berichten. Die Kommunikationswissenschaftlerin hat die Berichterstattung über ein Taubenproblem in den Städten München und Ingolstadt verglichen und dabei festgestellt: Der abgelieferte Journalismus orientiert sich stark an den Sichtweisen der vorherrschenden Politik. In München geht die Politik mit Härte gegen Tauben vor – dementsprechend fällt auch der Tenor in der Berichterstattung aus. In Ingolstadt wird auf sanfte Methoden im Umgang mit Tauben gesetzt – dementsprechend berichten die lokalen Medien. Im NachDenkSeiten-Interview berichtet Pejic über ihre Studie. Von Marcus Klöckner. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar.
Podcast: Play in new window | Download Sie haben sich in einer wissenschaftlichen Arbeit damit auseinandergesetzt, wie Medien über den Umgang mit Tauben in den Städten Ingolstadt und München berichten. Was haben Sie dabei festgestellt? Obwohl das Thema Tauben keine weitreichende politische Dimension hat, konnte ich dennoch einen interessanten Zusammenhang zwischen der journalistischen Berichterstattung und der Politik feststellen. Bei dem Thema Tauben fungieren Medien nämlich als politischer Index. Politischer Index? Was meinen Sie damit? Bei meiner Untersuchung wurde deutlich, dass es einen starken Zusammenhang zwischen der Berichterstattung im Journalismus und den Entscheidungen bzw. den dominanten Positionen in der Politik gibt. Politischer Index heißt hier also: Die Berichterstattung ist so angelegt, dass sie der vorherrschenden politischen Meinung zugeneigt ist. Das heißt, beim Thema Tauben spiegelt die Lokalberichterstattung in der Tendenz die Sichtweise der jeweilig vorherrschenden Politik wider? Richtig, und das ist ein Problem, das in meiner Arbeit auch sehr klar wird, nämlich: Ein Teil der Wahrheit fällt so leider oft unter den Tisch. Wenn Medien zu sehr als politischer Index fungieren, führt das zu einseitiger Berichterstattung, die nicht das gesamte Spektrum der möglichen Positionen und Informationen aufzeigt, sondern nur einen Teil – den, der in der Politik am häufigsten vertreten wird. Dass Medien sich stark an der Politik ausrichten, wird schon seit längerem kritisiert. Nur ist die hieb- und stichfeste Beweisführung oft schwierig. Ja, das stimmt. Auch meine Arbeit hat Grenzen, da sie sich erstens nur innerhalb der Lokalpolitik und innerhalb des Lokaljournalismus bewegt und zweitens, da sie nur ein sehr kleines Thema abdeckt. Hier müsste es mehrere Untersuchungen geben, die über mein gewähltes Thema und über den Lokaljournalismus hinausgehen. Außerdem ist es immer schwierig, einen direkten Zusammenhang zwischen zwei Ereignissen festzustellen, da eine Auswirkung in den seltensten Fällen nur eine einzige Ursache hat. Dass Dinge so sind, wie sie sind, hängt oft von einem großen Zusammenspiel mehrerer Faktoren ab. So ein Zusammenhang geht auch meistens nicht nur in eine Richtung – die zwei Seiten bedingen sich viel eher auch wechselseitig. Genau so ist das auch mit dem Journalismus und der Politik. Natürlich bewegt sich Ihre Forschungsarbeit in gewissen Grenzen, aber dennoch ist sie sehr interessant, weil Sie konkret aufzeigen, wie genau es aussieht, wenn Journalismus die Sichtweise der Politik übernimmt. Haben Sie mit diesem Befund überhaupt gerechnet? Um ehrlich zu sein, war ich nicht unbedingt überrascht. Der Journalismus und die Medien stehen ja bereits seit längerer Zeit unter großer Kritik, die ihnen eben genau das vorwirft: Konformität mit Machteliten wie der Politik. Ich war allerdings schon ein wenig verwundert, dass sich das so deutlich und fast ausnahmslos durch jeden meiner untersuchten Artikel gezogen hat. Ich hätte mir erhofft, dass es auch hin und wieder ein paar Ausreißer gibt, die mal einen anderen Blickwinkel auf das Thema „Stadttauben“ werfen. Die gab es zwar schon – nur nicht genug. Bevor Sie mehr von Ihren Forschungsergebnissen erzählen: Wie sind Sie überhaupt auf das Thema „Tauben“ gekommen? Ich bin schon sehr lange im Tierschutz aktiv und bin vor drei Jahren durch eine Bekannte auf die „Taubenhilfe München“ aufmerksam geworden, die verletzte Stadttauben gesundpflegen und sich für einen tierschutzgerechteren Umgang der Lokalpolitik mit den Stadttauben einsetzen. Hin und wieder habe ich selbst verletzte Stadttauben gesundgepflegt und sie dadurch lieben gelernt. Mir war es wichtig, dazu beizutragen, dass sich das öffentliche Bild über Tauben in der Gesellschaft verändert. All die negativen Vorurteile gegenüber Stadttauben haben sich bei mir sehr schnell in Luft aufgelöst und ich konnte nicht mehr verstehen, warum sie so verhasst und aktiv bekämpft werden. Also habe ich zuerst mich selbst und dann die mediale Öffentlichkeit zum Thema „Stadttauben“ hinterfragt und festgestellt, dass in der lokalen Berichterstattung in München ein bestimmtes Bild über diese Vögel vermittelt und konstruiert wird. Nämlich? Tauben als Ratten der Lüfte und Schädlinge für Gebäude und die Gesundheit. Das Bild von Tauben als „Ratten der Lüfte“ dürfte sich tatsächlich bei vielen eingeprägt haben. Woran Medien nicht unbeteiligt sind. Da ich bereits wusste, dass viele dieser Vorurteile gegenüber Tauben wissenschaftlich nicht bestätigt werden konnten, hatte ich schon eine Ahnung, dass in der Münchner Berichterstattung größtenteils nicht objektiv und vollumfassend berichtet wird. Als ich mir nach Hinweis einer Bekannten aus dem Taubenschutz die Berichterstattung in Ingolstadt ansah, war ich dann sehr überrascht. Warum? Diese war nicht, wie zunächst angenommen, ebenfalls negativ, sondern deutlich positiver, objektiver und umfassender als die Berichterstattung in München. Der Grund wurde dann sehr schnell klar: Während die Lokalpolitik in München durch Vergrämungsmaßnahmen und Fütterungsverbot eine aktive Bekämpfung der Stadttauben fördert, hat sich die Politik in Ingolstadt dazu entschlossen, einen progressiveren Weg zu gehen: das Errichten von Taubenschlägen nach dem Augsburger Modell zur nachhaltigen Reduktion der Taubenpopulation durch das Austauschen der echten Eier gegen Gipseier. In München sind Tauben also Feinde, die bekämpft werden müssen, in Ingolstadt hingegen sind sie verwilderte Haustiere, für die der Mensch Verantwortung übernehmen muss. Die Lokalberichterstattung passt sich in den beiden Städten also sehr stark an die aktuelle politische Linie an. Das war der Ausgangspunkt für meine Masterarbeit. Die NachDenkSeiten üben immer wieder auch Sprachkritik und weisen darauf hin, dass Sprache unser Denken lenken kann. Lassen Sie uns nochmal auf die Formulierung „Ratten der Lüfte“ eingehen. Diese Formulierung ist mitunter schuld daran, dass die Taubenproblematik sich in den letzten Jahren so verschlimmert hat. Es ist leider schon oft vorgekommen, dass wir bei unseren Fangversuchen von verletzt gemeldeten Tauben von Menschen angegriffen und beschimpft wurden. „Denen sollte man nicht helfen, die sind widerlich!“, ist noch eine harmlose Aussage. Eine Kollegin von mir wurde sogar körperlich so stark angegriffen, dass sie ins Krankenhaus musste. Da wird einem erst bewusst, wie groß der Hass auf diese Tiere in der Bevölkerung ist. Die mediale Konstruktion von Tauben als „Ratten der Lüfte“ hilft da nicht unbedingt. Das Problem hierbei ist: Einem Feind hilft man nicht gerne. Würden die Menschen Tauben positiver gegenüberstehen, hätte sich schon viel mehr in der Politik getan. Ich nehme es den Menschen, die Tauben nicht mögen, aber nicht übel. Die meisten von ihnen sind einfach nur nicht informiert, weil sie eben nur die Informationen aus den Medien haben. Wüssten die Menschen zum Beispiel, dass Tauben mal Haustiere waren, die ohne die Nähe zum Menschen einfach nicht überleben können und nur aus Not in den Städten leben, dann hätten viel mehr Menschen Verständnis für diese armen Tiere. Die Stadttaubenproblematik ist nicht nur für den Menschen ein Problem, sondern besonders für die Tauben, die tagtäglich um ihr Überleben kämpfen müssen. Um das vielleicht etwas zu verbildlichen: Das, was die Straßenhunde in Ländern wie Rumänien sind, sind die Tauben bei uns in Deutschland – verwilderte und obdachlose Haustiere, die dringend unsere Hilfe benötigen. Wie sind Sie bei Ihrer Arbeit vorgegangen? Ich habe in München die BILD, die Süddeutsche, die TZ und den Münchner Merkur untersucht und in Ingolstadt den Donaukurier. Mir war es wichtig, die größten Lokalzeitungen der beiden Städte zu untersuchen. Da es in München allerdings mehrere Lokalblätter mit großer Reichweite gibt, wurden hier auch mehr Zeitungen in die Analyse mit einbezogen. Ich habe in allen Zeitungen im Zeitraum von Januar 2016 bis Mai 2019 alle Artikel zur Stadttauben-Thematik angesehen. Der Zeitraum war bewusst so gesetzt, da im Laufe des Jahres 2016 in München das bisherige Fütterungsverbot ausgelaufen war und im März 2018 die Entscheidung der Politik für ein erneutes Fütterungsverbot verkündet wurde. In einem ähnlichen Zeitraum wurde auch in Ingolstadt über den Umgang mit Stadttauben verhandelt – mit einem gegenteiligen Ergebnis. Um die Vor- und Nachwirkungen der politischen Verhandlungen und Entscheidungen mit einzufangen, habe ich den Zeitraum ein wenig ausgeweitet. Ich habe dann anhand eines eigens erstellten Kategoriensystems die Artikel miteinander verglichen und analysiert. Gleichzeitig habe ich mir wissenschaftliche Literatur zum Thema „Stadttauben“ angesehen und war sehr schnell ernüchtert. Leider gibt es nicht viele aktuelle wissenschaftliche Artikel über Stadttauben und die Stadttaubenproblematik. Deshalb habe ich mich dazu entschlossen, meinen Theorieteil noch mit drei Experteninterviews zu stützen. Es ist nämlich wichtig, sich zuerst ein Bild darüber zu machen, was man generell alles über Stadttauben wissen könnte, um dann bei der Analyse feststellen zu können, ob Journalisten bei ihrer Berichterstattung umfassend berichten oder eben manche Teile weglassen. Man muss also den „Raum des Sagbaren“ erfassen. Wie viele Artikel haben Sie insgesamt analysiert? Beim Start meiner Recherche hatte ich deutlich über 100 Artikel zur Auswahl. Ich musste mich dann auf eine kleinere Auswahl von Artikeln begrenzen, die ich in aller Tiefe analysieren konnte. Am Ende waren das grob 55 Artikel. Wodurch konnten Sie erkennen, dass die Berichterstattung sich an der Politik orientiert? Besonders der Vergleich zwischen München und Ingolstadt hat diesen Zusammenhang zwischen Medien und Politik sichtbar gemacht. Während in Ingolstadt die politische Entscheidung für das Augsburger Modell gefällt wurde, wurde in München in einem ähnlichen Zeitraum ein gegenteiliges Ergebnis der Lokalpolitik veröffentlicht: der erneute Erlass des Fütterungsverbots. Weil die politischen Positionen in der Lokalpolitik der beiden Städte so verschieden waren, konnte man diesen großen Unterschied auch in der Lokalberichterstattung beobachten. Verändert sich der politische Diskurs zu einem Thema, verändert sich auch die Berichterstattung dazu. Man hat das besonders bei einzelnen Journalisten und Zeitungen beobachten können: Im Donaukurier wurde beispielsweise auch nicht immer positiv über Tauben berichtet, sondern erst, als die Stimmen für das Augsburger Stadttaubenmodell in der Politik lauter wurden und sich die Politiker eingehender mit dem Wesen und den Fakten der Stadttauben beschäftigt haben. Auch in München haben einzelne Journalisten ihre Artikel an den politischen Diskurs angepasst: Während in einem Jahr sehr viel zu Vergrämungsmaßnahmen durch Falkner berichtet wurde, da dies zu dieser Zeit in der Politik das dominante Thema war, wurde nach einem Stimmungsumbruch in der Politik hin zum Fütterungsverbot als „einzig effektive Maßnahme“ nun auch in der Lokalberichterstattung von denselben Journalisten auf dieses Thema umgeschwenkt. Die Münchner Zeitungen versuchen größtenteils, das Bild der „Taube als Schädling“ aufrechtzuerhalten. Dazu verwenden sie Wörter wie „eklig“, „Krankheitsüberträger“ oder eben das weitverbreitete „Ratten der Lüfte“. In Ingolstadt findet man diese Wörter nicht mehr, hier ist die Berichterstattung wesentlich objektiver und positiver und unterstützt das Bild der „Taube als verwildertes Haustier”. Auch lassen die Münchner Lokalzeitungen viel seltener Taubenexperten aus dem Tierschutz zu Wort kommen, sondern eher Sprecher von Vergrämungsunternehmen oder Politiker. In Ingolstadt ist dies ebenfalls anders, hier werden sehr viele Taubenexperten aus dem Tierschutz zitiert. Haben die Erkenntnisse aus Ihrer Arbeit Ihren Blick auf Medien verändert? Ich denke nicht, sie haben meine Vermutungen eher bestätigt und verstärkt. Noch eine Frage zum „Taubenproblem“. Wohl nicht wenige Städte versuchen etwas gegen Tauben zu unternehmen. Aus Ihren Einblicken: Was meinen Sie, was wären vernünftige Lösungen? Diese Frage ist sehr wichtig und ich freue mich, dass Sie sie mir stellen! Ich wurde in einem anderen Interview gefragt: „Wo sollen Tauben eher ihr Nest bauen? In der Stadt oder auf dem Land?“. Diese Frage ist insoweit interessant, da sie auf das Grundproblem in der ganzen Stadttaubenthematik deutet: Den „natürlichen“ Lebensraum von Stadttauben. Den gibt es nämlich nicht. Stadttauben sind verwilderte Haustauben, die vom Menschen jahrhundertelang gezüchtet und gehalten wurden. Durch diese lange Zucht haben sie komplett verlernt, ohne die Nähe des Menschen zu überleben. Es ist ganz wichtig, den Unterschied zwischen einer Haustaube, wie es die Stadttaube ist, und einer Wildtaube zu kennen. Was ist der Unterschied? Wildtauben leben draußen und wissen auch, wo sie Nahrung finden können. Stadttauben bzw. Haustauben wissen das nicht. Sie würden vor einem Weizenfeld verhungern. Da sie aber von der wilden Felsentaube abstammen, lassen sich die Stadttauben – wie es ihr Name bereits sagt – in den Städten nieder. Die Gebäude in der Stadt ähneln den Felsen, an denen die Felsentauben leben. Die Stadttauben leben aber nicht freiwillig in den Städten, sondern nur, weil sie die Nähe zum Menschen brauchen. Sie ernähren sich von Müll und Essensresten, was kein artgerechtes Futter für Körnerfresser ist und viele Tauben verhungern dennoch oder verletzen sich bei der verzweifelten Suche nach Futter sehr schwer. Dadurch, dass der Mensch ihnen einen unnatürlichen Brutzwang angezüchtet hat, brüten Tauben das ganze Jahr über bis zu siebenmal – auch im Winter, was das Stadttaubenproblem noch verstärkt. Um also auf die Frage nach dem besten Ort für ein Tauben-Nest zurückzukommen: Stadttauben sollten ihr Nest in einem von der Stadt gestellten, betreuten Taubenschlag bauen. Warum das? Dort können die Eier der Stadttauben nämlich gegen Gipsattrappen getauscht und so eine nachhaltige und langfristige Reduktion der Taubenpopulation erreicht werden. Die Tauben bekommen dort auch artgerechtes Futter und Wasser und müssen so nicht den ganzen Tag in den Städten nach Futter suchen, sondern verbringen 80 Prozent ihres Tages im Taubenschlag. Damit fällt ein Großteil des ausgeschiedenen Kots gesammelt im Schlag an und kann fachgerecht entsorgt werden, anstatt in der ganzen Stadt verteilt zu werden. Übrigens: Durch ein Fütterungsverbot verringert sich die Taubenpopulation in einer Stadt nicht – im Gegenteil: Tauben brüten dann sogar tendenziell mehr. Ein Taubenschlag an jedem Tauben-„Hot-Spot“ einer Stadt wäre also eine Win-Win-Situation für Mensch und Tier und die bisher einzige erwiesenermaßen effektive und nachhaltig wirksame Lösung für das Stadttaubenproblem. Leider haben das noch nicht viele Städte begriffen, da sie sich nicht mit dem Wesen und der Herkunft der Tauben befasst haben. Deswegen greifen sie immer noch zu ineffektiven Maßnahmen wie Fütterungsverboten oder Vergrämungen durch Netze und Spikes in der Hoffnung, die Stadttauben irgendwann ganz vertreiben zu können. Das wird aber nie passieren, da die Stadttauben nirgendwo anders hinkönnen, als in der Stadt und in der Nähe vom Menschen zu bleiben. Mit Vergrämungen verlagert man das Problem nur von Haus zu Haus, anstatt es im Kern zu lösen. Fütterungsverbote und Vergrämungen machen, wenn überhaupt, nur Sinn in Kombination mit betreuten Taubenschlägen – sie sind keine in sich allein funktionierende Lösung. Ich hoffe, diese Erkenntnis kommt auch irgendwann bei der Lokalpolitik der deutschen Städte an. Titelbild: hkhtt hj/shutterstock.com | Marcus Klöckner | Manchmal lohnt es sich, mit den Augen einer kritischen Wissenschaft auf politisch mehr oder weniger unverdächtige Themen zu schauen, wie zum Beispiel: Tauben. Minea Pejic hat in einer bemerkenswerten Studie aufgezeigt, dass viele Mediennutzer gar nicht so unrecht haben, wenn sie Journalisten vorwerfen, „herrschaftsnah“ zu berichten. Die Kommunikationswissenschaftlerin hat die Berichterstattung ... | [
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] | 17. Mai 2020 11:45 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=61019 |
Leserbriefe zu „Medien machen Minister“ | Hier wird die Rolle der Medien für das Vorhaben, Karl Lauterbach zum Gesundheitsminister zu machen, hinterfragt. Albrecht Müller meint, „Medienschaffende wollten ihn und haben sich zusammengetan, dieses Ziel zu erreichen“. Herr Lauterbach sei „gefühlte tausende Mal“ in Medien zu sehen gewesen. Er spalte unsere Gesellschaft und habe „die Folgen der Corona-Politik erkennbar nicht im Blick“. Der neue Minister habe bisher auch nicht gesehen, wie sehr seine Art von Propaganda unser aller Immunsystem schwäche. Herzlichen Dank für die interessanten Zuschriften. Hier nun eine Auswahl. Zusammengestellt von Christian Reimann.
1. Leserbrief Verehrte Nachdenkseiten-Redaktion,
Karl Lauterbach als Gesundheitsminister, das ist die Katastrophe und, wie Albrecht Müller zurecht schreibt, die Bankrotterklärung des neuen Bundeskanzlers Olaf Scholz.
Auch wenn die Nachdenkseiten – und meine Leserbrief schon gar nicht – etwas an dieser Personalie ändern, ich muss etwas dazu schreiben, sonst platze ich.
Karl Lauterbach: Eine monomanische Persönlichkeit, die sich vor den Konsequenzen ihres Redens und Tuns fast schon krankhaft verschließt und sich in ihrer Monomanie ausschließlich auf eine Lösung fixiert – im Fall von Corona auf das Verimpfen von mRNA-Impfstoffen – auch wenn sich längst gezeigt hat, dass dies nicht der Königsweg ist. Eine durch und durch pessimistische und phobische Persönlichkeit, die ihren Pessimismus und ihre Zwanghaftigkeit als Realismus verkauft und die zu Regierenden damit weiterhin in Angst und Schrecken versetzen wird. Eine beratungsresistente Persönlichkeit, die sich selbst zum Maßstab aller Dinge macht und andere Meinungen und Perspektiven schlicht ausblendet. Ja, und dann eine Politikerpersönlichkeit, die einen aktiven Beitrag zur Ökonomisierung unseres Gesundheitswesens geleistet und dabei ziemlich gut verdient hat.
Es macht zornig, wenn Karl Lauterbach vor Lockdowns und anderen Maßnahmen stoisch in die Fernsehkameras spricht: „Wir müssen noch vier Wochen durchhalten, dann ….“ Er müsste sagen: „Ihr müsst durchhalten ….“ Denn er mit seinem Verdienst und seiner Absicherung bis ins Grab hat nichts zu befürchten.
Ich mag mir gar nicht vorstellen, was WIR noch mit Karl Lauterbach als Gesundheitsminister aushalten müssen.
Dr. Petra Braitling 2. Leserbrief Guten Tag Herr Müller, Sie sprechen mir aus dem Herzen. Ich halte die Wahl Lauterbachs zum Minister für das absolute Desaster. Deutschlands “Qualitätsmedien” haben dies mit Ihrer Propaganda herbeigeschrieben bzw. -gesendet. Und das Volk folgt? Ich fasse es nicht! Herr Müller, es ist sicher schade für viele aufrichtige Parteimitglieder, aber ich fürchte, wir sollten uns von dieser sozialdemokratischen Partei verabschieden. Es gibt sie einfach nicht mehr. Und sehr wahrscheinlich wird sie auch noch an dem nächsten Weltkrieg beteiligt sein, wie die Wahl einer kriegshetzerischen Außenministerin erwarten lässt. Ich danke Ihnen und Ihren Mitstreitern für Ihre unermüdliche Aufklärungsarbeit. Dadurch muss ich mich nicht so allein fühlen. Herzliche Grüße
Renate Vetter 3. Leserbrief Sehr geehrter Herr Müller,
liebes Team der Nachdenk-Seiten, ich kann Ihre Einschätzung bezüglich des gerade frisch von den Medien gekürten neuen Gesundheitsministers nur teilen. Auch ich bin darüber total fassungslos und entsetzt. Die Ernennung von Herrn Lauterbach signalisiert mir mehr als deutlich, wie sehr es nicht nur mit unserer Politik, sondern auch mit den Medien hier im Land bergab geht. Welche große Macht nicht nur die Mainstream-Medien, sondern auch die von uns mit unseren Pflichtbeiträgen subventionierten Öffentlich-Rechtlichen Medien haben, wird durch diese Ernennung einmal mehr eindeutig vorgeführt. Und das bereitet mir sehr große Sorgen und auch Angst. Wenn die Medien jetzt schon den Kanzler herbeischreiben und sogar Minister ernennen können, dann bereitet mir das großes Unbehagen. Das zeigt mir einmal mehr, wie wenig Macht der eigentliche Souverän, nämlich das Volk hierzulande noch hat. Und das unsere Demokratie dem Untergang geweiht ist, wenn keiner dagegen etwas unternimmt. Es will mir einfach nicht in den Kopf, wie man jemanden wie Herrn Lauterbach zu so einem Posten verhelfen kann, dem dafür nun wirklich jegliche Eignung fehlt. Von der mangelnden Sozialkompetenz einfach total abgesehen. Herr Lauterbach ist weder Arzt noch Epidemiologe, sondern einfach nur Gesundheitswissenschaftler, der jahrelang als Direktor des Instituts für Gesundheitsökonomie und Epidemiologie an der Universität Köln tätig war. Viele der auf der Webseite genannten interpro-fessionellen Kooperations-schwerpunkte in der Forschung werden übrigens von der Robert-Bosch-Stiftung (eigentlich eher eine GmbH) unterstützt. Ein Schelm, wer dabei etwas Böses denkt … Auch das Bundesgesundheitsministerium wird bei einigen Projekten als Förderpartner genannt. Da muss doch so eine gute Partnerschaft glatt belohnt werden (Achtung, Ironie!). Außerdem hat Herr Lauterbach jahrelang im Vorstand der Rhön Klinikum AG gesessen und war mit dafür verantwortlich, dass zahlreiche Kliniken geschlossen wurden. Und auch mit der Bertelsmann Stiftung war er bestens vernetzt. Sahra Wagenknecht hatte diese Tatsachen völlig zu Recht Herrn Lauterbach vorgeworfen. Als frisch ernannter Bundesgesundheitsminister wird Herr Lauterbach sicher alles dafür tun, dass die Impf-Kampagne reibungslos weiterläuft und eine generelle Impfpflicht für ALLE durchdrücken. Schließlich möchte er ja seine Kooperations-partner aus der Pharmabranche nicht vor dem Kopf stoßen. Was er sonst noch alles tun wird, sobald er die Macht dazu hat, möchte ich mir an dieser Stelle lieber gar nicht erst vorstellen. Denn ich habe eine sehr lebhafte Phantasie. Fakt ist nur, dass die Menschen, die sich bis jetzt noch gegen den Impf-Wahnsinn gewehrt haben und deshalb als „ungeimpft“ gelten, es noch schwerer haben werden. Ist denjenigen, die für die Corona-Politik verantwortlich zeichnen (oder besser gesagt: eher nicht) überhaupt klar, was sie den Menschen damit antun? Nicht nur physisch mit der Impfung und den möglichen Folgen, sondern auch psychisch. Der tägliche Corona-Streß ist ja schon für einen Menschen mit einigermaßen stabiler Psyche nur schwer erträglich, aber wen Menschen dazu auch noch bewußt ausgegrenzt und aus dem sozialen Leben verbannt werden, dann befürchte ich schlimme psychische Folgen. Sie und Ihre Kollegen haben auf die Folgen der Impfung und auch auf die prekäre Situation des ärztlichen Personals und des Pflegepersonals in den Kliniken in zahlreichen Artikeln hingewiesen. Unter einem Herrn Lauterbach ist vermutlich nicht davon auszugehen, dass sich an der Situation der Beschäftigten im Gesundheitswesen etwas verbessern wird. Statt dessen wird wahrscheinlich dafür gesorgt, dass noch mehr Intensivbetten abgebaut und noch mehr Klinken geschlossen werden. Und leider gibt es niemanden, der diesen Wahnsinn aufzuhalten vermag. Deshalb bin ich umso dankbarer dafür, dass es Portale wie die Nachdenkseiten und andere gibt, die in dieser angespannten Situation einen klaren Kopf behalten und sachlich und informativ die Hintergründe zur Corona-Politik beleuchten. Ich hoffe, Sie lassen sich nicht unterkriegen und bleiben weiter so kritisch. Herzliche Nikolaus-Grüße sendet Ihnen
Anja Voelkel 4. Leserbrief Sehr geehrte Nachdenkseitenredaktion, sehr geehrter Herr Müller
Auch ich musste erstmal schlucken, als ich die Nachricht hörte ,dass Lauterbach Bundesgesundheitsminister wird. Aber wenn ich ehrlich bin, überraschend kam es für mich nicht.
Wie Sie ja richtig festgestellt haben, wurde er ja Medial als einzig wahre Lösung verkündet und verkauft. Olaf Scholz blieb ja Letztendes gar nichts weiter übrig, als dem Medientrommelfeuer nachzugeben. Aber andererseits verfährt er ja vielleicht auch nach dem Motto, deinen Freund halt dir nah, aber deinen Feind näher? Eventuell entpuppt sich die Berufung Lauterbachs im Nachhinein als Segen und geschickter Schachzug, um endlich mal dessen gesundheitspolitische Inkompetenz ans Tageslicht zu bringen. Zu wünschen wäre es uns, dass endlich sein wahres menschenverachtendes, volksverhetzendes Menschenbild zum Vorschein kommt. Was ich mich allerdings frage, wer die Mehrheit der Deutschen sein soll, die sich Lauterbach als Gesundheitsminister gewünscht haben. Fast jeder aus meinem Bekanntenkreis rollt nur noch mit den Augen oder winkt ab, wenn der Name bloß fällt, selbst Maßnahmbefürworter sind da dabei.
Aber die Niederträchtigkeit der deutschen Medien kennt ja seit Corona keine Grenzen mehr, also insofern auch nicht überraschend. Zum Schluss möchte ich mich noch bei ihnen Allen für ihre unermüdliche Arbeit bedanken und legen sie weiterhin ihre Finger in die gesellschafspolitischen Wunden.
Mit freundlichen Grüßen
Andreas Geisenhainer 5. Leserbrief Lieber Herr Müller, wenn Lauterbach nicht Gesundheitsminister geworden wäre, wäre wohl ihr Beitrag „Medien verhindern Minister“ gewesen. Ich persönlich hätte mir auch die SPD Abgeordnete Dr. Sabine Dittmar gut vorstellen können.
Die SPD hat viele gute Leute, die nicht ständig jedes Mikrofon ergreifen, wenn man es ihnen hinhält. Nun muss man natürlich anerkennen das Prof. Lauterbach in fast allen seinen Vorhersagen besser war als der ehemalige Gesundheitsminister als Spahn.
Auch das muss einmal gesagt werden !!!!!
Ich schätze Sie sehr , bin selbst seit 53 Jahren ( auch wegen Willy Brandt ) SPD Mitglied und habe auch Ihr Buch Glaube Wenig,
Hinterfrage alles,
Denke selbst. gekauft und gelesen, was mir auch in der Beurteilung von Medienbeiträgen hilft.
Leider muss ich zum Bedauern feststellen, dass die Nachdenkseiten auch an Objektivität verloren haben. Ständige Beiträge gegen die Politik und gegen Impfen sind fast nicht mehr zu ertragen und ich lese das schon alles nicht mehr. Wir sollten doch von ihnen erwarten, dass sie neutral und auf Fakten und Ausgewogenheit achten, oder liege ich da falsch ?
Kritische Betrachtungen sind gut, aber ständig alles zu kritisieren ist nicht gut, und hilft auch nur der AFD… . Nachdenken lohnt sich… MfG
Ditmar Porth Anmerkung Albrecht Müller: Danke vielmals. Wir denken in der Tat darüber nach, wie wir das Image des Kritikasters vermeiden können. Aber das ist in der heutigen Zeit ausgesprochen schwierig. Es läuft ja leider so viel nicht gut. Wir haben uns ja zum Beispiel ernsthaft mit der Koalitionsvereinbarung beschäftigt. Und wenn ich dann darüber stolpere, dass die SPD zum Beispiel ihre selbst gestaltete erfolgreiche Entspannungspolitik verlässt, oder dass die Koalition mit einer verschlimmbesserten Riester-Rente weitermacht und die Altersvorsorge der Spekulation überantworten will, dem Einsatz bewaffneter Drohnen das Wort redet, und überhaupt an militärischen Auslandseinsätzen festhalten will, usw., dann kann ich doch nichts dafür, dies kritisch hinterfragen zu müssen. 6. Leserbrief Lieber Albrecht Müller, liebes NDS-Team, es ist einfach nur noch grauenhaft, was sich da in der Politik abspielt. Ich kann das alles schon gar nicht mehr hören, sehen, lesen. Meine Leidensfähigkeit ist zusehens erschöpft. Ich hätte mir nie im Leben vorstellen können, daß ich sogar einem Jens Spahn mal nachweinen würde, ganz zu schweigen von einem Herrn Maas (die Neubesetzung ist ja besonders katastrophal) oder auch einem Herrn Scholz in seiner bisherigen Funktion. Das Leben in diesem Land wird zunehmend immer dystopischer. Dazu hat auch das aktuelle Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu den C-Massnahmen der Regierung beigetragen, das ja sogar einen Gerhard Strate und einen Heribert Prantl zu düstersten Prognosen bewegt hat. Das macht alles keinen Mut und es ist nirgends ein Hoffnungsschimmer zu sehen. Und dann noch Corona … Liebe Grüße
Petra Schubert 7. Leserbrief Sehr geehrter Herr Müller,
sehr geehrtes Team der Nachdenkseiten, nun also der ständig mahnende und häufig nörgelnde TV-Star Prof. Dr. Lauterbach als Nachfolger von Herrn Spahn. Seine Wahl wird insbesondere mit seiner fachlichen Kompetenz begründet, mancher Ungenauigkeit zum Trotze, wie sogar der Faktenfinder der Tagesschau heute angemerkt hat. Aufgrund der bisherigen medialen Omnipräsenz des künftigen Bundesgesundheitsministers wird es spannend werden zu beobachten, wie er nebenbei seine Arbeit bewältigen will. Die Nachdenkseiten haben dazu auch schon mal eine kleine Andeutung gemacht (Videohinweise vom 27.11.2021, Punkt 15). Oder rätselt man demnächst: Wer geht denn jetzt zu Anne Will und kann nicht? Beste Grüße,
D.B. 8. Leserbrief Sehr geehrter Herr Müller, schaue ich mir die Liste der neuen Minister an, schaudert es mich ob der geballten Kompetenz. Ein Karl Lauterbach, der mir behandlungsbedürftig scheint angesichts seiner vielfältigen und sich immer wieder selbst widersprechenden Äußerungen, wird vielleicht auch noch Oberaufseher für die neu zu schaffenden KL für die Nichtgeimpften/Gesunden. Wann werden die Nachdenkseiten mal die Frage stellen, welchem Ziel dieser ganze Corona-Zirkus dient. In dieser vorweihnachtlichen Zeit fällt mir etwas abgewandelt nur noch ein: Advent, Advent unser Grundgesetz brennt. Mit freundlichem Gruß
R. Schönenberg 9. Leserbrief Liebes Team der NachDenkSeiten,
sehr geehrter Herr Müller, Sie haben Recht:
Auch ich hielt es für ein Desaster, wenn Karl Lauterbach (zukünftig nur noch in Kurzform “Klabauterbach” wegen seines nachweislichen Seemannsgarns in Ahnlenung an den “Klabautermann” — man verzeihe mir diese Analogie) Gesundheitsminister würde. Allerdings ist das nur eine logische Konsequenz permanenter Scharfmacherei. Nicht im Sinne einer klassischen Kriegsvorbereitung, wie die bellizistischen Medien tagaus, tagein unter Beweis stellen (ich verfolge das “Rußland-Bashing” auch schon eine ganze Weile mit Argwohn):
nein, eine Scharfmacherei im Sinne einer totalen Impfpflicht. Auch hier stellt sich wieder, Assoziierungen sei dank, eine Analogie ein: Ich fühle mich in diesen Zeiten, obwohl ich sie nicht miterlebt, aber oft genug in Form von Zeitzeugen, rezipiert habe, an die Geschehnisse von 1933-1939 erinnert. Auch damals wurde rigoros gegen Andersdenkende geschossen; damals im wörtlichen Sinne, heute eher auf psychologischer Ebene, oder anstatt mit Geschossen nun mit Spritzen. Haben Sie vergangenen Sonntag den “Polizeiruf 110” in der ARD geschaut? Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Autoren uns etwas mitteilen wollen… Aus meiner Sicht ist es vollkommen irrelevant, wer da aktuell welchen (Minister-)Posten besetzt. Sie sind alle austauschbar, der eine ist etwas radikaler als der andere. Für mich steht schon lange fest, daß die wahren Drahtzieher nicht unsere öffentlich präsenten Politiker sind, sondern die dahinter stehenden Lobbyverbände, mit all ihrer finanziellen Marktmacht und physischen Nähe. Wer will es da verdenken, daß auf einen EU-Minister in Brüssel rund 3 Lobbyisten kommen, die in räumlicher Nähe residieren? Zieht man noch die ganzen elitären Netzwerke in Betracht (Atlantik-Brücke, Council of Foreign Relations, WEF, Bilderberger und wie sie alle heißen), so kann man schlußfolgern, daß ein Konsens auf gemeinsamer Ebene gefunden wurde, der dem Steuerzahler verborgen bleibt, deren Agenda aber kompromißlos verfolgt wird. Die Ergebnisse werden erst dann präsent, wenn eine Intervention kaum mehr als möglich scheint. (Verbotene) Demonstrationen helfen da leider nicht wirklich weiter, und ein klassischer Sturm auf die Bastion mit Mistgabeln bleibt uns im High Tech-Zeitalter leider auch verwehrt. Aus diesem Grund finde ich es sogar gut, daß Klabauterbach den Gesundheitsminister (freilich bar jedweder Expertise, aber das hat er ja bereits zuvor mehrfach unter öffentlichem Beweis gestellt) mimt. Das Unvermeidliche hat nur einen Booster (sic!) erhalten. Ich hege sogar die leise Hoffnung, daß sich der Nachfolger von Pharma- und Banker-Lobbyist Jens Spahn in seinem Gebaren als oberster Wächter in Gesundheitsfragen selbst demontieren wird. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Bei der AfD hat’s mit der Demontage leider auch nicht geklappt. Es grüßt recht freundlich:
Michael Schauberger PS: Es mag zwar seltsam anmuten, aber der Spruch von Dr. Wolfgang Wodarg, sehr früh in der “Pandemie” auf seiner Homepage präsent, ist nach wie vor aktuell: Bitte bleiben Sie besonnen! Wenn es schon unsere “Politiker” (tut mir leid, aber das kann ich nur in Anführungszeichen setzen) nicht können oder wollen, dann liegt es am Volk, Augenmaß und Gelassenheit an den Tag zu legen. 10. Leserbrief Lieber Herr Müller,
aus Sicht vieler Medien ist sicher Herr L. auch der bessere Gesundheitsminister, weil er in ihrer Logik am meisten „abliefert“: er polarisiert! Und das bringt Auflage bzw. Klicks – die „mediale Währung“. Da kann man fast im Stundenrhythmus neue Artikel publizieren. Die „Gesundheit“ bleibt, wie auch schon die Jahre davor, eher Nebensache.
Ein Gedankenexperiment: Man stelle sich vor unser Gesundheitsminister wäre ein sachlicher, kühler, planmäßig, vorausschauender Politiker, wie z.B. Anders Tegnell (ich weiß, er ist kein Politiker). Da könnte man nur jeden Tag das gleiche schreiben, weil er praktisch immer das gleiche sagt. Wie langweilig…
P.S: Ein wenig Resthoffnung besteht allerdings meinerseits, dass er durch seine neu erhaltene Aufgabe, weniger Zeit für Talkshows hat, sich seiner Verantwortung bewusst wird, und dadurch etwas moderater auftritt. Schau ma moi ?
Herzliche Grüße
R.P. 11. Leserbrief Liebes NDS-Team, Karl Lauterbach als Gesundheitsminister? Einerseits ist das überraschend, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass die derzeitige Politikerkaste der SPD dermaßen schamlos ist und einen egozentrischen Selbstdarsteller zum Minister nominiert. Andererseits konnte ich mir spätestens nach Baerbock und Özdemir alles vorstellen. Es ist ein Schreckenskabinett, das mich höchstens an die Rot-Grüne Bundesregierung unter Schröder-Fischer erinnert. Zusätzlich hat die Nominierung von Lauterbach auch gezeigt, wie einflussreich Twitter auf die deutsche Politik ist. Über diese Nominierung haben sich vor allem die sogenannten Woken und der links(neo)liberale Establishment aus den Medien gefreut, die seit Lauterbachs Corona-Comeback darauf hingearbeitet haben, ihn in der nächsten Bundesregierung unterzubringen. Wie man leider sieht, ist das erfolgreich verlaufen. 2013: kurier.at/politik/ausland/ex-frau-von-spd-politiker-lauterbach-hoffentlich-wird-er-nicht-minister/33.547.492 BG
E Ein kleiner Nachtrag zu Lauterbach. Vor ungefähr einem Jahr war er gemeinsam mit der Vorsitzenden des deutschen Ethikrats Alena Buyx bei Markus Lanz. Da fingen die beiden Gestalten plötzlich an über ihre Erfahrungen an ausländischen Eliteuniversitäten zu diskutieren. Das war so ein merkwürdiger Moment der mich fassungslos machte. Da hat man gemerkt, dass diese Menschen die Alltagssorgen der einfachen Menschen, denen sie mit autoritären Maßnahmen und Angst-Dauerbeschallung Existenz- bzw. Zukunftsängste bescheren und den Zusammenhalt der Gesellschaft leichtfertig zerstören, gar nicht aufnehmen können oder nicht wollen und komplett in einer eigenen privilegierten Welt leben. BG
E 12. Leserbrief Sehr geehrter Herr Müller, in Ihrem Artikel “Medien machen Minister” beziehen Sie sich darauf, dass Herr Lauterbach als Gesundheitsminister in der neuen Regierung von Herrn Scholz vorgestellt wurde. Sie haben ja persönlich wie auch Ihr NDS-Team immer wieder auf den Einfluss der Medien hingewiesen, auch hinsichtlich der Wahlen. Und da möchte ich noch einmal an den Wahlabend vom 26.09.2021 erinnern. Verwunderlich war schon mal, dass die SPD, die im Juli 2021 laut “ARD-Deutschland Trend” in der Wählergunst noch bei 15% stand, plötzlich im September bei der Wahl mit 25,7 % stärkste Partei wurde, während die CDU – 28% im Juli – am 26.9. nur auf 24,1% kam. Da während der Wahlberichterstattung – sowohl in der ARD als auch im ZDF – immer mal wieder die verschiedensten Bündnismöglichkeiten, ob Groko, Jamaika, Rot-Grün aber auch Rot-Rot-Grün, angesprochen wurden, blieb es nicht aus, die Abstimmungsentwicklung dieser Parteien zu beobachten. Bei fast allen Parteien waren Änderungen ab der 18.00 Uhr-Prognose in der prozentualen Zustimmung zu erkennen. Nur eine Partei fiel da aus dem Rahmen. Bei der Partei “Die Linke” blieb von der Prognose bis in die Nachtstunden eine Zahl wie in Stein gemeißelt stehen – die 5%! Das war sowohl bei der ARD als auch beim ZDF so. Hier ein kurzer Überblick zu den Angaben für die Partei “Die Linke”: ARD 18.00 Uhr-Prognose – 5%; 1.Hochrechnung um 18:43 Uhr – 5%; Meldung um 20:00 Uhr – 5%; Meldung um 21:15 Uhr – 5%; Meldung um 22:30 Uhr – 5%; um 23:40 Uhr wurden dann 4,9% gemeldet. ZDF 18:00 Uhr-Prognose – 5%; 1. Hochrechnung um 18:44 Uhr – 5%; Meldung um 19:30 Uhr – 5%; Meldung um 20:13 Uhr – 5%; Meldung um 21:15 Uhr – 5%; Meldung um 21:47 Uhr – 5%; noch um 23:34 Uhr wurden 5% gemeldet. Die Daten hatte ich aufgrund der seltsamen Entwicklung einen Tag später bei den beiden Sendern abgerufen. Müssen derartige gleichmäßige, prozentuale Meldungen von zwei ansonsten tendenziell durchaus verschiedenen öffentlich-rechtlichen Sendern nicht stutzig machen? Mich hat es jedenfalls genauso stutzig gemacht, wie die bereits oben erwähnten 25,7% der SPD, die in kurzer Zeit erfolgten. Mit freundlichen Grüßen
Hans Dietrich 13. Leserbrief Sehr geehrter Herr Müller,
zu der causa Lauterbach und die Medien fällt mir nur ein, dass Lauterbach der (nun nicht mehr) ungekrönte König der eigenen Pandemiepanikmache der Medien ist. Wer entscheidet über den Coronaausnahmezustand (den man nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dass die Grundrechtseingriffe durch die Situation gerechtfertigt waren, nun wohl offiziell so nennen darf)? Die Medien. Und selbstverständlich folgt die Politik. Gutdenkende unter sich sozusagen: Nennen wir es den medial-politischen Komplex.
Mit dem ganz besonderen Experten Lauterbach ist neben der abgebrochenen Studentin Baerbock der zweite unqualifizierte Mediendarling in der Regierung. Passt zum (perfekt nichtsagenden) Wahlkampfmarketing der SPD.
LG, EJ 14. Leserbrief Sehr geehrter Herr Müller, liebe Nachdenkseiten, “Medien machen Minister” fängt ja nicht erst mit Herrn Lauterbach an. Auch Olaf Scholz ist – nur etwas subtiler – durch die Medien protegiert worden, indem man Armin Laschet bei jeder Gelegenheit diskreditiert hat. Der Anteil von Olaf Scholz bei Wirecard und CumEx wurde diskret im Hintergrund gehalten, man präsentierte ihn als besonnenen und ruhigen Kandidaten und erfahrenen Nachfolger von Angela Merkel, im Gegensatz zu Herrn Laschet, dem Versager. Das Gleiche geschah mit Frau Baerbock, zuerst wurde sie hochgespielt, Kanzlerin sollte sie jedoch nicht werden, da fand man dann plötzlich einige Details heraus, aber für eine Außenministerin reicht es. Diese Regierungskonstellation war von Anfang an gewollt und wurde durch die Medien gesteuert. Nun ist die letzte Karte auf dem Tisch. Ich glaube weder, dass eine Mehrheit der Bevölkerung Herrn Lauterbach wollte, noch wollen sie eine Impfpflicht. Das mediale Trommelfeuer wird auch diesbezüglich nicht auf sich warten lassen. Beste Grüße
S. K. 15. Leserbrief Sehr geehrte Damen und Herren, ich erinnere mich gut an Gespäche mit Freunden/Bekannten, in denen wir uns fassungslos fragten, wie denn nur ein Trump von den Amerikanern zum Präsidenten gewählt werden konnte. Nun, jetzt können wir uns auch fragen: Wie konnte das geschehen? Ich denke, dass ein Minister wie Herr Lauterbach aus einem einzigen Grunde ausgewählt worden ist: er polarisiert, er ist mit seiner (Verzeihung bitte) nöligen Stimme permanent in irgendwelchen Comedy – Polittalks präsent, um uns mit seinen Erkenntnissen und seiner Interpretation und Auswahl von Studien zu beglücken. Seine Ernennung läuft für mich persönlich unter dem Label „Schockstrategie“, denn mit welcher Personalie hätte man die Kritiker der Maßnahmen noch mehr schockieren können? Dabei gerät völlig in den Hintergrund, dass es der designierte Bundeskanzler ist, der die Parole ausgegeben hat, dass es keine roten Linien mehr geben wird. Ohne Frage werden wir uns intensiv und fassungslos mit Lauterbach und seinen Verlautbarungen beschäftigen und uns damit selber blockieren. Ich denke, dass die Personen in der zweiten Reihe, die wir nicht kennen und mit denen sich i.d.R. nur wenige auseinandersetzen, die entscheidenden sein werden. Ein Minister Lauterbach wird immer nur seine Unterschrift unter die kommenden Machwerke setzen, ausarbeiten werden diese andere Personen. Er dient als Reizfigur – da ist er außerordentlich kompetent. Ich bin zutiefst erschrocken darüber, feststellen zu müssen, wie in meinem Bekanntenkreis und in der Nachbarschaft (überwiegend mit hohen Bildungs- und Berufsabschlüssen) nichts hinterfragt wird, das Narrativ „Kritiker der Maßnahmen und der Regierung = Verwörungstheoretiker“ völlig selbstverständlich übernommen wird. Man kann keine Kritker benennen, hat nichts gelesen oder gesehen, weiß aber genau Bescheid und denkt von sich selber kritisch zu sein. Meiner Tochter wurde schon gesagt, sie sei „verloren“, weil sie die Nachdenkseiten liest. Von daher muss ich leider zugestehen, dass die Regierung unter Merkel in der Pandemie überaus erfolgreich agiert hat. Es kommt immer darauf an, von welcher Seite man auf die Medaille schaut. Menschen, denen ich eine soziale Grundhaltung bisher ganz selbstverständlich unterstellt habe, stellen die geplante Impfpflicht unter keinerlei Vorbehalte – weder Kinder sollen nach ihren Vorstellungen ausgenommen sein, noch schwangere Frauen, noch fordern sie, dass es zumindest einmal festgelegt und kommuniziert werden sollte, welche Kontraindikationen es diesbezüglich gibt. Auch habe ich von ihnen noch nie gehört: „Solange es keine endgültige Zulassung gibt, sollte man auch nicht über eine Impfpflicht nachdenken“. Ich höre noch nicht einmal ein Bedauern darüber, dass man in der Vorweihnachtszeit einen Teil der Bevölkerung massivst unter Druck setzt und sie in sogar in seiner Existenz bedroht. Sind ja schließlich selber schuld. Die Befürworter der Impfpflicht haben ihre persönliche Entscheidung getroffen, das Impfabo gerne anzunehmen – damit ist es für sie legitim, mir durch die Einführung der Impfpflicht das Recht abzusprechen, meine eigene persönliche Entscheidung zu treffen. Originalzitate aus meinem Bekanntenkreis: Ich habe Freunde gefragt, wo ihre rote Linie verläuft und ob es für sie überhaupt eine gibt. Ich habe sie gefragt, ob sie sich denn vorstellen können, was es für unser zukünftiges Zusammenleben als Gesellschaft möglicherweise bedeuten wird, wenn wir Millionen von Menschen dazu zwingen, sich und ihren Kindern ein völlig neuartiges Medikament spritzen zu lassen, über das man noch so wenig weiß und das bisher die hoch gesteckten Erwartungen nicht erfüllen konnte.
Ich bin gespannt, ob sie antworten werden. Mit freundlichen Grüßen
Susanne Nitze Anmerkung zur Korrespondenz mit den NachDenkSeiten Die NachDenkSeiten freuen sich über Ihre Zuschriften, am besten in einer angemessenen Länge und mit einem eindeutigen Betreff. Es gibt die folgenden E-Mail-Adressen: Weitere Details zu diesem Thema finden Sie in unserer „Gebrauchsanleitung“. | Redaktion | Hier wird die Rolle der Medien für das Vorhaben, Karl Lauterbach zum Gesundheitsminister zu machen, hinterfragt. Albrecht Müller meint, „Medienschaffende wollten ihn und haben sich zusammengetan, dieses Ziel zu erreichen“. Herr Lauterbach sei „gefühlte tausende Mal“ in Medien zu sehen gewesen. Er spalte unsere Gesellschaft und habe „die Folgen der Corona-Politik erkennbar nicht im Blick“. Der ... | [] | [
"Leserbriefe"
] | 10. Dezember 2021 9:30 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=78768&share=email |
Erdgas | Mittels subventionierter Energie will die Bundesregierung Verbraucher und Unternehmen vom immensen Inflationsdruck befreien und nebenbei auch noch zum Sparen animieren. Das Vorhaben droht nach hinten loszugehen, warnen dagegen Ökonomen der Hans-Böckler-Stiftung und stehen mit ihrer Sorge nicht allein. Konzerne würden ermuntert, ihre Produktion zu drosseln oder gleich ganz stillzulegen, und dank „Winterschlafprämie“ zum Gashändler mutieren. In der Folge käme es zu Unterbrechungen von Lieferketten, Wachstumsverlusten, höheren Preisen und forcierter Deindustrialisierung. Von Ralf Wurzbacher. Dieser Beitrag ist auch als Audio-Podcast verfügbar. | [] | [] | 17. November 2022 14:06 | https://www.nachdenkseiten.de/?tag=erdgas&paged=5 |
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Bilderberg-Konferenz 2024: Deutscher Justizminister und Kanzleramtsminister auf Teilnehmerliste mit NATO-Generalsekretär – Journalisten verschließen die Augen | Die Bilderberg-Konferenz 2024 findet gerade statt. Justizminister Marco Buschmann (FDP), Friedrich Merz (CDU-Vorsitzender) und Wolfgang Schmidt (Kanzleramtsminister) nehmen an dem Treffen hinter verschlossenen Türen teil. Seit Donnerstag hat sich der diskrete Zirkel in einem Hotel in Madrid zusammengefunden. Die Medien in Deutschland verhalten sich so, als würde es sich bei der Konferenz um eine Begegnung von Hausmeister Krause und Bademeister Müller handeln. Stand jetzt, Freitag, 13 Uhr, hat kein einziges großes deutsches Medium über die Konferenz berichtet. Zu dem, was Regierungsmitglieder im Geheimen sagen, besteht aufseiten der „Wächter der Demokratie“ offensichtlich kein Interesse. Ein Kommentar von Marcus Klöckner.
Viele große Medien in Deutschland sind journalistisch entkernt. Die verdeckte oder gar offen zur Schau gestellte Komplizenschaft mit den Mächtigen lässt sich nahezu jeden Tag erkennen. Auch in diesen Tagen kommt wieder zum Vorschein, wie massiv die Zerfallsprozesse im Journalismus sind. Gehört es nicht zu einer der Kernaufgaben von Journalisten, dorthin zu leuchten, wo die Mächtigen auf dieser Welt das Licht ausmachen? Allein, dass man diese Frage stellen muss – und das muss man! –, zeigt den Abgrund, auf den wir hier blicken. Gerade ist folgende Situation zu beobachten: Der Kanzleramtsminister, der Justizminister und der Vorsitzende einer großen Volkspartei, der immerhin der nächste Kanzlerkandidat sein könnte, treffen sich. Sie treffen sich nicht offiziell. Sie treffen sich nicht in der Öffentlichkeit. Nein, sie treffen sich auf verschwiegene Weise. Die Namen von Marco Buschmann, Friedrich Merz, Wolfgang Schmidt stehen auf der Teilnehmerliste eines hochgradig machtelitären Zirkels, der (mit wenigen Ausnahmen) seit 1954 einmal im Jahr zusammenkommt. Für dieses Treffen wird ein komplettes Hotel gemietet. Privates und staatliches Sicherheitspersonal fährt auf. Die Zusammenkunft des erlauchten Gremiums mit Namen „Bilderberg-Konferenz“ wird hermetisch abgeschottet. Buschmann, Merz und Schmidt treffen sich also nicht allein. Rund 140 weitere Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Militär, Wissenschaft, Adel und den Medien(!) sind, handverlesen, vom Lenkungsausschuss der Gruppe eingeladen. Gut möglich also, dass die drei Politiker Personen begegnen wie: NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, dem ukrainischen Außenminister Dmytro Kuleba, dem polnischen Außenminister Radoslaw Sikorski, dem polnischen Finanzminister Andrzej Domański, Finnlands Präsidenten Alexander Stubb, dem Außenminister Finnlands, Anders Adlercreutz, dem EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni, dem NATO- und EUCOM-Kommandeur Christopher G. Cavoli, dem Präsidenten von Warner Brothers Discovery International, Gerhard Zeiler, dem König der Niederlande, dem Präsidenten von Microsoft Research, Peter Lee, dem Chef von Palantir Technologies, Alex Karp, dem Chef von Google DeepMind, Dennis Hassabi, oder etwa dem Chef von Pfizer – um nur einige Beispiele aufzuführen. Paolo Gentiloni sagte übrigens die Tage: „Russland hat einen Angriffskrieg geführt, es kann nicht siegen“. Ein Zitat, dessen mitschwingende ideologische Grundrichtung durchaus als repräsentativ für den stramm transatlantisch geprägten Bilderberg-Zirkel betrachtet werden kann. Die angeführten Namen, aber auch die gesamte Liste verdeutlicht: Das ist kein Treffen von Hausmeister Krause und Bademeister Müller. Hier geht es um Weltpolitik. Auf der Agenda stehen unter anderem die Themen „Zukunft der Kriegsführung“, „Ukraine und die Welt“, „Russland“, „China“ oder „Wechselnde Gesichter der Biologie“. Wie kann es also sein, dass deutsche Medien, Alphajournalisten, Leitartikler und Chefredakteure sich bei einem derartigen Treffen die Augen verbinden, die Finger in ihre Ohren stopfen und dabei auch noch versuchen, den Mund zuzuhalten? Die angeblich so qualitativ hochwertige Presse Deutschlands samt dem milliardenschweren öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die sich zusammen auf die Fahne geschrieben haben, Öffentlichkeit herzustellen, machen genau das Gegenteil. Sie agieren im Drei-Affen-Modus. Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Nicht, dass dieses Verhalten neu ist. So reagieren Medien seit über 70 Jahren im Hinblick auf die Konferenz. Seit den 2010er-Jahren finden sich hier und da Artikel in größeren Medien. Aber man merkt ihnen das Zähneknirschen regelrecht an. Wir sehen eine Presse, die „zum Jagen getragen“ werden muss. Also zumindest, wenn es um Machteliten geht. Gerade auch im Hinblick auf die gegenwärtige weltpolitische Situation ist das Verhalten der Journalisten unentschuldbar. Die Lage zwischen der NATO und Russland spitzt sich immer weiter zu. Auf der Bilderberg-Konferenz kommen unter anderem hochrangige Vertreter aus der Ukraine, Polen, Finnland und Schweden zusammen. Das heißt: Schlüsselländer im Hinblick auf den sich verschärfenden Konflikt. Hätte die Qualitätspresse vielleicht die Güte, in Anbetracht eines drohenden 3. Weltkriegs genauer in die Zirkel wie Bilderberg zu leuchten? Könnten ARD und ZDF vielleicht – also wenn es nichts Wichtigeres gibt – ein Team nach Madrid schicken und das machen, was Journalisten gelegentlich tun sollten: Recherchieren, Politikern auf die Pelle rücken, unangenehme Frage stellen? Könnten die Vertreter der großen Medienhäuser Buschmann, Merz und Schmidt fragen, wer für die Reisekosten aufkommt? Oder wie die Herren solche abgedunkelten Treffen im Hinblick auf den Geist der Demokratie einordnen? Ist das zu viel verlangt? Offensichtlich ist es das. Schließlich: Die Konferenz wird als „privat“ deklariert. Und: Sollte die Presse nicht die Privatsphäre von Politikern achten? Gewiss. Das hohe Maß an Heuchelei einer vor den Mächtigen katzbuckelnden Medienlandschaft lässt sich nicht verdecken. Schließlich: Seit wann respektiert die Presse Privatsphäre? Die Bilderberg-Konferenz findet von 30. Mai – 2. Juni in Madrid statt. Bei ARD, ZDF samt ihren Brüdern:innen und Schwestern im Geiste sehen die Mediennutzer zur Bilderberg-Konferenz: nichts. Titelbild: MoreVector/shutterstock.com Lesetipp: Wie Eliten Macht organisieren: Bilderberg & Co.: Lobbying, Think Tanks und Mediennetzwerke. VSA.
C. Wright Mills: Die Machtelite. Das Standardwerk der kritischen Eliteforschung. Westend Verlag. | Marcus Klöckner | Die Bilderberg-Konferenz 2024 findet gerade statt. Justizminister Marco Buschmann (FDP), Friedrich Merz (CDU-Vorsitzender) und Wolfgang Schmidt (Kanzleramtsminister) nehmen an dem Treffen hinter verschlossenen Türen teil. Seit Donnerstag hat sich der diskrete Zirkel in einem Hotel in Madrid zusammengefunden. Die Medien in Deutschland verhalten sich so, als würde es sich bei der Konferenz um ei ... | [
"Bilderberger",
"Buschmann, Marco",
"Lückenpresse",
"Merz, Friedrich"
] | [
"Lobbyorganisationen und interessengebundene Wissenschaft",
"Medienkritik"
] | 31. Mai 2024 13:02 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=116012&share=email |
Corona, Corona, … von Diether Dehm und Co. Zum Mitsingen. Und eine Bitte an jene Freunde, die alles ganz anders sehen: Nicht gleich aufregen! | Es muss noch Spaß an der Freude geben. Auch in diesen Zeiten. In diesem Sinne hier „Corona, Corona, …“ .: Podcast: Play in new window | Download Bitte weitergeben, weitersagen! – Und danke an die Macher. | Redaktion | Es muss noch Spaß an der Freude geben. Auch in diesen Zeiten. In diesem Sinne hier „Corona, Corona, …“ .:
Bitte weitergeben, weitersagen! - Und danke an die Macher. | [
"Dehm, Diether",
"Virenerkrankung"
] | [
"Gesundheitspolitik",
"Kultur und Kulturpolitik"
] | 25. August 2020 7:32 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=64056&share=email |
Furcht vor einem Politikwechsel | Die Medienkampagne in Hessen und der Fall Ypsilanti(s)
Erste vorläufige Deutungen von Jutta Roitsch.
„Profil macht angreifbar.“
Rita Süssmuth, Frankfurt , 2008 Prolog:
Märchen, auch wenn sie mit Tränen enden, beginnen: Es war einmal. So beginnt auch das Märchen einer Frau, die auszog, in Hessen eine andere politische Kultur und einen tiefgreifenden ökonomischen wie ökologischen Umdenkprozess anzustoßen: es war einmal im Sommer 2005 auf einer Tagung der sozialdemokratischen Linken im Willy-Brandt-Haus in Berlin. Wie stets bei solchen Veranstaltungen spulten vorne am Podium die Redner ihre Statements ab, die Bundestagsabgeordneten kamen und gingen, die Journalisten tummelten sich an der Kaffeebar im dunkleren, hinteren Teil des Raums. An einem Stehtisch entdeckte ich meinen geschätzten Berliner Kollegen im Gespräch mit einer kleinen, zierlichen Frau mit wachem Blick und einem charmanten Lachen. Sie stockte, als ich mich an den Tisch gesellte, doch mein Kollege winkte in seiner trockenen Art ab: „Der kannst du vertrauen“. In dem Gespräch versuchte mein Kollege Andrea Ypsilanti, damals bereits SPD-Vorsitzende des hessischen Landesverbandes, davon zu überzeugen, dass sie zu den nächsten Landtagswahlen als Spitzenkandidatin antreten müsse. Nur mit profilierten politischen Positionen, klaren Wahlaussagen für eine rot-grüne Koalition und attraktiven Personen sei ein ausgefuchster Politiker wie Roland Koch zu schlagen. Sie könne das, Jürgen Walter, der damals schon in den Medien hochgehandelte „Hoffnungsträger“ der hessischen SPD, nicht. An dem Nachmittag räumte mein Kollege die lebhaften Zweifel der Andrea Ypsilanti nicht aus. Noch nicht, aber wir wissen heute, wie die Geschichte weiter- und im Januar 2009 ausgegangen ist. Hier einige Erinnerungsschritte. Nach den sieben Erinnerungsschritten möchte ich nun einige Erkenntnisschritte wagen. | Wolfgang Lieb | Die Medienkampagne in Hessen und der Fall Ypsilanti(s)
Erste vorläufige Deutungen von Jutta Roitsch.
„Profil macht angreifbar.“
Rita Süssmuth, Frankfurt , 2008
Prolog:
Märchen, auch wenn sie mit Tränen enden, beginnen: Es war einmal. So beginnt auch das Märchen einer Frau, die auszog, in Hessen eine andere politische Kultur und einen tiefgreifenden ökonomischen wie ökologischen Umd ... | [
"linke Mehrheit",
"Ypsilanti, Andrea"
] | [
"einzelne Politiker/Personen der Zeitgeschichte",
"Kampagnen/Tarnworte/Neusprech",
"Wahlen"
] | 22. Januar 2009 14:32 | https://www.nachdenkseiten.de/?p=3719 |
Subsets and Splits
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