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0 | Ist es nicht etwas Erfreuliches," sagte er, zu finden, so
hocherhabene Männer seien wie unsereiner? War mir doch angst und bange
vor einem Genie, das dreißig Bände geschrieben; ich darf gestehen, bei
dem Sturm, der uns auf offener See erfaßte, war mir nicht so bange.
Und wie herablassend war er, wie vernünftig hat er mit uns diskuriert,
welche Freude hatte er an mir, wie ich aus dem neuen Lande kam!" Er
schenkte sich dabei fleißig ein und trank auf seine und des Dichters
Gesundheit, und von der erlebten Gnade und vom Schaumwein benebelt,
sank er endlich mit dem Entschluß, Amerikas Goethe zu werden, dem
Schlaf in die Arme. | 0 |
1 | „Hooligans gegen Salafisten“: Köln bereitet Hogesa eine Pleite
Über 10.000 Nazigegner haben sich gegen 1.000 Rechte versammelt. Eine Wiederholung der Straßenschlachten des letzten Jahres ist ausgefallen.
In Köln waren deutlich mehr Gegendemonstranten als Rechte auf der Straße. Foto: ap
KÖLN taz | Die Kundgebung der „Hooligans gegen Salafisten“ beginnt mit einstündiger Verspätung. Grund dafür: Der Veranstalter, ein Mitglied der rechtspopulistischen Kleinstpartei „Pro NRW“ aus Mönchengladbach, findet nicht genügend Ordner. Diese sollten nicht alkoholisiert und nach Möglichkeit nicht vorbestraft sein – offenbar ein schwieriges Unterfangen.
Schließlich versammeln sich etwa 1.000 Rechtsradikale zu ihrer Kundgebung. Doch von der aggressiven Stimmung des letzten Jahres ist nicht viel übrig geblieben. Über Stunden stehen sich die Rechten auf einem entlegenen Platz im rechtsrheinischen Köln-Deutz die Beine in den Bauch und werden dabei von Hunderten Polizisten beobachtet. Mehrere Wasserwerfer aus ganz Deutschland sind auf die Hogesa-Kundgebung gerichtet.
Wie schon ein Jahr zuvor tritt die Rechtsrock-Band „Kategorie C“ auf. Sie sind die ersten auf dem Schotterplatz in Deutz. Aus einem Auto verkaufen die Bremer T-Shirts, CDs und alles andere, was das Hooliganherz glücklich macht.
Vor genau einem Jahr hatten in der Domstadt 4.800 Hooligans und Rechtsextreme gegen das protestiert, was sie unter Islamismus verstehen. Der Aufmarsch der „Hooligans gegen Salafisten“ (Hogesa) artete in schwere Krawalle mit stundenlangen Straßenschlachten mit der Polizei aus. Über 50 Beamte wurden damals verletzt, ein Einsatzfahrzeug umgeworfen.
Ein Jahr später haben die Hooligans keine Chance. Die Polizei setzt an diesem Sonntag über 3.500 Beamte ein, die Rechten müssen sich nach gerichtlichen Niederlagen mit einer Kundgebung hinter dem Bahnhof in Deutz zufriedengeben. Und: Tausende Nazigegner protestieren gegen den rechtsradikalen Aufmarsch.
Tausende bei friedlicher Kundgebung
Schon am Vortag waren es 3.000 Menschen, die auf die Straße gingen. Am Sonntag sind es zwischen 10- und 15.000 Menschen, die gegen die Kundgebung der Rechten protestieren. Die „AG Arsch huu“ und das Bündnis „Köln gegen Rechts“ haben zu einer Kundgebung auf dem Ottoplatz vor dem Bahnhof Deutz aufgerufen. Verschiedene Bands treten auf, darunter „Die Höhner“, „Brings“, „Cat Ballou“, „Erdmöbel“ und „Microphone Mafia“. Auch die Kölner Hochschule für Musik und Tanz, das Schauspiel Köln und die Stunksitzung des Kölner Karnevals sind im Kulturprogramm vertreten.
Versuche der Nazigegner, die Anreise der rechten Hooligans zu stören, bleiben symbolischer Natur. Blockaden am Bahnhof Deutz werden von der Polizei lange Zeit geduldet, die anreisenden Hooligans umgeleitet.
Tausende Kölner beteiligen sich an der friedlichen Kundgebung gegen den rechtsradikalen Aufmarsch. Im Umfeld kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen. Die Polizei setzt an der Lanxess-Arena allerdings auch zwei Wasserwerfer gegen die Nazigegner ein.
Zuvor haben Autonome Flaschen auf Beamte geworfen, die versuchen, eine Gruppe Neonazis zu ihrer Veranstaltung zu geleiten. Autonome und Hooligans treffen mehrmals aufeinander. Dabei werden sowohl Antifaschisten als auch Rechtsextreme verletzt. | 1 |
0 | Wenn dieses Königreich Dahomey also auch nicht groß ist, so hat es doch
recht oft von sich reden gemacht. Es wurde zeitig berühmt durch die
entsetzlichen Grausamkeiten, welche daselbst beim Jahreswechsel
begangen werden, durch die Menschenopfer, die furchtbaren Hekatomben,
welche gewöhnlich dem verstorbenen und dem seine Stelle ersetzenden
Könige dargebracht werden. Ja, es gehört so zu sagen zum guten Ton, daß
der König von Dahomey, wenn er den Besuch einer hohen Person oder etwa
eines Gesandten erhält, diesem zu Ehren einem Dutzend Gefangenen die
Köpfe abschlagen läßt -- abschlagen durch seinen Minister der Justiz,
den "Minghan", der sich seiner Aufgabe als Henker vortrefflich
entledigt. | 2 |
1 | Fahndungsgruppe Neiße aufgestockt: Metalldiebe kennen keine Grenzen
Seit dem Beitritt von Polen und Tschechien zur EU häufen sich die Einbrüche in Sachsen. Nun hat die Polizei eine gemeinsame Ermittlergruppe verstärkt.
Haltet den Dieb! Bild: dpa
DRESDEN taz | „Besuchen Sie Polen – Ihr Auto ist schon da!“ Solche markigen Sprüche von Bewohnern ostdeutscher Grenzregionen wurzeln nicht immer nur in antipolnischen Ressentiments. Sachsens neuer Polizeipräsident Rainer Kann hat daher den Kampf gegen Einbrecher und Autoknacker zu einem Schwerpunkt seiner Arbeit erklärt. Mit Jahresbeginn stocken Sachsen und Polen ihre gemeinsame Fahndungsgruppe Neiße auf 20 Polizisten auf. Zum 1. März soll eine solche auch mit Tschechien gegründet werden.
Seit dem Beitritt von Polen und Tschechien zum Schengen-Abkommen im Dezember 2007 häufen sich Einbrüche und vor allem Autodiebstähle. Das Diebesgut befindet sich meist schon im Ausland, bevor die Tat entdeckt wird, sagt das sächsische Innenministerium. Orte in der Nähe von Grenzübergängen wie das Zittauer Dreiländereck sind wegen der kurzen Wege besonders „gefragt“. Routinekontrollen haben die Diebe nicht mehr zu befürchten, was Teile der CDU gern rückgängig machen würden. Die rechtsextreme NPD versucht mit offener Polenfeindlichkeit zu punkten: „Polen offen? Arbeit futsch! Auto weg!“
Dabei dient Polen nach Erkenntnissen der Ermittler häufiger nur noch als Transitland für weiter östlich beheimatete Diebesbanden. Für besonderes Aufsehen sorgte 2010 der Diebstahl eines Privatwagens von Bundesminister Thomas de Maizière (CDU) in Dresden. Im thüringischen Triebes verschwanden im September 2012 gleich fünf Traktoren und ein Radlader eines Landtechnikbetriebes.
Von Privatgrundstücken werden Gartengeräte, Fahrräder, sogar Hollywoodschaukeln gestohlen, Metalldiebe bauten im Dreiländereck die Befestigungskrallen von Bahnschienen ab. Autos werden gezielt auch in Großstädten wie Leipzig, Dresden oder Berlin entwendet, in Berlin mit anhaltend steigender Tendenz, während in Sachsen und Brandenburg 2011 ein leichter Rückgang zu verzeichnen war. Nach bislang unveröffentlichten Angaben des sächsischen Innenministeriums stieg die allgemeine Grenzkriminalität bis September 2012 aber wieder an.
Im Privaten ist die Angst unbegründet
Dennoch bleibt der Umfang der Delikte hinter den wilden Neunzigern zurück. Das belegen nicht nur Zahlen, sondern auch Erinnerungen der Grenzbewohner. Über das subjektive Sicherheitsempfinden der Neiße-Anrainer fertigt Karlhans Liebl von der Hochschule der Sächsischen Polizei in Rothenburg derzeit eine Studie. Die Furcht vor Diebstählen sei weit verbreitet, aber im privaten Bereich oft unbegründet, sagte er der taz.
Sehr ernst zu nehmen seien allerdings die Großdiebstähle im gewerblichen Bereich. Während das sächsische Innenministerium weiterhin ein „deutliches Wohlstandsgefälle“ für die Übergriffe verantwortlich macht, sieht Liebl hier wirtschaftliche Fortschritte bei den Nachbarn.
2012 hatten sich die Innenminister darauf geeinigt, wegen der anhaltenden Probleme keine weiteren Bundespolizisten von der Grenze abzuziehen. Sachsen und seine Nachbarn intensivieren auf mehreren Gebieten ihre polizeiliche Zusammenarbeit. Die Erfolge bleiben aber auf wenige spektakuläre Großeinsätze beschränkt. | 3 |
1 | Brüchige Waffenruhe in Syrien: Gegenseitige Beschuldigung
Von Waffenstillstand keine Spur: Kurz vor der Ankunft von UN-Militärbeobachtern gehen die Gefechte in mehreren Orten des Landes weiter.
Waffenruhe sieht anders aus. Aus einem youtube-Video, das Homs am Sonntag zeigen soll. Bild: dpa
BERLIN taz | In Syrien erscheint die Waffenruhe immer brüchiger – obwohl die UNO am Wochenende beschlossen hat, Militärbeobachter in das Land zu schicken. Am Sonntag begannen Regierungstruppen nach Angaben von Aktivisten erneut, mehrere Viertel der Protesthochburg Homs zu bombardieren. In Siedlungen von Qusair, Qarabees, Bayyada und Khalidiya sollen die Granaten teilweise im Minutentakt gefallen sein. Überwachungsflugzeuge kreisten über der Stadt, immer wieder waren laute Explosionen zu hören. Landesweit wurden mindestens neun Menschen getötet.
Erst am Samstag hatte der UN-Sicherheitsrat einstimmig die Resolution 2042 verabschiedet. Sie sieht vor, umgehend ein Erkundungsteam aus bis zu 30 unbewaffneten Militärbeobachtern zu entsenden. Später soll das Mandat 250 Beobachter umfassen. Syrien wird aufgefordert, ihnen ungehinderten Zugang zu gewähren. Das Papier droht außerdem „weitere Schritte“ an, sofern sich das Regime nicht an seine Zusagen hält. Die Resolution verurteilt zusätzlich „die weit verbreiteten Menschenrechtsverstöße der syrischen Behörden ebenso wie die Menschenrechtsverletzungen vonseiten der bewaffneten Gruppen“.
Zwei frühere Resolutionsentwürfe waren in den vergangenen Monaten am Veto Moskaus und Pekings gescheitert. Diesmal sträubte sich Russland zunächst gegen einige der Forderungen. „Wir müssen all das herausstreichen, was für diesen besonderen Zweck nicht wirklich nötig ist“, hatte Moskaus Botschafter Witali Tschurkin vor der Abstimmung vor Journalisten gesagt.
Umstritten war vor allem, wie frei sich die Beobachter bewegen dürfen. Kofi Annan hat dafür in seinem Sechspunkteplan, der vergangene Woche in Kraft trat, klare Formulierungen durchgesetzt. Dabei berücksichtigte er Erfahrungen einer anderen Gruppe von Beobachtern, die Anfang des Jahres von der Arabischen Liga nach Syrien gesandt worden waren. Sie wurden so stark behindert, dass ihre Mission schließlich scheiterte.
Politischer Dialog
Nach kleineren Zugeständnissen gelang es schließlich, Russland zum Einlenken zu bewegen. Die Resolution fordert von beiden Seiten, sich nicht nur an die Waffenruhe zu halten, sondern auch einen politischen Dialog zu beginnen.
Botschafter Witali Tschurkin äußerte sich im Anschluss zufrieden. Nach den sprachlichen Änderungen sei der Entwurf ausgewogener und spiegele die Realität in Syrien besser wieder.
Doch neue Gewalt am Wochenende stärkte die Zweifel an der Aufrichtigkeit von Präsident Baschar al-Assad: Allein am Tag der Abstimmung im Weltsicherheitsrat wurden landesweit 14 Tote gemeldet. Nicht nur in Homs soll das Militär seine Offensive wiederaufgenommen haben; in der nördlichen Stadt Aleppo eröffneten die Regierungstruppen Berichten zufolge das Feuer auf die Gäste einer Begräbniszeremonie. Regierung und Opposition warfen sich gegenseitig vor, die Vereinbarungen gebrochen zu haben.
Am Sonntag sollen Aufständische in Aleppo eine Polizeistation überfallen hatten. Für einen Abzug des Militärs aus den Städten gibt es nach wie vor keine Anzeichen. „Ich weiß nicht, von welchem Waffenstillstand die Leute reden“, meint Abu Saad, ein Aktivist aus dem Ort Khan Sheikhoun zwischen den Städten Hama und Idlib. „Sie schießen auf Demonstranten, sie bombardieren die Siedlungen. Wir hoffen nun, dass uns die UN-Beobachter vor diesem wahnsinnigen Regime beschützen werden.“ Die Staatsmedien indessen machten erneut „bewaffnete Terroristen“ für die Gewalt verantwortlich. | 4 |
0 | Am folgenden Morgen wollte ich in den Büschen der Umgebung jagen, wurde
aber bald durch F. zurückgerufen, der mir berichtete, daß bei dem
Tränken der Zugthiere, die zeitlich früh von Pit, unserem Griquadiener,
auf die Weide getrieben waren, eines derselben bis zum Halse im
Ufer-Schlamme eingesunken sei. Nur B. am Wagen zurücklassend eilten wir
zur Stelle und fanden »Platberg«, eines unserer Zugthiere in einer
schrecklichen Lage. Es war ein hartes Stück Arbeit, das Thier aus seiner
mehr denn ungemütlichen Situation zu befreien, doch gelang es; der Tag
war indeß verloren, da wir dem an den Füßen fast erlahmten Thiere
Erholung gönnen mußten. | 5 |
1 | Kommentar Militärmanöver in Südkorea: Raus aus der Eskalationsspirale
Militärmanöver im Süden wie Raketentests des Nordens erhöhen die Gefahr eines bewaffneten Konflikts. Eine kluge Politik sieht anders aus.
Jahrzehntelanger Konflikt: Die Spannungen zwischen Nord- und Südkorea wachsen Foto: dpa
Südkorea fühlt sich zu Recht schon ohne Atomraketen des Nordens von diesem militärisch bedroht. Umgekehrt ist es nachvollziehbar, dass sich das nördliche Regime durch die Aktivitäten des US-Militärs im Süden in seiner Existenz bedroht sieht – auch ohne die jüngsten Drohungen des US-Präsidenten. Die Militärmanöver im Süden wie die Raketentests des Nordens tragen somit erheblich zu den Spannungen auf der koreanischen Halbinsel bei und erhöhen die Gefahr, dass beide Seiten in einen militärischen Konflikt mit unkalkulierbaren Folgen schlittern.
Eine kluge Politik sieht anders aus. Statt weiter an der Eskalationsspirale zu drehen, muss diese durchbrochen werden. Seoul und Washington wären deshalb gut beraten, die seit 1976 jährlich durchgeführten Manöver wenigstens für einige Zeit auszusetzen. Das würde Raum schaffen für Entspannungssignale, vertrauensbildende Maßnahme und Verhandlungen. Letztere sind der ohnehin einzig vernünftige Weg, den Jahrzehnte währenden Konflikt, wenn nicht zu lösen, so doch wenigstens einzuhegen.
Das ist in der Praxis natürlich extrem schwierig. Solange aber die USA und Südkorea mit dem Säbel rasseln, spielen sie nur der nordkoreanischen Propaganda in die Hände und stärken damit das Regime in Pjöngjang. Ein smarter Ausstieg aus der Eskalationsspirale darf natürlich nicht so aussehen, als belohne er die Drohungen des Nordens. Die Präsidentschaft des liberalen Moon Jae In im Süden, der erst im Mai dieses Jahres sein Amt antrat, hätte ein guter Anlass für einen Neuanfang sein können.
Selbst US-Präsident Donald Trump hatte ja im Wahlkampf schon einmal seine Bereitschaft signalisiert, notfalls auch Nordkoreas Diktator Kim Jong Un zu treffen. Zu solch unkonventionellen Schritten ist er heute offenbar nicht mehr bereit. Präsident Trump ist vielmehr auf einen konfrontativen Kurs eingeschwenkt, der sich seit dem allerersten Manöver 1976 als fatal erwiesen hat.
Seoul und Washington wären gut beraten, gemeinsame Manöver einstweilen auszusetzen | 6 |
1 | Luftangriff auf die Golanhöhen: Zündeln an der Kriegsfront
Mindestens zehn Menschen starben bei einem israelischen Luftangriff auf den Golanhöhen. Jetzt werden Racheakte der Hisbollah befürchtet.
Der israelischen Armee ist in den Golanhöhen ein Schlag gegen die Hisbollah gelungen Bild: ap
TEL AVIV taz | Diesmal wird die libanesische islamistische Hisbollah ihre ermordeten Kämpfer rächen. Darin sind sich die israelischen Terrorexperten einig, darunter Amos Jadlin, ehemals Chef des militärischen Abwehrdienstes. Offen sei nur die Frage, wann, wo und wie scharf die libanesischen Schiiten zurückschlagen werden.
Mindestens zehn Menschen starben in der Nacht zu Montag bei dem Angriff der israelischen Luftwaffe in der syrischen Grenzstadt Kuneitra. Ein israelischer Hubschrauber soll Raketen auf zwei Hisbollah-Fahrzeuge abgefeuert haben. Die Hisbollah gab zunächst den Tod von nur sechs Männern bekannt.
Unter ihnen ist Dschihad Mughnidscheh, der Sohn von Imad Mughnidscheh, bis 2008 Kopf des Hisbollah-Geheimdienstes, der wie jetzt sein Sohn Opfer einer gezielten Exekution durch Israels Luftwaffe wurde. Nach Angaben der Regierung in Teheran wurde bei dem Angriff auch ein iranischer General getötet, der sich zur Unterstützung der Truppen von Präsident Baschar Assad in Syrien aufhielt. Die libanesische Zeitung as-Safir berichtete unter Berufung auf Informanten aus den Reihen der Hisbollah, dass ein Vergeltungsschlag „unausweichlich“ sei.
Die Operation werde „schmerzhaft“ und „unerwartet“ sein, allerdings wolle die Bewegung keine Eskalation provozieren. Auch nach der Exekution von Mughnidscheh, dem Vater, hatten die libanesischen Schiiten Vergeltung angekündigt, die letztlich jedoch ausblieb. Agenturberichten zufolge herrscht aus Sorge vor einer erneuten Zuspitzung der Gewalt erhöhte Alarmbereitschaft unter Hisbollah-Angehörigen, die im libanesischen Grenzgebiet wohnen. Auf israelischer Seite hält die Armee die Bevölkerung im Landesnorden auf dem Laufenden. Schulen und Kindergärten blieben geöffnet.
Vergeltungsaktionen nicht unbedingt zeitnah
Jadlin äußerte im Armeeradio seine Vermutung, dass sich die Hisbollah an die Waffenstillstandsvereinbarungen nach dem Krieg 2006 hält und deshalb „nicht vom Libanon aus“ operieren wird, sondern einen Angriff entweder vom syrischen Golan aus lanciert, wo derzeit „eine Art Vakuum besteht“, oder ins Ausland verlegt. Eine Vergeltungsaktion müsse nicht unbedingt zeitnah stattfinden.
„Operationen im Ausland brauchen eine Vorlaufzeit für die Organisation.“ Nach Einschätzung Jadlins hat die Hisbollah diesmal mit dem Kommandanten Mughnidscheh und dem iranischen General einen „so schweren Schlag einstecken müssen“, den sie kaum unbeantwortet lassen könne. Den Verdacht, dass Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu gerade zwei Monate vor den Wahlen aus innenpolitischen Erwägungen Befehl zum Angriff gab, hält Jadlin für Unsinn.
Dschihad Mughnidscheh habe eine „groß angelegte Terrorzelle“ angeführt, „die direkte iranische Finanzierung genoss“, berichtet das Nachrichtenportal ynet unter Berufung auf westliche Medien. Netanjahu betonte gestern erneut Israels Recht zur Selbstverteidigung. „Wir werden alles unternehmen, was nötig ist, um uns zu verteidigen, wo auch immer“, sagte Netanjahu, der Abstand davon nahm, zu dem Luftangriff auf Kuneitra Stellung zu beziehen. | 7 |
1 | Verfassungsgericht entscheidet: Beamte angemessen bezahlen
Es gilt ein dreistufiges Prüfverfahren. Die Richter des Verfassungsgerichts legen fest, ab wann die Besoldung von Beamten unzureichend ist.
Vorbildliche Vergütung: Das Prüfverfahren für die Richterbesoldung soll künftig für alle Beamten gelten. Foto: dpa
KARLSRUHE taz | Beamte dürfen nicht von der allgemeinen Lohnentwicklung abgekoppelt werden. Das hat am Freitag der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden. Den Verfassungsrichtern lagen vier Fälle aus Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Niedersachsen vor. Moniert wurde zunächst nur die Beamtenbesoldung in Sachsen.
Im Grundgesetz steht zwar nichts Konkretes zur Beamtenbesoldung. Gewährleistet sind aber die „Grundsätze des Berufsbeamtentums“, zu denen auch das so genannte „Alimentationsprinzip“ gehört. Gemeint ist damit der Anspruch der Beamten auf einen „angemessenen“ Lebensunterhalt.
Weil der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung einen weiten Spielraum habe, wollen die Verfassungsrichter nur kontrollieren, ob die Beamtenbesoldung „evident unzureichend“ ist. Hierzu hatte Karlsruhe im Mai in seinem Urteil zur Richterbesoldung ein dreistufiges Prüfungsmodell entwickelt, das es nun auch auf die Bezahlung der rund 1,7 Millionen Beamten von Bund, Ländern und Gemeinden anwendete.
In der ersten Stufe werden fünf Punkte geprüft: Entfernt sich die Beamtenbesoldung (erstens) zu sehr von den Tarifabschlüssen der Angestellten im öffentlichen Dienst? Werden Beamte (zweitens) von der allgemeinen Lohnentwicklung im jeweiligen Land und (drittens) von der Preisentwicklung abgekoppelt? Dabei gelten jeweils fünf Prozent Abweichung binnen 15 Jahren als negatives Indiz.
15 Prozent über Hartz IV
Viertens dürfen sich die Abstände zwischen den Besoldungsgruppen binnen fünf Jahren nicht um mehr als zehn Prozent verringern. Die unterste Besoldungstufe muss netto 15 Prozent über Hartz IV liegen. Und fünftens soll die Beamtenbesoldung in einem Land nicht mehr als zehn Prozent unter dem Bundesdurchschnitt liegen.
Wenn mindestens drei dieser fünf Kriterien erfüllt sind, besteht eine Vermutung, dass die Beamten im jeweiligen Land verfassungswidrig schlecht bezahlt werden.
In einer zweiten Prüfungsstufe kann die Vermutung dann erhärtet oder widerlegt werden. Hier ist zu prüfen, ob die Bezahlung die besondere Qualität und Verantwortung des jeweiligen Beamten entspricht. Auf dieser Stufe sind auch etwaige Kürzungen bei der Beihilfe und in der Altersversorgung zu berücksichtigen.
In der dritten Prüfungsstufe kann der Staat geltend machen, dass eine verfassungswidrige Beamtenbesoldung ausnahmsweise gerechtfertigt ist. Hier geht es vor allem um die Einhaltung der Schuldenbremse, die von den Ländern ab 2020 ausgeglichene Haushalte verlangt. Allerdings könne von Beamten nur in „Ausnahmesituationen“, etwa bei Konjunktureinbrüchen und entsprechenden Steuerausfällen, ein Sonderopfer verlangt werden.
An diesem Maßstab prüften die Karlsruher Richter dann die vier vorliegenden Fälle. Danach war die Beamtenbezahlung in Sachsen 2010 in der Besoldungsstufe A 10 verfassungswidrig. Dagegen wurden nordrhein-westfälische Beamte der Stufe A 9 in den Jahren 2003 und 2004 sowie Beamte der Stufen A 12 und A 13 im Jahr 2003 ausreichend bezahlt. Auch das Grundgehalt in der Besoldungsgruppe A 9 in Niedersachsen genügte im Jahr 2005 noch den verfassungsrechtlichen Anforderungen.
Bundesweit werden Beamte nun auf die Einhaltung der neuen Grundsätze pochen. Wenn die angerufenen Verwaltungsgerichte zum Schluss kommen, die Karlsruher Anforderungen werden derzeit in einem Land nicht erfüllt, können sie das Verfahren erneut in Karlsruhe vorlegen.
(Az.: 2 BvL 19/09 u.a.) | 8 |
0 | So kam das schöne Ungeheuer gemächlich in den Hof der Dorfschenke
getrabt, aus dem sofort auch der letzte Gast, den Maßkrug an die Brust
gedrückt, mit lautem Geschrei ins Haus oder in die Wirtschaftsgebäude
flüchtete. Der Schwarm von alten Weibern und Bauernkindern, der ihm
das Geleit gegeben, blieb draußen auf der Dorfstraße stehen, und über
der Verwegenheit des hohen Reisenden, sich so leichtbegleitet mitten
in die Kirchweih zu begeben, schien allen das Wort in der Kehle zu
erstarren. Wenigstens hörte man ringsum nur ein verhaltenes Summen
und Schwirren, aus dem nur dann und wann ein paar Naturlaute des
Schreckens und der Angst hervorkreischten. Alle erwarteten das
Entsetzlichste, und wohl nur wenige mochten sein, die den Spuk nicht
gerade für den leibhafen Gottseibeiuns hielten, der gekommen sei, das
sämtliche halb betrunkene Gesindel recht in seiner Sünden
Kirchweihblüte in die Hölle abzuführen. | 9 |
1 | Kommentar Große Koalition Österreich: Der Zug der Lemminge
Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass SPÖ und ÖVP in fünf Jahren keine gemeinsame Mehrheit mehr zustande bringen werden.
Wer folgt wem in den Abgrund? SPÖ und ÖVP (rechts). Bild: dpa
Seit sieben Jahren regieren sie jetzt miteinander. Insgesamt wurde Österreich seit 1945 nur 24 Jahre nicht von einer „großen Koalition“ regiert. SPÖ und ÖVP kennen einander nur zu gut und deswegen beherrschen gegenseitiges Misstrauen und Abneigung das Verhältnis.
Das sind keine guten Voraussetzungen für große Reformen. Das ist auch dem Regierungsprogramm anzusehen, das in Grundzügen am Donnerstag präsentiert wurde. Kleinmut und Mittelmäßigkeit durchziehen jedes einzelne Kapitel.
Die bürgerliche ÖVP, die ideologisch noch im 19. Jahrhundert steckengeblieben ist, blockiert seit Jahren erfolgreich eine Schulreform, die mit der frühen Trennung in Hauptschüler und Gymnasiasten aufräumen könnte. Laut übereinstimmender Meinung praktisch aller Bildungsexperten liegt dort eine Grundursache, warum bildungsferne Schichten über Generationen solche bleiben.
Die SPÖ, deren letzte solide Bastion die Rentnerinnen und Rentner sind, verhindert ihrerseits jeden Eingriff in ein längst nicht mehr finanzierbares Pensionssystem. Die Anhebung des faktischen Pensionsantrittsalters für Männer auf 60,1 Jahre – bis 2018 – wird jetzt als mutiger Schritt verkauft.
Selbst wenn die Parteichefs bereit wären, über den eigenen Schatten zu springen, werden sie von den Beharrungskräften in der eigenen Partei schnell wieder auf den Boden der realen Machtverhältnisse zurückgeholt. In der ÖVP sind das die mächtigen Bünde – Bauern, Wirtschaft, Arbeiter und Angestellte -, die Beamtengewerkschaft und die Landeshauptmänner.
In der SPÖ geht nichts ohne Zustimmung des Gewerkschaftsbunds und des Wiener Bürgermeisters. Es geht um Macht, Einfluss, Pflege der eigenen Klientel und Versorgungsposten. Bei den Wahlen im September haben sie gemeinsam gerade noch knapp über 50 Prozent der gültigen Stimmen geschafft. Aber die offensichtliche Unfähigkeit der einstigen Großparteien, sich neu zu erfinden, hat in den Umfragen bereits die rechte FPÖ auf den ersten Platz befördert.
Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass SPÖ und ÖVP in fünf Jahren keine gemeinsame Mehrheit mehr zustande bringen werden. Der Politologe Anton Pelinka sieht „einen Zug der Lemminge“, der sehenden Auges auf den Abgrund zusteuert. | 10 |
1 | Der Hochschulbereich ist der Teil des Bildungssystems, der eine akademische Ausbildung vermittelt. Die Hochschulen qualifizieren den wissenschaftlichen Nachwuchs und schaffen mit ihren Forschungsergebnissen die Grundlagen für Innovationen. Im Wintersemester 2018 / 2019 gab es in Deutschland insgesamt 426 staatlich anerkannte Hochschulen. Davon waren 180 Universitäten (einschließlich Theologischer und Pädagogischer Hochschulen sowie Kunsthochschulen) und 246 Fachhochschulen (einschließlich Verwaltungsfachhochschulen).
Studierende, Studienanfängerinnen und Studienanfänger
Im Wintersemester 2018 / 2019 waren nahezu 2,9 Millionen Studierende an deutschen Hochschulen eingeschrieben – so viele wie nie zuvor. Das war ein Anstieg um 42 % verglichen mit dem Wintersemester 2008 / 2009. Dieser Anstieg ist auf einen längerfristigen Trend zur Höherqualifizierung zurückzuführen. Insgesamt waren knapp zwei Drittel (63 %) der Studierenden im Wintersemester 2018 / 2019 an Universitäten eingeschrieben und ein gutes Drittel (37 %) an Fachhochschulen. Die Zahl der Studienanfängerinnen und Studienanfänger, die im Studienjahr 2018 (Sommersemester 2018 und Wintersemester 2018 / 2019) erstmals ein Studium an einer deutschen Hochschule aufgenommen haben, erreichte mit rund 512.000 Personen erneut einen hohen Wert. Insgesamt stieg die Zahl der Erstsemester um 29 % verglichen mit dem Studienjahr 2008. Dabei war der Anstieg an Fachhochschulen mit + 43 % deutlich höher als an Universitäten mit + 21 %.
Die Wahl eines Studienfachs wird von unterschiedlichen Faktoren beeinflusst: von den persönlichen Interessen der Studienanfängerinnen und Studienanfänger, vom Studienangebot der Hochschulen und von Zulassungsbeschränkungen (zum Beispiel Numerus-Clausus-Regelungen und hochschulinternen Zulassungsverfahren). Eine wichtige Rolle bei der Wahl des Studiengangs spielen auch die zum Zeitpunkt der Einschreibung wahrgenommenen und künftig erwarteten Chancen, die ein bestimmter Studienabschluss auf dem Arbeitsmarkt bietet. Die meisten Erstsemester (39 %) haben sich 2018 in der Fächergruppe Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften eingeschrieben. Dies war bereits vor zehn Jahren mit ebenfalls 39 % der Erstsemestereinschreibungen der Fall. In den Ingenieurwissenschaften betrug der Anteil der Studienanfängerinnen und -anfänger 27 % im Jahr 2018, was einen Anstieg um rund 2 Prozentpunkte im Vergleich zu 2008 bedeutet. Auf die Geisteswissenschaften und die Fächergruppe Mathematik / Naturwissenschaften entfielen 2018 jeweils ein Anteil von 11 % der Studienanfängerinnen und -anfänger.
Im Jahr 2018 waren etwas mehr als die Hälfte der Erstsemester (51 %) Frauen. Der Frauenanteil variierte allerdings je nach fachlicher Ausrichtung des Studiums. In den Fächergruppen Geisteswissenschaften und Humanmedizin / Gesundheitswissenschaften (mit jeweils 70 %), Kunst / Kunstwissenschaft (mit 65 %), Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (mit 60 %) sowie Agrar-, Forst- und Ernährungswissenschaften /Veterinärmedizin (mit 59 %) waren die Studienanfängerinnen deutlich in der Mehrheit. In der Fächergruppe Mathematik / Naturwissenschaften stellte sich das Geschlechterverhältnis mit einem Frauenanteil von 53 % nahezu ausgeglichen dar. In der Fächergruppe Ingenieurwissenschaften (25 %) waren Studienanfängerinnen hingegen deutlich unterrepräsentiert. Die Umstellung des Studienangebots im Zuge des Bologna-Prozesses zeichnete sich zunächst in den Studienanfängerzahlen ab, setzte sich bei der Zahl der Studierenden fort und wirkte sich zeitverzögert auf die Absolventenzahlen aus. Die Bologna-Reform hat vor allem dazu geführt, dass seit 1999 die traditionellen Diplomabschlüsse an Universitäten und Fachhochschulen gegenüber den neu eingeführten Bachelor- und Masterabschlüssen kontinuierlich an Bedeutung verloren haben.
Info 2Der Bologna-Prozess
Im Juni 1999 unterzeichneten die Wissenschaftsministerinnen und -minister aus 29 europäischen Ländern die sogenannte Bologna-Erklärung zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Hochschulraums. Wichtigstes Ziel dieses Reformprozesses war die Einführung des zweistufigen Studiensystems mit den Abschlüssen Bachelor und Master, welche die herkömmlichen Abschlüsse an Universitäten und Fachhochschulen bis 2010 (bis auf wenige Ausnahmen) ablösen sollten.
Im Studienjahr 2018 begannen 77 % der Studienanfängerinnen und -anfänger ein Bachelor- oder Masterstudium (ohne Lehramts-Bachelor und -Master). Zehn Jahre zuvor waren es rund 69 %. Etwa 14 % der Erstsemester strebten im Studienjahr 2018 einen universitären Abschluss (zum Beispiel Diplom [Uni], Magister), 7,0 % eine Lehramtsprüfung, 1,4 % einen Fachhochschulabschluss und 0,7 % eine Promotion an. Von den Studienanfängerinnen und -anfängern in Lehramtsstudiengängen studierten 47 % die Fächergruppe Geisteswissenschaften, 25 % Mathematik / Naturwissenschaften und 18 % Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften.
Im Juni 1999 unterzeichneten die Wissenschaftsministerinnen und -minister aus 29 europäischen Ländern die sogenannte Bologna-Erklärung zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Hochschulraums. Wichtigstes Ziel dieses Reformprozesses war die Einführung des zweistufigen Studiensystems mit den Abschlüssen Bachelor und Master, welche die herkömmlichen Abschlüsse an Universitäten und Fachhochschulen bis 2010 (bis auf wenige Ausnahmen) ablösen sollten.
Ausländische Studierende und deutsche Studierende im Ausland
Im Wintersemester 2018 / 2019 waren an deutschen Hochschulen insgesamt 394.700 Studierende mit ausländischer Nationalität immatrikuliert. Im Wintersemester 2008 / 2009 lag der Ausländeranteil an der Gesamtzahl der Studierenden bei 12 %, sank dann leicht ab und erreichte mit 14 % einen neuen Höchststand im Wintersemester 2018 / 2019. Von den Studierenden mit ausländischer Nationalität waren 23 % sogenannte Bildungsinländerinnen und -inländer, die ihre Hochschulzugangsberechtigung im deutschen Bildungssystem erworben haben. Hier handelt es sich meist um Kinder von Zuwanderinnen und Zuwanderern, die teilweise bereits in der zweiten oder dritten Generation in Deutschland leben und die Staatsangehörigkeit ihres Herkunftslandes behalten haben, sowie Kriegsflüchtlinge und Asylsuchende. Die mit Abstand größte Gruppe unter den Bildungsinländerinnen und -inländern bildeten im Wintersemester 2018 / 2019 Studierende mit türkischer Staatsangehörigkeit (34 %), gefolgt von denen mit italienischer (6 %) und mit griechischer Herkunft (4 %). Bei den sogenannten Bildungsausländerinnen und -ausländern handelt es sich um die Gruppe der ausländischen Studierenden, die ihre Hochschulzugangsberechtigung außerhalb Deutschlands erworben hat. Im Wintersemester 2008 / 2009 betrug der Anteil der Bildungsausländerinnen und -ausländer an der Gesamtzahl der Studierenden 8,9 %, sank dann leicht ab und stieg bis zum Wintersemester 2018 / 2019 wieder auf rund 10,5 % an. Im Wintersemester 2018 / 2019 studierten 302.200 Bildungsausländerinnen und -ausländer an deutschen Hochschulen, 68 % mehr als im Wintersemester 2008 / 2009. Die Anteile der Bildungsausländerinnen und -ausländer variierten je nach fachlicher Ausrichtung des Studiums: So studierten im Wintersemester 2018 / 2019 rund 40 % von ihnen Ingenieurwissenschaften, 25 % Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie jeweils 11 % Geisteswissenschaften beziehungsweise Mathematik / Naturwissenschaften. Die meisten ausländischen Nachwuchsakademikerinnen und -akademiker kamen aus China (13,2 %), gefolgt von Indien mit 6,8 % und Syrien mit 4,3 %. Gleichzeitig besuchen deutsche Studierende auch ausländische Hochschulen; im Jahr 2017 waren es rund 140.400. Das beliebteste Zielland war Österreich mit einem Fünftel aller deutschen Auslandsstudierenden, gefolgt von den Niederlanden (16 %), dem Vereinigten Königreich (11 %), der Schweiz (10 %) und den Vereinigten Staaten (7 %). Jeweils mehr als 10.000 Deutsche studierten 2017 in diesen Ländern. Der Großteil der deutschen Auslandsstudierenden (69 %) blieb innerhalb der Europäischen Union. Hochschulabsolventinnen und -absolventen
Zwischen 2008 und 2018 stieg die Zahl der bestandenen Abschlussprüfungen an Hochschulen – auch aufgrund der Bologna-Reform – stetig an. Der bisherige Höchststand wurde mit 501.700 Prüfungen im Jahr 2017 erreicht; im Jahr 2018 ging die Zahl leicht zurück auf 498.700. Etwas mehr als die Hälfte (51 %) der im Jahr 2018 bestandenen Hochschulabschlüsse wurden von Frauen erworben.
Von den Absolventinnen und Absolventen des Jahres 2018 erwarben 50 % einen Bachelorabschluss und weitere 28 % einen Masterabschluss. Eine Lehramtsprüfung legten 9,1 % ab und 6,0 % verließen die Hochschule mit einem anderen universitären Abschluss. Den Doktortitel erlangten 5,6 % der Absolventinnen und Absolventen und 1,4 % einen traditionellen Fachhochschulabschluss. Das mittlere Alter (Median) der Hochschulabsolventinnen und -absolventen, die 2018 ihr Erststudium erfolgreich abgeschlossen haben, lag bei 24 Jahren. Die Studiendauer ist abhängig von der Art des erworbenen akademischen Grades. Bei Bachelorabschlüssen betrug die mittlere Fachstudiendauer 7,1 Semester im Prüfungsjahr 2018. Das Masterstudium baut auf ein vorangegangenes Studium – in der Regel ein Bachelorstudium – auf. Für einen Masterabschluss benötigten Studierende 2018, einschließlich der im vorangegangenen Studium verbrachten Semester, eine durchschnittliche Gesamtstudiendauer von 12,1 Semestern. Im Vergleich dazu betrug die mittlere Gesamtstudiendauer bei Universitätsdiplomen und vergleichbaren Abschlüssen 12,7 Semester.
Info 3Median
Der Median, auch Zentralwert, bezeichnet die Grenze zwischen zwei Hälften. Er wird ohne aufwendiges Rechnen gefunden, denn er ist der Wert genau in der Mitte der Daten, wenn diese der Größe nach geordnet sind. Er ist unempfindlich gegenüber "Ausreißern", auf die das arithmetische Mittel stark reagiert. Deshalb ist er bei sehr ungleichen Verteilungen, wie Einkommensverteilungen, oft der am besten geeignete Mittelwert.
Finanzielle Ressourcen
Die Hochschulen in öffentlicher und privater Trägerschaft in Deutschland gaben im Jahr 2017 für Lehre, Forschung und Krankenbehandlung insgesamt 54,1 Milliarden Euro aus. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus den Ausgaben für das Personal, für den laufenden Sachaufwand sowie für Investitionen. Die Fächerstruktur bestimmt in besonderem Maße die Hochschulausgaben: So entfielen rund 46 % auf die medizinischen Einrichtungen (einschließlich zentraler Einrichtungen der Hochschulkliniken). Der Anteil der eingeschriebenen Studierenden in Humanmedizin / Gesundheitswissenschaften betrug im Wintersemester 2017 / 2018 aber nur 6,2 % der Studierenden insgesamt. Demgegenüber war im gleichen Zeitraum in den Fächergruppen Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie Geisteswissenschaften zusammen etwa die Hälfte (rund 49 %) aller Studierenden eingeschrieben. Ihr Anteil an den gesamten Ausgaben im Hochschulbereich betrug allerdings lediglich 11 %.
Die Finanzierung dieser Ausgaben erfolgt durch Trägermittel, Verwaltungseinnahmen (beispielsweise Einnahmen aus Krankenbehandlungen, Beiträge der Studierenden) sowie durch Drittmittel, die primär für Forschungszwecke eingeworben werden. Seit 2008 sind die Drittmitteleinnahmen von rund 4,9 Milliarden Euro auf 7,9 Milliarden Euro gestiegen. Im gleichen Zeitraum stiegen die Trägermittel um rund 40 % (von 18,1 Milliarden Euro auf 25,3 Milliarden Euro).
Bei den laufenden Ausgaben (Grundmittel) für Lehre und Forschung handelt es sich um den Teil der Hochschulausgaben, den der Einrichtungsträger den Hochschulen für laufende Zwecke zur Verfügung stellt. Im Jahr 2017 betrugen die laufenden Ausgaben (Grundmittel) an deutschen Hochschulen durchschnittlich 7.300 Euro je Studierenden.
Die laufenden Ausgaben (Grundmittel) je Studierenden waren in den Fächergruppen unterschiedlich. Sie differierten im Jahr 2017 zwischen 4.300 Euro je Studierenden der Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften bis zu 19.200 Euro je Studierenden der Humanmedizin / Gesundheitswissenschaften.
Der Median, auch Zentralwert, bezeichnet die Grenze zwischen zwei Hälften. Er wird ohne aufwendiges Rechnen gefunden, denn er ist der Wert genau in der Mitte der Daten, wenn diese der Größe nach geordnet sind. Er ist unempfindlich gegenüber "Ausreißern", auf die das arithmetische Mittel stark reagiert. Deshalb ist er bei sehr ungleichen Verteilungen, wie Einkommensverteilungen, oft der am besten geeignete Mittelwert.
Frauen auf der akademischen Karriereleiter
Die Verwirklichung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in Wissenschaft und Forschung ist nach wie vor ein wichtiges Thema in der deutschen Bildungspolitik. Auf den ersten Blick scheinen die Barrieren für den Zugang junger Frauen zur akademischen Ausbildung abgebaut: Jeweils etwas mehr als die Hälfte (51 %) der Studierenden im ersten Hochschulsemester und der Hochschulabsolventinnen und Hochschulabsolventen im Jahr 2018 waren Frauen. Auch der Frauenanteil auf weiterführenden Qualifikationsstufen ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Allerdings nimmt er mit steigendem Qualifikationsniveau und Status der einzelnen Positionen auf der akademischen Karriereleiter kontinuierlich ab. Während im Jahr 2018 bereits 45 % aller Doktortitel von Frauen erworben wurden, lag die Frauenquote bei den Habilitationen bei 32 %.
Rund 53 % der im Jahr 2018 an deutschen Hochschulen Beschäftigten waren Frauen, was in etwa dem Frauenanteil (51 %) an der Gesamtbevölkerung entspricht. Im Bereich Forschung und Lehre sind Frauen allerdings immer noch unterrepräsentiert: Ihr Anteil lag in der Gruppe des hauptberuflichen wissenschaftlichen und künstlerischen Personals bei 40 %. In der Professorenschaft ist der Frauenanteil traditionell niedrig. In den vergangenen zehn Jahren ist er aber deutlich angestiegen und erreichte 2018 mit 25 % seinen bisherigen Höchststand. In den bestbezahlten Besoldungsstufen (C4 und W3) lag der Anteil der Professorinnen bei 20 %. Bei der Interpretation der Daten ist zu beachten, dass sich selbst ein starker Anstieg des Frauenanteils bei den Hochschulabschlüssen zunächst nicht direkt auf den Anteil bei den Habilitationen oder Professuren auswirkt, da der Erwerb von akademischen Abschlüssen sehr zeitintensiv ist. So liegen zwischen dem Zeitpunkt der Ersteinschreibung und der Erstberufung zur Professorin beziehungsweise zum Professor in Deutschland etwa 20 Jahre. | 11 |
0 | Leichtathletik-WM 2019 in Katar: „Die schlechteste Kandidatur“
Während die Fifa sich bemüht, die WM-Vergabe an Katar reinzuwaschen, vergibt der Leichtathletik-Weltverband die WM 2019 an den Wüstenstaat.
Katar will neue Sportstätten und Hotels bauen. Hier das Khalifa-International-Stadium in Doha. Bild: dpa
Die Leichtathletik hat so ihre Gesetze. Etwa: Im Spätsommer bei Meetings wie dem „Istaf“ in Berlin oder der „Weltklasse Zürich“ treffen sich die fröhlichen und tragischen Helden des jeweiligen Saisonhöhepunkts zur Revanche. Oder: Sprinter mögen es warm, Marathonläufer dagegen bevorzugen ein laues Lüftchen. Oder auch: Je voller das Stadion, desto besser die Leistungen, desto werbewirksamer die TV-Bilder.
All das haben die Hüter der Leichtathletik nun aber ebenso geflissentlich ignoriert wie die weltweit brodelnden Diskussionen um anhaltende Menschenrechtsverletzungen in Katar: Die Leichtathletik-WM 2019 wird in Doha stattfinden. 15 der 27 Mitglieder des Weltverband-Councils stimmten am Dienstag in Monaco dafür, 12 hätten die Ausrichtung lieber an das amerikanische 160.000-Einwohner-Städtchen Eugene in Oregon gegeben. Barcelona war schon in der ersten Wahlrunde ausgeschieden.
Während die Welt also noch gebannt zuschaut, wie sich der Fußball-Weltverband Fifa in dem Bemühen selbst zerfleischt, die Vergabe der WM 2018 an Russland und 2022 an Katar als korruptionsfreie Prozeduren darzustellen, sitzen die Oberen des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF gemütlich im Fairmont Hotel in Monaco zusammen und geben Katar eine weitere Weltmeisterschaft.
Den Wüstenstaat am persischen Golf prädestinieren weder seine geografische Lage noch seine Traditionen noch eine besondere Affinität seiner Bevölkerung dafür, eine Hochburg des internationalen Spitzensports zu sein. Und doch finden dort neben der Fußball-WM 2022 auch die Kurzbahn-WM der Schwimmer im Dezember, die Handball-WM im Januar 2015, die Straßenrad-WM im September 2016 und die Turn-WM 2018 statt.
Das Land will mit seinen Erdöl-Milliardeneinnahmen moderne Sportstätten und Hotels aus dem Wüstensand stampfen. Die Vermutung, dass einige der Erdöl-Dollar auch den Weg in die Taschen der Entscheider in den Sportverbänden finden, begleitet jede neue Pro-Katar-Entscheidung.
José María Odriozola, der Präsident des spanischen Verbandes und eines der 27 Mitglieder im IAAF-Council, erklärte in Monaco, dass sich „die mit Abstand schlechteste Kandidatur“ durchgesetzt habe, und sagte über Doha: „Das Einzige, was sie dort haben, ist Geld.“
Bis zu 38 Grad Celsius
Die Menschenrechtsorganisationen Amnesty International und Human Rights Watch gaben sich „fassungslos und geschockt“. Man wirft der IAAF „Ignoranz“ gegenüber der seit Jahren laufenden öffentlichen Debatte über die Menschen- und Arbeitsrechte in Katar vor.
In Deutschland ist man zurückhaltender, so mancher aus dem Lager der Leichtathleten schweigt lieber. „Das tangiert mich nicht mehr“, teilte Deutschlands zurzeit berühmtester Leichtathlet, Diskuswurf-Olympiasieger Robert Harting, mit. Der 30-Jährige will seine Karriere also offenbar nicht endlos verlängern. Ob er dennoch eine Meinung habe? „Ja, aber ich möchte sie nicht äußern.“
Clemens Prokop, der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), gab sich „überrascht“. Die Beschwerde seines spanischen Kollegen bezeichnet Prokop „als schwerwiegenden Vorwurf“. Er will das nicht kommentieren. „Ich war in die Vergabe nicht eingebunden und mir fehlen jegliche Informationen, was bei der Entscheidung eine Rolle gespielt hat.“
Für Prokop war Eugene der Favorit. Denn dort, in einem Kernland der Leichtathletik, hätten zum einen noch nie Weltmeisterschaften stattgefunden und man hätte zum anderen mit einem leichtathletikbegeisterten Publikum und einem somit vollen Stadion rechnen können.
Ganz nebenbei würden auch die Spätsommer-Meetings nicht einem nach hinten verschobenen WM-Termin zum Opfer fallen. Prokop betont: „Die Vergabe der WM nach Katar bedeutet eine große Umstellung für den Ablauf des Leichtathletik-Jahres 2019.“
Da die Temperaturen in der Wüste im August, dem traditionellen WM-Monat der Leichtathleten, bis über 40 Grad Celsius liegen, soll die WM 2019 Ende September oder Anfang Oktober stattfinden. Allerdings kann es dann immer noch 35 bis 38 Grad warm werden. | 12 |
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Wibke Hansen (© Photostudie Charlottenburg)
Das Ziel politischer Konfliktbearbeitung liegt selbstredend in der Lösung beziehungsweise Transformation von gewaltsamen Konflikten – im Fall von Kriegen und Bürgerkriegen also um einen Prozess, der letztlich einem nachhaltigen, positiven Frieden den Weg bereitet. In vielen der Fälle, die gegenwärtig das internationale Konfliktgeschehen bestimmen, scheint dieses Ziel aber selbst auf mittlere Frist unerreichbar zu sein. In Teilen der Wissenschaft und auch der Politik hat sich der Begriff "intractable conflicts" durchgesetzt für "hartnäckige" Konflikte, die sich den Lösungsbemühungen internationaler Akteure anhaltend entziehen. Der Begriff ist eher von deskriptivem als von präskriptivem Wert: Er beschreibt das sehr reale Problem, dass Friedens- und Vermittlungsbemühungen scheitern, weil lokale oder regionale Akteure sich darauf nicht oder nicht im geforderten Maße einlassen. Er sollte aber nicht suggerieren, dass der Konflikt per se unlösbar wäre und internationale Akteure sich ihre Mühe deshalb besser sparen sollten.
Volker Perthes (© Volker Perthes)
Gerade in solchen Situationen darf die Orientierung am besten denkbaren aber zunächst unerreichbaren Ergebnis verantwortungsbewusste Akteure nicht davon abhalten, das unmittelbar Richtige zu tun: zu de-eskalieren, auf die Beendigung von Kampfhandlungen hinzuwirken, Zivilisten zu schützen und gegebenenfalls heiße Frontlinien einzufrieren und damit auch bessere Bedingungen für eine spätere umfassende Lösung zu schaffen.
Krisen sind nicht mehr, was sie einmal waren
Dass immer mehr ursprünglich innere, nach und nach aber regionalisierte Konflikte, nicht zuletzt Kriege und Bürgerkriege, wie die in Syrien, Mali, Sudan, Libyen oder Jemen, weder gelöst noch eingedämmt werden, hat auch damit zu tun, dass die Krisen und Konflikte, die die internationale Politik beschäftigen oder beschäftigen sollten, sich heute kaum noch zeitlich, geografisch oder mit Blick auf einzelne entscheidende Akteure eingrenzen lassen.
Analytisch und praktisch hilft es, sich klar zu machen, dass internationale Politik es nicht mit einzelnen, aufeinander folgenden und nach und nach zu bearbeitenden Krisen zu tun hat, sondern mit zusammenhängenden Krisenlandschaften, innerhalb derer zwar einzelne Landschaftselemente und Landmarken erkennbar bleiben, die aber als Teil eines integrierten Geländes verstanden, erkundet und bearbeitet werden müssen. So stellen, um nur ein Beispiel zu nennen, der Krieg in Syrien, die Flüchtlingsströme, die Stabilität Jordaniens oder Libanons, die Hegemonialkonflikte regionaler Mächte, die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in der Türkei, terroristische Bedrohungen sowie die Verfasstheit der Europäischen Union oder die Beziehungen der EU-Staaten und der USA zu Russland sämtlich miteinander verwobene Elemente einer großen Krisenlandschaft dar.
Dies verlangt ein vernetztes und multilaterales Konfliktmanagement, macht dies gleichzeitig aber auch schwieriger. Dies gilt für das ganze Spektrum des Konfliktmanagements – von Mediation bis zu robusten multidimensionalen Friedenseinsätzen. Die Erwartung, dass die Staatengemeinschaft oder gar einzelne Staaten in der Lage wären, nach und nach alle Krisen zu lösen, dürfte Entscheidungsträger und Öffentlichkeit eher entmutigen, als die strategische Geduld zu fördern, die für ein Management, für ein sicheres Navigieren durch diese Landschaften notwendig ist.
Bedingungen für Lösung oft nicht gegeben
Betrachten wir deshalb den Syrienkonflikt noch einmal: Unterstützungsbekundungen für die Vermittlungsbemühungen der Vereinten Nationen und deren Suche nach einer "politischen Lösung" kommen von allen Seiten, sind aber auch wohlfeil. Tatsächlich ist der Konflikt eben nicht, wie es der Theorie entspräche, "lösungsreifer" (William Zartman) geworden, weil die Konfliktparteien sich nach und nach in eine für beide Seiten schmerzhafte Blockade manövriert haben, überdehnt oder erschöpft sind. Eher ließe sich sagen, dass der Konflikt sich spätestens seit 2016 von der Lösungsreife wieder wegentwickelt hat. Das liegt zum einen an Art und Weise der Kriegsführung selbst, an Länge und Intensität des Konfliktes und vor allem an der dadurch bewirkten Zerstörung gesellschaftlicher Strukturen und der Zunahme von Furcht und Hass.
Es liegt aber eben auch an der Einbettung in eine breitere Konfliktlandschaft und der Involvierung einer zunehmenden Zahl regionaler und internationaler Akteure, durch die die Erschöpfung lokaler Konfliktparteien und deren gesellschaftlicher Basis für den Konfliktverlauf immer weniger relevant wird: Gewaltakteure werden von außen über Wasser gehalten oder gegebenenfalls ersetzt, ohne dass dabei eindeutig klar wäre, wer wem gegenüber als Stellvertreter handelt. Eine Lösung des Konflikts, die einen nachhaltigen Frieden ermöglichen würde, ist ohne substanzielle politische Veränderungen undenkbar, die sich angesichts der lokalen, regionalen und internationalen Interessen- und Kräftekonstellationen zumindest kurzfristig nicht einstellen werden. Das heißt aber eben nicht, dass die Vereinten Nationen und die internationale Staatengemeinschaft Syrien aufgeben und den Konflikt, wie zynische Stimmen gelegentlich gefordert haben, einfach "ausbrennen" lassen können.
Konfliktmanagement und politischer Raum
In einer Situation wie der in Syrien bedeutet Konflikt- bzw. Krisenmanagement zuvörderst, Kampfhandlungen zu beenden, Zivilisten zu schützen und die militärischen und politischen oder gesellschaftlichen Konflikte bzw. deren gewaltsamen Austrag weitestmöglich zu deeskalieren. Als erster Schritt wird dabei meist eine Waffenruhe oder ein Waffenstillstand vereinbart, was oft nur mithilfe von außen – durch interessierte Parteien oder die Vereinten Nationen – zu erreichen ist. Eine Waffenruhe erlaubt unter Umständen, zumindest teilweise, die Rückkehr von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen, humanitäre Hilfe sowie Stabilisierungsmaßnahmen, einschließlich des Wiederaufbaus von sozialer Infrastruktur und eine gewisse Normalisierung des Lebens in vorher umkämpften Städten und Regionen.
Erste Erfolge oder eine Annäherung an Normalität können helfen, politische Prozesse zur dauerhaften Lösung eines Konfliktes überhaupt erst möglich zu machen. Klar ist: Je länger der gewaltsame Konfliktaustrag anhält, desto schwieriger wird es, diesen politischen Raum überhaupt wieder zu erschließen und eine tragfähige Konfliktlösung auf den Weg zu bringen.
Konfliktmanagement bleibt auch dort relevant, wo politische Lösungen in greifbare Nähe rücken – nicht zuletzt, weil Konfliktlösung Zeit braucht. Auf langwierige Prozesse des Aushandelns und Aufarbeitens folgen Umsetzungsprozesse. Die Lehren der letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass es Generationen dauern kann, bis sich Inklusion und politische und wirtschaftliche Teilhabe, Rechtstaatlichkeit sowie neue Prozesse, Institutionen einer "Friedensordnung" etabliert haben. In der Zwischenzeit müssen häufig politisch fragile Situationen stabilisiert werden – etwa durch internationale Sicherheitspräsenzen, Beobachtung und Verifikation von Waffenstillständen, Garantien für Konfliktparteien und Vertrauensbildende Maßnahmen. Solche Maßnahmen des Konfliktmanagements können die Gefahr eines Rückfalls in die Gewalt reduzieren, den Raum für Divergenz und gesellschaftliche Debatten allmählich wieder eröffnen sowie sensible bzw. störanfällige politische Prozesse schützen.
Konflikte "einfrieren" – nicht immer die schlechteste Option
Einige Blauhelmmissionen dauern seit über 50 Jahren an, ohne dass eine Lösung des Konfliktes – und damit eine Abzugsoption – in Sicht wäre. Das mag man kritisieren; gleichzeitig wird hier jedoch seit Jahrzehnten die gewaltsame Konfliktaustragung weitgehend unterbunden.
Wo Verfassungsprozesse, Machtteilungsarrangements, Wahlen oder die befriedigende Regelung umstrittener Ansprüche auf absehbare Zeit unrealisierbar scheinen, kann es sinnvoll sein, Frontlinien und nach Möglichkeit auch den Konflikt selbst erst einmal "einzufrieren". Das reduziert den Druck, zeitnah eine Lösung herbeizuführen oder gar zu erzwingen, die bestimmten relevanten Akteuren Entscheidungen abverlangen würde, zu denen sie auch um den Preis eines neuen oder weiteren Krieges eben nicht oder noch nicht bereit sind. Furcht vor vermuteten Racheakten und Übergriffen, Eigeninteresse der Herrscher oder von Warlords, die aber nicht einfach weggewünscht werden können, ideologische Dispositionen, Hass und Ablehnung sind häufig schwer – und vor allem nicht kurzfristig – zu überwinden.
Ein Einfrieren der Frontlinien kann immerhin dazu beitragen, zu einer Form der Normalität zurückzufinden, in der Menschen nicht von täglicher kriegerischer Gewalt betroffen sind und Gewalt vielleicht sogar zur Hauptbeschäftigungs- und Haupteinkommensquelle wird. Das ändert die Prioritäten aller Beteiligten. Kinder können wieder zur Schule gehen, gesellschaftliche und wirtschaftliche Beziehungen können sich neu entwickeln, auch über Frontlinien hinweg. Selbst in fragmentierten Staaten und Gesellschaften kann auf diese Weise nach und nach wieder so etwas wie ein politischer Raum entstehen, in dem unterschiedliche Interessen sich äußern oder verhandelt werden können. Der territoriale Status quo würde gesichert werden, bis bestimmte Akteure, die einer Konfliktbeilegung im Weg stehen, abgetreten sind bzw. ihre Relevanz verloren haben.
In Syrien etwa mag es sinnvoll sein, Frontlinien zwischen von unterschiedlichen Kräften beherrschten Regionen zunächst einzufrieren, auch militärische Arrangements zu vereinbaren, um den Ausbruch von Feindseligkeiten oder unbeabsichtigte Zusammenstöße zu verhindern, dafür eine internationale Überwachungsstruktur zu schaffen und vertrauensbildende Maßnahmen, wie etwa Regeln für Checkpoints und Übergänge, auf den Weg zu bringen, damit sich wirtschaftliche und gesellschaftliche Beziehungen wieder entfalten können. Oder, um ein anderes Beispiel zu nennen: Wäre es vorstellbar, dass die im Gazastreifen herrschende Hamas-Bewegung und Israel sich auf einen 50-jährigen Waffenstillstand einigen – gegenseitige Nichtanerkennung inklusive – und eine politische Lösung, zu der die Führungseliten beider Seiten nicht bereit sind, hintanstellen, bis neue Generationen herangewachsen sind?
Ein Einfrieren von Konfliktlinien bedeutet nicht, die als "frozen conflict" betitelten Konfliktsituationen im post-sowjetischen Raum zum Modell zu nehmen. Eine Form der Waffenruhe, die einer Seite erlaubt, in umstrittenen Gebieten Fakten zu schaffen und ihre Dominanz auf Kosten der anderen Parteien auszubauen, ist eben kein "Einfrieren". Es kann auch nicht darum gehen, Okkupation oder erzwungene demografische Veränderungen zu akzeptieren. Soziopolitische Verhältnisse lassen sich ohnehin nicht einfrieren. Aber sicher war und ist es auch in der Ost-Ukraine richtig, sich um ein Einfrieren der Frontlinie zu bemühen, um zunächst weitere militärische Eskalationen zu verhindern.
Hier und in ähnlichen Fällen stellt sich dann eher die Frage, ob und wie die internationale Gemeinschaft, idealerweise durch die UNO, gegebenenfalls auch durch eine Koalition von Staaten, die Kosten von Okkupation und Obstruktion durch Nichtanerkennung oder Sanktionen erhöhen und damit auch das Interesse an einer Verhandlungslösung fördern kann. Vor Ort verlangt ein Einfrieren zunächst eine mehr oder weniger klare Front- oder Demarkationslinie, die von lokalen und internationalen Beobachtern zu überwachen und möglicherweise zu schützen wäre.
In Konfliktmanagement investieren
Während die Prävention oder die nachhaltige Lösung eines eskalierten Konfliktes immer oberste Priorität ist, sollten politische Entscheider als unmittelbare Notwendigkeit auf ein intelligentes Konfliktmanagement vorbereitet sein. Staaten müssen daher auch in diesem Bereich ihre Instrumente schärfen und ihre Zusammenarbeit verbessern.
Konfliktmanagement steht nicht notwendig für ein niedriges Ambitionsniveau, sondern kann Handlungsspielräume eröffnen. Erlaubt es gegebenenfalls doch, eine Konfliktentscheidung zu vermeiden, bei der eine Partei zum Sieger, eine zum Verlierer gemacht würde – sowie die Furcht vor einem solchen Zustand. Kriegsergebnisse dieser Art mögen vordergründig den Vorteil der Eindeutigkeit haben, lassen sich aber oftmals nur durch anhaltende repressive Gewalt "stabilisieren". Konfliktmanagement kann hier durchaus als Strategie verstanden werden, die allen Beteiligten die nötige Zeit verschafft, um friedensorientierte Kompromisse – Formen der Machtteilung etwa – akzeptabel und möglich zu machen.
Wibke Hansen (© Photostudie Charlottenburg)
Volker Perthes (© Volker Perthes)
Quellen / Literatur
Externer Link: Maihold, Günther (2018): Kolumbiens Frieden und Venezuelas Krise. Wie sich in Südamerika eine regionale Krisenlandschaft aufbaut, SWP-Aktuell 2018/A 13, Februar 2018.
Externer Link: Perthes, Volker (Hrsg.) (2017): "Krisenlandschaften". Konfliktkonstellationen und Problemkomplexe internationaler Politik. Ausblick 2017, SWP-Studie, Stiftung Internationale Politik/ Institut für internationale Politik und Sicherheit, Berlin.
Zartman, William (1989): Ripe for Resolution. Conflict and Intervention in Africa, New York/Oxford.
Externer Link: Studien und Analysen der Stiftung Wissenschaft und Politik
Externer Link: Analysen und Informationen des Zentrums für internationale Friedenseinsätze (ZIF).
Externer Link: Maihold, Günther (2018): Kolumbiens Frieden und Venezuelas Krise. Wie sich in Südamerika eine regionale Krisenlandschaft aufbaut, SWP-Aktuell 2018/A 13, Februar 2018.
Externer Link: Perthes, Volker (Hrsg.) (2017): "Krisenlandschaften". Konfliktkonstellationen und Problemkomplexe internationaler Politik. Ausblick 2017, SWP-Studie, Stiftung Internationale Politik/ Institut für internationale Politik und Sicherheit, Berlin.
Zartman, William (1989): Ripe for Resolution. Conflict and Intervention in Africa, New York/Oxford.
Externer Link: Studien und Analysen der Stiftung Wissenschaft und Politik
Externer Link: Analysen und Informationen des Zentrums für internationale Friedenseinsätze (ZIF).
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1 | Sezessions-Referendum in Katalonien: Der Traum von der linken Republik
Der Terror in Spanien hat den Streit über die Unabhängigkeit Kataloniens nur kurz unterbrochen. Das Referendum spaltet die Linke.
Ob für oder gegen die Unabhängigkeit: Trauernde in Barcelona nach dem Anschlag Foto: dpa
BARCELONA taz | Für ein paar Stunden waren Anna Gabriel und Rafael Arenas vereint – in Sorge. Leben meine Verwandten und Freunde noch? Sind sie unverletzt? Solche Fragen beschäftigten sie nach den islamistischen Attentaten am 17. und 18. August in Katalonien. Einen Moment lang unterbrach Gabriel – eine Abgeordnete des katalanischen Parlaments – ihr Werben für die Unabhängigkeit der Region im spanischen Nordosten. Und Arenas, ein Pro-Spanien-Aktivist, sorgte sich um seine Lieben, nicht um die territoriale Einheit der spanischen Nation.
Am Samstag wollen wieder Tausende in Barcelona gegen den Terror demonstrieren. „Ich habe keine Angst!“, werden sie rufen auf dem Boulevard Passeig de Gràcia mit seinen prachtvollen Jugendstilgebäuden.
Auch Spaniens König wird dabei sein. Doch die Attentate haben nichts daran geändert, dass Gabriel und Arenas zerstritten sind – so wie ganz Katalonien gespalten ist. Im Gegenteil: Der Monarch dürfe die Demonstration nicht anführen, forderte Gabriels Fraktion „Kandidatur der Volkseinheit“, kurz CUP. Arenas glaubt, die Sezessionsbewegung sei mitverantwortlich dafür, dass die Sicherheitskräfte der Region und der Zentralregierung schlecht zusammengearbeitet hätten.
Dabei haben Gabriel und Arenas eine Menge gemein: Beide haben Jura studiert; als Professor für internationales Privatrecht war er ihr Dozent. Beide sind dafür, das bedingungslose Grundeinkommen einzuführen und mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Sie sind dagegen, Arbeitnehmerrechte abzubauen und das Gesundheitssystem zu privatisieren. Anna Gabriel und Rafael Arenas sind beide links.
Kein Konsens in Sicht
Doch in der Diskussion über die Unabhängigkeit kämpfen sie seit Monaten so unerbittlich gegeneinander wie noch nie. Denn Gabriels CUP bereitet gemeinsam mit der von einem Konservativen geführten katalanischen Regierung ein Referendum vor. Am 1. Oktober wollen sie die Wahlberechtigten der Region fragen, ob Katalonien eine eigene Republik werden soll. Falls die Mehrheit zustimmt, soll zwei Tage nach Bekanntgabe des Ergebnisses die Abspaltung von Spanien erklärt werden – auch gegen den Willen der Zentralregierung in Madrid.
Arenas argumentiert dagegen, zum Beispiel als Gastkommentator in der New York Times. Ein Jahr lang war er Präsident der Vereinigung „Katalanische Zivilgesellschaft“, die die wichtigste überparteiliche Organisation der Unabhängigkeitsgegner ist.
Mit Geld- und Haftstrafen droht derweil die spanische Staatsanwaltschaft Politikern und Beamten, die das Plebiszit vorbereiten. Die Polizei führt schon Verhöre durch. Doch die Regionalregierung in Barcelona gibt sich unbeugsam und entwirft sogar Gesetze, die die Details der Loslösung von Madrid regeln sollen. Wenn das Referendum trotz des Drucks tatsächlich stattfindet, könnte Madrid der militärisch organisierten Polizeieinheit Guardia Civil befehlen, die Urnen einzusammeln. Nicht auszudenken, was passieren würde, falls sie dabei auf Widerstand stieße.
Anna Gabriel, CUP-Abgeordnete„Die Unabhängigkeitsbewegung ist sehr antifaschistisch“
Und das mitten in einem der größten EU-Länder und in einer wirtschaftlich bedeutenden Region, mit Barcelona und der Costa Brava, die Deutsche als Urlaubsziel kennen. Der Streit in Katalonien betrifft vor allem deshalb auch Deutschland, weil die Regionalregierung will, dass der neue Staat in die Europäische Union und die Eurozone aufgenommen wird. Berlin hätte ein Vetorecht.
Wenn Katalonien mit seinen 7,4 Millionen Einwohnern unabhängig würde, könnten auch andere Minderheiten sich ermutigt fühlen, den gleichen Weg zu gehen. Separatisten gibt es etwa unter den Basken in Spanien und Frankreich, den Schotten in Großbritannien, den Südtirolern in Italien oder den Ungarn in der Slowakei, Rumänien und Kroatien. Es drohen wieder Dispute um Grenzen in Europa.
Warum unterstützt dann eine Linke wie Anna Gabriel die nationalistische Bewegung in Katalonien? Sie lächelt, als sie diese Frage hört. Die 41-Jährige ist Sprecherin der CUP-Parlamentsfraktion. Die Gruppe hat zwar bei der letzten Wahl nur 8 Prozent der Stimmen erhalten und ist nicht Teil der Regierung, aber lediglich dank Stimmen aus ihren Reihen konnte der Konservative Carles Puigdemont Ministerpräsident werden.
Gabriel sitzt – sehr aufrecht – in ihrem kleinen Büro im Keller des Parlaments in Barcelona. An der Wand hinter ihr hängt ein „Free Kurdistan“-Plakat. Sie trägt ein schwarzes T-Shirt, einen kurzen Pony, einen großen Metallring in dem einen, vier Ringe in dem anderen Ohr.
Links und dafür: Anna Gabriel Foto: Antonio Melita
„Ich komme aus einer Arbeiterfamilie“, erzählt sie. Ihre Eltern hätten immer ein „großes Klassenbewusstsein“ gehabt. Gewerkschaften, Anarchismus, Kommunismus, das waren Themen in ihrer Familie. „Schon als ich klein war, haben wir sehr viel über Politik geredet. Und immer im Geist, Gerechtigkeit zu suchen.“
Gabriel ist zu dem Schluss gekommen: „Wenn du mehr Rechte für Arbeiterinnen, mehr Kontrolle über die Wirtschaft und mehr Souveränität für das Volk erreichen willst, ist das im Rahmen des spanischen Staats unmöglich.“
Die Abspaltung könne mehr soziale Gerechtigkeit bringen, denn in Katalonien gebe es eine Mehrheit dafür – anders als im restlichen Spanien. Das ist Gabriels Hoffnung. Für sie ist die katalanische Unabhängigkeit vor allem ein Mittel, um „den Weg zum Sozialismus einzuschlagen“, wie es im Wahlprogramm der CUP heißt.
Vor Kurzem hat Gabriel ein Plakat der CUP für das Referendum in die Kameras gehalten, das diese Strategie auf den Punkt bringt: Darauf schubst eine Putzfrau mit einem großen Besen den spanischen König, der Korruption verdächtige Politiker, den Präsidenten der Zentralregierung, einen Stierkämpfer und einen Kardinal von einer Karte Kataloniens. „Lasst uns den Kapitalismus, das Patriarchat, die Korruption und die Monarchie hinwegfegen“, sagen Gabriel und ihre Mitstreiter. Sie verspricht: „Die Unabhängigkeit ist dazu da, alles zu ändern.“
taz.am wochenendeDieser Text stammt aus der taz.am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter.
Dem Königshaus und der Zentralregierung wirft Gabriel sogar vor, eine Mitschuld an dem Doppelanschlag in Katalonien zu tragen. Spanien sei schließlich für den Irakkrieg 2003 gewesen, der dazu beigetragen hat, dass der „Islamische Staat“ entstanden ist. Und der König sei mit Monarchen in Golfstaaten befreundet, die die Terrororganisation finanzierten.
Im Programm der CUP stehen so radikale Forderungen wie die 30-Stunden-Woche oder dass Staatsschulden nicht bezahlt werden sollen. Die klassische Familie bezeichnet Anna Gabriel als „arm“. Sie würde Kinder lieber im Kollektiv aufziehen, so dass sie kein Zugehörigkeitsgefühl zu den biologischen Eltern entwickeln.
Das katalanische Parlament tagt zwei Stockwerke über Gabriels Büro in einem kleinen, aber prächtigen Saal aus dem 18. Jahrhundert. Drei voluminöse kugelförmige Kronleuchter hängen an der Decke, an den Seiten stehen Doppelsäulen aus Marmor. Die Abgeordneten sitzen auf Holzbänken mit roten Polstern.
Ende Juli 2015 drückte hier die Mehrheit der Parlamentarier – inklusive der CUP – die grünen Knöpfe in der Bank vor ihnen. Sie beschlossen, dass leerstehende Wohnungen von Banken an Arme vermietet werden müssen. Gabriel ist sehr stolz darauf. Doch dieses Gesetz hob das spanische Verfassungsgericht wieder auf, weil die Region damit ihre Kompetenzen überschreite. Für Gabriel ist die Episode ein Beleg dafür, dass mit Spanien kein gesellschaftlicher Fortschritt zu machen sei.
Rafael Arenas, linker Jura-Prof„Die Unabhängigkeitsbewegung wird von rechts geführt“
Unumstritten ist, dass die Unabhängigkeitsbewegung vor allem wegen der Wirtschaftskrise ab 2007 und den Massenprotesten 2011 gegen die Sparmaßnahmen, die Arbeitslosigkeit und die Korruption an Fahrt gewonnen hat. Doch wie groß ist die Chance auf eine linkere Politik in einem unabhängigen Katalonien wirklich?
Um das zu erfahren, kann man von Barcelona aus an der Küste 110 Kilometer nach Westen in die Nähe der Stadt Tarragona fahren. Hier entsteht auf einer Fläche von mehr als 74 Hektar direkt am Mittelmeer ein gigantischer Komplex aus Spielcasinos, Hotels und Geschäften – ein mediterranes Las Vegas. Der Hard-Rock-Café-Konzern aus den USA will dort 1.200 Glücksspielautomaten und 100 Spieltische für Poker und Ähnliches aufbauen. Gelockt hat die katalanische Regionalregierung potenzielle Investoren mit großzügigen Steuerermäßigungen.
„Das ist das Gegenteil von einer fortschrittlichen, linken Politik“, sagt Rafael Arenas, der ehemalige Juraprofessor von Gabriel. Er will zwar auch mehr soziale Gerechtigkeit, aber seine Forderungen sind moderater. Er ist 50, also fast zehn Jahre älter als Gabriel, hat einen kurzgeschnittenen Vollbart und trägt ein frisch gebügeltes, weißes Hemd. Arenas hat drei Kinder – von derselben Frau, mit der er den Nachwuchs auch noch gemeinsam aufzieht.
Dass die Separatisten im katalanischen Parlament das Casinoprojekt nicht gestoppt oder dessen Steuerbefreiung gestrichen haben, zeigt Arenas: „In den Bereichen, wo Katalonien Gesetzgebungskompetenz hat, haben die Unabhängigkeitsbefürworter fast nichts gemacht.“ Sie hätten auch nicht die Beteiligung von Privatunternehmen am Gesundheits- und am Bildungswesen zurückgedrängt.
KatalonienDie Region: Katalonien ist eine von 17 autonomen Regionen Spaniens. Wichtigste Städte sind Barcelona, Tarragona und Girona. 16 Prozent der 46,5 Millionen Spanier leben in Katalonien. Die Region trägt 19 Prozent zum spanischen Bruttoinlandsprodukt bei. Historisch, sprachlich und kulturell unterscheidet sich Katalonien vom restlichen Spanien, weshalb es seit Langem einen Drang zur Unabhängigkeit von Spanien gibt.Das Referendum: Nach der letzten Umfrage, die die Regionalregierung veröffentlichte, wollen 41 Prozent der Wahlberechtigten, dass Katalonien unabhängig wird. 49 Prozent sind dagegen. Etwa die Hälfte der Befragten will ein Referendum auch gegen den Willen Spaniens, die andere Hälfte ist dagegen. Eine Mehrheit derjenigen, die an der Abstimmung teilnehmen wollen, sprach sich für die Unabhängigkeit aus.
Aber hat das katalanische Parlament nicht tatsächlich progressive Gesetze beschlossen? „Sie wussten, dass diese Beschlüsse aufgehoben werden, weil sie nicht in die Zuständigkeit der Region fielen“, antwortet Arenas. Wären sie wirklich durchsetzbar, hätte die Koalition sie nicht beschlossen – wegen des Widerstands des konservativen Lagers in der Regierung.
„Die Unabhängigkeitsbewegung wird von der Rechten angeführt“, sagt Arenas. Stärkste Kraft in der katalanischen Regierung sei die konservative Partei PdeCat. Ihr wichtigster Koalitionspartner, die sozialdemokratische ERC, müsse Kompromisse akzeptieren, um die Unabhängigkeit zu erreichen.
Wenn die katalanische Republik doch nicht die Revolution bringt, was dann? Chauvinismus – wie so viele Nationalismen der Vergangenheit?
Anna Gabriel lächelt wieder. Ihre Stimme bleibt ruhig und klar. „Die Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien“, antwortet die CUP-Politikerin, „ist sehr antifaschistisch.“
Gabriel verweist gern auf die Geschichte: Unter dem rechten Diktator Francisco Franco wurde die katalanische Kultur diskriminiert. Der General führte Spanien von seinem Putsch gegen die gewählte republikanische Regierung 1936 bis zu seinem Tod 1975 mit eiserner Hand. Franco hob das Autonomiestatut auf, das Katalonien zum Beispiel eine eigene Regierung, ein Parlament und Kompetenzen im Bildungswesen zugestanden hatte.
Katalanisch ist eine eigene Sprache
Katalanisch, diese eigenständige romanische Sprache mit ihrer jahrhundertealten literarischen Tradition, war nicht mehr Amtssprache und wurde beispielsweise in der öffentlichen Verwaltung unterdrückt. Schon deshalb stand der katalanische Nationalismus gegen Franco, der vom faschistischen Italien und nationalsozialistischen Deutschland unterstützt wurde. „Es gibt keinen identitären Diskurs, keinen Diskurs der Exklusion von Nationen“, beteuert Gabriel.
Wenn Rafael Arenas vom Bahnhof zum Campus seiner Universität nahe Barcelona geht, fällt sein Blick auf das riesige Graffito dort: Auf der gesamten Längsseite des Mensa- und Verwaltungsgebäudes prangt eine rote Sowjetflagge und eine gelb-rote Fahne der Unabhängigkeitsbewegung. In der Mitte eine schwarze, geballte Faust. Unter dem Bild steht: „Unabhängigkeit. Sozialismus. Feminismus“. Signiert ist es mit SEPC, dem Kürzel einer Studentenorganisation, die von Gabriels CUP finanziert wird und deren Mitglieder regelmäßig maskiert und mit brennenden Bengalos über den Campus marschieren.
Auf Pfeilern am Rande des Wegs sind Aufkleber mit der Aufschrift „FCK SCC“. SCC ist die Abkürzung für den Namen von Arenas’ Pro-Spanien-Organisation. „Das haben sie mir auch schon auf meine Bürotür geklebt“, klagt der Professor.
In seinem Büro zeigt Arenas Fotos und Videos von Veranstaltungen der SCC auf dem Campus: Etwa 30 teils maskierte Leute blockieren in ziemlich einschüchternder Art und Weise den Zugang zu einer Veranstaltung der SCC. „Die Autonome Universität Barcelona wird immer unsere bleiben“, brüllen sie. Und: „Faschisten!“
Links und dagegen: Rafael Arenas Foto: privat
Einmal wurde ein Stand der SCC auf dem Campus von den sogenannten Antifaschisten mit einem Feuerlöscher eingenebelt, sie rissen die spanische Fahne herunter und verbrannten sie. Regelmäßig müssen die SCC-Veranstaltungen auf dem Campus von Sicherheitsleuten und manchmal sogar von der Polizei geschützt werden.
Arenas hat Laura Casado und María Domingo mitgebracht. Die beiden Studentinnen arbeiten in der Unigruppe der SCC mit. „Sie haben Unterschriften gesammelt, um uns aus der Uni auszuschließen“, erzählt Casado. „Mich haben sie vor der Bibliothek bespuckt“, sagt Domingo. Seien sie anfangs 13 Studenten gewesen, würden jetzt nur noch fünf mitmachen, „wegen des Drucks“.
„Reaktionär“ und intolerant – so nennt Arenas manche Separatisten.
Die Lage an der Universität ist eine Ausnahme. Die überwiegende Mehrheit der Unabhängigkeitsbefürworter ist friedlich. Aber es gibt unter ihnen linke Strömungen, die sich nicht klar von den Aggressionen gegen die SCC oder ähnliche Organisationen distanzieren. Was hält Anna Gabriel von den Angriffen auf den Verein ihres ehemaligen Professors?
Bei dieser Frage verschwindet das Lächeln aus Gabriels Gesicht – und zwar schlagartig. Ihr Blick wird kalt. Gut, sagt sie, die SCC verweigere dem katalanischen Volk das Recht auf Selbstbestimmung, das auch in der Charta der Vereinten Nationen verankert ist. Sie hätten „Beziehungen zu Mitgliedern von Gruppierungen mit einer faschistischen Ideologie“. Da verwundere es nicht, dass Menschen, die mehr Demokratie in Katalonien wollen, „reagieren“, wenn sie einen Stand der SCC und in der Nähe Rechtsextreme sehen.
Rechte mischen mit
Auf den Videos eines SCC-Auftritts sind tatsächlich in einiger Entfernung mehrere Glatzköpfe zu sehen. Aber das war nur bei einer Veranstaltung, gestört wurden ebenso SCC-Auftritte, bei denen keine Rechtsextreme in der Nähe waren.
Arenas sagt auch, er habe die anwesenden Polizisten gebeten, sich zwischen die SCC-Leute und die Rechtsextremen zu stellen, damit diese isoliert blieben. Zudem haben sich er und seine Organisation von „Nazis“ und „Faschisten“ distanziert. „Aber in dem Moment, in dem du dich gegen die Sezession stellst, bist du für viele Unabhängigkeitsbefürworter automatisch ein Faschist“, klagt Arenas. Schweiß perlt von seiner Stirn. Es ist heiß in seinem Büro, obwohl der Ventilator vor seinem Schreibtisch läuft. Und die Debatte setzt ihm zu, weil die Fronten so verhärtet sind.
„Wie tief der Riss in der katalanischen Gesellschaft ist, hat die Reaktion auf die Attentate offengelegt“, sagt er. Die Regionalregierung habe diese Tragödie missbraucht, um der Welt zu demonstrieren, dass Katalonien wie ein eigener Staat funktioniert. Dabei habe die Regionalpolizei nach der Explosion eines Hauses der Terroristen am Tag vor den Attentaten zu spät erkannt, dass dort Anschläge vorbereitet wurden. Und sie hätten der Guardia Civil nicht gestattet, dort zu ermitteln.
In Arenas’ Regal steht ein juristisches Fachbuch neben dem anderen. Sogar der „Schönfelder“, ein roter Plastikordner mit deutschen Gesetzen. „Weil wir Spanier alle eine politische Gemeinschaft bilden, haben die Bürger aus Huelva, aus Madrid oder Galicien zum Beispiel das Recht, nach Katalonien zu ziehen, hier zu leben, zu arbeiten und das Regionalparlament zu wählen“, sagt der Jurist.
Im Moment würden sie automatisch wie Inländer behandelt. „Durch eine Abspaltung könnten diese Bürger ihre Rechte verlieren.“ Deshalb müssten sie zustimmen, dass es eine Sezession gibt. „Man darf nicht der Gesamtheit der Spanier ein Recht nehmen, ohne sie zu befragen.“
Auf Arenas’ Schreibtisch stapeln sich auch Standardwerke zum Völkerrecht. Die braucht er für die Debatte über Katalonien. „Den Teil des Selbstbestimmungsrechts der Völker, der auch das Recht auf Sezession beinhaltet, gibt es in den internationalen Verträgen und UN-Resolutionen nur für Kolonialvölker oder wenn die Grundrechte systematisch und schwerwiegend verletzt werden“, sagt Arenas. Und die Katalanen lebten schließlich in Spanien, einer Demokratie.
Katalanen fühlen sich benachteiligt
Dennoch halten sich viele Katalanen für unterdrückt. „Wenn du vor Gericht stehst und auf Katalanisch mit der Justiz kommunizieren willst, sprechen weniger als 5 Prozent der Richter auf Katalanisch oder fassen die Urteile darin ab“, sagt Anna Gabriel. Für viele Separatisten gibt es auch bei den von Madrid gesteuerten Polizeikräften eine „kulturelle Unterdrückung“ des Katalanischen.
„Ich lache mich kaputt, wenn ich das höre“, sagt Arenas dazu. „Meine Kinder haben wie die meisten Katalanen Spanisch als Muttersprache. Dennoch hören sie seit dem Kindergarten nur Katalanisch, außer in den Spanischstunden, die mit sechs Jahren begonnen haben. Wo bitte sehr ist die Unterdrückung?“ In der Verwaltung der Region sei Spanisch auf ein Minimum reduziert worden. „Zu wollen, dass die Leute Spanisch vergessen, das finde ich pervers“, sagt Arenas.
Anna Gabriel weist solche Pläne weit von sich. Sie verspricht eine „Vorzugsbehandlung“ für das Spanische, weil es für so viele Katalanen die Muttersprache ist.
Vorzugsbehandlung ist aber nicht Gleichberechtigung. Jedenfalls verdrängt Gabriel das Spanische zuweilen eigenhändig und mit Genuss. Für sie ist die Sprache auch ein Mittel, Macht zu demonstrieren. Arenas habe an der Uni seine Vorlesungen immer auf Spanisch gehalten, erzählt sie. „Ich habe ihm immer auf Katalanisch Fragen gestellt. Und er hat immer auf Katalanisch geantwortet. Das hat mich immer gefreut, weil es mir gezeigt hat: Hier befehle ich.“ | 14 |
0 | »Es ist ganz vernünftig,« sagte die Gräfin ruhig, ohne jedoch zu ihr
aufzusehen, »daß wir die Sache von beiden Seiten betrachten; wir wissen
dann Beide gleich besser, woran wir sind. Wenn Du Dich also weigerst,
wird Herr von Pulteleben augenblicklich ausziehen und das Geschäft
aufgeben -- das versteht sich von selbst. So wie _er_ aber aus dem Hause
ist, kannst Du auch versichert sein, daß unsere Gläubiger wie ein
Rabenschwarm über uns herfallen, und das Resultat ist dann sehr einfach:
wir müssen ausziehen -- wohin? wirst Du vielleicht angeben können
-- unsere Möbel und Sachen werden öffentlich verauctionirt und Deine
Mutter verläßt mit ihren Kindern in Schande und Spott einen Platz, in
dem sie bis jetzt wenigstens eine achtbare Stellung gehalten. Hab' ich
Recht oder nicht?« | 15 |
1 | Syriens Herrscherfamilie: Streit im Hause Assad
Bisher hielt der Clan um Syriens Diktator Baschar al-Assad zusammen. Doch nun wird der milliardenschwere Cousin aus dem inneren Zirkel gedrängt.
Assads Cousin Machluf soll den lukrativen Konzern Syriatel abgeben – hier eine Filiale in Deraa Foto: Khaled al-Hariri/Reuters
KAIRO taz | Es ist ein Konflikt, der einen seltenen Einblick in die geheimnisumwobene Welt des inneren Kreises des syrischen Regimes gibt. Im Zentrum des Disputs steht Rami Machluf, der milliardenschwere Cousin des syrischen Diktators Baschar al-Assad. Sein Vermögen hat er durch seine Nähe zum Regime verdient und hat damit in den letzten Jahren dessen Kriegsmaschinerie geschmiert. Die USA und die EU haben Sanktionen gegen ihn verhängt.
Doch nun ist Machluf bei Assad in Ungnade gefallen. Die syrischen Behörden haben das Guthaben des Milliardärs, seiner Frau und seiner Kinder beschlagnahmt, wie am Dienstag bekannt wurde. Außerdem wird er für fünf Jahre von allen staatlichen Verträgen ausgeschlossen. Machluf bezeichnete das in einem Facebook-Post als illegal.
Zunächst wurde Machluf noch im Verborgenen unter Druck gesetzt, seinen Goldesel, den Besitz des größten syrischen Mobilfunkanbieters Syriatel aufzugeben. Machluf setzte sich auf ungewöhnliche Art zur Wehr: Er ging via Facebook mit Videobotschaften an die Öffentlichkeit, zuletzt am vergangenen Sonntag.
Darin spricht der reichste Geschäftsmann Syriens mit sanfter, geradezu Bescheidenheit heuchelnder Stimme. „Meine Firma ist eine der erfolgreichsten Firmen in Syrien und vielleicht sogar der gesamten arabischen Welt. Es ist ein Sünde, diese zu ruinieren“, erklärt er.
Schon vor Wochen haben die syrischen Sicherheitskräfte begonnen, einige seiner Manager zu verhaften. „Eure Methoden schüchtern die Angestellten ein, einige haben Angst, andere wollen nicht mehr zur Arbeit kommen“, beschwert er sich und warnt gleichzeitig: „Das ist eine Katastrophe für die gesamte syrische Wirtschaft.“
Das hielt die Behörden aber nicht davon ab, Machlufs Vermögen zu beschlagnahmen. In einem Brief des Finanzministeriums hieß es, die Regierung wolle sich Garantien sichern, dass Machluf die Steuern bezahlt, die er dem Staat aus seinen Geschäften mit der syrischen Telekom schuldig sei – laut Behörden mehr als 230 Milliarden Syrische Pfund, umgerechnet etwa 120 Millionen Euro.
Ende des Triumvirats
In Syrien herrschte bisher eine Art Triumvirat aus dem Präsidenten Baschar al-Assad, dessen Cousin Machluf, der sich um die Finanzen kümmerte, und Assads Bruder Mahir al-Assad, der eine Eliteeinheit der Armee befehligt und selbst ein Geschäftskonglomerat sein Eigen nennt. In Medien und sozialen Netzwerken kursiert die Theorie, dass der Präsidenten-Bruder Mahir nun den Präsidenten-Cousin Rami Machluf aus dem inneren Zirkel hinausdrängen will. Dabei habe er offensichtlich die Zustimmung des Präsidenten selbst.
Andere Stimmen behaupten, der Ausschluss Machlufs aus dem inneren Regimezirkel erfolge auf Wunsch des Kremls. Russlands Präsident Wladimir Putin, ohne dessen militärische Unterstützung das Assad-Regime die letzten Jahre nicht überlebt hätte, sehe die offene Korruption und Zurschaustellung von Machlufs Reichtum als eine zunehmende Belastung in einem Land, in dem laut UN-Angaben 80 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben.
In seiner Videobotschaft vom Sonntag erklärte Machluf, dass er zugestimmt habe, die noch ausstehenden Steuern zu bezahlen. In einem Brief erklärte er, dass seine Firma sofort bereit sei, die erste Rate zu bezahlen, gemäß der Liquidität seiner Firma. Seine Anteile an Syriatel wolle er aber nicht abgeben. „Wer auch immer glaubt, dass ich mich unter diesen Umstände zurückziehe, der kennt mich nicht“, hatte Machluf verkündet. | 16 |
0 | 88: Seit 1437 führen öfter mehrere die Bezeichnung Ältermann. Man
unterscheidet dann nicht zwischen dem Ältermann und den
Beisitzern. HR. II 3 S. 174, n. 288 § 10, Hans. U. B. VIII n. 35,
215 § 53. | 17 |
1 | Neue Regeln für Beamt:innen: Kein Tattoo, kein Kopftuch
Für Beamt:innen gelten bald neue Regeln zum Erscheinungsbild. Obwohl diese in die Grundrechte eingreifen, wurden sie ohne Debatte beschlossen.
Das sieht interessant aus, aber um Richter zu werden, müsste alles weg Foto: Laurie Dieffembacq/dpa
FREIBURG taz | Für Beamt:innen gelten bald neue Regeln zum äußeren Erscheinungsbild. Auffällige Tattoos und Piercings sind künftig ausdrücklich verboten. Das Gesetz, das von Bundestag und Bundesrat geräuschlos beschlossen wurde, soll auch neue Kopftuchverbote rechtfertigen.
Das „Gesetz zur Regelung des Erscheinungsbilds von Beamtinnen und Beamten“ greift deutlich in die Grundrechte von 1,7 Millionen Beamt:innen in Deutschland ein. Dennoch wurde es im Bundestag ohne jede Debatte beschlossen. Weder bei der ersten Lesung am 4. März noch beim endgültigen Beschluss am 22. April gab es einen einzigen Redebeitrag. Am Freitag stimmte nun auch der Bundesrat zu, wieder ohne Diskussion.
Auslöser für das Gesetz war der Fall eines rechtsextremen Polizisten aus Berlin. Dessen Nazi-Tattoos führten zwar dazu, dass er wegen fehlender Verfassungstreue aus dem Dienst entfernt werden konnte. Das Bundesverwaltungsgericht merkte jedoch 2017 an, dass eine gesetzliche Grundlage für das Verbot auffälliger Tätowierungen fehlt. Verwaltungsinterne Erlasse seien nicht ausreichend.
Diese Lücke haben Bundestag und Bundesrat nun geschlossen. Danach müssen Beamt:innen „hinsichtlich ihres Erscheinungsbildes Rücksicht auf das ihrem Amt entgegengebrachte Vertrauen“ nehmen. So können Tätowierungen, Schmuck und Symbole „im sichtbaren Bereich“ verboten werden. Auch die „Art der Haar- und Barttracht“ darf eingeschränkt werden. Entscheidendes Kriterium ist, dass die Erscheinungsmerkmale „durch ihre über das übliche Maß hinausgehende besonders individualisierende Art geeignet sind, die amtliche Funktion der Beamtin oder des Beamten in den Hintergrund zu drängen“. Diese vage Vorgabe wird im Einzelfall wohl noch für viel Streit sorgen.
Sichtbarkeit bemisst sich nach Sommeruniform
In der Begründung des Gesetzes heißt es, dass die Vorgaben auch für Fingernägel, Kosmetik, Ohrtunnel, Brandings und Dermal Implants gelten. Wann ein Körperschmuck „sichtbar“ ist, bemisst sich nach der Sommeruniform der Polizist:innen, zu der ein kurzärmeliges Hemd gehört. Danach sind Tattoos am Rücken oder Oberarm kein Problem. Aber bei Körperschmuck am Unterarm, an Händen, Hals und Kopf kann es Probleme geben.
Die neue Vorschrift im Bundesbeamtengesetz gilt für die 185.000 Bundesbeamt:innen in Ministerien und Bundesbehörden, zum Beispiel beim Bundeskartellamt. Ein weiterer Paragraf im Beamtenstatusgesetz erfasst auch die Beamt:innen in den Bundesländern (1,3 Millionen) und den Kommunen (187.000). Teilweise können Bundesministerien und Länder noch Einzelheiten regeln.
Brisant ist das Thema Religion
Besonders brisant sind Regelungen des Erscheinungsbildes, wenn es um „religiös- und weltanschaulich konnotierte Merkmale“ geht, wie das muslimische Kopftuch, das christliche Kreuz oder die jüdische Kippa. Diese sollen nur dann untersagt werden, „wenn sie objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die neutrale Amtsführung der Beamtin oder des Beamten zu beeinträchtigen.“
Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind generelle Kopftuchverbote bei Lehrerinnen und Erzieherinnen unzulässig. Bei Richterinnen hält Karlsruhe sie aber für möglich, wenn auch nicht zwingend notwendig. Für Polizei- und andere Beamt:innen gibt es noch keine Urteile.
Gesetzliche Ermächtigung für Kopftuchverbote
Die Gesetzesänderung schafft hier nun zumindest eine gesetzliche Ermächtigung für Kopftuchverbote, die in den meisten Bundesländern bisher nicht bestand. Dagegen sind Gesichtsverhüllungen wie Burkas bereits seit 2017 in beiden Gesetzen verboten.
Ein dritter Komplex betrifft die Rechte von Soldat:innen. Auch hier gab ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts den Anlass. 2019 klagte ein Soldat, der sich als Gothic-Fan die Haare lang wachsen lassen wollte, gegen den Haar- und Bart-Erlass der Bundeswehr. Er sah sich diskriminiert, weil Soldatinnen durchaus lange Haare haben dürfen. Das Leipziger Gericht forderte auch hier eine gesetzliche Regelung.
Nun gibt es also eine ausdrückliche Regelung im Soldatengesetz. Sie entspricht weitgehend den Vorgaben für Beamt:innen, weist aber eine ausdrückliche Sonderregelung zur Ungleichbehandlung von Männern und Frauen auf: „Soweit Frauen in den Streitkräften unterrepräsentiert sind, können die Vorgaben zum Erscheinungsbild von Soldatinnnen, insbesondere zur Haartracht und zum Tragen von Schmuck, als eine zulässige Maßnahme zur Förderung von Frauen in der Bundeswehr von den Vorgaben für Soldaten abweichend geregelt werden.“
Petition für „gesellschaftliche Vielfalt“
Das Gesetz wurde im Bundestag mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und AfD beschlossen. Die Linke stimmte dagegen, FDP und Grüne enthielten sich.
Kurz vor der Beschlussfassung im Bundesrat bekam das Projekt dann doch noch öffentliche Aufmerksamkeit. Die Frankfurter Jurastudentin Rabia Küçüksahin startete eine Petition gegen drohende Kopftuchverbote und für „gesellschaftliche Vielfalt“ im öffentlichen Dienst. Sie erhielt binnen weniger Tage 164.000 Unterschriften.
Im Bundesrat griff dies nur der Thüringer Kultusminister Benjamin-Immanuel Hoff (Linke) auf: „Ich kann nicht über Diversität reden und gleichzeitig sagen, dass bestimmte religiöse Symbole nicht möglich sind.“ Kein anderes Bundesland reagierte auf seinen Einwand. Das Gesetz tritt nach der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt in Kraft. | 18 |
0 | Diese Antwort ist ein kostbarer Beitrag für die Kenntnis der Art
und Weise, wie in Niederländisch-Indien die Verwaltung gehandhabt
wird. Der Herr Slymering beklagte sich, »dass Havelaar ihm von der
Sache, die vorkäme in dem Briefe No. 88, nicht erst mündlich Kenntnis
gegeben hätte«. Natürlich weil dann mehr Möglichkeit gewesen wäre, zu
»schipperen«. Und weiterhin: »dass Havelaar ihn in seinen dringenden
Geschäften störe«! | 19 |
0 | Was hiermit nunmehr vorhanden ist, ist das _Vermittelte_, zunächst
oder gleichfalls unmittelbar genommen auch eine _einfache_ Bestimmung,
denn da das Erste in ihm untergegangen, so ist nur das Zweite
vorhanden. Weil nun auch das Erste im Zweiten _enthalten_, und
dieses die Wahrheit von jenem ist, so kann diese Einheit als ein Satz
ausgedrückt werden, worin das Unmittelbare als Subjekt, das
Vermittelte aber als dessen Prädikat gestellt ist, z.B. _das
Endliche ist unendlich, Eins ist Vieles, das Einzelne ist das
Allgemeine_. Die inadäquate Form solcher Sätze und Urtheile aber
fällt von selbst in die Augen. Bei dem _Urtheile_ ist gezeigt worden,
daß seine Form überhaupt, und am meisten die unmittelbare des
_positiven_ Urtheils unfähig ist, das Spekulative und die Wahrheit in
sich zu fassen. Die nächste Ergänzung desselben, das _negative_
Urtheil müßte wenigstens ebenso sehr beigefügt werden. Im Urtheile
hat das Erste als Subjekt den Schein eines selbstständigen Bestehens,
da es vielmehr in seinem Prädikate als seinem Andern aufgehoben ist;
diese Negation ist in dem Inhalte jener Sätze wohl enthalten, aber
ihre positive Form widerspricht demselben; es wird somit das nicht
gesetzt, was darin enthalten ist; was gerade die Absicht, einen Satz
zu gebrauchen, wäre. | 20 |
1 | Brief an eine iranische Journalistin: An meine Schwester im Gefängnis
Weil die iranische Journalistin Elahe Mohammadi über den Tod von Jina Mahsa Amini berichtete, ist sie in Haft. Ihre Schwester schrieb ihr einen Brief.
Die beiden verhafteten Journalistinnen Nilufar Hamedi and Elahe Mohammadi auf einer Zeitung Foto: Atta Kenare/afp/getty images
Es ist viele Jahre her, dass ich dir einen Brief geschrieben habe. Als wir Kinder waren und uns wieder einmal gestritten haben, riet uns unsere Mutter, einander zu schreiben, um uns zu versöhnen. Deshalb gab es nach jedem Streit zwei Briefe; ich schrieb einen für dich und du einen für mich. Seitdem sind viele Jahre vergangen. Wir haben uns nicht mehr gestritten, sodass es nicht mehr nötig war, einen Brief zu schreiben.
Aber jetzt ist es an der Zeit. Du bist nun seit vierzig Tagen von mir getrennt. Von mir, von deinem Mann Said, unserer Schwester Elham und unseren Eltern. In dieser Zeit fiel es mir schwer, dir zu schreiben. Ich habe in den Spalten der Zeitung über dich geschrieben, aber auch da fehlten mir die Worte, und am Ende habe ich stets einen unfertigen Text an den Redakteur geschickt.
Die Worte waren immer meine engsten Verbündeten, aber jetzt lassen sie mich im Stich. Die Worte, die mir jahrelang geholfen haben, über die Frauen dieses Landes zu schreiben, haben jetzt beschämt den Kopf gesenkt und wollten mir nicht mehr helfen. Wie soll man über die Leere schreiben, die du hinterlassen hast? Du warst nie von mir getrennt, seit wir gemeinsam im Mutterleib aufgewachsen sind. Du, die du meine engste und wichtigste Unterstützerin bist, seit wir auf der Schulbank saßen und uns gegenseitig gehänselt haben. Deine Güte war so ehrlich, so vorbehaltlos und so grenzenlos, dass nur der Gedanke an sie mich jetzt vor dir verneigen lässt.
Du bist nicht mehr hier
In diesen vierzig Tagen habe ich daran gedacht, dass ich nicht so freundlich zu dir war, wie ich es hätte sein sollen. Dass ich deine Zuneigung nicht so erwidert habe, wie ich es hätte tun müssen. Jetzt denke ich daran, wie ich vierzig Tage ohne dich überhaupt überstanden habe. Wie konnte ich jeden Tag aufwachen, zur Arbeit gehen, schreiben, das Word-Dokument schließen, zu Abend essen und schlafen? Wie konnte ich jede Nacht in meinem weichen Bett einschlafen, während du auf den Teppichen in den Räumen des Evin-Gefängnisses einen unruhigen Schlaf hattest? Wie habe ich im selben Augenblick die Speisen gegessen, die dir am liebsten waren?
Das sind wiederkehrende, müßige Fragen. Anfangs habe ich mit anderen darüber gesprochen, aber jetzt sehe ich keinen Sinn mehr, darüber zu reden. Die Menschen sind von vielen Dingen belastet. Wenn ich dann über meine Schmerzen spreche, wird mir das manchmal peinlich. Du, meine beste Freundin, bist nicht mehr hier, und ich habe dir viel zu erzählen. Aber unsere Gespräche können bis zum Tag deiner Freiheit warten. Bis zu dem Tag, den ich voller Aufregung erwarte.
Millionen von neuen Freunden
Und du? Was denkst du in diesen Tagen? Machst du dir wieder einmal Sorgen um andere? Machst du dir Sorgen um deine Situation, brennst du mit der dir eigenen Eile darauf, dass deine Situation so schnell wie möglich geklärt wird? Weinst du nachts? Denkst du an deine Freunde und vermisst sie? Denkst du noch an die Menschen, denen du geholfen hast, ihnen das Leben erträglicher zu machen? Was machst du in den langen Minuten des Gefängnisses, meine Liebe? Ich wünschte, du würdest früher kommen, damit mein Kopf nicht vor lauter unbeantworteten Fragen birst.
Vier Monate Aufstand im IranDie iranische Journalistin Elahe Mohammadi sitzt im Gefängnis und wartet auf ihren Prozess. Sie war im September in die iranische Stadt Saqez gereist, um über die Beerdigung von Jina Mahsa Amini zu berichten, die in Polizeigewahrsam vermutlich an Folgen von Misshandlung gestorben war. Mohammadi wurde am 29. September 2022 festgenommen. Ihr wird vorgeworfen, für die CIA zu arbeiten und eine „primäre Nachrichtenquelle für ausländische Medien“ zu sein. Nach vierzig Tagen schrieb ihre Zwillingsschwester ihr einen Brief, der seitdem in den sozialen Medien zirkuliert. Wir veröffentlichen ihn erstmals auf Deutsch.Seit dem Tod Aminis halten die Proteste an. Mittlerweile sind die Demonstrationen abgeflaut, aber Ruhe ist in der Islamischen Republik nicht eingekehrt. Trotz der Niederschlagung durch das Regime kommt es weiter zu Streiks und Protesten. Mehr als 500 Menschen sollen mittlerweile getötet worden sein. Der Aufstand geht in seinen fünften Monat.Mindestens 88 Journalist*innen wurden seit September festgenommen, berichtete die NGO Committee to Protect Journalists. Es wurden knapp 20.000 Personen festgenommen, von denen einige wieder auf freiem Fuß sind.Das Regime setzt auch auf Einschüchterung durch Hinrichtungen. Vergangene Woche fielen mehrere Todesurteile. Am 7. Januar waren erneut zwei Demonstrationsteilnehmer hingerichtet worden. Damit liegt die Zahl der Hinrichtungen im Zusammenhang mit dem Aufstand bei vier. (hag)
Wenn du zurückkommst, habe ich gute Nachrichten für dich. Du triffst gerne auf neue Menschen, du bist aufgeschlossen und immer offen für neue Freunde, und an dem Tag, an dem du zurückkommst, werde ich dir sagen können, dass du Millionen von neuen Freunden gefunden hast. Freunde, denen du nie begegnet bist, die deinen Zustand aber jeden Tag mit Sorge verfolgt haben und sagen, dass sie stolz auf dich sind. Im Gegensatz zu jener Minderheit von Menschen schauen sie mir nicht zweifelnd in die Augen und denken nicht, dass du etwas wirklich Schlimmes getan haben musst, weil du jetzt im Gefängnis bist.
Papa vergießt Tränen für dich
Wenn du etwas über unsere Eltern wissen willst, dann kann ich sagen, dass sie uns wie immer stolz gemacht haben. Unsere Mutter hat nicht ein einziges Mal geweint. Du weißt, wie stark sie ist. Nur, als in dieser verdammten Nacht in Evin das Feuer ausgebrochen ist, hat sie Gott das Versprechen abgerungen, dass er dich sicher zu ihr zurückbringt, und „ihr Gott“ hat dich vor dem Tod bewahrt. Jeden Tag betet sie zu Gott, dass alle Gefangenen gerettet werden, und am Ende erwähnt sie auch deinen Namen. Unsere Mutter ist viel stärker, als wir all die Jahre dachten, Elahe, wusstest du das? Papa vergießt manchmal Tränen für dich, er fragt mich: „Liebe Tochter, wann kommt Elahe zurück?“ Er sagt: „Warst du nicht Elahes Redakteurin? Warum antwortest du nicht?“ Und er bittet mich, alles zu tun, damit du früher zurückkommst, aber ich kann nichts tun, ich habe keine Antwort für ihn, es quält mich.
Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich als deine Redakteurin deiner Reise nach Saqez zum Begräbnis Mahsa Aminis zugestimmt habe. Ich wünschte, ich wäre taub dafür gewesen und hätte nicht zugestimmt. Said, dein besonnener und geduldiger Ehemann, ist so stark wie immer und wir sind alle stolz auf ihn. Dein lieber Partner seit zwölf Jahren ist mit derselben Sanftheit, die du von ihm kennst, ruhelos, aber jeden Tag stärker und widerstandsfähiger.
Komm bald zurück
Elham und ich haben unsere liebe Schwester, den ruhigen Hafen unserer Rastlosigkeit, die Besitzerin des schönsten Lachens, seit vierzig Tagen nicht mehr gesehen. Wir haben von dir gelernt, geduldig zu sein. Du warst das geduldige und bedachte Mädchen unserer Familie. Ohne dich, deine Stimme, deine Anwesenheit, ist das Leben schwer. Es ist sehr schwer.
Komm bald zurück und bringe Licht in diese dunklen Tage. Mach dieses Leben wieder hell. Ich vermisse es, dein schönes Gesicht zu sehen. Komm bald wieder.
Aus Farsi: Kourosh Ardestani | 21 |
1 | Auswanderungsland Ukraine : Auf dem Sprung
„Ukraine voran“ verkünden die Werbetafeln auch nach der Fußball-Europameisterschaft. Doch viele junge Menschen wollen das Land einfach nur verlassen.
„Wir sind nicht alle blöd“: junge Frau in Kiew. Bild: reuters
BERDITSCHEW/KIEW/STYJ taz | Wie hält sie das bloß aus bei sechsunddreißig Grad im Schatten? In Winterjacke, schweren Stiefeln und mit wollenem Kopftuch steht sie da, klein und zerbrechlich wie ein junges Mädchen. Zwischen meterhohem Fenchel und umgestürzten Grabsteinen hatte sie auf der Lauer gelegen.
„Der Rabbi ist gerade in Amerika“, sagt die alte Frau. Wie Ackerfurchen durchziehen Falten das Gesicht der Ukrainerin, eisblaue Augen verstecken sich zwischen den Kratern. Wer das Grab des Zaddik Levi Jizchak sehen wolle, müsse den Friedhofswärter anrufen, sagt sie. Jemand hat die Telefonnummer auf eine Holztafel gepinselt.
Die Alte bindet sich das Kopftuch fester ums Kinn, sichtlich enttäuscht, dass die Gäste keine Anstalten machen, den Wärter endlich anzurufen. Sie will keine Zeit verlieren, also zieht sie die Besucher zu sich in den Schatten und beginnt zu erzählen: „Ich bin jetzt fünfundachtzig. Im Krieg war ich Krankenschwester. Damals haben sie die Juden aus der Stadt vertrieben, und ich hab mir eins ihrer Häuser genommen. Eigentlich hat sich nicht viel geändert seit damals. Im Winter ist es immer noch kalt im Haus. Gegen Ende des Krieges haben sie uns dann bombardiert. Das war schlimm, aber ich habe meine beiden Kinder trotzdem durchgebracht. Aber der Sohn ist schon gestorben und die Tochter bei einem Autounfall umgekommen. Jetzt habe ich nur noch meine Enkeltochter. Aber sie ist eine Narkomanka und nimmt Drogen. Sie ist doch erst zweiundzwanzig und hat selbst schon ein Kind. Aber ich kümmere mich um sie.“
Die Alte erbittet ein paar Scheine für die Geschichte. Ein Euro zehn verschwindet in ihrer Tasche. „Möge das erste Kind ein Sohn sein“, wünscht sie zum Abschied.
Zentrum der Schtetlkultur
Berditschew war vor dem Zweiten Weltkrieg eine bekannte Handelsstadt und galt als Zentrum der Schtetlkultur. Heute ist nicht viel übrig vom alten Glanz. 90.000 Einwohner hat die Stadt heute. Zwei Synagogen gibt es, auch noch ein paar Hundert Juden, viele von ihnen sind alt, fast niemand geht mehr in den Gottesdienst. Auch deshalb ist die Synagoge im Zentrum inzwischen geschlossen worden.
An einer Ausfallstraße der Stadt haben orthodoxe Juden aus Brasilien und den USA eine Schule für jüdische Mädchen gegründet. Die Schülerinnen lernen Englisch und erhalten eine Ausbildung nach amerikanischem Vorbild. Viele von ihnen verlassen danach die Ukraine, gehen in die USA oder nach Israel und kehren nicht zurück. Die Armut ist so groß, dass viele ihr Judentum vor allem als Sprungbrett in den Westen begreifen – oder es gar nur vortäuschen, ähnlich der Alten auf dem Friedhof.
50 Cent für ein großes Bier
Dennoch pulsiert das Leben in Berditschew . Es spielt sich im Sommer rund um den Schewtschenko-Park ab. Familien treffen sich zum Ausflug mit dem Kinderwagen. Rentner sitzen auf Bänken und besprechen das Tagesgeschehen. Sobald es dämmert, verwandelt sich die Szenerie. Herausgeputzte junge Mädchen stöckeln auf turmhohen Absätzen über vom Frost zerfetzte Gehwege. Aus der Ferne könnte man sie für Mitte dreißig halten, aber sie sind kaum älter als sechzehn.
Noch in der Abendsonne schmilzt der Straßenbelag. Die wie aus Hochglanzmagazinen entstiegenen Schönheiten haben Mühe, nicht im schwarzen Brei stecken zu bleiben. Braungebrannte Jungen umtänzeln die Mädchen wie Rudel junger Hunde. Gebalzt und getrunken wird bis in den frühen Morgen.
Anton hat seine Freude daran. Gegenüber der beliebten Bar Olimp betreibt er einen Bierausschank. Fünf Griwna, also etwa 50 Cent, kostet bei ihm der halbe Liter. Es gibt fünf Sorten Bier vom Fass und Kwass, ein Brotgetränk, als alkoholfreie Variante. In den Auslagen unter der nagelneuen Zapfanlage liegt getrockneter Tintenfisch in kleinen Tüten. Stockfische gibt es auch als Snack. „Ich hab gerade erst geheiratet“, sagt Anton. „Das ist zwar nicht mein eigener Laden, er gehört der Brauerei, aber ich mach die Arbeit gern, und Geld kommt auch rein.“
Einen kleinen Nachteil habe der Job, meint der 26-Jährige: Jeden Abend müsse er pünktlich zu Hause bei seiner Frau sein, denn da warte sie schon mit dem Essen. Jeden Abend ausgehen könne er nicht. Anton lacht und verschwindet in einer dunklen Tür hinterm Tresen. Bierfässer sind zu wechseln. Eine Kollegin hütet inzwischen den Laden. Kunden strömen herein und warten geduldig. Aber Anton kommt nicht. Die blondierte Kollegin feilt sich die roten Nägel und versteckt sich hinter einer Pyramide von Wodkaflaschen. Schon rebellieren die Kunden. Doch Anton bleibt weg. Er kann es sich leisten.
„In Deutschland sind die Straßen ohne Löcher“
Die Schnellstraße nach Kiew ist ein Wunder – für die Fußball-EM wurde sie frisch asphaltiert. Sie ist nun eben wie ein Brett. Tankstelle folgt auf Tankstelle. Der Sprit habe hier Euroqualität, verkündet die Werbung. In der Hauptstadt drängen sich die jungen Leute in den Nebenstraßen des Chrescatyk. An der Prachtstraße im Stadtzentrum dehnte sich vor wenigen Wochen noch die EM-Fanmeile.
Alexandra und Bogdan sitzen auf einer Bank im Schatten eines Hochhauses. Sie kauen an einer Hand voll Sonnenblumenkerne, die Bogdan aus seiner Hosentasche gepult hat. „Wenn ich könnte, würde ich wieder nach Deutschland gehen“, sagt Alexandra. „Ich hab Deutsch gelernt vor zwei Jahren und war in Köln und Bonn. Da sind die Straßen ohne Löcher, alles hat seine Ordnung.“
Bogdan klagt über die Politik in der Ukraine: „Um ins Parlament zu kommen, zahlen die Reichen eine Million und dann sitzen sie da und machen, was sie wollen. Da kommen wir doch gar nicht ran. Denen sind nur Geld, große Autos und schöne junge Mädchen wichtig.“
Bogdan und Alexandra studieren Jura und wollen später gutes Geld verdienen. Siebenhundert Euro wären drin pro Monat, ein Spitzengehalt. Ein Lehrer habe nicht mehr als zweihundert. Witali, ein Freund, mischt sich ein: „Ich werde später Autos bauen, wenn ich fertig bin mit dem Studium. Juristen und Wirtschaftsexperten haben wir genug hier. Ins Ausland gehe ich nicht, ich bleib lieber hier in der Ukraine.“
Ein junges Mädchen schwebt auf teuren Schuhen vorbei. Ihr Kleid ist sicher mehr wert als drei Monatslöhne. Alexandra schaut ihr hinterher und sagt: „Die Reichen und die Ausländer sind bei uns immer nur hinter den Mädchen her. Die denken, jede ist zu haben für ein paar Klamotten und eine Fahrt im SUV. Aber weißt du was, das wird sich ändern. Wir sind nicht alle so blöd.“
Der reichste Mann der Ukraine
Stryj hat eine feine, glatte Straße, die sich einmal quer durch das Städtchen in der Westukraine zieht. Zufällig endet sie an einem Hotel Spa, das den Namen „Gold der Karpaten“ trägt. Große, teure Autos stehen davor, zugelassen in Russland und Deutschland. Ein einfaches Doppelzimmer kostet fünfundfünfzig Euro. Ohne Frühstück. Gelangweilt schenkt die Dame an der Rezeption den Besuchern die gerade noch nötige Aufmerksamkeit.
Ein Bestatter, etwa Mitte 40, gekleidet in kurzen Hosen und Unterhemd, bietet mitten auf der Kreuzung vor dem Hotel seine Dienste als Stadtführer an. Seinen Namen will er nicht nennen. Im Gespräch gibt er sich mit Deutschland vertraut, hat sogar Freunde in Saarbrücken. Die Unterhaltung mäandert vom Vergleich ukrainischer und deutscher Straßen zu den Unterschieden der Politik der beiden Länder.
Und ein Geheimnis wird gelüftet. „Wisst ihr, wem wir die schöne neuen Straße durch Stryj zu verdanken haben?“, der Bestatter blickt wissend in die Runde. „Rinat Achmetow, der reichste Mann der Ukraine, hat sie seinen russischen Freunden geschenkt. Damit die auf dem Weg in sein neues Spa bei Truskavets nicht immer mit Reifenpanne liegen bleiben. Früher war die Straße ein Graus. Aber jetzt, schaut mal, eben und ordentlich wie in Deutschland. Achmetow kennt sich aus. Der hat immer die richtigen Freunde, egal wer gerade an der Macht ist.“
Der Bestatter hat eine Idee, springt hastig in seinen weißen Transporter und pflügt über rote Ampeln hinweg zum Stadtrand, die potenziellen Stadtführungsgäste immer im Schlepptau. An einer Ausfallstraße endet die Hatz vor einem ukrainischen Restaurant. „Kommt, lasst uns hier essen“, sagt er honigsüß, „Ich zahle, und ihr gebt mir einfach euren Anteil in Euro.“
Den Besuchern ist die Sache nicht geheuer, sie lehnen die Einladung höflich ab. Der Bestatter ist enttäuscht. Er schwingt sich wieder hinters Lenkrad und prescht mit Vollgas davon. Die Armut macht das Leben hier für viele zu einem permanenten Ausnahmezustand. Der frische Asphalt von Stryj glänzt golden in der Abendsonne.
Von großen Straßenplakaten lächelt siegessicher Natalia Korolewska, eine junge aufstrebende Berufspolitikerin, herunter. Sie könnte die neue Julia Timoschenko sein. Sie ist 37 Jahre alt, will hoch hinaus und sieht Timoschenko sogar recht ähnlich. Aber hinter ihr soll der russlandtreue Staatspräsident Wiktor Janukowitsch stehen. Auf den Riesenwerbetafeln der diplomierten Organisationsmanagerin steht kaum Text, nur ein einfacher Slogan zieht sich quer übers Papier. Er lautet: „Ukraina wperjod – Ukraine voran!“ | 22 |
1 | Papst Franziskus im Irak: Werben um Aussöhnung
Der Besuch des Papstes zeigt, dass der Irak nach dem Krieg gegen den IS auch den Frieden gewinnen kann. Die Menschen im Land sind dazu bereit.
Ein Signal, nicht nur an die Gläubigen Foto: Ameer Al Mahammedaw/dpa
Der Irak ist ein gequältes Land. Seit Jahrzehnten leben die Menschen dort mit Krieg, Terror und gewaltsamen religiösen Konflikten. Die Terrororganisation „Islamischer Staat“ hatte den Nordosten des Landes regelrecht okkupieren und in der uralten Euphrat-Metropole Mossul das Hauptquartier ihres Schreckensregimes einrichten können. Man muss an diesen Hintergrund erinnern, um die Bedeutung ermessen zu können, die der Besuch des Papstes in den letzten vier Tagen im Irak hatte.
Nach all den Schreckensmeldungen der letzten Jahrzehnte war der Besuch von Papst Franziskus einmal eine wirklich gute Nachricht aus dem biblischen Land zwischen Euphrat und Tigris. Obwohl dort seit bald 2000 Jahren mit die ältesten christlichen Gemeinden überhaupt existieren, war Papst Franziskus jetzt der erste Papst, der sich die Mühe machte, sie zu besuchen. Doch seine Reise war weit mehr als ein überfälliger Besuch bei seinen gerade in den letzten Jahren so sehr gequälten Anhängern, sie war nicht weniger als ein historisches politisches Statement.
Der argentinische Papst machte an den Originalschauplätzen der drei monotheistischen Weltreligionen klar, dass Christentum, Islam und Judentum alle dieselben Wurzeln haben und Toleranz und Aussöhnung das erste Gebot zwischen den Gläubigen dieser Religionen ist. Anders als sein deutscher Vorgänger Ratzinger, der durch abfällige Zitate den Islam diskreditierte, traf Franziskus sich in einem bescheidenen Wohnhaus im Südirak mit dem schiitischen Ayatollah Sistani, um für die Aussöhnung zwischen den Gläubigen zu werben und den letzten versprengten Christen im Land die Unterstützung des wichtigsten schiitischen Klerikers zu sichern.
Aber Franziskus sendete mit seinen Auftritten in Ur, in Bagdad und im immer noch weitgehend zerstörten Mossul auch ein wichtiges allgemeines politisches Signal. Sein Besuch zeigt, dass der Irak nach dem Krieg gegen den IS auch den Frieden gewinnen kann. Die Menschen im Land sind dazu bereit, was noch fehlt, ist mehr internationales Engagement beim Wiederaufbau der zerstörten Städte. | 23 |
1 | Schiffsunglück in der Ägäis: Mindestens 33 Flüchtlinge sterben
Das Schiff kenterte auf dem Weg nach Lesbos. Unter den Opfern befinden sich auch mehrere Kinder. Dutzende weitere Insassen konnten gerettet werden.
Im türkischen Ayvacik machte sich das Schiff auf die Reise. Viele Passagiere kamen niemals an. Foto: ap
AYVACIK afp | Bei einem Bootsunglück in der Ägäis sind mindestens 33 Menschen ums Leben gekommen. 75 Menschen konnten nach Angaben der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu gerettet werden, nachdem ihr Boot am Samstagmorgen auf der Überfahrt von der türkischen Provinz Çanakkale zur griechischen Insel Lesbos kenterte. Unter den Opfern waren mehrere Kinder.
Wie ein AFP-Fotograf vor Ort berichtete, kamen die meisten der Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan. Demnach waren auch zwei Kleinkinder unter den Toten. Die Küstenwache suchte nach mehreren Vermissten.
Trotz des Winterwetters begeben sich immer noch jede Woche tausende Menschen auf die gefährliche Überfahrt in Richtung Europäische Union. Erst am Donnerstag waren 24 Flüchtlinge beim Untergang ihres Boots vor der griechischen Insel Samos umgekommen, am Mittwoch ertranken sieben Menschen.
Nach UN-Angaben kamen seit Beginn des Jahres mehr als 44.000 Flüchtlinge nach Griechenland, mehr als 200 Menschen verloren auf dem Weg ihr Leben oder gelten als vermisst. | 24 |
1 | Das Image von Lobbying ist geprägt von Unwissen und Vorurteilen. Die öffentliche Haltung hierzulande ist verkürzt gesagt: Wer Profite erwirtschaftet, macht sich gegenüber der Gesellschaft verdächtig. Zwar rüttelt niemand an den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland, doch Geldverdienen erscheint gerne verwerflich.
Deutschland braucht eine Debatte über Lobbyismus
Deutschland braucht eine Debatte darüber, was gute und was schlechte Interessen sind und wie man sie vertreten darf. Zur Verdeutlichung zwei Beispiele, die ein bestehendes Paradoxon vor Augen führen sollen:
Nehmen wir das Beispiel der Pharmaindustrie: In Reportagen wird regelmäßig das Bild einer Branche vermittelt, die hohe Gewinne auf dem Rücken der Patienten einfährt. Dass Arzneimittelhersteller Produkte mit einem wirklichen Mehrwert – nämlich für die Gesundheit der Menschen – auf Basis jahrelanger und teurer High-Tech-Forschung entwickeln und anbieten, wird dabei gerne vernachlässigt. Dagegen werden Organisationen wie Greenpeace oder Foodwatch nicht als Lobbyisten wahrgenommen, obwohl sie ebenfalls professionell agierende Interessensvertreter sind. Natürlich sind Ziele wie Nachhaltigkeit, Umweltschutz und saubere Lebensmittel unstrittig und verfolgenswert. Doch gleichzeitig ist die Gesellschaft auch auf eine funktionierende Wirtschaft angewiesen, deren Grundstein gesunde Unternehmen sind. Diese sind wiederum auf politische Rahmenbedingungen angewiesen, die ihnen ihre Geschäftstätigkeiten erlauben.
Anerkennung dafür, was Wirtschaft für die Menschen leistet
Die soziale Marktwirtschaft ist hierzulande gesellschaftlicher Konsens. Vor diesem Hintergrund ist es unabdingbar, dass die Wirtschaft mit der Politik darüber diskutiert, wie Rahmenbedingungen angepasst und verändert werden müssen. Die Entscheidungsträger im Deutschen Bundestag und in den Ministerien sind auf diesen Dialog angewiesen. Sie fordern ihn aktiv ein, um aus unterschiedlichen Blickwinkeln in Erfahrung zu bringen, wie sich die Industrie und Wirtschaft verändert und was die Unternehmen brauchen, um Arbeitsplätze zu schaffen oder zu erhalten.
Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten vom Externer Link: kranken Mann Europas zum Externer Link: German Wunder entwickelt – ein Erfolg, der sowohl politischen Reformen zu verdanken ist – an denen Interessenvertreter mitgearbeitet haben – als auch den Anstrengungen der Wirtschaft. Diese Leistung sollten wir anerkennen und zu schätzen wissen.
Klare Regeln für Lobbying
Vorurteile abzubauen und die politische Arbeit der Wirtschaft besser zu erklären ist richtig und wichtig, wäre aber zu kurz gedacht. Das Konzept Interessenvertretung muss insgesamt modernisiert werden, nicht zuletzt wegen der offensichtlichen Defizite wie beispielsweise beim Thema Transparenz.
Für manche vielleicht überraschend: Eine Public Affairs-Externer Link: Umfrage der Kommunikationsberatung MSL Germany zeigt, dass Lobbyisten selber mehr Transparenz breit befürworten. 19% können sich ein umfangreiches, verpflichtendes Register vorstellen, in dem z.B. Budgets, Personalstärke und Ziele angegeben werden. 65% sprechen sich für eine namentliche Registrierung aus, ohne die Erfassung weiterer Daten.
Wir sollten uns wieder bewusst machen, dass die Debatte um den richtigen Weg sowie die Suche nach Kompromissen der Kern einer jeden Demokratie ist. Nur im offenen Austausch von Positionen mit Experten aus NGOs, Wirtschaft und Wissenschaft kann Politik gute Gesetze für das Land schaffen. | 25 |
0 | Und doch war gleichzeitig ihre Seele wie in tiefer, schwerer,
unglücklicher Vergessenheit befangen; was sind Glück und Leben! von was
hangen sie ab? Was sind wir selbst, daß wir wegen einer lächerlichen
Fastnachtslüge glücklich oder unglücklich werden? Was haben wir
verschuldet, wenn wir durch eine fröhliche gläubige Zuneigung Schmach
und Hoffnungslosigkeit einernten? Wer sendet uns solche einfältige
Truggestalten, die zerstörend in unser Schicksal eingreifen, während sie
sich selbst daran auflösen, wie schwache Seifenblasen? | 26 |
1 | Bayerischer Verwaltungsgerichtshof: Kopftuchverbot bestätigt
Rechtsrefrendarinnen darf untersagt werden, in bayerischen Gerichten ein Kopftuch zu tragen. Gegen das Verbot hatte eine Juristin islamischen Glaubens geklagt.
Die klagende Studentin im Augsburger Gerichtssaal (Archivbild aus dem Jahr 2016) Foto: dpa
MÜNCHEN epd | An bayerischen Gerichten ist das Tragen religiöser Symbole für Richter oder Staatsanwälte untersagt – das gilt auch für Rechtsreferendarinnen mit muslimischem Kopftuch. Mit dieser Entscheidung hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in München am Mittwoch einem Urteil der Vorinstanz widersprochen. Eine Revision ist nicht zugelassen. Gegen das Kopftuchverbot hatte eine Augsburger Juristin islamischen Glaubens geklagt.
Die Muslimin Aqilah Sandhu hatte 2014 zu Beginn ihres juristischen Vorbereitungsdienstes eine gerichtliche Auflage bekommen, ihr Kopftuch „bei der Ausübung hoheitlicher Tätigkeiten mit Außenwirkung“ nicht zu tragen. In der Folge konnte sie gewisse Ausbildungsinhalte bei Gericht nicht wahrnehmen, so etwa das Beisitzen am Richtertisch.
Gegen diese aus ihrer Sicht „ungerechtfertigte Diskriminierung“ klagte Sandhu und bekam 2016 vom Augsburger Verwaltungsgericht recht.
Der Freistaat legte Bayern Berufung ein. Das äußere Erscheinungsbild dürfe „keinerlei Zweifel an der Unabhängigkeit, Neutralität und ausschließlicher Gesetzesorientierung aufkommen lassen“, begründete das Justizministerium den Schritt. | 27 |
0 | Martin Vogt
Bild 1/19 - Der aktuelle Polo ist die fünfte Generation des Kleinwagens
Martin Vogt
Bild 2/19 - Vorne besteht eine beträchtliche Ähnlichkeit zum aktuellen Golf der sechsten Generation
Martin Vogt
Bild 3/19 - Auch wenn das Bild anderes suggeriert: Die Fahrdynamik hält sich bei der 60-PS-Variante in Grenzen
Martin Vogt
Bild 4/19 - Der aktuelle Polo ist die fünfte Generation des Kleinwagens
Martin Vogt
Bild 5/19 - Blick auf den Fahrer-Arbeitsplatz
Martin Vogt
Bild 6/19 - Die Bedienelemente des Radios und die Schalter darüber wirken hochwertig
Martin Vogt
Bild 7/19 - Die Rundinstrumente machen einen guten Eindruck, die digitale Benzinanzeige weniger
Martin Vogt
Bild 8/19 - Handschmeichelnde Schalter, aber Hartplastik auch an den Türen
Martin Vogt
Bild 9/19 - Der Kofferraum fasst 280 Liter. Die geteilte Rücksitzbank kostet extra.
Martin Vogt
Bild 10/19 - Der Polo ist 3,97 Meter lang
Martin Vogt
Bild 11/19 - Das Design des neuen Polo gefällt – es ist im Stil der neu entdeckten Eckigkeit vieler Hersteller gehalten
Martin Vogt
Bild 12/19 - Die seitliche Linie setzt sich bis ins Hecklicht fort
Martin Vogt
Bild 13/19 - Der kleine Dreizylinder bietet wenig Leistung und Durchzugsstärke
Martin Vogt
Bild 14/19 - Der fünfte Gang ist enorm lang übersetzt
Martin Vogt
Bild 15/19 - Bei Richtgeschwindigkeit dreht der Dreizylinder nur wenig mehr als 3000 Touren – gut für den Verbrauch – theoretisch, schlecht für den Durchzug
Martin Vogt
Bild 16/19 - Der kleine Motor braucht – anders als viele moderne Triebwerke mit hohen Literleistungen – keinen 98-Oktan-Sprit für optimale Leistungsausbeute
Martin Vogt
Bild 17/19 - Die Sitze sind straff gepolstert
Martin Vogt
Bild 18/19 - Die beiden Fondtüren kosten 735 Euro zusätzlich
Martin Vogt
Bild 19/19 - Die Bedienung des Polo ist einfach
19
Dienstag, 12.11.2013, 19:17
An den Qualitäten des kleinen Wolfsburgers – solide Verarbeitung, sehr ausgewogene Fahreigenschaften – gibt es zwar nichts zu deuteln. Aber ähnliche Merkmale weisen auch die teilweise günstigeren Wettbewerber auf. VW hat es versäumt, für den höchsten Einstiegspreis im Kleinwagensegment auch einen attraktiven Basismotor anzubieten, der als Kaufargument taugt.Der 60 PS starke Dreizylinder spricht eher gegen als für den Kauf des günstigsten Polo. Er ist unkultiviert, zu Tode übersetzt und verbraucht zu viel. Deshalb lautet unser Tipp: wenn schon (teurer) Polo, dann gleich mit einem der Turbos wie dem demnächst kommenden aufgeladenen Vierzylinder, den wir auf der Fahrvorstellung des Wagens als sehr gute Antriebsquelle kennengelernt haben.
Plus+ausgewogene Fahreigenschaften+ordentliche Sitze+Kofferraum ohne Ladekante+gute VerarbeitungsqualitätMinus-unkultivierter, technisch anspruchsloser Motor mit stark eingeschränktem Drehzahlband-zu lange Übersetzung-für Fahrleistungen zu hoher Verbrauch
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1 | UN-Schutz für Mali: Ein geografischer Alptraum
Egal wer die Präsidentschaftswahl in Mali gewinnt, für die Sicherheit sorgen UN-Truppen. Das wird schwer, denn: „Dieses Land ist nicht zu sichern.“
Ein Wahllokal in der malischen Hauptstadt Bamako Bild: reuters
BAMAKO taz | Zwei weiße Autos der UNO fahren auf das streng bewachte Gelände des Hotels Amitié in der malischen Hauptstadt Bamako. Das Hotel ist das Hauptquartier von Minusma, der Blauhelmmission in Mali, die seit Anfang Juli die westafrikanische Eingreiftruppe abgelöst hat und in Zukunft mehr als 12.000 Soldaten und Polizisten zählen soll.
Ein ausländischer Verteidigungsspezialist schaut den Autos zu, während er auf der anderen Straßenseite eine Telefonkarte für sein Handy kauft. „Dieses Land ist nicht zu sichern“, sagt er. „Es ist zu groß, geografisch ein Alptraum, und selbst mit Drohnen ist es nicht zu überwachen. Es wird immer einfach sein für Menschen, die vertraut sind mit der Wüste, ungesehen hin und her zu reisen.“
Das Dilemma der UN-Mission in Mali wird klar, noch bevor man überhaupt ihr Hauptquartier betritt. Mali, zweimal so groß wie die ehemalige Kolonialmacht Frankreich, besteht zu zwei Dritteln aus Wüste. Die Blauhelme sollen in Zusammenarbeit mit der schwachen malischen Armee und den französischen Truppen, die Anfang dieses Jahres die islamistischen Extremisten aus dem Norden des Landes verjagten, Mali gegen neue Angriffe sichern.
Der Leiter der UN-Mission ist der Niederländer Bert Koenders. Er wohnt und arbeitet im Hotel Amitié, ist ständig in Besprechungen, er glaubt, er habe eine Traumaufgabe. „Es passiert nicht oft, dass alle Länder in der Welt sagen, diese Mission ist sinnvoll. Aber hier machen selbst Truppen aus China mit. Jeder versteht, dass dieses Land, eines der ärmsten in der Welt, Hilfe braucht“, sagt Koenders, während er in seinem Büro in einem Ledersessel versinkt.
Koenders, ehemaliger niederländischer Minister für Entwicklungshilfe und Chef der UN-Mission in der Elfenbeinküste, glaubt, dass Mali auch aus strategischen Gründen Unterstützung braucht. „Dieses Land wurde durch dschihadistische Gruppen destabilisiert. Damit standen internationale, also auch europäische Interessen auf dem Spiel.“
Vermittlung zwischen Norden und Süden
Die erste Aufgabe von Minusma war, Hilfe zu bieten bei den Präsidentenwahlen, deren zweite Runde an diesem Sonntag stattfindet. Die Abstimmung ist nicht das Ende der Probleme von Mali, sondern nur der Anfang. Die Hauptaufgabe für eine neue Regierung, egal wer sie führt, ist ein Ausgleich zwischen dem Norden und dem Süden des Landes.
Der Norden fühlt sich seit der Unabhängigkeit von Frankreich in 1960 marginalisiert. Kein Versöhnungsversuch hat bisher funktioniert. Koenders ist aber hoffnungsvoll für die Zukunft. „Die UN-Truppen bieten Sicherheit, sodass Nord und Süd einen neuen Gesellschaftsvertrag schließen können“, meint er. „In der Vergangenheit wurden zu wenig Befugnisse an die lokale Ebene übertragen, um für eine Dezentralisierung zu sorgen.“
Wenn die Minusma einmal vollständig ist, wird sie mit 11.200 Soldaten und 1.440 Polizisten eine der größten UN-Missionen der Welt sein – und eine der vielfältigsten, mit Kontingenten und Mitarbeitern aus allen Kontinenten und vielen Ländern. | 29 |
0 | Disco-Diva aus Estland: Gewollte Symbole, spontane Power
Intelligentes Spiel mit der Weiblichkeit: Die estnische Künstlerin Maria Minerva bei ihrem einzigen Deutschland-Konzert in Berlin.
Maria Minvera remixt auf der Bühne ihre eigenen Songs live. Bild: Promo
Sie selbst kann sich keinen Balken vor die Augen machen, wie es bei den projizierten Porträts auf der Leinwand der Fall ist. Dafür hat Maria Minerva ihr glattes, flatterndes Haar, das sie mit geübten Schwingungen vor ihr Gesicht fallen lässt – während ihrer gesamten One-Woman-Show am Freitagabend.
Maria Minerva ist eine dunkle, fiebrige estnische Disco-Diva. Eine echte Erscheinung, gerade 23 Jahre alt. In den letzten zwei Jahren hat sie sich mit einem Strom von selbstproduzierten Tracks und Alben und Youtube-Videos in das Bewusstsein der Underground-Szene gebracht. Mittlerweile lebt Maria Minerva in New York, davor war sie in London.
Am Freitagabend ist die Protagonistin der Petite Scène in der Berghain-Kantine. Sehr petite ist die Szene dieses Mal, erstaunlich wenige konnten sich für Minervas Konzert von der Berlinale lösen. Dennoch schmeichelt sie dem Publikum: „Lieber trete ich in Großstädten auf. Wenn ich in der Provinz spiele, habe ich immer das Gefühl, dort gehöre ich nicht hin.“
Delirium der Identität
Wem oder was sich Maria Minerva zugehörig fühlt, entwickelt sie im Laufe des Abends jedoch zur Frage. Ihr Auftritt ist ein mediales Identitätsdelirium – im Dunst ihrer frei übereinandergemischten Samples tauchen R-’n’-B-Beats und Bangra-Sounds auf. Ihr verlorener, mädchenhafter Gesang kollidiert mit den Visuals, die im Loop anonymisierte Porträts von Männern – Barack Obama meint man darunter zu erkennen – als verpixelte Fotografien oder in einer digitalen Retro-Animation an die Wand projizieren.
Live auf der Bühne produziert Minerva neue Remixe ihrer eigenen Songs. Fortwährend beugt sie sich, verdeckt vom wehenden Haar, über den Samplingcomputer und holt aus ihm die tiefen Bässe Londons und den Dubsmog von Los Angeles heraus. Teile ihres neuen, dritten, noch ungehörten Albums „Bless“, das im März beim kalifornischen Label 100% Silk erscheinen wird, mischt sie dazu, singt „Symbol of my Pleasure“ zu Gitarrenriffs und glockenartigen Drums.
Ihre Texte kreiere sie wie Eingaben, sagte sie ein paar Tage vorher in einem Radiointerview, intuitive Satzformationen, simple Reimschemen, in zwei Minuten eingesungen. Auch ihr Bühnensound gleicht einem verspielten Klang- und Textversuch. Wie aus einem Bewusstseinsstrom singt sie in disharmonischen Melodien „Set your mind free / Set your spirit free“. Gesungene Worte schweben über einer übersteuerten Samplingwolke, das Wort „Language“ flimmert in großen Lettern über die Leinwand hinter ihr.
Feministische Theorie als Motivation
Maria Minervas Performance ist ein intelligentes Spiel mit dem Bild einer jungen Weiblichkeit. Minerva, die am Londoner Goldsmiths College Visual Cultures studiert hat und sich mit dem Titel ihres Debütalbums auf die Feministin und Philosophin Hélène Cixous bezieht, entwickelt ihr visuelles Auftreten aus der Theorie. Ihr kurzes, sehr kurzes Kleidchen an diesem Abend, das ständige Kreiseln ihres aufgeblondeten Haarschopfs – das sind gewollte Symbole.
Trotzdem rückt die Musikerin zunehmend aus der Unnahbarkeit ihrer einstudierten Regungen heraus und gewinnt auf der Bühne spontane Power.
Mit rebellischen Gesten bricht sie das Bild des naiven Mädchens auf. Ihre Stimme, die sie zunächst hinter dem krassen Delay-Effekt versteckt, wird stärker und direkter, allmählich mindert sich die Videoprojektion zu einem ornamentalen Beiwerk herab. Schließlich gibt es auf der Bühne nur noch die Minerva.
Ganz am Ende spielt sie den Diva-Trumpf aus, setzt sich auf einen Barhocker und säuselt breittönig „the sound“ zu einem schnellen Loop von Pat Ballards populärer Komposition „Mr. Sandman“. Das war’s – am nächsten Morgen müsse sie früh am Flughafen sein, verabschiedet sie sich lakonisch. Protest im Publikum wehrt die Minerva mit einem galanten Handwinken ab. Ihr Equipment packt sie eigenhändig in den Rollkoffer, noch einen Wodka, und sie rollt davon. | 30 |
1 | Nacktprotest in Tunesien: Amina fürchtet um ihr Leben
Nachdem sie aus Protest Nacktbilder auf Facebook hochgeladen hatte, war die tunesische Aktivistin Amina verschwunden. Nun hat sie sich erstmals wieder gemeldet.
„Free Amina“-Poster beim Femen-Protest: Aminas Abtauchen löste das Gerücht aus, sie werde gefangen gehalten. Bild: reuters
TUNIS ap | Nach ihrem Nacktprotest gegen die Unterdrückung von Frauen fürchtet eine 19-jährige Tunesierin um ihr Leben und will im Ausland Zuflucht suchen.
Die junge Frau, die lediglich als Amina bekanntwurde, erhielt eigenen Angaben zufolge Morddrohungen, nachdem sie im Stile der ukrainischen Aktivistinnengruppe Femen ohne Oberteil für mehr Rechte muslimischer Frauen eingetreten war. Dem französischen Fernsehsender Canal Plus sagte sie nun in einem Interview, sie müsse Tunesien verlassen.
Aminas Protestfotos waren im März auf Facebook erschienen. Sie hatte über ihre nackte Brust den Satz „Mein Körper gehört mir“ geschrieben. In Tunesien, das von der islamistischen Ennahda-Partei geführt wird, sorgte das für große Aufregung. Amina tauchte ab, was wilde Gerüchte auslöste. Es hieß, man halte sie in die Psychatrie gefangen. Mit dem Interview meldete sie sich jetzt zurück.
Es entstand den Informationen zufolge in einem Dorf fernab der tunesischen Hauptstadt. Trotz der Morddrohungen wolle sie an den „Femen“-Prinzipien festhalten, bis sie „80 Jahre alt“ sei, sagte sie Canal Plus. Femen hatte vergangene Woche in mehreren europäischen Städten einen „Topless Jihad Day“ organisiert und dabei vor allem auch für Amina kämpfen wollen, die nach ihrem Protest zeitweise als vermisst galt. | 31 |
1 | US-Raketenabwehr: Polen macht mit
US-Vizepräsident Joe Biden wirbt in Warschau erfolgreich für ein neues Nato-gebundenes US-Sicherheitskonzept. Das soll den unter Ex-Präsident Bush geplanten Raketenschild ersetzen.
US-Vizepräsident Joe Biden (re.) und Polens Präsident Lech Kaczynski. Bild: reuters
WARSCHAU taz | "Polen ist offenbar bereit, an dem neuen US-Konzept einer Raketenabwehr, genannt SM-3, teilzunehmen." Das erklärte Polens Ministerpräsident Donald Tusk am Mittwoch nach einem fast zweistündigen Treffen mit US-Vizepräsident Joe Biden in Warschau.
Sein Land betrachte dieses Konzept als "sehr interessant und nützlich", betonte der polnische Politiker. Biden bezeichnete Polen als "einen der engsten Verbündeten" Amerikas und einen "Vorkämpfer" in Mittelosteuropa. Der neue Raketenabwehrschild solle "die ganze Nato" stärken, so Biden weiter und: "Ich freue mich, dass Polen bereit ist, die Elemente des neuen Raketenschilds bei sich aufzunehmen."
Noch in den letzten Amtstagen von US-Präsident George W. Bush hatten Warschau und Washington im August 2008 einen Vertrag über den Bau eines amerikanischen Raketenschirms in Polen unterzeichnet.
Während in Polen eine Abschussrampe für zehn Abfangraketen gegen Interkontinentalraketen aus dem Iran stationiert werden sollten, war im benachbarten Tschechien ein großer Radar vorgesehen. Schon zu diesem Zeitpunkt hatte der damalige Präsidentschaftskandidat Barack Obama erklärt, dass er das technisch unausgereifte und zudem sehr teure Abwehrschild gegen Interkontinentalraketen skeptisch beurteile.
Wenige Monate nach seiner Amtsübernahme verzichtete Obama dann tatsächlich auf die Fortführung der Bush-Programms, das auch nur lose mit der Nato verbunden sein sollte. Obama entwickelte ein neues Sicherheitskonzept, das ebenfalls einen Raketenschild in Europa umfasst, aber in das bestehende Nato-Schutzsystem eingebaut werden soll.
Mit dem neuen Raketenschild soll nun Europa vor Mittel- und Kurzstreckenraketen aus dem Iran geschützt werden, nicht mehr die USA vor Interkontinentalraketen aus dem Iran, die es ohnehin noch gar nicht gibt. Auf mobilen Abschussrampen sollen in Polen bis zu 50 Abfangraketen des Typs SM-3 stationiert werden. Dazu kämen eventuell noch eine oder mehrere Militärbasen für US-Streitkräfte in Polen. Offene Fragen scheinen derzeit vor allem den rechtlichen Status der Basen und ihrer Soldaten zu betreffen. Polen besteht darauf, dass beide polnischem Recht unterliegen, die USA fordern rechtliche Exterritorialität. | 32 |
1 | Nach Plagiatsvorwürfen: Baerbock zieht Buch zurück
Weil Grünenchefin Baerbock keine Zeit zur Überarbeitung hat, wird ihr umstrittenes Buch nicht mehr gedruckt. Ihr waren Plagiate vorgeworfen worden.
Keine Zeit, kein Buch: Annalena Baerbock auf dem Weg zu den Koalitionsverhandlungen Foto: Michael Sohn/ap
BERLIN taz | Während des Wahlkampfs hatte Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin damit Vertrauen verspielt, jetzt holt es die Grünen-Chefin ein: Der Ullstein-Verlag hat ihr Buch „Jetzt. Wie wir unser Land erneuern“ aus dem Programm genommen. Das hat nach Angaben des Verlags Baerbock selbst entschieden.
Das Buch war nach Erscheinen wegen Palagiatsvorwürfen in die Kritik geraten. Zum richtigen Problem für die Grünen aber war es durch ihren Umgang mit diesen Vorwürfen geworden: Sie hatten das Buch zunächst vehement verteidigt.
Eigentlich hatte Baerbock angekündigt, das Buch zu überarbeiten, laut Verlag sollten die Quellenangaben ergänzt werden. „Der Wahlkampf und die nachfolgenden Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen haben nicht den Raum für die notwendigen Ergänzungsarbeiten gelassen“, teilt Baerbock nun aber in einer Erklärung des Verlags mit. „Es ist absehbar, dass sich dies in den kommenden Monaten nicht ändern wird.“
Darüber hinaus wollte sich die Spitzengrüne am Donnerstag nicht äußern. Im Handel verfügbare Exemplare werden noch verkauft, das Buch wird aber nicht mehr nachgedruckt, erklärte eine Verlagssprecherin auf Nachfrage der taz.
Buch wurde offensichtlich zu schnell zusammengeschustert
Baerbock hatte das offensichtlich zu schnell zusammengeschusterte 240-Seiten-Werk im Juni auf der Dachterrasse des Hauses der Kulturen der Welt in Berlin präsentiert, von dort ist das Kanzleramt zu sehen. Es sollte ein weiterer Schritt auf ihrem Weg genau dorthin sein. Doch bald darauf machte der österreichische Plagiatsjäger Stefan Weber auf eine Reihe von Stellen aufmerksam, die Baerbock augenscheinlich abgekupfert hatte.
Die Grünen verteidigten das Buch zunächst und gingen zum Gegenangriff über. Ein Grünen-Sprecher warf Weber vor, er wolle Baerbocks Ruf „bösartig“ schädigen. Bundesgeschäftsführer Michael Kellner sprach von „Rufmord“. Und der eilig engagierte Medienanwalt Christian Schertz betonte, keine Urheberrechtsverletzung erkennen zu können.
Via Ullstein ließ Baerbock nun mitteilen, dass sie dem Verlag für sein Verständnis und seine große Unterstützung in den vergangenen Monaten danke. Weiter heißt es: „Wie in dem Buch deutlich gemacht, braucht unser Land eine Modernisierung für eine gute Zukunft. Dafür möchte ich in den nächsten Jahren das mir Mögliche beitragen.“ | 33 |
0 | Pilze putzen und in Scheiben schneiden. Zwiebel würfeln. Gurken in sehr kleine Würfel schneiden.Etwas Öl in einer Pfanne erhitzen und die Pilze anbraten. Wenn sie etwas braun geworden sind, wieder herausnehmen.In der gleichen Pfanne wieder etwas Öl erhitzen. Zwiebel, Paprika und Gurken ca. 5 Minuten anbraten. Wein, Gemüsebrühe und Sahne zugeben. Die Pilze wieder zugeben und alles 10 Minuten köcheln lassen. Stärke mit 2 EL kaltem Wasser verrühren. Zur Soße geben und andicken lassen. Mit Senf und Gewürzen abschmecken.Dazu passen Nudeln. | 34 |
0 | Heuer an der Kirchweih wollte der Max das Oberkommando in zwei Dörfern
führen und, da er als Krüppel doch den Willibald Tanzkönig sein lassen
wollte, vor Allem dafür sorgen, daß die "Altmodischen" zu keinem Freudlein
gelangten--die plötzliche Erscheinung des Duckmäusers am Kirchweihsonntage
machte jedoch einen gewaltigen Strich durch seine Rechnung und er merkte
gleich, die meisten der ehemaligen Schwarzen seien eben doch keine rechten
Rothen geworden. | 35 |
0 | In Ermanglung einer solchen transzendentalen Topik, und mithin durch
die Amphibolie der Reflexionsbegriffe hintergangen, errichtete der
berühmte Leibniz ein intellektuelles System der Welt, oder glaubte
vielmehr der Dinge innere Beschaffenheit zu erkennen, indem er alle
Gegenstände nur mit dem Verstande und den abgesonderten formalen
Begriffen seines Denkens verglich. Unsere Tafel der Reflexionsbegriffe
schafft uns den unerwarteten Vorteil, das Unterscheidende seines
Lehrbegriffs in allen seinen Teilen, und zugleich den leitenden Grund
dieser eigentümlichen Denkungsart vor Augen zu legen, der auf nichts,
als einem Mißverstande, beruhte. Er verglich alle Dinge bloß durch
Begriffe miteinander, und fand, wie natürlich, keine anderen
Verschiedenheiten, als die, durch welche der Verstand seine reinen
Begriffe voneinander unterscheidet. Die Bedingungen der sinnlichen
Anschauung, die ihre eigenen Unterschiede bei sich führen, sah
er nicht für ursprünglich an; denn die Sinnlichkeit war ihm nur
eine verworrene Vorstellungsart, und kein besonderer Quell der
Vorstellungen; Erscheinung war ihm die Vorstellung des Dinges an sich
selbst, obgleich von der Erkenntnis durch den Verstand, der logischen
Form nach, unterschieden, da nämlich jene, bei ihrem gewöhnlichen
Mangel der Zergliederung, eine gewisse Vermischung von
Nebenvorstellungen in den Begriff des Dinges zieht, die der Verstand
davon abzusondern weiß. Mit einem Worte: Leibniz intellektuierte die
Erscheinungen, so wie Locke die Verstandesbegriffe nach einem System
der Noogonie (wenn es mir erlaubt ist, mich dieser Ausdrücke zu
bedienen,) insgesamt sensifiziert, d.i. für nichts, als empirische,
oder abgesonderte Reflexionsbegriffe ausgegeben hatte. Anstatt im
Verstande und der Sinnlichkeit zwei ganz verschiedene Quellen von
Vorstellungen zu suchen, die aber nur in Verknüpfung objektiv gültig
von Dingen urteilen könnten, hielt sich ein jeder dieser großen Männer
nur an eine von beiden, die sich ihrer Meinung nach unmittelbar auf
Dinge an sich selbst bezöge, indessen daß die andere nichts tat, als
die Vorstellungen der ersteren zu verwirren oder zu ordnen. | 36 |
0 | Ich sage demnach: daß ebensowohl, als die moralischen Prinzipien nach
der Vernunft in ihrem praktischen Gebrauche notwendig sind, ebenso
notwendig sei es auch nach der Vernunft, in ihrem theoretischen
Gebrauch anzunehmen, daß jedermann die Glückseligkeit in demselben
Maße zu hoffen Ursache habe, als er sich derselben in seinem Verhalten
würdig gemacht hat, und daß also das System der Sittlichkeit mit dem
der Glückseligkeit unzertrennlich, aber nur in der Idee der reinen
Vernunft verbunden sei. | 37 |
0 | Er hielt inne. Erika fühlte, daß er noch nicht zu Ende war. Am liebsten
wäre sie vor ihm bettelnd hingesunken und hätte ihn gebeten, jetzt nicht
weiter zu sprechen. -- Sie wollte jetzt nichts hören, nichts verstehen.
-- Nein, sie wollte nicht.... Und angstvoll begann sie wieder die
Wolken zu zählen.... Aber die waren schon weg.... Nein, dort war
noch eine.... Eine, die letzte, rosig überhaucht wie ein stolzer
Schwan, der den dunklen Strom hinabsegelt.... Wieso fiel ihr das Bild
ein? Sie wußte es nicht.... Ihre Gedanken wurden immer wirrer. Sie
fühlte nur, daß sie bloß an die Wolke denken wollte.... Die zog jetzt
fort, ja sie zog fort über den Berg hin.... Sie spürte, wie ihr
ganzes Herz an ihr hing, wie sie sie am liebsten mit ausgestreckten
Händen gehalten hätte, aber sie ging ... sie lief, lief schneller,
immer schneller.... Und jetzt -- jetzt war sie verschwunden....
Und Erika hörte nun wieder klar und unabänderlich seine Worte, unter
denen ihr Herz in blinder Angst erbebte. | 38 |
0 | Ich begnüge mich hier, die theoretische Erkenntnis durch eine solche
zu erklären, wodurch ich erkenne, was da ist, die praktische aber,
dadurch ich mir vorstelle, was da sein soll. Diesem nach ist der
theoretische Gebrauch der Vernunft derjenige, durch den ich a priori
(als notwendig) erkenne, daß etwas sei; der praktische aber, durch den
a priori erkannt wird, was geschehen solle. Wenn nun entweder, daß
etwas sei, oder geschehen solle, ungezweifelt gewiß, aber doch nur
bedingt ist: so kann doch entweder eine gewisse bestimmte Bedingung
dazu schlechthin notwendig sein, oder sie kann nur als beliebig und
zufällig vorausgesetzt werden. Im ersteren Falle wird die Bedingung
postuliert (per thesin), im zweiten supponiert (per hypothesin).
Da es praktische Gesetze gibt, die schlechthin notwendig sind (die
moralischen), so muß, wenn diese irgendein Dasein, als die Bedingung
der Möglichkeit ihrer verbindenden Kraft, notwendig voraussetzen,
dieses Dasein postuliert werden, darum, weil das Bedingte, von welchem
der Schluß auf diese bestimmte Bedingung geht, selbst a priori als
schlechterdings notwendig erkannt wird. Wir werden künftig von den
moralischen Gesetzen zeigen, daß sie das Dasein eines höchsten Wesens
nicht bloß voraussetzen, sondern auch, da sie in anderweitiger
Betrachtung schlechterdings notwendig sind, es mit Recht, aber
freilich nur praktisch, postulieren; jetzt setzen wir diese Schlußart
noch beiseite. | 39 |
0 | Du wirst diese meine Briefe durchlesen, Du wirst, mein geliebter Sohn,
das Ergebnis meiner Leiden betrachten und mit einem Herzen voll
kindlicher Liebe wirst Du den beklagen, der Dir das Leben gab, der Dich
Jahre hindurch in seinen Armen trug, der Dir soviel Küsse gab, wie
Sterne am Himmel stehen, und der mit überströmender Liebe Deine ersten
Schritte lenkte, denn Du allein warst der kostbare Edelstein meiner im
Unglück verbitterten Seele. | 40 |
0 | Wenn du die Einsicht höher stellst als wie die Tat, Janârdana[79], 1
Warum zur fürchterlichen Tat treibst du mich an, o Keçava?
Mit doppelsinn'ger Rede so verwirrest du mir nur den Geist, 2
Dies Eine sag mir ganz bestimmt, wodurch das Heil ich mag empfahn! | 41 |
0 | Press-Schlag Doping: Von Pillen und vom bösen Wolf
Der kommerzielle Hochleistungssport begünstigt Doping, denn Fans und Funktionäre wollen Medaillen sehen. Und Sportpolitiker regen sich wieder auf.
Hauptsache, die Leistung stimmt. Foto: dpa
Es soll bestimmte Dinge geben, die sind einfach so: Der Wolf wird in freier Wildbahn eher nicht zum Vegetarier. Man könnte freilich als Freund des Rehs eine Wald-Demo organisieren und Schilder mit griffigen Slogans in die Luft recken: „Wölfe find ich doof!“ oder „Wolf, du Sauhund, lass die Kitze in Ruh!“
Aber das hätte wohl wenig Sinn, weshalb man Raketenstufe zwei in der Anti-Wolf-Kampagne zünden müsste: Ein Politiker springt den Reh-Freunden bei und macht sich dafür stark, mit stärkerem Kaliber auf den Problemwolf zu schießen. Aber was sie auch tun: Anti-Wolf-Gesetze, Bürgerinitiativen, Vertreibungen und wölfische Fernsehdiskussionen – der Wolf bleibt Wolf. Das ist echt schwer zu verdauen für die Freunde des Rehs.
Der Wolf kann nicht aus seiner Haut. Und der Hochleistungssportler kann es auch nicht. Was dem Wolf seine Fleischeslust und sein Blutrausch, das ist dem Athleten sein Medikamentenschränkchen. Er greift da nicht rein, weil er es klasse findet, sich Pillen und Substanzen reinzupfeifen, die andere zur Bekämpfung von Tumoren oder Blutarmut einsetzen.
Nein, er betätigt sich unter Mithilfe von Sportärzten als Selbstoptimierer, weil er es muss. Weil die Öffentlichkeit, der Sportfan, Sportfunktionäre und Sportpolitiker Medaillen sehen wollen. Weil sie sich berauschen am Wettstreit auf höchstem Niveau, an „unmenschlichen Leistungen“, wie es immer heißt. Hochgerüstet wird nicht nur beim Militär, auch im Bereich des Leistungssports werden die Arsenale gefüllt. Eine Bombenwirkung entfalten Epo, Anabolika oder Wachstumshormone.
800 Sportler mit verdächtigen Werten
Eine Dokumentation hat am Wochenende zutage gefördert, dass, verflixt noch mal, diese verdammten Leistungssportler dopen wie die Sau. Die ARD und die englische Zeitung Sunday Times haben eine Liste mit 12.000 Bluttests von rund 5.000 Läufern ausgewertet, die aus der Datenbank des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF stammt. Darunter sollen 800 Sportler mit dopingverdächtigen Blutwerten sein, die von 2001 bis 2012 bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften an den Start gegangen sind. Potz Blitz: Darunter sollen auch 150 Athleten sein, die Medaillen bei diesen Topereignissen gewonnen haben.
Die Empörung ist groß. So groß wie vor ein paar Monaten, als die ARD enthüllte, dass die russische Leichtathletik dopingverseucht ist. So groß wie nach den Enthüllungen um Lance Armstrong, den gefallenen Helden der Tour de France. So groß wie nach dem Balco-Skandal. So groß wie nach dem österreichischen Blutdopingskandal. So groß wie nach dem Festina-Skandal. So groß wie…
Am lautesten schreien Sportpolitiker Zeter und Mordio, die es eigentlich besser wissen müssten, wie zum Beispiel die Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag, die SPD-Politikerin Dagmar Freitag. Sie ist gleichzeitig Vizepräsidentin des Deutschen Leichtathletik-Verbandes. Freitag lässt sich mit den Worten zitieren: „Die aktuellen Erkenntnisse über Dopingpraktiken in der Leichtathletik müssen Konsequenzen weit über die üblichen Lippenbekenntnisse der internationalen Verbände hinaus haben.“
Daumendrücken wäre sinnvoller
Man ahnt, dass sie diese Sprechblase schon mehrfach mit heißer Luft befüllt hat. Aber das können andere auch, sogar noch besser. Justizminister Heiko Maas (SPD) glaubt ganz fest an die reinigende Wirkung seines Anti-Doping-Gesetzes – Daumendrücken wäre vermutlich sinnvoller. Oder IAAF-Chef Lamine Diack, der jetzt in der Leichtathletik „aufräumen“ will. Ist ihnen allen entgangen, dass kommerzieller Hochleistungssport, aufgeführt vor einer ständig größer werdenden Masse von Sportfans und angetrieben von prestigesüchtigen Sportfunktionären, Doping begünstigt?
Auf dem Humus des globalisierten Event-Sports gedeiht der Betrug. Es ist das Wolfsgesetz des Sports. | 42 |
1 | Ex-Weggefährte des ukrainischen Präsidenten: Staatsbürgerschaft „beendet“
Hennadij Korban darf nicht mehr in die Ukraine einreisen. Auslöser soll ein Geheimerlass Selenskis sein, der doppelte Staatsbürgerschaften ausschließt.
Selenski bei einer Videoansprache Anfang Juli Foto: Ukrainian Presidential Press Off/Planet Pix via ZUMA Press Wire/dpa
KIEW taz | Erneut wird ein wichtiger Mann aus dem Umfeld früherer Weggefährten von Präsident Wolodomir Selenski ausgebremst. Dieses Mal trifft es Hennadij Korban, Chef der Territorialverteidigung der ostukrainischen Millionenstadt Dnipro. Er ist ein Vertrauter des Oligarchen Ihor Kolomojskyj und des Bürgermeisters von Dnipro, Boris Filatow. Die Territorialverteidigung untersteht dem ukrainischen Generalstab und besteht aus Reservisten und Freiwilligen.
Wirklich verwundert dürfte Korban nicht gewesen sein, als er am Freitag mit seinem Mercedes und in Begleitung seiner Anwälte von Polen in seine ukrainische Heimat einreisen wollte und ihn ein Grenzbeamter daran hinderte. Der Grund: Der Präsident hätte seine Staatsbürgerschaft „beendet“.
Zuvor machte das Gerücht die Runde, dass Präsident Selenski einen Geheimerlass herausgegeben hätte. Personen, die neben der ukrainischen Staatsbürgerschaft eine weitere besäßen, würden diese für beendet erklärt bekommen. Am 21. Juli hatte der Abgeordnete Serhiy Vlasenko auf Facebook eine angebliche Kopie solch eines Präsidentenerlasses veröffentlicht, mit dem Hennadij Korban die ukrainische Staatsbürgerschaft „beendet“ wurde.
Auf diesem Papier, das den Briefkopf des Präsidenten, nicht jedoch seine Unterschrift trägt, wird auch die ukrainische Staatsbürgerschaft weiterer Personen für „beendet“ erklärt. Darunter soll auch der Oligarch und langjährige Förderer von Selenski, Ihor Kolomoiskyj, sein.
Mehrere Spitzenbeamte wurden entlassen
Als „sehr schweren Fehler“ kritisierte auf Facebook Boris Filatow, Bürgermeister von Dnipro, die Beendigung der Staatsbürgerschaft seines Mitstreiters Korban. Die Angelegenheit könne zum Präzedenzfall für viele andere im Ausland tätigen Bürger werden.
„Was ist mit den ukrainischen Staatsbürgern, die durch den Krieg vertrieben wurden und die Staatsbürgerschaft der Länder erhalten, die sie aufgenommen haben? Dürfen sie dann auch nicht mehr nach Hause?“ fragt er. Auch der rechtliche Status hunderttausender Ukrainer, Ungarn oder Rumänen, die einen EU-Pass besitzen, sei unklar.
Das „Beenden“ der Staatsbürgerschaft stehe in einer Reihe mit Entlassungen von Spitzenbeamten, schreibt das in der Ukraine blockierte Portal strana.news. So wolle die Präsidialadministration im Sinne einer vorgeblichen „Konsolidierung des Staates im Krieg“ ihre Macht weiter festigen. Nach Angaben des Portals ukranews.com, das sich auf eine Quelle bei den Behörden beruft, besitzt Hennadij Korban auch die israelische Staatsbürgerschaft.
„Jetzt werde es wohl eng werden für Ihor Kolomoiskyj, der die Staatsbürgerschaften von Zypern und Israel besitzt“, kommentiert der Investmentbanker Serhyj Fursa auf der Website gazeta.ua die „Beendigung“ dessen Staatsbürgerschaft. Uncle Sam, also die USA, würde schon auf ihn warten.
Ohne Staatsbürgerschaft darf Kolomoiskyj ausreisen
Laut der Plattform ermittle das FBI gegen den Oligarchen Kolomoiskyj wegen Korruption. Die USA hätten ihn mit Sanktionen belegt, ein Auslieferungsgesuch sei nun nicht mehr auszuschließen. „Die ukrainische Staatsbürgerschaft schützt ihn auch nicht mehr“, schreibt Fursa.
Demgegenüber sieht das Business Information Network bin.ua auch Vorteile, die der 59-jährige Oligarch nun ohne die ukrainische Staatsbürgerschaft habe. Denn nun gelte für ihn das Gesetz nicht mehr, das männlichen ukrainischen Staatsbürgern unter 60 Jahren eine Ausreise verbietet.
Außerdem habe ein Geschäftsmann des EU-Staates Zypern gute Chancen, Großaufträge beim Wiederaufbau der Ukraine zu erhalten. Schließlich würde die Ukraine europäischen Investoren sehr gute Bedingungen bieten. | 43 |
0 | Hin und wieder runzelte der Himmel seine schöne, reine Stirne, oder er
zog sie sogar in Gramesfalten und -schleiern zusammen. Alsdann war die
ganze Hügel- und Seegegend von grauen, nassen Tüchern umhüllt. Der Regen
fiel schwer auf die Bäume, was nicht hinderte, daß man zur Post lief,
wenn man zufällig ein Angestellter des Hauses Tobler war. Herr Martin
Grünen schien sich um die schönen, sanften Wechsel der Jahreszeiten auch
nicht viel zu kümmern, sonst würde er kaum haben schreiben können,
alles, was Tobler an Zahlungsverweigerungsgründen ihm angebe, das
berühre ihn gar nicht, und er beharre auf seiner Kündigung. | 44 |
1 | Streit in EU um Energiepolitik: Bremsen und nicht deckeln
Auch auf EU-Ebene werden weitere Maßnahmen gegen die steigenden Energiepreise gefordert. Aber Deutschland versucht einen Gaspreisdeckel zu verhindern.
Raffinerie in Karsto, Norwegen
BRÜSSEL taz | In der EU droht neuer Streit über Notmaßnahmen gegen die Energiekrise. 15 EU-Staaten, darunter die Schwergewichte Frankreich und Italien, haben sich für einen EU-weiten Gaspreisdeckel ausgesprochen, um die Preisexplosion auf dem Gas- und Strommarkt einzudämmen. Doch ausgerechnet Deutschland, das sich jetzt für eine nationale Preisbremse entschieden hat, sperrt sich dagegen. Auch die EU-Kommission hat Bedenken. Beim mit Spannung erwarteten Krisentreffen der EU-Energieminister am Freitag in Luxemburg ist Ärger programmiert.
Einige der 15 Staaten, darunter Belgien und Griechenland, fordern bereits seit dem Frühjahr ein Preislimit für Gas. Sie haben zwar bereits kostspielige nationale Preisbremsen eingeführt, kommen jedoch an die Grenzen ihrer finanziellen Möglichkeiten. Deshalb erhöhen sie nun den Druck.
Sie fordern, den Preis für Gaslieferungen aus dem Ausland sowie auf Transaktionen an Handelsplätzen innerhalb der EU zu deckeln. Das Preislimit könne „so gestaltet werden, dass die Versorgungssicherheit und der freie Fluss von Gas innerhalb Europas gewährleistet sind und gleichzeitig unser gemeinsames Ziel, die Gasnachfrage zu senken, erreicht wird“, heißt es in einem Brief an die EU-Kommission.
Die Brüsseler Behörde wischt dieses Argument jedoch beiseite. Ein Preisdeckel könne dazu führen, dass das Angebot vor allem beim teuren Flüssiggas sinkt und die Versorgungssicherheit abnimmt, sagte ein Kommissionsexperte in Brüssel. Auch die praktische Umsetzung sei schwierig. Demgegenüber erklärte ein EU-Diplomat, man müsse nicht sofort ein zentralisiertes System schaffen, um den Großhandel zu ersetzen. Denkbar sei auch die schrittweise Einführung eines Preisdeckels auf Teilmärkten. Entscheidend sei, den Gaspreis schnell zu senken.
Treibt Deutschland die Preise hoch?
Dies liegt jedoch nicht unbedingt im deutschen Interesse. Das wirtschaftsstärkste EU-Land kauft im großen Stil Flüssiggas (LNG) auf dem Markt ein und treibt so die Preise in die Höhe. Darunter leiden nicht nur Schwellenländer etwa in Asien oder Afrika, sondern auch kleinere EU-Länder. „Für einige EU-Länder wäre es attraktiv, wenn die Deutschen nicht mehr das Gas wegkaufen können und die Preise nach oben treiben“, sagte der Energieexperte Georg Zachmann von der Brüsseler Denkfabrik Bruegel. Allerdings brauche Deutschland die Flexibilität, um seinen Bedarf zu decken.
Der Vorschlag der EU-Kommission, den die Energieminister am Freitag diskutieren wollen, kommt Deutschland weit entgegen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte schon ihren Plan für eine Übergewinnabgabe eng mit der Bundesregierung abgestimmt. Auch jetzt nimmt sie Rücksicht auf Berlin. „Wir müssen ein Modell finden, das für alle funktioniert“, heißt es in Brüssel.
Die Kommission schlägt einen Preisdeckel ausschließlich für russisches Gas vor, ergänzt durch Preisverhandlungen mit „vertrauenswürdigen Partnern“ wie Norwegen. Außerdem will sie in den Markt für LNG eingreifen und die Spekulation eindämmen. „Unser Ziel ist es, den Preisanstieg zu begrenzen“, so der Kommissionsexperte.
Damit vollzieht die Brüsseler Behörde eine Kehrtwende. Noch im Frühjahr hatte sie behauptet, die Energiemärkte arbeiteten tadellos. Nun heißt es, Russland manipuliere die Preise. Allerdings blendet die EU die Wirkung der Sanktionen aus. Auch das europäische „Marktdesign“, das den Strompreis an den Gaspreis koppelt, ist ein Problem.
Beim Treffen der Energieminister wird keine Einigung erwartet. Immerhin wollen die Minister grünes Licht für eine Gewinnabschöpfung bei Stromkonzernen geben, die in der Krise übermäßig viel verdienen. Auch diese Übergewinnabgabe war lange umstritten. Deutschland war zunächst dagegen, andere Länder wie Italien haben sie längst. | 45 |
0 | Er kehrte, da die Nacht einbrach, in einem Wirtshause auf der
Landstraße ein, wo er, wegen großer Ermüdung der Pferde, einen Tag
ausruhen mußte, und da er wohl einsah, daß er mit einem Haufen von
zehn Mann (denn so stark war er jetzt), einem Platz wie Wittenberg
war, nicht trotzen konnte, so verfaßte er ein zweites Mandat, worin
er, nach einer kurzen Erzählung dessen, was ihm im Lande begegnet,
"jeden guten Christen", wie er sich ausdrückte, "unter Angelobung
eines Handgelds und anderer kriegerischen Vorteile", aufforderte
"seine Sache gegen den Junker von Tronka, als dem allgemeinen Feind
aller Christen, zu ergreifen". In einem anderen Mandat, das bald
darauf erschien, nannte er sich: "einen Reichs- und Weltfreien, Gott
allein unterworfenen Herrn"; eine Schwärmerei krankhafter und
mißgeschaffener Art, die ihm gleichwohl, bei dem Klang seines Geldes
und der Aussicht auf Beute, unter dem Gesindel, das der Friede mit
Polen außer Brot gesetzt hatte, Zulauf in Menge verschaffte:
dergestalt, daß er in der Tat dreißig und etliche Köpfe zählte, als
er sich, zur Einäscherung von Wittenberg, auf die rechte Seite der
Elbe zurückbegab. Er lagerte sich, mit Pferden und Knechten, unter
dem Dache einer alten verfallenen Ziegelscheune, in der Einsamkeit
eines finsteren Waldes, der damals diesen Platz umschloß, und hatte
nicht sobald durch Sternbald, den er, mit dem Mandat, verkleidet in
die Stadt schickte, erfahren, daß das Mandat daselbst schon bekannt
sei, als er auch mit seinen Haufen schon, am heiligen Abend vor
Pfingsten, aufbrach, und den Platz, während die Bewohner im tiefsten
Schlaf lagen, an mehreren Ecken zugleich, in Brand steckte. Dabei
klebte er, während die Knechte in der Vorstadt plünderten, ein Blatt
an den Türpfeiler einer Kirche an, des Inhalts: "er, Kohlhaas, habe
die Stadt in Brand gesteckt, und werde sie, wenn man ihm den Junker
nicht ausliefere, dergestalt einäschern, daß er", wie er sich
ausdrückte, "hinter keiner Wand werde zu sehen brauchen, um ihn zu
finden."--Das Entsetzen der Einwohner, über diesen unerhörten Frevel,
war unbeschreiblich; und die Flamme, die bei einer zum Glück ziemlich
ruhigen Sommernacht, zwar nicht mehr als neunzehn Häuser, worunter
gleichwohl eine Kirche war, in den Grund gelegt hatte, war nicht
sobald, gegen Anbruch des Tages, einigermaßen gedämpft worden, als
der alte Landvogt, Otto von Gorgas, bereits ein Fähnlein von funfzig
Mann aussandte, um den entsetzlichen Wüterich aufzuheben. Der
Hauptmann aber, der es führte, namens Gerstenberg, benahm sich so
schlecht dabei, daß die ganze Expedition Kohlhaasen, statt ihn zu
stürzen, vielmehr zu einem höchst gefährlichen kriegerischen Ruhm
verhalf; denn da dieser Kriegsmann sich in mehrere Abteilungen
auflösete, um ihn, wie er meinte, zu umzingeln und zu erdrücken, ward
er von Kohlhaas, der seinen Haufen zusammenhielt, auf vereinzelten
Punkten, angegriffen und geschlagen, dergestalt, daß schon, am Abend
des nächstfolgenden Tages, kein Mann mehr von dem ganzen Haufen, auf
den die Hoffnung des Landes gerichtet war, gegen ihm im Felde stand.
Kohlhaas, der durch diese Gefechte einige Leute eingebüßt hatte,
steckte die Stadt, am Morgen des nächsten Tages, von neuem in Brand,
und seine mörderischen Anstalten waren so gut, daß wiederum eine
Menge Häuser, und fast alle Scheunen der Vorstadt, in die Asche
gelegt wurden. Dabei plackte er das bewußte Mandat wieder, und zwar
an die Ecken des Rathauses selbst, an, und fügte eine Nachricht über
das Schicksal des, von dem Landvogt abgeschickten und von ihm zu
Grunde gerichteten, Hauptmanns von Gerstenberg bei. Der Landvogt,
von diesem Trotz aufs äußerste entrüstet, setzte sich selbst, mit
mehreren Rittern, an die Spitze eines Haufens von hundert und funfzig
Mann. Er gab dem Junker Wenzel von Tronka, auf seine schriftliche
Bitte, eine Wache, die ihn vor der Gewalttätigkeit des Volks, das ihn
platterdings aus der Stadt entfernt wissen wollte, schützte; und
nachdem er, auf allen Dörfern in der Gegend, Wachen ausgestellt, auch
die Ringmauer der Stadt, um sie vor einem Überfall zu decken, mit
Posten besetzt hatte, zog er, am Tage des heiligen Gervasius, selbst
aus, um den Drachen, der das Land verwüstete, zu fangen. Diesen
Haufen war der Roßkamm klug genug, zu vermeiden; und nachdem er den
Landvogt, durch geschickte Märsche, fünf Meilen von der Stadt
hinweggelockt, und vermitteltet mehrerer Anstalten, die er traf, zu
dem Wahn verleitet hatte, daß er sich, von der Übermacht gedrängt,
ins Brandenburgische werfen würde: wandte er sich plötzlich, beim
Einbruch der dritten Nacht, kehrte, in einem Gewaltritt, nach
Wittenberg zurück, und steckte die Stadt zum drittenmal in Brand.
Herse, der sich verkleidet in die Stadt schlich, führte dieses
entsetzliche Kunststück aus; und die Feuersbrunst war, wegen eines
scharf wehenden Nordwindes, so verderblich und um sich fressend, daß,
in weniger als drei Stunden, zwei und vierzig Häuser, zwei Kirchen,
mehrere Klöster und Schulen, und das Gebäude der kurfürstlichen
Landvogtei selbst, in Schutt und Asche lagen. Der Landvogt, der
seinen Gegner, beim Anbruch des Tages, im Brandenburgischen glaubte,
fand, als er von dem, was vorgefallen, benachrichtigt, in bestürzten
Märschen zurückkehrte, die Stadt in allgemeinem Aufruhr; das Volk
hatte sich zu Tausenden vor dem, mit Balken und Pfählen versammelten,
Hause des Junkers gelagert, und forderte, mit rasendem Geschrei,
seine Abführung aus der Stadt. Zwei Bürgermeister, namens Jenkens
und Otto, die in Amtskleidern an der Spitze des ganzen Magistrats
gegenwärtig waren, bewiesen vergebens, daß man platterdings die
Rückkehr eines Eilboten abwarten müsse, den man wegen Erlaubnis den
Junker nach Dresden bringen zu dürfen, wohin er selbst aus mancherlei
Gründen abzugehen wünsche, an den Präsidenten der Staatskanzlei
geschickt habe; der unvernünftige, mit Spießen und Stangen bewaffnete
Haufen gab auf diese Worte nichts, und eben war man, unter
Mißhandlung einiger zu kräftigen Maßregeln auffordernden Räte, im
Begriff das Haus worin der Junker war zu stürmen, und der Erde gleich
zu machen, als der Landvogt, Otto von Gorgas, an der Spitze seines
Reuterhaufens, in der Stadt erschien. Diesem würdigen Herrn, der
schon durch seine bloße Gegenwart dem Volk Ehrfurcht und Gehorsam
einzuflößen gewohnt war, war es, gleichsam zum Ersatz für die
fehlgeschlagene Unternehmung, von welcher er zurückkam, gelungen,
dicht vor den Toren der Stadt drei zersprengte Knechte von der Bande
des Mordbrenners aufzufangen; und da er, inzwischen die Kerle vor dem
Angesicht des Volks mit Ketten belastet wurden, den Magistrat in
einer klugen Anrede versicherte, den Kohlhaas selbst denke er in
kurzem, indem er ihm auf die Spur sei, gefesselt einzubringen: so
glückte es ihm, durch die Kraft aller dieser beschwichtigenden
Umstände, die Angst des versammelten Volks zu entwaffnen, und über
die Anwesenheit des Junkers, bis zur Zurückkunft des Eilboten aus
Dresden, einigermaßen zu beruhigen. Er stieg, in Begleitung einiger
Ritter, vom Pferde, und verfügte sich, nach Wegräumung der Palisaden
und Pfähle, in das Haus, wo er den Junker, der aus einer Ohnmacht in
die andere fiel, unter den Händen zweier Ärzte fand, die ihn mit
Essenzen und Irritanzen wieder ins Leben zurück zu bringen suchten;
und da Herr Otto von Gorgas wohl fühlte, daß dies der Augenblick
nicht war, wegen der Aufführung, die er sich zu Schulden kommen lasse,
Worte mit ihm zu wechseln: so sagte er ihm bloß, mit einem Blick
stiller Verachtung, daß er sich ankleiden, und ihm, zu seiner eigenen
Sicherheit, in die Gemächer der Ritterhaft folgen möchte. Als man
dem Junker ein Wams angelegt, und einen Helm aufgesetzt hatte, und er,
die Brust, wegen Mangels an Luft, noch halb offen, am Arm des
Landvogts und seines Schwagers, des Grafen von Gerschau, auf der
Straße erschien, stiegen gotteslästerliche und entsetzliche
Verwünschungen gegen ihn zum Himmel auf. Das Volk, von den
Landsknechten nur mühsam zurückgehalten, nannte ihn einen Blutigel,
einen elenden Landplager und Menschenquäler, den Fluch der Stadt
Wittenberg, und das Verderben von Sachsen; und nach einem
jämmerlichen Zuge durch die in Trümmern liegende Stadt, während
welchem er mehreremal, ohne ihn zu vermissen, den Helm verlor, den
ihm ein Ritter von hinten wieder aufsetzte, erreichte man endlich das
Gefängnis, wo er in einem Turm, unter dem Schutz einer starken Wache,
verschwand. Mittlerweile setzte die Rückkehr des Eilboten, mit der
kurfürstlichen Resolution, die Stadt in neue Besorgnis. Denn die
Landesregierung, bei welcher die Bürgerschaft von Dresden, in einer
dringenden Supplik, unmittelbar eingekommen war, wollte, vor
Überwältigung des Mordbrenners, von dem Aufenthalt des Junkers in der
Residenz nichts wissen; vielmehr verpflichtete sie den Landvogt,
denselben da, wo er sei, weil er irgendwo sein müsse, mit der Macht,
die ihm zu Gebote stehe, zu beschirmen: wogegen sie der guten Stadt
Wittenberg, zu ihrer Beruhigung, meldete, daß bereits ein Heerhaufen
von fünfhundert Mann, unter Anführung des Prinzen Friedrich von
Meißen im Anzuge sei, um sie vor den ferneren Belästigungen desselben
zu beschützen. Der Landvogt, der wohl einsah, daß eine Resolution
dieser Art, das Volk keinesweges beruhigen konnte: denn nicht nur,
daß mehrere kleine Vorteile, die der Roßhändler, an verschiedenen
Punkten, vor der Stadt erfochten, über die Stärke, zu der er
herangewachsen, äußerst unangenehme Gerüchte verbreiteten; der Krieg,
den er, in der Finsternis der Nacht, durch verkleidetes Gesindel, mit
Pech, Stroh und Schwefel führte, hätte, unerhört und beispiellos, wie
er war, selbst einen größeren Schutz, als mit welchem der Prinz von
Meißen heranrückte, unwirksam machen können: der Landvogt, nach einer
kurzen Überlegung, entschloß sich, die Resolution, die er empfangen,
ganz und gar zu unterdrücken. Er plackte bloß einen Brief, in
welchem ihm der Prinz von Meißen seine Ankunft meldete, an die Ecken
der Stadt an; ein verdeckter Wagen, der, beim Anbruch des Tages, aus
dem Hofe des Herrenzwingers kam, fuhr, von vier schwer bewaffneten
Reutern begleitet, auf die Straße nach Leipzig hinaus, wobei die
Reuter, auf eine unbestimmte Art verlauten ließen, daß es nach der
Pleißenburg gehe; und da das Volk über den heillosen Junker, an
dessen Dasein Feuer und Schwert gebunden, dergestalt beschwichtigt
war, brach er selbst, mit einem Haufen von dreihundert Mann, auf, um
sich mit dem Prinzen Friedrich von Meißen zu vereinigen. Inzwischen
war Kohlhaas in der Tat, durch die sonderbare Stellung, die er in der
Welt einnahm, auf hundert und neun Köpfe herangewachsen; und da er
auch in Jassen einen Vorrat an Waffen aufgetrieben, und seine Schar,
auf das vollständigste, damit ausgerüstet hatte: so faßte er, von dem
doppelten Ungewitter, das auf ihn heranzog, benachrichtigt, den
Entschluß, demselben, mit der Schnelligkeit des Sturmwinds, ehe es
über ihn zusammenschlüge, zu begegnen. Demnach griff er schon, Tags
darauf, den Prinzen von Meißen, in einem nächtlichen Überfall, bei
Mühlberg an; bei welchem Gefechte er zwar, zu seinem großen Leidwesen,
den Herse einbüßte, der gleich durch die ersten Schüsse an seiner
Seite zusammenstürzte: durch diesen Verlust erbittert aber, in einem
drei Stunden langen Kampfe, den Prinzen, unfähig sich in dem Flecken
zu sammeln, so zurichtete, daß er beim Anbruch des Tages, mehrerer
schweren Wunden, und einer gänzlichen Unordnung seines Haufens wegen,
genötigt war, den Rückweg nach Dresden einzuschlagen. Durch diesen
Vorteil tollkühn gemacht, wandte er sich, ehe derselbe noch davon
unterrichtet sein konnte, zu dem Landvogt zurück, fiel ihn bei dem
Dorfe Damerow, am hellen Mittag, auf freiem Felde an, und schlug sich,
unter mörderischem Verlust zwar, aber mit gleichen Vorteilen, bis in
die sinkende Nacht mit ihm herum. Ja, er würde den Landvogt, der
sich in den Kirchhof zu Damerow geworfen hatte, am andern Morgen
unfehlbar mit dem Rest seines Haufens wieder angegriffen haben, wenn
derselbe nicht durch Kundschafter von der Niederlage, die der Prinz
bei Mühlberg erlitten, benachrichtigt worden wäre, und somit für
ratsamer gehalten hätte, gleichfalls, bis auf einen besseren
Zeitpunkt, nach Wittenberg zurückzukehren. Fünf Tage, nach
Zersprengung dieser beiden Haufen, stand er vor Leipzig, und steckte
die Stadt an drei Seiten in Brand.--Er nannte sich in dem Mandat, das
er, bei dieser Gelegenheit, ausstreute, "einen Statthalter Michaels,
des Erzengels, der gekommen sei, an allen, die in dieser Streitsache
des Junkers Partei ergreifen würden, mit Feuer und Schwert, die
Arglist, in welcher die ganze Welt versunken sei, zu bestrafen".
Dabei rief er, von dem Lützner Schloß aus, das er überrumpelt, und
worin er sich festgesetzt hatte, das Volk auf, sich zur Errichtung
einer besseren Ordnung der Dinge, an ihn anzuschließen; und das
Mandat war, mit einer Art von Verrückung, unterzeichnet: "Gegeben auf
dem Sitz unserer provisorischen Weltregierung, dem Erzschlosse zu
Lützen." Das Glück der Einwohner von Leipzig wollte, daß das Feuer,
wegen eines anhaltenden Regens der vom Himmel fiel, nicht um sich
griff, dergestalt, daß bei der Schnelligkeit der bestehenden
Löschanstalten, nur einige Kramläden, die um die Pleißenburg lagen,
in Flammen aufloderten. Gleichwohl war die Bestürzung in der Stadt,
über das Dasein des rasenden Mordbrenners, und den Wahn, in welchem
derselbe stand, daß der Junker in Leipzig sei, unaussprechlich; und
da ein Haufen von hundert und achtzig Reisigen, den man gegen ihn
ausschickte, zersprengt in die Stadt zurückkam: so blieb dem
Magistrat, der den Reichtum der Stadt nicht aussetzen wollte, nichts
anderes übrig, als die Tore gänzlich zu sperren, und die Bürgerschaft
Tag und Nacht, außerhalb der Mauern, wachen zu lassen. Vergebens
ließ der Magistrat, auf den Dörfern der umliegenden Gegend,
Deklarationen anheften, mit der bestimmten Versicherung, daß der
Junker nicht in der Pleißenburg sei; der Roßkamm, in ähnlichen
Blättern, bestand darauf, daß er in der Pleißenburg sei, und erklärte,
daß, wenn derselbe nicht darin befindlich wäre, er mindestens
verfahren würde, als ob er darin wäre, bis man ihm den Ort, mit Namen
genannt, werde angezeigt haben, worin er befindlich sei. Der
Kurfürst, durch einen Eilboten, von der Not, in welcher sich die
Stadt Leipzig befand, benachrichtigt, erklärte, daß er bereits einen
Heerhaufen von zweitausend Mann zusammenzöge, und sich selbst an
dessen Spitze setzen würde, um den Kohlhaas zu fangen. Er erteilte
dem Herrn Otto von Gorgas einen schweren Verweis, wegen der
zweideutigen und unüberlegten List, die er angewendet, um des
Mordbrenners aus der Gegend von Wittenberg loszuwerden; und niemand
beschreibt die Verwirrung, die ganz Sachsen und insbesondere die
Residenz ergriff, als man daselbst erfuhr, daß, auf den Dörfern bei
Leipzig, man wußte nicht von wem, eine Deklaration an den Kohlhaas
angeschlagen worden sei, des Inhalts: "Wenzel, der Junker, befinde
sich bei seinen Vettern Hinz und Kunz, in Dresden." | 46 |
0 | EMtaz: Götze bangt um seinen Startplatz: Wertverlust der Marke G
Der Bayernspieler tollt vor dem Achtelfinalduell gegen die Slowakei vergnügt durch den Sand. Dabei droht ihm bald dasselbe Schicksal wie im Verein.
Der Mario isch scho au wichtig Foto: dpa
PARIS taz | Aus dem Basislager der deutschen Mannschaft in Evian dringen ja nur wenige Bilder nach außen. Wer sich einen Eindruck über das Innenleben der Auswahl vor der Partie gegen die Slowakei machen will, ist auf das Material angewiesen, das der Deutsche Fußball-Bund zur Verfügung stellt.
Wenn man diesen sorgfältig ausgewählten Bildern glaubt, geht es dort derzeit so locker zu wie in einem Ferienlager. Streetbasketball und Beachvolleyball standen auf dem Programm. Und was auffiel: Mario Götze war immer dabei, sowohl bei der coolen Runde unterm Korb als auch beim lustigen Hechten im Sand.
Götze scheint also bestens integriert. Auch der Bundestrainer hat dem Dauerreservisten des FC Bayern München bei dieser EM stets einen Platz in der Startelf frei gehalten. Joachim Löw hat eine schlichte Erklärung, weshalb die Karriere des 23-Jährigen zuletzt so gewaltig ins Stocken geraten ist. Die letzte gute Tat von Götze, die in Erinnerung geblieben ist, liegt bereits zwei Jahre zurück, als er im WM-Endspiel gegen Argentinien kunstvoll den entscheidenden Treffer erzielte. Löw sagt: „Er braucht einen Trainer, der ihn unbedingt in seiner Mannschaft haben will.“
Logisch also, dass er ihm einen großen Vertrauensvorschuss einräumte. Zumal für Löw der Einsatz von Götze, insbesondere nach dem Ausfall von Marco Reus, kaum von seinen Vorstellungen zu lösen war, wie das deutsche Team idealerweise spielen soll: ball- und kombinationssicher. Nur ist Vertrauen letztlich auch eine endliche Währung.
Hohe Versagerquote vor dem Tor
Im ersten Spiel musste Götze lediglich aus Gründen des Zeitgewinns bei eigener Führung in der 90. Minute vom Platz. Gegen Polen tauschte ihn Löw bereits in der 66. Minute aus. Ihm fehlte die Zuspitzung im Angriffsspiel. Am Dienstag trabte Götze schon in der 55. Minute vom Feld.
Gern, verriet der Bundestrainer nach der Partie, hätte er einigen seiner Spieler eine frühe Pause gegönnt. Wegen des knappen Spielstands (1:0) wollte er aber nicht auf sie verzichten. Im Umkehrschluss bedeutet das: Götze zählt für Löw nach seinen bisherigen Vorstellungen eher zu den entbehrlichen Größen. Als sich für ihn gegen Nordirland die bislang so vermissten Räume öffneten, stach seine Versagerquote vor dem Tor besonders ins Auge.
Er ist offenbar zu der Erkenntnis gekommen, dass er angesichts des schleichenden Vertrauensverlustes seinen Einsatz außerhalb des Spielfelds verstärken muss. Zu seiner kürzesten Partie bemerkte er: „Ich finde, ich habe mein bestes EM-Spiel gemacht.“ Man kann zumindest nicht behaupten, Götze würde merklich mit seinen Leistungen vom Rest der Mannschaft abfallen. Sein Fleiß und seine Unermüdlichkeit sind ihm zugutezuhalten. Nur war er für mehr vorgesehen: für die besonderen Momente im deutschen Angriffsspiel.
Sollte Löw aus der letzten Partie den naheliegenden Schluss gezogen haben, dass eben nicht nur Gomez, sondern auch Müller sich im Sturmzentrum wohler fühlen als Götze, dann muss dieser sich künftig mit Julian Draxler, André Schürrle und eventuell noch Leroy Sané um einen Platz auf dem Platz streiten.
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Die vermeintliche Systemfrage Götze oder Gomez stellt sich derzeit so gar nicht. Den Bayernspieler macht das auch in der Nationalelf entbehrlicher. Bei der WM 2014 war er übrigens auch nur Ersatz. „Mal ist man der Hund, mal ist man der Baum.“ Ganz cool gab sich Götze angesichts der Kritik.
Er verschwieg dabei höflich, dass er sich seit langem angepisst fühlt. Aber in den sozialen Netzwerken werkeln er und seine Crew schon lange an dem glatten Bild eines Mannes, der mit allen und allem locker zurechtkommt. Ein eigenes Logo hat er sich gar entwerfen lassen: Ein G mit einem Pfeil nach oben. Damit sollen sowohl „Götzes fußballerisches Können als auch sein Lifestyle“ symbolisiert werden, hieß es damals in einer Erklärung.
Basketball und Beachvolleyball passen offenbar zum Lifestyle von Götze. Über seinen Twitter- und Facebook-Account hat er die DFB-Bilder aus Evian gleich weiterverbreitet. | 47 |
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Gründungsjahr Landesverband 2013* Mitgliederzahl in Hamburg 650* Landesvorsitz Dirk Nockemann* Wahlergebnis 2015 6,1 Prozent *nach Angaben der Partei
Die "Alternative für Deutschland" (AfD) wurde 2013 gegründet. Ihr Gründungsimpuls war eine massive Unzufriedenheit mit der Finanz- und Wirtschaftspolitik der Europäischen Union. Ab dem Frühjahr 2014 zog sie bei allen Landtagswahlen, Europawahlen und der Bundestagswahl 2017 in die Parlamente ein und ist seit dem Herbst 2018 in allen Parlamenten – seit 2015 auch in der Hamburgischen Bürgerschaft – vertreten.
Neben die europakritische Haltung trat spätestens 2015 auch eine restriktive Einwanderungspolitik in den programmatischen Kern der Partei und bestimmte zumindest die öffentliche Wahrnehmung der Partei. Die AfD fordert außerdem eine Stärkung von Polizei und Strafjustiz, den Schutz der Familie und kritisiert "die Verengung der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus". Außerdem stellt sie sich gegen zahlreiche Maßnahmen in der Klimapolitik, da diese auf "bisher unbewiesenen hypothetischen Modellen" beruhten. Die AfD wird in der öffentlichen Diskussion meist als rechtspopulistische Partei bezeichnet.
Bei der Bürgerschaftswahl 2020 tritt der Landesvorsitzende der AfD, Dirk Nockemann, als Spitzenkandidat an. Die AfD Hamburg fordert eine Abkehr von der "Klimahysterie" in der Hamburger Umweltpolitik. Sie möchte den Straßenausbau fördern, aber Grünflächen und Erholungsgebiete erhalten. In der Schulpolitik setzt sich die Partei für das Leistungsprinzip, weniger Inklusion und gegen die Einführung einer Einheitsschule ein. In der Demokratieförderung sieht sie Nachholbedarf bei der Prävention gegen Islamismus, Antisemitismus und Linksextremismus. Bei der inneren Sicherheit fordert die Partei härtere Strafen und eine strikte Einhaltung der Gesetze. Sie fordert die Abschiebung aller ausreisepflichtigen Ausländerinnen und Ausländer und die zentrale Unterbringung aller Asylbewerberinnen und -bewerber. Die AfD möchte die Rote Flora räumen lassen. Zur Lösung des Wohnungsproblems möchte sie verstärkt Mieterinnen und Mieter direkt fördern sowie den Erwerb von Wohneigentum erleichtern, spricht sich aber gegen ein Nachverdichtung der Wohnbebauung in gewachsenen Wohnquartieren aus.
Gründungsjahr Landesverband 2013* Mitgliederzahl in Hamburg 650* Landesvorsitz Dirk Nockemann* Wahlergebnis 2015 6,1 Prozent *nach Angaben der Partei
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1 | Gül zu Besuch in Berlin: Kritik an Deutschland
Der türkische Staatspräsident Abdullah Gül hält die deutsche Einwanderungspraxis für ungerecht - und fordert seine Landsleute dennoch auf, besser Deutsch zu lernen.
Gül ist noch bis Mittwoch zum Staatsbesuch in Deutschland. Bild: dpa
BERLIN dapd | Kurz vor seinem Deutschlandbesuch hat der türkische Staatspräsident Abdullah Gül die Ausländerpolitik der Bundesrepublik als rechtswidrig gerügt. Das mehrfach verschärfte Einwanderungsrecht widerspreche den Menschenrechten, sagte Gül dem ZDF. Es stehe nicht im Einklang mit dem Gedanken einer fortschrittlichen Demokratie. "Ich empfinde diese Politik als ungerecht", sagte Gül. Nach der Reform von 2007 hängt der Ehegatten-Nachzug davon ab, ob der Partner einen Deutschtest in der Türkei besteht.
Gül reist am Sonntag zu einem viertägigen Staatsbesuch nach Deutschland. Hierzulande leben rund 2,5 Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln. Knapp ein Drittel hat einen deutschen Pass.
Gleichzeitig forderte Gül seine Landsleute in Deutschland auf, besser Deutsch zu lernen: "Sie sollten die Sprache akzentfrei beherrschen." Der Sorge, dass sich die Türkei vom Westen entfernt, widersprach der Präsident. Ziel bleibe die EU-Vollmitgliedschaft. "Unsere strategische Ausrichtung ist nach Europa", sagte Gül. Zugleich sei die Türkei mit ihrer Demokratie derzeit für die Länder des arabischen Frühlings "eine Quelle der Inspiration".
Bundespräsident Christian Wulff dankte den Türken in Deutschland für ihren Beitrag zum deutschen Wohlstand. "Einwanderer aus der Türkei haben Deutschland vielfältiger, offener und der Welt zugewandter gemacht", sagte Wulff der Süddeutschen Zeitung. Er sehe in einem Ausbau der deutsch-türkischen Beziehungen "ein großes Potenzial" für beide Länder. | 49 |
1 | Joe Bidens außenpolitisches Personal: Total multilateral
Mit der Wahl seiner außenpolitischen Expert:innen macht Joe Biden klar: Er will Schluss machen mit „America first“.
Soll künftig die amerikanische Außenpolitik steuern: Antony Blinken Foto: Jose Luis Magana/ap
Schon einen Tag vor der offiziellen Bekanntgabe ist öffentlich geworden, wer als Außenminister, Nationaler Sicherheitsberater und UN-Botschafterin die Außenpolitik des kommenden US-Präsidenten Joe Biden steuern soll. Die Nominierung der drei Obama- und Clinton-Leute Antony Blinken, Jake Sullivan und Linda Thomas-Greenfield bedeutet eine radikale Abkehr vom America-first-Unilateralismus der Trump-Regierung.
Die America-first-Politik hatte vor allem deshalb so gravierende Auswirkungen, weil sich zur politisch gewollten Abkehr von Multilaterismus und dem permanenten Brüskieren von Verbündeten noch mangelnde Fachkompetenz und eine personelle Ausdünnung im State Department gesellten. Trumps außenpolitisches Handeln folgte seinen persönlichen innenpolitschen Interessen, seine Personalpolitik bewertete Loyalität erheblich höher als Kompetenz. Die Figur des früheren Trump-Botschafters in Berlin, Richard Grenell, war die Versinnbildlichung dieses Niedergangs der US-Diplomatie. Aber durchaus nicht die einzige.
Joe Biden hat schon im Wahlkampf eine Rückkehr zum Multilateralismus versprochen, zum Pariser Klimaabkommen, zum Atomdeal mit dem Iran, zur Weltgesundheitsorganisation. Der designierte Außenminister Antony Blinken, langjähriger Biden-Vertrauter und sein außenpolitischer Berater im Wahlkampf, skizzierte seine Linie im Juli dieses Jahres: Nur in starken Allianzen können die USA zur Lösung globaler Probleme – er nannte Klimawandel und Pandemien – beitragen und gleichzeitig ihre Interessen gegen ein stärker werdendes China wahren. Wie Biden glaubt Blinken an die Wiederherstellung der Rolle der USA als westlicher Führungsmacht.
Sicher scheint: Nato und EU werden in einer Biden-Regierung wieder Gesprächspartner*innen finden. Aber: Biden wird ohne klare Mehrheit im Kongress ein zutiefst gespaltenes Land regieren, und jeder Schritt etwa zu einer verantwortungsvollen Klimapolitik wird schwer. Ein Schuss Trumpismus wird auch in der Außenpolitik bleiben: als Störfeuer. | 50 |
0 | »Da kriegen Sie einen Begriff, mein Verehrtester, was wir uns in unserer
unsäglichen Gutmütigkeit gefallen lassen. Das hier ist nämlich das
Hauptquartier der Polen diesseits und jenseits der Grenze. Wie oft,
glauben Sie, ist hier wohl das Deutsche Reich zertrümmert und das
großpolnische Vaterland errichtet worden? Für jedes Mal einen Taler, und
ich wäre ein reicher Mann! Aber ich gehe sehr gerne hierher, denn es hat
den Anschein, als wenn das Geschäft des Verschwörens nur bei besonders
guten Weinen gedeiht. Blaubeersaft und saurer Mosel töten die
Begeisterung. Ein feuriger Burgunder aber ... ah, Bruderherz! ...« | 51 |
1 | Grüne diskutieren Rüstungsexporte: Habeck korrigiert Ukraine-Vorstoß
Der Grünen-Chef will jetzt nur noch Nachtsichtgeräte und Sanitätstechnik an die Ukraine liefern. Abrüstungsexpertin Keul begrüßt das.
Robert Habeck will jetzt nur noch Nachtsichtgeräte und Sanitätstechnik an die Ukraine liefern Foto: C. Hardt/imago
BERLIN taz | Grünen-Chef Robert Habeck hat seinen umstrittenen Vorstoß für die Lieferung von Defensivwaffen in die Ukraine korrigiert. „Die Ukraine kämpft hier nicht nur für sich selbst, sie verteidigt auch die Sicherheit Europas“, sagte der Co-Parteichef im Deutschlandfunk am Mittwoch. Und mit Blick auf deren Konflikt mit Russland: „Die Ukraine fühlt sich sicherheitspolitisch allein gelassen, und sie ist allein gelassen.“ Er sprach nun aber von „Nachtsichtgeräten, Aufklärungsgeräten, Kampfmittelbeseitigung, Medivacs“, also Technik für Transport und Versorgung Verletzter.
Am Vortag hatte Habeck gesagt: „Waffen zur Verteidigung, zur Selbstverteidigung kann man meiner Ansicht nach, Defensivwaffen, der Ukraine schwer verwehren.“ Diese Idee war von der politischen Konkurrenz, aber auch von einzelnen Grünen, scharf kritisiert worden. Die Bundesregierung lehnt Waffenlieferungen in das Krisengebiet ab, auch weil sie kein Interesse daran hat, den Konflikt in der Ostukraine anzuheizen.
„Eine Aufrüstung der Ukraine würde Russland als Vorwand für eigene Truppen auf der Krim, in der Ostukraine sowie an der russisch-ukrainischen Grenze benutzen“, hatte der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) gesagt. Ähnlich argumentierte die SPD. „Die Forderung, der Ukraine sogenannte Abwehrwaffen zu liefern, ist leichtfertig und unterstreicht erneut, wie wenig regierungsfähig und unaufrichtig die Grünen derzeit auftreten“, hatte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich dem Spiegel gesagt.
Auch in Habecks eigener Partei hatte sein Vorschlag für Verwirrung und Kritik gesorgt. „Waffenexporte in die Ukraine würden unserem Grundsatz widersprechen, dass wir keine Waffen in Kriegsgebiete exportieren“, hatte der Außenpolitiker Jürgen Trittin gegenüber dem RND betont. „Die bisherige gemeinsame europäische Position ist, dass der Konflikt in der Ukraine nur politisch zu lösen ist und nicht militärisch.“ Waffenlieferungen würden die Umsetzung des Abkommens von Minsk weiter untergraben, sagte Trittin.
Erleichterung bei grüner Abrüstungsexpertin
Die Grünen treten für eine restriktive Rüstungsexportpolitik ein. „Exporte von Waffen und Rüstungsgütern […] in Kriegsgebiete verbieten sich“, heißt es im Entwurf für das Wahlprogramm, den Habeck im März vorgestellt hatte. Nähme man Habecks ursprüngliche Forderung ernst, müsste das Wahlprogramm entsprechend angepasst werden.
Die Ukraine ist zumindest in Teilen ein Kriegsgebiet: In der Ostukraine herrscht seit sieben Jahren ein Konflikt zwischen prorussischen Separatisten und den ukrainischen Regierungstruppen, in dem laut UN-Schätzung schon mehr als 13.000 Menschen getötet wurden. Nach einer Zuspitzung in diesem Frühjahr hatte die ukrainische Regierung Waffenlieferungen aus dem Westen gefordert.
Katja Keul, die abrüstungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, begrüßte Habecks Präzisierung. „Ich halte es für richtig, dass die Bundesregierung in das Kriegsgebiet keine Waffen liefert“, sagte sie der taz am Mittwoch. Zentral sei, dass die OSZE-Mission ausreichend Material habe, dazu gehörten zum Beispiel zivile Aufklärungsdrohnen. „Auch gegen die Lieferung von Minensuchgeräten bestehen keine Einwände. Deshalb ist es gut, dass Robert Habeck dies klargestellt hat.“
Habeck selbst sagte zu seinem Vorschlag: „Ich habe das rein auf die Ukraine bezogen, auf die konkrete Situation, auf die Annexion der Krim, auf die Schießerei, auf die Soldaten.“ Er plädiere nicht für Waffenlieferungen an andere Staaten. Eine Nato-Mitgliedschaft des osteuropäischen Landes halte er im Moment nicht für machbar. | 52 |
0 | Falstaff.
Alle Arten von Leute bilden sich was drauf ein, auf mich zu
sticheln. Das Hirn dieser närrischen Composition von Erdschollen,
die man Mensch heißt, ist nicht fähig mehr Lächerliches zu erfinden
als ich erfinde, oder wozu ich den Stoff hergebe. Ich bin nicht
nur für mich selbst wizig, sondern auch die Ursach, daß andre Leute
wizig sind. Ich geh hier vor dir her, wie ein Mutterschwein, das
alle seine Jungen, bis auf eins, aufgefressen hat. Wenn der Prinz
eine andre Ursach, warum er dich in meine Dienste gethan, gehabt
hat, als mich lächerlich zu machen, so weiß ich nicht was rechts
und links ist. Du H**sohn von einem Alraun, du taugtest besser daß
ich dich an meiner Müze trüge, als daß du hinter mir drein gehen
sollst. Ich habe noch nie kein Agtstein-Männchen zum Diener gehabt
bis izt, aber ich will dich weder in Gold noch Silber einfassen
lassen, darauf verlaß dich; in Bley sollst du mir gefaßt werden,
und so will ich dich deinem Herrn wieder zurük schiken, damit er
dich für ein Kleinod tragen kan. Dieser Juvenal, der Prinz dein
Herr, dessen Kinn noch nicht einmal Gauchfedern hat; es soll mir
eher ein Bart in meiner flachen Hand wachsen, eh er einen im
Gesicht kriegen wird; und doch ist er unverschämt genug, und
behauptet, sein Gesicht sey ein königliches Gesicht. Der Himmel
mag es völlig ausmachen wenn er will, izt ist noch kein Haar daran
auszusezen; er kan es immer als ein königliches Gesicht inne haben,
denn ein Barbier wird sein Lebtag nicht sechs Pfenninge daraus
ziehen, und doch kräht er immer, als ob er schon ein Mann gewesen
sey, wie sein Vater noch ein Junggeselle war. Er mag seine Gnade
für sich selbst sparen, denn die meinige hat er ziemlich verlohren,
das kan ich ihn versichern. Was sagt Herr Dombledon, wegen des
Atlas zu meinem kurzen Mantel und zu meinen Pluder-Hosen? | 53 |
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Markt und Rathaus von Minden nach dem Angriff vom 28.03.1945 (© Kommunalarchiv Minden; aus: Ruth Goebel/Markus Köster: 1945 - Fotografien aus Westfalen, Münster 2005)
Mit der Fragestellung "Warum vergeht diese Vergangenheit nicht?" werden die Motive der Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus thematisiert.
Der Einsatz der Karikatur M 01.01 bietet der Lerngruppe zunächst die Möglichkeit, weitgehend selbständig die Notwendigkeit zur Erinnerung an den Nationalsozialismus zu begründen. Dieser Einstieg ist insofern schülerorientiert, als hier die Lernenden ihre Vorkenntnisse einbringen können. Das Unterrichtsgespräch wird auch zahlreiche Hinweise zur (inhaltlichen) Strukturierung der Unterrichtsreihe bieten – auch deshalb sollte den Lernenden für diese Phase ausreichend Zeit zur Verfügung gestellt werden.
Die Konkretisierung der Motive sollte anschließend systematisch erarbeitet werden, indem die Lerngruppe die zentralen Aussagen von Ian Kershaw dem Material M 01.02 entnimmt. Das Material kann von der Lerngruppe zu Hause vorbereitet werden, um die Unterrichtszeit effektiver zu nutzen. Der Text ist geeignet, bereits vorhandenes Wissen der Lerngruppe zu aktivieren und bietet den Lernenden für die spätere Beteiligung an der inhaltlichen Schwerpunktsetzung gute Orientierung. In einem weiteren Schritt kann sich die Lerngruppe mit Hilfe des Essays von Bernhard Schlink der Frage zuwenden, wie wir uns heute erinnern (sollen) (M 01.03). Dieser Text ist in besonderer Weise geeignet, weil er den aktuellen Stand der Diskussion der bundesrepublikanischen Erinnerungskultur bearbeitbar macht - bei Bedarf kann hier zur Vertiefung beispielsweise die so genannte Walser-Bubis-Debatte oder die so genannte Weizsäcker-Rede zum Gegenstand des Unterrichts gemacht werden.
Eine wichtige Erweiterung zu dem Essay von Bernhard Schlink stellen die Materialien Interner Link: M 01.04, Interner Link: M 01.05, Interner Link: M 01.06 dar. Ute Frevert gibt hier zunächst einen Überblick über die Geschichte der Erinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland, analysiert dann die gegenwärtige Debatte um die Rückkehr der Opfererinnerung, um dann ein Konzept für eine zeitgemäße Erinnerungskultur zu entwerfen.
Eine zentrale Aufgabe des Lehrenden hinsichtlich der Bearbeitung der Materialien besteht hier darin, insbesondere auf die bereits erwähnten veränderten Generationenkonstellationen und darin begründete Veränderungen im Geschichtsbewusstsein in den Untersuchungsfokus zu nehmen.
"Gleichwohl ist schwer zu sagen, wie sich die Zukunft der NS-Vergangenheit gestalten wird; nicht nur für den Historiker dürfte sich in diesem Zusammenhang die Rekapitulation des Gewesenen empfehlen. [Es] soll deshalb eine Skizze der Geschichte des politischen und kulturellen Umgangs mit der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik mit einem Vorschlag zur Periodisierung dieser Geschichte verbunden werden. Anlass, nach spezifischen Abschnitten in der langen Nachgeschichte´ des Dritten Reiches´ zu fragen, besteht nicht zuletzt angesichts der für ihren Verlauf offenkundig bedeutsamen – und in ihrem Verlauf sich permanent verändernden – Generationenkonstellationen. In der Schlussphase des Abschieds von den Zeitgenossen der NS-Zeit ist dieser bisher wenig beachtete Gesichtspunkt vielleicht sogar von besonderem Gewicht." [Norbert Frei: 1945 und wir, München 2005, S. 25/26]
Die Materialien Interner Link: M 01.07 und Interner Link: M 01.08 ermöglichen eine tiefergehende Erörterung der Diskussion um eine angemessene Erinnerungskultur vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen. Norbert Frei (Interner Link: M 01.07) analysiert problematische Aspekte der medialen Inszenierung nationalsozialistischer Vergangenheit.
"Keine Schuld, aber Verantwortung", sagt Jan Philipp Reemtsma, Direktor des Hamburger Instituts für Sozialforschung, sei die entscheidende Verlegenheitsformel deutscher Mühen, sich mit der nationalsozialistischen Vergangenheit auseinander zu setzen (Interner Link: M 01.08). Im taz-Interview sagte er, es müsse vage bleiben, was der Debatte um die Vergangenheit dienlich sei, hinter der Formel aber verberge sich auch die Zumutung, sich von dieser Vergangenheit nicht lösen zu können. Einen Schlussstrich zu ziehen, sei jedenfalls unmöglich.
Die intensive Bearbeitung dieser Texte durch die Lernenden ist für den weiteren Verlauf des Projektes bedeutsam. Hieraus lassen sich zahlreiche Aspekte für die Erforschung der Erinnerungskultur vor Ort ableiten und für die Bearbeitung des Fragebogens ableiten (Interner Link: vgl. Baustein 2).
Zur Überleitung des Themas des zweiten Bausteins können die Schüler aufgefordert werden, in ihrem Freundeskreis oder in ihrer Familie zu erkunden, ob der "8. Mai 1945" eher als Tag der Befreiung oder als Tag der Niederlage angesehen wird. Die Ergebnisse dieser Befragung bieten einen guten Einstieg in für den nächsten Baustein und wecken das Interesse, auch quantifizierende Aussagen zur Verbreitung bestimmter Einstellungen zu machen.
Markt und Rathaus von Minden nach dem Angriff vom 28.03.1945 (© Kommunalarchiv Minden; aus: Ruth Goebel/Markus Köster: 1945 - Fotografien aus Westfalen, Münster 2005)
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1 | Kommentar Abgelehnte AfD-Kandidatin: Aushalten wäre besser gewesen
Der Bundestag lässt Harder-Kühnel erneut durchfallen. Das ist ein Verstoß gegen die Regeln, die sich das Parlament aus gutem Grund selbst gegeben hat.
Nach der Satzung des Bundestages steht der AfD ein Sitz im Präsidium zu Foto: dpa
Die Zahl ist stark. Entschieden. 423 Abgeordnete haben mit Nein gestimmt. Enthaltung dagegen, das hat einen negativen Beigeschmack. Es klingt nach Sich-Raushalten, Unbeteiligt-Tun. Eine Enthaltung kann aber auch eine bewusste Entscheidung für etwas sein, das einem extrem widerstrebt – und das aus manchen Gründen vielleicht doch richtig ist. Hätten sich deutlich mehr als 43 Bundestagsabgeordnete für eine Enthaltung entschieden, hätte das die Wahl der AfD-Politikerin Mariana Harder-Kühnel zur Bundestagsvizepräsidentin möglich gemacht. Es wäre die richtige Entscheidung gewesen.
Natürlich spricht vieles dagegen, die Vertreterin einer Partei, die den Nationalsozialismus als „Vogelschiss“ bezeichnet, den Parlamentarismus schlecht macht, die autoritäre und antidemokratische Züge hat und gegen MigrantInnen hetzt, mit der Leitung des Bundestages zu betrauen. Die vielen Nein-Stimmen sind also absolut verständlich – und ohnehin ist jeder Abgeordnete in seiner Stimme frei.
Doch nach der Geschäftsordnung des Bundestages steht der AfD ein Sitz im Präsidium zu. Den ersten AfD-Kandidaten für dieses Amt haben die Abgeordneten wegen seiner Aussagen über die Religionsfreiheit für Muslime zu Recht dreimal durchfallen lassen. Von Harder-Kühnel, die in der AfD-Fraktion zu den Moderateren zählt, sind solche Aussagen aber nicht bekannt, gegen sie hat – jenseits ihrer Parteizugehörigkeit – im Bundestag bislang niemand ein Argument vorgebracht.
Dass der Bundestag sie nun noch einmal hat durchfallen lassen, ist ein Verstoß gegen die Regeln, die sich das Parlament aus gutem Grund selbst gegeben hat. Das ist falsch. Nicht nur, weil sich die AfD wieder als Opfer inszenieren kann und eine vermeintliche Begründung hat, im Parlament Rabbatz zu machen. Entscheidend ist, dass sich der Bundestag an seine Regeln halten sollte, unabhängig davon, um wen es geht. Und dass er eine Harder-Kühnel locker ausgehalten hätte. Und die hiesige Demokratie auch. | 55 |
0 | Antilopen Gang mit Symposium: Diskursives Aufmuskeln
HipHop als Punk im Punk: Die Antilopen Gang lud anlässlich ihres neuen Albums „Abbruch Abbruch“ in Berlin zu einem Symposium.
Nach dem Diskurs wird diskursiv gerappt: die Antilopen Gang in der Kantine am Berghain Foto: Roland Owsnitzki
HipHop ist nach wie vor eine höchst argumentierfreudige Angelegenheit. Diesen Eindruck hinterließ das Symposium, zu dem die Band Antilopen Gang am Donnerstagabend anlässlich der Veröffentlichung ihres neuen, vierten Albums „Abbruch Abruch“ in die Kantine des Berghain gebeten hatte.
Die Eröffnungsrede an dem Abend in Berlin hielt Patrick Orth, der Geschäfstführer von JKP, der Plattenfirma der Antilopen. Orth schilderte HipHop als Möglichkeit, weiter die Ideen zu vertreten, für die Punks zu engstirnig geworden waren.
Anfang der achtziger Jahre habe den damals 14-jährigen Orth ein älterer Freund auf Künstler wie Grandmaster Flash and The Furious Five oder Fab Five Freddie aufmerksam gemacht. Orth habe darauf versucht, seine Begeisterung für die neue Musik den Punks nahezubringen, mit denen er damals seine Freizeit verbrachte. Doch die hätten sich plötzlich wie spießige Eltern geäußert: „Das ist doch gar keine richtige Musik!“
Orth wechselte darauf seinen Freundeskreis. Er suchte Leute, die jede Engstirnigkeit hinter sich lassen wollten, und fand unter anderem Ale Dumbsky, der als Fun-Punk-Schlagzeuger begonnen und dann als Labelbetreiber Platten der von Orth bewunderten Rapperin Cora E. und der damals noch so genannten Absoluten Beginner herausbrachte. Für Orth hätte diese musikalische Öffnung bedeutet, ein „Punk im Punk“ zu sein. Bei der Antilopen Gang habe er eine ähnliche Haltung festgestellt und sich von deren Bereitschaft einnehmen lassen, in der Musik „Ernst und Blödsinn, Liebe und Trauer zu verbinden“.
Abbruch von Musikerkarrieren
Für den Journalisten und Buchautor Jan Wehn zog sich der titelgebende „Abbruch“ thematisch durch das ganze Album. Nicht zuletzt betreffe er auch den Abbruch von Musikerkarrieren. Denn im HipHop, so Wehns Beobachtung, zeige sich die Tendenz jüngerer Menschen, unter sich bleiben zu wollen. Wer die 30 erreicht oder sie gar überschritten habe, sei auf Veranstaltungen geschweige denn auf Bühnen nicht mehr gern gesehen. „Deutsch-Rap ist Altersdiskriminierung“, schlussfolgerte Wehn.
Die TourGang unterwegs: Die Tour zum neuen Album „Abbruch Abbruch“ der Antilopen Gang startet am 12. Februar in Cottbus und endet am 14. März in Köln.
Der Soziologe Martin Seeliger sprach über das Politische im Werk der Antilopen Gang am Beispiel des Stücks „Der Ruf ist ruiniert“. Darin berichtet eines der Bandmitglieder, dass es mit der Musik inzwischen Erfolg und damit auch genug Geld verdient habe, um sich schöne Kleider zu kaufen und nicht mehr „wie ein verwahrloster Landstreicher“ aussehen zu müssen. Da aber schlechte, abgetragene und wenigstens leicht zerrissene Klamotten zum Habitus in bestimmten Milieus gehörten, sei er aus seiner „Anarcho-Stammkneipe“ rausgeflogen.
Diese Kritik der Antilopen an Linken bewege sich, so Seeliger, auf dem Niveau der Jugendbuchkrimis „TKKG“, womit der Redner das erste Kichern bei den etwa 200 Anwesenden in der Kantine hervorrief. Zum künstlerischen Ansatz der Antilopen gehöre es, so Seeliger, „sich etwas Doofes zu suchen, um darüber zu lachen“. Der eine oder andere ließe sich davon vielleicht noch provozieren, „aber mit Problemanalyse hat das nichts zu tun“. Politisch sei das, fuhr Seeliger fort, „so subversiv wie Farin Urlaub“, der Sänger der Ärzte. Seeliger verbreitete jetzt richtig gute Stimmung im Publikum. Denn jetzt merkte jeder, dass sich der Zweck der Veranstaltung zu erfüllen begann: Über die Antilopen Gang lässt sich wunderbar streiten beziehungsweise ein Symposium abhalten.
Furchtbar wütende Dörfler
Der Politikwissenschaftler Samuel Salzborn beugte sich über das Stück „Das Zentrum des Bösen“. Es handelt vom Dorf und denen, die die von ihnen geliebte Idee vom heilen, sauberen, ungestörten Leben dort in der Defensive gegenüber der Stadt sehen. Doch in der Stadt, befand Salzborn, gebe es lauter Sachen, die auf dem Dorf einfach nicht zu haben wären, darunter „Pluralität und Migration“. Wie furchtbar wütend Dörfler werden können, zeigte Salzborn eindrucksvoll am Beispiel eines Politikers der chinesischen Kulturrevolution in den sechziger Jahren. Der hatte damals erst empfohlen und dann gefordert, dass die Dorfliebhaber „einen Vernichtungskrieg gegen die Städte“ führen sollten.
Zum Schluss nach diesen Referaten fragte die Radiomoderatorin Claudia Kamieth ein aus MusikerInnen wie Drangsal und Luise Fuckface von den Toten Crackhuren im Kofferraum zusammengestelltes Podium auf der Grundlage des Antilopen-Stücks „Bang Bang“, wie sie ihr „erstes Mal“ erlebt hätten. Wie schlimm sei der „Druck“ gewesen, dieses „erste Mal“ denn nun auch endlich mal selbst erleben zu können oder zumindest hinter sich zu bringen.
Die Antworten entsprachen den Beobachtungen, welche die Antilopen in „Bang Bang“ zusammentragen: Der Sex war meistens kurz und mittelmäßig. Das Symposium dagegen nahm sich Zeit und zeigte, dass sich von der politischen Betrachtung bis zum Blickwinkel eines Dr. Sommer aus der Bravo alle möglichen Themen mithilfe der Antilopen Gang diskutieren lassen.
Ein hoch interessanter, amüsanter Abend, an dem die Antilopen Gang dann zum Abgleich mit dem auf dem Symposium Gesagten sogar noch ihr aktuelles Werk auf die Bühne brachten. | 56 |
0 | So hat man sie eines Morgens gefunden tot auf dem Boden ihres
Stübchens hingestreckt und ihren treuen Mieskater Martinichen tot auf
ihr liegend. Die Leute haben mit Grauen davon erzählt. Und die
sonst so reiche Trine, die der Kirche und Geistlichkeit immer so gern
gab, als sie noch was zu geben hatte, ist begraben, wie man Bettler
begräbt, ohne Sang und Klang, ohne Glocken und Gefolge; kein Nachbar
hat sie zum Kirchhof begleiten wollen, kein Verwandter ist ihrer
Leiche gefolgt, sie hatte ihnen ja nichts nachgelassen. O kalte Welt,
wie kalt wirst du denen im Alter, die dann nichts haben, womit sie
sich die Füße zudecken können, und ach, auch die irdischen Mängel,
die man mit schärferen Augen an den Alten betrachtet! | 57 |
1 | Die Sozialistische Partei (Partido Socialistia Unido de Venezuela, PSUV) von Staatspräsident Nicolás Maduro hat die Parlamentswahl in Venezuela mit deutlicher Mehrheit gewonnen. Nach Auszählung von 83 Prozent der Wahlzettel kommt die PSUV auf 67 Prozent der Stimmen und wird künftig im Parlament zwei Drittel der Abgeordneten stellen. Weite Teile der Opposition hatten die Wahl wegen der aus ihrer Sicht unfairen Bedingungen boykottiert. Die Wahlbeteiligung lag bei 31 Prozent. Fünf Jahre zuvor hatten sich noch 74,25 Prozent der wahlberechtigten Venezolanerinnen und Venezolaner an der Parlamentswahl beteiligt.
Viele Staaten wollen das Wahlergebnis nicht anerkennen: Laut US-Außenminister Mike Pompeo habe die Wahl nicht einmal die geringsten Maßstäbe für Glaubwürdigkeit erfüllt. Die Bundesregierung kritisierte ebenfalls den Wahlprozess. Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes sagte, den Befürchtungen entsprechend seien die Wahlen nicht frei und fair gewesen.
Der Hohe Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borell, ließ am Montag in einer Erklärung verlauten, dass die EU das Wahlergebnis nicht anerkenne. Auf die Frage von Journalisten, ob die EU auch nach Ende der laufenden Legislaturperiode am 5. Januar den Oppositionspolitiker Juan Guaidó als Präsidenten anerkennen würde, wollte Borell nicht antworten. Bisher stützte die Opposition in Venezuela ihren politischen Einfluss auf eine Mehrheit der Abgeordneten im Parlament. Beobachterinnen und Beobachter erwarten nun, dass Präsident Nicolás Maduro die volle Kontrolle über den Staatsapparat gewinnt. Guaidó dagegen könnte durch den Verlust seiner Rolle als Parlamentspräsident auch als Interimspräsident delegitimiert werden.
Opposition stellte bisher zwei Drittel der Abgeordneten
Bei der Parlamentswahl 2015 hatte das Oppositionsbündnis Mesa de la Unidad Democática (Ausschuss für die Demokratische Einheit, MUD) 109 von 167 Sitzen in der Nationalversammlung gewonnen und damit eine Zwei-Drittel-Mehrheit erreicht. Venezuela hat jedoch ein präsidentiell geprägtes Regierungssystem: Staatspräsident Nicolás Maduro ist zugleich Regierungschef. Er wurde 2013 ins Amt gewählt und fünf Jahre später bei der Präsidentschaftswahl 2018 bestätigt. Interner Link: Maduros Wiederwahl fand jedoch nach Ansicht vieler Staaten unter irregulären Bedingungen statt.
Im März 2017 hatte das Oberste Gericht entschieden, das Parlament zu entmachten. Grund dafür waren drei Mandate für das Bündnis MUD, die angeblich durch Wahlmanipulation zustande gekommen waren. Das Gericht übertrug sich die legislativen Befugnisse zunächst selbst, revidierte seine Entscheidung jedoch wenige Tage später. Am 1. Mai 2017 setzte Maduro eine Verfassungsgebende Versammlung ein, die sich im August 2017 wiederum die Befugnisse des Parlaments übertrug.
Parlamentschef Guaidó erklärte sich 2019 zum Interimspräsidenten
Interner Link: Im Januar 2019 erklärte sich der Präsident der Nationalversammlung, Juan Guaidó, selbst zum Interimspräsidenten von Venezuela. Er Interner Link: berief sich dabei auf Artikel 233 der Verfassung, der vorsieht, dass der Parlamentspräsident für 30 Tage das Amt des Präsidenten übernehmen kann, um Neuwahlen zu veranlassen – falls dieser das Amt nicht antritt. Maduro war am 10. Januar 2019 zwar vereidigt worden, doch seine Wahl wurde von weiten Teilen der Opposition nicht anerkannt.
Derzeit wird Guaidó von rund 60 Staaten der Welt als Präsident anerkannt, darunter die Deutschland und die USA. Zu den verfassungsmäßig obligatorischen Neuwahlen für das Präsidentenamt ist es jedoch bisher nicht gekommen.
Wirtschaftlicher Niedergang und Auswanderung
Einst galt Venezuela aufgrund seines Interner Link: Ölreichtums als eines der wohlhabendsten Länder Südamerikas. Doch von dem Wohlstand ist nicht viel geblieben: Interner Link: Venezuelas langjähriger Präsident Hugo Chávez hatte die Ölindustrie 2007 verstaatlicht und das Land extrem abhängig vom Ölexport gemacht. Seit dem Amtsantritt von Präsident Nicolás Maduro im Jahr 2013 ist die Wirtschaftsleistung – auch wegen des abstürzenden Ölpreises – um mehr als 80 Prozent eingebrochen, der wirtschaftliche Niedergang beschleunigt sich rasant. Die Interner Link: Inflation betrug zwischenzeitlich 1,4 Millionen Prozent. Die politische Auseinandersetzung zwischen Regierung und Opposition hat zu einer seit fast vier Jahren anhaltenden Verfassungskrise geführt.
Hinzu kommt ein Massenexodus: Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR berichtete bereits Ende 2019, dass mehr als 4,6 Millionen Menschen Venezuela verlassen hatten und rechnet bis Ende 2020 mit einem Anstieg auf 6,5 Millionen Menschen. Die Einbeziehung der Auslands-Venezolanerinnen und Venezolaner in den Wahlprozess spielt in der politischen Auseinandersetzung in Venezuela eine wichtige Rolle.
Opposition erklärte Wahlboykott
Die wichtigsten Oppositionskräfte Venezuelas hatten bereits Anfang August erklärt, dass sie die Parlamentswahl boykottieren werden. Ein entsprechendes Externer Link: Manifest wurde von 27 Oppositionsgruppen unterzeichnet. Darin hieß es, dass die "diktatorische" Maduro-Regierung durch ihre Kontrolle über alle öffentlichen Gewalten jede Form von freien und kompetitiven Wahlen unmöglich mache.
Zu den zehn Kernforderungen dieser Gruppen gehörten unter anderem, auch Interner Link: den in den letzten Jahren emigrierten Venezolanerinnen und Venezolanern das Wahlrecht zuzugestehen und Wahlprozesse unabhängig zu überprüfen. Ferner sollten alle Oppositionsparteien fairen Zugang zu öffentlichen Medien bekommen. Nachdem sich abzeichnete, dass diese Forderungen nicht umgesetzt würden, habe man sich entschieden, nicht am "Wahlbetrug" durch Maduro teilzunehmen: "Wir sind keine Nichtwähler: Es kann keine Stimmenthaltung geben, wenn das, was gefordert wird, keine Wahl ist", heißt es in dem Manifest.
Allerdings tritt die Opposition in Venezuela nicht geschlossen auf: Eine Gruppe von 227 Politikerinnen und Politikern um den Oppositionellen Henrique Capriles ließ sich im September zunächst zur Parlamentswahl aufstellen mit der Begründung, dass die Teilnahme – auch unter unfairen Bedingungen – die einzige Möglichkeit sei, Maduro politisch unter Druck zu setzen.
Repressalien gegen Dissidenten
Seit 2014 geht die Regierung Maduro mit willkürlichen Inhaftierungen gegen Regimekritikerinnen und -kritiker vor. Allein während der Proteste im Januar 2019 sollen laut Amnesty International innerhalb von fünf Tagen 900 Menschen inhaftiert worden sein. Eine Untersuchungskommission der Vereinten Nationen warf Maduro im September 2020 Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor, unter anderem Folter und Fälle willkürlicher Hinrichtungen.
Mehrere Vertraute Guaidós verließen zuletzt Venezuela, nachdem die Regierung etliche Oppositionelle begnadigt und aus der Haft entlassen hatte – auch, um den Wahlboykott der Opposition zu delegitimieren. Guaidós Büroleiter Roberto Marrero reiste daraufhin Anfang Oktober in Richtung Mexiko aus. Ende Oktober gelang dem Oppositionspolitiker Leopoldo López die Flucht nach Spanien, nachdem er eineinhalb Jahre im spanischen Botschaftsasyl verbracht hatte.
Laut offiziellen Zahlen ist Venezuela bisher weniger stark von der Covid-19-Pandemie betroffen gewesen als andere südamerikanische Staaten, etwa die Nachbarländer Kolumbien oder Brasilien. Das Vertrauen in die Angaben der venezolanischen Behörden ist jedoch gering – der Regierung wird vorgeworfen, keine Kontrolle über die Pandemielage zu haben und keine Forschungseinrichtungen zu konsultieren. Gleichzeitig ist die Ausstattung der Krankenhäuser aufgrund der jahrelangen humanitären Krise des Landes schlecht, teilweise fehlt es an der grundlegenden Versorgung mit Strom und fließendem Wasser. Seit August wird in Venezuela für den umstrittenen russischen Impfstoff geworben. Laut Regierung seien bereits im Oktober die ersten Impfdosen geliefert worden. Interner Link: Russland und China gehören außenpolitisch zu den Verbündeten Maduros.
Dieser Text wurde nach Veröffentlichung der Teilergebnisse am 8.12.2020 aktualisiert.
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Interner Link: Machtkampf um Venezuela. Zwei Perspektiven
Interner Link: Politischer Machtkampf in Venezuela (Hintergrund aktuell, Februar 2019)
Interner Link: Die Krise um die Migration aus Venezuela
Interner Link: Auswanderungsland Venezuela
Interner Link: Venezuela (APuZ 38-39 2019)
Interner Link: Hannes Bahrmann: Venezuela (Schriftenreihe, Band 10270)
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0 | Ich habe mich nie enthalten koennen, bei mir nachzusprechen: nein, das ist
gar nichts! Wie mancher gute Koenig ist so geblieben, indem er seine Krone
wider einen maechtigen Rebellen behaupten wollen? Richard stirbt doch, als
ein Mann, auf dem Bette der Ehre. Und so ein Tod sollte mich fuer den
Unwillen schadlos halten, den ich das ganze Stueck durch ueber den Triumph
seiner Bosheiten empfunden? (Ich glaube, die griechische Sprache ist die
einzige, welche ein eigenes Wort hat, diesen Unwillen ueber das Glueck
eines Boesewichts auszudruecken: [Greek: nemesis, nemesan.][1]) Sein Tod
selbst, welcher wenigstens meine Gerechtigkeitsliebe befriedigen sollte,
unterhaelt noch meine Nemesis. Du bist wohlfeil weggekommen! denke ich:
aber gut, dass es noch eine andere Gerechtigkeit gibt, als die poetische! | 59 |
1 | Schüler- und Studentenproteste in Chile: Zehntausende demonstrieren
In mehreren chilenischen Städten gingen zehntausende Schüler und Studenten für bessere Bildung auf die Straße. Die Polizei setzte Tränengas ein, es kam zu über 100 Festnahmen.
Tränengas gegen Demonstranten: Ausschreitungen in Santiago. Bild: reuters
SANTIAGO DE CHILE afp | In Chile haben am Donnerstag erneut tausende Schüler und Studenten für ein besseres Bildungswesen demonstriert. Fast 20.000 junge Menschen gingen in der Hauptstadt Santiago de Chile auf die Straße, um eine bessere Finanzierung der öffentlichen Schulen und Universitäten zu fordern.
Nach Angaben der Polizei wurden neun Polizisten leicht verletzt und 107 Menschen festgenommen, als sich einige der Teilnehmer am Ende der Demonstration Auseinandersetzungen mit den Ordnungshütern lieferten. Insgesamt sei der Protestmarsch aber friedlich verlaufen.
Es war die fünfte Protestveranstaltung dieser Art in zwei Monaten in Chile. Vor einer Woche waren rund 80.000 junge Menschen auf die Straße gegangen. Nach epd-Angaben wurde auch in weiteren Städten wie Valparaíso, Concepción und Talca demonstriert, zudem seien in ganz Chile über 270 Schulen besetzt, mehr als 100 davon in der Hauptstadt.
Die Demonstranten fordern unter anderem eine stärkere finanzielle Beteiligung des Staates an der Bildung sowie eine bessere Ausstattung der staatlichen Schulen. Diese bleiben gegenüber den renommierten Privatschulen, die sich nur ein Zehntel der Schüler leisten können, immer weiter zurück. | 60 |
1 | Wahlkampf in Italien: Wenn ein Komiker den Nerv trifft
Beppe Grillo mischt die etablierte Politik auf. Seine populistischen Parolen stechen. Die Italiener könnten seine Bewegung bei der Wahl auf 20 Prozent hieven.
Hat in seiner einst basisdemokratischen Bewegung das letzte Wort: Beppe Grillo, Komiker und Politiker. Bild: reuters
VERONA taz | Bloß eine Handvoll kleine Plakate im Zentrum Veronas weisen auf die Wahlveranstaltung des MoVimento5Stelle mit dem Gründer, Chef und Guru Beppe Grillo hin. Doch am Abend drängen sich schon eine halbe Stunde vor dem Start der Kundgebung Tausende Menschen auf dem weiten Platz direkt vor der antiken Arena. Aus den Boxen hämmert der Song der „5-Sterne-Bewegung“: Weg mit der „Politikerkaste“! „Wir sind Bürger, Punkt und basta!
„Tsunami-Tour“ hat Grillo seine Wahlkampf-Rundreise quer durch ganz Italien genannt, und kaum tritt er ans Mikrofon, zeigt sich, dass er nicht zu hoch gegriffen hat: Das Publikum feiert den 65-Jährigen, von Beruf Komiker, als wäre er ein Popstar.
Ein Popstar mit ungebändigtem grauen Haarschopf und Vollbart, der zum Rumpelstilzchen der italienischen Politik geworden ist, der den lauten Ton liebt, der seine gesamte Rede als Frontalangriff auf die etablierten Parteien anlegt. Schon nach zwei Minuten ist er beim Kern seiner Botschaft: „Diese parasitäre Form der Politik muss aufhören! Sie alle müssen ab nach Hause!“ – und tosender Beifall brandet auf.
Klar werde er Grillo wählen, sagt der junge Mann, der mit seinem Ziegenbärtchen aussieht, als komme er aus dem Milieu der linksautonomen Jugendzentren – der dann aber erzählt, bisher habe er immer die Rechtspopulisten von der Lega Nord gewählt.
Er findet sich wieder in dem Bild, das Grillo in seiner Rede von Italien zeichnet: ein krisengebeuteltes Land, in dem Hunderttausende die Arbeit verlieren, in dem „ganz normale Familien mit kleinen Kindern vor den Armenküchen der Caritas anstehen“, in dem die Jugendlichen dem sicheren Schicksal Arbeitslosigkeit entgegengehen, in dem die kleinen Unternehmer unter der exorbitanten Steuerlast ächzen, in dem „ein Laden nach dem anderen dichtmacht“.
Der Polit-Anfänger
Erst vor fünf Jahren hat Beppe Grillo sich in die Politik begeben, erst vor drei Jahren seine „5-Sterne-Bewegung“ aus der Taufe gehoben. Seinen ersten politischen Auftritt hatte er 2007 in Bologna, mit der von ihm einberufenen Großkundgebung, dem „Vaffa-Day“ – auf Deutsch: dem „Leck-mich-am-Arsch-Tag“.
Zehntausende strömten damals herbei, junge Leute meist, zum Großteil gut gebildet, in der Überzahl enttäuschte Linke. Aus diesem Milieu auch rekrutierte sich von 2009 an die Basis seiner Bewegung, einer Bewegung, deren Ort einerseits das Internet ist, vorneweg der Blog Beppe Grillos, dazu aber auch jede Menge lokaler Websites; andererseits treffen sich die Aktivisten vor Ort in den „Meet-ups“.
Grillo gelang so das Kunststück, eine basisdemokratische Bewegung mit charismatischer, ja diktatorischer Führung aufzubauen: Das letzte Wort hat immer er – und er allein entscheidet, welche Dissidenten rausfliegen.
Die Wahlerfolge
Im krisengeplagten, parteienverdrossenen Italien blieben die Erfolge nicht aus: Im Jahr 2012 räumten die „5 Sterne“ erst bei den Kommunalwahlen ab und eroberten mit Parma das erste Rathaus einer Großstadt, dann kamen sie bei den Regionalwahlen in Sizilien auf 15 Prozent.
Jetzt, bei den Parlamentswahlen, steht der endgültige Durchbruch bevor. In Verona hat Grillo keine Mühe, sich über die Konkurrenz lustig zu machen. Die zeige sich ja gleich gar nicht mehr auf den großen Plätzen. Es stimmt: Grillo ist der einzige, der quer durch Italien auf die Piazze geht – und sie füllt.
In Verona zeigt sich auch, dass ihm der Durchbruch nach rechts gelungen ist. Der ältere Herr, der als Fotograf fürs örtliche Meet-up dabei ist? „Bis letztes Mal habe ich Lega Nord gewählt.“ Die elegante Frau? „Bisher immer Berlusconi – aber von dem habe ich die Nase voll.“
Wahlkampfversprechungen
Es sind Wähler, die von Grillos Steuersenkungsversprechen angezogen sind, von seiner Polemik gegen die Politiker, die sich die Taschen füllen. Begeistert klatscht der Platz auch, wenn Grillo von der Schwulenehe spricht, vom Grundeinkommen für alle, von der ökologischen Wende, von der Verteidigung des öffentlichen Gesundheitswesens.
Zum Schluss dann ergreifen die örtlichen Parlamentskandidaten das Wort. Eine Sopranistin, zwei Ingenieure, ein Ökonom, ein Anwalt – und keiner ist älter als 40.
Heilig versprechen sie, von ihrem Parlamentariersalär würden sie nur 2.500 Euro netto pro Monat behalten, wieder brandet Beifall auf. Für die Leute auf dem Platz steht ein Wahlsieger des Urnengangs schon fest: Beppe Grillo.
Die Meinungsforscher prognostizieren 15 bis 20 Prozent. Das heißt: Ins nächste Parlament könnten gut 100 Abgeordnete und Senatoren aus der „5-Sterne-Bewegung“ einziehen. | 61 |
1 | Gerettete Geflüchtete in Italien: Malta und Frankreich nehmen auf
Tagelang hatten Italien und Malta über die Zuständigkeit für die im Mittelmeer Geretteten gestritten. Jetzt einigten sie sich über die Aufnahme eines Teils der Menschen.
Frankreich und Malta wollen 50 der 450 Migranten aufnehmen, sagte Italiens Premier Guiseppe Conte Foto: reuters
ROM ap/afp | Im Streit um die Zuständigkeit für gerettete Migranten auf dem Mittelmeer hat Italien eine Einigung mit Malta und Frankreich erzielt. Die beiden Länder hätten sich bereit erklärt, jeweils 50 der 450 Migranten aufzunehmen, teilte der italienische Ministerpräsident Guiseppe Conte am Samstagabend mit. Malta und Frankreich hätten auf einen schriftlichen Appell an die 27 anderen EU-Mitgliedsstaaten reagiert, sich an der Aufnahme geretteter Flüchtlingen zu beteiligen. Auch Deutschland erklärte sich laut Nachrichtenagentur afp bereit, 50 der 450 Menschen aufzunehmen.
Die 450 Migranten waren zeitweise an Bord eines Fischerboots, ein Rettungsschiff der EU-Grenzschutztruppe Frontex und ein italienisches Patrouillenboot nahmen sie am Samstag auf. Über Stunden hinweg war ihr Schicksal unklar, da sich Rom und Valletta seit Freitag über die Zuständigkeit für die Migranten gestritten hatten.
Italiens Innenminister Matteo Salvini weigerte sich, den beiden Schiffen eine Einfahrterlaubnis zu erteilen. Er werde an seiner Entscheidung festhalten, italienische Häfen für Flüchtlingsschiffe gesperrt zu halten. Der Chef der fremdenfeindlichen Partei Lega rief zudem Malta auf, seine Häfen für die Migranten öffnen. Malta gab indes zunächst zurück, es habe seine Verpflichtungen erfüllt, indem es geprüft habe, ob die zunächst auf dem Fischerboot befindlichen Migranten Hilfe benötigen. Dessen Besatzung habe mitgeteilt, dass sie keine Hilfe benötigten und die italienische Insel Lampedusa ansteuern wollten.
Italiens Regierungschef Conte erinnerte die 27 anderen EU-Mitglieder an mündliche Zusagen, seinem Land ankommende Flüchtlinge abzunehmen. Auf Facebook postete er eine Kopie von seinem Schreiben an Vertreter der EU-Kommission und zeigte sich über die Reaktion zufrieden.
Italiens Regierungschef Conte erinnerte die 27 anderen EU-Mitglieder an mündliche Zusagen, seinem Land ankommende Flüchtlinge abzunehmen
Maltas Ministerpräsident Joseph Muscat habe sich bereit erklärt, sich an der Verteilung der Migranten zu beteiligen. Zugleich betonte er, dass sein Land sich immer an internationales Recht halte, teilte die Regierung in Valletta mit.
Italiens Innenminister Salvini hat schon Flüchtlingsschiffen von Hilfsorganisation das Einlaufen in italienische Häfen verweigert. Er will, dass die libysche Küstenwache in den Gewässern des weitgehend von Chaos und Rechtlosigkeit geplagten Landes im Norden Afrikas Migranten abfängt und zurückbringt. Dort drohen ihnen nach Angaben von Hilfsorganisationen Vergewaltigungen, Schläge und Versklavung. | 62 |
1 | Unruhen im Jemen: Regierungspartei lädt zum Gespräch
Das größte oppositionelle Parteienbündnis will vermeiden, dass Saleh an die Macht zurückkehrt. Sie fordern, dass der geschäftsführende Präsident Hadi übernimmt.
Der amtierende Chef Abd Rabbo Mansour Hadi (l.) und der verletzte Chef Ali Abdullah Saleh. Bild: reuters
BERLIN taz | Die jemenitische Regierungspartei hat eine Gesprächsrunde mit Vertretern des wichtigsten Oppositionsbündnisses eröffnet. Wie die britische BBC berichtet, sollen die Gespräche zur Suche nach einer politischen Lösung dienen. Einzelheiten waren zunächst nicht bekannt.
Der Schritt erfolgt wenige Tage, nachdem der bei einem Angriff schwer verletzte Präsident Ali Abdullah Saleh zur Behandlung nach Saudi-Arabien ausgeflogen wurde. Am Montag hatten tausende von Unterstützern der Regierung vor dem Amtssitz des geschäftsführenden Präsidenten, Abd Rabbo Mansour Hadi, die Bildung eines Übergangsrats gefordert, der eine neue Regierung zusammenstellen soll.
In dem Oppositionsbündnis JMP (Partei des gemeinsamen Treffens) sind die beiden größten Oppositionsparteien, die islamistische Islah und die Sozialisten, sowie vier kleinere Parteien zusammengeschlossen. Die JMP fordert den bisherigen Vizepräsidenten Hadi dazu auf, offiziell die Amtsgeschäfte von Saleh zu übernehmen, damit dieser nicht an die Macht zurückkehrt.
Andernfalls droht sie laut dem Nachrichtendienst Bloomberg damit, ihrerseits einen Übergangsrat zu bilden, der die "politische Führung der jemenitischen Revolution" repräsentiert, wie JMP-Mitglied Mohammed al-Mutawakkil sagte. Der Rat werde dann um internationale Anerkennung nachsuchen und Lokalwahlen in den Regionen organisieren, die nicht von der Regierung kontrolliert werden. B.S. | 63 |
0 | War die Katzenlene nicht eine Base der Marianne selig und damit auch der
Brigitte selig? Hatte Marianne mit der kleinen Brigitte nicht zuweilen ihre
Zuflucht in dieses Stüblein genommen, wenn der betrunkene Bürstenbinder sie
schlagen wollte, ihr sonst ein großes Wehe oder auch die Langeweile auf dem
Herzen lag? Saß Brigitte nicht oft genug auf dem Fensterbänklein, bevor sie
mit dem langen Michel bekannt wurde und hat die Lene sie nicht auch noch
später einigemal eingeladen? Konnte diese nicht die Großmutter des Thales
und absonderlich die des Hannesle heißen?--Der Geistliche blieb eine
Weile, versprach der Alten, ihr künftigen Sonntag wiederum den Leib des
Herrn in die Hütte zu tragen und ging, um nach einigen Stunden wieder zu
kommen und den Buben abzuholen. | 64 |
1 | Bekämpfung illegaler Inhalte im Internet: EU beschließt einheitliche Regeln
Vor allem die großen Online-Plattformen müssen Hate-Postings und Fake-News spätestens ab 2024 schneller entfernen. Die Einigung in Brüssel lässt aber Lücken.
Wer das hier anklickt, soll in der EU künftig besser vor hasserfüllten Inhalten und Unwahrheiten geschützt sein Foto: picture alliance/dpa
BRÜSSEL epd | Unterhändler des Europaparlaments und der EU-Mitgliedstaaten haben sich auf einheitliche Regeln zur Bekämpfung illegaler Inhalte im Internet geeinigt. Wie EU-Kommission und Europaparlament am Samstag in Brüssel mitteilten, sei der Durchbruch in der Nacht zu Samstag erzielt worden. Der sogenannte Digital Services Act sieht vor, dass Online-Plattformen wie Soziale Netzwerke und Onlinehändler Maßnahmen ergreifen müssen, um Nutzerinnen und Nutzer vor illegalen Inhalten, Waren und Dienstleistungen zu schützen.
Hass-Postings und Desinformation sollen schneller entfernt werden. Sehr große Online-Plattformen mit mehr als 45 Millionen Nutzern in der EU wie Facebook, Amazon oder Google haben dabei die meisten Pflichten.
EU-Kommissionspräsident Ursula von der Leyen nannte die Einigung „historisch“. „Es verleiht dem Grundsatz, dass das, was offline illegal ist, online illegal sein sollte, praktische Wirkung“, sagte sie laut Mitteilung. Die für Digitales zuständige Vizekommissionschefin Margrethe Vestager erklärte: Plattformen sollten ihre Entscheidungen zur Content-Moderation transparent machen, sie sollten verhindern, dass gefährliche Desinformation sich viral verbreitet und unsichere Produkte auf Online-Marktplätzen angeboten werden.
Auch aus Deutschland kam Zustimmung. Der Bundesminister für Digitales, Volker Wissing (FDP), erklärte, der Digital Services Act stärke die Nutzerrechte und setze klare Standards für die Regulierung von Online-Plattformen. Der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium und ehemalige Grünen-Europaabgeordnete, Sven Giegold, sagte, Europa schaffe mit dem Digital Services Act weltweit die schärfsten Standards für ein freies und demokratisches Internet. Auch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) lobte die Übereinkunft.
Digitalminister Wissing verwies darauf, dass die Verfahren zur Meldung und Entfernung illegaler Inhalte künftig europaweit einheitlich ausgestaltet würden. Dazu werde mit dem neuen „Digitale Dienste Koordinator“ eine robuste und dauerhafte Aufsichtsstruktur in Europa aufgesetzt. Auch in Deutschland muss im Zuge der Umsetzung des Rechtsaktes ein Koordinator benannt werden.
Die Geschäftsführerin von HateAid, Anna-Lena von Hodenberg, sagte, mit dem Gesetzgebungsvorhaben übernehme die EU eine Vorreiterrolle bei der Regulierung von Big Tech. Sie kritisierte jedoch, dass die EU es versäumt habe, bildbasierte sexualisierte Gewalt, von der vor allem Kinder und Frauen betroffen seien, mit dem Digital Service Act zu bekämpfen. HateAid setzt sich für die Belange von Betroffenen digitaler Gewalt ein.
Neben einheitlichen Regeln zur Entfernung von illegalen Inhalten, müssen Onlinehändler beispielsweise künftig sicherstellen, dass Verbraucher sichere Produkte oder Dienstleistungen online kaufen können. Künftig soll dafür das „Kenne deinen Geschäftskunden“-Prinzip gelten, das Online-Marktplätze verpflichtet, ihre Händler nachzuverfolgen.
Der nun beschlossene Text muss noch juristisch geprüft und formal vom Rat der EU und dem EU-Parlament angenommen werden. Die EU-Mitgliedsstaaten haben dann 15 Monate Zeit, die Richtlinien umzusetzen. | 65 |
0 | Ein gescheidter Mann hat einmal geschrieben. "Katholische Jugend in die
Hände eines Lehrers geben, der nicht aufrichtig katholisch ist, ist fast
ebenso thöricht als den Katholiken in ihrer Kirche durch einen reformirten
Geistlichen oder den Juden durch einen Bischof predigen lassen." Keine
Behauptung ist einleuchtender als diese. Aber wie stand es mit den
Volksschulen überhaupt? Man sollte vermeinen, daß in christlichen
Volksschulen alle Lehrgegenstände soviel als nur immer möglich mit dem
fleischgewordenen Gottessohn und der Kirche in Beziehung gebracht würden.
Nur dann hatte die Vielwisserei, womit man seit einigen Jahrzehnten die
Kinder in Stadt und Land vollzustopfen trachtet, auch einigen Sinn und
Nutzen. Die Schule wäre eine Ergänzung und Vervollständigung der Kirche und
ein Hülfsmittel mehr, dem Volke eine klare, allseitige christliche Welt-
und Lebensanschauung beizubringen. Freilich ist das Einmaleins und die
Rechenkunst weder christlich noch katholisch, eine vortreffliche
Handschrift bleibt etwas Gutes, wenn der Schreiber auch noch so wenig taugt
und die Kinderquälerei mit Sprachlehren bliebe eine solche, wenn auch
gelegentlich der Satzbildungen, Sprachübung und des Aussatzmachens der
Lehrer alle Beispiele aus dem Gebiete des kirchlichen und religiösen Lebens
wählte und wählen ließe. Aber wenn einst die Jesuiten es verstanden, jungen
Chinesen durch die Geometrie christliche Glaubenssätze wie den der
Dreieinigkeit beizubringen, so ließe sich am Ende auch nachweisen, es sei
für einen christlichgesinnten Volksschullehrer nichts Schweres, selbst dem
Unterrichte im Rechnen und in der Meßkunst eine gewisse religiöse Weihe zu
geben. Auch ist unläugbar, daß die Schreibbücher der Schüler keineswegs
verunstaltet würden, wenn man neben den Sittensprüchen, Beschreibungen von
Thieren und Pflanzen und ähnlichen Dingen etwas positiv Christliches und in
katholischen Schulen spezifisch Katholisches fände. Was die Sprachlehren,
Naturlehren, Abrisse aus der Geschichte und andere Zweige des Unterrichts
betrifft, welche in den Lesebüchern der Volksschulen vorkommen, so verweise
ich einfach auf sämmtliche Lehr- und Lesebücher, welche seit der Entstehung
unseres Landes in Volksschulen und höhern Bürgerschulen eingeführt waren
und frage: wie viele dieser Bücher sind durchweht vom Geiste Christi oder
gar von dem der katholischen Kirche? | 66 |
1 | Tracking zur Pandemie-Eindämmung: Wie Corona-Apps funktionieren
Smartphone-Daten sollen helfen, die Corona-Pandemie einzudämmen. Doch es gibt ganz unterschiedliche Ansätze – und Probleme. Ein Überblick.
Mit oder ohne App – schön Abstand halten! Foto: Christophe Gateau/dpa
Das Dach: PEPP-PT
Das ist es: Ein recht grobes Konzept für das Nachverfolgen von Kontakten. Smartphones lesen über eine App per Bluetooth ständig aus, welche anderen Geräte mit einer entsprechenden App sich in der Nähe befinden. Das Kürzel PEPP-PT steht für Pan-European Privacy-Preserving Proximity Tracing. Also einen länderübergreifenden Ansatz, wie ein datenschutzfreundliches Nachverfolgen von Kontakten funktionieren kann. Wurde ein:e Nutzer:in positiv getestet, alarmiert die App alle anderen Smartphones, die mit dem Gerät der positiven Person in näherem Kontakt waren – und die diese oder eine kompatible App installiert haben. Standortdaten oder persönliche Daten sind dafür nicht notwendig und durch wechselnde IDs wird die Identität der Nutzer:innen geschützt.
Die Vorteile: Apps, die auf dem Konzept basieren, sind datensparsam und funktionieren länderübergreifend. Wer also irgendwann, wenn Reisen wieder möglich wird, in ein anderes europäisches Land fährt, muss keine neue App installieren.
Die Kritik: Einige Punkte schreibt PEPP-PT nicht vor. Etwa müssen Apps unter diesem Dach nicht Open Source sein. Und sie können auf eine zentrale Auswertung der Nutzer-IDs setzen, also einen zentralen Server, auf dem gespeichert ist, welches Gerät wann mit welchem in Kontakt war. Das könnte zu Missbrauch einladen. Denn ein zentraler Server muss von jemandem verwaltet werden – etwa von einer Behörde. In einem Rechtsstaat mag man das für ein vertretbares Risiko halten – aber ein unnötiges, da es eine bessere Alternative gibt (siehe: Die Datenschützende).
Die Aussichten: An dem Projekt sind über 130 Mitglieder aus europäischen Ländern und unterschiedlichen Branchen beteiligt, eine weite Verbreitung ist wahrscheinlich.
Die Schnellschüsse: GPS und Mobilfunkdaten
Das ist es: Über durch Standortdaten gewonnene Bewegungsprofile der Handynutzer:innen sollen Kontaktpersonen identifiziert werden. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte diese Idee bereits im März in einen Gesetzentwurf schreiben lassen. Ins endgültige Gesetz schaffte sie es aber nicht.
Die Vorteile: Um Standortdaten aus Mobilfunkzellen an die Behörden zu geben, wäre kein Einverständnis der Nutzer:innen nötig. Denn die Daten liegen bei den Mobilfunkprovidern.
Die Kritik: Die Daten von Mobilfunkzellen als auch die GPS-Daten sind zu ungenau. Eine Mobilfunkzelle kann auch mal Quadratkilometer groß sein – sollen dann alle, die zur selben Zeit in derselben Zelle eingebucht sind, in Quarantäne? GPS ist deutlich genauer. Aber nur unter optimalen Bedingungen. Auch hier würden zu viele Menschen als potenzielle Kontaktpersonen eingestuft. Außerdem: Unterschiedliche Stockwerke in Gebäuden erkennen GPS und Mobilfunk nicht.
Die Aussichten: Zuletzt hatte die Leopoldina freiwilliges GPS-Tracking vorgeschlagen, das Thema scheint noch nicht vom Tisch.
Die Überraschung: Fraunhofer Heinrich-Hertz-Institut
Das ist es: Eine App aus der Familie der Kontakt-Nachverfolgungs-Apps. Sie soll, basierend auf Bluetooth, Smartphones in der Nähe erkennen und im Fall eines positiven Coronatests andere App-Nutzer:innen, die sich in den vergangenen Wochen in der Nähe aufgehalten haben, warnen.
Die Vorteile: Da es sich um eine App unter dem PEPP-PT-Dach handelt, wird sie mit anderen europäischen Apps kompatibel sein. Und sie wird wohl auch dessen Datenschutzvorzüge haben: etwa, dass keine Standortdaten übertragen werden.
Die Kritik: Viele Details sind noch nicht bekannt. Zum Beispiel, ob sie auch die strengeren DP-3T-Anforderungen erfüllen wird und Open Source ist.
Die Aussichten: Die Vorstellung der App wird in diesen Tagen erwartet. Wird diese App entsprechend platziert und beworben, sind die Chancen hoch, dass eine kritische Masse an Menschen in Deutschland sie nutzt.
Die Datenschützende: DP-3T
Das ist es: Ein ziemlich detailliertes Konzept, wie eine Corona-Nachverfolgungs-App datenschutzfreundlich gestaltet werden kann. Es ist eines von mehreren Projekten unter dem gerade populären PEPP-PT-Dach. Die wesentliche Punkte von DP-3T: Dezentralität, Anonymität, Nähe. Auch hier läuft die Kontaktnachverfolgung über Bluetooth. Dadurch sollen nur Kontakte zwischen Mobiltelefonen gespeichert werden, die sich tatsächlich nah beieinander befanden. Um Anonymität zu gewährleisten, generieren die Telefone dafür ständig neue temporäre IDs. Die werden verschlüsselt auf dem Smartphone gespeichert. So kann niemand Drittes von einer ID auf eine Person schließen. Bei einem positiven Coronatest erhält der:die Nutzer:in einen Code, mit dem sich die Kontakte der vergangenen 14 Tage alarmieren lassen. Dabei haben sich die Entwickler:innen technisch ein ziemlich ausgefeiltes Verfahren ausgedacht. Mit dem stellen sie sicher, dass selbst wenn jemand Unbefugtes den Netzwerkverkehr mitschneiden sollte, sich nicht herausfinden lässt, ob ein:e Nutzer:in positiv ist oder nicht.
Das sind die Vorteile: Datenschutz, Anonymität, IT-Sicherheit. Und Open Source sollen auf DP-3T aufbauende Apps auch noch sein.
Das ist die Kritik: Apps, die darauf aufbauen, werden echte Akkusauger. Zum einen weil Bluetooth einiges an Energie frisst. Zum anderen weil die lokal auf dem Gerät ausgeführten Rechenoperationen energieintensiv sind.
Das sind die Aussichten: Es gibt bereits eine Referenzimplementierung, also ein Modell, wie eine App aussehen sollte. Jetzt kommt es darauf an, ob wichtige Akteure wie Gesundheitsbehörden ihre Apps auf dem Konzept aufbauen.
Die Platzhirsche: Google & Apple
Das ist es: Eine klassische Version der Kontakt-Nachverfolgungs-Apps. Also: Eine App, die, auf Bluetooth basierend, speichert, welche anderen App-Teilnehmer:innen im Nahbereich waren. Ist eine:r positiv getestet, gibt es für andere im Nahbereich einen entsprechenden Hinweis.
Das sind die Vorteile: Wenn die beiden großen Anbieter von Smartphone-Betriebssystemen auf ein datenschutzmäßig zumindest okayes Konzept setzen, dann setzt das Standards für die Branche. Wer dann noch Nutzer:innen per GPS-Daten oder Mobilfunkzellen tracken will, muss sich fragen lassen, warum.
Das ist die Kritik: Das Konzept von Google und Apple ist anscheinend noch nicht so ganz ausgereift, und ein paar Fragen sind offen. Zum Beispiel eine sehr entscheidende: Wissen dann Google und Apple, dass ich positiv getestet wurde? So, wie es derzeit aussieht, ließe sich die App in beide Richtungen umsetzen.
Das sind die Aussichten: Google und Apple machen nicht nur die Betriebssysteme, sondern betreiben auch die App-Stores. Sie könnten also eine App zum Erfolg pushen.
Der Ausreißer: Corona-Datenspende des RKI
Das ist es: Streng genommen keine Kontakt-Nachverfolgungs-App, sondern eine Corona-Datensammel-App. Wer ein Fitnessarmband oder eine Smartwatch nutzt, kann die Daten daraus an das Robert-Koch-Institu (RKI) weiterleiten. Das betrifft unter anderem Herzfrequenz und Körpertemperatur, aber auch Daten über Aktivität und Schlaf. Das RKI will daraus auf fieberhafte Infekte schließen und Coronaausbrüche frühzeitig erkennen. Die App fragt daher auch die Postleitzahl ab.
Das sind die Vorteile: Klappt es, aus den gesammelten Daten frühzeitig Rückschlüsse auf lokale Infektionsgeschehen zu schließen, dann ließe sich daraus auch erkennen, ob Ausgangssperren wirken. Oder überlegen, ob es diese an einem Ort, an dem sich das Virus ausbreitet, geben sollte.
Das ist die Kritik: Die Software ist nicht Open Source – ob sie also macht, was sie machen soll, lässt sich von außen nicht einfach überprüfen. Datenschützer:innen kritisieren: Wer die Daten bekommt, sei für Nutzer:innen nicht zu erkennen, ebenso wenig, wie lange die Informationen aufbewahrt werden oder wie sie sich löschen lassen. Denn die App wurde nicht vom RKI programmiert, sondern von einer beauftragten Firma.
Das sind die Aussichten: Die Zahl der Menschen, die die App heruntergeladen haben, liegt mittlerweile im sechsstelligen Bereich. Laut Branchenverband Bitkom nutzen 36 Prozent der Deutschen mindestens gelegentlich eine Smartwatch. Es ist also noch Luft nach oben. | 67 |
0 | »Ja mein junger Freund,« sagte er dabei, an Theobald wieder hinuntersehend
bis sein Blick an dessen Knieen haftete und diesen ebenfalls dort
hinunterschielen machte -- »ja mein junger Freund, nehmen Sie sich
besonders vor diesen verwünschten Amerikanern in Acht, und wenn Sie es
irgend können, wenn es Ihnen Ihre Mittel nur halbwege erlauben, so
schiffen Sie sich wieder so rasch Sie können nach Deutschland ein;
lieber trockene Brodrinde dort, mit vaterländischem Quell- oder
Brunnenwasser, als Champagner hier, in diesem Gottvergessenen Lande
--Donnerwetter,« unterbrach er sich dabei in alle seine Taschen fühlend,
»jetzt habe ich mein Portemonnaie zu Hause auf meinem Schreibtisch
liegen lassen -- ei das ist mir doch ungemein fatal -- ah lieber Freund,
bitte legen Sie diese Flasche doch einmal bis heute Nachmittag für mich
aus; -- Sie logiren?« -- | 68 |
1 | Kommentar Stichwahl in Frankreich: Irrsinn aus Prinzip
Störrische Stimmenthaltung: Die Mélenchon-Anhänger sind schlechte Verlierer und riskieren aus Frust die Zukunft Europas.
Viele von Mélenchons Unterstützern wollen sich enthalten. Was sie wohl tatsächlich an der Wahlurne tun werden? Foto: ap
„Weder noch!“ sagen in Frankreich viele enttäuschte Linkswähler aus dem Lager von Jean-Luc Mélenchon. Sie sind über den Ausgang des ersten Durchgangs der Präsidentenwahl so frustriert, dass sie den zweiten und entscheidenden lieber boykottieren wollen, als durch eine Teilnahme an einer Wahl zwischen „Pest und Cholera“ eine persönliche Mitverantwortung zu übernehmen.
Keine Stimme für Marine Le Pen, sagen sie. Doch sie müssen sich die Frage gefallen lassen, wie effizient ihr deklarierter Kampf gegen die extreme Rechte ist, wenn dem anderen, einzigen Gegenkandidaten der Wahlzettel versagt wird. Ist es die wichtigste Priorität, keine Abstriche an der eigenen Überzeugung und Linie machen zu müssen? Nennen sich die Mélenchon-Anhänger deshalb die „Unbeugsamen“?
Die linke Kritik am Programm des unabhängigen Präsidentschaftskandidaten Emmanuel Macron ist mehr als berechtigt, und die Enttäuschung der WählerInnen der ausgeschiedenen Kandidaten Mélenchon, Hamon, Poutou oder Arthaud durchaus verständlich. Doch eine andere Alternative zu Le Pen an dieser Wahlurne am 7. Mai gibt es nun mal nicht. Vielleicht ein anderes Mal, jetzt aber nicht.
Oder aber man ist konsequent und lehnt aus Prinzip eine solche Wahl in einem kapitalistischen System a priori als Manipulation der Massen ab. Zuerst aber zur Veränderung auf die Wahl setzen, und dann schmollen, weil das Resultat nicht den Hoffnungen entspricht, heißt, schlechte Verlierer zu sein und vor der Entscheidung mit der Faust im Sack die Arena zu verlassen.
Wer resolut gegen einen neoliberalen Sozialabbau protestieren will, wird dies zweifellos unter einer Regierung von Macron einigermaßen ungehindert tun können – und sogar müssen
Wer resolut gegen einen neoliberalen Sozialabbau protestieren will, wird dies zweifellos unter einer Regierung von Macron einigermaßen ungehindert tun können – und sogar müssen. Genau diese so teuer erkämpfte demokratische Freiheit ist jedoch von Marine Le Pen sehr ernsthaft bedroht. Die beiden mit der Wahlverweigerung auf dieselbe Stufe zu stellen, ist absurd und gefährlich. | 69 |
1 | Kommentar Autonomentreffen in Berlin: Reden über Verbotszonen
Ohne Ergebnisse des Treffens in Berlin vorwegzunehmen: Festzuhalten bleibt, der massive Polizeieinsatz in Hamburg zu Jahresbeginn ist nicht vergessen.
Darüber soll geredet werden: Polizeieinsatz, hier in Hamburg Bild: reuters
Erstens soll man da jetzt nichts herbeischreiben und zweitens auch nichts vorfrüh bewerten. Ob es am Wochenende in Berlin zu größeren oder kleineren Ausschreitungen kommt oder nicht, ist ohnehin eine letztlich unpolitische Frage. Aus der Ankündigung linker Gruppen, in Berlin am Wochenende eine „Offensive“ zu starten, lassen sich dennoch einige Schlüsse ziehen. Der erste ist: Hamburg ist nicht vergessen.
Dort hatte es zu Jahresbeginn eine stadtpolitische Auseinandersetzung gegeben, die tief hinein in die sozialdemokratischen und liberalen Lager für Verstimmungen gesorgt hat, als aus dem Konflikt um ein linkes Kulturzentrum plötzlich ein städtisches „Gefahrengebiet“ mit erweiterten Polizeibefugnissen wurde.
Man muss die – nicht neue – Verbalrhetorik linksradikaler Ankündigungsschriften überhaupt nicht teilen, um dennoch eines attestieren zu können: Tatsächlich ist in den vergangenen Jahren die Bereitschaft gestiegen, durch polizeitaktische Maßnahmen Grundrechte einzuschränken. In Dresden und Frankfurt, wo von den Gewerkschaften über Attac bis zu den Sozialdemokraten – gemeinsam mit einigen Kommunisten und Anarchisten – Demonstranten auf die Straße gingen, antwortete die Polizei wiederholt mit äußerst restriktiven Mitteln.
Außer in Berlin, wo die Polizei seit Jahren mit einer Strategie der verhältnismäßigen Zurückhaltung bei Demonstrationen immer wieder Erfolge erzielt hat, senden die Polizeiführungen nahezu aller großen deutschen Metropolen ein durchaus alarmierendes Zeichen: Wir lassen erst gar nicht zu, was uns allzu sehr stört. Das Ergebnis sind Demonstrationsverbotszonen.
Weil diese Entwicklung bedenklich ist und viele Menschen betrifft, ist ihre öffentliche Erörterung nötig. Ob man dazu wirklich gleich zu den Pflastersteinen greifen muss, sei mal dahingestellt. | 70 |
1 | Die Arbeit der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb wurde bereits mit zahlreichen Preisen gewürdigt. Eine Übersicht finden Sie hier.
Auszeichnungen 2020
BRaVE-Award Ausgezeichnet wurde das Webvideo-Projekt "Jamal al-Khatib - Mein Weg" November 2020 Externer Link: Zur Website des BRaVE Awards
Auszeichnungen 2018
CIVIS Sonderpreis "Fußball + Integration" im Bereich Online Ausgezeichnet wurde das multimediale Angebot "Refugee Eleven" März 2018 Externer Link: Zur Website des CIVIS Medienpreises
Auszeichnungen 2017
Politikaward 2017 in der Kategorie "Digital Public Affairs" Ausgezeichnet wurde das Angebot "Deine tägliche Dosis Politik" Februar 2018 Externer Link: Zur Website des Politikawards
Auszeichnungen 2016
Politikaward 2016 in der Kategorie „Medienformat“ Ausgezeichnet wurden die bpb-Aktivitäten auf der Videoplattform YouTube, insbesondere die beiden Newsformate "BrainFed" und „TenseInforms“. November 2016 Externer Link: Zur Website des Politikawards
"Pädagogischer Interaktiv-Preis 2016" (PÄDI) Ausgezeichnet wurde das YouTube-Newsformat "Brainfed". November 2016 Externer Link: Zur Website des PÄDI
German Design Award 2017 Ausgezeichnet wurden das bpb:magazin, Ausgabe 2/2015 (Prädikat "Winner" und "Special Mention") sowie die Sonderausgabe der Reihe Thema im Unterricht "Logbuch #Neuland" ("Winner") Oktober 2016 Externer Link: Zur Website der germans Design Awards
Fox Award in Silber Ausgezeichnet wurde das bpb:magazin September 2016 Externer Link: Zur Website des FOX AWARDS
Grimme-Online-Award Ausgezeichnet wurde das YouTube-Newsformat "Brainfed". Juni 2016 Externer Link: Zur Website des Grimme-Online-Awards
ITB-Book-Award in der Kategorie„Länderwissen – aktuell“ Ausgezeichnet wurde die bpb-Reihe „Länderbericht“. März 2016 Externer Link: Zur Website der ITB-Book-Awards
OER-Award 2016 Auszeichnung als „Konsequentester OER-Förderer und -Wegbereiter“ (Preis der Jury) März 2016 Externer Link: Zur Website des OER-Awards
Auszeichnungen 2015
ICMA – International Corporate Media Award in der Kategorie „iPad and Tablet Apps“ Ausgezeichnet wurde das Magazin des Festivals "Politik im Freien Theater" November 2015 Externer Link: Zur Website der ICMA
Auszeichnungen 2014
Erasmus EuroMedia Awards 2014 - Medal of Excellence in der Kategorie "Language and Media" Ausgezeichnet wurde die DVD "Faszination Medien". Oktober 2014 Externer Link: Zur Website der EuroMedia Awards
International Design Excellence Award in der Kategorie Social Impact Design (silber) Ausgezeichnet wurde der Wahl-O-Mat. August 2014 Externer Link: Zur Website der International Design Excellence Awards
Goldener Spatz der Deutschen Kindermedienstiftung Ausgezeichnet wurde die Zeichentrickfilm-Software "Trixomat" auf der Website des Kinderangebots HaNiSauLand. Mai 2014 Externer Link: Zur Website des Goldenen Spatzes | 71 |
0 | "Warum nicht", meinte Bella, "aber wie soll ich's anfangen?" und las
weiter in ihrem Buche. "Sieh, Kind", sprach die Alte, "er kann in keinem
andern Zimmer schlafen, als in dem schwarzen mit den goldenen Leisten,
neben welchem das geheime Kämmerlein deines Vaters versteckt ist, denn die
andern Zimmer haben alle mehr Eingänge, da ist es ihm nicht so sicher,
auch steht nur in diesem eine Bettstelle. Nun sieh, wenn du merkst, daß
er stille, daß er eingeschlafen, so schleich aus der Kammer heraus, leg
dich zu ihm ins Bette, und ich schwör dir, daß er vor Angst davonläuft und
nie wiederkommt; sollte er aber Mut behalten und dich festhalten, sieh, so
kostet es dir ja nur eine Lüge, daß du aus Liebe zu ihm eingedrungen, und
dein Glück ist vielleicht gemacht." | 72 |
1 | Am 24. Juni 2016 musste der britische Premier David Cameron seine Niederlage eingestehen – gegen seine Empfehlung und die seiner Regierung hat sich die Mehrheit der Britinnen und Briten für den Austritt aus der EU ausgesprochen, einschließlich dem Großteil der Wählerinnen und Wähler seiner Partei. Gescheitert ist Cameron vor allem mit seiner politischen Wette, die europapolitischen Gräben innerhalb seiner Partei mit einer Volksabstimmung zu kitten, die er mit ökonomischen Argumenten über die hohen Kosten eines EU-Austritts sicher zu gewinnen glaubte. Das Austrittsvotum wird das Vereinigte Königreich und Europa über Jahre prägen.
Für den künftigen Umgang mit dem Vereinigten Königreich und die Sicherung des weiteren Zusammenhalts der verbliebenen 27 EU-Staaten ist es wichtig, die Entstehung des britischen EU-Referendums nachzuvollziehen. Wie konnte es überhaupt zur Ansetzung der Volksabstimmung kommen? Wie sind die Kampagnen verlaufen und was hat zum Sieg der EU-Gegner beigetragen? Und nicht zuletzt: Welche Themen und Prioritäten haben die Briten dazu bewogen, für den Austritt zu stimmen? Weg zum EU-Referendum
Die Abhaltung eines Referendums über die EU war in Großbritannien bereits seit Jahren umstritten und wurde lange von der Regierung und dem Parlament abgelehnt. Bereits im Oktober 2011 erzwang eine Gruppe Hinterbänkler der Konservativen Partei eine Abstimmung im House of Commons über ein abzuhaltendes EU-Referendum. Die britische Regierung – damals eine Koalition von Konservativen und Liberaldemokraten unter der Führung von Premier David Cameron – stellte sich entschieden dagegen. Die Regierung glaubte, Großbritanniens Interessen seien am besten innerhalb der EU gedient. Dennoch votierten 81 der damals 306 konservativen Abgeordneten gegen die explizite Vorgabe der eigenen Partei für ein EU-Referendum, insgesamt sprach sich das Parlament mit 483 zu 111 Stimmen gegen ein EU-Referendum aus.
Obwohl die Mehrheit der konservativen Abgeordneten gegen das Referendum stimmte, vollzog David Cameron knapp eineinhalb Jahre später einen historischen Strategieschwenk und versprach den Briten im Januar 2013 für den Fall seiner Wiederwahl als Premier eben jenes Votum über die EU-Mitgliedschaft. Der Ausgangspunkt für diesen Sinneswandel war auf den ersten Blick die zunehmende EU-Skepsis in der britischen Bevölkerung. Das Vereinigte Königreich hat traditionell eine distanzierte Sonderrolle in der EU eingenommen. Schon der Beitritt 1973 war, anders als in den Gründerstaaten Frankreich und Deutschland, primär wirtschaftlich motiviert. Als damals "kranker Mann" Europas wollte die britische Regierung mit dem Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft, den Anschluss zum europäischen Markt zurückerlangen.
Während die Briten Projekte wie die Schaffung eines gemeinsamen Binnenmarkts deutlich unterstützten, standen sie einer weiteren politischen Integration kritisch gegenüber. Seit den Verträgen von Maastricht war Großbritannien nur dann bereit, weitere Integrationsschritte mitzutragen, wenn es Ausnahmerechte bekam – etwa beim Euro (Maastricht), dem Schengenraum (Amsterdam) oder der Grundrechtecharta (Lissabon). Auch während der vergleichsweise pro-europäischen Positionierung des Premiers Tony Blair blieb die Hauptmotivation für die EU-Mitgliedschaft der Binnenmarkt.
Dieses Narrativ geriet im Vereinigten Königreich im Zuge der europäischen Schuldenkrise zunehmend unter Druck. Während sich das Land selbst ab 2011 zumindest gesamtwirtschaftlich von den Folgen der Wirtschafts- und Finanzkrise erholte, erzeugten die täglichen Krisenmeldungen aus Griechenland und den anderen Eurostaaten das Bild einer wirtschaftlich kollabierenden Eurozone, die nunmehr als größtes Risiko für die britische Wirtschaft wahrgenommen wurde. In der Folge stieg die United Kingdom Independence Party (UKIP) in den Wählerumfragen zur drittstärksten Partei Großbritanniens auf. Bei den Europawahlen 2014 wurde sie, bei niedriger Wahlbeteiligung, mit 27 Prozent sogar stärkste Partei. Laut David Cameron war die demokratische Legitimation der britischen EU-Mitgliedschaft nur noch hauchdünn – sie bedürfe einer neuen Bestätigung in Form einer Volksabstimmung. Camerons riskante Doppelstrategie
Auf den zweiten Blick jedoch hatte Camerons Versprechen, ein Referendum abzuhalten, innenpolitische, wenn nicht sogar innenparteipolitische Gründe. Innerhalb der Konservativen Partei forderte eine Minderheit sehr EU-skeptischer Abgeordneter immer lauter einen härteren Kurs der britischen Regierung gegenüber der EU. Gebunden an die Liberaldemokraten als Koalitionspartner, die europafreundlichste der britischen Parteien, kam die Regierung diesen Forderungen nicht nach. Zunehmend wuchs unter den Tories auch die Angst, dass die UKIP ihnen im britischen Mehrheitswahlrecht entscheidende Stimmen wegnehmen und damit einer Labour-Regierung den Weg ebnen könnte. Die bereits seit den frühen 1990er Jahren bestehende europapolitische Spaltung innerhalb der Konservativen Partei drohte zu einer ernsthaften Gefahr für Camerons Führungsposition zu werden.
Der innenpolitische Kontext erklärt Camerons Strategie: In seiner Bloomberg-Europarede im Januar 2013 kündigte er den Briten nicht einfach als Premierminister ein EU-Referendum an. In seiner Funktion als Parteivorsitzender knüpfte er das Referendum an die Bedingung, dass er bei den Parlamentswahlen 2015 als Premierminister wiedergewählt werde.
Seine Strategie bestand aus zwei Teilen: Erstens wollte er damit für einen Burgfrieden innerhalb der Konservativen Partei sorgen, da sich sowohl EU-Gegner als auch -Befürworter hinter dem Referendumsversprechen vereinen konnten. Gerade EU-skeptische Tory-Abgeordnete konnten so in ihren Wahlkreisen zum einen Wahlkampf gegen die UKIP führen, indem sie selbst eine Volksabstimmung in Aussicht stellten, zum anderen gegen die Labour-Partei, die das Referendum ablehnte. Dieser Teil Camerons Doppelstrategie ist weitgehend aufgegangen, da sich die Konservativen in EU-Fragen bei der Unterhauswahl 2015 größtenteils einstimmig zeigten. Die UKIP gewann zwar bei der Unterhauswahl 2015 erheblich dazu, aber die Konservativen verloren an sie nur einen einzigen Parlamentssitz. Die UKIP schaffte es stattdessen, viele Labour-Wähler zu gewinnen. Auch deswegen erreichte Cameron mit den Konservativen bei den Parlamentswahlen 2015 überraschend die absolute Mehrheit.
Zweitens hatte sein Plan eine europapolitische Komponente: Cameron kündigte bereits 2013 an, das Referendum gegenüber den EU-Partnern als Druckmittel zu nutzen, um eine Reform und eine "neue Stellung Großbritanniens" innerhalb der Union durchzusetzen. Ursprünglich wollte er sich damit an Vertragsveränderungen für die Eurozone heranhängen, die zu diesem Zeitpunkt als politisch wahrscheinlich erachtet wurden. Diese Pläne musste er jedoch nach seiner Wiederwahl aufgeben. In einer Shuttle-Diplomatie und begleitet von durchgehend kritischen Positionen zur EU führte Cameron zwischen Juni 2015 und Februar 2016 diese Neuverhandlung, um EU-Reformen in vier Bereichen zu bewirken: Binnenmarkt, Souveränität, Verhältnis von Euro- und Nicht-Eurostaaten und Migration.
Dieser Teil der Doppelstrategie ging jedoch nicht auf: Zwar stimmte der aus den Staats- und Regierungschefs bestehende Europäische Rat am 19. Februar 2016 einem Reformpaket für Großbritannien zu, dies blieb jedoch in den Augen der meisten britischen Kommentatoren weit hinter den Erwartungen zurück, die Cameron selbst geweckt hatte. So erreichte er vor allem symbolische Zugeständnisse: etwa das Bekenntnis zum Binnenmarkt, die Herausnahme Großbritanniens vom Ziel der "immer engeren Union" und weiteren Integrationsschritten der EU sowie ein Vetorecht nationaler Parlamente gegen EU-Beschlüsse. Diese "rote Karte" gelte immer dann, wenn sich mindestens 55 Prozent des Parlaments gegen eine Gesetzesinitiative der EU entscheiden. Während die EU-Staaten dem Vereinigten Königreich keine Schutzrechte gegenüber der Eurozone zugestanden, gingen sie in Bezug auf die Freizügigkeit mit der Zustimmung zu einer "Notbremse", mit der Sozialleistungen für eingewanderte EU-Bürger begrenzt werden können, auf die britischen Forderungen ein. Eine harte Kontrolle der Migration, wie sie von EU-Kritikern in der Konservativen Partei gefordert wurde, erreichte man damit aber nicht.
Obwohl Cameron direkt nach der Einigung im Februar 2016 von einem historischen Erfolg sprach, der Großbritannien "das Beste von zwei Welten" – in der EU, aber außerhalb von Schengen und Euro – biete, berief er sich während der Kampagne kaum noch auf seine diplomatische "Errungenschaft". Gesetz zur Abhaltung des Referendums
Damit war der politische Kontext für das Referendum gesetzt. Der rechtliche Kontext hingegen war über ein reguläres Gesetz des britischen Unterhauses festgelegt worden, das die wiedergewählte Regierung Cameron im Mai 2015 eingebracht hatte. Der eigentliche Gesetzgebungsprozess war weitgehend unspektakulär. Referenden sind im Vereinigten Königreich mit seiner Tradition der Parlamentssouveränität ein seltenes, aber mittlerweile gut geregeltes Verfahren. So kann das Parlament zu jeder Frage Referenden ansetzen – auch wenn sie, wie im Falle des EU-Referendums, rechtlich unverbindlich sind. Um in der Öffentlichkeit nicht als Gegner der direkten Demokratie dazustehen, stimmten im House of Commons alle Parteien mit Ausnahme der Scottish National Party (SNP) zugunsten des Gesetzes zur Abhaltung eines Referendums. Das Gesetz wurde mit einer Mehrheit von 544 zu 33 Stimmen angenommen.
Bemerkenswert waren am Prozess der Gesetzgebung drei Aspekte: Erstens wurden mit der Gesetzgebung auch die Abstimmungsmodalitäten festgelegt, die sich am allgemeinen Wahlrecht für britische nationale Wahlen orientierten. Die Regierung setzte damit durch, dass – anders als beim Schottischen Unabhängigkeitsreferendum 2014 – weder nichtbritische EU-Bürger noch Briten unter 18 wählen durften. Auslandsbriten, die länger als 15 Jahre außerhalb des Königreichs lebten, wurden ebenfalls von der Wahl ausgeschlossen.
Zweitens wehrte die Regierung Forderungen der SNP und anderer Regionalparteien ab, wonach ein Austrittsvotum nur dann gelte, wenn alle vier Nationen des Vereinigten Königreichs für den Brexit stimmen.
Drittens schrieb das Gesetz die endgültige, im Referendum gestellte Frage fest: "Sollte das Vereinigte Königreich Mitglied der EU bleiben oder die EU verlassen?" Hierfür erlaubte das Gesetz der Regierung, den Termin für das Referendum frei bis Ende 2017 festlegen zu können, sofern mindestens vier Monate zwischen der Ankündigung und der Abstimmung liegen. Nach der Einigung in Brüssel im Februar 2016 entschied die Regierung Cameron, den letzten noch möglichen Termin vor der Sommerpause 2016 zu nehmen: den 23. Juni 2016. Wahlkampf zwischen Konservativen
Trotz des jahrelangen Vorlaufs bis zum EU-Referendum blieb den Kampagnen auf beiden Seiten nur wenige Monate Zeit, um die Bevölkerung für sich zu gewinnen. Die Kampagnenführung für Referenden ist im Vereinigten Königreich klar reguliert: Die britische Wahlkommission hat für beide Seiten jeweils eine offizielle Kampagne bestimmt, die bis zu sieben Millionen Pfund für den Wahlkampf ausgeben durfte, politische Parteien und andere Kampagnengruppen wurden deutlich stärker begrenzt. Der Wahlkampf sollte zwischen dem 15. April und dem 23. Juni 2016 stattfinden. Die Regierung wurde durch die sogenannte Purdah Period zusätzlich beschränkt. In dieser Zeit ist es Regierungen verboten, im letzten Monat vor einem Referendum eigene Wahlwerbung herauszubringen. Die Regierung hatte deshalb ihre Studien zu den Auswirkungen des Brexit bereits im April und Mai 2016 veröffentlicht – lange bevor die öffentliche Debatte über den Brexit ihren Höhepunkt erreichte.
Pragmatische Argumente gegen den Brexit
Die Hauptakteure der beiden Kampagnen sind vor allem innerhalb der Konservativen Partei zu finden. Die offizielle Kampagne der Befürworter eines EU-Verbleibs versammelte sich im Oktober 2015 unter dem Motto "Britain Stronger in Europe". Die Kampagne wurde zwar überparteilich unterstützt, spielte in der öffentlichen und medialen Debatte aber nur eine untergeordnete Rolle. Hierzu trug vor allem bei, dass sie weder von der Regierung noch von der Opposition prominente Politikerinnen und Politiker für sich gewinnen konnte.
In der öffentlichen Wahrnehmung wurden die Remainers hauptsächlich von Premierminister David Cameron und seiner Regierung vertreten – und das, obwohl die Regierung gespalten war: Während sich das Kabinett insgesamt für den Verbleib ausgesprochen hatte, setzten sich 7 der 30 Minister öffentlich für den Austritt ein.
Die damalige Innenministerin und heutige Premierministerin Theresa May bekannte sich zwar öffentlich zum Verbleib, beteiligte sich aber nicht maßgeblich am Wahlkampf. Auch von den 330 konservativen Abgeordneten im Parlament stellten sich nur 163 hinter ihren Premier und den EU-Verbleib, während sich etwa 140 für den Brexit engagierten. Die Konservative Partei als Ganzes – einschließlich ihrer Wählerlisten, Freiwilligen und anderen Unterstützern – konnte Cameron nicht für die EU gewinnen, sie blieb formell neutral.
Die Labour-Partei hatte mit anderen Problemen zu kämpfen: Sie wollte nach den Erfahrungen des schottischen Unabhängigkeitsreferendums von 2014 keine gemeinsame Kampagne mit den Konservativen machen, da Labour dort in der öffentlichen Wahrnehmung mit den Tories verknüpft worden war und seitdem in Schottland erheblich an Unterstützung verloren hatte. Die separate "Labour In"-Kampagne wurde von Alan Johnson angeführt, der ebenfalls kein politisches Schwergewicht der Labour-Partei ist. Parteivorsitzender Jeremy Corbyn hingegen sprach sich nur sehr zögerlich für den Verbleib aus und trat selber in der Öffentlichkeit während des Wahlkampfs kaum in Erscheinung.
Kurzum: Obwohl die Zugehörigkeit zur EU auch im europakritischen Großbritannien von einer breiten Mehrheit des Establishments getragen wurde, gab es keine schlagkräftige und überparteiliche Kampagne für den Verbleib in der Union. Die Befürworter wurden hauptsächlich von Premier David Cameron und seinem Finanzminister George Osborne vertreten, die beide keine EU-Enthusiasten sind.
Cameron, Osborne und die offizielle "Stronger In"-Kampagne argumentierten rein pragmatisch: Eine weitere politische Integration in die EU wurde zwar abgelehnt, ein Verbleib im Vergleich zum Brexit aber als geringeres Übel dargestellt, zumal man die Union noch im eigenen Interesse beeinflussen könne. Die im Februar 2016 verhandelten Zugeständnisse seien nur der Anfang eines längeren Reformprozesses. Solange das Vereinigte Königreich weiterhin der Eurozone und dem Schengener Abkommen fernbleibe, würden die wirtschaftlichen Vorteile des Binnenmarkts stärker wiegen als die Nachteile. Vor allem sei der Austritt aus der EU mit sehr großen wirtschaftlichen, aber auch sicherheitspolitischen Risiken verbunden. Von den EU-Gegnern als "Project Fear" verschmäht, setzten die Befürworter in ihrer Kampagne somit fast ausschließlich auf Argumente gegen den Brexit statt auf Anreize für den Verbleib.
Take back control
Nicht weniger heterogen, dafür politisch deutlich schlagkräftiger war die Kampagne des Brexit-Lagers. Als offizielle Kampagne wurde "Vote Leave" designiert. Sie hatte sich ebenfalls überparteilich im Oktober 2015 gebildet und wurde im Vergleich zu "Stronger In" von mehreren Spitzenpolitikern vertreten. Hierzu gehörte vor allem der ehemalige Londoner Bürgermeister Boris Johnson, der zur Zeit des Referendums nicht nur als vertrauenswürdigster Politiker Großbritanniens galt, sondern auch als Favorit auf die Nachfolge David Camerons.
Auch andere konservative Kabinettsmitglieder – wie Justizminister Michael Gove, Fraktionsvorsitzender Chris Grayling oder Arbeitsminister Iain Duncan Smith – traten in der Öffentlichkeit für "Vote Leave" ein. Gisela Stuart, eine der sehr wenigen Austrittsbefürwortern unter den Labour-Abgeordneten, unterstützte "Vote Leave" und zog dabei in der medialen Öffentlichkeit deutlich mehr Aufmerksamkeit auf sich als die "Labour In"-Kampagne.
Mit der Kampagne "Leave.EU" gab es noch eine weitere Plattform. Sie wurde von Arron Banks, einem der größten UKIP-Sponsoren, mit der Unterstützung des UKIP-Chefs Nigel Farage gegründet. Obgleich "Leave.EU" und "Vote Leave" um den Status als offizielle Kampagne konkurrierten und sich in der Öffentlichkeit zum Teil heftig kritisierten, ergänzten sie sich in der Kampagnenführung: "Leave.EU" und die UKIP mobilisierten die sehr hartnäckigen EU-Gegner, während sich "Vote Leave" eher auf die Wähler der Mitte konzentrierte.
Insgesamt konnten sie sich hinter drei gemeinsamen Forderungen vereinen: Erstens die Migration, die im Vereinigten Königreich insbesondere seit dem Zuzug von EU-Arbeitnehmern aus Mittel- und Osteuropa ein gesellschaftlich hoch umstrittener Punkt ist, müsse reduziert werden. Boris Johnson und Nigel Farage behaupteten, das Vereinigte Königreich könne seine Außengrenzen und die Einwanderung nur kontrollieren, wenn es aus der EU austrete. Sie warnten zugleich vor der Aufnahme weiterer Flüchtlinge und sprachen von potenziellen Einwanderungswellen im Falle eines EU-Beitritts der Türkei. Das Vereinigte Königreich stehe, so ein "Leave.EU"-Plakat, vor dem breaking point.
Zweites Anliegen war die "Wiedererlangung" der britischen Souveränität. Solange das Vereinigte Königreich in der EU überstimmt werden könne und an Gerichtsurteile des Europäischen Gerichtshofs gebunden sei, sei die demokratische Legitimität nicht gewährleistet und das Parlament von Westminister geschwächt. Insbesondere Justizminister Michael Gove lehnte die EU-Mitgliedschaft aus diesen Gründen ab.
Das dritte Argument war ökonomischer Natur: Die Befürworter des Brexit prangerten die hohen EU-Ausgaben des Vereinigten Königreichs an. Sie versprachen, die 350 Millionen Pfund, welche die Briten ihren Behauptungen zufolge pro Woche an die EU zahlen würden – eine nachweislich falsche Behauptung –, bei einem EU-Austritt in britische Sozialleistungen und den Gesundheitsdienst fließen zu lassen. Auch sei die wirtschaftliche Verbindung mit der schwächelnden Eurozone das eigentliche Risiko. Schließlich könne das Vereinigte Königreich die britischen Interessen wesentlich besser in Handelsabkommen vertreten.
Die Argumente lassen sich in einem einfachen Slogan zusammenfassen: take back control. Eine Überraschung, die keine war
In den emotional geführten Kampagnen dominierten im Wesentlichen zwei Themen: die wirtschaftliche Auswirkung eines Brexit und die Migration. Vor allem in der Schlussphase des Wahlkampfs gelang es den EU-Gegnern den Fokus der Debatte zunehmend auf die Frage der Migration und der Freizügigkeit in der EU zu verschieben. Die öffentliche Auseinandersetzung wurde dabei vor allem von Politikern aus der Konservativen Partei geführt, wobei es sich dabei hauptsächlich um eine Debatte zwischen EU-Gegnern auf der einen und EU-Skeptikern auf der anderen Seite handelte. Aufrichtige Europafreunde waren im Wahlkampf kaum wahrzunehmen. Gleichzeitig war das Referendum durch die Spaltung der Konservativen und zu einem geringeren Grade auch von Labour besonders polarisierend, da sich sogar Kabinettsmitglieder gegenseitig der Lüge bezichtigten. Ihren traurigen Höhepunkt erreichte die Polarisierung mit der politisch motivierten Ermordung der Labour-Abgeordneten Jo Cox am 16. Juni 2016, knapp eine Woche vor dem Referendum.
Als die Briten am 23. Juni 2016 schließlich zur Wahlurne schritten, rechneten die meisten politischen Beobachter in Großbritannien und Europa mit einem knappen Votum für den Verbleib. Doch es kam anders: 51,9 Prozent der britischen Wähler stimmten für den Austritt aus der EU. Umso stärker saß der Schock. Dabei prognostizierte während des Wahlkampfs rund ein Viertel der mehr als hundert Wählerumfragen zum Referendum einen Sieg des Brexit-Lagers.
Das Ergebnis überraschte nicht nur die Regierung Cameron, sondern, wie sich in den nächsten Tagen zeigte, auch viele der Austrittsbefürworter. Es folgten politische Chaostage in London, in denen zunächst David Cameron als Premier und Parteivorsitzender zurücktrat, kurz danach aber auch Nigel Farage seinen Rückzug von der UKIP-Spitze erklärte. Auch die konservativen Köpfe der Brexit-Befürworter, Boris Johnson und Michael Gove, zogen sich aus dem Rennen um die Nachfolge von Cameron zurück. Gleichzeitig schwächte sich die Opposition: Knapp 80 Prozent der Abgeordneten der Labour-Partei sprachen ihr Misstrauen gegen ihren Vorsitzenden Jeremy Corbyn aus. Ihr Vorwurf lautete unter anderem: Corbyn habe sich im Wahlkampf nicht entschieden genug für den Verbleib eingesetzt.
Strahlende Siegerin des internen Machtkampfs der Konservativen war Theresa May, die noch im Juli als neue Premierministerin von der Queen bestätigt wurde. Ihr Ziel ist es, das Land hinter der Mission "Brexit" zu vereinen. Ein Königreich mit drei Bruchlinien
Der genaue Blick auf die unterschiedlichen Wählerprofile des Votums offenbart drei Bruchlinien: Die erste Bruchlinie ist regional. Trotz knappem Gesamtwahlergebnis von 52 zu 48 Prozent war die Zustimmung zum Brexit regional höchst ungleich verteilt. Auf der einen Seite haben in Schottland und Nordirland alle, in London fast alle Wahlkreise mit einer Zustimmung von bis zu 70 Prozent für den Verbleib in der EU gestimmt. Auf der anderen Seite stimmte die Mehrheit in Wales und der Rest von England, und damit der Großteil der britischen Bevölkerung, für den Austritt.
Dies heizt die ohnehin bestehenden regionalen Spannungen in Großbritannien weiter an. Vor allem die in Schottland regierende SNP drängt auf ein neues Unabhängigkeitsreferendum oder zumindest auf eine Sonderlösung mit der EU. Die Nordiren fürchten eine Verhärtung der Grenze zur Republik Irland und damit einen Rückschlag im Friedensprozess.
Die zweite Bruchlinie verläuft demografisch zwischen Jung und Alt. Während die 18- bis 25-jährigen Wähler zu über 70 Prozent für den Verbleib in der EU gestimmt haben, votierten die über 60-Jährigen zu 60 Prozent für den Brexit.
Besonders brisant ist aber die dritte Bruchlinie, die sich entlang sozialer Schichten zieht. So haben Briten ohne formelle Ausbildung und mit geringerem Einkommen überproportional häufig für den Austritt gestimmt, während die gut ausgebildete Elite der Universitätsstädte und von London deutlich für den Verbleib votiert hat. Das Brexit-Votum war damit auch ein Misstrauensvotum gegen die britische Elite. Ein klares, unklares Mandat
Das Referendum hat der neuen britischen Regierung unter Theresa May ein hochkomplexes Mandat zum Brexit erteilt. Auf der einen Seite ist es ein klarer, unzweideutiger Auftrag, das Vereinigte Königreich aus der EU zu führen. Mit knapp 52 Prozent haben über 17 Millionen Briten für den Brexit gestimmt, das sind vier Millionen Stimmen mehr, als Margaret Thatcher und Tony Blair bei ihren jeweils höchsten Wahlsiegen erhalten haben. Die demokratische Legitimität und politische Verbindlichkeit des Referendums wird deshalb im Vereinigten Königreich auch von der Opposition weitgehend akzeptiert. Aufgrund des klaren demokratischen Mandats wird der Brexit nicht rückgängig gemacht werden. Auf der anderen Seite geben weder der Kampagnenverlauf noch das Votum der Bevölkerung Aufschluss darüber, für welche Art des Brexit die Briten eigentlich gestimmt haben. Die heterogene Gruppe der Austrittsbefürworter hat es im Wahlkampf geschickt vermieden, einen konkreten Plan zur Umsetzung des Brexit zu präsentieren. Ausgehend von den Hauptargumenten der Austrittskampagne hat Premierministerin May drei Ziele für die Verhandlungen mit der EU formuliert: die Freizügigkeit soll beschränkt werden, das Vereinigte Königreich soll von der EU-Gesetzgebung entbunden werden und Urteile des Europäischen Gerichtshofs sollen im Königreich nicht mehr verbindlich sein. Gleichzeitig zeigen Umfragen, dass eine große Mehrheit der Briten im Binnenmarkt bleiben will, um negative wirtschaftliche Folgen des EU-Austritts zu minimieren. Dies ist für die EU jedoch nur mit den vier Freiheiten – freier Warenverkehr, Personenfreizügigkeit, Dienstleistungsfreiheit und freier Kapital- und Zahlungsverkehr – und der Gültigkeit der EU-Gesetzgebung möglich.
Nach dem EU-Referendum zeichnet sich in Großbritannien also bereits der nächste europapolitische Konflikt ab – zwischen den Beführwortern eines klaren Bruchs mit der EU ("hard Brexit"), der jedoch mit erheblichen wirtschaftlichen Einschränkungen einhergehen würde und Vertretern eines "soft Brexit", einer weiterhin möglichst engen Einbindung in den EU-Binnenmarkt, die jedoch nach bisherigen EU-Konditionen nur zulasten der Souveränität möglich wäre.
Vgl. BBC, EU Referendum: Rebels Lose Vote in the Commons, 25.10.2011, Externer Link: http://www.bbc.com/news/uk-politics-15425256.
Vgl. Andrew Geddes, Britain and the European Union, Basingstoke 2013.
Vgl. Matthew Goodwin/Cailtin Milazzo, UKIP – Inside the Campaign to Redraw the Map of British Politics, Oxford 2015.
Vgl. David Cameron, EU Speech at Bloomberg, 23.1.2013, Externer Link: http://www.gov.uk/government/speeches/eu-speech-at-bloomberg.
Vgl. Nicolai von Ondarza, Rote Linien und eine ausgestreckte Hand. Eine Doppelstrategie für den Umgang mit Großbritannien in der EU, Berlin 2013.
Vgl. ebd.
Vgl. Europäischer Rat, Beschluss der im Europäischen Rat vereinigten Staats- und Regierungschefs über eine neue Regelung für das Vereinigte Königreich innerhalb der Europäischen Union, EUCO 1/16, 19.2.2016.
Vgl. Josh Noble/John Murray Brown, Cameron’s EU Deal Lambasted by UK Press, 3.2.2016, Externer Link: http://www.ft.com/content/36914b0e-ca4b-11e5-be0b-b7ece4e953a0.
Vgl. David Cameron, Speech on Europe, 10.11.2015, Externer Link: http://www.gov.uk/government/speeches/prime-ministers-speech-on-europe.
Vgl. Elise Uberoi, European Union Referendum Bill 2015-16, House of Commons Research Library, London 2016.
Vgl. The Electoral Commission, The EU Referendum and May 2016 Elections, London 2016.
Vgl. HM Treasury, The Immediate Economic Impact of Leaving the EU, London 2016.
Vgl. Kirsty Hughes, Neither Tackling the Lies Nor Making the Case: The Remain Side, in: Daniel Jackson et al. (Hrsg.), EU Referendum Analysis 2016: Media, Voters and the Campaigns, Poole 2016.
Vgl. BBC, EU Vote: Where the Cabinet and Other MPs Stand, 22.6.2016, Externer Link: http://www.bbc.com/news/uk-politics-eu-referendum-35616946.
Vgl. University of Loughborough, Media Coverage of the EU Referendum, 27.6.2016, blog.lboro.ac.uk/crcc/eu-referendum/uk-news-coverage-2016-eu-referendum-report-5-6-may-22-june-2016.
Vgl. UK Statistics Authority, Statement on the Use of Official Statistics on Contributions to the European Union, 27.5.2016, Externer Link: http://www.statisticsauthority.gov.uk/news/uk-statistics-authority-statement-on-the-use-of-official-statistics-on-contributions-to-the-european-union.
Für eine Übersicht zu den Umfragen siehe den Blog Externer Link: http://whatukthinks.org/eu.
Vgl. Theresa May, Britain After Brexit: A Vision of Global Britain, 2.10.2016, Externer Link: http://www.conservativehome.com/parliament/2016/10/britain-after-brexit-a-vision-of-a-global-britain-theresa-mays-conservative-conference-speech-full-text.html.
Vgl. Sabine Riedel, Ein Brexit ohne Schotten und Nordiren? Großbritannien droht der Staatszerfall, Berlin 2016. Siehe hierzu auch den Beitrag von Roland Sturm in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.).
Vgl. Matthew Goodwin/Oliver Heath, The 2016 Referendum, Brexit and the Left Behind: An Aggregate Level Analysis of the Result, in: Political Quarterly 2016 (i.E.).
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0 | So sehr die Anhänglichkeit an Gewohntes und Trägheit in des Menschen
Weise und Wesen liegen -- so sehr sind Energie und Opposition gegen
Bestehendes die Eigenschaften alles Lebendigen. Die Natur hat ihre
Kniffe und überführt die Menschen, die gegen Fortschritt und Änderungen
widerspenstigen Menschen; die Natur schreitet beständig fort und ändert
unablässig, aber in so gleichmäßiger und unwahrnehmbarer Bewegung, daß
die Menschen nur Stillstand sehen. Erst der weitere Rückblick zeigt
ihnen das Überraschende, daß sie die Getäuschten waren. | 74 |
1 | Folgen des Flughafendebakels um BER: Parteiengezänk auf Bundesebene
Die SPD wirft Verkehrsminister Ramsauer vor, Informationen verschwiegen zu haben. Die Sondersitzung des Haushaltsausschusses wurde abgebrochen.
Wie geht es mit BER weiter? Verkehrsminister Ramsauer (CSU) weiß es auch nicht. Bild: dapd
BERLIN dpa | Beim Debakel um den geplanten Berliner Großflughafen verhärten sich die Fronten zwischen SPD und schwarz-gelber Bundesregierung. SPD-Chef Sigmar Gabriel warf Verkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) vor, Informationen über die erneute Verschiebung der Flughafen-Eröffnung verschwiegen zu haben. Ramsauer erklärte, Gabriel koche ein „parteipolitisches Süppchen“.
„Ich weise die Unterstellung, ich hätte irgendetwas früher gewusst, wirklich in aller Deutlichkeit zurück“, sagte Ramsauer am Dienstag vor einer Sondersitzung des Haushaltsausschusses des Bundestages. Zu Spekulationen, wonach der Geschäftsführer der Flughafengesellschaft BER, Rainer Schwarz, doch nicht abgelöst werden und kommissarisch im Amt bleiben könnte, wollte sich Ramsauer nicht äußern: „Es wurde in der letzten Zeit viel Kaffeesatzleserei betrieben, und ich beteilige mich nicht daran.“
Scharf kritisierten die Haushaltspolitiker der schwarz-gelben Koalition die Absage von Berlins Regierendem Bürgermeister Klaus Wowereit und Brandenburgs Regierungschef Matthias Platzeck (beide SPD), an der kurzfristig beantragten Sondersitzung des Ausschusses teilzunehmen. Kritk kam aber auch aus dem Oppositionslager.
Die Sondersitzung wurde daher nach nur einer Stunde abgebrochen. Die Opposition warf der Koalition daraufhin vor, Ramsauer praktisch den Mund verboten zu haben. Union und FDP hätten gegen die Stimmen von SPD, Grünen und Linken den Abbruch durchgesetzt, ohne auch nur eine Frage an Ramsauer zuzulassen, monierte die SPD. Die Opposition nannte die Sondersitzung eine Farce und PR-Rummel.
Ramsauer weist Vorwürfe zurück
Union und FDP wiesen die Vorwürfe empört zurück. Die Vertreter der Mehrheitseigner hätten ihre Teilnahme verweigert, da sie ihre Terminkalender nicht geändert hätten. Eine Aufklärung der Vorgänge aber mache nur Sinn, wenn Wowereit und Platzeck im Haushaltsausschuss anwesend seien. Der Bund sei nur Minderheitseigner, Ramsauer sitze nicht im BER-Aufsichtsrat.
Ramsauer sagte, die Vermutung des SPD-Chefs, er habe bereits drei Wochen vor dem Aufsichtsrat von der Absage des Eröffnungstermins im Oktober 2013 erfahren, sei eine „absolute Fehlspekulation“. Er habe erst am Abend des 6. Januar von der erneuten Terminabsage erfahren.
Außerdem habe er in Interviews schon seit Anfang Dezember betont, dass der Termin gefährdet sei, erklärte Ramsauer. So hatte er bereits vor dem Gespräch unter anderem gesagt, es gebe „ernstzunehmende Hinweise, dass der Termin nicht gehalten werden kann“.
Rückendeckung bekam er vom Technikchef der Flughafengesellschaft, Horst Amann. Ramsauer sei über die Terminverschiebung erst am 4. Januar informiert worden, teilte Amann mit. „Ich habe Herrn Ramsauer am 19.12.2012 kurz über den damals aktuellen Stand des Projekts informiert, aber nicht den Eröffnungstermin abgesagt.“ Diese Notwendigkeit sei erst anschließend deutlich geworden. „Das habe ich den Gesellschaftern am 04.01.2013 mitgeteilt.“
Linke fordert Geldstopp des Bundes
Gabriel hatte der Süddeutschen Zeitung gesagt: „Allem Anschein nach hat Ramsauer die Öffentlichkeit getäuscht. (...) Sollte sich das bewahrheiten, erscheint die Rolle von Herrn Ramsauer in ganz neuem Licht. Dieser CSU-Bundesverkehrsminister hat eine Menge zu erklären.“
Der FDP-Haushälter Jürgen Koppelin bekräftigte, aus Sicht seiner Partei sei Platzeck der falsche Mann für den Vorsitz des BER-Aufsichtsrats. Die Flughafengesellschaft brauche externe Fachleute. Gesine Lötzsch von der Linkspartei forderte, der Bund dürfe für den Flughafen „ohne sichere Planung“ kein Geld nachschießen.
Die schwarz-gelbe Bundesregierung ist wie die SPD-geführten Länder Berlin und Brandenburg an der Flughafengesellschaft beteiligt. Nach der erneuten Verschiebung des Eröffnungstermins standen vor allem Wowereit und Platzeck in der Kritik. Platzeck will in der Aufsichtsratssitzung an diesem Mittwoch nun den Vorsitz des Gremiums von Wowereit übernehmen. | 75 |
1 | Am 12. August 2012 musste ein beliebter afghanischer Sänger, Shafiq Monir, sein seit langem geplantes Konzert in der Stadt Herat absagen. Grund war der Aufruf einiger Gelehrter der Stadt, allen voran der des populären Predigers Sheikh Mojib ar-Rahman Ansari. Ansari wollte das Konzert verhindern, weil er es für unmoralisch hielt. Dem Druck Ansaris und seiner Befürworter folgend, strichen die Behörden das Konzert schließlich. Das ist nicht das erste und wird wohl auch nicht das letzte Mal sein, dass bestimmte religiöse Kräfte in Afghanistan eine eigenwillige Interpretation des Islam vornehmen und sie den anderen aufzwingen. Auch vielen Afghanen diente der Vorfall als Beleg dafür, warum Afghanistan in der allgemeinen Wahrnehmung als ein rückschrittliches und vormodernes Land gilt.
Mit Afghanistan werden seit mittlerweile über dreißig Jahren islamischer Fundamentalismus, rückwärtsgewandte Religiosität und mittelalterliche Denk- und Lebensweisen assoziiert. Es gilt als ein Land, in dem es keine Spur von Zivilität und Zivilisation gibt. Viele können vielleicht den politischen Anarchismus und die damit einhergehende religiös legitimierte bzw. motivierte Gewalt in der Zeit des Bürgerkrieges bis Ende 2001 noch nachvollziehen; es herrschte letztlich überall im Land Krieg und es gab keine souveräne Zentralregierung, die für Gesetz und Ordnung sorgen konnte. Inzwischen hat Afghanistan eine mit viel Aufwand verabschiedete Verfassung, einen vom Volk direkt gewählten Präsidenten und ein demokratisch gewähltes Parlament. Trotzdem können bestimmte religiöse Kräfte sich über das Gesetz stellen, ihre Meinung der Politik aufzwingen und letzten Endes die Souveränität des Staates sabotieren. Wie groß ist der Einfluss religiöser Akteure? Wie wird der Islam in Afghanistan verstanden?
Religiöse Akteure
Religiöse Akteure und insbesondere die offiziellen Träger des Islam, die ‘olama’, haben in der politischen Geschichte Afghanistans immer wieder eine weitreichende Rolle gespielt. Diese Tatsache geht nicht zuletzt darauf zurück, dass sie im Prozess der Meinungsbildung und der politischen Orientierung vieler Menschen ein wichtiger Faktor sind. Die politische Klasse ist stets darum bemüht gewesen, für ihre Regierungsbeschlüsse und -praktiken die Zustimmung der ‘olama’ zu gewinnen. Die ‘olama’ wurden aber andererseits oft für bestimmte Politiken, die im Grunde mit eindeutigen Anforderungen des Islam nicht konform waren, benutzt. Amir Abdorrahman Khan (reg. 1881-1901), der sogenannte Eiserne Emir, konnte seine nationalistische Unterdrückungspolitik beispielsweise im Namen des Islam durchführen. Legitimiert durch Fatwas der ‘olama’ ging er erbarmungslos gegen religiöse und ethnische Minderheiten vor. Unterstützt durch einige ‘olama’ ließ er sogar religiöse Stiftungen in Beschlag nehmen. Dem als Reformkönig geltenden Amanullah (1919-1929) dagegen verweigerten die ‘olama’ ihre Unterstützung. So gelang es ihm nicht, liberale Reformen durchzusetzen.
Nach einer Europareise in Begleitung seiner freizügig gekleideten Frau teilte Amanullah der "Großen Ratsversammlung" (Loya Jirga) seine Pläne zur Modernisierung des Landes mit. Dazu gehörten das Verbot der Sklaverei, die Religions- und Meinungsfreiheit und die Schulpflicht für Mädchen. Die religiösen Akteure, allen voran der einflussreiche Fazl Omar Mojaddadi, bekannt als Hazrat-e Shur Bazar, lehnten die Reformmaßnahmen ab und bezeichneten sie als nicht islamisch. Der anschließende Volksaufstand gegen Amanullahs Modernisierungsvorhaben führte letztlich zu seinem Sturz. Trotz derartiger Einflussnahmen wurden ‘olama’ nicht als eine politische Größe, sondern als eine religiöse Instanz angesehen. Die politisch zentrale Bedeutung, die den ‘olama’ in der Zeit des Widerstandes gegen die sowjetische Usurpation und des damit einhergehenden Bürgerkrieges zukam, war allerdings eine ganz neue Erscheinung, die das Selbstverständnis der ‘olama’ und ihr Bild in der Gesellschaft völlig veränderte. Diese neue gesellschaftspolitische Position religiöser Akteure ist u.a. auf die großzügigen finanziellen und militärischen Zuwendungen der Länder zurückzuführen, die die Widerstands- bzw. Bürgerkriegsparteien unterstützten. Die Führung dieser Parteien war zumeist in den Händen religiöser Akteure. Bald beanspruchten die ‘olama’, welche gewohnt religiöse Orientierung der Menschen bestimmten, auch die politische Führung. Während sie vor Kriegsbeginn allgemein auf die Gnade der politischen Klasse angewiesen waren, stellten sie während des Kriegs selbst die politische Führung dar. Diese Rolle wollen sie auch unter der neuen politischen Ordnung weiter ausüben, solange sie sich nicht als zivile sondern als religiös legitimierte politische Akteure verstehen.
Der gelebte Islam
Wie überall in der islamischen Welt zeichnet sich der Islam in Afghanistan durch eine Vielzahl von heterogenen Prägungen und Eigenheiten aus. Noch vor Kriegsbeginn wurde diese "Kultur der Ambiguität" im Alltag gelebt. Trotz aller Diskriminierung lebten auch nichtmuslimische Gemeinschaften wie Sikhs, Hindus, Juden neben schiitischen und sunnitischen Muslimen. Viele Gelehrte sahen den unterschiedlichen Islamauffassungen und -praxen gelassen entgegen und richteten sich dabei nach der bekannten Tradition des Propheten, dass der Dissens muslimischer Gemeinschaft ein Zeichen der Gottesgnade sei (ekhtelaf-o ommati rahma) – eine Tradition, die in der islamischen Geschichte vielerorts jahrhundertelang praktiziert wurde. Dieser Usus kennzeichnete die sogenannte Blütezeit der muslimischen Kultur (750-1250) mit ihren Zentren wie Bagdad, in denen sich Kunst, Wissenschaft und Forschung glanzvoll entfalten konnten. Schon in der frühislamischen Zeit gab es ganz legitim nebeneinander existierende divergente Lesarten des Korans und damit der Scharia. Diese Tatsache hat bis zum Aufkommen des ideologisierten Islam im 19. Jahrhundert kaum jemanden in der islamischen Welt gestört. Mehrdeutigkeit sprach nicht gegen eine göttliche Herkunft des Korans oder der Scharia. Wer kann schon behaupten, die Scharia gänzlich zu erfassen? Als Gelehrte hatte man lediglich den bescheidenen Anspruch, eine eigene Interpretation der Scharia zu präsentieren und nicht die Scharia. Daher hat man die Meinung eines Gelehrten als Ergebnis seiner individuellen wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Scharia, als seinen ijtihad verstanden und nicht als "den einen wahren Islam". Dementsprechend haben auch die meisten Gelehrten in Afghanistan andere Meinungen und Praktiken respektiert.
Darüber hinaus weist der Islam in Afghanistan mystische Züge auf. Bis zum Aufbruch des Widerstandskampfes gegen die sowjetische Usurpation und des damit einhergehenden Bürgerkrieges hielt der mystische Islam Distanz zur Politik und forderte gemäß seines Selbstverständnisses Toleranz von den Menschen. Erst in der Kriegszeit mischte er sich zunehmend in die Politik ein und kämpfte wie die anderen Strömungen um mehr politischen Einfluss. Eine der wichtigsten Bruderschaften in Afghanistan stellt die Naqshbandeyya dar. Der Orden geht auf Muhammad Bahaoddin an-Naqshbandi (gestorben 1389) zurück und hat sich zunächst in Zentralasien verbreitet. In Afghanistan hat die Nashbandeyya vor allem unter den Tadschiken der Großstädte, aber auch unter einigen paschtunischen Stämmen im Süden und Südosten ihre Anhänger. Ein weiterer mystischer Orden in Afghanistan ist die Qadereyya. Der Begründer der ebenfalls einflussreichen Bewegung, Abd al-Qader Gilani (gestorben 1166), stammte aus Bagdad. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kam die Bruderschaft nach Afghanistan. Im Gegensatz zu diesen beiden Orden, die vor allem in der Hauptstadt präsent waren, hatte der Chishteyya-Orden seine Anhängerschaft insbesondere in und um Herat, im Westen des Landes. Die Chisteyya wurde von Moinoddin Muhammad Chishti (gestorben 1236) gegründet und hat sich über die Grenzen des heutigen Afghanistans hinaus vor allem auf dem indischen Subkontinent verbreitet.
Viele Menschen haben zwar die ‘olama’ als offizielle Träger des Islam betrachtet, sie hatten aber gleichzeitig ihre Beziehungen zu mystischen Bruderschaften und pflegten in ihrem Alltagsleben deren in der Regel offene Haltung, z.B. zur Musik oder zum Verkehr mit anderen religiösen Gruppen. Man legte ebenfalls viel Wert auf große zumeist mystisch orientierte Dichter. Ihre Gedichte wurden als Interpretation der koranischen Botschaft angesehen, ihre Einstellungen zum Leben und zur Welt wurden besonders geschätzt. Man nahm die Aufforderungen von Hafez (1320-1389) "In diesen beiden Ausdrücken liegt der Schlüssel zum Frieden im Diesseits und Jenseits" und "Übe den Freunden gegenüber Großmut und den Feinden gegenüber Toleranz" genauso ernst wie die Botschaft von Saadi (1190-1283):
"Die Kinder Adams sind aus einem Stoff gemacht als Glieder eines Leibs von Gott, dem Herrn, erdacht Sobald ein Leid geschieht nur einem dieser Glieder dann klingt sein Schmerz sogleich in allen wider."
Auch die Gedichte von Maulana Jalaloddin Balkhi (1207-1273) haben einen großen Platz im Alltagsleben der Menschen gehabt. Maulana sah die Liebe als Hauptkraft des Universums und das Universum als ein harmonisches Ganzes. Sein kultureller Kontext prägte selbstverständlich seine Vorstellungen von Gott, sein Gott kannte aber keine religiösen oder sonstigen Grenzen:
"Was soll ich tun, o ihr Muslime? Denn ich kenn' mich selber nicht Weder Christ noch bin ich Jude, und auch Pars und Muslim nicht Nicht von Osten, nicht von Westen, nicht vom Festland, nicht vom Meer Nicht stamm' ich vom Schoß der Erde und nicht aus des Himmels Licht."
Noch mehr als Hafez und Maulana wird in Afghanistan der große mystische Dichter Abdolqader Bidel Dehlavi (1645-1721) verehrt und gelesen. Er lebte und wirkte im Mogulreich und gehörte dem Qadereyya-Orden an. Seine Gedichte wurden von vielen Afghanen wie Koranverse rezitiert. Man beschäftigte sich mit ihm und seiner Philosophie in Lesungen und Diskussionsrunden. Eine Abendreihe über ihn unter dem Shab-e Aschoqan Bidel ("Abend der Bewunderer von Bidel") ist vielen Afghanen immer noch in Erinnerung geblieben. Der Meister der afghanischen klassischen Musik, Ostad Muhammad Hosain Sarahang (1923-1982), war der bekannteste Interpret der Dichtung von Bidel und sorgte mit seiner faszinierenden Stimme für die Omnipräsenz von Bidels Gedanken im Alltag vieler afghanischer Familien. Bidel wird als Anhänger einer gewissen pantheistischen Philosophie Vahdat al-vojud ("Einheit der Existenz") bezeichnet, der in dem als sehr komplex angesehenen Indischen Dichtungsstil dichtete. Indem er diese komplexe Ausdrucksweise pflegte, machte er doch die Ambiguität des Seins deutlich.
"Solange die Einzelnen nicht zueinanderfinden, kann keine Gemeinschaft existieren." "Eine Ähre ist keine, wenn die Körner nicht zusammenwachsen." Die Kriegszeit
Krieg wurde in vielen Fällen der Religion halber geführt. So spricht man in der Geschichtswissenschaft vom "Religionskrieg" oder "Glaubenskrieg" oder auch vom "Konfessionskrieg". Krieg verändert gleichzeitig den Zugang zur Religion und deren Textgrundlagen. In der Kriegssituation duldet man keine Dissidenten und keinen Zweifel an eigenen, eindeutig formulierten und für absolut richtig gehaltenen Zielen. Auch die Religion soll im Dienste des Krieges und der mit ihm einhergehenden Gewalterscheinungen stehen und sie legitimieren. Auf diese Weise entsteht religiöser Fundamentalismus. So entstand er in der Geschichte des Christentums und so erschien er in der islamischen Geschichte. Der über dreißig Jahre andauernde Kriegszustand in Afghanistan hat kaum Platz fürs Weiterbestehen einer Kultur der Pluralität und Toleranz übrig gelassen. Vielmehr setzte sich ein einseitiges, für eindeutig gehaltenes und damit fundamentalistisches Verständnis des Islam durch. Bereits im "Jahrzehnt der Verfassung" (daha-ye qanun-e asasi) 1963-1973 haben sich vor allem in Kabul kleine islamistische Kreise gebildet. Ihr vordergründiges Anliegen war die Bekämpfung von marxistisch orientierten Gruppen, die über eine beachtliche Anhängerschaft unter den Studenten verfügten. Sie bezeichneten sich teils als "Jungmuslime" (javanan-e mosalman) und teils als "Islamische Gemeinschaft" (jameyyat-e islami) und wurden hauptsächlich von Persönlichkeiten geführt, die an der Al-Azhar-Universität in Kairo ausgebildet worden waren und mit dem Gedankengut der "Muslimbrüder" (ekhvan al-moslemin) vertraut waren. Zu den Führungskadern dieser Gruppen gehörten die Dozenten Gholam Muhammd Neyazi (gest. 1978) und Borhanoddin Rabbani (1940-2011) und die Studenten Golboddin Hekmatyar (geb. 1947) und Ahmad Shah Massud (1951-2001).
Die drei Letzteren führten später nicht nur die wichtigsten Widerstandsparteien gegen die sowjetischen Truppen, sie lieferten sich auch gegenseitig blutige Kämpfe, die nach dem Rückzug der sowjetischen Armee noch erbitterter weitergeführt wurden. Die Logik des Krieges hat sich mit der Zeit fast aller religiösen Akteure und der mystischen Bruderschaften bemächtigt. Die herausragende Figur des Naqshbandeyya-Ordens Sebghatollah Mojaddadi (geb. 1925) mit seiner Partei Nationale Rettungsfront und der geistliche Führer des Qadereyya-Ordens Pir Sayyed Ahmad Gailani (geb. 1932) mit seiner Organisation Nationale Islamische Front und die Chishteyya-Bewegung in der Herat-Region waren nicht nur an dem Widerstandskampf beteiligt, sondern auch an den schmutzigen Brüderkriegen der Mujahidin. Die intellektuelle Nahrung der Gruppen waren nicht mehr und konnten auch nicht mehr die Gedichte von Maulana oder Bidel sein, sondern die Gedanken von den fundamentalistischen Vordenkern Sayyid Qutb (1906-1966) und Abu Ala Maududi (1903-1979). Die großzügigen finanziellen und militärischen Mittel, die die Kriegsparteien über Jahrzehnte erhielten, begünstigten und verfestigten die fundamentalistische Auffassung des Islam umso mehr. Fundamentalismus war schließlich der Marktrenner.
Trotz einer einigermaßen demokratisch gewählten und halbwegs funktionierenden Zentralregierung herrscht weiterhin der Kriegszustand in Afghanistan und in den Köpfen einiger religiöser Akteure. Viele Menschen, insbesondere viele junge Männer und Frauen in den Großstädten, wollen dennoch zu einem normalen Leben zurückfinden. Geschäfte, wissenschaftliche Tätigkeiten, künstlerische Aktivitäten und literarisches Schaffen kehren in den Lebensalltag zurück und damit auch eine Kultur der Vielfalt. Wenn man einen Augenblick die kriegerischen Momente, die ebenfalls zum Alltag der Menschen gehören, ausblendet, spürt man in Kabul, in Herat, in Kandahar und in Mazar einen Hauch, einen sehr dünnen Hauch vom Bagdad des 10. Jahrhunderts voller Tüchtigkeit und Pluralität.
Ausgewählte Literatur
Anderson, Ewan W. (ed.): The cultural basis of Afghan nationalism, London 1990
Bauer, Thomas: Die Kultur der Ambiguität. Eine andere Geschichte des Islams, Berlin 2011
Farhang, Mir Mohammad Sadiq: Afghanestan dar panj qarn-e akhir (Afghanistan in den letzten fünf Jahrhunderten), Qom 1992
Ghobar, Mir Gholam Mohammad: Afghanestan dar masir-e tarikh (Afghanistan im Laufe der Geschichte), Qom 1980
Grevemeyer, Jan-Heeren: Afghanistan: sozialer Wandel und Staat im 20. Jahrhundert, Berlin 1990
Kateb-e Hazara, Faiz Mohammad: Seraj al-tavarikh, 4 Volume, Teheran 1991 / Kabul 2011
Poya, Abbas: Afghanistan, in: Werner Ende & Udo Steinbach (Hrsg.), Islam in the World Today. A Handbook of Politics, Religion, Culture, and Society, Cornell University Press 2010, S. 256-269.
Poya, Abbas: Perspektiven zivilgesellschaftlicher Strukturen in Afghanistan. Ethische Neutralität, ethnische Parität und Frauenrechte in der Verfassung der Islamischen Republik Afghanistan, in: Orient 44/2003, S. 367-384.
Rasanayagam, Angelo: Afghanistan: a modern history; monarchy, despotism or democracy? The problems of governance in the Muslim tradition, London 2003
Saikal, Amin: Modern Afghanistan. A history of struggle and survival, London 2006
Schetter, Conrad: Kleine Geschichte Afghanistans, München 2004
Schetter, Conrad: Ethnizität und ethnische Konflikte in Afghanistan, Berlin 2003 | 76 |
0 | Frauennationalelf vor Länderspiel: Stille Wandlung
Mit dem letzten Länderspiel des Jahres beginnt für die Frauen-Auswahl bereits der Neustart. Das Olympia-Jahr 2016 wird Änderungen bringen.
Schnupperkurs: Steffi Jones (l.) soll Sivia Neid nach den Olympischen Spielen ablösen Foto: dpa
FRANKFURT AM MAIN taz | Vor Anpfiff dürfte es rührig werden. Bevor in Duisburg heute das Freundschaftsspiel zwischen den Frauen-Nationalmannschaften von Deutschland und England angepfiffen wird (18 Uhr/live ARD), steigt die wohl größte Ehrungszeremonie in der Geschichte des deutschen Frauenfußballs. Zum einen erhalten Nadine Angerer und Celia Sasic große Blumensträuße, weil beide ihre Karriere aus unterschiedlichen Motiven nach der WM in Kanada beendeten. Aber ihnen gehört die Aufmerksamkeit nicht allein: Insgesamt werden 21 Nationalspielerinnen geehrt, die mehr als 100 Länderspiele bestritten haben.
Vor einem Jahr kam das Uefa-Exekutivkomitee auf die fixe Idee, Gedenkkappe und Medaille zu verteilen. Weil DFB-Generalsekretär Helmut Sandrock und Vizepräsidentin Hannelore Ratzeburg das allein gar nicht schaffen können, hilft die ehemalige Bundestrainerin Tina Theune. Zu den Geehrten zählen auch die aktuelle Bundestrainerin Silvia Neid und ihre neue Co-Trainerin Steffi Jones, die jeweils 111-mal das Nationaltrikot trugen. Eine Gemeinsamkeit als Sinnbild.
Wenn die Neuauflage des kleinen WM-Finales – England siegte damals in der Verlängerung nicht unverdient mit 1:0 – gespielt ist, wird das nächste Jahr im Zeichen der Übergabe stehen. Nach den Olympischen Spielen wird Jones dann die Verantwortung von Neid übernehmen.
Derzeit absolviert Jones als zweite Assistentin noch eine Art Schnupperkurs. Interessant ist, was hinter den Kulissen läuft. Die als DFB-Direktorin arbeitende Jones steht in engem Austausch mit DFB-Sportdirektor Hansi Flick, denn der Leitfaden für den männlichen Bereich soll spätestens beim Einzug in die neue DFB-Akademie auch fürs weibliche Segment gelten. Die 42-Jährige stellte bereits klar: „Es soll keine Parallelwelt entstehen.“ Genau diesen Vorwurf erhoben Kritiker wie Bernd Schröder (Turbine Potsdam) immer wieder.
Neue Kriterien für die Spielerinnenauswahl
Während unter Neid mit Torwarttrainer Michael Fuchs nur ein Mann fest installiert ist, wird die Nachfolgerin in ihrem Assistentenduo „einen Mann und eine Frau“ (Jones) dazunehmen. Die Namen sind noch geheim. Alsbald sollen „Handschrift und Philosophie“ sichtbar werden. Jones’ Leitsatz: „Ich bin offen für Neues und Veränderungen.“
Die gebürtige Frankfurterin, die sich wegen ihrer Vita und ihrer Rolle als OK-Präsidentin der Frauen-WM 2011 viel mehr als ihre Vorgängerin als Weltbürgerin sieht, wird womöglich vermehrt ins Ausland schauen. Und sie wird ihre Spielerinnen nach anderen Kriterien auswählen (müssen).
Gegenüber der Partie vom 4. Juli im zugigen Betonoval von Edmonton werden in der überdachten MSV-Arena mindestens fünf Positionen neu besetzt sein. „England hat eine beeindruckende Entwicklung genommen, ich erwarte eine hochklassige Begegnung“, sagt Neid, für die Jones im Alltag der Frauen-Bundesliga bereits auf Beobachtungstour geht. „Ich sichte für ‚Silv‘, aber auch persönlich für mich“, so Jones. Und: „Ich schaue jeden Montag alle Spiele auf Video an“.
Der Wille zu Veränderungen kann nur helfen. Das Olympische Turnier soll als Bindeglied dienen, um die sportlich wertlose Qualifikation für die EM 2017 in den Niederlanden zu überbrücken. Aber es muss bis ins Halbfinale gehen, um ins Olympische Dorf in Rio de Janeiro einziehen zu dürfen –ansonsten laufen die Spiele unter dem öffentlichen Radar.
Bei der WM auf kanadischem Kunstrasen stellten die USA, Frankreich und Japan die taktisch flexibleren und technisch reiferen Teams. Der vierte Platz gab den Leistungsstand ziemlich gut wider. Mittlerweile haben alle erkannt, dass Reformbedarf besteht. Die Verbandsseite, weil auch bei den Nachwuchsteams die einst so stolze schwarz-rot-goldene Vormachtstellung bröckelt. Die Vereinsseite, weil der amtierende Meister in der Champions League bereits ausgeschieden ist, und Trendsetter wie Frankfurt und Potsdam in der Bundesliga schwächeln. | 77 |
1 | Korruption in Angola: Familie des obersten Toten immun
Die Kinder des angolanischen Expräsidenten José Eduardo dos Santos handeln Konzessionen dafür aus, dass sie ihren toten Vater freigeben.
Altes Propaganda-Wandgemälde mit Fidel Castro und José Eduardo dos Santos, Angola Foto: Eric Lafforgue/Hans Lucas/imago
LUANDA taz | Angolas verstorbener Expräsident, José Eduardo dos Santos, wird nun doch in seinem Heimatland begraben. Die Regierung hat sich mit den im Ausland lebenden Kindern des am 8. Juli in Barcelona im Alter von 79 Jahren verstorbenen Langzeitherrschers auf einen Kompromiss verständigt, der die Peinlichkeit vermeidet, dass diese Ikone des angolanischen Nationalismus im Ausland beigesetzt wird.
Die Vereinbarung sieht vor, dass Dos Santos in Angolas Hauptstadt Luanda beigesetzt wird und nicht in Barcelona. Wochenlang hatte es darüber Streit gegeben. Denn Dos Santos' Kinder fürchten, dass sie in Angola verhaftet werden.
Angolas Justiz wirft der Familie des Expräsidenten vor, sich während dessen 38-jähriger Herrschaft bis 2017 massiv bereichert zu haben. Dos Santos' Tochter Isabel leitete unter ihrem Vater Angolas staatliche Ölgesellschaft Sonangol und stieg zur reichsten Frau Afrikas auf; gegen sie laufen nun Korruptionsverfahren in Angola und Portugal. Ihr Bruder José Filomeno, damals Leiter des souveränen Ölfonds, verbüßt bereits eine fünfjährige Haftstrafe wegen Geldwäsche und Betrugs.
Die Kinder wollen nun Zusicherungen, dass die Regierung von Präsident João Lourenço sie in Ruhe lässt. Sie wollen auch, dass die Beerdigung erst nach Angolas Präsidentschaftswahlen am 24. August stattfindet, damit Lourenço daraus kein Kapital schlagen kann. Auf einer Wahlkampfversammlung in Luanda hatte er gesagt, ein Wahlsieg für die regierende MPLA (Angolanische Volksbefreiungsbewegung) wäre die beste Art, den Toten zu ehren: „Ihm verdanken wir Frieden und Versöhnung.“
Wie es scheint, hat die Familie jetzt Konzessionen ausgehandelt. „Nach dem jetzigen Stand hat die Dos-Santos-Familie die Oberhand“, sagt Kommentator Maico Borba.
Schon als José Eduardo dos Santos starb, war das Misstrauen groß. Der 79-Jährige befand sich seit einem Herzinfarkt im Juni in kritischem Zustand. Nach seinem Tod gab es Vorwürfe, Angolas Regierung habe die Ärzte gebeten, die Maschinen abzuschalten, die ihn am Leben hielten. Auf Wunsch der Familie wurde eine Autopsie durchgeführt, die einen natürlichen Tod feststellte. | 78 |
1 | Parteitag der CDU in Thüringen: Christian Hirte wird Landeschef
Der Ex-Ostbeauftragte ist auf dem Parteitag der Thüringen CDU zum Vorsitzenden gewählt worden. Sein schwaches Ergebnis zeugt nicht von Aufbruch.
Der 44-jährige Hirte distanzierte sich in seiner Rede auffallend scharf von der AfD Foto: dpa
THÜRINGEN taz | Mit nur 68 Prozent der Stimmen von 165 Parteitagsdelegierten hat die Thüringer CDU am Sonnabend in Erfurt Christian Hirte zum neuen Landesvorsitzenden gewählt. Nach dem Rückzug des bisherigen Spitzenmanns Mike Mohring im Mai wurde die Landespartei nur noch kommissarisch geführt.
Hirte wiederum war im Februar von Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Rückzug aus dem Amt des Ost-Beauftragten der Bundesregierung gedrängt worden. Die Wahl zum Landesvorsitzenden bedeutet nach Absprache im Landesvorstand noch keine Kür zum Spitzenkandidaten der Union bei den für den 21. April 2021 geplanten Neuwahlen in Thüringen.
Neben einigen Kreisverbänden hatten sich an den Parteigremien vorbei auch die früheren Ministerpräsidenten Bernhard Vogel und Dieter Althaus für Hirte eingesetzt. Er war alleiniger Kandidat, nachdem im Juni der bisherige Generalsekretär Raymond Walk auf eine Kampfkandidatur verzichtet hatte.
Walk erwarb sich in seiner dreieinhalbjährigen Amtszeit den Ruf eines treuen Parteidieners, der um der mühevollen Geschlossenheit der Landespartei willen eigene Karriereambitionen zurückstellte.
Stehende Ovationen für Mike Mohring
Er habe sich in den kritischen Monaten nach der schweren Wahlniederlage im Oktober 2019 allerdings „oft sehr allein gefühlt im gleißenden Rampenlicht“, klagte Walk in seinem Bericht an den Parteitag. Mit 77 Prozent wurde er zu einem der drei Stellvertreter Hirtes gewählt, nachdem im ersten Wahlgang alle Konkurrenten demonstrativ zu seinen Gunsten verzichtet hatten.
Michael Kretschmer, sächsischer Ministerpräsident„Man merkt dieser Veranstaltung schon noch an, dass Sie alle ziemlich geplättet sind“
Knapp elf Monate nach dem Verlust eines Drittels der Stimmen bei der Landtagswahl vom 27. Oktober war bei der früher zeitweise allein regierenden CDU keine Aufbruchsstimmung zu spüren. „Man merkt dieser Veranstaltung schon noch an, dass Sie alle ziemlich geplättet sind“, begann sogar der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer sein Grußwort.
Er erhielt mehr Beifall als Hirte, dessen Vorstandsbericht bereits einer wenig mitreißenden Bewerbungsrede glich. Auffallend scharf distanzierte sich Hirte aber von der AfD als einer „antifortschrittlichen, antisozialen und antibürgerlichen Partei“. An der Aussprache beteiligten sich nur fünf Rednerinnen und Redner. Stehende Ovationen gab es hingegen bei Dank und Abschied für Mike Mohring, der lange unumstrittenen Nummer Eins der Thüringer CDU.
Flügeldifferenzen ausnahmsweise kein Thema
Vom erhofften und oft beschworenen Signal des Zusammenhalts und der Einigkeit war die 21,7-Prozent-Partei auf der Erfurter Messe weit entfernt. Dabei spielten inhaltliche Differenzen zwischen Flügeln, die für Kooperationen mit der Linken oder der AfD plädieren, am Sonnabend noch nicht einmal eine Rolle. Am Rande war von einem „miesen Ergebnis“ für Hirte und davon die Rede, dass „die letzten Messen noch nicht gesungen sind“.
Hirte-Favoritin Beate Meißner aus Sonneberg wurde auch nur mit 55 Prozent zur stellvertretenden Landesvorsitzenden gewählt. Sein Wunschkandidat als Generalsekretär, der Offizier im Majorsrang, Politik- und Verwaltungswissenschaftler Christian Herrgott erreichte ebenfalls nur 57 Stimmenprozente. | 79 |
1 | „Mein Kampf“ in Nordkorea: Hitler-Ente zum Geburtstag
Staatschef Kim Jong Un rät ranghohen Funktionären angeblich zur Lektüre von Hitlers „Mein Kampf“ – um „praktische Lehren daraus zu ziehen“.
Die Farbe erinnert eher an ein Standardwerk von Mao. Bild: dpa
„Menschlicher Abschaum“, seien sie, der „physisch ausgelöscht“ werden müsse: Unverblümt bedrohte Nordkoreas Propaganda am Mittwoch die Verfasser einer unliebsamen Internetmeldung: Kim Jong Un habe zu seinem Geburtstag Exemplare von Hitlers „Mein Kampf“ in koreanischer Übersetzung an einige ranghohe Funktionäre verteilt, schreiben die Exilanten und Regimekritiker von New Focus International auf ihrer eher obskuren Webseite.
Sie stützen sich auf Äußerungen eines anonymen Nordkoreaners, der in China arbeiten soll. Kim habe hohe Funktionäre seines Landes in einer Rede angewiesen, sich weiterhin zugleich für die atomare Aufrüstung und die wirtschaftliche Entwicklung einzusetzen, und dabei auch erwähnt, dass Hitler es nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg relativ schnell geschafft habe, Deutschland wiederaufzubauen. Der nordkoreanische Führer habe angeordnet, „das Dritte Reich gründlich zu studieren, und verlangt, praktisch anwendbare Schlussfolgerungen zu ziehen“, habe die Quelle in einem Telefoninterview berichtet.
Die Exemplare von „Mein Kampf“, die dem allgemeinen Publikum in Nordkorea nicht zugänglich seien, habe der auf etwa 30 Jahre geschätzte Kim Jong Un bereits im Januar verteilt – in der Tradition der Führergeschenke an seine Vertrauten als Belohnung für Loyalität. Schon sein Ende 2011 verstorbener Vater Kim Jong Il hatte seinen Geburtstag mit Gaben an Militärs und verdiente Genossen versüßt, zeitweise mit populäreren Gaben wie TV-Geräten oder Uhren. Für das Volk gab es zusätzliche Essensrationen oder andere Annehmlichkeiten.
Ob die bereits am Montag verbreitete Nachricht stimmt, ist bislang nicht nachzuprüfen. Möglich wäre es, es könnte sich aber auch um eine gezielte Desinformation handeln. Klar ist nur: Erst die von der staatlichen Nachrichtenagentur KCNA veröffentlichten Morddrohungen führten zur internationalen Verbreitung der Meldung.
Die harsche Reaktion aus Nordkorea erinnert erneut daran, wie sehr sich der Ton im Norden seit dem Machtantritt des jungen Kim – des Enkels des Staatsgründers Kim Il Sung – verschärft hat. | 80 |
0 | Mutterglück beim Australian Open: Völlig losgelöst
Lindsay Davenport spielt nach der Geburt ihres Sohnes befreit auf und gilt nun sogar als Favoritin bei den Australian Open der Tennisprofis
Lindsay Davenport hätte sich vor der Geburt ihres Sohnes nicht vorstellen können, noch mal vor ans Netz zu gehen. Bild: dpa
Vor einem Jahr um diese Zeit saß Lindsay Davenport, 31, daheim in Laguna Beach, Kalifornien, und warf aus der Ferne einen Blick auf die Welt, in der sie sich mehr als die Hälfte ihres Lebens bewegt hatte. Im Fernsehen lief die Übertragung der Australian Open, aber sie war mit ihren Gedanken und mehr noch mit ihren Gefühlen längst woanders. Sie war im vierten Monat schwanger, freute sich auf ihr erstes Kind, und hätte man sie gefragt, ob sie sich vorstellen könne, nach der Geburt weiter Tennis zu spielen, dann hätte sie gelacht und bestimmt gesagt: "No way. Wirklich nicht. Das hab ich hinter mir."
Hat sich ein wenig anders entwickelt als gedacht, die Geschichte. Ein paar Wochen später schlich sich bei ihr zum ersten Mal der Gedanke ein, dass es doch Spaß machen könnte. Am 10. Juni erblickte Baby Jagger Jonathan per Kaiserschnitt das Licht der Welt, und sechs Wochen danach trat Davenport bei einem Mannschafts-Wettbewerb in Sacramento wieder an. Jagger war dabei, genauso wie Anfang September bei der Rückkehr seiner Mutter in den großen Tennis-Zirkus bei einem WTA-Turnier auf Bali. Die war schrecklich nervös, weil sie sich nicht blamieren wollte, doch am Ende hielt sie als Siegerin den Sohn und einen Pokal im Arm, ein schönes Motiv. Inzwischen gibt es zwei weitere Fotos mit Jagger und Pokal, und seit ihrer Rückkehr hat Lindsay Davenport nur ein einziges Spiel verloren.
Nun ist sie wieder bei den Australian Open gelandet, schiebt den Buggy mit Sohnemann durch die Gänge, und dem scheint fast alles recht sein. Bisher hat er sich als perfektes Reisekind erwiesen. Und wenn er, wie vor dem Erstrundenspiel seiner Mutter, nachts um fünf schreiend aus einem Albtraum erwacht, dann steht sie auf und wiegt ihn wieder in den Schlaf. Weil er eben auch in lauten Momenten das größte Glück ist und sie sich die Welt ohne ihn schon lange nicht mehr vorstellen kann. "Das Leben ist viel größer und viel besser jetzt, so viel erfüllender." Bis jetzt war es kein Problem, Kind und Karriere unter einen Hut zu bringen. Ein Kindermädchen reist ständig mit, gelegentlich ist Davenports Mutter Ann zur Unterstützung dabei und manchmal, so wie gerade in Melbourne, auch ihr Mann, Investmentbanker Jon Leach. Bei der Planung gibt es jetzt mehr zu bedenken, aber mit Unterstützung und Übersicht lässt sich alles regeln. Eine Erfahrung, die sie mit der zweiten aktiven und erfolgreichen Mutter auf der Tennistour teilt, der Österreicherin Sybille Bammer.
Und Jagger schafft Dinge, von denen er mit dem Schnuller im Mund noch keine Ahnung hat. Seine Mutter spielt jetzt, befreit vom Druck, irgendwelche Titel zu verteidigen oder irgendwas zu beweisen, völlig losgelöst. Sie sagt, es gebe einen einzigen Grund, warum sie noch spiele: Den Spaß an der Freud. Sie kann es sich leisten. Mit dem Sieg am Montag über die Italienerin Sara Errani überholte sie Steffi Graf in der Liste des Karriere-Preisgeldes und steht nun mit 21.897.501 Millionen Dollar an der Spitze derselben. Sie ist steinreich - zurzeit in jeder Hinsicht.
Und sie bringt die anderen zum Staunen. Serena Williams sagt: "Also, ich bin sprachlos, weil sie fitter aussieht als ich, obwohl sie doch erst vor sieben Monaten das Baby bekommen hat. Ich bin überzeugt, wenn ich ein Baby bekäme, dann läge ich sieben Monate später immer noch im Krankenhaus und würde mich von den Schmerzen erholen." Offensichtlich hat sie keine Ahnung von der Macht der Hormone. Seit Jaggers Geburt geht es Lindsay Davenport besser als je zuvor, wie weggezaubert sind die Rückenschmerzen, unter denen sie jahrelang beim Tennis gelitten hat.
Bisher läuft also alles wie im Traum, und in dieser Situation steckt ein besonderer Reiz darin, wie die Sache in Melbourne weitergehen wird. Da sie als Nummer 51 der Weltrangliste nicht zu den Gesetzten gehört, wird sie in Runde zwei am Mittwoch bereits auf eine solche treffen, und das ist keine andere als Maria Scharapowa. Die kann man sich nicht mal mit großer Mühe später mit einem Buggy in den Katakomben des Melbourne Parks vorstellen. Aber muss das was heißen? Vor einem Jahr hätte Lindsay Davenport bei dem Gedanken daran ja auch nur gelacht.
Zu denen, die ihr besonders die Daumen drücken, gehört die letzte Frau, die als Mutter einen Grand-Slam-Titel gewann, Evonne Goolagong-Cawley. Die Australierin holte 1977, sieben Monate nach der Geburt ihres ersten Kindes, den Titel in Melbourne. Wie lange ist Jagger Jonathan auf der Welt? Sieben Monate. | 81 |
1 | Oberbürgermeister-Wahl in Stuttgart: Einer für alle
Fritz Kuhn ist am Ziel: Der Kandidat der Grünen gewinnt den zweiten Wahlgang der Oberbürgermeisterwahl in Stuttgart mit sieben Prozentpunkten Vorsprung.
Geschafft: Fritz Kuhn freut sich. Bild: dpa
STUTTGART taz | Es war gerade mal 18.28 Uhr. Die Stuttgarter Wahllokale waren noch keine halbe Stunde geschlossen, von 433 Wahlbezirken die ersten 100 ausgezählt, da waren sich viele bereits sicher. „Das nimmt uns keiner mehr“, sagte im Rathaus-Saal eine Frau am Büffet und klopfte dem Mann neben ihr auf die Schulter.
Tatsächlich wuchs von da an der Vorsprung des grünen Oberbürgermeister-Kandidaten Fritz Kuhn auf seinen Kontrahenten Sebastian Turner kontinuierlich an. Am Ende waren es deutliche 7,6 Prozentpunkte, die Kuhn vor dem parteilosen Turner lag, der von der CDU, der FDP und den Freien Wählern unterstützt worden war. Mit 52,9 Prozent der Stimmen wurde Kuhn schließlich zum ersten grünen Oberbürgermeister einer Landeshauptstadt gewählt. Turner kam auf 45,3 Prozent.
Er wolle ein Oberbürgermeister für ganz Stuttgart sein, sagte Kuhn standesgemäß nach der gewonnenen Wahl vor einer Traube an Kameras. „Damit meine ich für alle, die mich gewählt haben, die nicht zur Wahl gegangen sind und die mich nicht gewählt haben.“ Nun müssten die Wunden, die ein Wahlkampf schlage, heilen, um sich dann gemeinsam auf den Weg zu machen, Stuttgart zu gestalten.
Empfangen worden war Kuhn im Rathaus von zahlreichen Grünen, die ihm ein grün umrandetes „Fritz“-Lebkuchen-Herz backen ließen. Als sie sich damit um 19 Uhr aufgestellt hatten, hatten die meisten CDUler und FDPler den Saal bereits verlassen. Eingereiht in die Gratulanten hatten sich hingegen die SPD-Kandidatin Bettina Wilhelm und der Stadtrat und S21-Gegner Hannes Rockenbauch, die beide ihre Kandidatur nach dem ersten Wahlgang zurückgezogen hatten.
Vor zwei Wochen lag Kuhn bereits zwei Prozentpunkte vor Turner. Wilhelm und Rockenbauch waren abgeschlagen auf Platz drei und vier gelandet. Die SPD hatte daraufhin eine Wahlempfehlung für Kuhn ausgesprochen – und dürfte damit ein Kriegsbeil beigelegt haben. Denn schon bei der OB-Wahl 1996 lag der damalige Grünen-Kandidat Rezzo Schlauch aussichtsreich auf Platz zwei nach dem ersten Wahlgang. Da jedoch die SPD auch im zweiten Wahlgang antrat, obwohl ihr Kandidat chancenlos war, machte schließlich CDU-Kandidat Wolfgang Schuster das Rennen – er regiert bis heute. Anfang Januar wird Kuhn sein Amt übergeben.
Turners kurzes Statement
Sebastian Turner gab am Sonntagabend nur ein kurzes Statement im Rathaus ab. „Eine Wahl kennt Gewinner und Verlierer. Ich bin heute kein Gewinner“, sagte er. In der Hoffnung, damit noch die nötigen Wählerstimmen mobilisieren zu können, hatte Turner in den vergangenen zwei Wochen voll auf Angriff gesetzt. Seine Dauerthemen, um Kuhn bloß zu stellen: City-Maut, Tempolimit und Stuttgart 21. Wahlweise bezeichnete er Kuhn als „Vorsitzendes des City-Maut-Vereins“ oder als deren „Apostel“. Daran zeigte sich die Panik der CDU vor einem erneuten Sieg der Grünen nach der Landtagswahl 2011.
Im Rathaus war die Kampagne Turners ein viel diskutiertes Thema. „Oberbürgermeister wird man nicht durch 'negative campaigning', sondern durch positive Auseinandersetzung“, sagte Kuhn und erntete mit dieser Aussage den lautesten Applaus.
Zu den ersten Gratulanten gehörte der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann. „Die Landesregierung wird sehr gut und offen mit dem OB und der Stadt Stuttgart zusammen arbeiten“, sagte er. Und aus eigener Erfahrung konnte er anfügen: „Alles Gute, lieber Fritz, viel Erfolg, gute Nerven, Stehvermögen und viel Kraft.“
Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) kann sich nun auf eine zweite grüne Stimme im Stuttgart-21-Lenkungskreis freuen, in dem die Projektpartner mit der Deutschen Bahn zusammensitzen. „Die Verträge und die Volksabstimmung sind damit nicht weggewählt“, sagte er der taz. „Aber ich nehme mal an, dass das kein Wahlergebnis ist, über das sich die Deutsche Bahn freut.“ | 82 |
0 | Gerhart grüßte seine Gäste, blieb aber am Thor stehen und ließ sich nicht
stören in seiner Verhandlung mit dem Bauern. Die Gräfin eilte auf
Weißenberg und Bertram zu, und das Weib folgte ihr, unaufhörlich sprechend
in gleichmäßig klapperndem Tone. Plötzlich vertrat die Alte ihr den Weg,
streckte die Rechte aus, streichelte ihr die Wange, sagte dabei etwas, das
sich offenbar auf die Kinder bezog, und hastete davon. | 83 |
1 | Matilda und Breda Kalef wurden in Belgrad geboren. Während des Krieges fanden sie Zuflucht in einem katholischen Kloster in Banovo Brdo, einem Stadtteil von Belgrad. Pater Tumpej, der sie damals versteckte, ist in Yad Vashem als "Gerechter unter den Völkern" geehrt. Ihr Vater und ihre Großmutter wurden ermordet, als das jüdische Krankenhaus, in dem sie sich aufhielten, liquidiert wurde. 1944 konnten Breda und Matilda zu ihrer Mutter zurückkehren.
Ausführliche Informationen über das Leben von Matilda Kalef finden Sie Externer Link: hier | 84 |
0 | Und siehe! als die Kleine jetzt hinausschaute, sah sie mit einem Blick
alles, was die Pfarrerstochter beschrieben hatte. Da lag der ebene
Seegrund und rings um ihn herum der alte Uferrand, der sich in langen
Buchten und Einschnitten hinein- und herauszog. Da waren die Landzungen
mit ihren Birken sowie die kleinen Gehölze, die in früheren Jahren Holme
gewesen waren, mitten zwischen den Äckern, und da ragte auf der einen
Seite der steile Berg mit dem Tannenwalde auf und auf der andern die
dichten Erlengebüsche. Auf halber Höhe des Berges sah die Kleine den
ganzen Kreis der Bauernhäuser und den bewaldeten Bergrücken und die
abgeschwendeten Plätze -- kurz alles war da, nichts fehlte. | 85 |
0 | Gelino, indem er ihm diese und andere Merkwürdigkeiten zeigte, hub an: Du
siehst Athen der Welt in seinen Schönheiten wiedergegeben, doch die
Sklavenhorden von Ehedem, das wilde, mit den Archonten kämpfende, den Pnix
mit Geschrei und Streit erfüllende Volk der Vorzeit nicht. Diese
Erscheinungen dulden unsere besseren Tage nimmer. Wir könnten noch das
Odeon besuchen, wo die Meister der Tonkunde wetteifern, die Bühnen, wo man
Sophokles, Euripides und Aristophanes Schöpfungen darstellen sieht, doch in
diesen Vorwürfen wird Athen anderweitig übertroffen, und die Reise eilt.
Wir wollen jetzt nach der Gränzfestung des Staats, lerne dort, wie man
mächtig der Feinde Angriffe wehrt. Nicht immer kannst du bei den lieblichen
Künsten weilen. | 86 |
0 | Seit jener Nacht aber, als wir dort voneinander Abschied nahmen, war ich
in diesem Walde nicht wieder gewesen. Als ich nun--in derselben
Begleitung--in seinen kühlen Schatten eintrat, überwältigte mich ein
solcher Erinnerungsduft, der, gleichsam für mich hier aufgespeichert, im
Verlaufe der Jahre seine Süßigkeit bis zur Giftigkeit konzentriert
hatte, daß ich betäubt stehen blieb. Es war mir, als ob meine Liebe, in
voller Stärke erwacht, sich mir in den Weg stellte, mich der
Fahnenflucht und des Verrates zeihend. Denn ich kam ja nicht hierher, um
ihr durch Einatmen des Erinnerungsduftes neue Nahrung zu geben, sondern
um für mein enttäuschtes und gequältes Herz den Frieden zu suchen. Hieß
das aber nicht vergessen, der Liebe entsagen wollen? War das nicht
Wortbruch und feiger Verrat? | 87 |
0 | Ein Bauer, der einen Mönch ermordet hatte, floh in den Wald und wurde
geächtet. In der Wildnis fand er einen andern friedlosen Mann, einen
Fischer von den äußersten Schären, der beschuldigt war, ein Heringsnetz
gestohlen zu haben. Diese beiden taten sich zusammen, wohnten in einer
Erdhöhle, legten Fallen, schnitzten Pfeile, buken Brot auf einem Stein und
wachten gegenseitig über ihr Leben. Der Bauer verließ den Wald niemals,
aber der Fischer, der kein so furchtbares Verbrechen begangen hatte, nahm
zuweilen die erlegten Tiere über die Schulter und schlich sich zu den
Menschen hinunter. Da bekam er für den schwarzen Auerhahn und das
blauglänzende Birkhuhn, für den langohrigen Hasen und das feingliedrige Reh
Milch und Butter, Pfeile und Kleider. So war es den Friedlosen möglich, ihr
Leben zu fristen. | 88 |
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Interner Link: Mein Zimmer im Haus des Krieges – 351 Tage gefangen in SyrienJanina Findeisen
Interner Link: Leonora. Wie ich meine Tochter an den IS verlor – und um sie kämpfteMaik Messing, Volkmar Kabisch, Georg Heil
Interner Link: Nur wenn du allein kommst. Eine Reporterin hinter den Fronten des DschihadSouad Mekhennet
Interner Link: Maryam A. Mein Leben im Kalifat. Eine deutsche IS-Aussteigerin erzähltChristoph Reuter
Interner Link: Meine falschen Brüder. Wie ich mich als 16-Jähriger dem Islamischen Staat anschlossOliver N. und Sebastian Christ
Interner Link: Zwei Schwestern. Im Bann des DschihadÅsne Seierstad
Interner Link: Mitten unter uns: Wie ich der Folter des IS entkam und er mich in Deutschland einholteMasoud Aqil
Interner Link: Undercover Dschihadistin. Wie ich das Rekrutierungsnetzwerk des Islamischen Staats ausspionierteAnna Erelle
Interner Link: Mein Sohn, der Salafist. Wie sich mein Kind radikalisierte und ich es nicht verhindern konnteNeriman Yaman
Interner Link: Ich hole euch zurück. Ein Vater sucht in der IS-Hölle nach seinen SöhnenJoachim Gerhard, Denise Linke
Interner Link: Ich war ein Salafist. Meine Zeit in der islamischen ParallelweltDominic Musa Schmitz
Interner Link: Black Box DschihadMartin Schäuble
Mein Zimmer im Haus des Krieges – 351 Tage gefangen in Syrien
Janina Findeisen Die Journalistin Janina Findeisen wird 2015 auf einer Recherchereise in Syrien gekidnappt und anschließend 351 Tage gefangen gehalten. Sie war nach Syrien gereist, um ihre zum Islam konvertierte Schulfreundin zu treffen und um zu verstehen, wie es zu deren Radikalisierung kam. Kurz nach dem Treffen wird sie entführt. Sie verbringt fast ein Jahr an unterschiedlichen Orten, wird in wechselnde Zimmer eingesperrt und stets von bewaffneten Männern bewacht. 7/2020 | Piper | 336 Seiten | Taschenbuch: 11,00 Euro | E-Book: 9,99 Euro Zur Bestellung auf Externer Link: piper.de
Interner Link: Zum Anfang der Seite Leonora. Wie ich meine Tochter an den IS verlor – und um sie kämpfte
Maik Messing, Volkmar Kabisch, Georg Heil Leonora Messing war 15 Jahre alt, als sie aus ihrem Dorf in Sachsen-Anhalt verschwand. In Syrien schloss sie sich dem „Islamischen Staat“ an und wurde Drittfrau eines deutschen „IS“-Terroristen. Wie konnte sich Leonora so schnell so stark radikalisieren? Wie sieht ihr Leben in den Kriegswirren aus und was bedeutet das für die verzweifelten Angehörigen? Der Vater kämpft darum, Leonora aus Rakka zurückzuholen – und geht dafür gefährliche Risiken ein. 9/2019 | Ullstein | 334 Seiten | Taschenbuch: 18,00 Euro | E-Book: 16,99 Euro Zur Bestellung auf Externer Link: ullstein-buchverlage.de
Interner Link: Zum Anfang der Seite Nur wenn du allein kommst. Eine Reporterin hinter den Fronten des Dschihad
Souad Mekhennet Was passiert hinter den Fronten des Dschihad? Wie ticken Warlords und jugendliche Attentäter? Die Journalistin Souad Mekhennet berichtet von ihren Recherchen in sogenannten No-Go-Areas des Terrors und ihren Treffen mit Dschihadisten. 9/2017 | C. H. Beck | 384 Seiten | Hardcover: 24,95 Euro | E-Book: 18,99 Euro Zur Bestellung auf Externer Link: chbeck.de
Interner Link: Zum Anfang der Seite Maryam A. Mein Leben im Kalifat. Eine deutsche IS-Aussteigerin erzählt
Christoph Reuter Als sie 2014 mit ihrem Mann nach Syrien reist, um sich dem „Islamischen Staat“ anzuschließen, ist Maryam A. Mitte zwanzig. Doch das Leben im „Kalifat“ ist nicht geprägt von Glauben und Gemeinschaft, wie sie es sich erhofft hatte. Stattdessen erlebt sie Terror, Gängelung und ständige Bombardierungen sowie den zermürbenden Kleinkrieg der Dschihadistinnen und Dschihadisten untereinander. Unter Lebensgefahr gelingt es ihr zu fliehen, aber bis heute muss sie versteckt in Nordsyrien leben. Christoph Reuter hat Maryams Bericht über ihre Zeit beim „Islamischen Staat“ aufgeschrieben. 11/2017 | Penguin Random House | 256 Seiten |Taschenbuch: 18,00 Euro | E-Book: 13,99 Euro) Zur Bestellung auf Externer Link: randomhouse.de
Interner Link: Zum Anfang der Seite Meine falschen Brüder. Wie ich mich als 16-Jähriger dem Islamischen Staat anschloss
Oliver N. und Sebastian Christ Oliver N., in der Nähe von Wien aufgewachsen, ist gerade 16 geworden, als er sich in Syrien dem sogenannten Islamischen Staat anschließt. Ein halbes Jahr verbringt er im "Kalifat", erlebt die Brutalität der islamistischen Kämpfer und kann sich nach einer schweren Verwundung zurück nach Österreich retten. 10/2017 | Kiepenheuer & Witsch | 288 Seiten |Taschenbuch: 14,99 Euro | E-Book: 12,99 Euro Zur Bestellung auf Externer Link: kiwi-verlag.de
Interner Link: Zum Anfang der Seite Zwei Schwestern. Im Bann des Dschihad
Åsne Seierstad An einem Nachmittag im Oktober 2013 kommen die norwegischen Schwestern Ayan und Leila nach der Schule nicht nach Hause. Stattdessen schicken sie eine E-Mail: Sie befinden sich auf der Reise nach Syrien, um sich dort dem sogenannten Islamischen Staat anzuschließen. Für ihr dokumentarisches Buch hat Åsne Seierstad eine norwegische Familie bei den dramatischen Versuchen begleitet, ihre beiden Töchter aus dem „IS“-Gebiet zurückzuholen. 10/2017 | Kein & Aber | 528 Seiten | Hardcover: 26,00 Euro | E-Book: 20,99 Euro Zur Bestellung auf Externer Link: keinundaber.ch Auch erhältlich in der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung | Print: 4,50 Euro Zur Bestellung auf Interner Link: bpb.de
Interner Link: Zum Anfang der Seite Mitten unter uns: Wie ich der Folter des IS entkam und er mich in Deutschland einholte
Masoud Aqil Der kurdische Journalist Masoud Aqil hat neun Monate in Syrien in der Gewalt der Terrormiliz „Islamischer Staat“ verbracht. In Deutschland angekommen sagt er: "Es sind mehr islamistische Terroristen in diesem Land, als wir ahnen". In "Mitten unter uns" beschreibt Aqil, dass der "IS" die die Flüchtlingswelle des Jahres 2015 genutzt hätte, um Terroristen nach Europa zu schleusen. 8/2017 | Europa Verlag | 256 Seiten | Hardcover: 18,90 Euro Auf der Verlagswebsite nicht mehr bestellbar, aber anderweitig verfügbar
Interner Link: Zum Anfang der Seite Undercover Dschihadistin. Wie ich das Rekrutierungsnetzwerk des Islamischen Staats ausspionierte
Anna Erelle Anna Erelle recherchiert in den sozialen Netzwerken, mit welchen Methoden radikale islamistische Organisationen in Europa Jugendliche für den Krieg in Syrien anwerben. Unter dem Deckmantel der jungen Konvertitin Melodie nimmt sie auf Facebook Kontakt mit einem Kommandanten des IS auf und entlockt ihm Informationen über das Söldnerleben in der Kampfzone. Bereitwillig gibt der Mann Auskunft, denn er will Melodie an sich binden. Nach dem Erscheinen ihres Buchs wurde die Autorin vom "IS" mit einer Fatwa bedroht und lebt nun unter Polizeischutz. 4/2016 | Knaur TB | 272 Seiten | Taschenbuch: 9,99 Euro | E-Book: 9,99 Euro Zur Bestellung auf Externer Link: droemer-knaur.de
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Neriman Yaman Was ist, wenn man bemerkt, wie sich der eigene Sohn radikalisiert? Neriman Yaman ist die Mutter von Yusuf, der im April 2016 im Alter von 16 Jahren ein Sprengstoffattentat auf einen Sikh-Tempel in Essen verübte. Neriman Yaman schildert, wie Yusuf sich immer weiter von seiner Familie entfremdete und immer tiefer in die Parallelwelt des Salafismus abrutschte. Yaman versuchte, ihn von seinen neuen Freunden zu lösen. Sie suchte Hilfe bei den verschiedensten Stellen: Bei Moscheen, beim Jugendamt, beim Schulamt, bei der Beratungsstelle "Wegweiser". Dennoch kam es zu dem Anschlag. 10/2016 | mvgverlag | 256 Seiten | Hardcover: 19,99 Euro Zur Bestellung auf Externer Link: m-vg.de
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Joachim Gerhard, Denise Linke Joachim Gerhard erzählt, wie seine beiden Söhne innerhalb kurzer Zeit zum Islam konvertierten, sich radikalisierten und sich im Alter von 19 und 23 Jahren in Syrien dem "Islamischen Staat" angeschlossen haben. Das Buch berichtet von den Versuchen des Vaters, Kontakt zu ihnen aufzunehmen und sie aus Syrien zurückzuholen. 9/2016 | Fischer Taschenbuch | 224 Seiten | Taschenbuch: 14,99 Euro | E-Book: 12,99 Euro) Zur Bestellung auf Externer Link: fischerverlage.de
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Dominic Musa Schmitz Dominic Musa Schmitz konvertierte als 17-Jähriger zum Islam und war in der deutschen Salafisten-Szene aktiv. Er begleitete den Prediger Pierre Vogel und arbeitete mit Sven Lau zusammen. Schmitz ist aus der Szene ausgestiegen und hat seine Erfahrungen dokumentiert. In seinem Buch schildert er, warum er als junger Deutscher den radikalen Islam attraktiv fand, wie er die Zeit in Salafisten-Kreisen erlebte und wie die Szene-Netzwerke in Deutschland funktionieren. Zudem geht es darum, wie er sich Schritt für Schritt von der Bewegung löste. 2/2016 | Ullstein | 256 Seiten | E-Book: 14,99 Euro Zur Bestellung auf Externer Link: ullstein-buchverlage.de
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Martin Schäuble Sie könnten unterschiedlicher nicht sein. Der eine, Daniel, wächst in einer gut situierten deutschen Familie auf, besucht das Gymnasium und begeistert sich für Hip-Hop. Der andere, Sa'ed, stammt aus den Palästinensergebieten, teilt sich ein Zimmer mit acht Geschwistern und bricht früh die Schule ab. Trotz aller Unterschiede vereint die beiden ein Ziel: Sie wollen kämpfen im Dschihad. In parallel erzählten Biografien zeichnet Martin Schäuble ihr Leben und ihren Weg in den "heiligen" Krieg nach. 3/2011 | Hanser Verlag | 224 Seiten | Taschenbuch: 14,90 Euro Zur Bestellung auf Externer Link: hanser-literaturverlage.de
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1 | Bewegung zum Schutz der Wählerrechte "Golos" - Moskau, 14. September
Am 13. September 2015 haben in Russland über 10.000 Wahlprozesse stattgefunden, darunter 21 Gouverneurswahlen, 11 regionale Parlamentswahlen und 25 Stadtratswahlen in regionalen Hauptstädten. Die Wahlen von 2015 sind die Generalprobe für das russische Wahlsystem hinsichtlich der Vorbereitung, Organisierung und Durchführung des allgemeinen Wahltages, der 2016 ansteht und auch die landesweiten Wahlen zur Staatsduma der Russischen Föderation einschließen wird.
Vertreter von "Golos" haben in 26 Regionen ein gesellschaftliches Monitoring der Wahlverfahren, der Verfahren bei der Stimmauszählung und der Feststellung der Ergebnisse in den übergeordneten Wahlkommissionen durchgeführt, und zwar in den Gebieten Astrachan, Irkutsk, Iwanowo, Kaliningrad, Kaluga, Kirow, Kostroma, Kurgan, dem Leningrader Gebiet, dem Gebiet Lipezk, dem Moskauer Gebiet, den Gebieten Nishnij Nowgorod, Nowosibirsk, Orjol, Rjasan, Rostow, Samara, Tomsk, Tscheljabinsk, Twer, Wladimir und Woronesh, in den Republiken Baschkortostan, Marij El und Tatarstan sowie in der Region Krasnodar. Darüber hinaus erhielt Golos aus allen Regionen, in denen Wahlen stattfanden, über andere Kanäle Informationen, unter anderem über die Hotline 8 800 333–33–50, die "Landkarte der Verstöße" (Externer Link: www.kartanarusheniy.org) [siehe Seite 9] und Medienpartner.
Golos lässt sich in seiner Arbeit von den weltweit anerkannten Wahlbeobachtungsstandards leiten und achtet streng auf politische Neutralität als eine der Grundvoraussetzungen für eine unabhängige und objektive Wahlbeobachtung. Ungeachtet des Umstandes, dass sich über die Jahre die technischen Voraussetzungen verbessert haben (transparente Wahlurnen, Einsatz von Geräten zur Verarbeitung der Stimmzettel u. a.), wendet sich Golos in dieser Erklärung vor allem den problematischen Aspekten des Wahlprozesses zu, da Golos sich der Bedeutung bewusst ist, dass diese im Sinne einer Wahrung der Verfassungsordnung und der Zukunft des Landes aufgedeckt werden müssen.
Aufgrund der Ergebnisse des gesellschaftlichen Monitorings der Wahlen vom 13. September 2015 müssen wir feststellen, dass die Institution der Wahlen in Russland durch den ungestraften Einsatz administrativer Instrumente diskreditiert ist. Dies wirkt sich negativ auf den Ablauf des Wahlprozesses aus, verhindert freie und gleiche Wahlen, wodurch die Ergebnisse der Wahlen entstellt und letztendlich ihre Echtheit und Legitimität in Frage stellt werden.
Bei den Wahlen des Jahres 2015 hat sich die Tendenz einer Akzentverschiebung beim Einsatz administrativer Instrumente vom Wahltag auf frühere Phasen des Wahlprozesses, die während der vergangenen zwei Jahren festzustellen war, weiter verfestigt. Die Ergebnisse waren bei der Mehrzahl der Wahlen durch Entscheidungen und Aktivitäten der amtierenden Regierungen und der Wahlkommissionen, die die Wahlen in der Phase der Nominierung und Registrierung der Kandidaten und Parteien sowie während des Wahlkampfes unmittelbar organisieren, faktisch vorbestimmt. In dieser Situation und angesichts fehlenden politischen Wettbewerbs sind die Ergebnisse der jetzigen Wahlen im Voraus festgelegt, und es findet am Wahltag lediglich deren formale "Legitimierung" statt.
Die Wahlen 2015 haben deutlich gemacht, dass deren Organisatoren, die regionalen und kommunalen Behörden, geleitet von persönlichen, bisweilen eigennützigen Interessen, und dank der für sie "positiven" Erfahrung aus vorherigen Wahlen, bei denen "alles erlaubt" war, die Aufrufe der föderalen Regierung, keine Verstöße gegen die Wahlgesetze zuzulassen und einen "Wettbewerbscharakter der Wahlen mit nicht vorhersagbarem Ausgang" zu gewährleisten, praktisch ignorieren.
Die Möglichkeit der vorfristigen Stimmabgabe wurde praktisch in allen Regionen, in denen Wahlen stattfanden, so weit wie möglich dazu eingesetzt, die Wahlbeteiligung nach oben zu treiben und Stimmen für die regierungsfreundlichen Kandidaten sicherzustellen. Eine Bestätigung hierfür sind sowohl Berichte unserer Vertreter in den Regionen als auch Meldungen an die "Landkarte der Verstöße" und in den Medien.
Besonders hervorzuheben ist der hohe Anteil der vorfristigen Stimmabgaben in einer Reihe von Regionen: in der Region Primorje, dem Leningrader Gebiet (bei den Gouverneurswahlen betrug der Anteil 4,66 Prozent der Wahlberechtigten und 10,91 Prozent der abgegebenen Stimmen), im Gebiet Orjol (bei den Stadtratswahlen in Orjol: 4,22 Prozent der Wahlberechtigten und 12,98 Prozent der abgegebenen Stimmen) und im Gebiet Rjasan (Wahlen zur Gebietsduma: 1,93 Prozent der Wahlberechtigten und 5 Prozent der abgegebenen Stimmen). Zum Vergleich: Bei den Wahlen zur Stadtduma in Tomsk betrug der Anteil der vorfristigen Stimmabgabe 2,23 Prozent aller abgegebenen Stimmen (Stand vom Morgen des 14. September 2015, 6:20 Uhr).
Die Ergebnisse der Wahlbeobachtung vom 13. September zeigen einen fortgesetzten Einsatz rechtswidriger Instrumente am Wahltag selbst:
Klare Verfälschung des Wählerwillens (direkte Wahlfälschung)stapelweiser Einwurf zusätzlicher Stimmzettel;"Karussell-Abstimmung" (mehrfache Stimmabgabe);Fälschung von Wahlprotokollen;Verstöße, die die Feststellung des Wählerwillens beeinflussen könnenWählerbestechung;Verletzung der Wählerrechte, Druck durch Vorgesetzte;rechtswidrige Wahlwerbung;Transferfahrten für Wähler zum Wahllokal;Verletzung der Rechte von Wahlbeobachtern, Mitgliedern der Wahlkommissionen und Medienvertretern;Verfahrensverstöße bei der Stimmauszählung.
Unter den am weitesten verbreiteten Verstößen am Wahltag selbst sind hervorzuheben: Beeinträchtigung der Rechte von Wahlbeobachtern, Mitgliedern der Wahlkommissionen und Medienvertretern (über die Hotline von Golos und auf der Landkarte der Verstöße sind hierzu 225 Meldungen eingegangen), Verstöße im Zusammenhang mit der vorfristigen Stimmabgabe, der Stimmabgabe mit Hilfe eines Wahlscheins und der Stimmabgabe außerhalb des Wahllokals (143 Meldungen), Nötigung von Wählern zur Stimmabgabe und Verletzung des Wahlgeheimnisses (96 Meldungen). Golos hat am Wahltag in seinen Veröffentlichungen, in Pressemitteilungen der regionalen Abteilungen und in regelmäßigen Video-Übertragungen aus dem Callcenter und dem Pressezentrum von verschiedenen Beispielen solcher Verstöße berichtet.
Wie zu erwarten, stieg im Laufe des Tages die Anzahl der gemeldeten Verstöße, die bei der Stimmauszählung registriert wurden, sowie der Fälle, in denen Wahlbeobachter aus "problematischen" Wahllokalen (bei denen beispielsweise der Verdacht bestand, dass zusätzliche Stimmzettel eingeworfen wurden oder bei der Stimmabgabe außerhalb des Wahllokals Manipulationen stattgefunden haben) entfernt wurden.
Verstöße bei der Stimmabgabe außerhalb der Wahllokale waren allerorts festzustellen, am häufigsten in den Gebieten Kostroma und Tscheljabinsk, aber auch in der Region Krasnodar und der Republik Tatarstan sowie den Gebieten Iwanowo, Omsk, Orjol, Samara und in anderen Regionen. In vielen Fällen sind keine Register für die Stimmabgabe außerhalb des Wahllokals geführt worden. An ihrer Stelle wurden nicht formgerechte Listen erstellt. In vielen Fällen wurde Wahlbeobachtern das Recht auf Einsichtnahme verwehrt. Oft fehlten die entsprechenden Erklärungen der Wahlberechtigten. Dadurch ergab sich die Möglichkeit für Manipulationen bei den Stimmzetteln außerhalb des Wahllokals. Es sind Meldungen darüber eingegangen, dass Personen, die keinen entsprechenden Antrag bei der Wahlkommission eingereicht hatten, in mobile Wahlurnen ihren Stimmzettel eingeworfen haben, und über Fälle ganz direkten Einwurfs zusätzlicher Stimmzettel.
Zur Vertuschung dieser und anderer Verstöße griffen Vorsitzende von Wahlkommissionen der Stimmbezirke in einer ganzen Reihe von Fällen zu dem Mittel, Wahlbeobachter, Medienvertreter und sogar Mitglieder der Wahlkommission während der Stimmauszählung des Raumes zu verweisen. Aus Tatarstan und dem Gebiet Kostroma sind Meldungen eingegangen, die von Unterbrechungen der Stimmauszählung berichten, davon, dass Wahlbeobachter unter fadenscheinigem Vorwand entfernt wurden oder ihr Recht zur Kontrollierung des Verfahrens zur Stimmauszählung beschnitten wurde.
Darüber hinaus sind im Laufe des Wahltages Versuche von Stimmenkauf festgestellt worden (u. a. in Tatarstan, den Gebieten Irkutsk, Kaliningrad, dem Leningrader Gebiet, den Gebieten Nishnij Nowgorod, Orjol und Woronesh).
Eine massenhafte Stimmabgabe mit Hilfe von Wahlscheinen wurde in den Gebieten Irkutsk und Kostroma beobachtet. In Tatarstan und dem Gebiet Rjasan wurden Fälle festgestellt, bei denen die Administration Druck auf Wähler ausübte.
Aus den meisten Regionen sind Berichte über rechtswidrige Wahlwerbung eingegangen, besonders hervorzuheben sind hier die Gebiete Nishnij Nowgorod, Samara und Tscheljabinsk.
Alle diese Tendenzen haben sich Laufe der vergangenen drei Jahre verstärkt, was unter anderem die Zunahme der Meldungen auf der Landkarte der Verstöße belegt.
Übersetzung: Hartmut Schröder
Hier und im Weiteren nach den Daten des "Staatlichen automatisierten Systems 'Wybory' " (dt.: "Wahlen").
Vgl. auch die Meldungen auf der Karte der Verstöße < Externer Link: http://www.kartanarusheniy.org/ >. Der "Landkarte" zufolge fanden die "brisantesten" Wahlen im Gebiet Kostroma statt, mit großem Abstand gefolgt vom Gebiet Samara, der Republik Tatarstan sowie den Gebieten Woronesh und Tscheljabinsk.
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1 | Streit um Entlastungspaket: Kritik aus den Bundesländern
Beim Spitzentreffen zu den hohen Energiepreisen ist die Stimmung zwischen Bund und Ländern gereizt. Kevin Kühnert kritisiert Markus Söder scharf.
Blockieren die Launen des bayerischen Ministerpräsidenten (1. v. l.) das Entlastungspaket? Foto: Sven Hoppe/dpa
BERLIN dpa | In der Debatte über die Umsetzung der neuen Entlastungen zur Abfederung hoher Preise knirscht es zwischen Bundesregierung und Ländern. SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert warf dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder „politische Spiele“ vor. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund (DStGB) rief Bund und Länder auf, in der Krise an einem Strang zu ziehen.
Aus den Bundesländern kommt Kritik an der Aufteilung der Kosten der von der Ampel vereinbarten Entlastungsmaßnahmen zwischen Bund und Ländern. Einzelne Länder drohen mit Blockaden im Bundesrat.
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) dringt angesichts absehbarer Belastungen für Wirtschaft und Verbraucher auf eine schnelle Entscheidung über ein Aussetzen der Schuldenbremse. Der bayerische Regierungschef Markus Söder (CSU) fordert eine „finanzpolitisch große Lösung“. Finanzminister Christian Lindner (FDP) will an der Schuldenbremse festhalten, deren erneutes Aussetzen behält er sich als „Ultima Ratio“ vor.
Am 28. September kommen die Ministerpräsidenten der Länder mit Bundeskanzler Olaf Scholz zu Beratungen über die Energiekrise zusammen. Die Ampel-Koalition hat ein Entlastungspaket im Umfang von 65 Milliarden Euro beschlossen, an dem sich auch die Länder beteiligen sollen.
Schuldenbremse auszusetzen im Notfall erlaubt
Die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse sieht vor, dass die Haushalte von Bund und Ländern grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen sind. Es gibt allerdings einen Spielraum, der für den Bund höchstens 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts beträgt. Bei Naturkatastrophen oder anderen Notsituationen kann die Schuldenbremse ausgesetzt werden, was 2020 und 2021 wegen der Coronapandemie geschehen ist.
SPD-Generalsekretär Kühnert sagte der Rheinischen Post: „Während die Menschen in Deutschland dringend darauf angewiesen sind, dass die Entlastungen der Bundesregierung bei ihnen ankommen, spielt Markus Söder politische Spiele.“ Er nehme für seine Privatfehde mit der Ampel ein ganzes Entlastungspaket in Geiselhaft. „Das ist politischer Größenwahn auf Kosten von Millionen Menschen in Bayern und dem ganzen Land. Deutschland hat jetzt keine Zeit für die Launen eines CSU-Mannes, der beim Oktoberfest zu tief ins Glas geschaut hat.“
Kühnert sagte weiter, selbstverständlich gebe es in der Umsetzung der Entlastungen zwischen Bund und Ländern finanzielle und technische Fragen zu besprechen. Deshalb habe Kanzler Scholz zu dem Treffen mit den Ministerpräsidenten eingeladen.
Söder hatte der Augsburger Allgemeinen gesagt: „Der Bund sollte sich ehrlich machen: Während den Ländern durch die Schuldenbremse die Hände gebunden sind, hantiert der Bundesfinanzminister in Schattenhaushalten mit gigantischen Milliardensummen.“ Er betonte: „Wir befinden uns in einer ökonomischen Krise, die größer ist als bei Corona, deshalb braucht es jetzt auch finanzpolitisch eine große Lösung – und nicht nur kleines Besteck.“ Weil hatte in einem Interview der Deutschen Presse-Agentur von einer Notlage gesprochen.
FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai konterte die Kritik der Länder und nahm sie in die Pflicht. Der Rheinischen Post sagte er: „Es kann nicht sein, dass die Länder immer nur Forderungen stellen, sich dann aber wegducken, wenn es um die Umsetzung geht.“
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, mahnte eine frühzeitige Abstimmung zwischen Bund und Ländern an. „Erfolgreiche Krisenbewältigung schafft man nur gemeinsam“, sagte Landsberg. „Dies gilt insbesondere dann, wenn der Bund auf die Zustimmung der Länder und die Umsetzung durch die Kommunen angewiesen ist.“ | 91 |
0 | Die vielen anmutigen Gärten der Stadt dufteten nach dem Regen in ihrer
zweiten und dritten Blüte. Die Sonne ging über den ewigen Schneefeldern
zur Rüste; der ganze Himmel war Feuer und Flamme, und die Schneefirne
warfen den gedämpften Widerschein zurück. Die näher gelegenen Berge
standen im Schatten, aber sie leuchteten doch von vielfarbigem
Herbstwald; auf den Holmen, die in der Mitte des Fjords in Reih und
Glied dem Lande zustrebten, als kämen sie geradenwegs dahergerudert,
stand--weil sie dem Lande näher lagen--der dichte Wald in noch stärkerem
Farbenspiel als auf den Bergen. Die See war spiegelblank; ein großes
Schiff wurde langsam herangewerpt. Die Leute saßen vor ihren Häusern auf
der Holztreppe, die zu beiden Seiten halb verdeckt war von Rosengebüsch;
von Treppe zu Treppe plauderte man miteinander, stattete sich auch wohl
einen kurzen Besuch ab, oder man tauschte einen Gruß mit den
Spaziergängern aus, die den langen Alleen draußen vor der Stadt
zueilten. Aus einem offenen Fenster tönte hier und dort Klavierspiel;
sonst unterbrach kaum ein Laut das Geplauder; der letzte Sonnenschimmer
auf dem Wasser erhöhte noch das Gefühl der Stille. | 92 |
0 | Er sah blaß und elend aus, als er am Abend in seiner Dönze bei der
kleinen eisernen Öllampe saß, denn sein Herz, das sich bis dahin noch
keinem Weibe zugewandt hatte, hatte immer schnell geschlagen, wenn er
die Frau nur von weitem sah. Aber mit keinem Blicke, geschweige denn mit
einem Worte, hatte er sie merken lassen, wie es um ihn stand. Als Mieken
kam und sagte: »Die Frau ist uns eben weggeblieben,« da war er wohl so
weiß, wie eine Wand, als er in die Dönze kam, und seine Hände beberten,
als er ihr die Augen zudrückte, aber keiner sah es ihm an, wie ihm
zumute war. | 93 |
0 | »Weiß noch nicht. Ich reit' jedes Jahr los. Neu-Mexiko war es letzten
Winter, Indian-Territory das Jahr vorher. Für Cowboys gekocht, drüben
bei San Antonio (und die Jungens haben oft genug geschimpft über meine
Kocherei!) -- mitgeholfen beim Branden der Rinder -- dann nach
Nordwesten hinauf -- das verdiente Geld in einem Wagen und Provisionen
angelegt und nach Gold gesucht -- den Teufel 'was gefunden -- halb
verhungert in Albuquerque angekommen, Wagen und Gaul verkauft und nach
Hause gefahren. Das waren famose fünf Monate, _sonny_! Diesmal ist es El
Paso! Bei El Paso wird eine neue Eisenbahn gebaut. Gus sprach davon. Da
strömen die lustigsten Kerle aus dem ganzen Süden zusammen. Jawohl --
es ist 'ne feine Idee! Ich reite nach El Paso! Glory Hallelujah!« | 94 |
1 | Linken-Abgeordneter zu Personaldebatten: „Sauer ist keine sinnvolle Kategorie“
Stefan Liebich sitzt seit 2009 für die Linken im Bundestag. Am besten wäre, es gäbe gar keine Personaldebatten, sagt er.
„Als SpitzenkandidatIn muss man möglichst bekannt in der Bevölkerung sein“, meint Stefan Liebich Foto: dpa
Taz: Herr Liebich, Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch reklamieren für sich die Doppel-Spitzenkandidatur zur Bundestagswahl. Was halten Sie davon?
Stefan Liebich: Dietmar und Sahra haben es geschafft, unsere Fraktion auf einen gemeinsamen Weg zu bringen. Das war keine Selbstverständlichkeit. Deswegen, glaube ich, wären sie die richtigen Spitzenkandidaten für die Linke.
Satzungsgemäß hat der Parteivorstand das Vorschlagsrecht. Was hat Wagenknecht und Bartsch bewogen, das Karl-Liebknecht-Haus zu übergehen?
Die beiden wissen, wie bei uns die Gremien funktionieren. Dennoch kann man sagen, wozu man bereit ist. Und dann müssen die, die dafür zuständig sind, die Entscheidung treffen.
Die Parteichefs Kipping und Riexinger können aber auch für sich reklamieren, die Partei befriedet zu haben. Wären die beiden nicht wenigstens genauso fähig zur Spitzenkandidatur?
Katja Kipping und Bernd Riexinger haben die Partei in einer Zeit befriedet, als die Flügel miteinander im Streit lagen. Damals stand Dietmar Bartsch auf der einen Seite, Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine auf der anderen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass Katja und Bernd damals die Initiative ergriffen haben, das zu beenden.
Noch einmal: Würden Sie auch Kipping und Riexinger als Spitzenkandidaten unterstützen?
Die Gremien werden klug entscheiden, wer unsere Spitzenkandidaten werden. Und ich werde dann die getroffene Entscheidung unterstützen. Sie haben mich gefragt, was ich von der Bereitschaft von Dietmar und Sahra zu kandidieren, halte. Und davon habe ich nichts zurückzunehmen.
Hätten Kipping und Riexinger also keinen Grund, sich übergangen zu fühlen?
Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch haben ein Angebot formuliert. Wo ist das Problem? Und es ist ja nicht vom Himmel gefallen. Die SpitzenpolitikerInnen in unserer Partei sind zu dem Thema sicher seit längerem im Gespräch. Offenkundig ist kein gemeinsames Vorgehen erreicht worden. Sauer sein ist keine sinnvolle Kategorie in der Politik.
im Interview:geb. am 30.12.1972 in Wismar trat er 1990 in die PDS ein, war dort in den folgenden Jahren Bezirks- und Landesvorsitzender. Von 1995 bis 2009 war er Mitglied des Abgeordnetenhauses in Berlin, seit 2009 Mitglied im Bundestag, dort Obmann des Auswärtigen Ausschuss.
Was müssen SpitzenkandidatInnen besser können als andere?
Man muss möglichst bekannt sein in der Bevölkerung. Das trifft auf Sahra Wagenknecht auf jeden Fall zu, auf Dietmar Bartsch immer mehr. Und man sollte die Partei in ihrer Breite repräsentieren. Das war früher bei den Einzelpersonen Oskar Lafontaine, Gregor Gysi oder Lothar Bisky der Fall. Die konnten sagen, wir stehen für die gesamte Partei. So jemanden haben wir aber nicht mehr. Deshalb ist die Idee, dass nicht mehr einer allein die Linke repräsentiert, richtig.
Mal ehrlich, öden Personaldebatten die Wähler nicht eher an?
Klar, niemand mag Personaldebatten. Aber Politik und Personal sind nun mal nicht voneinander zu trennen. Das Beste wäre, es gäbe keine Personaldebatte und man einigt sich zügig auf einen Vorschlag. Es liegt ein Angebot auf dem Tisch, dazu sollen sich die zuständigen Gremien nun verständigen.
Als Gysi die Fraktionsführung an Wagenknecht und Bartsch übergeben hat, hätte er sich da träumen lassen, dass Sahra Wagenknecht als Spitzenkandidatin in den Bundestagswahlkampf ziehen würde?
Gregor Gysi wusste ja, dass es diese Möglichkeit gibt. In dem Moment, als er sich entschieden hat, nicht erneut als Fraktionsvorsitzender zu kandidieren, war im Grunde klar, dass die beiden bereit stehen würden. | 95 |
1 | Häusliche Gewalt beim Sorgerecht: Opferschutz und Kindeswohl first
Müttern wird geraten, Gewalt zu verschweigen, da sie ihnen beim Sorgerecht nachteilig ausgelegt werden kann. Das muss sich ändern, fordert die Linke.
Opferschutz und Kindeswohl müssen im Zentrum stehen Foto: imago
BERLIN taz | Familien- und Justizministerium prüfen derzeit, inwiefern häusliche Gewalt bei Umgangsverfahren berücksichtigt werden kann. Das teilte das Justizministerium auf eine kleine Anfrage von Gökay Akbulut, familienpolitische Sprecherin der Linken, mit. Die Anfrage liegt der taz vor. Darin verweist Akbulut auf die Kritik der UN-Sonderberichterstatterin zu Gewalt gegen Frauen und Mädchen, Reem Alsalem. Sie hatte Ende Juni die Praxis an Familiengerichten gegenüber gewaltbetroffenen Müttern und Kindern in Deutschland als Menschenrechtsverletzung bezeichnet.
„In Umgangs- und Sorgerechtsverfahren müssen Opferschutz und Kindeswohl ins Zentrum der Betrachtungen gerückt werden“, so Akbulut zur taz. „Keinesfalls darf der notwendige Schutz für Mutter und Kind mit dem Argument einer vorgeblichen Eltern-Kind-Entfremdung ausgehebelt werden.“ An Familiengerichten hängen etwa 63 Prozent der Umgangs- und Sorgerechtsverfahren mit Gewalt zusammen, die vom Vater ausgeht.
Dabei wird Müttern oft geraten, Gewalt zu verschweigen, da sie ihnen zum Nachteil ausgelegt werden kann. Die sogenannte Hammer-Studie von April 2022, die 92 Beschlüsse und Urteile untersuchte, kam zu dem Ergebnis, dass in etwa 90 Prozent der Begründungen eine „zu enge Mutter-Kind-Bindung“ angeführt wurde, die den Vater entfremden würde.
„Insbesondere dann, wenn es Hinweise auf häusliche Gewalt gibt, ist es für das Opfer kaum zumutbar, beim Umgangsrecht des Kindes mit dem übergriffigen Vater mitzuwirken“, so Akbulut. Sie fordert sorgfältige Ermittlungen durch die Familiengerichte, um die Gefährdungssituation für Mutter und Kind besser einschätzen zu können, sowie eine bessere Sensibilisierung der Richterinnen und Richter und Schulungen von Verfahrensbeiständen und Jugendamtsmitarbeitenden.
Wirkt sich aufs Kindeswohl aus
Laut Artikel 31 der Istanbul-Konvention müssen gewalttätige Vorfälle bei Entscheidungen über das Besuchs- und Sorgerecht der Kinder berücksichtigt werden. Noch im Dezember äußerte sich das Justizministerium dazu, dass „keine Erkenntnisse vorliegen, dass häusliche Gewalt in familiengerichtlichen Verfahren systematisch nicht angemessen berücksichtigt würde“.
In der aktuellen Antwort heißt es vom Justizministerium: „Auch bei den sorgerechtlichen Vorschriften muss häusliche Gewalt zwischen den Elternteilen beachtet werden, da sich diese erheblich auf das Kindeswohl auswirken kann, wobei bei einer Gefährdung des Kindeswohls als ultima ratio auch eine Entziehung der elterlichen Sorge nach §1666 BGB in Betracht zu ziehen ist.“ | 96 |
0 | Erstes Rikat und erste Position: Aufrecht, die Hände fallen herab, und man
sagt das erste Capitel des Koran her. "Lob und Preis dem Weltenherrn, dem
Allerbarmer, der da herrschet am Tage des Gerichts. Dir wollen wir dienen,
und zu Dir wollen wir flehen, auf dass Du uns führest den rechten Weg, den
Weg derer, die Deiner Gnade sich freuen, und nicht den Weg derer, über
welche Du zürnest, und nicht den der Irrenden."--Es folgt jetzt ein
Koranvers, z.B. "Gott ist der einzige und ewige Gott. Er zeugt nicht und
ist nicht gezeugt, und kein Wesen ist ihm gleich." | 97 |
0 | Um dieselbe Zeit lagerte Dareios mit seinem Zuge wenige Tagereisen im Osten
der kaspischen Pässe. Er hatte kaum noch zwanzig Meilen Vorsprung; er mußte
sich überzeugen, daß es einerseits unmöglich sei, bei der ungeheuren
Schnelligkeit, mit der Alexander nacheilte, das baktrische Land fliehend zu
erreichen, daß er anderseits, wenn doch gekämpft werden mußte, möglichst
seinen Marsch verlangsamen müsse, damit die Truppen mit frischer Kraft den
vom Verfolgen ermatteten Feinden gegenüberträten; schon waren aus dem
persischen Zuge manche zu Alexander übergegangen, bei weiterer Flucht mußte
man immer mehr Abfall fürchten. Dareios berief die Großen seiner Umgebung
und gab ihnen seine Absicht kund, das Zusammentreffen mit den Makedonen
nicht länger zu meiden, sondern noch einmal das Glück der Waffen versuchen
zu wollen. Diese Erklärung machte tiefen Eindruck auf die Versammelten; das
Unglück hatte die meisten entmutigt, man dachte mit Entsetzen an neuen
Kampf; wenige waren bereit, ihrem Könige alles zu opfern, unter ihnen
Artabazos; gegen ihn erhob sich Nabarzanes, der Chiliarch: die dringende
Not zwinge ihn, ein hartes Wort zu sprechen; hier zu kämpfen sei der
sicherste Weg zum Verderben, man müsse weiter nach Osten flüchten, dort
neue Heere rüsten; aber die Völker trauten dem Glück des Königs nicht mehr;
nur eine Rettung gebe es; Bessos habe bei den östlichen Völkern großes
Ansehen, die Skythen und Inder seien ihm verbündet, er sei Verwandter des
königlichen Hauses; der König möge ihm, bis der Feind bewältigt sei, die
Tiara abtreten. Der Großkönig riß seinen Dolch aus dem Gürtel, kaum entkam
Nabarzanes; er eilte, sich mit seiner Perserschar von dem Lager des Königs
zu sondern; Bessos folgte ihm mit den baktrischen Völkern. Beide handelten
im Einverständnis und nach einem längst vorbereiteten Plane; Barsaentes von
Drangiana und Arachosien wurde leicht gewonnen; die übrigen Satrapien der
Ostprovinzen waren, wenn nicht offenbar beigetreten, doch geneigt, ihrem
Vorteile, als ihrer Pflicht zu dienen. Darum beschwor Artabazos den König,
nicht seinem Zorne zu folgen, bei den Meuterern sei die größere
Streitmacht, ohne sie sei man verloren, er möge sie durch unverdiente
Gnade zur Treue oder zum Schein des Gehorsams zurückrufen. Indes hatte
Bessos versucht, die Schar der Perser zum Aufbruch gen Baktrien zu bewegen;
aber sie schauderten noch vor dem Gedanken des offenbaren Verrates; sie
wollten nicht ohne den König fliehen. Bessos' Plan schien mißlungen; desto
hartnäckiger verfolgte er ihn; er schilderte ihnen die Gefahr, in die sie
der Großkönig stürze, er gewöhnte sie, die Möglichkeit eines Verbrechens zu
denken, das allein retten könne. Da erschien Artabazos mit der Botschaft,
der König verzeihe das unüberlegte Wort des Nabarzanes und die eigenwillige
Absonderung des Bessos. Beide eilten in des Königs Zelt, sich vor ihm in
den Staub zu werfen und mit heuchlerischem Geständnis ihre Reue zu
beglaubigen. | 98 |
1 | Der Bundespräsident und die Kreditaffäre: Union baut eine Burg Bellevue
Die CDU-Spitzen erklären die Kreditaffäre von Christian Wulff für beendet. Und der Präsident? Hält eine Weihnachtsansprache, in der er die Affäre nicht erwähnt.
Die Weihnachtsansprache bleibt bei Christian Wulff Weihnachtsansprache. Das Wort "Kreditaffäre" hat da nichts zu suchen. Bild: dapd
BERLIN taz | Noch Anfang der Woche herrschte eisiges Schweigen in der Union angesichts der Kreditaffäre des Bundespräsidenten. Kaum ein führender Christdemokrat wollte Christian Wulff verteidigen, nur die, die qua Amt mussten, äußerten sich – etwa Generalsekretär Hermann Gröhe. Doch nach der Entschuldigung Wulffs meldeten sich am Freitag gleich mehrere Spitzenleute zu Wort. Mit immergleichem Tenor: Jetzt muss aber Schluss sein.
Finanzminister Wolfgang Schäuble verlangte beispielsweise mehr Zurückhaltung. Die heftige Debatte sei eine Belastung für das Amt des Bundespräsidenten, sagte er der Bild am Sonntag.
"Wir haben ein hohes Interesse daran, dass das Amt unbeschädigt bleibt." Seine Kabinettskollegin Annette Schavan forderte in der Welt am Sonntag ein Ende der Debatte.
Wulff habe "Informationen gegeben und sich entschuldigt", sagte die Bildungsministerin. "Jetzt sollten wir zu dem zurückkehren, was wirklich wichtig ist." Der Fraktionsgeschäftsführer der Union, Peter Altmaier, betonte, Wulff habe mit seiner Aussage einen Schritt auf seine Kritiker und die BürgerInnen zugemacht.
"Wenn kein neuer Vorwurf kommt, ist Wulff durch"
Über die Weihnachtsfeiertage, so die Hoffnung der Parteistrategen, wird die aufgeregte Debatte einschlafen, weil sich Journalisten und Opposition lieber der Familie widmen als der Präsidentenjagd. Und im Januar, wenn der Landtag in Niedersachsen mit der mühseligen Aufklärung der Details beginnt, wird in den Medien längst eine neue Sau durchs Dorf getrieben.
"Wenn jetzt kein substanziell neuer Vorwurf mehr kommt, ist Wulff durch", sagt ein CDU-Mann. Während neue Details zu seiner Amtszeit als Regierungschef Niedersachsens öffentlich wurden, versuchte Wulff im Schloss Bellevue Normalität zu suggerieren.
Wie in jedem Jahr schickte das Präsidialamt den Text seiner aufgezeichneten Weihnachtsrede herum, die heute im Fernsehen ausgestrahlt wird. Darin betont er etwa den Wert Europas. Außerdem äußert er seine Abscheu über die rechtsextremen Terrormorde und fordert die BürgerInnen zu stärkerem Zusammenhalt auf. "In unserem Land gibt es keinen Platz für Fremdenhass, Gewalt und politischen Extremismus." Seine Affäre erwähnt Wulff in der Rede mit keinem Wort.
Die Opposition verlangte nach Wulffs Erklärung weitere Aufklärung. SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil sagte in der ARD: "Nach dem Motto ,Schwamm drüber' geht es jetzt nicht." Zwar sei zu begrüßen, dass sich Wulff endlich selbst geäußert habe. Aber: "Es ersetzt keine Aufklärung in der Sache." Damit der Präsident sein Amt unbefangen ausüben könne, müssten alle rechtlichen Zweifel und offenen Fragen ausgeräumt werden. Ähnlich äußerten sich die Grünen. | 99 |
Subsets and Splits
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