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1 | Wissenschaftler über Proteste in Chile: „Eine gesellschaftliche Explosion“
In Chile eskalieren die Proteste. Dabei entlädt sich der Frust über die große Ungleichheit im Land, sagt der Sozialwissenschaftler Claudio Rodríguez.
Santiago am Montag: Zehntausende demonstrieren friedlich, einige entzünden Barrikaden Foto: dpa
taz: Herr Rodríguez, zwei Sätze waren in den vergangenen Tagen ständig in Chile zu hören: „Das alles hat niemand kommen sehen“, und: „Die Preiserhöhung bei der U-Bahn war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.“ Aber wenn das Fass schon randvoll war, hätte man doch mit einer solchen Protestbewegung rechnen können.
Claudio Rodríguez: Niemand hat die Geschwindigkeit und die Wucht erwartet, mit der das kam. Aber im politischen und sozialwissenschaftlichen Bereich wurde schon registriert, dass die gesellschaftliche Unzufriedenheit in den vergangenen Jahren immer weiter angewachsen ist. Das fing 2006 mit der „Pinguin-Revolte“ an, als SchülerInnen für besseren Unterricht auf die Straße gingen. 2011 spitzte es sich bei den Studierendenprotesten gegen das Geschäft mit der Bildung zu. Die Unzufriedenheit hat sich seither immer weiter aufgeschaukelt, und die aktuelle Regierung von Sebastian Piñera steht in Reinform für dieses Gefühl von gesellschaftlicher Exklusion und Machtmissbrauch.
Zu den großen Protestbewegungen der vergangenen Jahre gehörte auch die gegen das System der privaten Rentenfonds. Warum haben all diese Bewegungen trotzdem nicht die gesellschaftliche Breite erreicht, die wir heute beobachten?
Die Mobilisierung gegen die unter Pinochet eingeführten Rentenfonds haben bis zu einer Million Menschen auf die Straße gebracht. Aber was wir da heute beobachten, ist Ausdruck eines grundlegenden Verlusts an Legitimität eines ganzen politischen und wirtschaftlichen Systems. Ich würde von einer regelrechten gesellschaftichen Explosion sprechen, die sich in einer neuen Qualität von zivilem Ungehorsam ausdrückt. Auch, weil die Piñera-Regierung den Konflikt sehr ungeschickt gehandhabt hat.
Inwiefern?
Mit der Entscheidung, zum ersten Mal seit der Diktatur einen Ausnahmezustand mit nächtlicher Ausgangssperre auszurufen, die Menschen also vom Abend bis zum Morgen in ihren Häusern einzusperren und das Militär auf die Straße zu schicken, hat Piñera nur Öl ins Feuer gegossen.
Für die jungen Leute, die jetzt mit Töpfen und Pfannen Lärm schlagen, ist die Diktatur nur noch eine Erinnerung ihrer Eltern und Großeltern.
im Interview:Claudio Rodríguez47, ist Sozialwissenschaftler und Dozent an der Universidad de Santiago de Chile. Er ist stellvertretender Leiter des Sozialforschungsinstituts ICAL, das Chiles Kommunistischer Partei nahesteht und seit etlichen Jahren mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung kooperiert.
Ja, das ist ein interessanter Aspekt. Diese Generation, die Verfolgung und Folter und Mord überhaupt nicht mehr erlebt hat, aber Tag für Tag die Erfahrung von gesellschaftlichem und ökonomischem Aussschluss und der Privilegierung einer kleinen Gruppe macht, diese Generation hat keine Angst mehr. Für ihre Eltern und Großeltern wird dagegen jetzt das Trauma der Diktatur wieder wach.
Wie gehen Sie selbst damit um?
Ich kann und will meiner 20-jährigen Tochter nicht verbieten, an den Demonstrationen teilzunehmen, aber unruhig macht es mich dann doch. Die Soldaten, die da auf der Straße stehen, sind doch nicht dazu ausgebildet, für öffentliche Ordnung zu sorgen. Das waren sie auch in den Jahren der Diktatur nicht, und damals hat es immer wieder schreckliche Gewaltexzesse gegeben.
Wenn man mit den ChilenInnen über die Hintergründe der Proteste spricht, bekommt man ganz unterschiedliche Antworten. Der Taxifahrer schimpft über die Konkurrenz von Uber, die Rentnerin über die korrupte Politikerkaste, jemand anderes über die Einwanderung aus lateinamerikanischen Ländern.
Entscheidend ist am Ende immer, wenn es den Menschen ans Geld geht. Die chilenische Gesellschaft definiert sich heute sehr stark über den Konsum, und wir haben eine horrende private Verschuldung bei stetig steigenden Preisen aller Basisdienstleistungen. Nicht nur der Nahverkehr wird teurer, auch die Preise für Wasser, Strom, Telekommunikation steigen. Das sind alles private Unternehmen, die satte Gewinne machen, das ist inzwischen auch zur Genüge bekannt.
Ist diese Bewegung, die ja erstaunlicherweise bislang kein „Gesicht“ hat – weder Personen noch Organisationen, die das Wort führen –, eigentlich eine linke Bewegung?
Ich glaube, es ist eine politische Bewegung, aber nicht unbedingt eine, die mit der Entwicklung eines Klassenbewusstseins oder gar einer revolutionären Einstellung einhergeht – das sage ich aus einer linken Perspektive heraus. In erster Linie ist sie die Äußerung einer tiefen Unzufriedenheit, aus der sich zwangsläufig eine Kritik am herrschenden wirtschaftlichen Modell ergibt.
Die Gewerkschaften haben am Montag einen Aufruf zur Unterstützung der Bewegung veröffentlicht.
Die Gewerkschaften haben die Bewegung schon vor Wochen unterstützt, als sie noch eine Gruppe junger Leute war, die aus Protest gegen die Preisanhebung bei der U-Bahn zum massenhaften Schwarzfahren aufrief. Tatsächlich wird die Bewegung aber im Moment von keiner linken Organisation angeführt, genau genommen von gar keiner Organisation.
Kann die Linke denn noch davon profitieren, etwa bei den nächsten Parlamentswahlen?
Ich würde das bislang eher als eine Herausforderung betrachten. Es gibt einen tiefen Graben zwischen den Menschen, die da jetzt auf die Straße gehen, und der institutionalisierten Politik.
Diese Rebellion hat ja zwei Gesichter: Das eine sind die Demos mit dem Topfklappern, den Transparenten, auch Zusammenstößen mit der Polizei. Das andere die nächtlichen Plünderungen und Brandstiftungen, die mittlerweile fast landesweit stattfinden. Wie viel hat das eine mit dem anderen zu tun?
Beides ist ein Ausdruck von Wut und Unzufriedenheit, von dem Gefühl, nicht dazuzugehören, nichts von der Gesellschaft zu bekommen. Eine Minderheit nutzt diese Mischung sicherlich dazu, sich durch Gewalt gegen große private Unternehmen, aber auch gegen öffentliche Einrichtungen wie die U-Bahn auszuleben. Viele von ihnen haben praktisch nichts zu verlieren, und so verhalten sie sich auch.
Die Zerstörungen der öffentlichen Verkehrsmittel, gerade der modernen und sehr effizienten U-Bahn, eigentlich der ganze Stolz der ChilenInnen, lassen sich schwer nachvollziehen.
Das ist sogar sehr schwer nachzuvollziehen, immerhin ist es die ganz normale arbeitende Bevölkerung, die auf die Metro angewiesen ist. Aber wie gesagt, es sind vor allem marginalisierte Jugendliche, die keine Zugehörigkeit zu dieser Gesellschaft und ihren Einrichtungen mehr verspüren, die sehen, wie frustriert ihre Eltern sind, die arbeiten und sich ausbeuten lassen. Das wollen sie nicht mit sich machen lassen.
Im Netz kursiert die Theorie, dass die Piñera-Regierung in den ersten Tagen die Polizei bewusst zurückgehalten hat. Die Absicht dahinter sei gewesen, das Ganze erst einmal hochkochen zu lassen, um dann richtig zuschlagen zu können. Außerdem würde sich die Bewegung so selbst delegitimieren.
Ich kann nicht ausschließen, dass es solche Strategien gibt, wie Sie sie beschrieben haben. Es gab anfangs tatsächlich stellenweise auffällig wenig Polizeipräsenz, was anderenfalls nur mit einer kompletten Überforderung des Apparats zu erklären wäre. Eigentlich kann sich die Regierung eine Eskalation gar nicht leisten – im Dezember stehen der Klimagipfel und ein Treffen der Apec-Staaten an. Für das Image Chiles ist das gerade alles Gift.
Kann Piñera zum jetzigen Zeitpunkt den Ausnahmezustand zurücknehmen, oder brennt es dann erst so richtig?
Schwer zu sagen. Ich höre durchaus viele Stimmen, die sagen: Die Lage hat sich durch das unverantwortliche Handeln der Regierung so zugespitzt, dass wir erst mal für etwas Ruhe sorgen müssen. Aber Piñera hat ja mit seiner Ausage, es herrsche „Krieg“ in Chile, es gebe einen „mächtigen Feind“, den es zu bekämpfen gelte, erst richtig Angst und Wut geschürt. Er hat auch suggeriert, das organisierte Gruppen für Chaos sorgten. Es gibt in Chile tatsächlich ein paar kleine anarchistische, gewaltbereite Gruppierungen, aber deren Mobilisierungskraft reicht nicht im Geringsten für so etwas aus.
Viel war jetzt die Rede von einem „neuen Gesellschaftsvertrag“, sowohl aus den Reihen der Opposition als auch von Teilen der rechten Regierung. Worin soll der denn bestehen?
Ein neuer Gesellschaftsvertrag müsste tiefgehende Änderungen am heutigen Entwicklungsmodell beinhalten. So schnell wird das nicht gehen. Aber ich glaube, einige kurzfristig umzusetzende Maßnahmen könnten den Menschen zeigen, dass die Regierung es wirklich ernst damit meint, allen eine Perspektive zu geben. Konkret wäre das etwa ein Umbau der Altersversorgung, bei dem ein Teil des angesparten Kapitals in einen Solidarfonds fließt, aus dem dann eine einigermaßen menschenwürdige Basisrente gezahlt werden kann. Das wäre mit der Opposition sehr schnell auszuhandeln.
Bildergalerie Wut in Chile8 Bilder
Eine andere Möglichkeit wäre ein Stopp der geplanten Steuerreform, von der die 17.000 reichsten Familien des Landes in Höhe von umgerechnet fast einer Milliarde Dollar profitieren. Aus diesen Mitteln ließe sich auch die Wiederherstellung der zerstörten öffentlichen Infrastruktur bezahlen. Und eine Kürzung der Abgeordnetendiäten, die heute beim 40-Fachen des Mindestlohns liegen, würde die PolitikerInnen der Lebenswirklichkeit ihrer Wählerinnen wieder etwas näher bringen. | 200 |
0 | Nun sieht sich die Vernunft nach dem Begriffe eines Wesens um, das
sich zu einem solchen Vorzuge der Existenz, als die unbedingte
Notwendigkeit, schicke, nicht sowohl, um alsdann von dem Begriffe
desselben a priori auf sein Dasein zu schließen, (denn, getraute
sie sich dieses, so dürfte sie überhaupt nur unter bloßen Begriffen
forschen, und hätte nicht nötig, ein gegebenes Dasein zum Grunde
zu legen,) sondern nur um unter allen Begriffen möglicher Dinge
denjenigen zu finden, der nichts der absoluten Notwendigkeit
Widerstreitendes in sich hat. Denn, daß doch irgend etwas schlechthin
notwendig existieren müsse, hält sie nach dem ersteren Schlusse schon
für ausgemacht. Wenn sie nun alles wegschaffen kann, was sich mit
dieser Notwendigkeit nicht verträgt, außer einem; so ist dieses das
schlechthin notwendige Wesen, man mag nun die Notwendigkeit desselben
begreifen, d.i. aus seinem Begriffe allein ableiten können, oder
nicht. | 201 |
1 | Hannes P. Albert/dpa
Bundesinnenministerin Nancy Faeser hat eine rechtsextremistische Vereinigung verboten.
Mittwoch, 27.09.2023, 07:20
Erst gestern wurden bei einer Razzia Wohnungen im Zusammenhang mit Schleusungskrimianlität durchscuhat - heute folgt die nächste Razzia. Nancy Faeser hat eine rechtsextremistische Vereinigung verboten.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat eine rechtsextremistische Vereinigung verboten, die sich «Die Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung» nennt. Wie das Ministerium mitteilte, durchsuchten Einsatzkräfte der Polizei am Mittwochmorgen 26 Wohnungen von 39 Vereinsmitgliedern und Räume des Vereins in zwölf Bundesländern.
DPA | 202 |
1 | Studie zum Integrationsverhalten von Türken: Migranten fordern Kindergartenpflicht
Die Hälfte der Türken in Deutschland will früher oder später in die Heimat zurück. Gleichzeitig befürwortet die Mehrheit verpflichtende Deutsch- und Integrationskurse.
Erst in die Kita und dann mit guten Deutschkenntnissen in die Schule. Bild: dpa
BERLIN taz | Wie viele Migranten sind "Integrationsverweigerer"? Kommen Zuwanderer wegen der Sozialleistungen nach Deutschland? Für viele Fragen, um die in der deutschen Integrationsdebatte gestritten wird, fehlen bislang verlässliche Datengrundlagen. Eine neue Befragung zum Integrationsverhalten von Türken in Deutschland gibt dazu einige Antworten.
Für die Studie wurden 1000 in Deutschland lebende Menschen mit türkischem Migrationshintergrund – darunter ein Viertel mit deutscher Staatsbürgerschaft – befragt. Davon lebt ein Drittel schon seit über 30 Jahren in Deutschland – trotzdem betrachtet nur ein knappes Fünftel Deutschland als Heimat. Für 40 Prozent bleibt die Türkei das gefühlte Heimatland. Ebenfalls 40 Prozent empfinden beide Länder als Heimat. Das Gefühl der Hin- und Hergerissenheit zwischen den zwei Staaten äußert sich auch in der Zahl von fast zwei Drittel der Befragten, die sich in Deutschland als Türke und in der Türkei als Deutsche fühlen.
Fast die Hälfte fühlt sich in Deutschland unerwünscht. Und so planen 47 Prozent fest, früher oder später in die Türkei zurückzukehren. Besonders stark äußert sich diese Vorhaben bei den gut Gebildeten, denn sie rechnen damit, auch in der Türkei leicht einen Job zu finden. Viele Türken führten ein "Leben auf Abruf", sagt Studienautor Holger Liljeberg.
Ein knappes Drittel der Befragten würde ohne Sozialleistungen durch den deutschen Staat im Fall des Jobverlusts sofort eine Rückkehr in die Türkei in Erwägung ziehen. Aber von einer "Zuwanderung in die Sozialsysteme" kann man nach den Ergebnissen der Studie nicht sprechen: Die Hälfte der Türken in Deutschland ist berufstätig, unter den Migranten im erwerbsfähigen Alter sind es sogar zwei Drittel.
Gegen das Bild vom "Integrationsverweigerer" spricht, dass über drei Viertel der Studienteilnehmer verpflichtende Deutsch- und Integrationskurse für Migranten ohne ausreichende Kenntnisse befürworten. 91 Prozent finden, dass Kinder unbedingt von klein auf Deutsch lernen müssten. Und sogar 95 Prozent sind der Meinung, dass alle türkischstämmigen Kinder vor der Schule eine Kindertagesstätte besuchen sollten, um bei Schulbeginn über ausreichende Deutschkenntnisse zu verfügen.
Vonn Deutschland wünschen sich viele der Befragten (83 Prozent) gleichzeitig mehr Rücksicht auf die Gewohnheiten und Besonderheiten türkischer Einwanderer. Diskriminierung haben schon einige erfahren: Fast ein Drittel meint, wegen seines türkischen Namens oder Aussehens bei Bewerbungen abgelehnt worden zu sein; und fast jeder Zweite hat deshalb schon Beschimpfungen in der Öffentlichkeit erlebt.
Vom Islam- und Migrantenkritiker Thilo Sarrazin halten die Befragten nicht viel. Über zwei Drittel finden, er habe mit seinen umstrittenen Thesen unrecht, wenn auch einzelne Fakten stimmen mögen. Ganze 40 Prozent haben von Sarrazins Äußerungen aber noch gar nichts gehört. | 203 |
0 | Der Staat als die Kraft, die, ob sie will oder nicht, dem Fortschritt
dient, das ist die sozialistische Staatstheorie Lassalles. Er trägt sie
den Arbeitern als die ihre vor, um sie für sie zu gewinnen. Und im
Angesicht der großen Klarheit seiner Sprache erübrigt es sich, den
Gedankengang hier erst noch zu kommentieren. In späteren Reden kommt
Lassalle wiederholt auf ihn zurück. So namentlich in den Prozessen, in
die er im Anschluß an diesen Vortrag verwickelt wurde, der doch so
außerordentlich gemäßigt gehalten war, in welchem er sich gehütet hatte,
mit irgendeinem Wort zur Gewalt aufzufordern. Aber als er ihn als
Schrift erscheinen ließ, ward diese auf Veranlassung des Staatsanwalts
Schelling, einem Sohne des Philosophen Schelling, konfisziert und
Lassalle vor Gericht gestellt, und zwar unter der Anklage, sich gegen
den § 100 des alten Preußischen Strafgesetzbuches, den sogenannten Haß-
und Verachtungsparagraphen, vergangen zu haben. Das war ein richtiger
Kautschukparagraph, unter den sich alles mögliche bringen ließ. Er
lautete: | 204 |
1 | Die 11 Swing States in den USA: Heiß umkämpft
11 von 50 Bundesstaaten werden am Ende entscheiden, wer nächster Präsident der USA wird. Besonders wichtig sind Florida, Pennsylvania und Ohio.
Nicht alle sind sich schon so sicher wie dieser Obama-Unterstützer in Ohio. Bild: reuters
BERLIN taz | Wer glaubt, die TV-Debatten zwischen Amtsinhaber und Kandidaten könnten – nach Monaten intensiven Wahlkampfes – keinen Einfluss mehr auf den Wahlausgang haben, muss auf die Umfrageergebnisse schauen. Denn die änderten sich nach der ersten Presidential Debate vor zwei Wochen radikal um mehrere Prozentpunkte – zugunsten des Herausforderers.
Die Demoskopen erfassen stets zwei Elemente: den nationalen Trend und den in den einzelnen Bundesstaaten. Ersterer ist wichtig für die Wahlkampfzentralen, um eventuelle Schwächen im Image der Kandidaten ausmachen und dagegen angehen zu können. Die Wahl aber wird in den Bundesstaaten entschieden, genauer: in den Swing States, in denen mal Republikaner, mal Demokraten gewinnen.
Nur 11 der 50 US-Staaten sind derzeit wirklich umkämpft. Sie stehen für 146 der insgesamt 538 Wahlmänner. Präsident wird, wer mindestens 270 von ihnen für sich gewinnt. Relevant sind dafür vor allem die bevölkerungsreichen Swing States, denn sie stellen besonders viele Wahlmänner: Florida (29), Pennsylvania (20) und Ohio (18). Die Erfahrung zeigt: Wer nicht mindestens zwei dieser Staaten gewinnen kann, wird nicht Präsident.
Jimmy Carter, Ronald Reagan und George Bush sen. gewannen 1976 bis 1988 in allen drei Staaten. Bill Clinton verlor 1992 in Florida, gewann aber in Ohio und Pennsylvania. George W. Bush wurde 2000 nach wochenlangem Rechtsstreit der Sieg in Florida zugesprochen, und er gewann Ohio, während Pennsylvania für Al Gore stimmte. Obama holte 2008 alle drei Staaten. Heute liegt er in Ohio und Pennsylvania vorn – allerdings nicht so deutlich wie vor der ersten TV-Debatte. Romney führt in Florida knapp.
Natürlich verlassen sich die Kontrahenten nicht nur auf die drei Staaten. Auch in Virginia sind demokratische Freiwillige aus der benachbarten, demokratischen Hauptstadt Washington, D. C. unterwegs, um 13 Wahlmännerstimmen zu sichern. Dennoch ist der Vorsprung des Präsidenten dort auf 0,8 Prozentpunkte geschrumpft. In Wisconsin wollen Obamas Leute die seit 1988 demokratisch wählenden Wahlmänner halten – aber ihr Vorsprung ist auf 2,3 Prozentpunkte gesunken. Und in Michigan (16 Wahlmänner) hofft Obama auf Dankbarkeit für die Autoindustrie-Rettung, liegt aber nur 4,4 Prozentpunkte vor Romney.
Die Wahlkampfstrategen starren täglich auf solche Entwicklungen. Kleinste Veränderungen entscheiden über die Vergabe von Millionen US-Dollar für TV-Spots, Telefonaktionen und Tür-zu-Tür-Operationen. In den anderen 39 Bundesstaaten dagegen scheint keine Wahl stattzufinden. Wer etwa im republikanischen Georgia, in South Dakota oder Tennesse wohnt, wird weder Obama noch Romney zu Gesicht bekommen – so wenig wie die Bürger der demokratischen Staaten Kalifornien, Illinois oder New York. | 205 |
0 | Selten leistete er sich den Genuß, des Abends in einer Kneipe zu einem
Glas Bier oder einem Schoppen Äpfelwein einzukehren. Friedlich
schichtete er daheim in der Waschtischschublade die kleinen Ersparnisse
aus seinem bescheidenen Lohn und aus den Trinkgeldern, die er hie und da
bei Besorgungen erhielt, zu einem Berg. Es war kein Himalaja, es war
gleichfalls nur ein Ameisenhäufchen, aber er hoffte, ihn mit der Zeit zu
einem kleinen Hügel anschwellen zu sehen, von dem aus er in den Zeiten
des Alters und der Gebrechlichkeit die Welt mit genügsamem Lächeln zu
betrachten gedachte. | 206 |
0 | Gemüse möglichst auftauen lassen.Gehackten Knoblauch und Zwiebeln in etwas Öl glasig anbraten. Bananen zerdrücken, dazugeben. Curry darüber geben, kurz anschwitzen, dann Gemüse dazugeben. Mit Weißwein ablöschen. 10 Minuten dünsten lassen (wenn das Gemüse noch gefroren ist, dann etwas länger). Joghurt unterrühren. Mit Pfeffer, Chili und Salz abschmecken, noch mal 10 Minuten köcheln lassen.Vor dem Servieren mit gehackter Petersilie bestreuen.Dazu: Reis | 207 |
0 | Crowdfunding: Filmfinanzierung per Serviettenskizze
Do-it-yourself-Medienmacher sammeln immer öfter Spenden für ihre Projekte. "Crowdfunding" funktioniert über die Identifikation mit Ideen. Viel Geld lässt sich damit nicht machen.
Erwähnte jeden Spender im Abspann: die Kriegsprofiteur-Dokumentation "Iraq for Sale". Bild: iraqforsale.org
Sie hatten eine Idee. Und ein paar Tage später hatten sie Geld.
"Wir schrieben die Idee spät in der Nacht auf die Rückseite einer Serviette", sagt die britische Filmproduzentin Lizzie Gillett. Sie brauchte Geld für die Entwicklung ihres Dokumentarfilms "The Age of Stupid" (crudemovie.net), der die Auswirkungen globaler Erwärmung auf das Leben von fünf Menschen rund um den Globus erkundet. Kurz darauf hatten sie und Regisseurin Franny Armstrong 38.000 Pfund (53.000 Euro) dafür beschafft.
Die Idee: Crowdfunding. So nennt man es, wenn Leute Geld zusammenlegen, um einen großen Topf zu schaffen - eine Idee, die immer mehr Do-it-yourself-Medienmacher, chronisch knapp bei Kasse, umtreibt. "Wir luden eine Menge Leute ein und präsentierten die Idee", sagt Gillett. Und die investierten dann, sagt sie - "vor allem, weil sie an den Film glaubten". Gillett and Armstrong sammeln immer noch. Mehr als 325.000 von 475.000 notwendigen Pfund (430.000 von 630.000 Euro) haben sie aufgetrieben. Im Februar wollen sie bei der Preview eines Rohschnitts weitere Geldgeber gewinnen. Aber klar ist schon jetzt: Sie hatten Erfolg. Und das ist kein Einzelfall.
Der US-amerikanische Filmemacher Robert Greenwald hat einmal 250.000 US-Dollar in zehn Tagen beschafft, als er 2006 seinen Film "Iraq for Sale" (iraqforsale.org) durch Crowdfunding finanzieren wollte. Gegenleistung: Alle Spender wurden im Abspann erwähnt - es wurde einer der längsten Abspänne der Filmgeschichte.
Crowdfunding funktioniert über die Identifikation mit Ideen: ein regierungskritischer Film? Es gibt viele Leute, die glauben, er müsse gemacht werden. Ein Film über den Klimawandel? Da gilt dasselbe. Man müsse das Publikum identifizieren, "das bei der Finanzierung helfen könnte", sagt Gillett. "Wir wollen das Medium Film nutzen, um Menschen zum Handeln zu bewegen." Der Erfolg sei dann nicht etwa die Finanzierung des Projekts, sondern die Möglichkeit, mit Unterstützung von Tausenden von Menschen eine politische Plattform zu schaffen.
Filmemacher sind nicht die Einzigen, die sich via Crowdfunding finanzieren. Software-Entwickler, Popbands und sogar Politiker benutzen das Internet und sich darüber bildende Netzwerke, um an Geld zu kommen: Webseiten der kreativen Industrie wie Sellaband.com haben mit ähnlichen Modellen Bands ins öffentliche Bewusstsein gehievt, und Howard Dean hat einst 60 Prozent seiner 50 Millionen Dollar dicken Wahlkampfkasse von kleinen Spendern aufbringen können - viele davon gewann er via Internet.
Dr. Söoren Auer, Wissenschaftler am Computer- und Informationsfachbereich der Universität Pennsylvania, sieht nur ein Problem: "Die Idee könnte zweckentfremdet oder missbraucht werden", sagt er. Er leitet selbst ein - crowdfunded - Projekt zur Entwicklung von Software. Crowdfunding funktioniere, sagt er, wenn man "keinen großen Profit erzielen, sondern einem Bedürfnis gerecht werden" wolle - dem Bedürfnis der Geldgeber. Schwieriger werde es, wenn es um die Finanzierung eines Films gehe: Da könne man vorher als Spender nicht wissen, "ob man am Ende bekommt, womit man gerechnet hat".
Filmproduzentin Lizzie Gillett dagegen sieht in Crowdfunding ein Zukunftsmodell. Als Beispiel dafür nennt sie das letzte Album der Band Radiohead - das ohne ein großes Plattenlabel aufgenommen und zunächst als Download herausgegeben wurde, für die Fans mit Spenden bezahlten. Ihr eigenes Filmprojekt sei schuldenfrei, daher müsse sie keinen Vertrag mit einem Verleiher erkämpfen. "So können wir ihn unabhängig verkaufen", sagt sie - und sämtliche Profite würden dann "unter denen verteilt, die daran mitgearbeitet und ihn finanziert haben". Crowdfunding, sagt Gillett, sei ein wirkungsvolles Werkzeug für Akteure in den unabhängigen Medien. Nicht nur finanziell seien die dann unabhängig - sondern eben auch inhaltlich. | 208 |
0 | »Deine Frau ist über Nacht ausgewesen, Henrik. Sie ist viele Stunden
fortgewesen. Sie kam in Begleitung eines Mannes zurück. Ich hörte, wie
er ihr 'Gute Nacht' sagte; ich weiß auch, wer er ist. Ich hörte es, als
sie ging und als sie kam, wenn das auch wohl kaum ihre Absicht gewesen
ist. Sie hintergeht dich, Henrik! Sie hintergeht dich, das scheinheilige
Wesen, das filierte Gardinen vor alle Fenster hängt, nur um mich zu
ärgern. Sie hat dich nie geliebt, mein armer Junge. Ihr Vater wollte sie
nur gut verheiratet wissen. Sie nahm dich, um versorgt zu sein.« | 209 |
1 | Rekrutierung von Jugendlichen: Bundeswehr wirbt effizienter
Die Bundeswehr spart bei der TV-Werbung, trifft weniger Schüler, ist aber online erfolgreich. Klar wird: Länder haben Einfluß auf die Präsenz an Schulen.
Deutschland dienen? Ob Jugendliche darauf Lust bekommen, haben auch die Bundesländer in der Hand Foto: dpa
BERLIN taz | Die Bundeswehr hat 2016 erstmals etwas weniger Geld für Nachwuchswerbung ausgegeben als in den Vorjahren. Die Ausgaben sanken im Vergleich zu 2015 um eine Million Euro auf 34,1 Millionen Euro, wie aus einer Antwort des Bundesverteidigungsministeriums auf eine Anfrage der Linken im Bundestag hervorgeht, die der taz vorliegt.
Hauptgrund für die Genügsamkeit war dem Verteidigungsministerium zufolge der Erfolg der Webserie „Die Rekruten“, die TV-Werbung einsparte. In dieser seit November im Internet verfügbaren Serie kann man die Grundausbildung frischer SoldatInnen verfolgen: vom Weckruf um 5 Uhr morgens, über Versuche, sich als Farn im Wald zu tarnen, bis zu einer Art Wasserballett, auch Überlebenstraining genannt.
Jugendoffiziere, die politische Bildung anbieten, und Karriereberater, die die Bundeswehr aus der Arbeitgeberperspektive vorstellen, haben im vergangenen Jahr weniger SchülerInnen erreicht als 2015, wie die Antwort des Ministeriums auf eine weitere Anfrage der Linkspartei zeigt. Die Zahl der SchülerInnen, die im Rahmen des Unterrichts an Vorträgen, Ausstellungen, Truppenbesuchen oder Seminaren teilnahmen, sank 2016 von 475.000 auf 369.000.
Signifikante Veränderungen ergaben sich vor allem in Bundesländern, in denen die Regierung gezielt Einfluss auf die Bundeswehrbesuche genommen hatte. So hatte etwa das Kultusministerium Sachsen-Anhalt im Jahr 2014 eine Handreichung verteilt, wonach bei Einladung von VertreterInnen der Bundeswehr darauf zu achten sei, „parallel oder zeitnah auch Vertreterinnen oder Vertretern friedenspolitischer Organisationen die Gelegenheit zur Darstellung entgegenstehender Positionen … zu gewähren“. Das resultierte, wie das Verteidigungsministerium feststellt, „in einer deutlich verminderten Nachfrage nach dem Angebot der Jugendoffiziere“.
An Schulen bitte Frieden?
Dagegen sei in Baden-Württemberg ein positiver Einfluss der Politik auf die Arbeit der Jugendoffiziere zu beobachten, so das Ministerium. Die nach der Landtagswahl neu eingesetzte Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) hatte das zuvor gestrichene Thema „Sicherheitspolitik“ wieder als Abiturthema in das Curriculum der sozialkundlichen Fächer eingeführt, „was zu einem sprunghaften Anstieg der Nachfrage nach Vorträgen von Jugendoffizieren in der gymnasialen Oberstufe führte“.
Ulla Jelpke, Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, kritisiert den Einsatz der Bundeswehr an Schulen: „Natürlich sollen Schülerinnen und Schüler auch über Sicherheitspolitik etwas lernen – aber ausgerechnet die Bundeswehr damit zu beauftragen heißt, den Bock zum Gärtner zu machen.“ Die Bundeswehr habe genügend Mittel für ihre Reklame. „Da soll sie doch wenigstens die Schulen in Frieden lassen.“ | 210 |
0 | In einem flandrischen Kloster fing plötzlich eine Nonne an, in ihrem
Bett höchst befremdliche Bewegungen zu machen. Das hätte am Ende nichts
zu bedeuten gehabt: aber die Sache wurde ansteckend, und bald arbeiteten
die Nonnen sämtlich des Nachts so heftig, dass die Bettstellen knackten.
Das sonderbare Übel pflanzte sich in andere Klöster fort und machte so
großes Aufsehen, dass die Geistlichkeit amtlich einschritt und mit
Weihkessel und Wedel in die Klöster einrückte, um die Teufel aus den
Nonnen auszutreiben. Ob sie "die Teufel - à la Boccaccio - in die Hölle
schickten", davon meldet die Chronik nichts. | 211 |
1 | Wahlen in Bolivien: Morales vor zweiter Amtszeit
Der erste indigene Präsident des Landes geht als großer Favorit in die Wahlen am Sonntag. Seine umfangreichen Sozialprogramme sichern ihm den weiten Vorsprung.
Evo Morales: Millionen identifizieren sich mit dem früheren Lamahirten und Kokabauern aus dem Andenhochland. Bild: ap
PORTO ALEGRE taz | Am Sonntag geht es nicht mehr darum, ob Evo Morales als Präsident Boliviens im Amt bestätigt wird, sondern nur noch um die Frage, wie deutlich. Umfragen zufolge dürfte er die 50-Prozent-Marke locker überwinden – seine zwei rechten Kontrahenten, Cochabambas Exgouverneur Manfred Reyes Villa und Burger-King-Unternehmer Samuel Doria Medina, liegen zusammengerechnet 20 Prozent dahinter.
Morales "Bewegung zum Sozialismus" (MAS) strebt gar eine Zweidrittelmehrheit im Parlament an – eine wichtige Voraussetzung, um die Ziele der neuen, "plurinationalen" Verfassung vom Januar 2009 ohne Blockaden von rechts in konkrete Gesetze gießen zu können.
Der 50-jährige Aymara Morales verdankt seine Popularität vor allem der Tatsache, dass er seine Wahlversprechen von 2005 umgesetzt hat. Er führte flächendeckende Sozialprogramme für Schüler, Rentner und Schwangere ein.
Möglich wurde dies, weil er zuvor mit seiner Nationalisierungspolitik die Staatseinnahmen am Erdgasexport stark erhöht hatte: Vor vier Jahren blieben dem Staat 27 Prozent der Reingewinne, heute sind es je nach Anlage 65 bis 77 Prozent. Auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise im ersten Halbjahr 2009 hatte Bolivien mit 3,2 Prozent sogar das höchste Wachstum in ganz Amerika. Zu verdanken war dies auch der deutlichen Steigerung öffentlicher Ausgaben im Kontrast zu den klassischen Rezepten des Internationalen Währungsfonds.
Machtpolitisch agieren Morales und sein Führungszirkel, allen voran Vize Álvaro García Linera, pragmatisch. Seit ihrem historischen Wahlsieg vom Dezember 2005 haben sie ein ziemlich autoritäres, aber wirkungsvolles Machtsystem entwickelt. Die Banken sind zufrieden, auch viele Unternehmer.
In der MAS tummeln sich nicht nur Basisaktivisten, sondern auch immer mehr karrierebewusste Mitläufer. Doch identifizieren sich nach wie vor Millionen mit Morales, dem früheren Lamahirten und Kokabauern aus dem Andenhochland. "Er ist einer von uns", heißt es immer wieder.
Nachdem die Opposition aus dem östlichen Tiefland im September 2008 Bolivien an den Rand eines Bürgerkriegs geführt hatte, meisterte die Regierung die Krise mit Hilfe ihrer südamerikanischen Nachbarn. Durch Verhandlungen mit kompromissbereiten Teilen der Opposition und die Unterstützung seiner Basis von Kleinbauern und Gewerkschaftern konnte Morales seine Position festigen.
In seiner zweiten Amtszeit möchte er die Industrialisierung unter Regie des Staates ausbauen. Bei der Abschlusskundgebung in El Alto am Donnerstag forderte Morales vor hunderttausenden Anhängern die Mittelschicht auf, sich dem "revolutionären Prozess" anzuschließen. | 212 |
1 | Boris Palmer bei der Tübinger OB-Wahl: Parteilose Kandidatur
Boris Palmer will im Herbst parteilos für das Amt des Oberbürgermeisters kandidieren. Hintergrund: dem Noch-Grünen-Politiker droht der Rauswurf aus der Partei.
Will unabhängig kandidieren: Oberbürgermeister Boris Palmer Foto: dpa
TÜBINGEN taz/dpa | Tübingens langjähriger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) will bei der OB-Wahl im Herbst als parteiloser Kandidat antreten. Das teilte Palmer am Sonntag auf seiner Homepage mit. Palmer hatte kürzlich angekündigt, bei der OB-Wahl seiner Stadt im Herbst nicht mehr als Kandidat der Grünen antreten zu wollen – wegen seines möglichen Rauswurfs aus der Partei. Er war wegen rassistischer und anderer kontroverser Aussagen in die Kritik geraten.
Laut Palmer hätten mehr als 800 Wahlberechtigte einen Aufruf unterzeichnet, der ihn unterstützen wolle, erneut für das Amt zu kandidieren. Eine ähnlich große Zahl von Menschen habe diese Unterstützung mit einer Geldspende geleistet. So sei das erforderliche Budget für einen Wahlkampf in nur einer Woche zusammengekommen. „Ich kann Ihnen gar nicht genug Dank sagen für diese Ermutigung. Sie haben damit den Ausschlag gegeben: Ich werde mich um eine dritte Amtszeit bewerben.“
Palmer betonte, es falle ihm schwer, ohne die Unterstützung der Partei zu kandidieren, der er aus Überzeugung seit 25 Jahren angehöre. „Meine politische Heimat sind und bleiben die Grünen in Baden-Württemberg“, schrieb er. Er wolle zu ihrem Erfolg und dem der Regierung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) beitragen. „Doch bei dieser Wahl ist mir das aus bekannten Gründen verwehrt.“ Oberbürgermeisterwahlen seien traditionell Persönlichkeitswahlen, betonte Palmer. Parteien stünden nicht zur Wahl.
Der 49-Jährige ist seit 2007 Oberbürgermeister in der Universitätsstadt. Auf der Suche nach Unterstützung für seinen möglichen Wahlkampf als parteiloser Kandidat hatte Palmer in den vergangenen Tagen 100.000 Euro gesammelt. | 213 |
1 | Unter Kibbutz verstand man auf dem Kibbutz-Sektor jahrzehntelang, bis Ende der 1990er-Jahre, eine Gemeinschaft, die auf dem Prinzip der Gleichheit in allen wesentlichen Bereichen des Lebens beruhte, ein kollektives Unternehmen, das sich mittels eigener Arbeitskraft und materieller Ressourcen alleine durchschlug und sich aufgrund seines Bewusstseins, ein Modell von allgemeiner gesellschaftlicher Bedeutung zu verkörpern, als elitär empfand.
Wandel der Kibbutzim
Die Wirtschaftskrise Mitte der 1980er-Jahre löste ein wahres Erdbeben im ganzen Kibbutz-Sektor aus und sollte in den folgenden zwei Jahrzehnten zu gravierenden Veränderungen führen. Vom wirtschaftlichen Zusammenbruch war die israelische Wirtschaft insgesamt betroffen, doch für die Kibbutzim war er doppelt so schmerzhaft wie für andere Unternehmen, da sie, ungefähr sieben Jahre zuvor, mit dem Sieg der Likud-Partei über die Linke, die traditionell die Kibbutz-Bewegung immer unterstützt hatte, die meisten öffentlichen Posten in Israel räumen mussten. Infolge der Krise stiegen die Schulden vieler Kibbutzim um ein zigfaches an, was sie in nie da gewesene Liquiditätsprobleme stürzte. Der Ruf nach weit reichenden Veränderungen innerhalb der Kibbutz-Strukturen wurde in allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens immer fordernder und spiegelte sich bald in neuen Gewohnheiten wieder, wie kostenpflichtigen Mahlzeiten im kollektiven Speisesaal, der Öffnung der Kinderhäuser für zahlende Kunden von außerhalb des Kibbutz, einer Stärkung der Positionen der Manager in Betrieben, der Abschaffung der wöchentlichen Generalversammlung, der Zusammenführung der persönlichen Budgets in eine Art Familiengehalt usw.
Ein besonders radikaler Einschnitt war Anfang 2000 der Beschluss zahlreicher Kibbutzim, die Wohnungen von Mitgliedern zu privatisieren und zu deren persönlichem Eigentum zu machen. Ein weiterer, nicht weniger radikaler Schritt war die Einführung verschiedener individueller Gehälter je nach Position und Rang, Spezialisierung und individueller Leistung. Das Gemeinschaftsleben wurde auch dadurch beeinflusst, dass in einigen Siedlungen neue Viertel ("Erweiterungen") für Nicht-Mitglieder errichtet wurden, die im Kibbutz wohnten, aber außerhalb des Kibbutz arbeiteten, für die Dienstleistungen in der Siedlung bezahlten und an einigen der lokalen, sozialen und kulturellen Aktivitäten teilnahmen. Außerdem wurden in manchen Kibbutzim Eigentumsrechte am Kapital des Kibbutz in Fabriken auf die Mitglieder aufgeteilt, womit das Prinzip des kollektiven Eigentums zugunsten eines kooperativen Modells beschnitten wurde. Diese Veränderungen ließen die Frage aufkommen, ob es noch angemessen sei, von einem "Kibbutz" zu sprechen. Die Versuchung ist groß, diese Frage mit Endgültigkeit dahingehend zu beantworten, dass der Kibbutz sozusagen seine "historische Mission" ausgeschöpft hat. Um eine Antwort auf diese Frage zu finden, riefen im Jahre 2002 die Landesverwaltung, die zentralen Kibbutz-Organe und andere öffentliche Stellen kraft Regierungsbeschlusses (vom 19. Mai 2002) das Öffentliche Komitee für die Klassifizierung der Kibbutzim (den Ben-Rafael-Ausschuss) ins Leben.
Neue Modelle der Kibbutzidee
Nach 14-monatigen Diskussionen kam der Ausschuss, der von der Regierung 2004 ausdrücklich bestätigt wurde, zu dem Schluss, dass zwischen zwei Kibbutz-Kategorien unterschieden werden muss: dem "sich verändernden Kibbutz" (auf Hebräisch: kibbutz mitkhadesh) und dem "konservativen Kibbutz" (kibbutz shitufi). Letzterer bezieht sich auf jene Kibbutzim, die beschlossen haben, dem klassischen Modell treu zu bleiben; ersterer beschreibt jeden Kibbutz, der zumindest eines der folgenden Merkmale aufweist: (a) Privatisierung der Wohnungen; (b) differenzierte Gehälter für die Mitglieder; (c) Aufteilung der genossenschaftlichen Anteile an den Produktionsmitteln auf die Mitglieder. Über diese Schlussfolgerung hinaus räumten die Mitglieder der Kommission eine grundlegende Asymmetrie zwischen dem kibbutz mitkhadesh und dem kibbutz shitufi ein. Während letzterer ein bekanntes Organisationsmodell darstellt, lässt das erste Modell eine weite Palette von Möglichkeiten offen, in Bereichen wie der Organisation von Erziehung, der Aufteilung der Ressourcen, der Unterteilung der Einkommensklassen, der Rechte des Einzelnen, der Strukturierung der Arbeit, der Richtlinien für Arbeitgeber und Arbeitnehmer und Ähnliches.
Dieser Pluralismus macht es noch wichtiger, klarzustellen, welches die Mindestanforderungen für einen Kibbutz sein sollten, um noch als "Kibbutz" zu gelten – wo die "rote Linie" verläuft, die die Grenze markiert. Das Komitee betonte in diesem Zusammenhang erstens das Prinzip der gegenseitigen Verantwortung (´arevut hadadit). In den Kibbutzim shitufim, wo jeder das Gleiche vom Kollektiv erhält, unabhängig von seinem oder ihrem Beitrag, bildet dieses Prinzip das Herzstück der kollektiven Erfahrung und muss nicht näher ausgeführt werden. In den Kibbutzim mitkhadshim hingegen sieht es anders aus, da das Leben viel individualistischer abläuft und die Antwort der Gemeinschaft auf die Erfordernisse der Menschen durch formelle und spezifische Übereinkünfte geregelt wird. Was das Komitee sicherstellen wollte – und was später in den Institutionen der Bewegung festgeschrieben wurde – ist, dass Mitgliedern eines Kibbutz, in jedem Fall und soweit ihm oder ihr nicht die Mitgliedschaft entzogen wurde, ein Korb von sozialen, wirtschaftlichen, die Ausbildung und die Gesundheit betreffenden Rechte garantiert werden sollte, die nicht zu weit von jenen entfernt sein sollten, die sich ein Privilegierter leisten konnte. Dieser Korb sollte letztendlich höhere Standards gewährleisten als die großzügigsten Wohlfahrtsstaaten ihren Bürgern bieten. Das zweite "eiserne" Prinzip war die besondere Zweidrittelmehrheit, die erforderlich war, wenn es um die Bewilligung organisatorischer Veränderungen von grundlegender Bedeutung durch die Gemeinschaft ging. Demnach sollte die Gemeinschaft ein selbstverantwortliches gesellschaftliches Organ bleiben, dessen Entwicklung das Gespräch und die gegenseitige Überzeugung unter seinen Mitgliedern mit einschließt. Diese zwei Grundsätze – gegenseitige Verantwortung und besonderes Mehrheitswahlrecht – sollten, laut Kommission, gewährleisten, dass der kibbutz mitkhadesh den ursprünglichen Zielen des Kibbutz im Wesentlichen treu bleibt.
Wandel oder Bruch?
Unter diesem Gesichtspunkt können Veränderungen – so weit reichend sie auch sein mögen – eher als Wandel denn als Bruch interpretiert werden: die Privatisierung von Wohnungen wird nicht einfach als Entkollektivierung einer wichtigen Gemeinschaftsressource, sondern als eine neue Phase der "Familisierung" des Leben im Kibbutz verstanden, die ihren Höhepunkt Ende der 1970er-Jahre erreichte, als die Kibbutzim beschlossen, die Kinder zum Schlafen aus den Gemeinschaftshäusern in die elterlichen Wohnungen zurückzuholen. Ähnlich kann die Privatisierung der Produktionsmittel, die auf eine Verschiebung vom kollektiven zum kooperativen System hinweist, als ein Mittel zur Stärkung der Arbeitsmotivation der Mitglieder angesehen werden, die als solche im Grunde dem Kibbutz ja zugute kommt. Die Erweiterung des Kibbutz ist zwar ein ziemlich drastischer Schritt, da er die klassische Definition des Kibbutz als "geo-sozial klar abgegrenzte Einheit" verschwimmen lässt. Das Phänomen der nicht nur vorübergehenden Ansiedlung einer Gruppe von Nicht-Mitgliedern ist eine Innovation, die rigorose Folgen für die Zukunft der Siedlung nach sich zieht. Dennoch weisen Befürworter dieser Änderung darauf hin, dass Nicht-Kibbutzniks immer schon einen bedeutenden Teil der Bevölkerung eines Kibbutz ausgemacht haben – junge Leute aus dem Ausland, die hier für ein paar Monate geblieben sind, hebräische Schulen für Immigranten, Gruppen von Jugendlichen, die sich auf das Leben im Kibbutz vorbereitet haben usw. Die Neuerung ist daher vermutlich nicht so gravierend wie es auf den ersten Blick aussehen mag.
All das führt unvermeidlich zu einer anderen Frage, nämlich ob ein solcher Wandel darüber "etwas aussagt", wie sich Kibbutzniks selbst sehen. Forschungen zur heutigen kollektiven Identität der Kibbutzniks zeigen, dass sie großteils der Meinung sind – unabhängig vom Modell der Siedlung –, der Kibbutz habe sich weit von seiner ursprünglichen Intention entfernt, insbesondere was die Gleichheit unter seinen Mitgliedern und die Involvierung der Bewegung in die israelische Gesellschaft betrifft. Individuelle Interessen wie das Streben nach Lebensqualität und persönliche Sicherheit stellen die überwiegenden Motive für das Leben im Kibbutz dar. Dass man das gemeinsame Eigentum an materiellen Mitteln und die gegenseitige Verantwortung hochhält ist im Großen und Ganzen alles, was von den "alten" Werten geblieben ist. Außerdem scheint unter den Kibbutzniks Konsens darüber zu herrschen, dass der Kibbutz, selbst heute noch, ein ganz besonderes – wenn nicht einzigartiges – soziales Gefüge darstellt.
Das bedeutet jedoch nicht, dass Unterschiede zwischen den Kibbutzmodellen in dieser Hinsicht nicht von Bedeutung wären. Es scheint in der Tat so zu sein: je mehr mitkhadesh ein Kibbutz, umso weniger teilen seine Mitglieder Werte wie Egalitarismus, der die "Seele" des klassischen Kibbutz war. Andererseits stellen die Kibbutzniks in shitufi Kibbutzim oft ihre Kibbutz-Identität vor ihre kollektiven Identitäten – meist vor ihre Zugehörigkeit zu Berufsgruppen. Was den allgemeinen Eindruck hinterlässt, dass Kibbutzniks im Großen und Ganzen immer noch eine Gesamtheit sind, wenn auch einige Unterscheidungsmerkmale zu erkennen sind, je nachdem wie die Kibbutzidentität im Zuge der Entwicklung der Kibbutzim formuliert wurde.
Dennoch lief der Wandel auf dem Kibbutz-Sektor weder in koordinierter noch geplanter Form ab. Mitglieder der einzelnen Kibbutzim wussten natürlich, was in anderen Kibbutzim zur gleichen Stunde, als sie über ihre Pläne diskutierten und abstimmten, passierte, doch kann man auf keinen Fall von irgendeiner Gleichzeitigkeit sprechen. Die Krise im Jahr 1985 war der Auslöser für einen allgemeinen Wandel, der an verschiedenen Orten die verschiedensten Formen annahm. Dass man trotzdem von den Kibbutzim als einem Sektor sprechen kann, beruht darauf, dass sie gemeinsame und gesellschaftlich ganz entscheidende organisatorische Merkmale aufweisen und ihre Mitglieder ihre Identität aus einigen gemeinsamen Prämissen ableiten. Darüber hinaus ist das Kollektiv der Schauplatz, auf dem Lebensmodelle und soziale Strukturen entworfen werden, ob es sich nun um einen Kibbutz shitufi oder mitkhadesh oder auch um ein Zwischending handelt. Die Mitglieder bleiben, in allen praktischen Belangen, Mitglieder und nicht einfach nur Bewohner. Das ist ein Privileg der Kibbutzniks, die im Kollektiv, heute wie gestern, die Arrangements und die soziale Ordnung der Gemeinschaft festlegen, in der sie leben.
Aus dieser Situation resultiert allerdings auch, in den shitufi wie den mitkhadesh, eine weitere Grundregel für das Leben im Kibbutz: dessen Mitglieder haben immer die Möglichkeit, die "Regeln zu brechen" und ihr Gemeinschaftsleben außerhalb des Kibbutz-Rahmens weiterzuführen. Da sie selbst die Entscheidungsträger sind, haben sie auch das Recht, zu beschließen, "zu gehen" und die "rote Linie" zu überschreiten. Die Loyalität zu dem, was einen Kibbutz zu einem Kibbutz macht, liegt allein in ihrer Hand. Ein Kibbutznik zu bleiben ist heute mehr als je zuvor stets von neuem eine bewusste Entscheidung, denn, anders als in der Vergangenheit, ist durch die Privatisierung von Wohnungen, durch individuelle Löhne und Gehälter sowie persönliche Rechte am kollektiven Eigentum – wo diese eingeführt wurden – die Möglichkeit gegeben, als Einzelner oder im Kollektiv – im Zuge weiterer Entkollektivierung – auszusteigen. Gerade weil es möglich ist, dass Kibbutzniks sich dahingehend mitreißen lassen und beschließen, Veränderungen selbst über die flexibelste Definition dessen "was ein Kibbutz ist" hinaus voranzutreiben, macht den Kibbutz der Zukunft zu einer Herausforderung.
Plural: Kibbutzim. Wir unterscheiden zudem zwischen Kibbutz mitkhadesh (sich verändernd -- Plural: mitkhadeshim) und Kibbutz shitufi (konservativ -- Plural: shitufiim)
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0 | © 2021 SID
München feiert nächsten Sieg
Donnerstag, 16.09.2021, 22:20
München feiert nächsten Sieg
Red Bull München hat mit einiger Mühe seine Weiße Weste gewahrt und steht weiter an der Spitze der Deutschen Eishockey Liga (DEL). Der Titelkandidat gewann am Donnerstagabend bei den Schwenninger Wild Wings mit 2:1 (1:0, 0:0, 1:1) und holte damit den dritten Erfolg im dritten Saisonspiel. Schwenningen bleibt ohne Sieg, der Außenseiter lieferte den Münchnern aber einen harten Kampf.
Konrad Abeltshauser (20.) und Maximilian Kastner (53.) trafen vor 2618 Zuschauern für den Gast, der sich vor allem effektiver präsentierte. In der letzten Spielminute verwertete Niclas Burström den 45. Torschuss der Wild Wings zum ersten Treffer, doch es reichte nicht mehr.
Einzig die überraschend gut gestartete Düsseldorfer EG könnte im Verlauf des dritten Spieltags nach Punkten mit München gleichziehen. Die Rheinländer sind am Freitagabend (19.30 Uhr/MagentaSport) bei den Grizzlys Wolfsburg gefordert.
Dieser Artikel wurde verfasst von SID Redaktion
SID | 215 |
1 | Gerichtsanhörung zu Berlusconi-Strafe: Behindertenzentrum statt Knast
Ein Mailänder Gericht entscheidet ab Donnerstag, wie Berlusconi seine Strafe wegen Steuerbetrugs ableistet. Medien zufolge will er ein Behindertenzentrum gründen.
Silvio Berlusconi – wie George W. Bush ihn malte. Bild: ap
MAILAND afp | Unmittelbar vor Beginn der Gerichtsanhörung über die Ersatzstrafe für den wegen Steuerbetrugs verurteilten Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi haben italienische Medien am Donnerstag neue Vorschläge seiner Anwälte enthüllt.
Nach Informationen der Zeitungen La Stampa und Corriere della Sera will Berlusconi Schirmherr eines Behindertenzentrums werden, das er nahe seiner Villa in Arcore bei Mailand selbst gründen wolle. Der 77-Jährige könnte auch einen Tag pro Woche in dem Zentrum arbeiten und den Behinderten „neue Impulse“ bieten, argumentierten die Anwälte laut La Stampa für ihre Idee.
Der konservative Politiker und Unternehmer war in einer Affäre um seinen Medienkonzern Mediaset zu einem Jahr Haft verurteilt worden. Aufgrund seines Alters muss der 77-Jährige die Strafe nicht im Gefängnis verbüßen, sondern kann sie in Form von Hausarrest oder Sozialarbeit ableisten.
Am Donnerstagnachmittag sollte dazu eine Anhörung vor dem zuständigen Mailänder Gericht stattfinden, die Entscheidung dürfte kommende Woche fallen. Es wird erwartet, dass die Richter Berlusconi die gewünschte Verbüßung der Strafe in Form von Sozialarbeit nicht verweigern werden.
Einer politischen Betätigung des Vorsitzenden der Oppositionspartei Forza Italia wären aber auch in diesem Fall enge Grenzen gesetzt. Zwar ist Berlusconi von allen öffentlichen Ämtern ausgeschlossen und darf selbst nicht kandidieren, doch hat er als Parteichef nach wie vor politischen Einfluss. | 216 |
0 | Lady (lebhaft). Als wenn es sich nicht schon gerächt hätte?--Nicht
jetzt noch rächte?--Sophie! (Bedeutend, indem sie die Hand auf
Sophiens Achsel fallen läßt.) Wir Frauenzimmer können nur zwischen
Herrschen und Dienen wählen, aber die höchste Wonne der Gewalt ist
doch nur ein elender Behelf, wenn uns die größere Wonne versagt wird,
Sklavinnen eines Mannes zu sein, den wir lieben. | 217 |
0 | Rekordmann Felix Loch vor Rodel-WM: Ein hilfreiches Malheur
Felix Loch könnte am Wochenende Rekord-Rodelweltmeister werden. Nach einem Fehler ist er so dominant wie zuvor.
Wieder alles im Griff: Bei Felix Loch stimmt das Material und die Form Foto: ap
Das erste Saisonziel hat Felix Loch bereits erreicht. Am vergangenen Wochenende sicherte sich der 31 Jahre alte Rodler den Sieg im Gesamtweltcup. Seine siebte große Kristallkugel. Das Saisonfinale in St. Moritz ist nun eine Zugabe. Vor diesem Genuss-Wochenende Anfang Februar wartet auf den 1,91 Meter großen Athleten noch Saison-Aufgabe Nummer zwei – die Weltmeisterschaften. Der siebte Titel im Einzelrennen würde ihn zum Rekordweltmeister machen. Angesichts der Vorleistungen mit acht Siegen in acht Rennen ist Loch der Topfavorit, zumal die Titelkämpfe auf seiner Heimbahn am Königssee ausgetragen werden. Doch Felix Loch ist ein gebranntes Kind.
Rückblende, 11. Februar 2018, Olympic Sliding Center in Pyeonchang. Vor dem vierten Lauf führte Felix Loch überlegen, sein drittes Gold hintereinander war zum Greifen nah. Doch dann unterlief ihm ein Fahrfehler, statt dem Sprung aufs oberste Treppchen bei der Siegerehrung blieb ihm nur Platz fünf. Der Traum, mit seinem Vorbild und Trainer Georg Hackl gleichzuziehen, war jäh geplatzt. Von wegen Felix, der Glückliche. „In dem Moment war das die größte Enttäuschung meiner Karriere“, sagt er im Rückblick, „aber mit großem Abstand betrachtet war das eine Situation, die mich weitergebracht hat.“
Dabei fehlte danach auch im Weltcup die Leichtigkeit und Eleganz, mit der Loch davor die Klippen im Eiskanal gemeistert hat. Hatte das Malheur von Pyeongchang so weitreichende Auswirkungen? Diesen Eindruck erweckte der erfolgsverwöhnte Athlet, als er sich bei der WM 2019 in Winterberg über eine Silbermedaille im Sprintrennen mehr gefreut hatte als davor über so manche Goldene. Und zwischen Februar 2019 und November 2020 war er bei keinem Weltcup mehr der Schnellste. „Außenstehende sehen diese Zeit als schlimmer an, wie sie für mich war“, sagt Felix Loch.
Ihn haben einzelne gute Fahrten im Training oder auch im ein oder anderen Rennen bestätigt, dass er es noch kann. „Aber ich habe es nie komplett über zwei Rennläufe hinbekommen“, beschreibt er sein Dilemma. Dass es keine verlorene Zeit war, bekennt er mit Genugtuung: „Wir haben, das muss ich im Nachhinein sagen, sehr viel gelernt. Wir haben auch sehr viel ausprobiert.“ Dabei konnte er sich auch auf sein Team mit den Rodel-Olympiasiegern Georg Hackl und Patric Leitner verlassen. Mit Hackl arbeitet er ständig an seinem Schlitten, Leitner ist für die Athletik zuständig.
Wie im Motorsport
Eine Erkenntnis aus den 22 Monaten ohne Sieg ist, „dass ich mich nicht aus der Ruhe bringen lassen darf“. Und dass er sich wieder auf sein Material verlassen kann. „Ich merke schon, dass wir am Schlitten einen gewaltigen Schritt nach vorne gemacht haben“, berichtet er und ergänzt: „Nicht nur einen, vielleicht sogar zwei.“ Diese Sicherheit hat ihm in den vergangenen zwei Jahren gefehlt, „deshalb musste ich mehr ans Limit gehen“. Und manchmal auch darüber hinaus. Was wieder Fahrfehler nach sich zog. In der aktuellen Abstimmung werden ihm sogar kleinere Malheurs verziehen.
Dabei ist so ein Schlitten eigentlich ein ganz einfaches Sportgerät. Die Sitzschale und die beiden Schienen werden mittels zweier Bügel, von den Rodlern Böcke genannt, miteinander verbunden. „Stimmt“, sagt Felix Loch und muss ob dieser Naivität lachen. „Das alles Entscheidende ist die Geometrie der Schiene“, beginnt er dann zu dozieren. Man dürfe sich nicht vorstellen, dass diese Schiene von vorne bis hinten gleich rund oder scharf sei. Und er geht dann ins Detail.
„Sie ist in einem gewissen Teil abgerundet, in einem gewissen Teil ist sie sehr scharf, um auf der Geraden nicht zu driften.“ Etwa 15 Schienen liegen in Lochs Keller, während eines Winters kommen allerdings nur drei bis vier zum Einsatz. So weit, so einfach. Kompliziert wird es dadurch, dass der Winkel zwischen Schiene und Eis an die jeweilige Charakteristik angepasst werden muss. „Das macht einen Schlitten schneller oder langsamer“, sagt Loch. In dieser Fahrwerksabstimmung ähneln sich Rodeln und Motorsport, sagt Loch, der Motorsportfan.
Doch diese Set-up-Arbeit ist nur ein Teil des Erfolgs. Neben Fahrgefühl ist die Schnellkraft genauso wichtig, mit der sich die Rodler oben am Startbock abziehen und mit den Paddelschlägen beschleunigen. Auch in diesem Bereich hat Loch wieder zugelegt. Wie der Startrekord, den er beim Rennen in Oberhof erzielt hat, beweist. „Ich habe definitiv mehr trainiert“, verrät er. Denn wegen des Coronalockdowns im Frühjahr waren alle PR- und Sponsorentermine ausgefallen. 20 Tage, so Coach Leitner, sei Loch mehr im Kraftraum gewesen.
„Felix fährt sich derzeit in einen richtigen Rausch“, sagt Teamkollege Johannes Ludwig, der Zweitplatzierte im Weltcup. Auch Olympiasieger David Gleirscher ist desillusioniert: „Zur Zeit spielt Felix mit uns.“ Gute Voraussetzungen, dass Felix Loch seine perfekte Saison am Wochenende krönt. Bei der Weltmeisterschaft auf seiner Heimbahn am Königssee. | 218 |
1 | EU-Gipfel in Brüssel: Merkel opfert Weber
Die EU-Staats- und Regierungschefs einigen sich nicht auf einen Nachfolger von Kommissionspräsident Juncker. Die Suche nach Mehrheiten geht weiter.
Sichtlich unzufrieden: Angela Merkel Foto: ap
BRÜSSEL taz | Der Personalpoker in der Europäischen Union geht in die Verlängerung. Wenige Minuten nachdem der EU-Gipfel am Freitag in Brüssel ohne Einigung zu Ende gegangen war, traf sich Frankreichs Präsident Emmanuel Macron mit den Regierungschefs aus Spanien, Portugal, Belgien und den Niederlanden, um eine Lösung nach seinem Geschmack zu suchen. Derweil rückte Bundeskanzlerin Angela Merkel vorsichtig vom deutschen Kandidaten Manfred Weber ab.
Für den CSU-Politiker Weber und die beiden anderen Spitzenkandidaten für die Europawahl, Frans Timmermans (Sozialdemokraten) und Margrethe Vestager (Liberale) gebe es keine Mehrheit, sagte Merkel. Dies habe EU-Ratspräsident Donald Tusk festgestellt – und sie habe daran „keinen Zweifel“. Tusk wurde beauftragt, nun in Gespräche mit dem Europaparlament einzutreten. Am 30. Juni soll es einen weiteren EU-Gipfel geben.
Merkel spielte die Vertagung herunter: das sei „keine Überraschung“. Der nächste – dritte – Gipfel im Personalpoker sei „Teil des Prozesses, den wir jetzt durchlaufen müssen“. Das übliche Bekenntnis zu Weber wiederholte Merkel jedoch nicht. Sie stehe weiter zum „Spitzenkandidaten-Prozess“. Allerdings wolle sie auch keine Entscheidung gegen Frankreich erzwingen.
Macron hatte sich von vornherein gegen einen der Spitzenkandidaten ausgesprochen. Der Franzose fordert, die Nachfolge von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und vier weitere EU-Spitzenposten mit „den Besten“ zu besetzen. Niemand könne sich vorstellen, dass Weber US-Präsident Donald Trump die Stirn bietet, streuten französische Diplomaten am Rande des Personalgeschachers, das bis in die Nacht dauerte.
„Das Spitzenkandidaten-System funktioniert nicht, wir haben uns jetzt davon befreit“, erklärte Macron nach dem Gipfel. Vorsichtiger äußerte sich Luxemburgs Premier Xavier Bettel. „Sie sind noch nicht tot, aber sie wackeln“, sagte er. Zur Begründung verwies Bettel auf die Europäische Volkspartei (EVP), der Merkel und Weber angehören. Die EVP will auch die anderen Spitzenkandidaten durchfallen lassen, wenn Weber nicht durchkommt.
Doch wer könnte dann auf Juncker folgen? In Brüssel wurden mehrere Namen genannt. Sie kommen alle aus dem konservativen Lager, da die EVP, die bei der Europawahl vorne lag, auf ihrem Führungsanspruch beharrt. Dazu zählen der französische EU-Verhandlungsführer beim Brexit, Michel Barnier, und die Chefin des Internationalen Währungsfonds, Christine Lagarde.
Auch bei anderen Themen des EU-Gipfels gab es kaum Fortschritte. So bekannten sich die 28 Chefs zwar zu den Pariser Klimazielen. Auf ein verbindliches Zieldatum 2050 für eine klimaneutrale Wirtschaft konnten sie sich jedoch nicht einigen. Polen, Tschechien, Ungarn und Estland legten ein Veto dagegen ein. | 219 |
0 | Wer ihnen hielt die Rosse, das ist mir unbekannt. 1676
Sie waren aus den Sätteln gekommen auf den Sand,
Hagen und Gelfrat: nun liefen sie sich an.
Ihre Gesellen halfen, daß ihnen Streit ward kund gethan. | 220 |
1 | Deutsche und russische NGOs im Austausch: Brücken ins "andere Russland"
In St. Petersburg trefen sich Vertreter der Zivilgesellschaften Deutschlands und Russlands. Annäherungen am Rande des deutsch-russischen Gipfels.
Während Merkel mit Medwedew durch St. Petersburg spaziert, diskutieren in der Universität Vertreter der Zivilgesellschaften auch heikle Themen. Bild: dpa
ST. PETERSBURG taz "Wie ein Damoklesschwert hängt das neue russische Gesetz für Nichtregierungsorganisationen über uns", beklagt sich Sergej Zyplenkow, Geschäftsführer von Greenpeace Russland. "Vielen Gruppen wurde einfach eine Registrierung verweigert." Zyplenkow kritisiert auch die deutsche Bürokratie. Die stringente deutsche Visapolitik, so Zyplenkow, erschwere eine länderübergreifende Arbeit.
Zwei Tage trafen sich vor den deutsch-russischen Regierungskonsultationen in St. Petersburg am Donnerstag Vertreter der Zivilgesellschaften beider Länder in der Universität. Dabei wurden heikle Themen, beispielsweise das NGO-Gesetz oder Südossetien, nicht ausgeklammert. Die Gespräche zeigten aber auch, wie viel Kraft im deutsch-russischen Dialog steckt.
Eindrucksvoll berichtet Anne Hofinga, Vorsitzende der "Russlandhilfe", von ihrer sozialen Arbeit. Vor 15 Jahren erarbeiteten deutsche und russische Sozialarbeiter, Ärzte und Freiwillige gemeinsam die ersten Programme, damit straffällige oder behinderte Kinder nicht in staatlichen Einrichtungen weggesperrt werden. Eine Schule mit Werkstatt bereitet die Kinder und Jugendlichen auf ein Leben in Eigeninitiative vor. Inzwischen werden die Pädagogen dieser erfolgreichen Schule landesweit als Referenten zu Fortbildungsmaßnahmen eingeladen.
"Gerade bei den sozialen Initiativen sieht man, wie wichtig die Zusammenarbeit ist und wie hier weiteres Vertrauen entwickelt werden kann", so Jelena Schemkowa, Geschäftsführerin der Menschenrechtsorganisation "Memorial". Schemkowa ruft die Teilnehmer auf, den Status deutsch-russischer Projekte im sozialen Bereich zu erhöhen. Der Petersburger Dialog, so Schemkowa, solle die sozialen Projekte weiter voranbringen. Gleichzeitig, so Schemkowa, gelte es, die Arbeit deutscher Freiwilligen bei russischen Nichtregierungsorganisationen zu fördern. Jaroslaw Kusminow, Rektor der Hochschule für Wirtschaft in St. Petersburg und Mitglied im Rat zur Förderung von Zivilgesellschaft und Menschenrechten beim russischen Präsidenten, greift diese Idee begeistert auf. Er möchte umgekehrt auch Projekte von russischen Freiwilligen in Deutschland gefördert sehen.
Trotz aller Unterschiede einigten sich die Teilnehmer auf gemeinsame Schwerpunkte. Man will auf den Abbau bürokratischer Hemmnisse drängen, Freiwilligenarbeit in Russland und Deutschland fördern, ein deutsch-russisches Seminar zu "Fremdenfeindlichkeit und Gewalt in der Gesellschaft" planen und den Gedanken der Städtepartnerschaften wieder populär machen.
Martin Kummer, 16 Jahre lang Oberbürgermeister des thüringischen Suhl, Partnerstadt von Kaluga, drängt darauf, auch über Arbeitnehmerstandards zu sprechen. Wenn man im VW-Werk von Kaluga nachfrage, wie es dort um Mitbestimmung und Personalrat bestellt sei, stoße man auf Schweigen. Im Dialog, so Kummer, sollten wir auch auf die Rechte der Arbeitnehmer achten. BERNHARD CLASEN | 221 |
1 | 292-297. Tag FDLR-Kriegsverbrecherprozess: Abgelehnt, abgelehnt, abgelehnt
Vor vier Jahren begann der Kriegsverbrecherprozess gegen die beiden FDLR-Miliz-Führer in Stuttgart. Jetzt geht das Verfahren endlich dem Ende zu.
Der Angeklagte Ignace Murwanashyaka beim Prozessauftakt am 4. Mai 2011. Bild: dpa
BERLIN taz | So langsam sieht man Licht am Ende des langen Tunnels: Nach vier Jahren neigt sich der Kriegsverbrecher-Prozess gegen die beiden Rebellenführer vor dem Oberlandesgericht in Stuttgart jetzt dem Ende zu.
Seit dem 4. Mai 2011 sitzen dort die in deutschem Asyl lebenden Ruander, Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni, auf der Anklagebank. Sie werden beschuldigt, als gewählter Präsident und Vizepräsident für die Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die ihre ruandische Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) im Osten der Demokratischen Republik Kongo begangen hat, verantwortlich zu sein.
Vier Jahre lang verhandelt der 5.Strafsenat in Stuttgart schon die brutalen Verbrechen im Kongo von 2008 bis 2009, während im afrikanischen Dschungel der Krieg stetig weitergeht. Die UN-Mission im Kongo hatte zu Beginn des Jahres Militärschläge gegen die FDLR vorbereitet. Zu diesen ist es jedoch wegen Unstimmigkeiten mit Kongos Regierung nie gekommen.
Immerhin, die Rebellen sind nun wieder auf der Flucht, tief in den Wäldern. Es geht nach über 20 Jahren Krieg auch für sie jetzt ums nackte Überleben und das ihrer Organisation. Die FDLR ist ihrem „großen Führer“, wie selbst die Kindersoldaten ihren Präsidenten Murwanasyhaka nennen, auch nach vier Jahren vor Gericht und fünf-einhalb Jahren nach seiner Verhaftung 2009 noch immer treu ergeben. Er wurde erst jüngst wieder im Amt bestätigt. Ein Akt, um dem Führer in Einzelhaft im Stammheimer Hochsicherheitsgefängnis kurz vor dem Urteil Mut zu machen?
Todesstoß für die maroden FDLR-Truppen?
Ein eindeutiges Urteil in Stuttgart - das würde umgekehrt der ohnehin schlechten Moral in den FDLR-Truppen jetzt den Todesstoß versetzen. Viele würden vermutlich desertieren, weil ihnen im Falle einer Verurteilung klar würde, dass ihr „Führer Ignace" nicht so schnell wieder aus dem Gefängnis frei kommt. Daran glauben sie nämlich bis heute.
Als Ignace Murwanashyaka im November 2009 verhaftet worden war, hatten in nur wenigen Wochen mehr als 300 seiner Kämpfer entmutigt die Waffen niedergelegt. Die FDLR umfasst heute noch rund 1.300 Kämpfer. Jeder Einzelne, der sich ergibt, ist ein kleiner Schritt in Richtung Frieden. So hoffen UN-Mitarbeiter im Kongo, dass der Senat in Stuttgart den vierjährigen Prozess jetzt zu Ende bringt. Dies würde auch im Dschungel zu der im UN-Sicherheitsrat beschlossenen „Neutralisierung“ der FDLR beitragen.
Deswegen hatte es der Hauptangeklagte Murwanashyaka am 294. Verhandlungstag gar nicht eilig, mit der ellenlangen Verlesung tausender SMS-Nachrichten zu Ende zu kommen. Kleinkariert nahm der promovierte Wirtschaftswissenschaftler Murwanashyaka jeden Übersetzungsfehler akribisch auseinander.
Der vom Gericht angeheuerte Übersetzer für die ruandische Sprache Kinyarwanda, in welcher die SMS ursprünglich verfasst waren, machte dabei gern mit. Auch er hat kein Interesse daran, dass das Verfahren bald zu Ende geht. Bei Tagessätzen von mehreren hundert Euro hat sich der Ruander Thierry Kambanda in knapp 300 Verhandlungstagen ein kleines Vermögen verdient.
Jeder Tag zählt
So diskutierten die beiden jede Grammatik-Konstruktion dieser komplexen afrikanischen Sprache mehrfach durch, warfen sich die Bälle gekonnt hin und her: „Wenn die SMS nachlässig geschrieben war und zwei Buchstaben vergessen wurden, dann kann das auch...“, wirft Murwanashyaka eine weitere Übersetzungsoption ein. Er ist hochkonzentriert. Jeder Tag zählt jetzt - nicht für ihn als Privatperson, sondern für das Überleben seiner Organisation.
Am letzten Tag der SMS-Verlesungen merkte man allen Verfahrensbeteiligten an: Es ist endgültig die Luft draußen. Die Richter machen müde Gesichter, dösen zum Teil mit geschlossenen Augen. Staatsanwalt Christian Ritscher war übel gelaunt, polierte ausführlich seine Brillengläser und hatte immer wieder Probleme, die Augen offen zu halten. Auch die Verteidigung musste kaum mehr eingreifen. Denn was die Angeklagten an der Übersetzung einzuwenden hatten - das machten sie schon gekonnt selbst.
Erleichterung war daher zu spüren, als der vorsitzende Richter Jürgen Hettich die Verlesung zu Ende brachte und dann Übersetzer Kambanda förmlich entließ - ein klares Signal: Er wird von jetzt an nicht mehr benötigt.
Im Staffellauf auf der Zielgeraden entgegen
Am 295. Verhandlungstag läutete Hettich dann eine neue Phase des Verfahrens ein: Er will die Beweisaufnahme jetzt abschließen. Doch zuvor muss der Senat seine Beschlüsse zu mehreren hundert Anträgen, die in den vier Jahren überwiegend von der Verteidigung gestellt worden waren, verkünden. Wieder eine ätzende Prozedur.
Richter Hettich ratterte wie im Schnellfeuer die Entscheidungen herunter: Die Ladung von weiteren Zeugen, die erneute Übersetzung von Telefongesprächen und SMS, die Beschaffung einer Landkarte des Kongo im anderen Maßstab, die Gegenüberstellung unterschiedlicher Aussagen von FDLR-Experten - die Verteidigung hatte in den vergangenen vier Jahren keine Gelegenheit ausgelassen, Beanstandungen zu machen und Anträge zu formulieren. Auch Dutzende Befangenheitsanträge gegen Richter Hettich persönlich. Geduldig hatte dieser jahrelang alles mit sich machen lassen, oftmals sogar mit zu viel Nachsicht. Jetzt verlas Hettich nicht nur Beschlüsse, sondern auch Leviten: abgelehnt, abgelehnt, abgelehnt.
Unmögliche Entlastungszeugen
Die Verzögerungstaktik der Verteidigung scheint nicht länger aufzugehen. Sechs Prozesstage geht das jetzt schon so. Immer wieder nennt der Richter als Begründung der Ablehnung: den Beschleunigungsgrundsatz. Basta.
Auf der Liste der von der Verteidigung beantragten, noch zu ladenden Entlastungszeugen steht so gut wie die ganze aktive zivile Führung der FDLR im Kongo sowie General Omega, der im Nord-Kivu den FDLR-Sektor kommandiert. Diese Männer aus dem Kriegsgebiet nach Deutschland einfliegen zu lassen, ist ohnehin eine abstruse Idee, werden sie derzeit doch von Kongos Regierungsarmee gejagt.
Aber nein, es muss jetzt Schluss sein - so lautet die unterschwellige Botschaft zwischen den Zeilen von Richter Hettich, als er im Stakkato Beschlüsse zitiert. Sobald diese alle durch sind, wird die Verteidigung noch einmal Gelegenheit haben, dazu Stellung zu nehmen. Doch dann beginnen vor oder zumindest direkt nach den Pfingstferien die Plädoyers - damit in Deutschlands erstem Verfahren nach dem 2002 eingeführten Völkerstrafgesetzbuch endlich das Urteil fallen kann. | 222 |
1 | EU-Budgettreffen gescheitert: Die Sparwut der Camkels
Der Gipfel zum EU-Budget wird ergebnislos abgebrochen. Zuvor gab es Annäherungen der Sparnationen Deutschland und Großbritannien.
Sparfüchse unter sich: David Cameron, Angela Merkel und Hollands Premier Mark Rutte. Bild: dpa
BRÜSSEL taz | Normalerweise steigt man auf einen Gipfel, um ganz nach oben zu kommen. Doch beim Budgetgipfel in Brüssel war alles anders. Noch bevor sich die 28 Staats- und Regierungschefs (27 EU-Mitglieder plus Beitrittskandidat Kroatien) über die Finanzplanung für die Jahre 2014 bis 2020 beugten, ließ Kanzlerin Angela Merkel verkünden, dass ein Scheitern „kein Beinbruch“ wäre.
Und noch während sie tagten, verkündete Frankreichs Präsident François Hollande, ein Abbruch sei „der wahrscheinlichste Ausgang“. So kam es denn auch. Um 16.30 Uhr wurde der Gipfel abgebrochen.
Klar war aber, dass es nicht allein beim britischen Premier David Cameron gehakt hatte. Cameron, der unter Druck seiner EU-skeptischen Torys steht, nahm die härteste Haltung ein. Er wollte den Kommissionsvorschlag um rund 200 Milliarden Euro kürzen – mehr als alle andern.
Doch er hatte eine unerwartete Mitstreiterin: Angela Merkel. Die Kanzlerin habe für die Position Großbritanniens „Sympathie erkennen lassen“, sagten britische Diplomaten nach einem Gespräch zwischen Merkel und Cameron. Von einer „kleinen Annäherung“ sprach die Nachrichtenagentur dpa.
Sparwütige Viererbande
Das ist sehr höflich formuliert. In Wahrheit bildete Cameron mit Merkel die Vorhut einer sparwütigen Viererbande, zu der auch Schweden und die Niederlande gehören. „Da zeichnet sich eine Achse Berlin–London ab“, twitterte der Korrespondent der französischen Libération, Jean Quatremer, und britische Journalisten stimmten zu. Prompt wurden Spitznamen für das Paar geprägt. In Anlehnung an das frühere „Merkozy“-Gespann (Merkel und Sarkozy) war von „Meron“ und „Camkel“ die Rede.
Merkel unterstützte nicht nur Camerons Forderung, bei der EU-Verwaltung den Rotstift anzusetzen. Sie widersetzte sich auch dem Appell von Hollande, dem Britenrabatt zu Leibe zu rücken.
Dieser Rabatt, der von Margaret Thatcher eingeführt worden war, sichert den Briten große Nachlässe, zuletzt rund 3,5 Milliarden Euro im Jahr. Er gilt schon lange als anachronistisch; die meisten EU-Länder würden ihn gern abschaffen. Doch es gibt ein paar Trittbrettfahrer. Sie erhalten einen Nachlass auf die Mehrkosten, die der Britenrabatt ins EU-Budget reißt. Dazu gehört auch Deutschland – es spart dadurch jährlich rund 1,7 Milliarden Euro.
Doch das ist nicht der einzige Grund, aus dem Merkel den Briten beisteht. Es geht auch um taktische Erwägungen: Wenn man London isoliert, kommt gar kein neues EU-Budget zustande, und dann stehen vor allem die Empfängerländer wie Polen im Regen. Das müsse man unbedingt vermeiden, hieß es auf den Gängen des Brüsseler Ratsgebäudes.
Ideologische Nähe
Und dann ist da die ideologische Nähe: Wie Cameron ist Merkel überzeugte Freihändlerin – die Exportnation Deutschland kämpft gemeinsam mit der alten Handelsmacht Großbritannien gegen Protektionismus. Und genau wie Cameron fährt auch Merkel einen knallharten Sparkurs.
Alle EU-Länder müssten den Gürtel enger schnallen, da könne man doch auch die EU selbst nicht ausnehmen, verkündeten Merkel und Cameron wie aus einem Munde. Damit gingen sie gemeinsam auf Konfrontationskurs zu Ländern wie Frankreich, die keine Abstriche am Agrarbudget hinnehmen wollen – oder wie Polen, das auf Hilfen aus dem Kohäsionsfonds hofft.
EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy versuchte zwar am Freitagnachmittag, den Budgetstreit mit einem dritten Kompromissvorschlag zu schlichten. Doch die Fronten sind verhärtet, der Gipfel ist gescheitert. Die EU-Chefs wollen sich Anfang Februar wieder in Brüssel treffen. Bis dahin können Merkel und Cameron ihre Beziehung vertiefen – oder sich erneut zerstreiten. In der EU ist derzeit alles möglich. | 223 |
1 | Todesnacht von Stammheim: Neue Ermittlungen gefordert
Der Bruder von Gudrun Ensslin verlangt, dass die „Todesnacht von Stammheim“ noch einmal aufgearbeitet wird. Die Linkenpolitikerin Ulla Jelpke unterstützt ihn.
Stuttgart-Stammheim: Der Tod früherer RAF-Mitglieder 1977 sorgt bis heute für Spekulationen. Bild: dpa
BERLIN dapd | Der Bruder der in Stammheim ums Leben gekommenen Gudrun Ensslin, Gottfried Ensslin, sowie der Buchautor Helge Lehmann fordern eine Wiederaufnahme des sogenannten RAF-Todesermittlungsverfahrens. Beide kündigten am Donnerstag in Berlin einen entsprechenden Antrag bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart an. Unterstützt werden sie von der Linken-Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke.
Hintergrund sind die Ereignisse um die RAF-Mitglieder Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan-Carl Raspe, die nach bisherigen Ermittlungsergebnissen im Jahre 1977 im Hochsicherheitsgefängnis Stuttgart-Stammheim Selbstmord begingen. Die Antragsteller zweifeln dies jedoch unter Verweis auf neue Indizien an. Die „Ermittlungsrichtung“ sei seinerzeit „von vornherein einseitig festgelegt“ worden, lautet ihr Vorwurf.
„Akteure in Politik und Justiz waren in der Nazizeit sozialisiert worden und handelten als Männerbünde im Geist der Schützengräben des Zweiten Weltkriegs“, sagte Gottfried Ensslin und fügte hinzu: „Vielleicht gibt es in der heutigen Generation von Juristen im Staatsdienst Personen, die bereit sind, staatliche Vorgänge kritisch zu untersuchen.“
Staatliche Beteiligung nicht ausgeschlossen
Gottfried Ensslins Vorstoß ist nach eigenen Angaben insbesondere eine Reaktion auf das 2011 erschienene Buch „Die Todesnacht von Stammheim“. Der Autor Helge Lehmann behauptet, er habe nach sechsjähriger Recherche Indizien gefunden, „die die offizielle Darstellung teilweise ins Wanken bringen“. Es sei ihm daher selbst ein Anliegen gewesen, „diese Fragen offiziell in dem Antrag zu formulieren“.
Die Abgeordnete Ulla Jelpke stellte sich ausdrücklich hinter den Vorstoß. Sie verwies darauf, dass schon damals die RAF-Anwälte Otto Schily und Hans-Christian Ströbele eine „staatliche Beteiligung“ an den Selbstmorden „nicht ausgeschlossen“ hätten. Es sei auch dreißig Jahre später „nur ein Teil der Akten“ geöffnet worden, kritisierte Jelpke.
Am Morgen des 18. Oktober 1977 waren die RAF-Häftlinge Baader und Ensslin tot in ihren Zellen gefunden worden. Raspe starb wenig später im Krankenhaus. Die benutzten Pistolen sollen nach bisherigen Erkenntnissen eingeschmuggelt worden sein.
Die Vorgeschichte zur „Todesnacht von Stammheim“ ist die Befreiung der Geiseln aus der Lufthansa-Maschine „Landshut“ in Mogadischu. Palästinensische Terroristen hatten mit der Entführung der „Landshut“ die RAF-Gefangenen freipressen wollen. | 224 |
0 | Hatten die bisherigen Torpedos mit Erfolg ausschließlich
der Verteidigung gedient, so lag es nahe, dieselbe Waffe auch beim
Angriff zu verwenden, und man löste die Aufgabe nach Fultons
Vorschlag, indem man an der Spitze langer Stangen einen T. mit
Kontaktzünder befestigte und denselben unter den Boden des
feindlichen Schiffs schob (s. Tafel, Fig. 4). Hierzu bediente man
sich der Ruderboote oder kleiner Dampfbarkassen und besonders
für diesen Zweck erbauter eiserner Dampfboote in Zigarrenform,
die ihrer Kleinheit wegen Davids genannt wurden. Auch Bushnells
Idee der unterseeischen Boote trat wieder ins Leben; 17. Febr. 1864
wurde im Hafen von Charleston der Hausatonic durch ein solches
gänzlich zerstört, mit ihm aber auch das Boot. Nach
solchen Erfolgen traten alle Staaten dem Torpedowesen näher.
Überall wurden Kommissionen zur Prüfung des Vorhandenen,
Ausführung von Versuchen und entsprechenden Neukonstruktionen
eingesetzt. Man teilte die Torpedos in Defensiv- und
Offensivtorpedos und nannte erstere Seeminen, letztere kurzweg
Torpedos. Die im amerikanischen Krieg so viel verwendeten
Treibtorpedos verwarf man in Rücksicht auf die Gefahr, die sie
bei eintretendem Rückstrom oder bei Offensivbewegungen den
eignen Schiffen bringen, gänzlich. Alle Seeminen wurden
verankert und mit Auftrieb versehen, so daß sie in bestimmter
Wassertiefe schwimmend erhalten wurden. Die Zündung der Minen
erfolgte durch Kontakt- oder durch elektrische Zünder. Jene,
die Stoßminen, haben den Vorzug großer Einfachheit;
aber ihr gefahrvolles Auslegen und Wiederaufnehmen sowie die
Sperrung der Ausfahrt auch für die eignen Schiffe mußten
ihre Verwendung auf den zu beiden Seiten für den eignen
Verkehr freizulassenden Teil des Fahrwassers beschränken,
während in dem durch sie nicht gesperrten Wasser
Beobachtungsminen so tief versenkt wurden, daß die Fahrt auch
bei Ebbe für die größten Schiffe frei blieb. Die
alleinige Verwendung von elektrischen Beobachtungsminen ist bei
größerer Zahl durch die Kabelleitung (zwei Drähte
für jede Mine) nicht nur sehr kostspielig, sondern auch in
Bezug auf sichere Beobachtung kaum durchführbar. Alle bis
jetzt bekannt gewordenen Vorrichtungen zur Bestimmung des
Augenblicks, wann sich ein Schiff über einer der Minen
befindet, sind kompliziert und bei Nacht, Nebel und Pulverdampf
nicht zu gebrauchen. Den Apparaten liegt die Idee zu Grunde, durch
den Schnittpunkt zweier Visierlinien den Moment zu bestimmen, wann
sich ein | 225 |
1 | Ergebnis Grünen-Urwahl: Der Sozialwirt und die Religiöse
Die Grünen haben ihr Spitzenduo gefunden: Jürgen Tritttin und Katrin Göring-Eckardt führen die Partei in den Bundestagswahlkampf.
Das Grüne-Spitzenduo für die Bundestagswahl. Bild: dpa
BERLIN reuters | Die Grünen ziehen mit dem Spitzenduo Jürgen Trittin und Katrin Göring-Eckardt in den Bundestagswahlkampf 2013. Das gab die Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke am Samstag in Berlin bekannt.
Damit setzten sich der Fraktionsvorsitzende Trittin und Bundestagsvizepräsidentin Göring-Eckardt in der Urwahl unter anderen gegen die Co-Fraktionschefin Renate Künast und Parteichefin Roth durch.
Daneben standen elf eher unbekannte Männer aus Kreis- und Ortsverbänden zur Wahl. An der Abstimmung hatten sich 61,64 Prozent der knapp 60.000 Parteimitglieder der Grünen beteiligt. Es ist das erste Mal, dass eine Partei in Deutschland ihre Spitzenkandidaten per Urwahl bestimmt. | 226 |
0 | Wenn also der durchgängigen Bestimmung in unserer Vernunft ein
transzendentales Substratum zum Grunde gelegt wird, welches gleichsam
den ganzen Vorrat des Stoffes, daher alle möglichen Prädikate der
Dinge genommen werden können, enthält, so ist dieses Substratum
nichts anderes, als die Idee von einem All der Realität (omnitudo
realitatis). Alle wahren Verneinungen sind alsdann nichts als
Schranken, welches sie nicht genannt werden könnten, wenn nicht das
Unbeschränkte (das All) zum Grunde läge. | 227 |
1 | Ex-IWF Chef erzielt Vergleich vor Gericht: Strauss-Kahn zahlt
Der Ex-IWF Chef und das Zimmermädchen Nafissatou Diallo einigen sich in den USA außergerichtlich. Strauss-Kahn war Vergewaltigung vorgeworfen worden.
Die Summe des Vergleichs, den Strauss-Kahn getroffen hat, bleibt unter Verschluss. Bild: dpa
WASHINGTON afp | Die Summe, mit der sich Dominique Strauss-Kahn seiner juristischen Nöte in den USA entledigt, bleibt unter Verschluss. Der frühere Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF) einigte sich am Montag auf einen vertraulichen Vergleich mit dem New Yorker Zimmermädchen Nafissatou Diallo, das dem einstigen Star der französischen Sozialisten Vergewaltigung vorwirft.
In seiner Heimat hat der 63-Jährige seine rechtlichen Probleme wegen einer Sex-Affäre aber noch nicht ausgestanden.
Zehn Minuten dauerte die Anhörung vor einem Gericht im New Yorker Stadtteil Bronx. Über die Einzelheiten der finanziellen Einigung schwieg Richter Douglas McKeon. Als Ende November erste Informationen über einen möglichen Vergleich in den Medien durchsickerten, schrieb die französische Zeitung „Le Monde“ von einer Zahlung in Höhe von sechs Millionen Dollar (4,6 Millionen Euro). Dabei berief sie sich auf Vertraute von Strauss-Kahn.
Der Bericht sei „frei erfunden“, hieß es damals prompt aus Strauss-Kahns Anwaltsteam. Experten halten eine derartige Summe aber für plausibel, denn in den USA enden Zivilverfahren immer wieder mit millionenschweren Vergleichen. Beide Seiten ersparen sich so einen langwierigen Prozess.
Aussage gegen Aussage
Gut zwölf Kilometer südlich vom Gericht in der Bronx liegt die Hotelsuite, in der der tiefe Fall des international geachteten Finanzfachmanns Strauss-Kahn begann. Diallo betrat am 14. Mai 2011 zur Mittagsstunde Strauss-Kahns Zimmer im Sofitel-Hotel im Herzen von Manhattan - was dann geschah, ist noch immer unklar. Das Zimmermädchen wirft Strauss-Kahn vor, sich nackt auf sie gestürzt und sie zum Oralsex gezwungen zu haben.
Auch habe er gewaltsam versucht, Geschlechtsverkehr mit ihr zu haben. Der Franzose erklärte dagegen, er habe mit der aus Guinea stammenden Frau einvernehmlichen Sex gehabt.
Strauss-Kahn wurde wenige Stunden später am New Yorker Flughafen John F. Kennedy festgenommen, verbrachte zunächst einige Nächte auf der berüchtigten Gefängnisinsel Rikers Island und wurde dann unter Hausarrest gestellt. Seinen Spitzenposten beim IWF musste er niederlegen, seine Hoffnungen auf eine Kandidatur bei den französischen Präsidentschaftswahlen begraben. Dann kam die überraschende Wende: Die Ermittler stellten das Strafverfahren im August 2011 ein, weil sich Diallo durch wiederholte Lügen unglaubwürdig gemacht hatte.
Außergerichtliche Lösung
An der Zivilklage hielt das Zimmermädchen aber fest, Strauss-Kahn verlangte in einer Gegenklage derweil Schadenersatz wegen Verleumdung. Anfang Mai machte Richter McKeon den Weg frei für einen Zivilprozess, bemühte sich aber zugleich um eine außergerichtliche Lösung. Ende November hätten schließlich ernsthafte Verhandlungen zwischen beiden Seiten begonnen, sagte er.
Diallo erschien am Montag mit Kopftuch und in schwarzem Mantel am Gericht in New York, nach der Anhörung dankte sie Gott und "allen, die mich unterstützen". Das Zimmermädchen beendete auch eine Zivilklage gegen die "New York Post" wegen Verleumdung mit einem finanziellen Deal - das Boulevardblatt hatte sie als Prostituierte dargestellt. Ihre Arbeit im Sofitel-Hotel hatte die verwitwete Mutter einer Tochter nie wieder aufgenommen.
Strauss-Kahn ließ sich beim Schlussstrich unter eines der düstersten Kapitel seines Lebens durch seine Anwälte vertreten. Der Politiker, der in einem Interview "moralische Fehler" eingeräumt hatte, gesteht mit dem Vergleich keinerlei Schuld ein. "Wir sind froh, in dieser Sache zu einer Lösung gekommen zu sein", teilte sein Anwalt William Taylor lediglich mit.
In Frankreich laufen aber noch Ermittlungen gegen Strauss-Kahn wegen bandenmäßig organisierter Zuhälterei. Der Franzose hatte an Sex-Partys unter anderem in Paris und Washington teilgenommen. Der 63-Jährige beteuert, er habe nicht gewusst, dass die Frauen Prostituierte waren. Kommenden Mittwoch soll ein Gericht im nordfranzösischen Douai über die Forderung von Strauss-Kahns Verteider entscheiden, das Verfahren einzustellen. | 228 |
1 | Erneut Giftbrief an Obama: Waffen-Fanatiker kämpfen mit Rizin
Erst wurden nur die Giftbriefe an den New Yorker Bürgermeister bekannt, doch nun ist klar: Auch Obama erhielt erneut ein ähnliches Schreiben von Waffen-Fans.
FBI-Beamte und Mitarbeiter des „Joint Federal Haz-Mat Team“ auf Spurensuche in Spokane. Bild: ap
NEW YORK ap | Wie der New Yorker Bürgermeister Michael Bloomberg wird auch US-Präsident Barack Obama offenbar weiter mit Giftbriefen bedroht. Die US-Bundespolizei FBI teilte mit, ein diese Woche abgefangenes Schreiben an das Weiße Haus in Washington gleiche inhaltlich den beiden an Bloomberg – nämlich mit scharfer Kritik an neuen Waffengesetzen.
Nun werde geprüft, ob auch das Schreiben an Obama wie die Briefe an Bloomberg das hochgiftige Rizin enthalte. Bereits nachgewiesen wurde das Gift in einem anderen Brief ans Weiße Haus, der bereits am 22. Mai auftauchte.
Schon im April waren Briefe mit Rizin an Obama, einen Senator und einen Richter geschickt worden. Ein Mann im Staat Mississippi wurde deswegen festgenommen. Ob es einen Zusammenhang mit den aktuellen Fällen gibt, ist offen.
Insgesamt ist der Erkenntnisstand zu den neuen Fällen bislang undurchsichtig. Am Donnerstag war bekanntgeworden, dass an Bloomberg – einen prominenten Befürworter schärferer Waffengesetze – Briefe mit Kritik an solchen Gesetzen verschickt worden waren, die Spuren des Gifts enthielten.
Wenig später bestätigte das FBI, dass ein Brief ähnlichen Inhalts auch an Obama gerichtet war. Alle drei Briefe waren nach Angaben der Postgewerkschaft in Louisiana verschickt worden. Die New Yorker Polizei nimmt nach eigenen Angaben an, dass alle drei auf derselben Maschine oder demselben Computer erstellt wurden.
Der andere Brief an Obama, der schon am 22. Mai aufgetaucht war und in dem bereits Rizin nachgewiesen wurde, kam dagegen aus Spokane im Bundesstaat Washington, wie es vom FBI weiter hieß.
Festnahme in Spokane
Dort waren am selben Tag Rizin-Briefe an einen Richter und an ein Postamt verschickt worden, bei einem vierten Brief an die Fairchild Air Force Base ganz in der Nähe besteht Rizin-Verdacht. In dem Zusammenhang wurde in Spokane ein 37-jähriger Mann festgenommen. Ob und wie alle Fälle zusammenhängen, ist unklar.
Das FBI betonte aber: „Es könnten noch mehr Briefe empfangen werden.“ Erläuterungen dazu gab es nicht.
Keiner der Briefe erreichte den eigentlichen Empfänger. Sie wurden in Post- und Überwachungsstellen entdeckt. Die Mitarbeiter, die dort in Kontakt mit Rizin-Spuren gekommen sein könnten, kamen glimpflich davon. Nur drei Polizisten zeigten vorübergehend leichte Vergiftungssymptome, die aber schnell vorübergingen, wie die Polizei in New York mitteilte.
Der Eiweißstoff Rizin wird aus dem den Samenschalen der Rizinusstaude gewonnen. Schon kleinste Mengen können tödlich sein. | 229 |
0 | "Herzensschatz", antwortete die Frau, "ich habe dich überall suchen
lassen. Der König schenkt dir das Kaleschlein und die Erlaubnis,
darin spazieren zu fahren, wohin du willst." "Ma foi!" erwiderte der
Mann mit besänftigter Miene, "der König ist gerecht."--"Aber nicht
wahr", fuhr die Gattin fort, "morgen fahren wir spazieren aufs
Land?"--"Ei nun", erwiderte der Mann kalt und ruhig, "wir wollen
sehn. Wenn's auch morgen nicht ist, so kann's ein ander Mal sein,
und am Ende, was tun wir draussen? Paris ist doch am schönsten
inwendig." | 230 |
1 | Verhandlungen über Atomprogramm: Iran bietet Zugeständnisse an
USA und Iran nähern sich bei den Atomverhandlungen wohl an. Es liegt ein Entwurf vor, nach dem der Iran die Uran-Anreicherung um 40 Prozent verringern muss.
US-Außenminister John Kerry am Donnerstag bei den Atomverhandlungen in Lausanne. Bild: reuters
LAUSANNE ap | Das Atomabkommen mit dem Iran nimmt offenbar Gestalt an. Nach Informationen der Nachrichtenagentur AP lag am Donnerstag ein Entwurf auf dem Tisch, nach dem der Iran seine Kapazität zur Anreicherung von Uran um 40 Prozent verringern muss. Im Gegenzug würden die Wirtschaftssanktionen gegen den Iran sofort gelockert, hieß es aus Verhandlungskreisen in Lausanne. Auch Teile des UN-Waffenembargos könnten zurückgenommen werden.
Dass es einen Vertragsentwurf gibt, gilt als deutliches Zeichen, dass eine Einigung vor Ablauf der selbst gesetzten Frist Ende März möglich ist. Es ist aber unklar, wie vollständig der Entwurf bereits ist. Eine endgültige Einigung wird es erst geben, wenn das Gesamtpaket steht. Es geht bis Ende März zunächst um ein Rahmenabkommen. Bis Ende Juni soll der Vertrag dann in allen Einzelheiten stehen.
Der Iran verhandelt seit mehr als einem Jahr mit den USA sowie mit Russland, China, Großbritannien, Frankreich und Deutschland. Der Westen will mit dem Abkommen auf Dauer ausschließen, dass der Iran eine Atombombe bauen kann. Der Islamischen Republik geht es vor allem um ein Ende der internationalen Sanktionen, die die Wirtschaft des Landes lähmen.
Die Zahl der Zentrifugen zur Anreicherung von Uran ist zentraler Streitpunkt. Der Iran hat etwa 10.000 dieser Maschinen, mit denen Kernbrennstoff, aber eben auch atomwaffenfähiges Material hergestellt werden kann. Die USA wollten Teheran ursprünglich weniger als 2.000 Zentrifugen zugestehen, später wurde als Kompromisslinie höchstens 4.000 genannt. Denn mit geringerer Kapazität würde es entsprechend länger dauern, genug Atombombenmaterial zu gewinnen - sollte der Iran dies doch heimlich versuchen.
Deckelung für zehn Jahre
Der Iran wollte ursprünglich alle 10.000 Zentrifugen weiter betreiben, mit dem Argument, er arbeite ohnehin nicht an Atomwaffen und er wolle die Atomkraft friedlich nutzen und erforschen. Zuletzt war über eine Höchstzahl von 6.500 spekuliert worden. In dem Entwurf wird nach AP-Informationen nun die Zahl 6.000 genannt, die für mindestens zehn Jahre festgeschrieben werden soll.
US-Unterhändler betonen, es reiche nicht, nur die Zahl der Zentrifugen zu betrachten. Hinzu kämen andere Beschränkungen, etwa der Grad der Anreicherung und die Art der Zentrifugen. Das Ziel, im Fall eines Bruchs des Abkommens mindestens ein Jahr Vorlauf zu haben, werde damit erreicht. Derzeit würde es nach US-Darstellung nur zwei bis drei Monate dauern, bis der Iran genügend Bombenmaterial zusammenbekommen könnte – wenn er sich dazu entschlösse.
Die nun erwogenen Deckel bei der Kapazität der Zentrifugen soll für mindestens zehn Jahre gelten. Danach sollen sie nach und nach gelockert werden. Insgesamt liefe der Vertrag 15 oder 20 Jahre. Frankreich dringt nach Angaben aus Verhandlungskreisen sogar auf 25 Jahre Laufzeit. | 231 |
1 | Einleitung
Längst steht außer Frage, dass Michail Gorbatschow in die Geschichte eingehen wird. Nur geschieht das sicher aus anderen Gründen und mit anderen Kommentaren, als er wollte. Die Bilanz seines Wirkens ist nicht umstritten. Allenfalls bleibt kontrovers, ob er und mit ihm die Sowjetunion eher Opfer der Wirtschaftskrise wurde, die ihren Höhepunkt im Winter 1989/90 erreichte, oder ob ihm vor allem die Unabhängigkeitsbewegungen zum Verhängnis wurden, die sich im Vorfeld der ersten freien Wahlen in der Sowjetunion überhaupt seit Frühjahr 1989 in fast allen Republiken bildeten und schnell zur stärksten Kraft heranwuchsen.
Abgesehen davon liegt recht klar zutage, wie sich Soll und Haben verteilten. Gorbatschow erkannte als erster faktischer Staatschef der Sowjetunion, dass der schweren Wirtschaftskrise - das Wachstum tendierte schon Ende der 1970er Jahre gegen Null - mit Teilreformen, wie man sie seit den Zeiten Nikita Chruschtschows mehrfach unternommen hatte, nicht beizukommen war. Sie mussten bloße Kosmetik bleiben, weil sie nur an Stellschrauben des Plansystems, an Preisen, Löhnen und Produktionsziffern drehten. Gorbatschow verortete das Kernübel zu Recht in der mangelnden Motivation und trägen Routine der Gesellschaft insgesamt. Wer die Wirtschaft aufrichten wollte, musste ein Mindestmaß an Eigeninteresse und öffentlicher Bewegungsfähigkeit zulassen; ein agiler homo oeconomicus schien ohne ein Minimum an geistiger Freiheit und politischer Artikulationsmöglichkeit nicht denkbar. In dieser Einsicht hatte die neue (nach wie vor begrenzte) Freiheit des Wortes, die glasnost' (wörtlich: Transparenz), ebenso ihren Ursprung wie die säkulare Entscheidung vom Juni 1988, einen Volksdeputiertenkongress einzuberufen und dessen Abgeordnete (teilweise) in freier Wahl bestimmen zu lassen. Zugleich gab sich Gorbatschow alle Mühe, die Sowjetunion von der Last ihrer Weltmachtrolle, von den untragbar gewordenen Kosten des Wettrüstens und der Stationierung großer Armeen in Osteuropa, zu befreien. Darin lag das Hauptmotiv für die Entspannungspolitik, die er schon bald nach seinem Amtsantritt im März 1985 auf den Weg brachte. Doch damit ist die Erfolgsliste des Generalsekretärs, der angetreten war, die Sowjetunion aus dem sklerotischen "Stillstand" der Breschnew-Ära herauszuführen, auch schon erschöpft. Neue Strukturen hat er nicht schaffen können. Der Versuch, das Fundament seiner Macht von der Partei, die sich in fortgeschrittener Auflösung befand, auf den Staat zu verlagern, blieb halbherzig; Gorbatschow scheute das Risiko einer Direktwahl, die ihm unbestreitbare Legitimation und Autorität hätte verleihen können. Gegen die starken Sezessionstendenzen in den Republiken fand er kein wirksames Mittel. Und eine Entscheidung in der Kern- und Überlebensfrage: über die künftige wirtschaftliche Verfassung des "umgebauten" Staates, schob er mehrfach auf - so lange, bis sie ihm durch den Putsch vom August 1991 aus der Hand genommen wurde. Den Rubikon zwischen Sozialismus und Marktwirtschaft wollte Gorbatschow nicht überschreiten. Er hatte die alte Ordnung so weit verändert, dass sie nicht mehr funktionierte, erst recht nicht nach dem Austritt lebenswichtiger Republiken (der baltischen ebenso wie der Ukraine) aus der Union; aber es fehlte ihm an Entschlusskraft, eine neue an ihre Stelle zu setzen. Er war eher ein "Zerstörer" des Systems als "Erbauer" eines neuen. Jelzins Bilanz
Letztlich gilt dies auch für seinen faktischen Nachfolger Boris Jelzin, der die Geschicke der Russischen Föderation als wichtigstem Erbstaat (auch im völkerrechtlichen Sinn) bis zum Jahrtausendwechsel lenkte. Dabei begann dessen Ära ganz anders. Im Rückblick tritt klarer zutage, als dies wohl die meisten Zeitgenossen gesehen haben, dass Russland und die Welt vor allem ihm das Entscheidende zu verdanken haben: den alles in allem friedlichen Übergang zu einem neuen, grundsätzlich demokratischen, durch eine geschriebene Verfassung regulierten Regime, dessen Führungspersonal für festgelegte Amtsperioden mit einigermaßen klar definierten Kompetenzen durch Wahlen bestimmt wird. Es ist niemand anderes zu erkennen, der über die Autorität und das nötige Durchsetzungsvermögen verfügt hätte, um diesen Kraftakt zu bewältigen. Jelzin stützte sich auf eben jene neuartige Legitimation, auf die Gorbatschow im Frühjahr 1990 verzichtet hatte, weil er sich seines Sieges nicht mehr sicher sein konnte: auf seine direkte Wahl zum Präsidenten der Russischen Föderation, des Kernstaates der in Auflösung begriffenen Union, am 12. Juni 1991 (während sich Gorbatschow noch nach altsowjetischer Art indirekt hatte wählen lassen). Kein stärkeres Mandat war denkbar als diese "basisdemokratische" Übertragung von Vertrauen und Macht. Sie bildete die Voraussetzung für jenen Sprung auf den Panzer vor dem "Weißen Haus" (dem russischen Parlament) am 19. August, von dem aus er zum Widerstand gegen den dilettantischen Putsch sowjettreuer Regierungsmitglieder gegen Gorbatschow aufrief. Das Bild dieser Szene ging um die Welt; sie machte ihn endgültig zu einer charismatischen Leitfigur, der man zutraute, Russland zu neuen Ufern zu führen.
Jelzin hat diese Rolle angenommen. Die beiden folgenden Jahre markieren den Höhepunkt seines politischen Wirkens. In dieser Zeit zwischen dem Putsch vom August 1991 und der Erstürmung des "Weißen Hauses" durch die präsidialen Truppen Anfang Oktober 1993, die als Phase des Übergangs von der sowjetischen Einparteiendiktatur zur neuen Demokratie gelten kann, hat Jelzin nicht nur nationale, sondern auch Weltgeschichte geschrieben. Sie fand ihren Abschluss in der Annahme einer Verfassung und den ersten Parlamentswahlen auf ihrer Grundlage am 12. Dezember. Bei allen Änderungen dieser Vorgaben - etwa der Zusammensetzung der zweiten Parlamentskammer, des Föderationsrates, und allen schwerwiegenden Defiziten der Demokratie, von denen noch die Rede sein wird, verdient der Umstand gleiche Beachtung, dass sie nicht wieder aufgehoben wurde. Vielmehr erreichte sie eine solche Unantastbarkeit und Verbindlichkeit, dass sich selbst Putin fügte und sich nach Ablauf seiner maximalen Amtszeit temporär zurückzog, statt sie zu seinen Gunsten zu ändern.
Damit endet indes die Liste der konstruktiven Leistungen in Jelzins Bilanz. Was danach kam bzw. nur deutlicher wurde, weil seine Wurzeln schon in die Anfangsjahre zurückreichten, gibt allen Anlass zur Kritik. Dabei urteilte man im Westen meist gnädig, kopfschüttelnd, aber nachsichtig, weil Jelzin das Tor nach Europa weiter aufstieß und man ihm deshalb ähnlich gewogen war wie zuvor Gorbatschow. Die eigene Bevölkerung sah das jedoch zunehmend anders und wandte sich vom einstigen Helden ab. Sie hatte die Folgen seiner Politik zu tragen, sowohl unvermeidlicher Härten - darüber wird gestritten - als auch offenkundiger Missgriffe und Defekte, die zunahmen. Am schlimmsten traf sie die Bank- und Währungskrise 1998, welche die Geldvermögen drastisch schrumpfen ließ, viele um ihre Ersparnisse und angesichts ausbleibender Löhne und Gehälter an den Rand der Armut brachte. Der Absturz wirkte wie ein Schock und kostete Jelzin die Reste seiner Popularität.
Im Einzelnen hat man ihm vor allem vier Fehlentwicklungen angekreidet.
(1) Jelzin wäre nicht der dickschädelige Machtpolitiker gewesen, der er war, wenn er die herausgehobene, singuläre Position, die ihm nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in Russland zufiel, gleich wieder geräumt hätte. Stattdessen tat er das Gegenteil und schnitt die Kompetenzverteilung zwischen den Organen des neuen Staates nach seinen Bedürfnissen zu. Die Verfassung, die er im schließlich gewaltsam ausgetragenen Konflikt mit dem Obersten Sowjet (alter Art) der Russischen Föderation (dem "Weißen Haus") ausarbeiten ließ, räumte dem Präsidenten eine überaus starke, konkurrenzlose Stellung ein. Häufig hat man darauf hingewiesen, dass sie die gaullistische Präsidialverfassung der V. Republik in Frankreich zum Vorbild nahm. So richtig die Analogie sein mag, sie bleibt formal. Denn die Duma, die trotz beschränkter Rechte theoretisch ein Gegengewicht zur Exekutive hätte bilden können, hat diese auch in ihren Anfangsjahren, als es noch oppositionelle Parteien gab und Meinungsgegensätze offen ausgetragen wurden, nie ausfüllen können. Es gab in Russland - anders als in der Tschechoslowakei oder Polen - keine pluralistische politische Tradition, an die man hätte anknüpfen können; die konstitutionalistischen Jahre des ausgehenden Zarenreichs (1905-1914) waren dafür zu kurz und lagen zu lange zurück. So aber setzte Jelzin, zugespitzt gesagt, fort, was er kannte. Er konzentrierte nicht nur alle Macht an der Staatsspitze, sondern schuf darüber hinaus eine Präsidialverwaltung, die zu einer zweiten Regierung wurde und bald größer war als der alte ZK-Apparat, dem sie strukturell auf frappierende Weise ähnelte.
(2) Dazu passte, dass Jelzin einen ausgesprochen selbstherrlichen Herrschaftsstil entwickelte. Die ironische Rede vom "Zaren Boris" besaß einen wahren Kern. Angesichts vieler Fraktionen und divergierender Interesse auch in seiner unmittelbaren Umgebung griff er zur bewährten Strategie des divide et impera. Er ließ seine Entourage streiten und sicherte seine Autorität durch intensiven, oft abrupten Personaltausch. Die Amtszeit der meisten Ministerpräsidenten - mit der Ausnahme von Viktor Tschernomyrdin - war kurz; in seinen beiden letzten Amtsjahren (1998-2000) "verbrauchte" er fünf Ministerpräsidenten, und manch einen zauberte er aus dem Hut wie Trickkünstler Kaninchen. Solch bizarre Unberechenbarkeit ignorierte nicht nur die gerade in Russland dringende Notwendigkeit, die junge Demokratie zu hegen und eine politische Kultur zu entwickeln, die geeignet war, sie zu verstetigen. Sie bewirkte sogar das Gegenteil. Indem Jelzin sich über das Tagesgeschäft erhob, öffnete er seinem Apparat großen Spielraum; indem er der oppositionellen Duma keinen Stich ließ, schwächte er eben jene Einrichtung, die der Übermacht des Präsidenten hätte Paroli bieten sollen. Zwar konnte er einen erheblichen Situationszwang für sich in Anspruch nehmen. Zweifellos steckte er in einer Zwickmühle, weil die Kommunistische Partei Russlands und die rechtsradikalen "Liberaldemokraten" (Wladimir Schirinowskis) in der Duma mit einem Stimmenanteil von 12,4 bzw. 22,9 Prozent den Ton angaben. Aber das Resultat der Missachtung blieb dasselbe: Die Macht lag im neuen Russland beim Präsidenten, nicht beim Parlament.
(3) Was Gorbatschow versäumt hatte, holte Jelzin allzu schnell nach. Die Marktwirtschaft kam von einem Monat auf den anderen in Gestalt der neoliberalen Lehre US-amerikanischer Prägung. Die rasche Privatisierung durch Ausgabe von Anteilscheinen an den Staatsbetrieben an jeden volljährigen Bürger, gleichsam die Rückerstattung des Volksvermögens an seine eigentlichen Besitzer, mochte gut gemeint gewesen sein. Nur hatte sie die vorhersehbare Folge, dass einige wenige mit diesen Aktien mehr anfangen konnten als die meisten anderen, weil sie ihren tatsächlichen Wert und überhaupt die Chance der Stunde Null erkannten und weil sie (woher auch immer) über Geld verfügten, das sie in die Lage versetzte, armen Ahnungslosen die vermeintlich nutzlosen Papier-Coupons abzukaufen. So entstanden in wenigen Jahren märchenhafte Vermögen und jene winzige, aber einflussreiche Schicht, für die man flugs die Bezeichnung "Oligarchen" prägte. Kaum zufällig fanden sich darunter besonders viele ehemalige "rote Direktoren". Sie konnten das Potential der privatisierten Unternehmen am besten einschätzen und wussten, was auf dem Weltmarkt begehrt war. Die "Eunuchen", wie man plastisch formuliert hat, kamen endlich an die begehrten Fleischtöpfe, die ihnen der Sozialismus vorenthalten hatte. Bei alledem ging die große Mehrheit der Bevölkerung nicht nur leer aus. Sie musste darüber hinaus die Kosten der Preisfreigabe und der Aufgabe des Bestandsschutzes für unrentable Betriebe tragen. An soziale Absicherung dachten die liberalen Ökonomen nicht. Für die Masse der Bevölkerung kam die Marktwirtschaft als Schock. Sie brachte wohl Freiheit, aber auch Verarmung keine günstige Voraussetzung für eine belastbare Zustimmung zur neuen Demokratie.
(4) Jelzin duldete nicht nur, dass sich einige wenige den Löwenanteil des ehemaligen Staatsvermögens unter den Nagel rissen; er ging auch ein regelrechtes Bündnis mit diesen Neureichen ein. Dafür hatte er ebenfalls verständliche Gründe. Denn die Härte des Übergangs erzeugte so viel nostalgische Sympathie für die Anwälte der alten Ordnung, dass er um seine Wiederwahl bangen musste. Ob sein Gegenkandidat, der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Gennadi Sjuganow, tatsächlich realistische Chancen hatte, gewählt zu werden, mag man bezweifeln. In jedem Fall versicherte sich Jelzin der Unterstützung der Superreichen. Auf Auktionen ging im Vorfeld der Wahl vom Juni 1996 weiterer Staatsbesitz, namentlich Erdölfelder und sonstige Rohstofflagerstätten jenseits des Ural, zu Spottpreisen (in Relation zum tatsächlichen Wert) in private Hände über. Damit wurde eine Allianz immer sichtbarer, die ebenfalls wenig geeignet war, die Masse der Bevölkerung für die neue Ordnung zu gewinnen. Im Gegenteil, sie bestätigte die antikapitalistischen Ressentiments geradezu, die das alte Regime zur Ideologie erhoben hatte.
Hinzu kam, dass Jelzin nun auch physisch erkennbar abbaute. Sein Alkoholproblem war seit langem bekannt. Kurz nach seiner Wiederwahl musste ihm ein mehrfacher Bypass gelegt werden. Offensichtlich wurde, dass er seinem Amt nicht mehr gewachsen war. Das hätte der neuen Ordnung nicht schaden müssen, wenn sein Verfall nicht der eines royalen Regenten gewesen wäre, der die beinahe üblichen Erscheinungen hervorbrachte: unkontrollierte Macht für Gehilfen und Satrapen in der hohen Bürokratie samt Vetternwirtschaft und Korruption. Was in der späten Breschnew-Ära notorisch war, kehrte nun zurück. Bei Großaufträgen für die Kreml-Renovierung siegte, wer am meisten zahlte. In der Schweiz tauchten limitlose Kreditkarten des Jelzin-Clans auf. Die "Familie", in bewusster Analogie zur Mafia so genannt, zu der auch millionenschwere Geschäftsfreunde wie Boris Beresowski gehörten, wurde zur Krake von Staat und Wirtschaft. Im April 2000 ergab eine demoskopische Stichprobe, dass nur 18 Prozent der Befragten positiv über den ersten Präsidenten des neuen Russland urteilten. Und dennoch wird man sich schwer tun, Jelzin und seine Politik gänzlich für gescheitert zu erklären. Man muss in Rechnung stellen, dass er unter schwierigen Bedingungen antrat und einem riesigen Staat eine neue politische Ordnung geben musste, dessen Gesellschaft zutiefst zerrissen war. Wer hätte diese Herkulesaufgabe besser und mit weniger Opfern bewältigen können? Vielleicht wäre er gut beraten gewesen, die Macht schon 1996, als der sichtbare Verfall begann, abzugeben. Aber an wen? Putins Bilanz
Diese ambivalente Bilanz trat nicht zuletzt in der Art und Weise zutage, wie Jelzin seine Nachfolge regelte. Denn es war bezeichnend, dass er es offenbar auf einen demokratischen Wahlkampf nicht ankommen lassen wollte. Stattdessen entschied er sich, vorzeitig zurückzutreten und die präsidialen Kompetenzen bis zum kurz bevorstehenden Ende der Amtsperiode einem Bevollmächtigten zu übergeben. Auch diesen Auserkorenen, den er damit zugleich für die Neuwahlen im März 2000 in eine Favoritenrolle brachte, zog er aus dem Hut. Wladimir Putin, der mit dem ersten Tag des neuen Jahrtausends die kommissarischen Amtsgeschäfte übernahm, war zwar kein Anonymus, sondern vormaliger Chef des Geheimdienstes FSB (dessen Vorläuferorganisation KGB er angehört hatte) und aktueller Ministerpräsident. Aber als solcher amtierte er erst seit September. Ein weithin bekannter und erfahrener Politiker war auch Putin nicht. Aber der neue Mann hatte sich nach verheerenden Terroranschlägen auf Wohnblocks in Moskau, die fast 250 Todesopfer forderten, als Krisenmanager bewährt und Jelzin beeindruckt. Bereits in diesem, vom beginnenden zweiten Tschetschenienkrieg begleiteten Wahlkampf setzte er sich als Mann von Recht und Ordnung in Szene und erzeugte jenes Bild von sich, dem er seine Popularität verdankte: einer zupackenden Führungspersönlichkeit, die versprach, dem Staat wieder Autorität zu verschaffen, den Ausverkauf der nationalen Reichtümer zu beenden und den inneren wie äußeren Niedergang der einstigen Supermacht aufzuhalten. Damit trat Putin mit einem Programm an, das faktisch ankündigte, die Scherben wieder zusammenzufügen, die sein Förderer hinterlassen hatte. Er war Jelzins Kreatur und Antipode zugleich - und vielleicht deshalb innenpolitisch unleugbar erfolgreich.
Man wird Putin nicht vorwerfen können, untätig geblieben zu sein. Im Gegenteil, die ersten konkreten Schritte folgten schon im Sommer 2000. Sie ließen schnell erkennen, worin die angekündigte "grundlegende Erneuerung" des Staates bestehen sollte: vor allem darin, die Macht wieder und weiter beim Präsidenten zu bündeln. Zugleich ließ Putin die Einrichtungen und grundlegenden Bestimmungen der Verfassung unangetastet; formal blieben Demokratie und Gewaltenteilung als Kennzeichen und Errungenschaft der postsowjetischen Ordnung erhalten. Man hat diese Doppelbödigkeit mit dem Begriff des "Para-Konstitutionalismus" zu kennzeichnen versucht. Was gemeint ist, liegt auf der Hand: dass man nach außen hin den Schein wahrte, aber die Kompetenzen der regulären Organe aushöhlte, indem man sie neuen, vom Präsidenten geschaffenen und abhängigen Gremien übertrug.
Vor allem folgende Maßnahmen haben zu diesem Ergebnis geführt:
(1) Nicht zufällig zuerst hat Putin die Zusammensetzung des Föderationsrats verändert. Diese zweite Kammer des Parlaments war 1993 zusammen mit der Duma eingerichtet worden, um den Regionen eine Stimme zu geben. Sie spiegelte eine Entwicklung aus den letzten Unionsjahren, die man durchaus als neues Selbstbewusstsein bezeichnen kann. Im Maße, wie die Zentralgewalt verfiel und ihre hauptsächlichen Klammern: Partei, Armee und Geheimdienst ihren Dienst versagten, klagten nicht nur die Republiken ihr (seit 1924) verfassungsmäßig verbrieftes Recht auf Austritt aus der Union ein. Auch russische Regionen forderten mehr Eigenständigkeit, um (wie Jakutien) größere Verfügungsrechte über ihre Rohstoffressourcen (und deren Verkauf) zu erhalten. Im Zuge der Bildung des neuen Staates hatte Jelzin - wie zuvor Gorbatschow - Zugeständnisse machen müssen, die ihr Ziel (mit Ausnahme Tschetscheniens) nicht verfehlten, die Beschenkten von einer Sezession abzuhalten. Komplementr zur Schwäche des Zentrums entstand in Russland ein Regionalismus, wie es ihn in seiner gesamten Geschichte nur im letzten halben Jahrhundert des Zarenreichs gegeben hatte. Keiner Begründung bedarf, dass Demokraten in und außerhalb des Landes darin eine große Chance erkannten. Der Föderationsrat, in den die 83 territorialen Einheiten des immer noch riesigen neuen Staates je zwei Delegierte entsenden, verlieh dem Ausdruck.
Eben dieser Föderalismus war Putin und seiner Mannschaft ein Dorn im Auge. Sie hielten die regionale Unabhängigkeit für überzogen und betrachteten sie als wesentliche Ursache für "anarchische" Fehlentwicklungen. Das Remedium war einfach. Zum einen veränderte er die Zusammensetzung des Föderationsrats, nicht quantitativ, sondern "qualitativ". Statt der Gouverneure und regionalen Parlamentspräsidenten selber nahmen seit August 2000 nur noch deren Delegierte, mit weniger Gewicht und weniger Kompetenzen, auf seinen Bänken Platz. Zugleich schuf Putin eine neue Zwischenebene aus sieben "Föderationskreisen" mit Generalgouverneuren an der Spitze, die von ihm ernannt wurden und den Gouverneuren vorgesetzt waren. Da ein so riesiger Staat wie der russische aber ohne Mitwirkung der Regionen nicht zu regieren ist, war er klug genug, eine Art Ersatzgremium einzurichten. Der "Staatsrat" nützte beiden: der Zentrale, um sich zu informieren und lokale Kompetenz in Anspruch zu nehmen, den Regionen, um ihre Interessen zu äußern - aber als Bitte in einer präsidialen Kommission, nicht als Anspruch in einer Parlamentskammer.
Nach dieser Entmachtung der Gouverneure ließ Putin sich mit der förmlichen Zeit. Sie blieb aber nicht aus: Er nutzte das Geiseldrama von Beslan im September 2004, um im "Kampf gegen den Terrorismus" auch die Zentralisierung voranzutreiben. Im folgenden Jahr wurde die 1996 von Jelzin eingeführte Direktwahl der Gouverneure wieder abgeschafft; seither werden sie "auf Vorschlag" des Präsidenten von den Regionalparlamenten gewählt, also faktisch zentral ernannt.
(2) Entschiedener als Jelzin, der dies nach 1996 ebenfalls schon betrieben hatte, gingen Putin und seine Umgebung daran, eine eigene Partei zu gründen, um die Duma zu kontrollieren. Aus "Unser Haus Russland" wurde im Dezember 2001 das "Einige Russland". Die alt-neue Partei bewährte sich schon bei den Wahlen zwei Jahre später, als sie knapp 37,6 Prozent der Stimmen errang. Vier Jahre später erreichte Putin endgültig, was er wollte - eine Zweidrittelmehrheit der Mandate (bei 63,5 Prozent der Stimmen) und vollständige Kontrolle. Konkurrierende Parteien, ohnehin eine Minderheit, wurden an den Rand gedrängt. Politischer Pluralismus ist im System Putin nicht erwünscht. Der nichtssagende Name spricht Bände. Einzige Aufgabe von "Einiges Russland" ist es, Zustimmung für den Präsidenten zu mobilisieren, nicht etwa, eine kritische Kontrollfunktion auszuüben.
(3) Ähnlich energisch ging Putin gegen den politischen Einfluss der "Oligarchen" vor. Gerade hier ist bemerkenswert, dass er sich damit gegen jene wandte, die seinen Aufstieg mitgetragen haben. Auch das mag die Verbitterung erklären, mit der dieser Machtkampf geführt wurde (und wird). Beresowski floh ins Ausland. Der einst reichste Russe, Michail Chodorkowski, sitzt für lange Jahre hinter Gittern und darf realistischerweise nicht darauf hoffen, freigelassen zu werden, solange Putin regiert. So sehr lag dem Präsidenten an der Niederringung dieses Gegners, dass er die Instrumentalisierung der Justiz für seine Zwecke nicht scheute. Nirgendwo ging er ein so großes Risiko ein, die Fiktion von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie zu entlarven, wie in diesem Verfahren.
Die anderen Superreichen haben diese Lektion verstanden. Zwar ist die Allianz von Geld und Macht nicht beendet. Putin hat keine Anstalten gemacht, die Wirtschaftsordnung zu Ungunsten ihrer größten Profiteure zu ändern, und Letztere hüten sich, mit der ohnehin kaum wahrnehmbaren Opposition zu liebäugeln. Aber das Bündnis hat sich in eine Hierarchie verwandelt, in der klar ist, wer befiehlt und wer gehorcht.
Auch wenn das Machtinteresse außer Frage steht, sollte man nicht übersehen, dass Putin bei der Disziplinierung der "Oligarchen" auf breite Zustimmung der Bevölkerung rechnen konnte. So wie er die geistige Leerstelle, die der Bankrott der kommunistischen Ideologie hinterließ, durch nationalistische Parolen füllte, so war er Populist genug, um den tief sitzenden Soupçon der einfachen Leute zu nutzen, die Anhäufung so märchenhafter Reichtümer in so kurzer Zeit könne nicht mit rechten Dingen zugegangen sein. Dass sich viel Geld aus dunklen Kanälen in schnelles Gold verwandelte und die Steuermoral der neuen Milliardäre sehr zu wünschen übrig ließ, war gängige Meinung. Ob Putin dies tatsächlich geändert und auch die Loyalen, die sich unterwarfen, gezwungen hat, ihren fiskalischen Pflichten korrekt nachzukommen, weiß nur der Finanzminister. Vor allem in seinen ersten Amtsjahren, letztlich aber bis zur internationalen Bankenkrise war er auch nicht gezwungen, jeden Rubel einzutreiben. Die Explosion des Ölpreises bescherte dem Staat unerwartete Einnahmen. Putin war gut beraten, diese auch für Rentenerhöhungen und sonstige Hilfen für die große Masse armer Leute und die einfache Bevölkerung zu verwenden. Diese dankte es ihm; an seiner tatsächlichen Popularität ist nicht zu zweifeln.
Dies gilt, obwohl Putin (4) nicht zuletzt auch gegen die "vierte Gewalt" im Staat, Presse und Medien, vorging. Faktisch ungeschützt, weil keine Instanz zu sehen ist, die eingreifen könnte, ist sie von der geballten Macht des Kreml und staatsnaher Konzerne weitgehend gleichgeschaltet worden. Die Besitzer kritischer (oppositioneller wäre schon zu viel gesagt) Fernsehsender wurden ausgebootet und an die Kandare gelegt. Mehrere Journalisten - nicht nur die bekannteste, Anna Politkowskaja - mussten ihren Mut mit dem Leben bezahlen. Zwar darf die ein oder andere Zeitung noch abweichende Meinungen äußern, aber sie bedienen damit nur einen kleinen Leserkreis. Auch die freie Meinungsäußerung, in der Perestroika einst Symbol des Abschieds vom Alten, existiert inzwischen nicht mehr.
Die Hoffnung war groß, dass sich manches an diesem System mit dem Ende der zweiten Amtszeit Putins und dem Übergang der Präsidentschaft an Dmitri Medwedew ändern würde. Der neue Mann zeigte ein freundlicheres Gesicht und hielt manche Rede, die auf Reformen hoffen ließ. Aber tatsächlich verändert hat er nichts. Der letzte Optimist dürfte indes enttäuscht worden sein, als das Tandem - Freunde seit ihren Studienjahren, was man nicht vergessen sollte - vor wenigen Monaten ankündigte, im kommenden Jahr die Rollen tauschen zu wollen. Diese Variante hat es im neuzeitlichen Russland noch nicht gegeben: eine einvernehmliche Doppelherrschaft. Urteil
Aus historischer Perspektive liegt immer die Versuchung nahe, die skizzierte Entwicklung an Traditionen und Strukturen der longue durée zurückzubinden. Wenn man ihr nachgibt - durchaus im Bewusstsein, dass sich das Urteil in wenigen Jahren ändern kann , fällt natürlich ins Auge, was überall nachzulesen ist: Der autoritär-bürokratische Zentralstaat ist zurück.
Demokratie, Regionalismus und Föderalismus gaben sich ein kurzes Stelldichein, als die "imperiale" Gesamtgewalt zusammenbrach. Aber sie brachten eine Freiheit und ein Eigenleben hervor, die aus zentraler Sicht nicht als Vielfalt, sondern als dysfunktionale, den Gesamtstaat gefährdende Eigensucht wahrgenommen wurden. Korruption, Schlendrian, Verarmung und die Aversion gegen eine hauchdünne Minderheit von Gewinnlern taten ein Übriges, um tief eingewurzelten, historisch dominanten Gegenkräften breite Unterstützung und wieder Oberhand zu verschaffen.
In Russland hat es nie eine starke, eigentätige und politisch aktive Gesellschaft gegeben. Ansätze waren vor 1914 sichtbar geworden, aber Revolution und Bürgerkrieg (1917-1921) haben ihre Träger vernichtet oder in die Emigration getrieben. Die Perestroika hat dies, wie man mit Hinweis auf den Massenwiderstand gegen den August-Putsch behauptet hat, geändert. Putins "koordinierte Demokratie" und "Vertikale der Macht" lehren, dass diese Mobilisierung einer wachsamen, active society wohl von geringer Nachhaltigkeit war.
Vgl. Archie Brown, Seven Years that Changed the World. Perestroika in Perspective, Oxford 2007.
Kategorien bei: George W. Breslauer, Gorbachev and Yeltsin as Leaders, Cambridge 2002.
Beste Biographie: Timothy J. Colton, Yeltsin. A Life, New York 2008.
Vgl. G.W. Breslauer (Anm. 2), S. 308.
Vgl. Richard Sakwa, Putin. Russia's Choice, London-New York 2004, S. 16.
Vgl. T.J. Colton (Anm. 3), S. 447.
Vgl. G.W. Breslauer (Anm. 2), S. 312.
Vgl. R. Sakwa (Anm. 5), S. 12ff.
Text ebd., S. 251ff., hier: S. 254.
Vgl. Richard Sakwa, Putin's Leadership: Character and Consequences, in: Europe-Asia Studies, 60 (2008), S. 889.
Vgl. Richard Sakwa, A Cleansing Storm: The August Coup and the Triumph of Perestroika, in: Journal of Communist Studies, 9 (1993), S. 131-149; Margareta Mommsen, Putins "gelenkte Demokratie": "Vertikale der Macht" statt Gewaltenteilung, in: Matthias Buhbe/Gabriele Gorzka (Hrsg.), Russland heute. Rezentralisierung des Staates unter Putin, Wiesbaden 2007.
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0 | Der Ton seiner Stimme glich mehr einem Befehl als einer Bitte. Schon
wollte Irma herausfordernd den Kopf in den Nacken werfen, und ohne
etwas zu erwidern, den Arm des jungen Offiziers nehmen, als Hans sie
ernst und streng anschaute. Ohne sich Rechenschaft darüber abzulegen,
fühlte sie unwillkürlich seine Überlegenheit. Sie zürnte sich selbst,
daß sie gehorchte, und nahm widerstrebend die Begleitung von Hans an. | 233 |
0 | "Richtig", sagte er, "er war in jener Nacht wie unsinnig. Eine
wunderliche Nacht! Du hattest mir's doch sehr angetan, Fenice. Ich
weiß, daß ich keine Ruhe hatte, als du gar nicht wieder ins Haus
zurückkommen wolltest, daß ich aufstand und dich draußen suchte. Dein
weißes Kopftuch sah ich, und dann nichts mehr von dir, denn du
sprangst in die Kammer neben dem Stall." | 234 |
0 | Und der Abend kam, wo das alte Kleid vor mir lag. Ein leiser Duft von
Jasmin stieg aus den Falten, und seine Bänder und Schleifen, seine
grünen Blätter und roten Rosen sahen mich an, wie lauter lebendig
gewordene Erinnerungen. In leisen Melodien raschelte die Seide: »O la
marquise Pompadour -- Elle connait l'amour --«. Durch das Mieder, das
sich eng um meinen Körper schmiegte, spürte ich den Arm, der mich einst
so zärtlich an sich gezogen hatte. | 235 |
1 | Weibliche Doppelspitze in der Linkspartei : „Wir sind nicht niedlich“
Keine Spielerei: Katharina Schwabedissen, Chefin der Linkspartei in NRW, will eine weibliche Doppelspitze. Und Oskar Lafontaine als Berater.
Nicht niedlich: Linke Frauen. (rechts: Katharina Schwabedissen) Bild: dapd
taz: Frau Schwabedissen, ist die Linkspartei schon ganz kaputt oder noch reparabel?
Katharina Schwabedissen: Natürlich reparabel. Nur weil wir eine Wahl verloren haben, geht doch Partei Die Linke nicht kaputt.
Deshalb nicht. Aber weil sich die Flügel, Ost und West, mit solcher Inbrunst verachten.
Das stimmt nicht. Uns in Nordrhein-Westfalen haben viele GenossInnen aus dem Osten im Wahlkampf unterstützt. Dass es eine Spaltung in Ost und West gibt, das stimmt schlicht nicht.
Aber Dietmar Bartsch gegen Oskar Lafontaine – da sausen doch zwei Züge aus Ost- und Westdeutschland aufeinander, letzter Halt in Göttingen.
Katharina SchwabedissenDie 39-jährige gelernte Krankenschwester hat Philosophie und Geschichte studiert. Seit 2008 ist sie Landessprecherin der Linkspartei NRW. Sie war bei der Wahl Spitzenkandidatin. Die Linke erreichte 2,5 Prozent und flog aus dem Landtag.
Nein, die beiden verkörpern unterschiedliche Politikvorstellungen. Aber es gibt auch viele in der Partei, die sagen: Wir brauchen eine andere Form der Personalfindung. Die Partei diskutiert das derzeit lebhaft. Das ist gut so.
Ist dieses Schauspiel, dieser Mann-gegen-Mann-Showdown, nicht genau die Art von Politik, die viele Bürger nervt?
Das kann man so pauschal nicht sagen. Die SPD-Troika tritt in trauter Eintracht auf, aber innerparteilich wird gerangelt, wer Kandidat wird. Das wird ja auch nicht als der Niedergang der SPD verstanden, sondern als Streit unter drei Jungs. Was mich stört ist, dass es noch immer die männliche Dominanz gibt. Wir leben im 21. Jahrhundert! Es gibt fähige Frauen in der Linken. Wir müssen mal darüber reden, ob es in Ordnung ist, dass zwei Männer über die Führung streiten, und daneben darf eine Frau drapiert werden.
Das ist jetzt die Inszenierung: Bartsch und Lafontaine suchen die Frau an ihrer Seite aus dem anderen Lager …
Und sie finden derzeit keine. Die Frauen reden derzeit lieber miteinander darüber, was sie wollen. Das ist gut so.
Was halten Sie von Katja Kippings Idee einer Frauenspitze?
Find ich großartig.
Wären Sie dabei?
Wir diskutieren im Moment – gemeinsam. Wir reden aber auch weiter mit Dietmar Bartsch und Oskar Lafontaine. Es ist nicht so, dass wir uns nur streiten. Es ist auch nicht so, dass dieser Konflikt, wie manche Medien nahelegen, zum Niedergang der Linken führen wird.
Ist die Frauenspitze eine realistische Möglichkeit – oder eine Spielerei, geboren aus der Blockade, die sich zwischen Bartsch und Lafontaine abzeichnet?
Warum soll eine Frauenspitze denn eine Spielerei sein? Wir hatten in den ersten Jahren mit Lafontaine und Lothar Bisky ja auch eine Männerspitze. Es ist offenbar noch immer so, dass Frauen auf dem politischen Parkett als niedlich angesehen werden. Sind wir nicht. Wir sind nicht das schmückende Beiwerk an der Seite eines Mannes. Wir meinen es ernst.
Gibt es nicht auch für eine Frauenspitze die Gefahr, dass wenn Lafontaine nicht Parteichef wird, er die graue Eminenz im Hintergrund ist, gegen den nichts geht?
Das Bild ist schräg. Oskar Lafontaine zieht nicht im Hintergrund die Fäden. Er hat diese Partei mit aufgebaut, er hat enormen politischen Spürsinn, viel Erfahrung, keiner kann so Themen setzen wie er. Wir brauchen ihn als Berater.
Ist Lafontaine denn noch so unumstritten wie 2009? Oder gibt es mehr Distanz, weil er doch sehr taktisch die beiden Niederlagen in Kiel und in Düsseldorf abgewartet hat?
Das ist nicht die Frage, die die Partei bewegt. Es ist eher die Frage, ob es nicht Zeit für eine neue Generation ist. Das heißt nicht, dass Oskar Lafontaine weg soll, er soll als politischer Berater da sein. Ich finde, es ist Unfug zu sagen: Wer das Angebot von Oskar Lafontaine Parteivorsitzender zu werden ablehnt, ist gegen ihn. Niemand stellt seine Verdienste infrage. Aber wir diskutieren, ob es nicht besser ist, wenn auch andere Gesichter dieses Projekt vorantreiben – mit Oskar Lafontaine, nicht gegen ihn.
Also nicht Bartsch oder Lafontaine, sondern eine dritte Lösung?
Ja, das sage ich schon seit Jahren.
Und das ist realistisch?
Ja, nicht im Nahkampf gegen Dietmar Bartsch und Oskar Lafontaine. Die Partei muss den Weg zu einer dritten Lösung gemeinsam finden.
Was können Frauen an der Spitze denn besser als Männer?
Frauen sind in politischen Führungsposition nicht grundsätzlich besser. Sie sind keine besseren Menschen. Wir brauchen auch nicht auf Biegen und Brechen eine Frauenspitze. Ich fände es aber eine gute, sympathische Abwechslung. Das würde auch zeigen: Unsere Partei bricht mit der Form der patriarchalen Organisationen.
Wie muss sich die Linkspartei verändern, um wieder Erfolg zu haben?
Wir sind in Nordrhein-Westfalen von einem Wahlkampf in den andern getrudelt. Was wir ein bisschen versäumt haben, ist die Verankerung vor Ort. Daran ist niemand Schuld, aber es ist es so. Wir müssen viel mehr im Alltag der Menschen präsent sein, damit wir einen Gebrauchswert haben. Im Osten haben wir das, im Westen müssen wir das jetzt angehen.
Können Sie etwas von den Piraten lernen?
Manches machen wir ja schon länger. Aber wir sollten noch klarer machen, dass Widerspruch nichts Schlechtes ist. Wenn wir mal keine gemeinsame Meinung haben – na, dann haben wir eben keine. | 236 |
0 | Hier ist Gelegenheit, eine Legenden-Parallele an der gleichfalls
unbeachteten Gestalt einer andern deutschen Gauheiligen aufzuzeigen. Es
ist dies die Kraichgauer und Tiroler Heilige Notburga, von deren Cultus
Schnezler, Bad. Sagb. 2, 587, und Zingerle, Tirol. Sitt. no, 964
berichten. Auch sie zähmte wilde Ströme, lehrte Acker- und Weinbau,
pflegte und speiste die Armen, verstand sich auf die Heilkunde, hat ihre
mehrfachen Grabkirchen und Taufbrunnen und lebt, wie die hl. Verena,
mehr in der stillen Volksverehrung als im theologischen Gedächtnisse
fort. Als Viehmagd diente sie im Tiroler Schlosse Rothenburg im untern
Innthal und hatte die Schweine zu füttern. Für jeden Armen sparte sie
sich eine Schürze voll Brod und einen Becher Weins auf; wenn aber ein
geiziger Späher sie darüber anhielt, verwandelte sich die Gabe in
Hobelscheiten und in Sautränke. Als sie auf dem Bauernhofe Eben im
Unterinnthal diente, kam dort mit ihr der alte Segen in den gesunknen
Hausstand zurück; wollte man sie jedoch über die Feierabendzeit im Felde
fortarbeiten lassen, so machte sie das Gesinderecht geltend, hob die
Sichel in die Höhe, liess sie aus und diese blieb in der Luft hängen.
Sie ist die Patronin der Dienstmägde geworden, wie sie selbst in ihrem
Geburtsdorfe Ameres als Magd gestorben ist. Vor ihren Leichenwagen
spannte man zwei weisse Stiere und liess sie gehen, wohin sie wollten.
Als sie an den brückenlosen Inn kamen, wich der Fluss zurück und liess
Wagen und Leichengefolge trocknen Fusses hinüberschreiten. Jenseits auf
dem Ebenberge, wo die Stiere anhielten, begrub man die Jungfrau und
errichtete eine Kapelle über dem Grabe, die seit 1434 zur
Wallfahrtskirche vergrössert wurde. Auch ihre ehemalige Magdkammer im
Schlosse Rothenburg ist in eine Kapelle umgebaut worden. Panzer, BS. 2,
no. 62. Als Notburga ins Kraichgau kam, überschwamm sie auf einem
schneeweissen Hirschen den Neckar und verbarg sich in einer Höhle, die
beim würtemberger Dorfe Hochhausen gezeigt wird. Vom Schlosse Hornberg
her überbrachte ihr der Hirsch täglich das Brod, ans Geweih gespiesst,
und mit seinem Geweih schaufelte er der Sterbenden ihr Grab. Jetzt noch
zeigen die Kraichgauer übers Feld hin den Weg, welchen das treue Thier
einschlug. Ueber die hl. Rategundis von bair. Wolfratshausen berichtet
Jac. Schmid, Leben hl. Hirten und Bauern (Augsb. 1750) 3, 16, als
Dienstmagd auf dem Schlosse Wellenburg bei Augsburg habe sie Milch und
Butter von ihrer täglichen Kost sich abgespart und den Aussätzigen des
nächsten Siechenhauses zugetragen; als der argwöhnische Schlossherr sie
auf dem Wege dahin betraf und untersuchte, verwandelte sich Butter und
Milch in ihrer Schürze in einen Strehl und in warme Lauge. | 237 |
0 | Getty Images
US Open 2023: Jabeur, Pegula weiter, Garcia scheidet aus
Dienstag, 29.08.2023, 21:35
Während mit Ons Jabeur und Jessica Pegula zwei der Mitfavoritinnen sicher in die zweite Runde der US Open 2023 eingezogen sind, musste sich WTA-Weltmeisterin Caroline Garcia gleich zum Auftakt verabschieden.
Ons Jabeur hat bei den US Open wie schon vor ein paar Wochen in Wimbledon eine Finalteilnahme zu verteidigen. Und die Tunesierin startete im Louis Armstrong Stadium standesgemäß, besiegte Camila Osorio aber doch mit einiger Mühe mit 7:5 und 7:6 (4). Als Zweitrunden-Gegnerin wartet auf die Tunesierin nun die junge Tschechin Linda Noskova, die sich gegen Madison Brengle ganz sicher mit 6:2 und 6:1.
SDTV-USOPEN2023-1
Auf Jabeur folgte im zweitgrößten Stadion Madison Keys, die 2017 im Endspiel der US Open gestanden hat (und dort gegen Sloane Stephens untergegangen ist). Keys startete souverän, gewann gegen Arantxa Rus aus den Niederlanden mit 6:2 und 6:4.
Hier gibt’s alle Tennis-News
Nicht viel Tennis im Arthur Ashe Stadium
Nicht viel Tennis bekamen die Zuschauer der Day Session im Arthur Ashe Stadium zu sehen: Nachdem Daniil Medvedev gegen Attila Balasz nur zwei Spiele abgegeben hatte, gewann Jessica Pegula, die am höchsten gereihte US-Amerikanerin im Feld, gegen Camila Giorgi sicher mit 6:2 und 6:2.
Ausgeschieden ist dagegen Caroline Garcia, die im vergangenen Jahr noch die WTA Finals in Fort Worth für sich entscheiden konnte. Garcia unterlag Yafan Wang aus China mit 4:6 und 1:6.
Hier das Einzel-Tableau bei den US Open 2023
nycmap
*Der Beitrag "US Open 2023: Jabeur, Pegula weiter, Garcia scheidet aus" wird veröffentlicht von tennisnet.com. Kontakt zum Verantwortlichen hier.
tennisnet.com | 238 |
0 | Eisner war bei den Arbeitern sehr beliebt. In der Erregung über seine
Ermordung drang der Metzger Aloys _Lindner_ und der Bäcker Georg Frisch
in den Landtag ein. Lindner feuerte mehrere Schüsse auf den Minister
Auer, der ein politischer Gegner Eisners war, da er glaubte, daß Auer
mit der Ermordung Eisners zusammenhänge. Gleichzeitig fiel ein Schuß von
der Tribüne, der den Abgeordneten _Osel_ tötete. Als Major v. Gareis
sich Lindner entgegenstellte, schoß Lindner auch auf ihn und tötete ihn.
Lindner flüchtete mit Hilfe von Karl Merkerts und Georg Schlunds ins
Ausland. Deutsch-Oesterreich lieferte ihn aber aus, unter der Bedingung,
daß er nicht zum Tode verurteilt werde, da die Todesstrafe dort
abgeschafft ist. Der Angabe Lindners, daß er sich v. Gareis gegenüber in
Notwehr befunden habe, maß das Gericht keinen Glauben zu. Lindner wurde
wegen versuchten Totschlags und wegen erschwerten Totschlags am 15.
Dezember 1919 zu 14 Jahren Zuchthaus verurteilt. Frisch wegen versuchten
Totschlags zu 3-1/2 Jahren Gefängnis verurteilt, Merkert und Schlund
erhielten wegen Begünstigung 1-1/2 bzw. 2 Monate Gefängnis mit
Bewährungsfrist. (Prozeßberichte in den »Münchener Neuesten
Nachrichten«, 9. bis 15. Dezember 1919.) | 239 |
0 | Stalknecht.
Ich war ein armer Stallknecht in deinem Marstall, König, wie du
noch ein König warst; und da ich unlängst nach York reisen mußte,
so hab' ich um die Erlaubniß angesucht, meinen ehmaligen Herrn
sehen zu dürfen. O wie weh that mir's im Herzen, wie ich in den
Strassen von London, an dem Krönungs-Tag zusehen mußte, wie
Bolingbroke auf dem weiß- und roth getüpfelten Barber, euerm
Leibpferd, ritt; auf diesem Pferd das ihr so oft geritten, und das
ich mit so grosser Sorgfalt abgerichtet hatte. | 240 |
0 | Zur festgesetzten Stunde konnte man in einem weiten Saale des königlichen
Palastes die vlaemischen Ritter mit ihrem alten Grafen erblicken. Ihre
Waffen hatten sie im Vorzimmer ablegen müssen. Heitere Zufriedenheit sprach
aus ihren Zügen, als ob sie sich schon im voraus der gelobten Gnade
freuten. Das Antlitz Robrechts van Bethune hatte freilich einen anderen
Ausdruck. Es zeigte bitteren Groll, rasende Wut. Der mutige Vlaeme konnte
nicht ertragen, wie hochmütig die Franzosen dreinschauten, und ohne die
Liebe zu seinem Vater hätte er gar manchen deshalb zur Rechenschaft
gezogen. Der Zwang der Not bedrückte ihn; bei genauer Beobachtung hätte man
merken können, daß er die Hände rang, als wollten sie Fesseln sprengen. | 241 |
0 | Sieg hat er gekündet, was zweifelst du noch ... ausrotten soll man diese
Kleinmütigen ... ich hab es gehört ... ich auch ... ich auch ... er
sagte, daß sie Nabukadnezar schlugen ... inmitten seines Zeltes, sagte
er ... nein, das hat er nicht gesagt ... ja ... nein... aber Sieg hat er
gekündet ... frei ist Israel ... frei ... | 242 |
0 | Unter den Bildnissen gibt das in München entstandene „Selbstbildnis
mit dem fiedelnden Tod“ (Taf. 37) wohl die tiefsinnigsten Andeutungen
über den melancholischen Unterton seiner enthusiastischen Kunst. Den
äußeren Menschen, wie er in der Blüte der Jahre den Freunden erschien,
verkörpert am besten das etwas spätere, in Florenz entstandene, das
unser Titelblatt ziert. In jenen letzten Jahren, da der Verfasser
ihn noch hat sprechen können, bot er einen ehrwürdigen Anblick und
überraschte durch sein sachliches, fast nüchtern zu nennendes Urteil.
Nur die Augen verrieten sofort die außerordentliche Erregbarkeit. Er
verband mit der Genialität „jene kleinbürgerliche, fast philiströse
Schlichtheit“, eine Mischung, die man mit Ad. Frey gewiß als etwas
spezifisch Schweizerisches bezeichnen darf. Aber nur der Rock war
schlicht. Sein Geist hatte die Flügel der Morgenröte und es war ihm
vergönnt, dem Gesang der Seligen zu lauschen, wenn er sich auf stolzen
Fittichen von der Erde erhob. | 243 |
1 | Irischer Spitzenpolitiker vor Karriereende: Ein politisches Risiko
Der Republikaner Gerry Adams steht in der Kritik, weil er seinen pädophilen Bruder deckte. Gegner vermuten, dass er noch mehr Leichen im Keller hat.
Vom Charismatiker zum Störfaktor: Sinn Féin-Präsident Gerry Adams. Bild: dpa
DUBLIN taz | Gerry Adams ist der charismatischste Politiker Irlands. Doch seine Tage an der Sitze der irischen Politik könnten gezählt sein. Der Präsident von Sinn Féin, dem politischen Flügel der inzwischen aufgelösten Irisch-Republikanischen Armee (IRA), ist zu einem Wahlrisiko geworden. Er hat seinen pädophilen Bruder Liam Adams nicht nur Jahrzehnte lang gedeckt, sondern ihm auch zu Jobs mit Jugendlichen verholfen. Und er hat beim Prozess gelogen.
In den inoffiziellen Biografien von Adams heißt es, dass er schon mit 23 Jahren Bataillonskommandeur war. Das große Vertrauen, das er bei seinen Leuten genoss, war die Voraussetzung für den Friedensprozess, auf den Adams seit Ende der achtziger Jahre hingearbeitet hatte und der 1998 ins Belfaster Abkommen mit Machtbeteiligung aller großen Parteien mündete. Kein anderer hätte es geschafft, die Organisation trotz zahlreicher Rückschläge zu einen.
Die Taten seines Bruders und sein eigenes Verhalten kosten ihn nun wohl die Karriere. Liam Adams hatte 1977 begonnen, seine Tochter Áine zu vergewaltigen. Damals war sie vier. Die Vergewaltigungen hörten erst 1983 auf. Zu der Zeit hatte sich Adams Frau Sally bereits von ihm getrennt, weil er sie wiederholt misshandelt hatte.
Áine erzählte ihrer Mutter aber erst 1987 von den Vergewaltigungen, nachdem ihr Vater erneut geheiratet und mit seiner Frau Bronagh eine Tochter bekommen hatte. Sie befürchtete, dass ihr Vater auch dieses Mädchen missbrauchen würde. Die Anzeige bei der Polizei zog sie jedoch schnell wieder zurück, als die Beamten versuchten, sie als Spitzel gegen die eigene Familie anzuwerben.
Statt ihn anzuzeigen, besorgte er ihm einen Job
Gerry Adams behauptete im Prozess, er habe den Kontakt zu seinem Bruder abgebrochen und 15 Jahre lang nichts von ihm gehört. Das stellte sich als Lüge heraus: Die Anklage legte Dutzende von Fotos aus diesem Zeitraum vor, auf denen die beiden Brüder in herzlicher Umarmung zu sehen sind.
Im Jahr 2000 gestand Liam Adams seinem Bruder schließlich, dass Áine die Wahrheit gesagt hatte. Zu der Zeit war das Belfaster Abkommen unterzeichnet, die Polizeireform hatte längst begonnen, doch statt ihn anzuzeigen, besorgte Gerry Adams seinem Bruder einen Job in Belfast – in einem Jugendclub. Liam Adams ist kein Einzelfall. Laut Aussagen ehemaliger Parteimitglieder hat Sinn Féin 2005 eine interne Untersuchung anberaumt, die mehr als 100 Anschuldigungen von sexuellem Missbrauch gegen Mitglieder der Partei oder der IRA nachging. Gerry Adams soll die Untersuchung geleitet haben. Sinn Féin bestreitet, dass es eine solche Untersuchung gegeben habe.
Soll für Bombenanschläge verantwortlich sein
Die junge Garde von Sinn Féin hat mit den alten Kämpfen nichts mehr am Hut, sie will nach den Wahlen 2016 an die Macht, doch dazu muss sie koalitionsfähig sein. Adams ist dabei ein Störfaktor, denn womöglich hat er noch andere Leichen im Keller. Ehemalige Kampfgenossen haben schwere Anschuldigungen vorgebracht. So soll er 1972 für den „Bloody Friday“ verantwortlich sein: An dem Tag explodierten in Belfast 26 Bomben binnen 80 Minuten, 11 Menschen starben, 130 wurden verletzt. Außerdem soll er angeordnet haben, mehrere Menschen, die nach Ansicht der IRA für die britische Armee spioniert hatten, töten und dann verschwinden zu lassen. Manche der Leichen wurden bis heute nicht gefunden.
Adams Nichte Áine sagte nach dem Prozess, dass „der Bart“, wie sie ihren Onkel nennt, mehrmals versucht habe, sie davon abzuhalten, mit den Medien zu sprechen. „Er behauptete, er wolle mich schützen“, sagte sie. „In Wirklichkeit ging es ihm nur um seinen eigenen Ruf.“ Áine brach 2009 den Kontakt zu Gerry Adams ab. Ihr Vater wurde im vorigen Monat von den Geschworenen für schuldig befunden. Das Strafmaß steht noch aus. | 244 |
0 | Als allererstes die Nudeln 5 Min. in kochendem Wasser garen lassen, dann abschrecken und abtropfen lassen.Mohrrüben und Paprikaschoten putzen und klein schneiden (welche Form, bleibt Euch überlassen).In einem Wok Öl erhitzen (ich nehme immer Erdnussöl, aber das ist Geschmackssache) und die Mohrrüben darin glasig anbraten. Dann Paprikastücke, Zuckerschoten und Sojasprossen dazugeben und auch anbraten lassen. Zum Schluss die Nudeln wieder mit zufügen. Fisch- und Austernsauce sowie die Chilipaste unterrühren. Abschließend noch mit ein bisschen Zucker abschmecken. Heiß servieren.Tipp: Man kann natürlich auch frische Chilischoten mit hinein geben, aber das bleibt Euch überlassen. | 245 |
1 | Theresa May nach dem Vertrauensvotum: Erst Brexit, dann Mexit
Die britische Premierministerin hat ein Vertrauensvotum überstanden – um den Preis eines Rücktrittsversprechens.
Verlässt die Downing Street möglicherweise bald for good – Theresa May Foto: imago/i Images
LONDON taz | Nach der Wahl ist vor der Wahl. Großbritanniens Premierministerin hat am Mittwochabend die Vertrauensabstimmung ihrer konservativen Parlamentsfraktion zwar gewonnen, aber zugleich den Startschuss für den Kampf um ihre Nachfolge abgegeben. Indem sie in einer Fraktionssitzung vor der Abstimmung bekräftigte, die Konservativen nicht in die nächste Parlamentswahl führen zu wollen, machte sie deutlich: Ihr braucht einen neuen Chef – spätestens zum nächsten regulären Wahltermin im Jahr 2022, wenn nicht deutlich früher.
May siegte mit 200 zu 117 Stimmen. Die konservative Parlamentsfraktion, die am Mittwochmorgen noch 315 stimmberechtigte Abgeordnete zählte, hatte rechtzeitig zur Abstimmung zwei wegen Sexskandalen suspendierte Mitglieder wieder aufgenommen und zählte damit wieder 317.
Ein klarer Sieg ist Mays Ergebnis nur, wenn man davon absieht, dass 142 der 317 Abgeordneten auf der Gehaltsliste der Regierung oder der Partei stehen – als Minister, Staatssekretäre, Ministerialberater und Parteifunktionäre. Die 117 Nein-Stimmen dürften überwiegend aus den Reihen der 175 Hinterbänkler stammen, die in keinem Abhängigkeitsverhältnis zum Machtapparat stehen. Also haben möglicherweise um die zwei Drittel von diesen die Premierministerin abgelehnt.
Das erklärt, warum der Wortführer der Brexit-Hardliner unter den Hinterbänklern, Jacob Rees-Mogg, die Premierministerin nach ihrem Sieg umgehend zum Rücktritt aufforderte. May ist ab jetzt offiziell Premierministerin auf Abruf. „Zu Weihnachten gibt’s lahme Ente“, titelte das Boulevardblatt Daily Mirror.
Zu wichtig zum Taktieren
Dass Theresa May die Tories nicht in die nächste Wahl führen will, hat sie schon öfter gesagt, aber erst jetzt scheint es einer breiteren Öffentlichkeit aufzufallen. Schon am Mittwochmorgen betonte die Parteichefin: Es geht nicht um den nächsten Spitzenkandidaten, sondern darum, wer den Brexit umsetzt. Heißt: Winkt endlich meinen Brexit durch, dann seid ihr mich los.
Allerdings ist der Brexit vielen Konservativen viel zu wichtig für solches Taktieren. Der Brexit-Deal, den May mit der EU ausgehandelt hat, ist derzeit klinisch tot, aus inhaltlichen Gründen. Mangels Mehrheitsaussichten legte May am Montag das parlamentarische Ratifizierungsverfahren auf Eis, nach jetzigem Stand bis ungefähr Mitte Januar.
„Zu Weihnachten gibt’s lahme Ente“, titelte der „Daily Mirror“
Wenn der Deal bis zum 21. Januar nicht ratifiziert ist, geht die Initiative für weitere Schritte an das Parlament über. Sollte weder ein neues Verhandlungsmandat für die Regierung, ein zweites Referendum oder ein Antrag auf Verlängerung der Austrittsfrist oder gar auf Absage des Brexit eine Mehrheit im Parlament finden – und nichts spricht momentan für eine Einigung auf irgendeine dieser Optionen –, verlässt Großbritannien die EU gut zwei Monate später ohne Abkommen.
EU will Backstop „entmystifizieren“
Eine Mehrheit für einen Brexit-Vertrag kann bis 21. Januar nur entstehen, wenn dem Parlament dann ein anderer Vertrag vorliegt als bisher. Die EU aber schließt jede Neuverhandlung des im November vereinbarten Deals kategorisch aus. Rechtsverbindliche Zusätze zur Befristung oder Abmilderung des umstrittenen Backstop für Nordirland, wie May sie zur Vermeidung einer dauerhaften unfreiwilligen britischen Mitgliedschaft in der EU-Zollunion fordert, will die EU keineswegs gewähren.
Die EU sei bereit, „zusätzliche Versicherungen“ zum Backstop zu geben, sagte am Donnerstag zum Auftakt eines EU-Gipfels in Brüssel Angela Merkel. Allerdings könne man das Abkommen nicht ändern. Der niederländische Regierungschef Marc Rutte sagte, die EU wolle dazu beitragen, den Backstop zu „entmystifizieren“, allerdings könne man keine rechtlichen Garantien geben, da dies den Austrittsvertrag „aufbrechen“ würde. Die bereits ausgearbeitete Abschlusserklärung des Gipfels enthält keine belastbaren Garantien für die britische Seite.
So herrscht weiter Stillstand – sowohl beim Brexit als auch bei den Konservativen. Und May darf sich weiter fragen, warum sie sich zwar durchsetzt – aber nichts umsetzt. | 246 |
0 | Die menschenblasse Rose legte ich
Auf deine kalten, überkreuzten Hände,
Und strich dein Haar zurück und pflegte dich,
Ob ich dein jubelnd Leben wiederfände.
Im Zimmer, irrgeflogen, regte sich
Ein Schmetterling, die alte Grablegende.
Dein Sarg schloß zu, der Kummer fegte mich
In fernes Land aus trostlosem Gelände. | 247 |
0 | Polizeidirector! schnarrte Limmerik -- wenn ich Dich nicht gleich erkennte,
Roßborn, Dich, den -- Du weißt schon -- Du wirst es gleich wissen, wer Du
bist, wenn ich Dir sage, Roßborn, ich bin Limmerik mit dem schiefen Halse;
Du weißt schon, wovon er schief ist! Ein Glaube ist des andern werth! Soll
ich Dir allein glauben, Du seist Polizeidirector, so sei so gütig, uns
Allen zu glauben: Wir sind Ausgewanderte! -- | 248 |
1 | Volksentscheid Münchner Flughafen: "Koa Dritte"
München lehnt die dritte Startbahn des Flughafens ab. Die Initiatoren des Volksentscheids sind glücklich, Betreibergesellschaft und Landesregierung weniger.
Auch weiterhin im Anflug auf eine der nur zwei Landebahnen: Flugzeug am Münchner Flughafen. Bild: dapd
MÜNCHEN taz | Die Münchner BürgerInnen haben am Sonntag den umstrittenen Bau der geplanten dritten Start- und Landebahn am Flughafen im Erdinger Moos per Bürgerentscheid verhindert.
Laut dem vorläufigem Endergebnis stimmten 54,3 Prozent gegen das rund 1,2 Milliarden Euro teure Projekt. 45,7 Prozent waren dafür. Nun muss die Stadt München, die neben Bayern und dem Bund Mitanteilseignerin ist, in der Gesellschafterversammlung gegen den Bau votieren.
Flughafen-Chef Michael Kerkloh bedauerte den Ausgang des Bürgerentscheids und sprach von einem negativen Signal für München und den gesamten Freistaat Bayern. Es sei nun schwieriger, die vor 20 Jahren begonnene Erfolgsgeschichte des Airports weiterzuführen. „Die Münchner denken nicht so weit in die Zukunft, wie sie es tun sollten“, sagte der Flughafenchef.
Bayerns Staatsregierung unter CSU-Chef Horst Seehofer hatte ebenso wie der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) massiv für den Ausbau geworben. Durch diesen sollte die Kapazität des Flughafens von 90 auf 120 Starts und Landungen pro Stunde erhöht werden.
Nötig ist der Ausbau nach Auffassung der Befürworter, weil der Flughafen nach Prognosen bald an seine Kapazitätsgrenzen stößt. So werden für dieses Jahr an die 40 Millionen Passagiere in München erwartet, bis 2025 soll die Zahl auf über 58 Millionen und damit ähnlich viele wie derzeit am größten deutschen Flughafen Frankfurt steigen.
Doch eine politische Stadt
Auf Seiten der Ausbaugegner indes war die Freude über den Ausgang des Entscheids groß. „Die Münchnerinnen und München haben Solidarität mit dem Umland bewiesen“, sagte die Sprecherin des Bündnisses „München gegen die 3. Startbahn“ Katharina Schulze der taz. Sie hätten gezeigt, dass ihnen die Nachhaltigkeit bei Infrastrukturprojekten am Herzen liege und das ökonomische Prinzip Wachstum um jeden Preis abgewählt.
Insgesamt beteiligten sich 32,8 Prozent der 1,04 Millionen Wahlberechtigten an dem Bürgerentscheid. „In Herbst wurden wir noch belacht“, so Schulze. „Aber jetzt hat sich gezeigt, dass München doch eine politische Stadt ist.“
Im Vorfeld der Abstimmung war immer wieder befürchtet worden, dass den MünchnerInnen der Ausbau des Flughafens egal sein könnte, denn von den negativen Auswirkungen einer dritten Startbahn sind sie kaum betroffen. Die unmittelbaren Anwohner durften bei der Abstimmung am Sonntag nicht mitentscheiden, weil nur die Stadt München, nicht aber die Umlandregion, über eine Stimme in der Gesellschafterversammlung der FMG verfügt. Deshalb hatte die Anwohnerinitiative AufgeMuckt das Bürgerbegehren gemeinsam mit den Münchner Grünen initiiert.
An den Bürgerentscheid ist die Stadt München nun ein Jahr lang gebunden. Oberbürgermeister Christian Ude (SPD), der im nächsten Jahr bayerischer Ministerpräsident werden will, machte aber im Vorfeld deutlich, dass das Votum für die Stadt „eine endgültige Bedeutung“ habe. | 249 |
1 | Vor ein oder zwei Jahren war es kaum möglich, einen Text über die Zukunft, Potentiale und Gefahren der Digitalisierung zu finden, der nicht mit dem Begriff "Big Data" durchsetzt war. Von ihm gingen die Betrachtungen potentieller digitalisierter Zukunft aus: "Big Data" würde bisher unlösbare Aufgaben durch bloße Datengewalt bezwingen. Im Gegenzug warnten Datenschützer: Der Einzug von Technologien, die auf Big Data Analysen basieren, würde dazu führen, dass immer mehr und mehr Daten über Menschen gesammelt und ausgewertet würden, die Kontrolle über die eigene digitale Repräsentation (Stichwort Informationelle Selbstbestimmung) ginge verloren und Menschen würden immer mehr vom handelnden Subjekt zum reinen Objekt undurchschaubarer und versteckter Datenanalyse.
Nachdem der Begriff nun langsam an Popularität verliert, lohnt es zu fragen: Was ist aus dem Hype-Thema geworden?
Was wirklich in Big Data steckt
Typisch für in der öffentlichen Wahrnehmung derart dominanter Begriffe ist, dass sie eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Konzepte bzw. Interpretationen kanalisieren. Erst durch dieses Zusammenfließen sehr unterschiedlicher Ansätze können viele, sehr technische und damit oft für die Allgemeinheit undurchsichtige, Begriffe eine breite Anschlussfähigkeit entwickeln. Solche Hype-Begriffe entwickeln oft die Tendenz zu einer Art diffusen Heilsversprechen à la "In nur wenigen Jahren wird das vorliegende Konzept viele akute Probleme wie Magie gelöst haben."
Unter dem Begriff "Big Data" subsummierten sich vor allem drei Aspekte: Aus Sicht der Informatik eher überschaubare Datensammlungen, neuartige Analyseverfahren für extrem große und heterogene Datenmengen sowie ein fundamentaler Paradigmenwechsel für die methodische Herangehensweise innerhalb von Softwaresystemen, Wissenschaft und Journalismus. Einfache, große Datensammlungen "Big Data" zu nennen, war dabei maßgeblich ein Ausdruck des Zeitgeistes und des Wunsches, Teil einer technologischen Avantgarde zu sein. In diesem Zusammenhang wird der Begriff heute kaum noch verwendet.
Die im Big Data Kontext popularisierten Analysevorgehen (wie beispielsweise das viel zitierte map/reduce-Verfahren), mit denen es möglich wurde, anhand großer, heterogener Datenmengen Abfragen und Analysen durchzuführen, haben dagegen ihren Weg in den technologischen Mainstream gefunden. Ob im Bereich sozialer Netzwerke oder bei der Analyse von Sensordaten in industriellen Kontexten – heute finden sich die technischen Innovationen, die unter dem Big Data Label in den Fokus gerückt wurden, im Werkzeuggürtel einer großen Menge von Entwicklern und Entwicklerinnen. Big Data aus dieser Perspektive heraus ist insofern "Normalität" geworden, dass der Begriff, der diese Technologien als besonders charakterisierte, weit in den Hintergrund getreten ist.
Gemischte Gefühle
Big Data als analytische Methode hat seine Effektivität bei der Lösung sehr spezifischer Probleme bewiesen: Musik- und Filmportale z. B. empfehlen ihren Kunden mittels Big Data Analysen Medieninhalte, die auf deren Vorlieben basieren. Aus Daten über Clicks und Verweildauern auf Webseiten generieren Werbetreibende hochspezifische Nutzerprofile und leiten aus ihnen die nächsten Werbeaktivitäten vollautomatisch ab. Nachrichtenportale nutzen dieselben Daten zur Optimierung ihrer Inhalte auf ihre anvisierte Zielgruppe hin.
Die Wahrnehmung dieser "Lösungen" ist sehr unterschiedlich: Während die Menschen mit dynamisch generierten individualisierten Musikvorschlägen oft sehr zufrieden sind, stoßen auf möglichst viele Clicks optimierte, mit manipulativen Überschriften versehene Artikel (so genannter "Clickbait") oft auf Kritik und Widerstand. Vorausgesetzt, sie werden überhaupt als Clickbait wahrgenommen.
An der Ursache vorbei
Die Diskussion um unterschiedliche Arten der Big Data Analysen ist allerdings in den letzten Jahren deutlich abgeflaut. Das ist sicher auch darin begründet, dass die Generalität, also die Verdrängung klassischer Lösungsansätze, die in optimistischen Artikeln über Big Data Verfahren noch vor Jahren als quasi unausweichliche Entwicklung dargestellt worden war, sich nicht bewahrheitet hat. Die rein statistische Korrelationsanalyse, die Big Data charakterisiert, hat die traditionelle Theorie- und Modellbildung nicht ersetzt, sondern hat sich als weiterer Ansatz etabliert.
Komplexer wird die Einschätzung allerdings, wenn es um den Einfluss von "Big Data" auf das dominierende Erkenntnisparadigma geht. Traditionelle Wissenschaft funktioniert, in dem ein kausales Modell eines Problems entwickelt und dieses mit empirischen Daten überprüft. Es wird versucht, die wirklichen Zusammenhänge zu benennen und abzubilden. Big Data Ansätze hingegen fokussieren statt auf Kausalität (Ursache) auf Korrelation (Zusammenhang). Das heißt sie beschränken sich auf die Frage, ob bestimmte Datenmuster "zusammen" (also zum Beispiel zu einem ähnlichen Zeitpunkt) auftreten. Aus dieser abstrakten "Nähe" wird ein kausaler Zusammenhang propagiert, der dann oft auf neue Kontexte angewendet wird.
Analyse ohne Zusammenhang
Während der Ansatz bei Netflix oder Amazon möglicherweise harmlos wirken mag, so ist er im wissenschaftlichen, journalistischen oder auch sozialen Kontext problematisch. Plattformen wie Facebook tragen zur selektiven Wahrnehmung der Wirklichkeit durch die Auswahl der Inhalte bei, die den Nutzern angezeigt werden. Damit haben sie großen Einfluss auf die individuelle Meinungsbildung.
Hier übernehmen Big Data Analysen eigentlich journalistische Funktionen, ohne sich journalistischen Standards zu unterwerfen. Auch Aussagen aus der Wissenschaft, die auf Big Data Analysen fußen, werden im öffentlichen Diskurs gerne als Wahrheit aufgenommen und als normativ gesetzt. Die Öffentlichkeit fordert von Wissenschaft eine Erklärung der Welt, eine Analyse der Zusammenhänge, die Big Data Analysen nicht zu liefern im Stande sind. Hier kann der Erfolg und die große Verbreitung von Big Data Technologien langfristig zum Problem werden, wenn den Datenanalysespielereien und Visualisierungen keine Modellbildung folgt.
Wenn per Big Data Analyse festgestellt wird, dass junge schwarze Männer, die häufig in Drogendelikten involviert sind, gerne Hip Hop hören, dann wird die Polizei junge schwarze Männer, die öffentlich Hip Hop hören, auch ohne Verdacht eher auf Drogenbesitz hin kontrollieren als andere. So wird eine rassistische, diskriminierende gesellschaftliche Struktur ohne die Beleuchtung von sozialen, ökonomischen oder politischen Hintergründen durch eine scheinbar objektive Analyse legitimiert und fortgeschrieben. Die reine Korrelation erzeugt hier eine Scheinwahrheit.
Eine Technologie von vielen
Insgesamt hat sich der Begriff Big Data heute weitgehend in neuen Hype-Begriffen der Technologiebranche aufgelöst: "Predictive X" (zum Beispiel als “Predictive Policing”), "Machine Learning" oder auch der alle paar Dekaden wieder populäre Begriff der "künstlichen Intelligenz". Sie haben den Begriff Big Data in den Hintergrund gedrängt, auch wenn die neuen Hypes oft auf den Entwicklungen der Big Data Technologien aufsetzen - mit allen ungelösten Fragen und sozialen Problemen. Die riesigen Erwartungen, die mit dem Begriff verbunden waren, haben sich nicht komplett bewahrheitet. In wie weit der viel beschworene “Death of Theory”, das weitgehende Ersetzen von erklärenden, kausalen Modellen durch reine Korrelationen, eintreten wird, ist allerdings immer noch offen. | 250 |
0 | BRENDEL (fasst sie zart am Handgelenk). Daß die Frau, die ihn liebt,
fröhlich in die Küche geht und ihren feinen rosaweißen kleinen Finger
abhackt, -- =hier=, -- just hier am Mittelglied. Item, daß bemeldetes
liebendes Weib -- wiederum fröhlich -- sich dies so unvergleichlich
geformte linke Ohr abschneidet. (Lässt sie los und wendet sich zu
ROSMER). Leb wohl, Johannes der Siegreiche. | 251 |
1 | dpa/Kay Nietfeld/dpa
Philipp Amthor, CDU-Bundestagsabgeordneter, will Friedrich Merz zum CDU-Chef wählen.
FOCUS-online-Gastautorin Eva Ullmann
Dienstag, 23.03.2021, 17:22
Aus der Sicht einer Humorexpertin wäre Wolfgang Kubicki der ideale FDP-Kanzlerkandidat. Doch so weit wird es nicht kommen. Wer ist sonst noch in der Politik für einen Lacher gut? Ein Rhetorik- und Humor-Check des politischen Spitzenpersonals von Eva Ullmann, Gründerin des Deutschen Instituts für Humor.
Es kann kein Zufall sein, dass Pop-Titan Dieter Bohlen in seiner musikalischen Kunstwelt „Deutschland sucht den Superstar“ geschasst wird, während ein schottischer Postbote mit einem kleinen Seemannslied zum Weltstar wird. Ganz ohne Plattenindustrie und „Superstar“-Klimbim. Einfach so. Was für die Musikcharts Nathan Evans’ „Wellerman“ ist, ist in den deutschen Politik-Charts Winfried Kretschmann – und ein bisschen auch Malu Dreyer.
„Unverwechselbarkeit“ ist wieder schwer angesagt. War auch nie richtig out. Denn wer zu Höherem in der Politik strebt, darf kein Blässling sein. Er muss Profil zeigen und im besten Fall Persönlichkeit und Klarheit. Denn mal ehrlich: Sie wollen doch auch, dass Kapitän – oder Kapitänin – wissen, wo sie hinwollen und wie sie um den Eisberg kommen.
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Wie wichtig bei diesem Kapitänsversprechen eine überzeugende Rhetorik und Humor sind, möchte ich an unserem politischen Spitzenpersonal aufzeigen, denn beides ist vertrauensbildender als sich viele Miesepeter eingestehen wollen.
Wer Humor hat, dem traut man etwas zu
Ein Beispiel, wie man es richtig macht – und bundesweit bekannt wird: Dr. Jovana Dzalto trat auf Platz 5 der Landesliste der LINKEN bei der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz an. Ein Foto von ihr sorgte vor der Wahl für Lacher: Dzalto steht neben ihrem Wahlplakat, auf dem ihr ein Bart angemalt wurde, ebenso ein schwarzer Zahn und eine riesige Augenbraue. Man schaut nach rechts und schmunzelt. Denn Frau Dzalto hat sich genauso angemalt wie ihr beschmiertes Plakat. Lohn des humorvollen Auftritts: Das Bild geht viral.
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Im Prinzip ist die Gleichung in der Forschung einfach: Wer Humor hat, beweist damit eine ausgebildete Persönlichkeit. Der Effekt: Man traut ihm oder ihr etwas zu. Das ist wichtiger als jedes Parteiprogramm und in der Regel auch nachhaltiger als die harte Hand bei Entscheidungen. Mit der kann man zwar kurzfristig in Umfragen glänzen, wird dann aber häufig dennoch nicht gewählt.
Laschi und Lauti – Lauterbach wird zur Spaßbremse
Beginnen wir mit der Union, bei der nach Umfragen der Fall klar ist: Für eine große Mehrheit hat Bayerns Ministerpräsident Markus Söder das Zeug zum Kanzler. Nordrhein-Westfalens Regierungschef Armin Laschet trauen dies – je nach Umfrage – noch nicht einmal die Hälfte der Befragten zu. „Populär ist glaube ich immer noch die Haltung, alles verbieten, streng sein, die Bürger behandeln wie unmündige Kinder." So platzte dem neuen CDU-Chef Armin Laschet kürzlich der Kragen angesichts der fortwährenden Debatte über verschobene Inzidenzwerte. Und offenbarte damit mehr politischen Instinkt als ihm viele zutrauen.
Laschet hat das Image, nicht zu wissen, wo er hinwill. Doch während seine politischen Gegner darüber feixen, ist Laschet längst NRW-Ministerpräsident und CDU-Chef geworden. Weil er weiß, dass man mit Emotionen und nicht mit harter Hand punktet. Die menschliche Geschichte von der Münze seines Papas ist für viele politische Beobachter wahlentscheidend beim CDU-Parteitag gewesen. Allein sein Körper ist mehr Aachen als München. Es ist nie besondere Klugheit, die ihn auszeichnet, sondern diese Wurschtigkeit bei gleichzeitig „verantwortungsvoller Politik“, wie sie in der WDR 2-Radio-Comedy „Laschi und Lauti“ karikiert wird.
WDR
Laschet mit seiner Laschheit ist dort der Gegenpart zur Spaßbremse und Warnsirene Karl Lauterbach. Die politische Bilanz bislang: Zwar hat Lauterbach in der Pandemie fast immer Recht gehabt. Doch „Laschi“ ist Parteichef und Ministerpräsident, „Lauti“ nur „SPD-Gesundheitsexperte“.
Söder: „Das hätte man dem Friedrich vorher sagen sollen
Markus Söder ist rhetorisch trittsicherer als Laschet. Seine Mission: Als starker Krisenmanager Bayern aus der Corona-Krise führen. Als Träger des Karl-Valentin-Ordens ist er überzeugt: „Humor braucht man in der Politik“. Er ist seinen Landsleuten mit seiner Selbstironie sympathisch. Ein Beispiel: Sein erster Schultag sei sehr spannend gewesen. Doch sei er entsetzt gewesen, als ihn seine Mutter am nächsten Tag wieder hinschicken wollte.
Manche in Bayern haben immer noch nicht verstanden, warum Söder nun so „grün“ daherredet, während er früher doch eigentlich rechts überholen wollte. Söder nimmt es mit Humor und sagt zum Beispiel am politischen Aschermittwoch: „In der CSU kann man nur was werden, wenn man ein ‘S‘ im Namen trägt. Strauß, Stoiber, Seehofer. In der CDU nur, wenn man ein ‘A‘ hat - Angela, Annegret, Armin. Das hätte man dem Friedrich vorher sagen sollen."
Beide Unions-Kandidaten haben gute Chancen auf das Kanzleramt. Auch wenn sie sich humortechnisch von Philipp Amthor noch etwas Schärfe zum passenden Zeitpunkt abgucken könnten. Amthor nimmt gerne und regelmäßig schlechte AfD-Anträge auseinander: „Sie fahren mit dem Antrag auf einem Bobbycar. Das reicht aber nicht für die Formel-1-Politik im Bundestag.“
Baerbock lacht mal und grübelt nicht nur
Grünen-Chef Robert Habeck steht für eine friedfertige Rhetorik. Pöbeln ist so gar nicht seins. Er will Zuversicht ausstrahlen. Und fordert ein ganz neues Denken. Friedlich formuliert, aber doch radikal. Man traut dem Polit-Schöngeist zwar motivierende Reden zu und strömt zu Hunderten in seine Auftritte, aber so richtig als Bundeskanzler? Als Kapitän, der erst noch nachdenken will, bevor er um den Eisberg steuert? Habeck könnte seinen Sturz noch vor sich haben, vorausgesetzt er wird überhaupt Spitzenkandidat für die Bundestagswahl – irgendwann zwischen Ostern und Pfingsten. Die Deutschen stimmen zwar in Umfragen für ihn, aber im Wahllokal?
Hendrik Schmidt/zb/dpa
Die Grünen-Chefs Annalena Baerbock und Robert Habeck (Archivbild)
Da könnte das burschikos-patente Modell
Annalena Baerbock viel besser punkten. „Lady First“ traut sich auch auf Bühnen, an denen sie nicht mit tosendem Applaus begrüßt wird. Wenn Christian Lindner zum Arbeitgebertag vor allen Unternehmern der Grünen-Chefin das Scheitern der Jamaika-Koalition vorwerfen will, kontert sie schmunzelnd und geschickt: „Das Trauma sitzt wohl tief“ - und hat die Lacher auf ihrer Seite. Dann verweist sie den FDP-Chef auf seinen Platz und signalisiert: Solche binnenpolitischen Spielchen gehören nicht an diesen Ort. Baerbock schafft pragmatisch Fakten. Sie lacht mal und grübelt nicht nur, sie hat Ahnung vom Alltag. Und muss nicht künstlich „auf wild“ machen, wie es tragische Polit-Stars wie Friedrich Merz (Motorrad), Christian Lindner (3-Tage-Bart) und früher mal Rudolf Scharping (neues Brillenmodell) versucht haben.
Gottschalk half auch sein Humor, seine Leichtigkeit
Ob im TV-Studio oder im Bundestag - der Blick zurück und nach vorn offenbart immer wieder eines: Deutschland mag keine Stars. Deutschland mag Typen, die auch nebenan wohnen oder zumindest dort wohnen könnten. Thomas Gottschalk war der letzte, dem man seine mondäne Zweit-Heimat Malibu deshalb durchgehen ließ, weil er doch im Herzen und mit seiner Ausstrahlung immer noch der locker flockige Bub aus Kulmbach war.
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Wer „dem Thommy“ mal begegnet ist, der spürt, wie sehr diese Nahbarkeit zu seinem Erfolgsrezept geworden ist. Ob nun Madonna oder der Wettkönig aus Bietigheim: Das ist ihm wurscht. Er spricht mit beiden auf Augenhöhe. Und: Gottschalk half auch sein Humor, seine Leichtigkeit, die es unter den heutigen Showgrößen nicht mehr gibt. Pflaume, Pilawa, Hirschhausen – oder gar Jan Böhmermann: Da wirkt jeder Lacher kalkuliert und konstruiert. Und wer zu „gemacht“ ist, der geht über kurz oder lang baden:
Deutsche wollen solide Politik-Arbeiter und keine Superhelden
Ex-Verteidigungsminister Rudolf Scharping ging planschend im Pool in Liebe mit Gräfin Pilati unter - wegen eines turtelnden BUNTE-Interviews inmitten der Balkan-Krise. Auch ein geschickt inszeniertes neues Brillenmodell machte aus Scharping keinen Menschenfischer wie Gerhard Schröder.
CDU-Vordenker Norbert Röttgen versucht es schon gar nicht mehr mit Bratwurst-Essen und Leutseligkeit und bleibt beim Visionären, weil er mit seinem intellektuell-distanzierten Auftreten bereits den NRW-Landtagswahlkampf und in Folge sein Amt als Bundesminister vergeigt hat.
Was lernen wir daraus? Deutsche wollen solide Politik-Arbeiter und keine Superhelden. Fährt der Nachbar Porsche oder hat das schönere Haus, denkt man hierzulande nicht wie in den USA: Klasse, das schaffe ich auch! Sondern eher: Mist, warum nicht ich? Alles weitere erledigt und zersetzt der Neid. Friedrich Merz musste das zuletzt bitter erkennen, obwohl auch dessen Umfragewerte „an der Basis“ immer eindeutig waren. Doch weibliche Delegierte überzeugt man heutzutage nicht mit dem Verweis, dass seine Frau ihn wohl nicht vor 40 Jahren geheiratet hätte, wenn er die Frauen und ihre Belange nicht im Blick hätte.
Getty Images
Ob es für Friedrich Merz einen Platz am Kabinettstisch von Armin Laschet gibt? Sieht eher unwahrscheinlich aus.
Auch
Helmut Kohl, anfangs als „Regionalpolitiker aus Oggersheim“ und „Birne“ verspottet, zeigte allen Kritikern mit 16 Jahren Kanzlerschaft, wie schmackhaft Birnen aus regionalem Anbau dann doch sind.
Spontane Schlagfertigkeit gelingt Laschet gegen Merz
Markus Söder sagte mal spöttelnd über SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz, er habe eher die Gabe Blutdruck zu senken als ihn steigen zu lassen. Was in diesen hysterischen Zeiten kein ganz falscher Ansatz sein muss. Scholz ist kein Superheld, sondern zuverlässig und immer da, wenn man ihn braucht. Wäre er nicht genau so ein Polit-Arbeiter als Kanzler? An dieser Stelle darf man Bodenständigkeit nicht mit Farblosigkeit verwechseln. Bei allem, was dieser Macht-Techniker an Ruhe ausstrahlt: Er wirkt farblos. Ihm würden humorvolle Geschichten in seinen Reden oder ein spontaner Konter für die Sichtbarkeit gut tun.
Diese spontane Schlagfertigkeit gelingt auch Laschet gegen Merz, obwohl dieser viel dominanter und selbstbewusster scheint. Oder eben auch arrogant, wie ihn die Bevölkerung durch seine Kühle oft wahrnimmt. Und da gewinnt scheinbar perfekte Rhetorik nicht immer, wie wir bei der Wahl zum CDU-Vorsitz erleben durften. Durchschnitt „sells“.
Kubicki: „CO2-Ausstoß bei Ärger sehr viel höher“
FDP-Chef Christian Lindner wird bewundert für seine rhetorische Schlagfertigkeit. Wir erinnern uns bei der letzten Bundestagswahl an seinen Auftritt an der Universität, wo er lautstark von protestierenden Studierenden unterbrochen wurde. Gelassen lässt Lindner sie zu Wort kommen. Als sie dann gehen, wirft er ihnen vor, laut zu widersprechen, aber dem Gegner dann nicht zuzuhören. Der ganze Saal grölt und ist auf Lindners Seite. Doch oft wird er auch zu übermütig: Seine Verabschiedung von Generalsekretärin Linda Teuteberg wurde zum Altherrenwitz.
Humor ist im 20. Jahrhundert ein gängiges Instrument in der Spitzenpolitik geworden. Doch auf die Dosis kommt es an. Wenn jemand für den geschickten Einsatz von Humor steht, dann FDP-Vize Wolfgang Kubicki. Er hat als Vizepräsident des Bundestages in einer hitzigen Debatte mal gesagt: „Meine Damen und Herren, ich weiß, das ist ein sehr emotionales Thema. Wie Sie wissen, ist jedoch Ihr CO2-Ausstoß bei Ärger sehr viel höher. Also lassen Sie uns das Ganze doch weiter mit entsprechender Sachlichkeit diskutieren.“
Foto: dpa-Bildfunk/Frank Molter
Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki.
Ebenderselbe Kubicki hat bei dem Aufruf Erdogans an in Deutschland lebende Türken, die Wahlen zu verweigern, jedoch auch gepostet: „Es braucht keinen Erdogan, um CDU, Grüne und SPD nicht zu wählen.“ Das erste Kubicki-Beispiel ist sogenannter sozialer (ungefährlicher) Humor, das zweite Beispiel ist aggressiver Humor. Zuerst sorgt er für Entspannung, dann für Aufmerksamkeit. Das nennt man bewussten Humoreinsatz. Aus der Sicht einer Humorexpertin wäre Kubicki der ideale Kanzlerkandidat.
Mit philosophischen Debatten erreicht man keine Mehrheiten
Die neue LINKE-Chefin Janine Wissler wird für ihre punktgenaue Schlagfertigkeit geehrt und gefürchtet. Ihre globalisierungskritischen Netzwerke fordern, dass die unterdrückten Klassen sich den gesellschaftlichen Reichtum kollektiv aneignen. Im Hessischen Landtag forderte sie regelmäßig dazu auf, weniger über eigene Befindlichkeiten zu sprechen. Janine Wissler ist rhetorisch klar in ihren Forderungen, klar in der Forderung von Würde und Sozialer Gerechtigkeit und das sichert ihr Stimmen. Allerdings gelingt es ihr nicht mal beim Politischen Aschermittwoch, humorvoll zu sein. Maximal ein Steuerhinterzieher-Witz über Wahlhelfer geht ihr über die Lippen. Man möchte ihr zurufen, dass nichts anstrengender ist, als sich selbst zu ernst zu nehmen. Da könnte sie sich ein paar Tricks von der eingangs erwähnten Kollegin Dzalto abschauen. Das würde ihr sicherlich Wahlstimmen sichern.
Ihre Co-LINKE-Chefin Susanne Hennig-Wellsow möchte wie Habeck lieber über Chancen als über Gefahren sprechen. Die neue Normalität bedeutet für sie: Ausbau des Öffentlichen, mehr Solidarität und Respekt für die Demokratie. Mit ihren Forderungen nach Sicherheit und gleichzeitig Freiheit tritt sie für eine radikale linke Politik ein. So radikal, wie manchem mittleren Bürgertum die Linken erscheinen, fordern sie doch ohne Unterlass als Einzige konsequent den Frieden. Trotzdem wirken ihre Reden eher wie philosophische Debatten und weniger wie politischer Alltagspragmatismus. So erreicht man keine Mehrheiten.
In den 68ern konnten die Linken noch Humor: „Alle reden vom Wetter. Wir nicht“. Heute könnten die Linken einen Hauch Humor vertragen. Denn als dieses starke Frauen-Duo im Februar an die Spitze der Linken gewählt wurde, redeten alle übers Wetter und nicht über die neue Parteispitze. Eine Portion Humor würde auch hier für Aufmerksamkeit sorgen. Man sehnt sich zurück nach Gregor Gysi, der das Spiel mit Humor perfekt beherrschte und damit weit über die Anhängerschaft der LINKEN hinaus punkten konnte.
Bei Stammtisch-Lachern der AfD will man nicht wirklich dabei sein
Seufz. Wenn es doch so einfach wäre. Die AfD-Spitzenpolitiker Alexander Gauland und Alice Weidel wollen Menschen rhetorisch glauben machen, dass bei nationalen Interessen und Ausländer-Stopp alle Probleme von selber verschwänden. Zunächst konnten sie mit dieser radikalen Meinung auch rhetorisch viele Menschen hinter sich bringen. Man muss nicht mal aus einer Region kommen, die den DDR-Sozialismus und die Abwesenheit von Menschen mit Migrationshintergrund hinter sich gelassen hat, um zu wissen, dass dann nicht alle Sorgen einfach verschwinden. Denn Zusammenleben und Demokratie bedeuten Freiheiten, aber auch Pflichten zu haben. Dabei ist Weidel rhetorisch gut ausgebildet, aber schlecht vorbereitet. AfD-Anträge werden in der Regel solide zerpflückt - und die Partei verliert sich immer wieder in innerparteilichen Streitigkeiten.
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Wenn alle rhetorische Ausbildung grundsätzlich in eine radikale rechte und fragwürdige Richtung geht, wünscht man sich sehnlichst sehr wenig Prozentpunkte für diese Kandidaten. Und bei den Stammtisch-Lachern, die gesammelt werden, wenn die Kameras ausgeschaltet sind, will man auch nicht wirklich dabei sein.
Fazit: Mehr Humor für ein Super-Wahljahr benötigt
Die Deutschen suchen nach Verbundenheit und Verlässlichkeit, nicht nach Extremen. Sie entscheiden sich – wenn es wirklich drauf ankommt – für die Arbeiter und nicht für die Chefs. Ein Journalist griff Angela Merkel einst an und sagte: „Dieses Kleid hatten Sie schon vor zehn Jahren an.“ Angela Merkel antwortete: Ich bin auch nicht angetreten, um auf dem Laufsteg zu brillieren, sondern um gute Politik zu machen.“ Wenn wir von dieser Art Humor mehr im politischen Alltag hätten, wird es wirklich ein Super-Wahljahr.
Frühling nimmt Fahrt auf: Wann und wo sich die Sonne zu Ostern zeigt
The Weather Channel
Frühling nimmt Fahrt auf: Wann und wo sich die Sonne zu Ostern zeigt | 252 |
0 | Guido beruhigte sich aber dabei nicht. Er hatte nachgedacht, ob man nicht
über den Erdwurf feuern könne, ohne das Haupt dem feindlichen Geschoß zum
Ziel darzubieten. In der Optik fand er ein Mittel zu diesem Zweck. Er ließ
sich ein hakenförmiges Sehrohr fertigen, das die Lichtstrahlen in einen
Winkel brach, und sein Feuerrohr mit einem gebogenen Kolben versehn. Nun
blieb er ganz hinter der Erdwehr liegen, und sah durch sein Instrument
dennoch darüber hin. Der Schuß erfolgte da bei aller eignen Sicherheit. Er
zeigte den Veteranen, was er ersonnen hatte. Diese gaben ihm großen Beifall
zu erkennen, und sandten sein Feuerrohr an die Rathsversammlung des Heeres,
welche neue Erfindungen zu untersuchen hatte. Sie war von dem wichtigen
Nutzen der vorliegenden zur Stelle überzeugt, und schickte sie wieder durch
einen Eilboten dem Strategion zu Rom. Dieses antwortete bald: Man hätte
sogleich alle Feuerröhre der Fußsoldaten auf die vorgeschlagene Weise
umzuändern. | 253 |
0 | Diese Nacht lagerte er bei einem alten Jäger, der, ziemlich abgeschieden
von anderen Ansiedelungen, sich dicht am Flussesufer eine kleine Hütte
gebaut hatte, Viehzucht trieb und dabei jagte. Er fand dort gastliche
Aufnahme und Nahrung für sich und sein Pferd; schlief auch, da er die
Gewißheit hatte, der Alte könne Nichts von seinem Unglück erfahren
haben, sanft und ruhig die Nacht, und war am andern Morgen, als die
Sonne eben erst den äußersten Hügelsaum vergoldete, schon wieder unter
Weges. | 254 |
1 | Kurdenkonflikt in der Türkei: Erdbeben in der Kriegszone
Die vom Erdbeben betroffene Region ist kurdisches Kernland, hier kämpft die Armee gegen die PKK. Vielleicht kann das Erdbeben zu einer Versöhnung beitragen.
Mehr als 270 Menschen starben bei dem Erdbeben im Osten der Türkei. Bild: dapd
ISTANBUL taz | Das Erdbeben in Van kommt zu einem Zeitpunkt, an dem die gesamte Türkei sowieso bereits in Alarmstimmung ist. Wer die gestrigen großen Zeitungen in Istanbul durchblätterte, fand neben den Berichten aus dem Erdbebengebiet große Reportagen über Massenproteste quer durchs Land. Diese Proteste richten sich gegen die kurdische PKK, die vor einer Woche bei einem Großangriff 24 Soldaten tötete und damit einen der massivsten Militäreinsätze der letzten Jahre entlang der türkisch-irakischen Grenze auslöste.
Diese Grenze ist von Van vielleicht 200 Kilometer entfernt, Van und damit die gesamte vom Erdbeben betroffenen Region sind kurdisches Kernland. Zwar redet noch niemand offen darüber, doch aus der Perspektive vieler Türken ist ein Erdbeben im Kurdengebiet derzeit etwas völlig anderes, als wenn die Katastrophe im Westen des Landes stattgefunden hätte. Das kommt vor allem in Internetbeiträgen zum Ausdruck. So twitterten bereits am Sonntagabend erste User, das Erdbeben sei nichts anderes als die gerechte Strafe Gottes für die Kurden und die PKK.
Die Stimmung wird auch dadurch angeheizt, dass trotz des Erdbebens in unmittelbarer Nachbarschaft die Kämpfe zwischen der Armee und der PKK unvermindert anhalten. Während in der Provinzstadt Van, deren Flughafen aus politischen Gründen in den letzten Tagen gesperrt war, jetzt die Hilfstransporte auf diesem Flughafen im Stundentakt landeten, starben in der benachbarten Provinzhauptstadt Hakkari erneut Soldaten. Aber nicht nur Soldaten: stolz meldete die Armee am Sonntag zeitgleich mit dem Erdbeben, ihre Spezialeinheiten hätten in den letzten Tagen 100 Kurden von der PKK getötet.
Es war deshalb eine wichtige politische Botschaft, dass Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan mit seiner Frau und seinen wichtigsten Ministern noch am Sonntagabend das Erdbebengebiet besuchte. Um 21 Uhr landete seine Maschine in Van, eine Stunde später war er bereits im Hubschrauber auf dem Weg in die vom Beben am schlimmsten betroffene Stadt Ercis.
Vorbild: Versöhnung mit Griechenland
Erdogan sprach mit den Leuten, machte Mut und kündigte an, dass die Menschen versorgt würden. "Gerade jetzt bei Wintereinbruch werden wir niemanden allein lassen", sagte er in Ercis. Erdogan blieb über Nacht in Van und besuchte am Montag Verletzte im Krankenhaus. Der Regierungschef will damit auch deutlich machen, dass die Bürger im Osten genauso dazugehören wie die im Westen.
So wurden denn auch am Montag Hilfslieferungen aus dem ganzen Land organisiert. Auf dem Flughafen in Istanbul stapelten sich die Pakete, die die einzelnen Stadtbezirke gespendet hatten. Gerade jetzt, so die Parole, gilt es, uneingeschränkte Solidarität zu zeigen.
Vielleicht kann das Erdbeben, so die Hoffnung, letztlich sogar zu einer Versöhnung zwischen der West- und der Osttürkei beitragen - genauso wie das schwere Erdbeben am Marmarameer 1999 die Versöhnung zwischen der Türkei und Griechenland einleitete. Denn die Griechen waren damals mit ihrer Hilfe als Erste zur Stelle. | 255 |
1 | Verfassungsbeschwerde gegen Hartz-IV: Online klagen reicht nicht
Ein Mann wollte gegen die Verschärfung der Hartz-IV-Gesetze klagen – scheitert aber an formalen Hürden. Der Grund: Er stützte sich auf eine Vorlage aus dem Netz.
Sind erstmal nicht für die Klage zuständig – die Verfassungsrichter in Karlsruhe Foto: reuters
KARLSRUHE dpa/epd | Ein neues Gesetz soll die Regeln für den Bezug von Hartz IV einfacher machen – nun ist ein erster Empfänger mit einer Verfassungsklage dagegen gescheitert. Der Mann, der mit Hartz IV sein Einkommen aufstockt, scheiterte schon an formalen Hürden, wie das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch in Karlsruhe mitteilte.
Eine inhaltliche Überprüfung der Änderungen fand also gar nicht statt. Wie einige Dutzend anderer Kläger hatte sich der Mann auf einen Vordruck gestützt, der derzeit im Internet kursiert.
Das sogenannte Rechtsvereinfachungsgesetz war im Juli vom Bundesrat verabschiedet worden. Es soll die Mitarbeiter in den Jobcentern von Bürokratie entlasten, damit sie mehr Zeit für die Vermittlung der Arbeitslosen haben. So wurde beispielsweise der Bewilligungszeitraum für das Arbeitslosengeld II von sechs Monaten auf ein Jahr verlängert.
Kritiker sehen aber vor allem eine Rechtsverschärfung. Insbesondere würden Kontroll- und Sanktionsmechanismen ausgeweitet, kritisiert der Paritätische Wohlfahrtsverband. Die Bundesagentur für Arbeit hat bereits Konsequenzen aus dem Gesetz gezogen und die Jobcenter angewiesen, bei verschwiegenen oder vergessenen Einkünften Bußgelder bis zu 5.000 Euro zu verhängen.
Im konkreten Fall wertete das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsbeschwerde als unzulässig. Zwar sei es möglich, sich an Musterformulierungen zu orientieren. Die Kläger müssten aber immer auch ihre individuelle Betroffenheit konkret darlegen. Der Beschwerdeführer habe aber im vorliegenden Fall weder seine individuelle Betroffenheit genau dargelegt, noch den üblichen Rechtsweg bei den Fachgerichten ausgeschöpft. | 256 |
1 | Vetternwirtschaft in Brasilien: Präsidentensohn als Botschafter
Eduardo Bolsonaro ist der Sohn des Präsidenten. Das reicht wohl, um als Botschafter in den USA nominiert zu werden. Und er steht Steve Bannon nahe.
Eduardo Bolsonaro schaut finster drein. Vielleicht weil die Nominierung verfassungswidrig ist? Foto: imago images / Fotoarena
BERLIN/SãO PAULO epd | Brasilien hat Präsidentensohn Eduardo Bolsonaro zum neuen Botschafter des Landes in den USA nominiert. Sein Land habe die USA um Akkreditierung gebeten, sagte Außenminister Ernesto Araújo am Freitagabend (Ortszeit) in Rio de Janeiro, wie das Nachrichtenportal „O Globo“ berichtet. Eduardo Bolsonaro ist der älteste von drei Söhnen des rechtsgerichteten Präsidenten Jair Bolsonaro und aktuell Abgeordneter der nationalkonservativen Partei PSL im Kongress.
Der 35-Jährige ist zudem Lateinamerika-Repräsentant der ultrakonservativen Bewegung „The Movement“, die vom ehemaligen Berater des US-Präsidenten Donald Trump, Steve Bannon, gegründet wurde. Brasiliens Oberster Richter Marco Aurélio Mello erklärte, die Nominierung sei nicht verfassungskonform, weil die Verfassung Vetternwirtschaft verbiete.
Eduardo Bolsonaro begleitete seinen Vater im Herbst 2018 auf dessen erster Reise nach Washington, wo er mit Trump und Bannon zusammentraf. Danach postete er ein Foto und sagte, er sei stolz, zusammen mit Bannon „gegen Globalisierung und den gefährlichen Migrationspakt“ kämpfen zu können.
Im brasilianischen Kongress setzt sich Eduardo Bolsonaro für die Wiedereinführung der Todesstrafe ein und zeigt auch seine Sympathie für die Militärdiktatur in Brasilien (1964 bis 1985). Gleichzeitig kritisierte er das Urteil des Obersten Gerichts, Homophobie als Straftat anzuerkennen, scharf.
Der studierte Jurist wurde 2018 mit einem Rekordergebnis von rund 1,8 Millionen Stimmen im Bundesstaat São Paulo in den Kongress gewählt. Erst vor ein paar Tagen ist Eduardo 35 Jahre geworden und hat damit das notwendige Mindestalter für Botschafter erreicht. Der Senat muss der Personalie noch zustimmen. Gleichzeitig muss Eduardo Bolsonaro sein Abgeordnetenmandat aufgeben. Der Posten des Botschafters in den USA ist seit April frei. | 257 |
0 | Der Hausbesuch: Boxen, bis die Tränen kullern
Marco Rauch war Kaufhausdetektiv, Animateur, Kellner und Türsteher. Heute betreibt er eine eigene Boxschule in Hamburg. Und er hat einen Traum.
Marco Rauch ins seinem Heimstudio in Hamburg-Winterhude Foto: Miguel Ferraz Araújo
Wer Marco Rauch zuhört, zweifelt keine Sekunde daran, dass Kinder lernen müssen zu boxen – die Rabauken und die Schüchternen.
Draußen: Am Mühlenkamp in Hamburg-Winterhude reihen sich zahlreiche Cafés, Restaurants und Boutiquen aneinander. Vor allem im Sommer ist hier die Hölle los, da stehen die Leute dicht an dicht auf der Kanalbrücke, flanieren, am liebsten mit einem Aperol Spritz in der Hand. Die Autos sind groß und schnell, die Kleidung teuer, viele Menschen sind sehr braungebrannt und sehr blond. „Es fehlen nur noch Palmen, dann wäre das St.-Tropez“, sagt Marco Rauch.
Drinnen: Seine Einzimmerwohnung liegt im Souterrain eines herrschaftlichen Altbaus, in einer Seitenstraße ganz nah an der Gastromeile Winterhudes, fußläufig zur Außenalster. Über ihm sind Büroräume und ein Café, dort ist er mit allen per Du. Wenn er mit seiner Hündin Emma reinschaut, ist es wie Familie. Anders seine Wohnung: „Das ist hier eine richtige Single-Männerbude“, sagt er. Hier wohnt Marco Rauch, hier hat er auch ein kleines Boxstudio. Die „Bude“ ist einfach eingerichtet, schwarzweiße Fliesen, plüschige rote alte Kinosessel, die Wände mit Graffiti verziert. In einem Regal liegen unzählige Sneaker, von den Decken hängen Boxsäcke. An einer Wand prangt in großen Lettern auf himmelblauem Grund „Marco Rauch Boxschule“. Zwei Stufen hinauf führen in ein kleines Separee, wo er schläft. „Mehr brauche ich nicht, das ist perfekt so.“
Der Mann: Anders als die Schickeria um ihn herum ist Marco Rauch oft in Sportkleidung unterwegs, Jogginghose, Hoodie, Turnschuhe. Trifft man ihn in Zivil, so ist sein Stil extravagant und gibt oft den Blick auf seine zahlreichen Tattoos frei. Die hätten meist keine tiefere Bedeutung, sagt er, vieles habe sich einfach zufällig ergeben, als er im Tattoostudio war. „Und jetzt bin ich süchtig.“ Rauch ist ein Feierbiest: Seinen 50. Geburtstag beging er im vergangenen Jahr gleich dreimal. Weil er gerne feiere und die Nacht zum Tag mache, sagt er.
Früher: Mit seinen Eltern und seiner Schwester lebte er im Zentrum Hamburgs, bis die Familie in einen Hamburger Vorort zog. Die Eltern trennen sich, als er 14 ist, bald hat die Mutter einen neuen Mann. „Meine Mutter war überfordert mit mir. Ich hab mir ältere Freunde gesucht, Mofas frisiert, was man damals so gemacht hat.“
Wände mit Graffiti verziert, die Boxbirne davor
Freude am Landleben: Einen Sommer lang hilft er auf einem Bauernhof bei der Ernte mit, eine Zeit, an die er sich gerne zurückerinnert. „Ich hab da in meinen Cowboystiefeln vier Wochen Himbeeren gepflückt und das war einfach schön. Da habe ich zum ersten Mal gedacht, dass es sich auf dem Dorf besser lebt als in der Stadt.“
Was werden: Nach einem Schulpraktikum macht er eine Ausbildung zum Maschinenschlosser im gleichen Betrieb. „Das war totaler Schwachsinn“, sagt er heute. „Alle wollten damals in einen Kfz-Betrieb, mein Sitznachbar in der Schule hat das angekreuzt und ich hab’s ihm nachgemacht. Ich gefiel dem Meister und dann hat er mir die Lehre angeboten.“ Er zuckt mit den Schultern. „Ich hab das gemacht, ohne viel Leidenschaft.“ Als Kriegsdienstverweigerer geht er danach in eine Klinik, versorgt Wunden, baut Gipse. Was er wirklich will, geht für ihn nicht: „Ich hätte Bock auf was Kreatives gehabt. Schauspieler zum Beispiel. Aber damals auf dem Dorf warst du schwul, wenn du das gemacht hast.“
Nachtleben: Schon während der Lehre arbeitet er nachts in einer Cocktailbar. „Das hat mich getriggert.“ Er habe Menschen verzaubern wollen, sagt er. „Als Schauspieler, Rockstar oder Barbesitzer.“ Barbesitzer ist das, was schließlich klappt: Schon mit 19 schmeißt er die erste eigene Bar am Fischmarkt, 20.000 Mark Umsatz habe die am Abend gemacht. Wilde Jahre seien das gewesen, ein Leben in Saus und Braus. „Nightlife, Trinken, Tanzen, Frauen. Ich war jung und Barbesitzer, mehr ging nicht.“
Kiezianer: Er baut das legendäre Zwick auf dem Kiez mit auf, ist eine Größe. Doch der Glamour bekommt Risse: Er ist knapp 30, als alles vorbei ist. Er lässt sich mit den falschen Leuten ein, verliert Geld, verliert die Bar, muss noch einmal von vorne anfangen. „Ich bin ein Stehaufmännchen.“
Nie stand er selbst für einen Kampf im Ring, das soll sich ändern: „Dafür trainiere ich jetzt“
Jobs: Fortan arbeitet er als Kaufhausdetektiv, Animateur, ist Türsteher bei Cartier und bedient in der Bar Tabac am Jungfernstieg die feinen Leute. Die wilden Jahre hört man seiner Stimme noch heute an, sie klingt dunkel und rau. „Und eines Tages spricht mich der Professor von Tisch 11 an, ob ich nicht seinen Sohn trainieren könnte. Ich hab angefangen zu boxen, als ich 17 war, und das hat man mir angesehen.“ Er hat Ja gesagt. „Mehr als 9 Euro pro Stunde in der Gastro, das war alles, was ich gedacht habe.“
Alles neu: 2010 legt er los – als Personal Trainer. „Es war, als hätte ich meine Berufung gefunden.“ Es läuft zunächst mehr schlecht als recht, obwohl auch Promis zu ihm kommen: HSV-Spieler, Politiker*innen, Schauspieler*innen. Lange kann er nicht davon leben, bleibt Hartz-IV-Aufstocker. Bis vor zwei Jahren.
Lehrkraft: Wieder rutscht er irgendwie über Kontakte in etwas Neues hinein: Ein Kunde fragt, ob er sich vorstellen könne, als Boxtrainer an einem Gymnasium Arbeitsgemeinschaften anzubieten. Ein Gymnasium, noch dazu in einem der reichen Elbvororte. Seine Welt ist das nicht, trotzdem sagt er zu. Am Anfang habe es Berührungsängste gegeben, bei allen. „Ins Lehrerzimmer habe ich mich erst nicht getraut, irgendwie prallten da Welten aufeinander.“
Kulturclash: Ehemaliger Kiezianer trifft auf Kinder und Pädagogen. „Herr Rauch, wenn man Sie sieht, bekommt man Angst“, habe mal ein Junge zu ihm gesagt. „Aber sobald Sie anfangen zu reden, ist alles gut.“ Erst mal sei er der Tätowierte gewesen, sagt er. Doch das habe sich schnell geändert. Harte Schale, weicher Kern.
Fack ju Göhte: Ein bisschen sei das gewesen wie bei Fack ju Göhte, sagt Rauch. Das war der Film, bei dem Elyas M’Barek sich als Lehrer ausgibt, eigentlich aber gerade aus dem Knast ausgebrochen ist. „Das sind studierte Leute, natürlich haben die eine ganz andere Sprache. Und trotzdem gehöre ich inzwischen dazu, habe dort Freunde gefunden.“ An der Schule ist er inzwischen fest angestellt, hat schon mal eine Vertretung im Sportunterricht und die Pausenaufsicht übernommen. Die Arbeit mit den Kindern begeistert ihn – und die Kinder mögen ihn. „Mit dem Boxen kann ich so vielen Kindern helfen. Es ist gut für Rabauken, für solche, die laut sind, aber auch für solche, die nicht so stark sind und schüchtern.“ Letztere lernten durchs Boxen, aus sich herauszukommen. Das Boxen würde sie selbstbewusster machen: „Das mitansehen zu dürfen, ist ein wahres Geschenk.“
Faszination Boxen: Spricht er vom Boxen, fängt er an zu strahlen. „Das ist einfach total geil. Es ist sehr anstrengend und hart, es geht nicht, ohne über Grenzen zu gehen.“ Jeder Schutzwall werde irgendwann durchbrochen, das mache frei. „Und vor Stolz kullert dann auch schon mal ’ne Träne.“ Personal Training beim Boxen sei etwas sehr Intimes, mit den meisten seiner ehemaligen Kunden sei er inzwischen befreundet. Was ihn zu einem guten Trainer mache? Seine Authentizität. „Ich hab auch schon mal 20 Kilo zu viel gewogen, zu viel gesoffen und geraucht, ich kenne das alles, die ganzen menschlichen Laster.“
taz am wochenendeDieser Text stammt aus der taz am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und bei Facebook und Twitter.
Es läuft: 2022 wird er das erste Mal einen Trainer einstellen können. „Der hat eine ähnliche Vergangenheit wie ich.“ Ein weiterer Plan für die Zukunft: Nie stand er selbst für einen Kampf im Ring, das soll sich ändern. „Dafür trainiere ich jetzt.“
Der Traum: Würde er im Lotto gewinnen, er wüsste ganz genau, was er mit dem Geld machen würde: „Eine richtig große Boxschule mit einem Ring in der Mitte, das wär’s. Küche, Kinder, alte Leute, Hunde, alles zusammen. Und eine Ecke, in der ich an meinen Motorrädern und Oldtimern rumschrauben kann.“ Er will Leute zusammenbringen, Brücken bauen. Vielleicht wird ein Teil des Traums wahr? „Gerade bin ich auf der Suche nach neuen Räumen zum Wohnen und Trainieren, hier auf der Ecke in Winterhude oder Uhlenhorst. Ich will mich vergrößern, eine alte Werkstatt oder Fabrikfläche wäre toll.“ | 258 |
1 | Linke Reaktionen auf Griechenlandwahl: Schwierige Wahlverwandte
Die Linkspartei erlebt nach ihrem lauten Jubel über Tsipras’ Wahlsieg einen Katertag – und den Spott der Grünen.
Plakat in Athen nach dem Wahlsieg von Syriza Bild: dpa
BERLIN taz | Für viele deutsche Politiker ist der Sieg von Alexis Tsipras mehr als nur eine nationale Wahl. Für die Linkspartei ist er sogar das Menetekel einer Zeitenwende: das Ende der deutsch dominierten Sparpolitik in der EU. Parteichef Bernd Riexinger lobte Tsipras’ Triumph daher als „Absage an Merkel“. Riexinger war zuletzt mehrfach nach Griechenland gereist und hatte Tsipras dort getroffen.
Die Zusammenareit der linken Syriza mit der rechtspopulistischen Partei Unabhängige Griechen (Anel) dämpft die Euphorie der deutschen Linken allerdings – auch wenn man Kritik vermeidet. „Wir mischen uns nicht ein“, so Riexinger diplomatisch. Er hofft, dass Syriza in der Regierung „die dominierende Kraft“ sein wird. Im Übrigen sei Tspiras „nicht für ausländerfeindliche, nationalistische Politik“ zu haben.
Auch Gaby Zimmer, Chefin der Linksfraktion im EU-Parlament und empfindlich gegen neonationalistische Töne, reagierte zurückhaltend. Anel sei zwar eine „problematische Wahl“, doch in Griechenland herrsche „nationaler Notstand“, so Zimmer zur taz. Da sei „der deutsche Blick“ nicht entscheidend. Tenor: Erst mal abwarten. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt ergriff beherzt die Chance, der deutschen Linkspartei einen mitzugeben. Auf Facebook postete sie: „Gestern ist Die Linke jubelnd mit Tsipras ins Bett gegangen & heute wacht sie mit den Rechtspopulisten auf.“
Solche Seitenhiebe verkniff sich der europapolitische Sprecher der Grünen im Bundestag. Manuel Sarrazin machte aber in einer Erklärung sein Entsetzen deutlich: Die Koalitionsentscheidung sei „ein Schlag ins Gesicht aller Freunde Griechenlands“, sagte er. Tsipras mache als ehemaliger Spitzenkandidat der europäischen Linken „eine Partei salonfähig, die im EU-Parlament in einer Fraktion mit der AfD sitzt“. Anel bediene sich „eindeutig einer rechten Rhetorik“.
Notwendiger Kurswechsel
Deutlich moderater klang die Kritik bei Grünen-Parteichefin Simone Peter. Syrizas Wahlsieg sei „als Aufbruch zu werten“, sagte Peter. Tsipras wolle einen Kurswechsel vollziehen, der angesichts von Verelendung und Schuldenstand notwendig sei. Seine Entscheidung für den rechtspopulistischen Koalitionspartner sei jedoch „mehr als bitter“. Die griechische Linkspartei müsse nun ihr Verhältnis zu Rechtspopulisten klären und ein klares Bekenntnis gegen Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit ablegen.
Die Regierungsparteien verhielten sich angesichts der Nachrichtenlage abwartend. Die Kanzlerin ließ über ihren Sprecher ausrichten, das Wahlergebnis sei ein „demokratisches Votum, das natürlich zu respektieren ist“. Die Bundesregierung werde „der künftigen Regierung ihre Zusammenarbeit anbieten“. 2012, bei der letzten Griechenland-Wahl, hatte Angela Merkel Sieger Antonis Samaras gleich am Wahlabend gratuliert.
CDU-Generalsekretär Peter Tauber nannte die künftige Koalition „eine originelle Lösung“. Man werde die Griechen weiter bei ihrem Reformprozess unterstützen. Auch seine Kollegin wiegelte ab. Yasmin Fahimi erklärte „Wer mit wem koaliert und wie wir das finden, dazu möchte ich mich jetzt noch nicht äußern.“ Es brauche jetzt „Reformen – aber solche, die zu Wachstum führen“. | 259 |
1 |
Interner Link: Arbeitsblatt: Akteure in der Naturschutzpolitik: Interessenverbände und Organisationen
Vorüberlegungen:
Welche Natur- und Umweltschutzorganisationen kennen die Schülerinnen und Schüler? Recherche:
Welche weiteren Natur- und Umweltschutzorganisationen gibt es? (Recherche im Dossier-Beitrag und in der dort genannten Dokumentation des Deutschen Bundestages). Vertiefung:
Es werden Organisationen ausgewählt und (online) weitere Informationen zu ihnen recherchiert und aufbereitet (Informationsblatt oder Plakat, Gliederungsbeispiel siehe Interner Link: www.bpb.de/kurz-knapp/lexika/kosmos-weltalmanach/334007/greenpeace/).
Wenn einzelne Schülerinnen und Schüler selbst in einer solchen Organisation aktiv sind, können sie darüber in der Klasse berichten. Welche Organisationen finden die Schülerinnen und Schüler gut/wichtig? Wo würden sie selber gerne mitmachen?
Rollenspiel:
Die Schülerinnen und Schüler überlegen anhand der bisher erarbeiteten Informationen, was nötig ist, um eine Natur- und Umweltschutzorganisation zu gründen.
Welchen Namen würden sie ihrer eigenen Organisation geben? Welches Ziel, welche Eigenschaften sollte sie haben? Wer darf mitmachen / wer nicht, und warum? Wer bestimmt, was gemacht wird?
Weitere Aufgabenstellungen:
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (BMUV):
Externer Link: Akteure der Umweltpolitik. Externer Link: Akteure und Handlungsebenen der Umweltpolitik. Externer Link: Mitmischen – in Schule, Städten und in der Politik
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0 | Herr Kasimir wischte sich ein paarmal die Augen, als er mir während der
Mahlzeit ungefragt noch dies und jenes aus Fräulein Brigittens letzter Zeit
erzählte, er hielt sich aber daneben doch wacker ans Essen und Trinken, so
daß es mir fast komisch vorkam, ihn so die Rührung mit hinunterschlingen zu
sehen. Vielleicht fing er einen unbewachten Blick von mir auf; denn ich
konnte ja meine Gedanken nie verstecken, und er sagte wehmütig: »Ja, was
wollen Sie, man lebt ja eben weiter, so gut man kann. Ich muß ja sagen, es
kommt Ihnen vielleicht sonderbar vor: es schmeckte mir trotz alledem, wenn
ich so allein am Tische saß in meinem leeren Hause, ja vielleicht mehr als
früher, weil ich nicht viel anderes hatte, was mich freute oder anregte bei
den Mahlzeiten. Ich bin ja auch dabei gediehen, wie Sie sehen, und stelle
vielleicht das Bild eines gleichgültigen Selbstlings vor, was aber nicht
ganz stimmt.« | 261 |
1 | dpa
Amedy Coulibaly, Chérif Kouachi und seinen Bruder Said Kouachi (r.)
Aktualisiert am Donnerstag, 15.01.2015, 09:37
Noch immer steht Frankreich nach den Anschlägen auf das Satiremagazin "Charlie Hebdo" unter Schock. Die Ermittlungen zu den Hintergründen laufen. Die erste Ausgabe von "Charlie Hebdo" nach dem Attentat war vielerorts ausverkauft - sorgte aber auch wieder für Kontroversen.
18.30 Uhr: Ein Teil der Waffen der Pariser Attentäter ist nach Medienberichten in Belgien gekauft worden. Die Kalaschnikow und der Raketenwerfer, die von den Kouachi-Brüdern für den Angriff auf die Satire-Zeitung "Charlie Hebdo" verwendet wurden, seien "in der Umgebung des Südbahnhofs in Brüssel für weniger als 5000 Euro gekauft worden", berichtete die Zeitung "La Dernière Heure" am Mittwoch unter Berufung auf "sehr gute Quellen". Auch das durch den weiteren Attentäter Amédy Coulibaly bei der Geiselnahme in einem Pariser Supermarkt verwendete Sturmgewehr stamme aus Brüssel.
15.41 Uhr, live vor Ort: Bei den Schweigeminuten nach dem Anschlag auf "Charlie Hebdo" gab es in mehreren Schulen Frankreichs Zwischenfälle. Wie Bildungsministerin Najat Vallaud-Belkacem gerade vor dem französischen Parlament sagte, gab es etwa 200 Fälle von Schülern, die sich der Schweigeminute widersetzten, zum Teil mit körperlicher Gewalt. Gegen 40 von ihnen wird nun wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung ermittelt.
15.08 Uhr, live vor Ort: Das aktuelle Ausgabe des Satiremagazins "Charlie Hebdo" war innerhalb von wenigen Minuten restlos ausverkauft.
"Charlie Hebdo" binnen weniger Minuten Ausverkauft
FOCUS Online
"Charlie Hebdo" binnen weniger Minuten Ausverkauft
15.06 Uhr: Ein Gericht in der Türkei hat die Sperrung von Internetseiten angeordnet, die das Titelbild der neuen Ausgabe der französischen Satirezeitung "Charlie Hebdo" zeigen. Dies berichtete am Mittwoch die amtliche Nachrichtenagentur Anadolu. Auf der Titelseite der am Mittwoch veröffentlichten ersten Ausgabe von "Charlie Hebdo" seit dem tödlichen Angriff auf die Zeitung vor einer Woche ist ein weinender Prophet Mohammed zu sehen, der ein Schild mit der Aufschrift "Je suis Charlie" hält.
14.50 Uhr: Einer der Attentäter von Paris hatte Verbindungen nach Belgien. Ein Mann aus der südbelgischen Stadt Charleroi hatte in den vergangenen Monaten mit Amedy Coulibaly über den Kauf eines Autos und von Waffen verhandelt. Die Polizei habe entsprechende Dokumente bei dem Verdächtigen gefunden, berichteten die belgische Nachrichtenagentur Belga und die Zeitung "La Dernière Heure" unter Berufung auf eine mit der Sache vertraute Person.
14.18 Uhr: Touristen gibt es in Paris zu dieser Zeit kaum, berichtet FOCUS-Online-Reporterin Antonia Schäfer. Vor der Kathedrale Notre Dame, deren Vorplatz sonst von einer riesigen Warteschlange bedeckt ist, stehen nur wenige Menschen. Einige von ihnen fragen die gelangweilten Gendarme, die mit drei Mannschaftswagen Präsenz zeigen, nach dem Weg zu weiteren Sehenswürdigkeiten.
12.03 Uhr: Nach den Attacken von Paris befürchten zwei Drittel der Deutschen (65 Prozent), dass es auch in Deutschland zu einem Terroranschlag islamischer Terroristen kommt. Das ergab eine Umfrage des Erfurter Meinungsforschungsinstitut Insa für FOCUS Online. Je älter die Befragten, desto häufiger werden solche Ängste geäußert. Besonders ausgeprägt ist die Sorge mit 71 Prozent bei Menschen über 55 Jahren.
Vor allem Anhänger der AfD (86 Prozent) und der FDP (75 Prozent) befürchten Terroranschläge in Deutschland. Am wenigsten Sorgen machen sich Anhänger der Grünen (57 Prozent) und der Linkspartei (58 Prozent).
INSA-Chef Hermann Binkert: „Die große Angst, dass islamische Extremisten auch in Deutschland Terroranschläge verüben, beschäftigt die Menschen und prägt das politische Klima.“
Für die Umfrage befragte Insa zwischen dem 9. und 12. Januar dieses Jahres 2058 Menschen in Deutschland.
10.56 Uhr: Der jemenitische Ableger des Terrornetzwerks Al-Kaida hat sich zu dem Anschlag auf die französische Satirezeitung "Charlie Hebdo" bekannt. "Die gesegnete Schlacht um Paris betreffend, erklären wir, die Organisation Al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel, dass wir die Verantwortung für diese Operation aus Vergeltung für den göttlichen Botschafter übernehmen. Es wurden Helden rekrutiert, und sie haben gehandelt", erklärte einer der Anführer von Al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel (Aqap), Nasser Ben Ali al-Anassi, in einem auf einer islamistischen Internetseite erschienenen Video.
Das veröffentlichte Video dauert etwa elf Minuten. Darin sagt al-Anassi unter anderem, der Terroranschlag sei "Rache für den Propheten gewesen. Er warnte außerdem vor weiteren Tragödien und weiterem Terror. Al-Kaida habe das Ziel ausgewählt, alles geplant und die Operation finanziert. Bereits kurz nach dem Anschlag wurde bekannt, dass die beiden Männer, die Brüder Chérif und Said Kouachi, Verbindungen zu Aqap gehabt haben sollen.
10.21 Uhr: Bereits wenige Stunden nach der Veröffentlichung der neuesten Ausgabe von "Charlie Hebdo", werden diese auf eBay versteigert. Wie der "Independent" berichtet, kosten einige Exemplare bereits mehr als das Zehnfache des Originalpreises (3 Euro). Die teuersten Ausgaben sind bereits für über 650 Euro (500 Pfund) im Umlauf.
Hier sehen Sie die neue Ausgabe von "Charlie Hebdo"
FOCUS Online
Hier sehen Sie die neue Ausgabe von "Charlie Hebdo"
09.50 Uhr: Iran hat das Titelbild der neuen "Charlie Hebdo" Ausgabe mit der Karikatur des weinenden Propheten Mohammed verurteilt. "Das ist eine provokative Geste und für Muslime verletzend", sagte Außenamtssprecherin Marsieh Afcham in Teheran. Sie sprach von einem Missbrauch der Pressefreiheit, der für Muslime inakzeptabel sei. Respekt für religiöse Heiligkeiten sei ein weltweit anerkanntes Prinzip, das auch europäische Staatsmänner akzeptieren sollten, so Afcham weiter.
07.44 Uhr: Die erste Ausgabe von „Charlie“ Hebdo nach dem verheerenden Anschlag hat eine Auflage von drei Millionen Exemplaren – und ist doch vielerorts schon ausverkauft. Binnen Minuten waren die Exemplare in Paris und anderen Städten vergriffen. Bereits um sieben Uhr morgens ziehen Suchende durch die Buchhandlungen der Bahnhöfe, um noch ein Exemplar zu ergattern: vergeblich. Einzige Hoffnung: Spätestens morgen gibt es neue Lieferungen. FOCUS-Online-Reporterin Antonia Schäfer sendet erste Bilder der neuen Ausgabe aus Paris.
FOCUS Online/Antonia Schäfer
Die neue Ausgabe von Charlie Hebdo wird „Ausgabe der Überlebenden“ genannt. An ihr wirkten auch Zeichner mit, die schon lange nicht mehr für das Blatt gearbeitet hatten. Zudem werden Werke der getöteten Karikaturisten posthum veröffentlicht. Von Charb etwa gibt es eine Reihe an Skizzen, von Tignous das Bild einer Frau, die unter ihrem Ganzkörperschleier Reizwäsche trägt. Auch Auszüge aus einem Interview mit Charb finden sich in der neuen, nur acht Seiten umfassenden Ausgabe. Darin sagt der Chefredakteur: „Es gibt keine moderaten Muslime in Frankreich, es gibt überhaupt keine Muslime an sich, es gibt nur Menschen muslimischer Kultur, die den Ramadan so respektieren wie ich Weihnachten, wenn ich zu meinen Eltern fahre und Truthahn in mich reinstopfe. Sie müssen sich nicht als moderate Muslime stärker gegen den radikalen Islam positionieren, weil sie keine moderaten Muslime sind, sondern Bürger. Es regt mich auf, dass man immer an sie als ,moderate Muslime' appelliert.
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Die neue "Charlie Hebdo"-Ausgabe
Das ist so, als würde man mir sagen: ,Reagiere als moderater Katholik.' Ich bin kein moderater Katholik, auch wenn ich getauft bin. Ich bin überhaupt kein Katholik.“ Der Zeichner Antonio Fischetti ehrt die Verstorbenen in einem persönlichen Nachruf, „Gar nicht tot“ betitelt, in dem er über Tignous schreibt: „Ich habe so viel mit Tignous zusammengearbeitet, dass jedes Mal, wenn ich einen neuen Menschen treffe, ich mir als erstes vorstelle, wie er ihn zeichnen würde.“ Fischetti hat das Attentat überlebt, weil er währenddessen auf einer Beerdigung war.
FOCUS Online/Antonia Schäfer
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14.01.2015, 04.04 Uhr: Die Morde in Paris nehmen auch Einfluss auf Geschehnisse auf der anderen Seite des Atlantik: Die Anwälte des mutmaßlichen Attentäters auf den Boston-Marathon haben eine Verschiebung des Prozesses gefordert. Die Verteidigung des 21-jährigen Dschochar Zarnajew begründete dies mit der Terrorwelle in Frankreich, wie die Zeitung "Boston Globe" in der Nacht auf Mittwoch unter Berufung auf Gerichtsunterlagen berichtete. Die Anschläge im Großraum Paris würden mögliche Geschworene beeinflussen. Die Anklage wirft Zarnajew vor, am 15. April 2013 gemeinsam mit seinem älteren Bruder Tamerlan auf der Zielgeraden zwei Bomben zur Explosion gebracht zu haben. Bei dem schwersten Terroranschlag in den USA seit dem 11. September 2001 waren drei Zuschauer getötet und 260 verletzt worden. Der Prozess hatte vergangene Woche mit der Jury-Auswahl begonnen.
Dramatische Aufnahmen: Video zeigt Attentäter von Paris direkt nach der Tat
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0 | Ulrich von Zatzikhofen, deutscher Dichter des 12. Jahrh.,
aus dem Thurgau (Schweiz), verfaßte um 1195 seinen "Lanzelet"
nach einem französischen Original, das er durch Hug von
Morville, eine der sieben von Richard Löwenherz dem Herzog
Leopold von Österreich gestellten Geiseln, erhalten hatte, das
aber noch nicht wieder aufgefunden ist (hrsg. von Hahn, Frankf. a.
M. 1845). Vgl. Bächtold, Der Lanzelet des U. v. Z. (Frauenf.
1870). | 263 |
0 | Der Postmeister seufzte und rief: »Ratan!« Ratan lag ausgestreckt unter dem
Guajavabaum und war eifrig damit beschäftigt, unreife Guajavafrüchte zu
essen. Sobald sie die Stimme ihres Herrn hörte, kam sie atemlos angelaufen
und fragte: »Haben Sie mich gerufen, Dada[32]?« --»Ich dachte eben,« sagte
der Postmeister, »ich könnte dich eigentlich lesen lehren.« Und er brachte
den Rest des Tages damit zu, ihr das Alphabet beizubringen. | 264 |
1 | Wahlkampf im Kongo: Fayulu for President?
Kongos Opposition kürt ihren Präsidentschaftskandidaten für die Wahlen im Dezember. Aber die Abstimmung sorgt für neuen Streit.
Fayulu-Unterstützer feiern in Kinshasa, 12. November Foto: reuters
BERLIN taz | Die Präsidentschaftswahl in der Demokratischen Republik Kongo findet ohne die Spitzenpolitiker des Landes statt. Die wichtigsten Oppositionsführer beriefen am Sonntag nach mehrtägigen Beratungen den relativ unbekannten Abgeordneten Martin Fayulu, Chef der Kleinpartei Ecide (Engagement für Bürgerlichkeit und Entwicklung), zu ihrem gemeinsamen Kandidaten.
Fayulu soll am 23. Dezember gegen den nicht minder unbekannten Emmanuel Ramazani Shadary antreten, der für das Regierungslager die Nachfolge des Amtsinhabers Joseph Kabila antritt.
Alle „Großen“ sind aus dem Rennen: Kabila selbst kandidiert nicht erneut; der als sein aussichtsreichster Gegner geltende Ex-Gouverneur Moise Katumbi lebt im Exil; der als nächster aussichtsreichster Gegner gehandelte Ex-Warlord Jean-Pierre Bemba wurde wegen seiner Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof nicht zugelassen.
Blieb noch unter den „Großen“ Felix Tshisekedi, Chef der größten Oppositionspartei UDPS (Union für Demokratie und Sozialen Fortschritt), dessen Vater Étienne Tshisekedi bei den Wahlen 2011 gegen Kabila offiziell 32 Prozent geholt hatte.
Am vergangenen Wochenende trafen sich also in Genf Tshisekedi, Katumbi, Bemba, der 2011 drittplazierte Vital Kamerhe, Martin Fayulu und zwei weitere Oppositionsführer, um sich auf einen gemeinsamen Kandidaten zu einigen. Denn nur geeint hat die Opposition eine Chance gegen Kabila-Erben Shadary.
Der 61-jährige Martin Fayulu arbeitete von 1984 bis 2003 für den US-Ölmulti Mobil, zuletzt in Äthiopien
Finanziert wurde das Treffen von der Kofi-Annan-Stiftung unter Leitung des britischen Diplomaten Alan Doss, ehemaliger Chef der UN-Mission im Kongo. Berichten zufolge konnten sich die sieben Parteiführer nicht einigen: Katumbi unterstüzte Tshisikedi, Bemba unterstützte Kamerhe.
In einer Reihe von Abstimmungen versuchten sich die Lager gegenseitig zu übervorteilen, indem sie „kleinere“ Kandidaten förderten. Am Ende lag dann überraschend Fayulu vorn.
„Soldat des Volkes“ – in Kinshasa
Ganz unbekannt ist Fayulu nicht. Er führt das oppositionelle Parteienbündnis FAC (Forces Acquises au Changement), das 2011 für Tshisekedi trommelte und seitdem wiederholt Demonstrationen in Kinshasa organisiert hat.
Aber über Kinshasa und seine Heimatprovinz Bandundu geht seine Bekanntheit nicht hinaus. Der 61-Jährige, der auf seiner Webseite als „Soldat des Volkes“ auftritt und für seine Militanz auch schon hinter Gittern gelandet ist, hat außerdem eine schillernde Vergangenheit.
Er arbeitete von 1984 bis 2003 für den US-Ölmulti Mobil, zuletzt als Direktor in Äthiopien. In dieser Funktion soll er sich 40.000 US-Dollar von einem anderen Politiker aus Bandundu geliehen haben – André Kimbuta, seit 2007 Gouverneur von Kinshasa und Hardliner des Regierungslagers. Kimbuta machte dies vor anderthalb Jahren öffentlich; Fayulu entgegnete damals, er habe den Kredit zurückgezahlt.
Der Verdacht, Fayulu sei nur ein Scheinradikaler mit dubiosen Liaisons, dürfte ihm als Kandidat schaden. Die UDPS ist über seine Berufung empört und hielt am Montag in Kinshasa ein Krisentreffen ab. Es wurden Proteste vor dem UDPS-Sitz gemeldet.
Das Regierungslager ist amüsiert
Am Abend wurde gemeldet, Felix Tshisekedi habe seine in Genf geleistete Unterschrift für Fayulu zurückgezogen und halte seine eigene Kandidatur aufrecht.
Das Regierungslager ist amüsiert. Fayulu sei „Kandidat eines Flügels der Opposition“, unterstrich Tunda ya Kasende, Generalsekretär der Regierungspartei PPRD (Volkspartei für Wiederaufbau und Entwicklung). Shadarys Wahlkampfteam wird Fayulu nun als Kandidat des Auslands darstellen und sich an den Unstimmigkeiten in der Opposition laben.
Während Kinshasas oppositionelle Tageszeitung Le Potentiel am Morgen in Kinshasa in Fayulus Berufung „ein starkes Signal“ erkannte, titelte die Kabila-treue Zeitung L'Avenir unter Bezugnahme auf die Organisatoren des Genfer Treffens „Alan Doss wählt Fayulu“. | 265 |
1 | EuGH-Urteil zur Datenspeicherung: Die Polizei wird sich freuen
Betreiber von Internetseiten dürfen IP-Adressen aufzeichnen. Kritiker sehen darin eine private Vorratsdatenspeicherung.
Achtung Smartphone-User, jetzt wird alles aufgezeichnet Foto: dpa
FREIBURG taz | IP-Adressen sind personenbezogene Daten. Das hat jetzt der Europäische Gerichtshof (EuGH) entschieden. Dennoch dürften Webseitenbetreiber die IP-Adressen der Besucher speichern, wenn sie ein „berechtigtes Interesse“ daran haben. Das deutsche Telemediengesetz sei bisher zu streng ausgelegt worden.
Derzeit speichern die meisten Internet-Seiteninhaber die IP-Adressen ihrer Nutzer. Sie wollen damit zum Beispiel die Seiten gegen Hacker-Angriffe schützen und die Strafverfolgung von Angreifern erleichtern. Der Kieler Piraten-Abgeordnete Patrick Breyer sieht darin jedoch eine Art private Vorratsdatenspeicherung. Er glaubt, dass die Speicherung von IP-Adressen einschüchternde Wirkung hat und das unbeschwerte anonyme Surfen im Internet behindert. „Niemand hat das Recht, alles, was wir im Netz machen, aufzuzeichnen“, so Breyer.
In einem Musterprozess hat Breyer deshalb die Bundesregierung verklagt, weil auch viele Ministerien auf ihren Seiten IP-Adressen speichern. Breyer berief sich dabei auf das deutsche Telemediengesetz. Danach sind personenbezogene Daten der Nutzer nach Abschluss der Verbindung zu löschen, wenn sie nicht für eine Abrechnung benötigt werden – was aber beim Besuch von Webseiten meist nicht der Fall ist.
Die Bundesregierung argumentierte, die IP-Adressen (etwa 107.231.37.19) seien gar nicht personenbezogen, da sie bei jeder Einwahl ins Internet neu vergeben werden. Der Streit ging bis zum Bundesgerichtshof, der den Fall 2014 dem EuGH vorlegte, damit dieser das deutsche Gesetz im Lichte der EU-Datenschutz-Richtlinie von 1995 auslege.
Zurück zum Bundesgerichtshof
Der EuGH gab dem Piraten Breyer nun zunächst recht. Die IP-Adressen seien tatsächlich personenbezogen, weil sie mithilfe der Internet-Provider einem konkreten Anschlussinhaber zugerechnet werden können.
Allerdings, so der EuGH weiter, werde das deutsche Telemediengesetz zu eng ausgelegt. Die Richtlinie der Europäischen Union erlaube auch bei einem „berechtigten Interesse“, Daten zu speichern. Das müsse auch für Webseitenbetreiber gelten, die IP-Adressen speichern. So könne es ein berechtigtes Interesse sein, die Funktionsfähigkeit von Webseiten zu schützen. (Az.: C-582/14)
Der Fall geht nun an den BGH zurück. Dieser muss dann zwischen Breyers Grundrechten und den Interessen des Bundes als Webseiten-Inhaber abwägen. Es ist unwahrscheinlich, dass Breyer hier Erfolg haben wird.
Über das EuGH-Urteil dürfte sich auch die Polizei freuen. Denn wenn die Webseitenbetreiber IP-Adressen zu eigenen Zwecken speichern, können Ermittler im Bedarfsfall darauf zugreifen. Mithilfe der Internet-Provider können sie die IP-Adresse dann konkreten Nutzern zuordnen. Aufgrund der Vorratsdatenspeicherung, die bei den Providern ab Juli 2017 beginnt, soll dies mindestens zehn Wochen lang möglich sein. | 266 |
1 | Verschärfte Polizeigesetze in den Ländern: Die Aufrüstung gegen die Bürger
Gleich mehrere Bundesländer wollen ihrer Polizei mehr Rechte einräumen. Doch dagegen formiert sich Protest.
In Potsdam wurde am vergangenen Wochenende gegen das neue Polizeigesetz protestiert Foto: dpa
POTSDAM/DRESDEN/BERLIN taz | Am Mittwoch wird der Brandenburger Landtag diskutieren, und das wohl mächtig kontrovers. „Änderung des Brandenburgischen Polizeigesetzes“, lautet Tagesordnungspunkt 10. Und der stößt auf Widerstand.
Der Gesetzentwurf von Brandenburgs SPD-Innenminister Karl-Heinz Schröter liest sich wie eine Law-and-Order-Wunschliste: Terrorverdächtige können bis zu vier Wochen in Gewahrsam genommen werden, sogenannte Gefährder Kontakt- und Aufenthaltsverbote erteilt bekommen, Messengerdienste überwacht und die Videoüberwachung öffentlicher Plätze ausgeweitet werden.
Die Polizei soll außerdem landesweit anlasslos Autos auf Bundesstraßen und Autobahnen kontrollieren dürfen – bisher ist das nur im Grenzgebiet zulässig. Für Schröter ist all dies zentral für den Kampf gegen die „Terrorismusgefahr“: Man schließe keine Krankenversicherung ab, wenn man krank ist, sondern vorher.
Bereits am Wochenende gingen mehr als 1.000 Demonstranten in Potsdam auf die Straße, darunter die Grünen, die Jungen Liberalen, Studierende und Flüchtlingsinitiativen. Rechtsbegriffe wie „drohende Gefahr“ seien viel zu auslegungsoffen, kritisiert der Grünen-Landeschef Clemens Rostock. „Man sollte keine Instrumente in ein Polizeigesetz schreiben, bei denen man darauf angewiesen ist, dass deren Anwender es gut mit der Demokratie und Meinungsfreiheit meinen.“
Präventivhaft und Handyüberwachung
Brandenburg ist indes kein Einzelfall. Gleich reihenweise überarbeiten die Bundesländer derzeit ihre Polizeigesetze. Die Richtung ist überall die gleiche: Es wird verschärft. Vorreiter war Bayern. Auch hier kann die Polizei seit Mai bei „drohender Gefahr“ zur Überwachung schreiten, und das nicht nur bei Terrorverdacht, sondern einer ganzen Reihe von Delikten.
Verdächtige können theoretisch für unbestimmte Zeit in Präventivhaft genommen werden, Polizisten sollen Bodycams tragen, dürfen Messengerdienste wie WhatsApp mitlesen und dürfen „erweiterte“ DNA-Analysen durchführen, um „äußere Merkmale“ der Täter festzustellen, etwa eine afrikanische Herkunft. Spezialkräfte dürfen zudem Handgranaten und Sprengstoff einsetzen, etwa um im Terrorfall Türen zu öffnen.
Mit Brandenburg zieht nun auch ein rot-rot regiertes Land mit. Der Gesetzentwurf ist vom Kabinett bereits abgesegnet. In der märkischen Linken aber rumort es. In den Protest reihen sich auch die Linken-Jugend und mehrere Kreisverbände der Partei ein. Linken-Landeschefin Anja Mayer beteuert, dass man aus Schröters Entwurf etwa die Online-Durchsuchung und Fußfesseln gegen Terrorverdächtige herausgestrichen habe, gegen Widerstand der SPD. „Freiheitsrechte sind mit uns nicht verhandelbar.“
Sachsen orientiert sich an Bayern
Die Debatte wird auch andernorts geführt. Am Dienstag lud der Landtag Nordrhein-Westfalen zur Anhörung. Auch hier geht es um Handy- und Videoüberwachung und die Frage, ab wann eine „drohende Gefahr“ gilt. Auch in Niedersachsen gibt es Streit, hier vor allem über die Möglichkeit, Gefährder 74 Tage in Gewahrsam nehmen zu können oder ihnen für bis zu sechs Monate das Verlassen des Stadtbezirks zu verbieten.
In Sachsen gab es am Montag eine Anhörung. Das Kabinett verabschiedete das dortige Polizeigesetz schon Mitte September – in vielen Punkten orientiert am bayerischen Modell. In Sachsen soll zudem die Videoüberwachung in einer 30-km-Grenzzone verschärft werden, wovon etwa Görlitz komplett betroffen wäre. Hausdurchsuchungen bei Abwesenheit würden erleichtert, das Berufsgeheimnis von Anwälten und Journalisten aufgeweicht, die Polizei mit Handgranaten und Maschinengewehren aufgerüstet.
„Was muss man getan haben, um als zukünftiger Straftäter zu gelten und Polizeimaßnahmen auf sich zu ziehen?“, fragte Maria Scharlau von Amnesty International, die als Expertin im Landtag angehört wurde. Der gefühlte Verdacht, der „Blick in die Kristallkugel“ solle Bürger abschrecken. „Unbestimmte Begriffe in der Rechtsnorm machen auch eine juristische Kontrolle fast unmöglich.“
SPD zwischen „Ja aber“ und „Nein doch“
Für CDU-Innenpolitiker Rico Anton hingegen dienen die Maßnahmen dazu, Polizisten zu schützen und der organisierten Kriminalität Herr zu werden. Unterstützt wird die CDU von Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft. Die SPD als Koalitionspartner findet sich einmal mehr zwischen „Ja aber“ und „Nein doch“ wieder. SPD-Innenpolitiker Albrecht Pallas lobt die neuen Möglichkeiten für gute Polizeiarbeit, will aber Nachbesserungen für eine bessere Balance zwischen Freiheit und Sicherheit erreichen.
Linke, Grüne und zivilgesellschaftliche Gruppen lehnen das sächsische Polizeigesetz komplett ab. Bei der Anhörung protestierte vor dem Landtag ein Bündnis „Polizeigesetz stoppen“. Sprecher Jonathan Hertel sprach von Scheinsicherheit, die kein Problem wirklich löse. Den Protest gibt es inzwischen fast bundesweit. In Bayern gingen mehr als 30.000 gegen das Polizeigesetz auf die Straße, auch in Berlin, Hannover und Düsseldorf wurde protestiert. In Bayern liegt eine Verfassungsbeschwerde gegen das Gesetz vor.
Reul reagiert auf Kritik
Und der Widerstand zeigt offenbar Wirkung. In Bayern vereinbarte die neue Koalition aus CSU und Freien Wählern nun, das neue Polizeigesetz zu evaluieren. Auch wolle man den Richtervorbehalt bei den Polizeimaßnahmen „ausdrücklich festschreiben“ und prüfen, ob hinsichtlich des Begriffs „drohende Gefahr“ gesetzliche „Anpassungen notwendig sind“.
Auch in NRW schwächte Innenminister Herbert Reul (CDU) seinen Entwurf jüngst ab. Nun braucht es wieder eine „konkrete Gefahr“, damit die Polizei auch im Vorfeld von Straftaten tätig werden kann. „Einschneidende Maßnahmen“, wie Fußfesseln oder die Telefonüberwachung schon bei vagem Verdacht, blieben aber weiter möglich, kritisiert Amnesty International. | 267 |
0 | O weiser Mann, der dieses spricht!
Gerechter ist kein Spruch zu finden.
Du, du verdienst ein ewig Lobgedicht,
Und wärst du jung, verdientest du Selinden.
Selinde geht. Der Beifall folgt ihr nach;
Man sprach von ihr gewiß, wenn man von Schönen sprach;
Je mehr sie zweifelte, ob sie so reizend wäre,
Um desto mehr erhielt sie Ehre. | 268 |
1 | Parteien in Israel: Vereint gegen politischen Selbstmord
Vier arabisch-antizionistische Parteien schließen vor der Parlamentswahl im März ein Bündnis. Das Spektrum reicht von islamisch bis links.
Um hier einzuziehen, braucht es mindestens 3,25 Prozent der Stimmen: die Knesset. Bild: dpa
JERUSALEM taz | Es ist ein Bündnis von Pragmatikern, die ideologisch kaum unterschiedlicher sein könnten. Die vier arabisch-israelischen Parteien, die zusammen unter dem Namen „Die gemeinsame Liste“ zu der Parlamentswahl am 17. März antreten, eint im Grunde nur, dass sie arabische Parteien sind, genauer: antizionistische. Denn auf ihrer Liste für die Knessetwahl steht auch ein jüdischer Name.
Der Abgeordnete Dov Chanin vertritt die linke Partei Chadash, die Demokratische Front für Frieden und Gleichberechtigung. Chadash schwebt anstelle des jüdischen Staates Israel ein Staat für alle Bürger vor. Am anderen Ende der Allianz steht die islamische Raam, Initialwort für „Vereinigte Arabische Liste“.
Grund für die arabisch-antizionistisch Kooperation ist die Anhebung der Sperrklausel. Zum ersten Mal müssen die Parteien mindestens 3,25 Prozent der Stimmen erreichen, um in die Knesset einzuziehen. Auf Mandate umgerechnet sind es vier pro Fraktion in dem 120-köpfigen Parlament.
„Es wäre politischer Selbstmord gewesen, nicht zusammenzugehen“, kommentierte Hanna Swaid von Chadash die schwierigen Verhandlungen, die knapp vor der Wahl zum Erfolg führten. Schon seit Jahren wächst der Druck im arabischen Sektor, die Kräfte zu vereinen, um so der arabischen Stimme parlamentarischen Widerhall zu verschaffen. Rund ein Fünftel von Israels Bevölkerung sind Araber oder Palästinenser, wie sich die meisten lieber nennen.
Schon jetzt zeichnet sich ein deutlicher Zuwachs der Wahlbeteiligung ab. Beim letzten Urnengang gaben nur 55 Prozent von Israels Arabern ihre Stimme ab. „Diesmal rechnen wir mit 65 Prozent Beteiligung“, sagt der Meinungsforscher Mtaned Shihadeh vom Institut Mada al-Carmel. Die Einheitsliste werde „die Phlegmatiker aus dem Haus locken“. Dies müsse nicht bedeuten, dass sie tatsächlich auf eine Veränderung hoffen, „aber eine starke arabische Liste ist ein Statement“.
„Ihr Juden habt ja keine Ahnung“
12 Prozent geben Umfragen jüdischer Meinungsforschungsinstitute der Liste. Die israelischen Palästinenser rechnen sogar mit 13 bis 15 Prozent. „Ihr Juden habt ja keine Ahnung, wie man Umfragen unter Arabern abhält“, gibt sich Ahmad Tibi siegessicher. Der Chef der weltlichen Partei Taal, die Progressive arabische Liste, gilt als der populärste arabische Politiker. Tibi kooperierte in der Vergangenheit schon mit jeder der anderen Parteien und hat die Verhandlungen entscheidend vorangetrieben.
Der Zusammenschluss zeige, so kommentierte Israels rechtskonservativer Außenminister Avigdor Lieberman zynisch, „dass es für die arabischen Parteien völlig egal ist, ob du Islamist, Kommunist oder Dschihadist bist – ihr gemeinsames Ziel ist, Israel als jüdischen Staat zu zerstören“. Lieberman will die Rechtmäßigkeit der Liste vor Gericht prüfen lassen.
Die islamische Partei Raam musste sich am weitesten auf ihre neuen Partner zubewegen, als sie der Aufstellung eines jüdischen Kandidaten zustimmte. „Chadash ist keine arabische Partei, aber wir haben das akzeptiert“, erklärte Masud Ganaim, die Nummer zwei auf der Liste, auf telefonische Anfrage. Raam ist der moderatere Flügel der islamischen Bewegung in Israel. Ganaim gibt offen zu, dass er sich „eines Tages das Kalifat“ zurückwünscht. Priorität habe jedoch die Gründung eines palästinensischen Staates an der Seite Israels.
Auch Aida Touma-Sliman (Chadash), eine von zwei Frauen und auf Platz fünf der Kandidatenliste, räumt ein, dass es große ideologische Unterschiede unter den Fraktionen gibt. „Die Tatsache, dass wir mit gemeinsamer Liste in den Wahlkampf gehen, zeigt aber, dass wir zumindest auf kurze Sicht eine gemeinsame politische Agenda haben.“ Dazu gehöre der Kampf gegen undemokratische Gesetze, für freie Meinungsäußerung und gegen die staatliche Konfiszierung von arabischem Land. Die christliche Kommunistin geht davon aus, dass „unser Bündnis auf jeden Fall länger leben wird als die nächste Regierung“. | 269 |
0 | "Ich bringe lauter Einser," antwortete sie zuversichtlich. Aber diesen
Übermut hatte sie zu bereuen. "So?" rief Otto, "so sage einmal, was a
plus b ist? Das weißt du nicht einmal? Da bekommst du unbedingt einen
Vierer." Von allen Seiten kamen nun solch verfängliche Fragen und es
wurden ihr lauter Vierer prophezeit, bis ihr angst und bang wurde, sie
sich zu Frieder flüchtete und sagte: "Du gibst mir dann jeden Tag
Mathematikstunden!" | 270 |
1 | Abstimmung zum türkischen Referendum: Anstehen für die Zukunft
Rund 1,4 Millionen Menschen mit türkischem Pass dürfen in Deutschland über das Verfassungsreferendum in der Türkei abstimmen. Aufrufe mehren sich.
Schlange vor dem türkischen Generalkonsulat in Berlin Foto: reuters
BERLIN taz | Graffiti an Berliner Hauswänden, Aufkleber unter den Ampelmännchen, Hashtags deutscher Twitter-Nutzer*innen: Hayir und Evet sind überall.
Die beiden Wörter sind die möglichen Antworten auf das Verfassungsreferendum, das der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan angestoßen hat. Stimmen mehr Menschen mit Evet (Ja) als mit Hayir (Nein), wird in der Türkei ein Präsidialsystem eingeführt. Es würde Erdoğan deutlich mehr Macht verleihen.
Aktivist*innen haben gute Gründe dafür, in Deutschland und anderen europäischen Ländern Wahlkampf zu machen. Rund 1,4 Millionen Menschen mit türkischer Staatsbürgerschaft, die zum Beispiel in Deutschland leben, dürfen abstimmen. Das sind ähnlich viele Wahlberechtigte, wie München Einwohner*innen hat.
Ab heute sind bundesweit 13 Wahllokale geöffnet, die meisten sind türkische Generalkonsulate. Wer über die Verfassungsänderung mitentscheiden will, muss innerhalb der nächsten zwei Wochen persönlich wählen. Eine Briefwahl ist nicht möglich. Am 9. April werden die Wahlurnen in die Türkei gebracht und erst dort geöffnet. Eine Woche später findet das Referendum in der Türkei statt.
Der Wahlkampf geriet zuletzt zu einem Streit auf politischer Ebene. Mehrere Auftritte türkischer Regierungsmitglieder in Deutschland wurden abgesagt. Die Regierungspartei AKP wirbt für das Präsidialsystem. Eine Gruppe von Verfassungsexperten des Europarats warnte, dass „der Inhalt der vorgeschlagenen Verfassungsänderungen einen gefährlichen Rückschritt in der verfassungsmäßigen demokratischen Tradition der Türkei darstellt“.
Wiederholter Faschismus-Vorwurf
„Bitte sagt Nein!“, beschwört etwa der Grünen-Politiker Cem Özdemir die Wähler*innen in einem Video. Auch die Türkische Gemeinde in Deutschland empfiehlt, „Hayir“ anzukreuzen.
Unterdessen hat Erdoğan auf einer Kundgebung in Istanbul angekündigt, er werde die Bundesregierung weiter mit Nazis vergleichen. Bei seinem Auftritt am Sonntag erwähnte er den NSU-Prozess: „Ihr habt das noch immer nicht aufgeklärt. Ihr seid Faschisten, Faschisten.“
Bereits am Samstag hatte er außerdem das nächste Referendum angekündigt: Das Volk soll abstimmen, ob es überhaupt Interesse an einem EU-Beitritt der Türkei hat. Zudem sprach Erdoğan sich laut der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu für die Todesstrafe aus, obwohl sie einen EU-Beitritt verhindern könnte. | 271 |
0 | Was du von Klärchen sagst, verstehe ich nicht ganz und erwarte deinen
nächsten Brief. Ich sehe wohl, daß dir eine Nuance zwischen der Dirne
und der Göttin zu fehlen scheint. Da ich aber ihr Verhältnis zu
Egmont so ausschließlich gehalten habe; da ich ihre Liebe mehr in den
Begriff der Vollkommenheit des Geliebten, ihr Entzücken mehr in den
Genuß des Unbegreiflichen, daß dieser Mann ihr gehört, als in die
Sinnlichkeit setze; da ich sie als Heldin auftreten lasse; da sie im
innigsten Gefühl der Ewigkeit der Liebe ihrem Geliebten nachgeht und
endlich vor seiner Seele durch einen verklärenden Traum verherrlicht
wird: so weiß ich nicht, wo ich die Zwischennuance hinsetzen soll, ob
ich gleich gestehe, daß aus Notdurft des dramatischen Pappen--und
Lattenwerks die Schattierungen, die ich oben hererzähle, vielleicht zu
abgesetzt und unverbunden, oder vielmehr durch zu leise Andeutungen
verbunden sind; vielleicht hilft ein zweites Lesen, vielleicht sagt
mir dein folgender Brief etwas Näheres. | 272 |
1 | 1. Mai in Istanbul: Kampf um Taksim
Gewerkschaften und linke Gruppen wollen am zentralen Platz Istanbuls demonstrieren. Die Regierung will dies mit 40.000 Polizisten verhindern.
Erwartbares Szenario für den 1. Mai: Polizei schießt um sich. Bild: dpa
ISTANBUL taz | Die Menschen in Istanbul stellen sich auf einen schlimmen 1. Mai ein. Sowohl die Gewerkschaften, als auch diverse linke Gruppen, die allesamt zu einem „Marsch zum Taksim-Platz“ aufrufen, gehen davon aus, dass es beim morgigen 1. Mai zu heftigen Auseinandersetzungen kommen wird. Der Grund ist das generelle Demonstrationsverbot auf dem Platz seit dem Gezi-Aufstand im vergangenen Sommer.
Die Regierung will trotz massiven Drängens der Gewerkschaften auch für die Feiern zum 1. Mai keine Ausnahme vom Demonstrationsverbot machen. Regierungschef Recep Tayyip Erdogan hat erst vor wenigen Tagen bekräftigt, dass eine Versammlung auf dem Taksim nicht in Frage kommt und sein Innenminister Efkan Ala hat bereits 40.000 Polizisten aus der gesamten Türkei zusammengezogen, die das Demonstrationsverbot durchsetzen sollen.
Doch ein großer Teil der Gewerkschaften und viele linke Gruppen haben wiederholt bekräftigt, dass sie sich mit dem Demonstrationsverbot nicht abspeisen lassen werden. Wer am Vorabend des 1. Mai durch die am Taksim angrenzende Fußgängezone Istiklal lief, bekam an etlichen Ständen Infos über die diversen Sammelplätze für die Demonstrationen in die Hand gedrückt und auf etlichen Transparanten fordern die Gewerkschaften zur Teilnahme auf.
Gegenüber der Presse bekräftigten Vertreter der linken Gewerkschaftsdachorganisation DISK am Mittwoch, dass sie sich eine Maikundgebung auf dem Taksim-Platz nicht verbieten lassen wollen. Die Bauarbeiten am Rande des Platzes, die letztes Jahr als Grund für eine Demonstrationssperre herhalten mussten sind abgeschlossen, jetzt gäbe es keinen Grund mehr, erneut den Platz für die Gewerkschaften zu sperren.
Abgesehen von den Auseinandersetzungen um den Gezi-Park, ist der Taksim für die Gewerkschaften auch historisch aufgeladen. Während der Maikundgebung 1977 hatten bis heute unbekannte Täter von den umliegenden Dächern auf die Demonstranten geschossen und 39 Menschen dabei getötet. Schon deshalb bestehen die Gewerkschaften auf einem Gedenken auf dem Platz.
Die Polizei ist vorbereitet
Die Polizei bereitet unterdessen eine weiträumige Absperrung vor. Rund um den Platz sind bereits stapelweise Absperrgitter gelagert. Doch die meisten Demonstranten werden vermutlich gar nicht soweit kommen. Nach den Erfahrungen von vor einem Jahr, wird Istanbul einen Ausnahmezustand erleben.
Wenn die Polizeiführung sich an ihrer letztjährigen Taktik orientiert, wird der gesamte Verkehr im Zentrum der Stadt lahmgelegt. Die Brücken über den Bosporus werden gesperrt, die Fähren bleiben im Hafen und auch die U-Bahn wird dichtgemacht. Dadurch werden viele der potentiellen Demonstranten daran gehindert, auch nur in die Näge des Zentrums zu gelangen. Für alle anderen werden die Zufahrtswege, die direkt auf den Taksim-Platz führen, dicht gemacht.
Die Wasserwerfer stehen in Besiktas und anderen angrenzenden Bezirken bereit und die Tränengasvorräte der Polizei sind aufgefüllt. Der Gouverneuer von Istanbul, Avni Mutlu, hat deshalb alle Mai-Demonstranten aufgefordert, sich auf einem extra vorbereiteten Demo-Parcour vor den Toren der Stadt in Zeytinburnu einzufinden.
Dort hat die AKP-Regierung ins Marmara-Meer hinein einen gigantischen Platz aufschütten lassen, auf dem nach dem Willen von Erdogan zukünftig alle Demos in Istanbul stattfinden sollen. Doch darauf wollen sich noch nicht einmal die regierungsnahen, konservativen Gewerkschaften einlassen. Sie haben angekündigt in Kadiköy, dem Zentrum der asiatischen Seite Istanbuls, ihre Kundgebung abzuhalten. | 273 |
0 | Den Speck fein würfeln, die Mettwurst häuten, in Scheiben, dann in Streifen schneiden. Die Zwiebeln schälen und fein hacken. Die Kartoffeln schälen, waschen und auf einer groben Reibe in eine Schüssel raffeln. Die Kartoffeln mit den Zwiebeln, den Eiern, dem Mehl und dem Öl gut vermengen. Mit Salz, Pfeffer und Muskat kräftig abschmecken.Eine große, flache Auflaufform einölen. Den Backofen auf 180° vorheizen. Die Hälfte der Kartoffelmasse in die Form füllen. Die Hälfte des Specks und der Mettwurst darauf verteilen. Die restliche Kartoffelmasse darüber geben und mit dem übrigen Speck und der restlichen Wurst belegen. Den Auflauf auf der mittleren Schiene etwa 1 Stunde und 15 Minuten backen.Dazu passt: Grüner Salat oder Krautsalat. | 274 |
1 | Angriff auf Flüchtlingsbus in Clausnitz: Petry räumt AfD-Beteiligung ein
Die AfD-Vorsitzende Petry bestätigte eine Beteiligung von AfD-Mitgliedern in Clausnitz. Sachsens Ministerpräsident Tillich fordert „gesamtgesellschaftliche Aktion“.
Im Mob von Clausnitz waren auch AfD-Mitglieder. Wen überrascht das gerade? Foto: dpa
BERLIN afp | Die Bundesvorsitzende der rechtspopulistischen AfD, Frauke Petry, hat zugegeben, dass bei der fremdenfeindlichen Protestaktion im sächsischen Clausnitz auch AfD-Mitglieder beteiligt waren. „Es ärgert mich, dass so etwas in Sachsen passiert, zumal wenn eigene Mitglieder beteiligt sind“, sagte Petry am Montagabend in der Phoenix-Sendung „Unter den Linden“. Dass AfD-Mitglieder die Proteste organisiert hätten, wies sie aber als „Gerüchte“ zurück.
„Wir glauben, dass Protest notwendig ist, aber nicht gegen Personen, die nach Deutschland einreisen, sondern gegen diejenigen, die diese Migrationspolitik zu verantworten haben“, sagte Petry. Kaum ein Bürger verstehe noch die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung.
In Clausnitz hatte am Donnerstagabend eine pöbelnde Menschenmenge einen ankommenden Bus mit Flüchtlingen blockiert und „Wir sind das Volk“ skandiert. Zudem gibt es Vorwürfe gegen die Polizei wegen eines rüden Vorgehens gegen Flüchtlinge. Im sächsischen Bautzen hatten zudem Schaulustige in der Nacht zum Sonntag den Brand eines Hotels bejubelt, in das Flüchtlinge einziehen sollten.
Der Ministerpräsident von Sachsen, Stanislaw Tillich, bestritt, dass seine Regierung das Problem der Fremdenfeindlichkeit über Jahre unterschätzt habe. Es habe in Sachsen bereits viele Anstrengungen gegeben, um rechtsextremes Gedankengut zurückzudrängen, sagte er am Montagabend in den ARD-„tagesthemen“.
Dies sei aber nicht nur Aufgabe der Landesregierung, sagte Tillich. „Dafür muss die gesamte Gesellschaft eintreten, nicht allein die Polizei oder die Politik.“ Nötig sei eine „gesamtgesellschaftliche Aktion, um Demokratie wieder in die Köpfe aller zu bekommen“. | 275 |
1 | Schnellere Abschiebungen: Regierung lügt sich Realität schön
Die Bundesregierung will die Maghrebländer zu sicheren Herkunftsstaaten erklären. Doch Homosexualität ist in diesen Ländern strafbar.
Auch nach Tunesien, Marokko und Algerien: Abschiebung abgelehnter Asylbewerber in Leipzig Foto: dpa
BERLIN taz | Offiziell fühlt sich die Koalition den Rechten von Schwulen und Lesben verpflichtet. Das versprechen CDU, CSU und SPD jedenfalls in ihrem Koalitionsvertrag. Darin steht zum Beipiel der wohl klingende Satz: „Wir werden darauf hinwirken, dass bestehende Diskriminierungen von (…) Menschen aufgrund ihrer sexuellen Identität in allen gesellschaftlichen Bereichen beendet werden.“
Doch dieses Versprechen gilt nicht für ausländische Homosexuelle, die besonderen Schutz brauchen. Schwule und Lesben aus nordafrikanischen Staaten, die in ihrer Heimat Strafverfolgung fürchten müssen, zeigt die Bundesregierung ein anderes, kaltes Gesicht. Das belegt das Gesetz, mit dem die Koalition Algerien, Marokko und Tunesien zu sicheren Herkunftsstaaten erklären will. Der Entwurf wird im Moment im Bundestag und im Bundesrat beraten.
In allen drei Staaten ist Homosexualität laut Gesetz strafbar. Schwule oder Lesben, die erwischt werden, können ins Gefängnis wandern. Menschenrechtsorganisationen haben Fälle von Folter dokumentiert, zum Beispiel kam es zu „analen Untersuchungen“ im Gefängnis – gegen den Willen der Inhaftierten. Beispiel Algerien: Dort müssen Schwule und Lesben mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder einer Geldstrafe rechnen. Für die Erregung öffentlichen Ärgernisses „gegen die Natur mit Personen des gleichen Geschlechts“ gibt es bis zu drei Jahre Haft.
Wie lassen sich Schnellabschiebungen von Homosexuellen in einen solchen Staat rechtfertigen? Die Regierung greift zu einem abenteuerlichen Argument. In einer Antwort an den Bundesrat, der Zweifel anmeldete, führt sie aus: „Homosexualität wird für die Behörden [in Algerien] dann strafrechtlich relevant, wenn sie offen ausgelebt wird.“ Wenn man die Begründung, die der taz vorliegt, im Sinne der Regierung vervollständigt, heißt das: Schwule und Lesben bekommen keine Probleme, wenn sie ihre Sexualität im Geheimen leben. Sie können also unproblematisch abgeschoben werden.
Kritik von allen Seiten
Luise Amtsberg, die Flüchtlingsexpertin der Grünen-Fraktion, wirft der Regierung „ein skandalöses Verständnis von Freiheit und Selbstbestimmung“ vor. Sie erteile den Maghrebstaaten damit „einen Blankocheck für Menschenrechtsverletzungen.“ Auch diverse Menschenrechtsorganisationen und die beiden großen Kirchen wehren sich mit aller Kraft gegen den Gesetzentwurf. In einer Anhörung im Innenausschuss, die am Montag Nachmittag stattfand, schlugen mehrere geladene Sachverständige der Bundesregierung ihr Gesetz um die Ohren.
Der Ratschlag der Regierung an Schutzsuchende, ihre Sexualität geheim zu halten, verstoße gegen die Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofes, wirft der Lesben- und Schwulenverband (LSVD) der Bundesregierung vor. Der EuGH hatte 2013 entschieden, dass Behörden bei einer Prüfung nicht von Asylbewerbern erwarten könnten, dass sie ihre Homosexualität in ihrem Herkunftsland geheim hielten. Die Position der Regierung sei daher „menschenrechtlich unhaltbar“, folgert der LSVD in seiner Stellungnahme an den Innenausschuss.
Das sehen auch Amnesty International und andere Menschenrechtsorganisationen so. Amnesty verweist in seiner Stellungnahme ebenfalls auf das EuGH-Urteil. Und zieht das Fazit: „Die Kriminalisierung von Homosexualität (…) muss auch von der Bundesregierung als Menschenrechtsverletzung benannt und anerkannt werden.“
Das Gesetz ist eine Antwort der Regierung auf die sexuellen Attacken der Kölner Silvesternacht. Menschen aus den drei nordafrikanischen Staaten, so die Botschaft, sollen schnell und unkompliziert abgeschoben werden können. Der Entwurf soll bis zur Sommerpause Bundestag und -rat passieren. In der Länderkammer müssen auch rot-grüne Landesregierungen zustimmen, damit er eine Mehrheit bekommt.
Grüne in Not
Gerade die Grünen stürzt dies in Nöte. Offiziell lehnt die Partei das Konzept der sicheren Herkunftsstaaten ab. Die Fraktion hat sich in einer Plenardebatte bereits hart gegen den Plan gestellt, Algerien, Marokko und Tunesien für sicher zu erklären. Doch Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hat in der Vergangenheit Erweiterungen der Liste der sicheren Herkunftsstaaten abgesegnet.
Die Bundesregierung verweist dagegen auf die niedrigen Schutzquoten für Leute aus den nordafrikanischen Staaten. 2015 wurde nur knapp ein Prozent der Asylbewerber aus Algerien und 2,3 Prozent der Asylbewerber aus Marokko anerkannt. Die Anerkennungsquote für Tunesien lag sogar bei Null. Die Koalition will mit dem Gesetz Leute abschrecken, die keine Chance auf Asyl haben, weil sie vor Armut oder Perspektivlosigkeit fliehen.
Bereits die öffentliche Diskussion über das Gesetz scheint abschreckend zu wirken. Das belegen Zahlen des Bundesamtes für Migration. Im Januar kamen 1.563 Menschen aus Algerien nach Deutschland, aus Marokko kamen 1.623 und aus Tunesien 170. Im Februar und März waren es deutlich weniger. Im März zählte das BAMF nur noch 212 Menschen aus Algerien, 225 aus Marokko und 43 aus Tunesien. BAMF-Abteilungsleiterin Ursula Praschma sagt: Die Diskussion über das Gesetz im Januar habe „zu einer spürbaren Reduzierung bei den Neuzugängen geführt.“ | 276 |
0 | »Der Admiral« wird auch oft kurzweg gesagt, wenn man das Admiralsschiff,
das Flaggschiff meint. »Wir folgen im Kielwasser des Admirals.«
»Durchläuchtigste Seehelden«: »Die Schiffe waren: Amsterdam groß 400
Last als Admiral, und hatte 237 Mann auf, 20 Metalline und eiserne
Stücken Geschütz. Delft der Vice-Admiral war gleichfalls 400 Last groß,
mit 242 Köpffen bemannt« ... | 277 |
1 | Brände in Flüchtlingsheimen: 22 Verletzte in Witzenhausen
Beim Brand in einem Flüchtlingsheim in Hessen gehen die Ermittler von Brandstiftung aus. Auch in Berlin geht die Suche nach zwei Tätern weiter.
Die Brandursache ist noch unklar: LKA-Ermittler in Witzenhausen Foto: dpa
ESCHWEGE afp/dpa | Nach einem Kellerbrand in einem auch als Flüchtlingsunterkunft genutzten Mehrfamilienhaus im hessischen Witzenhausen gehen die Ermittler nach ersten Untersuchungen von Brandstiftung aus. Ein technischer Defekt scheide als Ursache aus, daher werde davon ausgegangen, dass Menschen das Feuer fahrlässig oder absichtlich verursacht hätten, teilte die Polizei in Eschwege mit.
Spuren von Brandbeschleuniger fanden die Beamten nach eigenen Angaben aber nicht, auch Hinweise auf einen fremdenfeindlichen Hintergrund lagen ihnen bislang nicht vor.
Bei dem Feuer in der Nacht zum Mittwoch hatten nach Angaben der Polizei in Eschwege 22 Menschen leichte Rauchvergiftungen erlitten und kamen in Krankenhäuser. Darunter befand sich ein anderthalbjähriges Kind. Das Feuer war laut Polizei gegen Mitternacht gemeldet worden, die meisten Bewohner verließen das Gebäude noch vor Eintreffen von Feuerwehr und Polizei. Rettungskräfte brachten die übrigen Menschen in Sicherheit und löschten den Brand in kürzester Zeit.
In dem Haus befinden sich der Polizei zufolge kommunale Wohnungen für Bedürftige sowie im oberen Teil Unterkünfte für Flüchtlinge. Etwa 80 Feuerwehrleute waren im Einsatz, dazu diverse Polizisten sowie die Besatzungen mehrerer Rettungs- und Notarztwagen.
Weitere Brände in Berlin
Auch in Berlin ermittelt die Polizei nach zwei mutmaßlichen Brandstiftungen in Flüchtlingsunterkünften in Buch und Adlershof. Noch gibt es keine konkreten Hinweise auf Täter. In Buch hatte es bei einem Brand am Montagmorgen sechs Leichtverletzte gegeben. Das Gebäude mit rund 170 Bewohnern ist derzeit nicht zu benutzen. Sie wurden woanders untergebracht.
Deutlich geringer war der Sachschaden am Montagabend in Adlershof. Dort war ein Feuerwerkskörper durch ein offenes Fenster in eine Flüchtlingsunterkunft geworfen worden. Hier wurde niemand verletzt. In beiden Fällen wird ein politisches Motiv vermutet. | 278 |
1 | Streit um Wahlrechtsreform: Die Union mauert
Direktmandate blähen den Bundestag immer weiter auf. CSU und CDU wollen aber die Zahl der Wahlkreise nicht verringern.
Mit CDU und CSU gibt es keine Reform: Annegret Kramp-Karrenbauer (re.) und Alexander Dobrindt Foto: Michael Rehle/reuters
BERLIN taz | Die CSU im Bundestag beharrt bei einer geplanten Wahlrechtsreform auf der Beibehaltung der derzeit 299 Wahlkreise und spricht sich gegen eine Begrenzung der Direktmandate aus. Das hat am Dienstag CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt in Berlin klargestellt.
Der Bundestag ist seit 2017 mit 709 Abgeordneten so groß wie noch nie, seine Normgröße liegt bei 598 Abgeordneten. Nach der Wahl im Jahr 2021 könnte er auf über 800 Abgeordnete anwachsen. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hat deshalb die Parteien aufgefordert, sich bis Ende Januar auf einen Kompromiss zu einigen. Dieses Ziel scheint zu scheitern.
Alexander Dobrindt erklärte, einen Wahlkreis zu gewinnen und dann das Mandat dafür nicht zugeteilt zu bekommen, sei undenkbar. „Wer das richtig findet, wird eher die Kritiker der Demokratie bestärken.“ Die Wähler würden es jedenfalls nicht verstehen, dass der Kandidat, dem sie zum Sieg verholfen haben, nicht in den Bundestag einziehen könne. Die CSU wolle ein Modell, das die Zahl der Abgeordneten begrenzt, die Zahl der 299 Wahlkreise aber beibehalte. Hintergrund ist, dass seine Partei in Bayern zuletzt alle 46 Wahlkreise direkt gewonnen hat.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Michael Grosse-Brömer, sagte ebenfalls am Dienstag, es liefen nach wie vor interfraktionelle Gespräche, um die Zahl der Mandate zu begrenzen. „So zu tun, als seien wir die Truppe, die sich einer Wahlrechtsreform sperrt, ist falsch.“
CDU will „Kontinuität“
Dennoch sieht auch er eine Reduzierung der Zahl der Wahlkreise skeptisch. Die Wahlkreise seien ein wichtiger Punkt beim Stichwort Bürgernähe, das sehe man bei der CDU genauso wie die CSU. Es sei „leicht, das zu fordern – aber schwer, einen Kompromiss zu finden“. Eine Änderung bei den Wahlkreisen bedeute zudem intensive Verwaltungsänderungen. Auch aus diesem Grund mache Kontinuität bei den Wahlkreisen „sehr viel Sinn“, sagte Grosse-Brömer.
Der Vizepräsident des Bundestages, Thomas Oppermann, hatte am Wochenende gewarnt, gelinge es nicht, bis Ostern eine Reform zu beschließen, „dann beschädigen wir das Vertrauen in die parlamentarische Demokratie“. Seine Partei, die SPD, plädiert für eine Variante, bei der die Zahl der Abgeordneten durch eine „Obergrenze“ gesetzlich gedeckelt werden soll. Die Große Koalition müsse zügig eine Regelung finden, „sonst blamiert sie sich bis auf die Knochen“.
Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Version dieses Artikels hieß es, Thomas Oppermann sei Fraktionsvorsitzender der SPD im Bundestag. Das ist er seit 2017 nicht mehr. Wir bedauern diesen Fehler. | 279 |
1 | Schwarz-Grün in Hamburg gescheitert: Auf in den Wahlkampf
Bürgermeister Ahlhaus (CDU) will im Amt bleiben, SPD-Chef Olaf Scholz will es ihm streitig machen. Seine Wahlkampfthemen: Arbeit, Wohnen, Bildung.
Beliebter Gesprächspartner in Hamburg: SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz. Bild: dapd
HAMBURG taz | "Ich will Hamburger Bürgermeister werden", mit diesen Worten eröffnete SPD-Landeschef Olaf Scholz am Sonntagnachmittag inoffiziell den Wahlkampf für die Hamburger Bürgerschaftswahl im kommenden Februar.
Vom Landesvorstand bereits als Spitzenkandidat vorgeschlagen, von der Parteibasis im Dezember noch zu nominieren, nannte Scholz bereits erste Wahlkampfthemen, mit denen die SPD in die Offensive gehen will: Die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum, die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Verbesserung der beruflichen Bildung könnten die sozialdemokratischen Schwerpunkte im kurzen Wahlkampf sein.
Vermutlich am 15. Dezember wird die Hamburgische Bürgerschaft ihre Selbstauflösung beschließen und den Weg für Neuwahlen frei machen. Die laufenden Haushaltsberatungen über den bislang größten Sparhaushalt der Stadt werden damit voraussichtlich keinen Abschluss mehr finden.
Bereits am Dienstag wird die GAL-Fraktions- und Parteispitze ihre Mitglieder auf einer nicht-öffentlichen Zusammenkunft über die Gründe der Koalitionsaufkündigung informieren. Am 13. Dezember wird die Parteibasis dann entscheiden, ob die Fraktion den Neuwahl-Antrag in die Bürgerschaft einbringen wird. Zuvor noch - am Montag - wird Bürgermeister Christoph Ahlhaus (CDU) dem grünen Senatspersonal Christa Goetsch, Anja Hajduk und Till Steffen ihre Entlassungsurkunden in die Hand drücken. Damit geht die schwarz-grüne Koalition nach knapp zweidreiviertel Jahren zu Ende.
Es waren mehrere Gründe, die die Grünen am späten Samstagabend dazu bewogen hatten, die Koalition aufzukündigen. So seien Haushaltsbeschlüsse "nicht umgesetzt" worden, klagte GAL-Fraktionschef Jens Kerstan. Als die GAL die Haushaltspläne bekam, seien gemeinsam beschlossene Sparmaßnahmen dort nicht mehr aufgetaucht, sondern die geplanten Sparbeiträge als "globale Minderausgabe" gebucht gewesen.
Eine große Rolle spielte auch der Koalitionskrach um die Ablösung des HSH-Nordbank Chefs Dirk Jens Nonnenmacher. "Wir haben in wochenlangen Beratungen betont, dass wir Handlungsbedarf sehen und uns wurde wochenlang nur erklärt, dass das Problem überhaupt nicht bestehe", ärgert sich der scheidende Justizsenator Till Steffen.
Spätestens am 20. Februar muss es laut Hamburger Verfassung Neuwahlen geben. Nach der jüngsten Wahlumfrage des Psephos-Instituts käme die CDU bei einer Bürgerschaftswahl derzeit auf 35 Prozent und die GAL auf zwölf Prozent der Stimmen. Die SPD würde 40 Prozent erhalten, die Linke sechs, und die FDP wäre mit nur vier Prozent nicht in der Bürgerschaft vertreten. Eine rot-grüne Koalition hätte damit zusammen 52 Prozent, allerdings auch Schwarz-Grün eine knappe 47:46-Prozent-Mehrheit vor Rot-Rot.
Die Linkspartei begrüßte den "Ausstieg der GAL " als "längst überfälligen Schritt", da die Koalition "offensichtlich nicht mehr handlungsfähig" gewesen sei. "Klare Vorstellungen für einen Politikwechsel" habe die Linke, doch wie diese aussehen und ob die Partei eher wieder in die Opposition oder diesmal gar in die Regierung strebt, ließ sie offen.
Auch die Grüne Jugend atmete auf: Schwarz-Grün sei grundsätzlich" kein "zukunftsfähiges Konzept", die Koalitionsauflösung hätte "spätestens nach dem Rücktritt Ole von Beusts geschehen" müssen. | 280 |
1 | Datenschutz in Deutschland: Verbraucherschützer gegen WhatsApp
Verbraucher verlieren zunehmend die Hoheit über ihre Daten. Die deutschen Verbraucherzentralen gehen jetzt gegen WhatsApp vor.
Liken sich gegenseitig: WhatsApp und Facebook Foto: reuters
BERLIN epd | Der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) hat den Kurznachrichtendienst WhatsApp aufgefordert, die geplante Weitergabe von Nutzerdaten an den Mutterkonzern Facebook zu unterlassen. WhatsApp bleibe bis Mittwoch, 21. September, Zeit, eine entsprechende Unterlassungserklärung abzugeben, teilten die Verbraucherschützer am Montag in Berlin mit.
Das Marktwächter-Team vom vzbv kritisiert, dass das Unternehmen persönliche Daten wie Telefonnummern an seinen Mutterkonzern Facebook weiterreichen will. Neue Nutzungs- und Datenschutzbestimmungen machten dies möglich, hieß es weiter.
Der Vorstand des vzbv, Klaus Müller, erklärte, „bei der Übernahme 2014 von WhatsApp hat Facebook öffentlich bekundet, dass der Dienst von WhatsApp unabhängig bleiben solle“. Verbraucher hätten also darauf vertraut, dass ihre Daten allein bei WhatsApp bleiben und kein Datentransfer zu Facebook erfolgt. „Ihr Vertrauen wurde enttäuscht.“ Der vzbv hatte bereits in seiner Abmahnung von Facebook Anfang 2015 erste Anzeichen für einen Datenaustausch kritisiert.
„Mit großer Sorge beobachten wir einen schleichenden Trend: Verbraucher verlieren nach und nach die Hoheit über ihre Daten“, sagte Müller weiter. Ihre Privatsphäre gerate in Gefahr, so der oberste Verbraucherschützer. | 281 |
0 | Nach kurzer Atempause sprangen wir mit wenigen Leuten aus unserem
Grabenstück auf den Feind zu. Es ging um Leben und Tod. Nach ein paar
Sprüngen lag ich mit einem Begleitmann allein dem linken
Maschinengewehrnest gegenüber. Deutlich sah ich hinter einem kleinen
Erdaufwurf einen flach behelmten Kopf neben einer emporsteigenden feinen
Wasserdampfsäule. Ich näherte mich durch ganz kurze Sprünge, um keine Zeit
zum Zielen zu geben. Jedesmal, wenn ich lag, schleuderte mir der Mann einen
Rahmen Patronen zu, mit denen ich eine Reihe wohlgezielter Schüsse abgab.
»Patronen, Patronen!« Ich wandte mich um und sah ihn zuckend auf der Seite
liegen. -- -- | 282 |
0 | Routine wird sehr geschätzt und oft verlangt; im Musik-»amte« wird sie
beansprucht. Daß Routine in der Musik überhaupt existieren und daß sie
überdies zu einer vom Musiker geforderten Bedingung gemacht werden kann,
beweist aber wiederum die engen Grenzen unserer Tonkunst. Routine
bedeutet: Erlangung und Anwendung weniger Erfahrungen und Kunstgriffe
auf alle vorkommenden Fälle. Demnach muß es eine erstaunliche Anzahl
verwandter Fälle geben. Nun erträume ich mir gern eine Art
Kunstausübung, bei welcher jeder Fall ein neuer, eine Ausnahme wäre! Wie
stünde das Heer der Praktiker hilf- und tatenlos davor: es müßte
schließlich den Rückzug antreten und verschwinden. Die Routine wandelt
den Tempel der Kunst um in eine Fabrik. Sie zerstört das Schaffen. Denn
Schaffen heißt: aus Nichts erzeugen. Die Routine aber gedeiht im
Nachbilden. Sie ist die »Poesie, die sich kommandieren läßt«. Weil sie
der Allgemeinheit entspricht, herrscht sie. Im Theater, im Orchester, im
Virtuosen, im Unterricht. Man möchte rufen: meidet die Routine, beginnt
jedesmal, als ob ihr nie begonnen hättet, wisset nichts, sondern denkt
und fühlet! | 283 |
1 | Soldatenmord in London: Tatverdächtiger erstmals vor Gericht
Vor zwei Wochen soll er mit einem Komplizen den Soldaten Lee Rigby getötet haben. Nun stand der 28-jährige Michael Adebolajo erstmals vor Gericht.
Gerichtszeichnung: Der Angeklagte Michael Adebolajo im Gerichtssaal. Bild: ap
LONDON ap/taz | Fast zwei Wochen nach der tödlichen Beil-Attacke auf einen Soldaten in London ist einer der Hauptverdächtigen erstmals vor Gericht erschienen. Der 28-jährige Michael Adebolajo trat am Montag mit einem Koran vor die Richter, sein linker Arm war stark einbandagiert.
Vor dem Gericht in Westminster bat er dann darum, „Mujahid Abu Hamza“ genannt zu werden. Sein mutmaßlicher Komplize wurde am Montag vor ein anderes Londoner Gericht gestellt und per Videoübertragung zugeschaltet.
Adebolajo soll gemeinsam mit dem 22-jährigen Michael Adebowale am 22. Mai im Londoner Stadtteil Woolwich den 25-jährigen Soldaten Lee Rigby zunächst mit einem Auto angefahren und dann mit Messern und einem Fleischerbeil brutal ermordet haben.
In Handyvideos war zu sehen, wie sich das mutmaßliche Täter-Duo mit blutverschmierten Händen mit dem Angriff brüstet und islamistische Parolen ruft. Bei der Festnahme nahe der Kaserne Rigbys wurden die beiden von der Polizei angeschossen.
Die Vorwürfe gegen Adebolajo lauten auf Mord, versuchte Ermordung zweier Polizisten und illegalen Waffenbesitz. Adebowale wird das gleiche zur Last gelegt. Adebolajo, ein britischer Staatsbürger mit nigerianischen Wurzeln, ist nach Medienberichten vom Christentum zum Islam übergetreten und danach immer radikaler geworden.
Wie der Guardian berichtet war der Angeklagte am Samstag aus einem Londoner Krankenhaus entlassen worden, wo er wegen seiner Schussverletzug behandelt worden war. Während der Verhandlung habe er mehrmals einem Unterstützer im Zuschauerraum gewunken. | 284 |
0 | Unten sah er noch flüchtig auf seine Uhr, die er nach einigen Semestern
eifrigen »Studierens« wieder ihrer eigentlichen Bestimmung zugeführt
hatte. Es stimmte: sieben Uhr. Früher durfte er nicht kommen, hatte die
Mutter feierlich geboten -- und wieder so eigen gelächelt. Dabei zeigte
sie die Grübchen auf den Wangen, die es einst seinem Vater angetan
hatten. | 285 |
1 | Für eine Galerieansicht aller Frankreich-Karten klicken Sie bitte Interner Link: hier.
Amerika war nicht nur das Ziel der Briten und Spanier. Im Wettstreit der Kolonialmächte suchte auch Frankreich in der "Neuen Welt" nach Reichtum, sowie sein Einflussgebiet zu erweitern. Der französischsprachige Teil Kanadas, Quebec, mit seiner Metropole Montreal sowie Louisiana erinnern daran. Seinen Namen verdankt der heutige US-Bundesstaat dem französischen Sonnenkönigs Louis XIV. Für die Gegenwart sind besonders die nordafrikanischen Kolonien sowie die, aus ehemaligen Kolonien hervorgegangenen Überseegebiete bedeutsam. Das beliebte Urlaubsziel La Réunion sowie die südamerikanischen Territorien kommen dabei schnell in den Sinn. Aus Nordafrika stammen viele Einwanderer, die heute in Frankreich leben und dem laizistischen Staat einen multikulturellen Charakter verleihen. Der Kampf um die Unabhängigkeit dieser letzten Kolonien ist dabei ein dunkles und noch lange nicht aufgearbeitetes Kapitel der französischen Geschichte. Das gilt besonders für den Algerienkrieg, der zwischen 1954 und 1962 Zehntausende das Leben kostete und eine Zäsur in der französischen Geschichte darstellt. Katrin Sold berichtet ausführlich über diesen unvollendeten Aufarbeitungsprozess: den Algerienkrieg im kollektiven Gedächtnis Frankreichs.
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0 | WM-Qualifikation im Frauenfußball: Bedenkliche Ergebnisse
Die deutsche Auswahl fegt in der WM-Qualifikation sämtliche Gegner vom Platz. Diese Dominanz wird so langsam zum Problem.
Beinahe beschäftigungslos: die deutsche Keeperin Almuth Schult Bild: dpa
Man darf Almuth Schult ruhig abnehmen, dass sie sich auf das WM-Qualifikationsspiel des deutschen Frauen-Nationalteams am Mittwoch in Osijek (15 Uhr/live ZDF) freut. Die viertgrößte Stadt Kroatiens, von Österreichern gerne Essegg genannt, liegt direkt an der Drau, die später in die Donau mündet.
Von dort, aus Österreichs Kapitale Wien, ist am Dienstag der DFB-Tross per Charter eingeflogen. Gegen Kroatien steht erneut Ersatztorhüterin Almuth Schult zwischen den Pfosten. Kapitänin Nadine Angerer reiste erst gar nicht für die beiden letzten Länderspiele des Jahres an: Die 34-Jährige bat darum, doch lieber bei ihrem neuen Klub Brisbane Roar in der australischen W-League Punktspiele bestreiten zu dürfen. Dort werde sie mehr gefordert. Und wie recht sie hat.
„Jedes Spiel bringt einen weiter“, redete sich Almuth Schult vorher ein, ehe die 22-Jährige am Samstag in Zilina nach ihrem zwölften Länderspiel feststellte: „Ich habe nicht einen Schuss aufs Tor bekommen.“ Bislang lief jede Qualifikationspartie nach demselben monotonen Muster ab: Die Deutschen erobern spätestens kurz hinter der Mittellinie den Ball, versuchen sich irgendwie durchzuspielen, und irgendwann fällt die ungeordnete Gegenwehr in sich zusammen.
So war es gegen Russland (9:0), in Slowenien (13:0), gegen Kroatien (4:0) und eben auch in der Slowakei (6:0) – „obwohl wir da kein gutes Länderspiel gemacht haben“, wie Doppeltorschützin Anja Mittag anmerkte.
Sich mit den Großmächten messen
Und selbst Bundestrainerin Silvia Neid monierte: „Wir haben uns teils sehr schwer getan, vor allem in unserem Kombinationsspiel.“ Das Dilemma: Ihr Team kann im Grunde nur schlecht aussehen.
Zudem scheint es dem Werbewert fürs weibliche Segment wenig dienlich, dass alle Qualifikationspartien aufgrund der Vereinbarungen aus dem Länderspielvertrag zwischen dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) und den öffentlich-rechtlichen Anstalten live gezeigt werden. Immerhin 2,69 Millionen Zuschauer sahen Ende Oktober in der ARD das zähe Hinspiel gegen die kroatischen Fußballerinnen.
Teammanagerin Doris Fitschen verhehlt nicht, „dass es in unserem Interesse wäre, gegen möglichst gleichstarke Gegner zu spielen“. Und in kleineren Gruppen, „um mehr Termine für Freundschaftsspiele zu haben“. Doch ähnlich wie bei den Männern verweigert sich die Dachorganisation Uefa auch bei den Frauen einer Vorqualifikation. Gerade für weite Teile Osteuropas, wo die Entwicklung des Frauenfußballs oft noch in den Kinderschuhen steckt, sei es wichtig, sich mit den Großmächten zu messen.
Zum Glück gibt's den Algarve-Cup
Für die Frauen-WM 2015 in Kanada qualifizieren sich erstmals 24 Teams, ein Drittel davon stellt Europa. 42 europäische Mannschaften, so viel wie nie zuvor, hatten für die Qualifikation gemeldet und wurden auf sieben Sechsergruppen verteilt. Die Gruppensieger sind direkt qualifiziert, dann gibt es noch Playoffs um einen freien Platz. Das eigentliche Problem sind die gewaltigen Leistungsunterschiede aufgrund der unterschiedlichen Professionalisierung. Hobbyspielerinnen sind auf dieser Bühne die Regel.
Silvia Neid entgegnet gern, dass Serbien doch gegen Dänemark 1:1 gespielt und Bosnien-Herzegowina erst in letzter Minute 0:1 gegen Schweden verloren habe. „Es ist nicht normal, dass wir immer ein Feuerwerk abfackeln.“ Und doch weiß die 49-Jährige, dass sich ihre Spielerinnen hier nicht wirklich weiterentwickeln. „Die Ergebnisse sind bedenklich“, merkte Nadine Angerer nach den ersten Kantersiegen kritisch an, „aber aus Fairplay-Gründen müssen wohl alle Nationen mitspielen“, vermutet sie.
Für die DFB-Auswahl geht die WM-Qualifikation erst am 5. April in Irland weiter. Vorher steht glücklicherweise im März der alljährliche Algarve-Cup an: Das Stelldichein an Portugals Küste garantiert endlich richtige Gegner: Deutschland ist in eine Gruppe mit China, Island und EM-Finalist Norwegen gelost worden. Im Endspiel könnte dann wie in diesem Jahr Olympiasieger USA warten. Nur Almuth Schult erinnert sich daran nicht gern. Sie patzte damals so schwer, dass Nadine Angerer im Sommer als klare Nummer eins zur EM nach Schweden fuhr. Zum Schaden des deutschen Frauenfußballs ist das nicht gewesen. | 287 |
1 | Demonstrationen in Bielefeld: Tausende gegen Neonazi-Marsch
Zum 81. Jahrestag der Novemberpogrome wollten Neonazis in Bielefeld marschieren. 10.000 Menschen auf insgesamt 14 Gegendemonstrationen haben dagegen Flagge gezeigt.
Sitzblockade gegen Neonazis in Bielefeld Foto: dpa
BIELEFELD dpa | Tausende Demonstrant*innen sind am Samstag in Bielefeld gegen einen Neonazi-Marsch auf die Straße gegangen. Man halte die etwa 230 Teilnehmer aufseiten der rechtsextremen Kleinstpartei Die Rechte und die rund 10.000 Beteiligten von insgesamt 14 Gegendemos mit zahlreichen Sperrungen auseinander, sagte eine Polizeisprecherin. Bis zum späten Nachmittag blieb es relativ ruhig. Es habe lediglich kleine Störungen gegeben.
Die Rechte hatte ausgerechnet zum 81. Jahrestag der nationalsozialistischen Novemberpogrome zu Ehren einer inhaftierten, mehrfach verurteilten Holocaust-Leugnerin zu einem Marsch durch Bielefeld aufgerufen.
Die Polizei war mit rund 1.000 Kräften aus ganz Nordrhein-Westfalen vor Ort. Man habe den Rechten Äußerungen untersagt, die zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstacheln oder den öffentlichen Frieden stören könnten, und dem Versammlungsleiter eine Liste verbotener Parolen zugestellt.
Gewerkschaften, Kirchen, Verbände und Parteien zeigten unter dem Motto „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“ gemeinsam Flagge gegen die Neonazis. Unter den verschiedenen Gegendemos gab es auch einen Fahrradkorso.
Das Verwaltungsgericht Minden hatte Ende September eine Verfügung des Polizeipräsidiums Bielefeld kassiert, den Aufzug wegen des „historisch belegten Gedenktages“ der Pogromnacht vorzuverlegen. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hatte die Versammlung an dem historischen Datum „eine Schande“ genannt und von „purer Provokation rechter Spinner“ gesprochen. | 288 |
1 | Das 25. Jubiläum eines partnerschaftlichen Treffens steht bevor: Im ungarischen Visegrád vereinbarten im Februar 1991 die aus freien und geheimen Wahlen hervorgegangenen Präsidenten von Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn zukünftige Konsultationen auf Regierungs- und Arbeitsebene und verschiedene Formen der Kooperation. Dies vor allem auch mit Blick auf die angestrebte Westintegration. Nach der Teilung der Tschechoslowakei in die beiden Republiken Tschechien und Slowakei am 1. Januar 1993 waren es dann auch diese vier Länder, die als erste der postkommunistischen Staaten 1999 der NATO (die Slowakei 2004) und 2004 der Europäischen Union beitreten konnten.
Sie galten als Vorreiter der Transformationsprozesse in Mittelosteuropa und mussten – anders als die vormalige DDR – den Umbau von politischem System, Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung aus eigener Kraft bewerkstelligen. Den bisherigen Weg der Visegrád-Staaten in Ausschnitten nachzuzeichnen, im Längs- wie im Querschnitt, heißt, sowohl zu bilanzieren als auch zum Verständnis der aktuellen Situation beizutragen. Denn 2015 ist zu einer Nagelprobe der vielbeschworenen Wertegemeinschaft geworden, als die sich die Europäische Union lange verstanden hat.
Was die Regierungen in Polen, der Slowakei, in Ungarn und Tschechien betrifft, so haben sie sich an den Auseinandersetzungen um eine solidarische Flüchtlings- und Asylpolitik der EU in einer Weise beteiligt, die vielerorts auf mehr als nur Unverständnis gestoßen ist. Aber es gibt auch Stimmen, die sich von "Mehrheitsprinzip und Druck" nicht viel versprechen und auf Dialog setzen. Deutschland etwa könne, so unlängst der Politikwissenschaftler Kai-Olaf Lang, "auch bilaterale Kooperationsformen in Betracht ziehen, um so Fragen von Asyl und Grenzen partnerspezifisch zu diskutieren". | 289 |
1 | FDP Finanzen: LiSa Service GmbH
Dokumente über die LiSa Service GmbH und ihre Verflechtung mit der FDP finden Sie hier.
Zurück zur Infografik | 290 |
0 | Menschen und Sprache verändern sich gemeinsam. Individuen werden
durch die Sprache geformt; ihre praktischen Erfahrungen formen
ihrerseits die Sprache und schaffen einen Bedarf an neuen Sprachen.
Wenn wir die Sprache und den Menschen nicht entkoppeln können,
besonders mit Blick auf die Parallelentwicklung von genetischen
Anlagen und sprachlicher Fertigkeit, werden wir uns weiterhin im
Teufelskreis von Ausdruck und Darstellung bewegen. Das Thema ist
nicht die Sprache an sich, sondern die Behauptung, daß die
Darstellung das dominante, man darf sagen ausschließliche Paradigma
menschlichen Handelns ist. Weder die Wissenschaft noch die
Philosophie haben eine Alternative zur Darstellung geschaffen. | 291 |
0 | Seine Gedanken raubten ihm den Schlaf. Über dem einsamen Haus und seinen
Menschen herrschte die traurige Ratlosigkeit in allen Räumen, die der
Tod nach seinen unbeschreiblichen Besuchen zurückläßt. So erhob sich
Gerom unruhig in der Nacht und erstieg die Treppe zu Anjes Schlafkammer.
Auf halbem Wege glaubte er Schritte zu hören, die zu verstummen
schienen, sobald die seinen erklangen. Es war ganz dunkel im Haus, nur
durch das kleine bläuliche Rechteck eines Fensters sah er zwei Sterne,
einen größeren, der lebhaft flimmerte, und einen kleinen neben ihm, der
friedsam glühte. Er begegnete Anje auf der Treppe. | 292 |
0 | Indessen befindet sich die hochschwangere Frau durch den Schrecken
übel; es wird ein Stuhl herbeigebracht, die übrigen Weiber stehen ihr
bei, sie gebärdet sich jämmerlich, und ehe man sich's versieht, bringt
sie zu großer Erlustigung der Umstehenden irgendeine unförmliche
Gestalt zur Welt. Das Stück ist aus, und die Truppe zieht weiter, um
dasselbe oder ein ähnliches Stück an einem andern Platze vorzustellen. | 293 |
0 | In diesem Moment nun entwickelte sich das bisher locker eingebundene
Segel: daraus ging ein rosiger Knabe hervor mit silbernen Schwingen,
mit Bogen, Pfeil und Köcher, und in anmutvoller Stellung schwebte er
frei auf der Stange. Schon sind die Ruder alle in voller Tätigkeit,
das Segel blähte sich auf: allein gewaltiger als beides schien die
Gegenwart des Gottes und seine heftig vorwärtseilende Gebärde das
Fahrzeug fortzutreiben, dergestalt, daß die fast atemlos nachsetzenden
Schwimmer, deren einer den goldenen Fisch hoch mit der Linken über
seinem Haupte hielt, die Hoffnung bald aufgaben und bei erschöpften
Kräften notgedrungen ihre Zuflucht zu dem verlassenen Schiffe nahmen.
Derweil haben die Grünen eine kleine bebuschte Halbinsel erreicht,
wo sich unerwartet ein stattliches Boot mit bewaffneten Kameraden
im Hinterhalt zeigte. Im Angesicht so drohender Umstände pflanzte
das Häufchen eine weiße Flagge auf, zum Zeichen, daß man gütlich
unterhandeln wolle. Durch ein gleiches Signal von jenseits ermuntert,
fuhren sie auf jenen Haltort zu, und bald sah man daselbst die guten
Mädchen alle bis auf die eine, die mit Willen blieb, vergnügt mit
ihren Liebhabern das eigene Schiff besteigen. Hiermit war die Komödie
beendigt.« | 294 |
1 | Richter des Bundesverfassungsgerichts Bild: REGIERUNGonlineDas Grundgesetz ist die oberste Richtschnur allen staatlichen Handelns. Eine eigene Institution, das Bundesverfassungs-gericht, wacht darüber, dass Parlament, Regierung und Rechtsprechung die Verfassung einhalten. Als Hüter der Verfassung kann es jeden Akt der gesetzgebenden Gewalt, der Regierung und Verwaltung und jede Entscheidung der Gerichte auf ihre Verfassungsmäßigkeit prüfen. Dabei schützt es besonders die Grundrechte der Bürger.
Außer dem Schutz der Verfassung hat das Bundesverfassungsgericht die Aufgabe, das Grundgesetz rechtsverbindlich zu interpretieren. Eine Verfassung enthält nur grundsätzliche und allgemein formulierte Regeln. Sie muss ständig neu ausgelegt und - dem gesellschaftlichen Wandel entsprechend - fortentwickelt werden. Das Grundgesetz gilt so, wie das Bundesverfassungsgericht es auslegt. Es gibt kaum einen Artikel, zu dem keine interpretierende Entscheidung des Gerichts vorläge.
Gericht und Verfassungsorgan
"Das Bundesverfassungsgericht ist ein allen übrigen Verfassungsorganen gegenüber selbstständiger und unabhängiger Gerichtshof des Bundes." So lautet Paragraph 1 Abs. 1 des "Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht". Das bedeutet, dass das Bundesverfassungsgericht einerseits ein Gericht und andererseits ein Verfassungsorgan ist.
Als Gericht ist es ein Teil der rechtsprechenden Gewalt. Allen anderen Gerichten gegenüber hat es eine einzigartige Stellung. Es ist das höchste Gericht des Bundes, die letzte Instanz für die Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit des politischen Lebens. Es kann die Entscheidungen aller anderen Gerichte aufheben, wenn sie der Prüfung auf die Verfassungsmäßigkeit nicht standhalten. Seine Entscheidungen sind für alle verbindlich.
Soweit sie die Rechtswirksamkeit von Bundes- und Landesgesetzen betreffen, haben sie sogar Gesetzeskraft und werden im Bundesgesetzblatt verkündet. Die herausragende Bedeutung des Bundesverfassungsgerichts kommt darin zum Ausdruck, dass es ein Verfassungsorgan ist, gleichen Ranges mit den anderen Verfassungsorganen, dem Bundestag, dem Bundesrat, der Bundesregierung und dem Bundespräsidenten.
Das Bundesverfassungsgericht wird nicht von sich aus tätig, sondern nur auf Antrag, es muss von einer Person oder Institution angerufen werden. Seine Zuständigkeit ist in verschiedenen Artikeln des Grundgesetzes geregelt, die wesentlichen Aufgaben sind in den umfangreichen Art. 93 und 100 detailliert aufgeführt.
Verfassungsbeschwerde
Mit einer Verfassungsbeschwerde kann jeder Bürger das Gericht anrufen, der glaubt, durch die öffentliche Gewalt in seinen Grundrechten verletzt worden zu sein. Das kann ein Verwaltungsakt, eine Gerichtsentscheidung oder auch ein Gesetz sein. Seit Gründung des Gerichts im September 1951 sind bis Ende 2001 rund 131000 Verfassungsbeschwerden eingegangen. Die tatsächliche Verletzung von Grundrechten ist seltener, als diese Flut von Beschwerden vermuten lassen könnte. Nur 3268, das sind 2,5 Prozent aller Verfassungsbeschwerden, waren erfolgreich.
Verfassungsbeschwerde kann erst dann eingelegt werden, wenn der Rechtsweg ausgeschöpft ist, das heißt, wenn zuvor alle Instanzen des zuständigen Gerichts angerufen worden sind. Kammern, die mit je drei Bundesverfassungsrichtern besetzt sind, prüfen jede eingereichte Beschwerde auf ihre Zulässigkeit. Die Kammer kann die Beschwerde einstimmig annehmen oder ohne Begründung ablehnen, wenn sie unzulässig oder aussichtslos ist. Die weit überwiegende Mehrheit der Verfassungsbeschwerden scheitert an dieser Hürde.
Die Verfassungsbeschwerde muss schriftlich eingereicht werden. Es besteht kein Anwaltszwang. Das Verfahren ist kostenlos. Um zu verhindern, dass das Gericht in offensichtlich unbegründeten Fällen in Anspruch genommen wird, kann in Fällen von Missbrauch eine Gebühr von 2600 Euro auferlegt werden.
Normenkontrolle
Von großer politischer Bedeutung ist die Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts für die Normenkontrolle. Es kontrolliert, ob ein Gesetz, eine Norm, mit dem Grundgesetz übereinstimmt. Es gibt zwei Arten von Verfahren der Normenkontrolle:
Konkrete Normenkontrolle
Wenn ein Gericht bei der Verhandlung eines konkreten Falles zu der Überzeugung gelangt, dass das anzuwendende Gesetz nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist, muss es das Verfahren unterbrechen und die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (bei Landesgesetzen des Landesverfassungsgerichts) einholen.
So haben beispielsweise 1992 mehrere Gerichte das Bundesverfassungsgericht angerufen, weil sie es für verfassungswidrig hielten, den Umgang mit Haschisch, vom Besitz über die Weitergabe bis zum Handel, unter Strafe zu stellen. In seinem viel diskutierten "Haschisch-Urteil" hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass das einschlägige "Betäubungsmittelgesetz" verfassungsgemäß ist, das Besitz und Handel mit Haschisch verbietet. Lediglich der Eigenverbrauch geringer Mengen von Haschisch kann straffrei bleiben.
In seinem "Extremistenurteil" von 1975 zur Beschäftigung von Extremisten im öffentlichen Dienst hat das Bundesverfassungsgericht Stellung genommen, nachdem es von einem Landesverwaltungsgericht angerufen worden war. Das Bundesverfassungsgericht ist bei Anträgen auf konkrete Normenkontrolle besonders zurückhaltend und überprüft streng die Zulässigkeit. In der Mehrzahl der Fälle wird der Antrag zurückgenommen.
Abstrakte Normenkontrolle
Auf Antrag der Bundesregierung, einer Landesregierung oder mindestens eines Drittels der Bundestagsabgeordneten prüft das Bundesverfassungsgericht, ob Bundesrecht oder Landesrecht mit dem Grundgesetz übereinstimmt. Das Gericht entscheidet in solchen Verfahren "abstrakt" über die Verfassungsmäßigkeit eines Gesetzes oder eines Vertrages, bevor das Gesetz in einem "konkreten" Fall angewendet worden bzw. der Vertrag rechtsgültig geworden ist.
Hier geht es um Entscheidungen in wichtigen Fragen, oftmals um zentrale politische Kontroversen. In der Regel wird das Gericht von der parlamentarischen Opposition, entweder von der Bundestagsfraktion oder von einer Landesregierung gleicher parteipolitischer Färbung, gegen Entscheidungen der regierenden Mehrheit angerufen. In anderen Fällen klagt die Bundesregierung gegen eine Landesregierung.
So klagte die sozialdemokratische Opposition 1952/53 erfolglos gegen einen deutschen Verteidigungsbeitrag. Eine Normenkontrollklage der bayerischen Staatsregierung 1973 gegen den Grundlagenvertrag mit der DDR wurde abgewiesen, das Gericht legte aber den Vertrag in wichtigen Punkten einschränkend aus. Gesetze in Hamburg und Schleswig-Holstein, die Ausländern das kommunale Wahlrecht einräumen sollten, wurden 1990 vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig und damit für nichtig erklärt.
Das Gericht hat festgestellt, dass nach dem Grundgesetz nur Deutsche ein Wahlrecht auf Bundes-, Länder- und auch auf kommunaler Ebene ausüben können. Wer Staatsangehöriger eines Mitgliedsstaates der Europäischen Union ist, hat jedoch seit dem 1. November 1993 nach dem EU-Vertrag das Recht, sich bei Wohnsitz in einem Mitgliedsstaat an dessen Kommunal- und Europawahlen zu beteiligen. Normenkontrollverfahren waren auch die Streitigkeiten um das Mitbestimmungsgesetz von 1976, die Kriegsdienstverweigerung, die Abtreibung und das Asylrecht. Meinungsverschiedenheiten zwischen Verfassungsorganen
Verfassungsstreitigkeiten zwischen Verfassungsorganen sind verhältnismäßig selten. Dabei geht es um Meinungsverschiedenheiten über die Rechte und Pflichten von Bund und Ländern oder um Streitigkeiten zwischen Ländern. Antragsberechtigt sind Bundesregierung oder Landesregierungen. Auf eine Klage der hessischen Landesregierung hin erging das "Fernsehurteil" von 1961, in dem eine von der Bundesregierung in Aussicht genommene Bundesfernsehanstalt für verfassungswidrig erklärt wurde.
Streitigkeiten zwischen Verfassungsorganen des Bundes nennt man Organstreitigkeiten. Prozessparteien können die obersten Bundesorgane (Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung, Bundespräsident), aber auch Bundestagsfraktionen und einzelne Abgeordnete, zu bestimmten Streitfragen (Zulassung zur Wahl, Parteienfinanzierung, Fünfprozentklausel) auch Parteien sein.
Eine Organklage wurde beispielsweise von vier Bundestagsabgeordneten angestrengt, als Bundeskanzler Kohl 1983 mit dem Instrument der Vertrauensfrage die Auflösung des Bundestages herbeiführte. Die Frage, ob nicht auf diesem Wege faktisch die Selbstauflösung des Bundestages eingeführt worden sei, die im Grundgesetz nicht vorgesehen ist, wurde vom Bundesverfassungsgericht verneint.
Organklagen waren auch die Klagen der SPD- und FDP-Bundestagsfraktionen gegen die Bundeswehreinsätze in Somalia und bei der militärischen Überwachung des Embargos gegen Serbien, über die 1994 vom Bundesverfassungsgericht entschieden worden ist. Von den weiteren Zuständigkeiten des Bundesverfassungsgerichts ist vor allem die Aufgabe zu erwähnen, über die Verfassungsmäßigkeit von Parteien zu entscheiden und gegebenenfalls ein Parteiverbot auszusprechen.
Organisation und Richterwahl
Das Bundesverfassungsgericht besteht aus zwei Senaten mit je acht Richtern. Die Richter jedes Senates werden je zur Hälfte durch einen Wahlausschuss des Bundestages (zwölf Abgeordnete) und vom Bundesrat jeweils mit Zweidrittelmehrheit gewählt. Die Amtsdauer der Richter beträgt zwölf Jahre, höchstens bis zum 68. Lebensjahr. Eine Wiederwahl ist nicht zulässig. Die Bedeutung des Gerichts macht die Besetzung jeder Richterstelle zu einem Politikum. Die Kandidaten werden nach einem Proporz von den Fraktionen ausgehandelt. Dabei kommt es gelegentlich zu heftigen Kontroversen, die teilweise in der Öffentlichkeit ausgetragen werden. Das Erfordernis der Zweidrittelmehrheit zwingt zu Kompromissen und schließt die Wahl von parteipolitisch besonders exponierten Kandidaten aus.
Die Nähe zu einer Partei hat sich als viel weniger bedeutungsvoll erwiesen, als der Parteienstreit vermuten ließe. Es besteht Übereinstimmung darüber, dass bei der Auswahl der Richter die fachliche Qualifikation die entscheidende Rolle spielt.
Zwischen Recht und Politik
Das Bundesverfassungsgericht genießt ein hohes Maß an Respekt und Ansehen. Umfragen zeigen, dass ihm die Bürger mehr Vertrauen entgegenbringen als den meisten anderen staatlichen Institutionen.
Es gibt auch Kritik am Bundesverfassungsgericht. Ihm wird vorgeworfen, es urteile über Fragen, die eigentlich in die Kompetenz des Bundestages fallen, es politisiere die Justiz oder verrechtliche die Politik. Naturgemäß können sich Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht nur gegen bestehende Gesetze oder gegen Entscheidungen der Exekutive richten.
Daher ist es in der Regel die Opposition, die das Gericht gegen Beschlüsse der Regierungsmehrheit anruft, um sie auf diesem Wege zu korrigieren, und es ist die Regierungsmehrheit, die sich darüber beklagt. Tatsächlich sind in der Geschichte der Bundesrepublik die großen politischen Kontroversen und viele weniger wichtige Streitfragen mit verfassungsrechtlichen Argumenten vor dem Bundesverfassungsgericht ausgetragen worden.
Die Problematik der gerichtlichen Entscheidung politischer Konflikte wird vom Bundesverfassungsgericht sehr wohl gesehen. Es bekennt sich zu dem Grundsatz richterlicher Selbstbeschränkung (judicial self-restraint), der vom amerikanischen Obersten Bundesgericht entwickelt worden ist. In der Regel liegt es jedoch nicht im Ermessen des Gerichts, die Behandlung einer politischen Streitfrage abzulehnen, wenn es angerufen wird.
Man kann auch eine zunehmende Tendenz feststellen, unpopuläre Entscheidungen dem Bundesverfassungsgericht zuzuschieben, weil sie dann in der Öffentlichkeit eher akzeptiert werden, als wenn sie vom Parlament getroffen werden. Die Auseinandersetzung um den Bundeswehreinsatz außerhalb des NATO-Bereichs ist dafür ein aktuelles Beispiel. Das Bundesverfassungs-gericht gibt allerdings immer wieder ungefragt Hinweise, wie es in bestimmten Fragen denkt.
Die Referenten in den Ministerien prüfen daher Gesetzentwürfe daraufhin, ob sie bei Anrufung des Gerichts Bestand haben. Die richterliche Selbstbeschränkung kommt nicht zuletzt darin zum Ausdruck, dass das Gericht in der Regel die Übereinstimmung von Gesetzen und Verträgen mit der Verfassung feststellt und bestätigt, was die Politik entschieden hat.
Ein neueres Beipiel sind die Entscheidungen zu den Enteignungen zwischen 1945 und 1949 in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands. Für Besitz, der in diesem Zeitraum enteignet wurde, besteht laut Einigungsvertrag kein Anspruch auf Rückerstattung oder Entschädigung. Diese Regelung ist vom Bundesverfassungsgericht in zwei Entscheidungen 1991 und 1996 mit der - umstrittenen - Begründung bestätigt worden, anders sei die Wiedervereinigung nicht zu erreichen gewesen. Das Gericht kann jedoch auch eine nur teilweise Verfassungswidrigkeit von Regelungen feststellen oder aber deren verfassungskonforme Auslegung für geboten erachten, wie zum Beispiel in der Entscheidung zum Grundlagenvertrag.
Seit 1970 können die Bundesverfassungsrichter, wenn sie mit der Entscheidung der Mehrheit nicht übereinstimmen, ihre abweichende Meinung in einem Sondervotum kundtun und begründen. Solche Sondervoten, die naturgemäß vor allem bei besonders umstrittenen Entscheidungen des Gerichts abgegeben werden, stoßen in der Öffentlichkeit auf großes Interesse. Sie zeigen, dass der Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozess auch in einem solchen Kollegium nicht immer einhellig verläuft.
Die Verfassungsrichter bestätigen damit, dass unterschiedliche Auffassungen, die in der öffentlichen Diskussion geäußert werden, auch verfassungsrechtliche Gründe für sich in Anspruch nehmen können, selbst wenn dies im politischen Meinungsstreit oft bestritten wird. Die Autorität des Bundesverfassungsgerichts beruht darauf, dass seine Urteile von den verschiedenen politischen Richtungen akzeptiert werden. Auch wenn an einzelnen Urteilen heftige Kritik geübt wird, herrscht doch der Eindruck vor, das Gericht entscheide unparteiisch und wahre die Balance zwischen Rechtsinterpretation und politischer Wertung.
Aus: Pötzsch, Horst: Die deutsche Demokratie. 4. aktualisierte Aufl., Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2005, S. 15-119. | 295 |
1 | Die Zahl italienischstämmiger Bürger in der Bundesrepublik Deutschland beträgt heute circa 776.000 Personen, von denen 334.000 in Deutschland geboren sind., letzter Zugriff am 20.10.2017. Nach der türkischen und polnischen ist dies die drittgrößte Gruppe mit Migrationshintergrund. Der größte Teil der Italiener wohnt in Baden-Württemberg (170.000), Nordrhein-Westfalen (123.000) und Bayern (89.000). Die größten italienischen Einwohnergruppen gibt es in den großen deutschen Städten wie München (circa 28.276) Berlin (22.792) und Köln (19.048). Die Präsenz der Italiener in Deutschland hat, ebenso wie die aller anderen Migranten, bedeutende Integrations- und Veränderungsprozesse in der Gesellschaft ausgelöst.
In diesem Artikel werden Hintergründe, Entwicklung und Besonderheiten der italienischen Migration nach Deutschland seit Mitte der 1950er Jahre bis heute beleuchtet. Der Migrationsprozess wird in seinen ökonomischen Kontext und die nationalen sowie internationalen politischen Rahmenbedingungen eingebettet. Dabei wird das Netz der Migrantenorganisationen – beziehungsweise der Organisationen für Migranten – auf lokaler und transnationaler Ebene und die spezifische Zusammensetzung der Migrantengruppe berücksichtigt. Die Analyse widmet sich den Mechanismen von Inklusion und Exklusion der Italiener in zentralen Bereichen der Gesellschaft: in der Bildung, der Wirtschaft und der Politik; ebenso den Formen ihrer aktiven Partizipation am gesellschaftlichen Leben. Eine Darstellung der veränderten Wahrnehmung der Italiener in der öffentlichen Meinung komplettiert den Überblick.
Italienische Zuwanderung zwischen bilateralem Abkommen und europäischer Freizügigkeit
Die Verhandlungen, die zu einem bilateralen Abkommen über die Anwerbung und Vermittlung italienischer Arbeitskräfte führten, gehen auf den Anfang der 1950er Jahre zurück, als die italienische Regierung infolge der stetigen Abnahme italienischer Exporte nach Deutschland die Bundesregierung ersuchte, italienische Saisonarbeitskräfte zu beschäftigen. Im Zuge des ökonomischen Wiederaufbaus Europas in der Nachkriegszeit, in dessen Zentrum die Steigerung der Exporte und damit einhergehend eine Liberalisierung des Außenhandels standen, war eine starke gegenseitige Abhängigkeit zwischen beiden Ländern entstanden. Die Entwicklung einer international wettbewerbsfähigen Industrie beschränkte sich in Italien allerdings auf das sogenannte Industrie-Dreieck zwischen Mailand, Turin und Genua. Im Fokus stand dabei die Steigerung der Produktivität und der Exporte, während das Problem der Arbeitslosigkeit ungelöst blieb. Unter Alcide De Gasperi versuchte die italienische Regierung, die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, indem sie institutionalisierte Wege der Emigration schaffte. De Gasperi beabsichtigte, im Zuge gegenseitiger Handelskonzessionen Beschäftigungsmöglichkeiten für italienische Arbeitskräfte in den Mitgliedsländern der Organisation für europäische wirtschaftliche Zusammenarbeit (OEEC) zu finden.
Das Deutschland Konrad Adenauers hingegen hatte, um die soziale und politische Stabilität zu garantieren, die Vollbeschäftigung zum Ziel erklärt. Es verwundert wenig, dass sich noch zu Beginn des Jahres 1954 das Arbeitsministerium und die Gewerkschaften in Deutschland gegen Abkommen zur Anwerbung von Arbeitskräften mit Italien wehrten und auf die hohe Arbeitslosenquote im Agrarsektor hinwiesen. Andererseits war Italien ein sehr bedeutender Importeur von Kohle, und der Großteil der deutschen Exporte wurde an die italienische Maschinenbau-, Metall- und chemische Industrie geliefert. Die Bundesregierung schlug Italien Anfang 1955 ein „präventives“ Abkommen vor, das nur dann in Kraft treten würde, falls Deutschland Arbeitskräftebedarf hätte, also nur, falls in Deutschland die Vollbeschäftigung erreicht werden würde. Das Abkommen, das der deutsche Bundesminister für Arbeit Anton Storch und der italienische Außenminister Gaetano Martino am 20. Dezember 1955 in Rom unterzeichnen, war das letzte einer langen Reihe von Abkommen, die Italien seit 1946 mit europäischen, südamerikanischen und ozeanischen Ländern abgeschlossen hatte. Es diente als Vorlage für weitere Verträge, die die Bundesrepublik mit den Mittelmeerländern abschloss.
Der Ablauf der Anwerbung und der Vermittlung von italienischen Arbeitskräften verlief wie folgt: die deutsche Kommission in Italien, die von der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung entsendet wurde und in den Emigrationszentren in Verona und Neapel tätig war, erhielt die Anfragen der deutschen Arbeitgeber und leitete sie an das italienische Ministerium für Arbeit weiter. Dieses organisierte eine Vorauswahl nach Berufen und Gesundheitszustand der Bewerber in den verschiedenen italienischen Provinzen. Die deutsche Kommission traf die endgültige Auswahl. Die Kandidaten mussten sowohl ihre schulische und berufliche Ausbildung als auch einen stabilen Gesundheitszustand nachweisen. Einmal ausgewählt, konnten die Kandidaten den Arbeitsvertrag unterschreiben, mittels dessen sie den deutschen Arbeitnehmern mit entsprechender Qualifikation gleichgestellt wurden.
Im April 1956 verließ das erste Kontingent von 1389 Saisonarbeitern Italien. Ende des ersten Anwerbejahres arbeiteten 10.240 Arbeiter aus dem Veneto, Apulien und Kampanien im Agrarsektor und im Baugewerbe in Niedersachsen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Ab Mitte der 1960er Jahre konzentrierte sich die Migrationsbewegung, die hauptsächlich aus dem Süden Italiens kam, auf die metallverarbeitende Industrie in den Bundesländern Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Bayern und Hessen. Nun nahm die Arbeitsmigration einen permanenten Charakter an.
Für Italien war es weiterhin notwendig, das Problem der Arbeitslosigkeit in Italien – über bilaterale Verhandlungen hinaus – zu einem Thema der europäischen Zusammenarbeit zu machen. Erreicht wurde dies 1957 mit der Unterzeichnung der Römischen Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, in denen die Freizügigkeit der Arbeitnehmer verankert wurde. Diese Freizügigkeit trat schrittweise zwischen 1961 und 1968 in Kraft. Der Migrationsfluss wurde also einerseits von der Konjunkturlage in der Bundesrepublik bestimmt und andererseits vom Inkrafttreten der Regeln zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft. Das hatte zur Folge, dass seit Beginn der 1960er Jahre neue Formen der Rekrutierung entstanden, die nunmehr unabhängig von der Vermittlung durch die Emigrationszentren waren. Die italienischen Arbeitskräfte konnten zudem die nun bereits etablierten Migrationsketten nutzen und fanden Arbeit, indem sie sich direkt im Ausland bewarben. Während 1961 etwa 65 Prozent aller Arbeitsmigranten (10.700 von 16.000) über die Emigrationszentren in Verona und Neapel gekommen waren, kam 1971 nur noch ein Prozent (2000 von 154.000) über das Emigrationszentrum in Verona. Im selben Jahr betrug die Anzahl der in der Bundesrepublik registrierten italienischen Arbeitskräfte 394.000.
Italienische Arbeitsmigranten in Stuttgart 1960 (© picture-alliance / dpa, Foto: dpa)
Die Arbeitskräfte, die aus allen Regionen Italiens migrierten, waren hauptsächlich Männer, der Anteil von in der Bundesrepublik beschäftigten Italienerinnen blieb stets gering. Das Ziel der italienischen Arbeiter war, schnell Geld zu sparen, um in Italien ein Haus bauen oder sich dort selbständig machen zu können. Während der 1960er Jahre gab es zwar eine hohe Fluktuation unter den italienischen Arbeitnehmern, aber die Gesamtzahl der italienischstämmigen Einwohner ging, mit Ausnahme des Rezessionsjahres 1967, nie zurück. In dieser ersten Phase blieben sie, wie andere Gruppen von Arbeitsmigranten, meist unter sich; unter anderem, weil sie isoliert in Firmenunterkünften lebten, die die deutschen Unternehmen für ihre ausländischen Arbeiter gebaut hatten. Anstelle der vertraglich vorgesehenen angemessenen Unterbringung fanden die Italiener überfüllte Holzbaracken in der Nähe der großen Fabriken vor, oder improvisierte Schlafsäle in kaum bewohnbaren Gebäuden, die ihnen von kleinen und mittleren Unternehmen zur Verfügung gestellt wurden. Hohe Mieten für unsanierte Wohnungen, die für die Arbeiter mit ihren Familien vorgesehen waren, kennzeichneten die Wohnsituation italienischer und anderer ausländischer Arbeiter in der ganzen Bundesrepublik, von Hamburg über Frankfurt und Köln bis München. Lediglich die Unternehmen, die für den Bau von Unterkünften Mittel genutzt hatten, die die Bundesanstalt für Arbeit zur Verfügung gestellt hatte, hielten sich an die vorgegebenen Qualitätsnormen und Belegungszahlen. In München lebten nur zehn Prozent der ausländischen Arbeitskräfte in solchen Unterkünften. Es dauerte bis 1973, ehe das Gesetz über die „Mindestanforderungen an Unterkünfte für Arbeitnehmer” in Kraft trat, mit dem die Unterschiede zwischen den Unterkünften der deutschen und ausländischen Arbeitskräfte beseitigt werden sollten.
Auch bei der Arbeit waren die Italiener, die vor allem für unqualifizierte Tätigkeiten eingestellt wurden, in Abteilungen isoliert, in denen hauptsächlich Migranten arbeiteten. Berufliche Weiterqualifikation war in erster Linie für die deutschen Arbeitskräfte vorgesehen. Der Dachverband der deutschen Gewerkschaften, der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), sicherte den ausländischen Arbeitnehmern erst ab Anfang der 1970er Jahre seine Unterstützung zu, als Reaktion auf die europäische Gesetzgebung zur Freizügigkeit der Arbeitskräfte. Das erste Grundsatzpapier des DGB zur Wahrnehmung der Interessen der ausländischen Arbeitskräfte stammt aus dem Jahr 1971. 1972 erhielten die ausländischen Arbeitnehmer das Recht, bei internen Wahlen ihre Stimme abzugeben – ein Recht, das zunächst für Arbeiter aus den Staaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) galt und später auch auf solche aus Nicht-EWG-Staaten ausgeweitet wurde.
In Gegensatz zum Topos der „Italiensehnsucht”, die der deutsche Tourismus seit den 1950er Jahren befördert hatte, trug gerade die anfängliche Isolierung der ausländischen Arbeitnehmer dazu bei, dass in der öffentlichen Meinung sowie der nationalen und lokalen Presse vor allem die negativen Stereotype über die italienischen Arbeitskräfte genährt wurden. Sie galten als „unordentlich”, „heißblütig”, „Frauenhelden” und „infantil“. Die Presse und der Rundfunk berichteten über Vorkommnisse von Intoleranz und Rassismus. Der einzige Ort, an dem die Italiener sich in dieser Zeit treffen konnten, war die Italienische Katholische Mission, die von Anfang an, zusammen mit dem deutschen Caritasverband und deren italienischen Sozialarbeitern, den italienischen Arbeitern ihre Unterstützung anbot.
Seit Beginn der 1970er Jahre kam es vermehrt zum Familiennachzug. 1973 gab es 450.000 italienische Arbeitnehmer, insgesamt aber waren 620.000 Personen italienischer Herkunft registriert. Dank der EWG-Verordnungen waren die Italiener nicht vom Anwerbestopp der Bundesregierung aus dem Jahr 1973 betroffen, aber die Auswirkungen der Ölkrise machte sich vor allem im deutschen Automobilsektor negativ bemerkbar, und die Zahl der dort beschäftigten italienischen Arbeiter ging zurück. Mit 600.000 Personen blieb die Anzahl der Italiener in Deutschland jedoch beinahe stabil. Bis heute ist die Gruppe der Italiener in Deutschland die größte italienische Migrantengruppe in Europa.
Die Entstehung einer stabilen italienischen Community: Von den 1970er Jahren bis heute
Mit Beginn der 1970er Jahre waren die Italiener, ebenso wie andere Migranten, ein fester Bestandteil der deutschen Gesellschaft geworden. Die Migrationspolitik unter dem Motto „Deutschland ist kein Einwanderungsland“, die die Beschäftigung ausländischer Arbeitskräfte als vorübergehendes Phänomen ansah, wurde von der Realität widerlegt. Sowohl die Beschäftigungsdauer der Migranten, als auch die Familienzusammenführungen nahmen zu. Angesichts des Familiennachzugs und der sich abzeichnenden Dauerhaftigkeit ihrer Anwesenheit, musste sich vor allem die Lokalpolitik mit den strukturellen Problemen beschäftigen, die die Lebensbedingungen ausländischer Mitbürger hinsichtlich Arbeit, Unterkunft, Schule, Aufenthaltserlaubnis und politischer Partizipation weiterhin negativ beeinflussten. In vielen deutschen Städten entstanden die ersten Ausländerbeiräte als beratende Organe, die die Politik in Fragen der ausländischen Mitbürger unterstützen sollten. Auch die aktive Partizipation der Ausländer nahm zu. Ihr Mitgliedsanteil in den Gewerkschaften, in denen die italienischen Beschäftigten die größte ausländische Gruppe darstellten, wuchs zwischen 1974 und 1979 von 25 auf 32 Prozent. Die Aktivitäten der Ausländer in Organisationen und Vereinen mit Bezug zum Herkunftsland verstetigten sich und waren ein wichtiger Mobilisationsfaktor.
Eine Analyse der Organisationsformen der Italiener in den 1970er Jahren zeigt, dass diese ein starkes Netzwerk bildeten. Dazu gehörte der Kontakt zu den italienischen Institutionen wie der Botschaft, den Konsulaten, der Katholischen Kirche, den Gewerkschaften und politischen Parteien, aber auch zur Region im Heimatland. Die Arbeiter partizipierten intensiv an den Vereinsaktivitäten. Die Organisationen und Vereine waren unterteilt in solche, die sich im Umfeld der katholischen Kirche bewegten, und jene, die die Kommunistische Partei als Referenzpunkt hatten. Im Großen und Ganzen wurde in Deutschland der in Italien existierende politische Rahmen reproduziert.
Die Probleme, mit denen Italiener in Deutschland konfrontiert waren – die schlechten Wohnbedingungen, Arbeitsunfälle, die Bedrohung durch Entlassungen, die Schwierigkeiten der italienischen Schüler in den deutschen Schulen – wurden innerhalb der italienischen Vereinigungen und Institutionen diskutiert, die Diskussion ging aber nicht über die Grenzen der italienischen Gemeinschaft hinaus. In den Augen der Italiener waren die italienische Politik und die italienischen Politiker für ihre Situation verantwortlich, sie waren demnach diejenigen, denen die Aufgabe zufiel, ihre Probleme im Ausland zu lösen. Dieses Denken blieb bis Ende der 1980er Jahre vorherrschend, als die politischen Umwälzungen, die der Zerfall des Ostblocks mit sich brachte, die politische Landschaft in Europa veränderten und neue Möglichkeiten der italienischen Verbandstätigkeit in Deutschland eröffneten. Der Untergang der Parteien, die bis dahin die politische Bühne in Italien beherrscht hatten, also der Kommunistischen Partei und der Christdemokraten, veränderte auch das italienische Verbandswesens im Ausland.
Während die italienischen Vereinigungen bis Ende der 1980er Jahre also vor allem politisch ausgerichtet waren, oft als inoffizielle Ortsverbände italienischer Parteien, änderten sie nun mit Beginn der 1990er Jahre ihre Profile und setzten vor allem auf soziale und kulturelle Arbeit. Darüber hinaus begannen sie aktiv am Netz deutscher Institutionen und Verbände teilzuhaben und sich immer stärker lokal zu verankern. Auf lokaler Eben beeinflusste die Unterzeichnung des Abkommens von Maastricht 1992 und die Gründung der Europäischen Union das Leben der Italiener in Deutschland, besonders hinsichtlich ihrer politischen Inklusion. Die in Deutschland ansässigen europäischen Staatsangehörigen erhielten Dank des Vertrags von Maastricht nicht nur das Wahlrecht für das Europäische Parlament, sie konnten seit Mitte der 1990er Jahre auch das kommunale Wahlrecht ausüben. Letzteres veranlasste insbesondere die progressiven deutschen Parteien, Kandidaten mit ausländischem Hintergrund für ihre Wahllisten zu gewinnen. Die EU-Bürger waren ein interessantes Wählerpotenzial geworden, und die deutschen Parteien bemühten sich um engere Beziehungen zu den Migrantenorganisationen.
Während in den 1990er Jahren mit dem europäischen und kommunalen Wahlrecht zwar die politische und symbolische Inklusion der Italiener voranschritt, die nun deutlicher als europäische Mitbürger wahrgenommen wurden, war die Situation der zweiten und dritten Generation der Italiener in Deutschland hinsichtlich Arbeitsbedingungen, Schul- und Berufsausbildung nach wie vor kritisch. Die Folgen von Deindustrialisierung und Tertiarisierung wurden spürbar: Arbeitsplätze mit unqualifizierten Tätigkeiten fielen weg und prekäre Anstellungsverhältnisse nahmen zu. Eine unmittelbare Folge war die zunehmende Ausländerarbeitslosigkeit, und immer mehr Italiener kehrten nach Italien zurück. Die Beschäftigungsstruktur der Italiener modifizierte sich. Neben den noch in der Industrie beschäftigten Arbeitern fassten zunehmend Unternehmer und Angestellte in der Gastronomie und im Lebensmittelhandel Fuß. Die sogenannten ethnischen Ökonomien eröffneten den ausländischen Mitbürgern neue Beschäftigungsmöglichkeiten.
2001 begann Deutschland, sich selbst als ein Einwanderungsland zu definieren und unternahm eine Reihe von politischen Schritten zur weiteren Integration von Migranten. Allerdings musste die Bundesrepublik sich noch Ende des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts mit einer weitreichenden Exklusion der zweiten und dritten Generation von Immigranten auseinandersetzen, die sich vor allem in einer geringen sozialen Mobilität manifestierte. Für die Situation der Italiener auf dem Arbeitsmarkt war charakteristisch, dass sie in den untersten Sektoren der Industrieproduktion beschäftigt waren, im Handwerk und im Dienstleistungsbereich – die Männer hauptsächlich im Hotel- und Gaststättengewerbe, die Frauen im Bereich Dienstleistungen und Handel. Das spiegelte ihre Bildungssituation wider. 72 Prozent der Italiener in Deutschland hatten einen niedrigen Bildungsabschluss oder die Schule ohne Abschluss verlassen, was ihre Chancen, einen Ausbildungsplatz zu finden, beeinträchtigte und ihre soziale Mobilität erschwerte. Etwa 18 Prozent der italienischen Familien wurden als armutsgefährdet eingestuft. Allerdings gab es bezüglich der Situation auf dem Arbeitsmarkt und der Bildungssituation erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Bundesländern. In Bayern beispielsweise, wo das Schulsystem selektiv ausgerichtet ist, erzielten die italienischstämmigen Schüler mittelmäßige Resultate, fanden aber aufgrund der günstigen Wirtschaftssituation trotzdem Arbeit. In Berlin hingegen hatten die Schüler gute schulische Resultate, trotzdem gelang es ihnen nicht, sich schnell auf dem Arbeitsmarkt zu etablieren. Berlin hatte die höchste Arbeitslosenquote unter den italienischen Migranten in Deutschland.
Aufgrund der 2008 beginnenden internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise haben die Migrationsströme aus Südeuropa nach Deutschland wieder zugenommen. Die Zahl der Italiener stieg 2010 um 1795 Personen, 2012 um 16.343. Seit 2013 kommen jedes Jahr mehr als 23.000 Personen aus Italien nach Deutschland, mit einem Höhepunkt von 25.056 im Jahr 2014. Kennzeichnend für diese Migrationsbewegung ist, dass es sich vornehmlich um junge Menschen, Studierende und Freiberufler handelt, darunter mehr als 40 Prozent Frauen. Die Neuankömmlinge sind mit einem deregulierten Arbeitsmarkt und prekären Anstellungsverhältnissen konfrontiert, was sowohl qualifizierte als auch unqualifizierte Tätigkeiten betrifft. Allerdings erleben sie nicht mehr dieselben Formen von Diskriminierung, wie die italienischen Migranten der 1960er und 1970er Jahre. Im Gegenteil: Untersuchungen zur Wahrnehmung der Italiener durch die Deutschen bestätigen eine positive Veränderung. Die neuen Migrationsströme ergänzen das Profil der Italiener in der Bundesrepublik Deutschland und dadurch wird auch die deutsche Gesellschaft immer pluralistischer und ausdifferenzierter.
Zitierweise: Grazia Prontera, Italienische Zuwanderung nach Deutschland. Zwischen institutionalisierten Migrationsprozessen und lokaler Integration, in: Deutschland Archiv, 7.11.2017, Link: www.bpb.de/259001
Italienische Arbeitsmigranten in Stuttgart 1960 (© picture-alliance / dpa, Foto: dpa)
Vgl. Bevölkerung nach Migrationshintergrund im engeren Sinne nach erweiterter Staatsangehörigkeit in ausgewählten Staaten, Statistisches Bundesamt, Externer Link: www.destatis.de/DE/ZahlenFakten/GesellschaftStaat/Bevoelkerung/MigrationIntegration/MigrationIntegration.html
Vgl. Bevölkerung am 31.12.2015 nach der Staatsangehörigkeit und dem Geschlecht, ebd.
Die ausländische Bevölkerung nach der Staatsangehörigkeit 2016, Statistisches Amt München, Externer Link: www.muenchen.de/rathaus/dam/jcr:89a2dcdb-76bb-427d-8930-61a956092c08/jt170113.pdf, letzter Zugriff am 20.10.2017; Neue Kölner Statistik, Amt für Stadtentwicklung und Statistik, Externer Link: www.stadt-koeln.de/politik-und-verwaltung/statistik/, letzter Zugriff am 5.6.2017.
Michael Bommes, Migration in der modernen Gesellschaft, in: Michael Bommes, Migration und Migrationsforschung in der modernen Gesellschaft. Eine Aufsatzsammlung, IMIS-Beiträge 38, Osnabrück 2011, S. 53–72; Marco Martiniello, Political Participation, Mobilisation and Representation of Immigrants and their Offspring in Europe, in: Rainer Bauböck (Hg.), Migration and Citizenship. Legal Status, Rights and Political Participation, Amsterdam 2006, S. 83–105.
Vgl. Johnnes-Dieter Steinert, Migration und Politik. Westdeutschland-Europa-Übersee 1945–1961, Osnabrück 1995.
Vgl. Maximiliane Rieder, Deutsch-italienische Wirtschafts-Beziehungen – Kontinuitäten und Brüche 1936–1957, Frankfurt a. M./New York 2005.
Vgl. Elia Morandi, Governare l’emigrazione. Lavoratori italiani verso la Germania nel secondo dopoguerra, Torino 2011.
Vgl. Michele Colucci, Lavoro in Movimento. L’emigrazione italiana in Europa, 1945–57, Roma 2008.
Vgl. Federico Romero, Emigrazione e integrazione europea 1945–1973, Roma, 1991.
Hermann Graml, L’eredità di Adenauer, in: Gian Enrico Rusconi e Hans Woller (Hg.), Italia e Germania 1945–2000: la costruzione dell'Europa/a cura, Bologna 2005, S. 191–205, hier S. 197.
Maximiliane Rieder, Migrazione ed economia. L’immigrazione italiana verso la Germania occidentale dopo la seconda guerra mondiale, in: Il Veltro L (2006), 1–2, S. 55–70, hier S. 58.
Johannes-Dieter Steinert, Migration and Migration Policy: West Germany and the Recruitment of Foreign Labour 1945–1961, in: Journal pf Contemporary History 49 (2014), 1, S. 9–27.
Deutsch-italienische Vereinbarung über die Anwerbung und Vermittlung von italienischen Arbeitskräften nach der Bundesrepublik Deutschland vom 20. Dezember 1955, in: Amtliche Nachrichten der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung 4 (1956), 2, S. 44–51.
Grazia Prontera, Das Emigrationszentrum in Verona. Anwerbung und Vermittlung italienischer Arbeitskräfte in der Bundesrepublik Deutschland 1955–1975, in: Jochen Oltmer, Alex Kreienbrink und Carlos Sanz Díaz (Hg.), Das „Gastarbeiter“-System, München 2012, S. 89–102.
Federico Romero, l’emigrazione operai in Europa (1948–1973), in: Piero Bevilacqua, Andreina De Clementi e Emilio Franzina (Hg.), Storia dell’emigrazione Italiana Vol. I, Roma 2001, S. 397–414.
Regolamento n. 15/61/CEE, 16.8.1961, Gazzetta Ufficiale, Nr. 57, 26.8.1961; Regolamento n. 38/64/CEE, 25.3.1964, Gazzetta Ufficiale Nr. 62, 17.4.1964; Regolamento n. 1612/68/CEE, 15.10.1968, Gazzetta Ufficiale Nr. 257, 19.10.1968.
Beschäftigte ausländische Arbeitnehmer im Bundesgebiet nach ausgewählten Staatsangehörigkeiten 1954 bis 1973, in: Amtliche Nachrichten der Bundesanstalt für Arbeit, Nürnberg 1974, S. 12.
Vgl. Ulrich Herbert, Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland. Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Flüchtlinge, München 2001.
Grazia Prontera, Die Migrationserfahrung italienischer Arbeiter in der Bundesrepublik Deutschland in der Mitte des 20. Jahrhunderts, in: Grazia Prontera, Partire, tornare, restare? L’esperienza migratoria die lavoratori italiani nella Repubblica Federale Tedesca nel secondo dopoguerra, Milano 2009, S. 251–281.
Vgl. Wanderungen von italienischen Staatsangehörigen zwischen Deutschland und dem Ausland von 1962 bis 2015, Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2017.
Vgl. Elia Morandi, Italiener in Hamburg. Migration, Arbeit und Alltagsleben vom Kaiserreich bis zur Gegenwart, Frankfurt a. M. 2004; Yvonne Rieker, „Ein Stück Heimat findet man ja immer“, Essen 2003; Franziska Dunkel und Gabriella Stramaglia-Faggion, „Für 50 Mark einen Italiener“. Zur Geschichte der Gastarbeiter in München, München 2000.
Stadtentwicklungsreferat der Landeshauptstadt München (Hg.), Kommunalpolitische Aspekte des wachsenden ausländischen Bevölkerungsanteils in München. Problemstudie, München 1972, S. 136–144.
Dunkel und Stramaglia-Faggion, „Für 50 Mark einen Italiener“ (Anm. 21), Zitat S. 158.
Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) Bundesvorstand (Hg.), Die deutschen Gewerkschaften und die ausländischen Arbeitnehmer. Beschlüsse, Forderungen, Stellungnahmen, Empfehlungen, Düsseldorf, DGB Bundesvorstand, 1987, S. 4, zitiert in: Dunkel und Stramaglia-Faggion, „Für 50 Mark einen Italiener“ (Anm. 21), S. 253.
Maren Möhring, Italienische Gastronomie in der bundesdeutschen Wahrnehmung, in: Oliver Janz und Roberto Sala (Hg.), Dolce Vita? Das Bild der italienischen Migranten in Deutschland, Frankfurt a. M./New York 2011, S. 153–176.
Olga Sparschuh, Die Wahrnehmung von Arbeitsmigranten aus dem „Mezzogiorno“ in deutschen und norditalienischen Großstädten, in: Janz und Sala (Hg.), Dolce Vita? (Anm. 25), S. 95–115, hier S. 103; Grazia Prontera, „Unsere und deren Komplexe“: Italiener in Wolfsburg. Berichte, Darstellungen und Meinungen in der lokalen Presse (1962–1975), in: Gabriele Metzler (Hg.), Das Andere denken, Frankfurt a. M./New York 2013, S. 262–280, hier S. 265.
Vgl. Roberto Sala e Givanna Massariello Merzagora, Radio Colonia. Emigrati italiani in Germania scrivono alla radio, Milano 2008.
Roberto Sala, L’assistenza di parte italiana tragli immigrati in Germania, in: Gustavo Corni e Christof Dipper (Hg.), Italiani in Germania tra Ottocento e Novecento, Bologna 2006, S. 223–238.
Vgl. Herbert, Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland (Anm. 18), S. 198–199.
Enrico Pugliese, In Germania, in: Piero Bevilacqua, Andreina De Clementi und Emilio Franzina (Hg.), Storia dell’Emigrazione italiana, Voll. II, Roma 2002, S. 121–132.
Vgl. Stadtentwicklungsreferat der Landeshauptstadt München (Hg.), Problemstudie (Anm. 22).
Rieker, „Ein Stück Heimat findet man ja immer“ (Anm. 21), S. 80–81.
Dietrich Thränhardt, Le culture degli immigrati e la formazione della „seconda generazione“ in Germania, in: Maurizio Ambrosini, Stefano Molina (Hg.), Seconde generazioni. Un’introduzione al futuro dell’immigrazione in Italia, Torino 2004, S. 129–165.
Grazia Prontera, Munich-City of Immigration? Integration Policies and Italian Active Participation in Munich Political and Social Life through Italian Organizations in the 1970s, in: Martin Baumeister, Bruno Bonomo und Dieter Schott (Hg.), Cities Contested. Urban Politics, Heritage, and Social Movements in Italy and West Germany in the 1970s, Frankfurt a. M./New York 2017, S. 147–166.
Claudia Martini, Italienische Migranten in Deutschland. Transnationale Diskurse, Berlin 2001, S. 121.
Grazia Prontera, Percorsi femminili nell’associazionismo italiano di Monaco di Baviera dagli anni ´70 ad oggi, in: Genesis XIII (2004) 1, S. 140–155.
Alvise Del Prá, Nuove mobilità europee e partecipazione politica. Il caso degli italiani di Berlino, in: Altreitalie 36–37 (2008), 130–143; Grazia Prontera, Donne italiane e politica a Monaco di Baviera, in: Stefano Luconi, Mario Varricchio, Lontane da casa. Donne italiane e diaspora globale dall’inizio del Novecento a oggi, Torino 2015, S. 207–231.
Edith Pichler, 50 anni di immigrazione italiana in Germania: transitori, inclusi/esclusi o cittadini europei, in: Altreitalie, 33 (2006), S. 6–19.
Vgl. Wanderungen von italienischen Staatsangehörigen (Anm. 20).
Edith Pichler, Migration, Community-Formierung und Ethnische Ökonomie. Die italienischen Gewerbetreibenden in Berlin, Berlin 1997; Maren Möhring, Italienische Gastronomie in der bundesdeutschen Wahrnehmung, in: Janz und Sala (Hg.), Dolce Vita? (Anm. 25), S. 153–176.
Vgl. Bericht der Unabhängigen Kommission „Zuwanderung“ (Hg.), Zuwanderung gestalten, Integration fördern, Berlin 2001.
Sonja Haug, Die Integration der Italiener in Deutschland zu Beginn des 21. Jahrhunderts, in: Janz und Sala (Hg.), Dolce Vita? (Anm. 25), S. 136–152, hier S. 146.
Ebd., S. 151.
Vgl. Claudio Cumani, La comunità italiana in Baviera, in: Komitee der Italiener im Ausland - Konsularbezirk München, 2011; Edith Pichler, Junge Italiener zwischen Inklusion und Exklusion. Eine Fallstudie, Berlin 2010.
Alvise del Pra’, Junge Italiener in Berlin. Neue Formen europäischer Mobilität, in: Altreitalie 33 (2006), S. 1–23, hier S. 2.
Vgl. Wanderungen von italienischen Staatsangehörigen zwischen Deutschland und dem Ausland von 1962 bis 2015 (Anm. 20).
Sonja Haug, New Migration from Italy to Germany. Chain Migration or Circular Migration?, in: Iside Gjergji (Hg.), La nuova emigrazione italiana. Cause, mete e figure sociali, Venezia 2015, S. 83–110.
Haug, Die Integration der Italiener (Anm. 42), S. 136–152, hier S. 150.
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0 | Äpfel mit Weinbrand oder Zitronensaft beträufeln.Aus den restlichen Zutaten, ohne Eiweiß, einen Teig herstellen. Steif geschlagenes Eiweiß darunter ziehen.Apfelscheiben in den Bierteig tauchen und in Butterschmalz in einer Pfanne ausbacken.Gut schmeckt dazu Vanilleeis. | 297 |
0 | Lauchzwiebeln waschen und in Ringe schneiden. Kartoffeln schälen, waschen und vierteln. Leberkäse in Würfel schneiden. Getrocknete Tomaten abtropfen lassen und in Streifen schneiden.Öl in einer Pfanne erhitzen und die Lauchzwiebeln unter Rühren andünsten. Leberkäse zufügen und 5 Minuten braten. Herausnehmen und auf Küchenkrepp abtropfen lassen.Nun die Kartoffeln im Bratfett ca. 20 Minuten braten, ab und zu wenden und mit Salz und Pfeffer würzen. Danach Lauchzwiebeln, Leberkäse, getrocknete Tomaten und Thymian unter die Kartoffeln mischen.Fett in einer zweiten Pfanne erhitzen und 4 Spiegeleier darin braten.Die Kartoffel-Leberkäse-Mischung auf die Teller verteilen und auf jede Portion 1 Spiegelei legen. Mit gehackter Petersilie garnieren. | 298 |
0 | Gold and Goose / Motorsport Images
Schulterverletzung doch schwerer: Miguel Oliveira muss Le Mans auslassen
Donnerstag, 04.05.2023, 10:40
Beim Unfall in Jerez hat sich Miguel Oliveira doch schlimmere Verletzungen in der linken Schulter zugezogen - In Le Mans wird er im RNF-Team von Savadori vertreten
Miguel Oliveira muss den Grand Prix von Frankreich, der Mitte Mai auf dem Bugatti-Circuit in Le Mans stattfindet, auslassen. Das gab das RNF-Aprilia-Team bekannt. Der Portugiese wird von Aprilia-Testfahrer Lorenzo Savadori vertreten werden.
Oliveira ist am vergangenen Sonntag in Jerez in den Startunfall mit Yamaha-Fahrer Fabio Quartararo verwickelt gewesen. Bei dem Sturz hatte sich der Portugiese unmittelbar die linke Schulter ausgekugelt. Er war immer bei Bewusstsein.
Die Erstversorgung fand im Medical Center statt, bevor Oliveira zu weiteren Untersuchungen in ein Krankenhaus in der Stadt Jerez gebracht worden war. Dabei wurde auch eine Fraktur im linken Oberarmknochen festgestellt, wie das Team am Montag mitgeteilt hat.
Außerdem wurde eine Verletzung beim Labrum (Pfannenlippe) der linken Schulter entdeckt. Die Ärzte haben sich gegen eine Operation entschieden. Die Verletzungen sollen auf natürliche Weise verheilen. Deswegen muss Oliveira eine Pause einlegen.
Es besteht die Hoffnung, dass er beim Grand Prix von Italien, der vom 9. bis 11. Juni in Mugello stattfindet, wieder dabei sein kann. Bis er wieder fit ist, wird er von Savadori vertreten. Der Italiener arbeitete sich am vergangenen Montag beim Test in Jerez ins RNF-Team ein.
Für Oliveira ist das nun die zweite Verletzungspause in der noch jungen MotoGP-Saison 2023. Beim Saisonauftakt in Portimao (Portugal) war ihm Marc Marquez (Honda) in die Seite geprallt. Dadurch hatte Oliveira Prellungen im rechten Beckenbereich erlitten.
Deshalb musste er bereits den Grand Prix von Argentinien auslassen. Sein einziges komplettes Wochenende bestritt der 28-Jährige in den USA. In Austin wurde er im Sprint Achter und im Grand Prix Fünfter. Mit den Sprint-Ergebnissen von Portimao und Jerez hat er insgesamt 21 WM-Punkte auf dem Konto.
Dieser Artikel wurde verfasst von Gerald Dirnbeck
*Der Beitrag "Schulterverletzung doch schwerer: Miguel Oliveira muss Le Mans auslassen" wird veröffentlicht von Motorsport-Total.com. Kontakt zum Verantwortlichen hier.
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