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„Ist es nicht etwas Erfreuliches," sagte er, „zu finden, so hocherhabene Männer seien wie unsereiner? War mir doch angst und bange vor einem Genie, das dreißig Bände geschrieben; ich darf gestehen, bei dem Sturm, der uns auf offener See erfaßte, war mir nicht so bange. Und wie herablassend war er, wie vernünftig hat er mit uns diskuriert, welche Freude hatte er an mir, wie ich aus dem neuen Lande kam!" Er schenkte sich dabei fleißig ein und trank auf seine und des Dichters Gesundheit, und von der erlebten Gnade und vom Schaumwein benebelt, sank er endlich mit dem Entschluß, Amerikas Goethe zu werden, dem Schlaf in die Arme.
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„Hooligans gegen Salafisten“: Köln bereitet Hogesa eine Pleite Über 10.000 Nazigegner haben sich gegen 1.000 Rechte versammelt. Eine Wiederholung der Straßenschlachten des letzten Jahres ist ausgefallen. In Köln waren deutlich mehr Gegendemonstranten als Rechte auf der Straße. Foto: ap KÖLN taz | Die Kundgebung der „Hooligans gegen Salafisten“ beginnt mit einstündiger Verspätung. Grund dafür: Der Veranstalter, ein Mitglied der rechtspopulistischen Kleinstpartei „Pro NRW“ aus Mönchengladbach, findet nicht genügend Ordner. Diese sollten nicht alkoholisiert und nach Möglichkeit nicht vorbestraft sein – offenbar ein schwieriges Unterfangen. Schließlich versammeln sich etwa 1.000 Rechtsradikale zu ihrer Kundgebung. Doch von der aggressiven Stimmung des letzten Jahres ist nicht viel übrig geblieben. Über Stunden stehen sich die Rechten auf einem entlegenen Platz im rechtsrheinischen Köln-Deutz die Beine in den Bauch und werden dabei von Hunderten Polizisten beobachtet. Mehrere Wasserwerfer aus ganz Deutschland sind auf die Hogesa-Kundgebung gerichtet. Wie schon ein Jahr zuvor tritt die Rechtsrock-Band „Kategorie C“ auf. Sie sind die ersten auf dem Schotterplatz in Deutz. Aus einem Auto verkaufen die Bremer T-Shirts, CDs und alles andere, was das Hooliganherz glücklich macht. Vor genau einem Jahr hatten in der Domstadt 4.800 Hooligans und Rechtsextreme gegen das protestiert, was sie unter Islamismus verstehen. Der Aufmarsch der „Hooligans gegen Salafisten“ (Hogesa) artete in schwere Krawalle mit stundenlangen Straßenschlachten mit der Polizei aus. Über 50 Beamte wurden damals verletzt, ein Einsatzfahrzeug umgeworfen. Ein Jahr später haben die Hooligans keine Chance. Die Polizei setzt an diesem Sonntag über 3.500 Beamte ein, die Rechten müssen sich nach gerichtlichen Niederlagen mit einer Kundgebung hinter dem Bahnhof in Deutz zufriedengeben. Und: Tausende Nazigegner protestieren gegen den rechtsradikalen Aufmarsch. Tausende bei friedlicher Kundgebung Schon am Vortag waren es 3.000 Menschen, die auf die Straße gingen. Am Sonntag sind es zwischen 10- und 15.000 Menschen, die gegen die Kundgebung der Rechten protestieren. Die „AG Arsch huu“ und das Bündnis „Köln gegen Rechts“ haben zu einer Kundgebung auf dem Ottoplatz vor dem Bahnhof Deutz aufgerufen. Verschiedene Bands treten auf, darunter „Die Höhner“, „Brings“, „Cat Ballou“, „Erdmöbel“ und „Microphone Mafia“. Auch die Kölner Hochschule für Musik und Tanz, das Schauspiel Köln und die Stunksitzung des Kölner Karnevals sind im Kulturprogramm vertreten. Versuche der Nazigegner, die Anreise der rechten Hooligans zu stören, bleiben symbolischer Natur. Blockaden am Bahnhof Deutz werden von der Polizei lange Zeit geduldet, die anreisenden Hooligans umgeleitet. Tausende Kölner beteiligen sich an der friedlichen Kundgebung gegen den rechtsradikalen Aufmarsch. Im Umfeld kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen. Die Polizei setzt an der Lanxess-Arena allerdings auch zwei Wasserwerfer gegen die Nazigegner ein. Zuvor haben Autonome Flaschen auf Beamte geworfen, die versuchen, eine Gruppe Neonazis zu ihrer Veranstaltung zu geleiten. Autonome und Hooligans treffen mehrmals aufeinander. Dabei werden sowohl Antifaschisten als auch Rechtsextreme verletzt.
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Wenn dieses Königreich Dahomey also auch nicht groß ist, so hat es doch recht oft von sich reden gemacht. Es wurde zeitig berühmt durch die entsetzlichen Grausamkeiten, welche daselbst beim Jahreswechsel begangen werden, durch die Menschenopfer, die furchtbaren Hekatomben, welche gewöhnlich dem verstorbenen und dem seine Stelle ersetzenden Könige dargebracht werden. Ja, es gehört so zu sagen zum guten Ton, daß der König von Dahomey, wenn er den Besuch einer hohen Person oder etwa eines Gesandten erhält, diesem zu Ehren einem Dutzend Gefangenen die Köpfe abschlagen läßt -- abschlagen durch seinen Minister der Justiz, den "Minghan", der sich seiner Aufgabe als Henker vortrefflich entledigt.
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Fahndungsgruppe Neiße aufgestockt: Metalldiebe kennen keine Grenzen Seit dem Beitritt von Polen und Tschechien zur EU häufen sich die Einbrüche in Sachsen. Nun hat die Polizei eine gemeinsame Ermittlergruppe verstärkt. Haltet den Dieb! Bild: dpa DRESDEN taz | „Besuchen Sie Polen – Ihr Auto ist schon da!“ Solche markigen Sprüche von Bewohnern ostdeutscher Grenzregionen wurzeln nicht immer nur in antipolnischen Ressentiments. Sachsens neuer Polizeipräsident Rainer Kann hat daher den Kampf gegen Einbrecher und Autoknacker zu einem Schwerpunkt seiner Arbeit erklärt. Mit Jahresbeginn stocken Sachsen und Polen ihre gemeinsame Fahndungsgruppe Neiße auf 20 Polizisten auf. Zum 1. März soll eine solche auch mit Tschechien gegründet werden. Seit dem Beitritt von Polen und Tschechien zum Schengen-Abkommen im Dezember 2007 häufen sich Einbrüche und vor allem Autodiebstähle. Das Diebesgut befindet sich meist schon im Ausland, bevor die Tat entdeckt wird, sagt das sächsische Innenministerium. Orte in der Nähe von Grenzübergängen wie das Zittauer Dreiländereck sind wegen der kurzen Wege besonders „gefragt“. Routinekontrollen haben die Diebe nicht mehr zu befürchten, was Teile der CDU gern rückgängig machen würden. Die rechtsextreme NPD versucht mit offener Polenfeindlichkeit zu punkten: „Polen offen? Arbeit futsch! Auto weg!“ Dabei dient Polen nach Erkenntnissen der Ermittler häufiger nur noch als Transitland für weiter östlich beheimatete Diebesbanden. Für besonderes Aufsehen sorgte 2010 der Diebstahl eines Privatwagens von Bundesminister Thomas de Maizière (CDU) in Dresden. Im thüringischen Triebes verschwanden im September 2012 gleich fünf Traktoren und ein Radlader eines Landtechnikbetriebes. Von Privatgrundstücken werden Gartengeräte, Fahrräder, sogar Hollywoodschaukeln gestohlen, Metalldiebe bauten im Dreiländereck die Befestigungskrallen von Bahnschienen ab. Autos werden gezielt auch in Großstädten wie Leipzig, Dresden oder Berlin entwendet, in Berlin mit anhaltend steigender Tendenz, während in Sachsen und Brandenburg 2011 ein leichter Rückgang zu verzeichnen war. Nach bislang unveröffentlichten Angaben des sächsischen Innenministeriums stieg die allgemeine Grenzkriminalität bis September 2012 aber wieder an. Im Privaten ist die Angst unbegründet Dennoch bleibt der Umfang der Delikte hinter den wilden Neunzigern zurück. Das belegen nicht nur Zahlen, sondern auch Erinnerungen der Grenzbewohner. Über das subjektive Sicherheitsempfinden der Neiße-Anrainer fertigt Karlhans Liebl von der Hochschule der Sächsischen Polizei in Rothenburg derzeit eine Studie. Die Furcht vor Diebstählen sei weit verbreitet, aber im privaten Bereich oft unbegründet, sagte er der taz. Sehr ernst zu nehmen seien allerdings die Großdiebstähle im gewerblichen Bereich. Während das sächsische Innenministerium weiterhin ein „deutliches Wohlstandsgefälle“ für die Übergriffe verantwortlich macht, sieht Liebl hier wirtschaftliche Fortschritte bei den Nachbarn. 2012 hatten sich die Innenminister darauf geeinigt, wegen der anhaltenden Probleme keine weiteren Bundespolizisten von der Grenze abzuziehen. Sachsen und seine Nachbarn intensivieren auf mehreren Gebieten ihre polizeiliche Zusammenarbeit. Die Erfolge bleiben aber auf wenige spektakuläre Großeinsätze beschränkt.
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Brüchige Waffenruhe in Syrien: Gegenseitige Beschuldigung Von Waffenstillstand keine Spur: Kurz vor der Ankunft von UN-Militärbeobachtern gehen die Gefechte in mehreren Orten des Landes weiter. Waffenruhe sieht anders aus. Aus einem youtube-Video, das Homs am Sonntag zeigen soll. Bild: dpa BERLIN taz | In Syrien erscheint die Waffenruhe immer brüchiger – obwohl die UNO am Wochenende beschlossen hat, Militärbeobachter in das Land zu schicken. Am Sonntag begannen Regierungstruppen nach Angaben von Aktivisten erneut, mehrere Viertel der Protesthochburg Homs zu bombardieren. In Siedlungen von Qusair, Qarabees, Bayyada und Khalidiya sollen die Granaten teilweise im Minutentakt gefallen sein. Überwachungsflugzeuge kreisten über der Stadt, immer wieder waren laute Explosionen zu hören. Landesweit wurden mindestens neun Menschen getötet. Erst am Samstag hatte der UN-Sicherheitsrat einstimmig die Resolution 2042 verabschiedet. Sie sieht vor, umgehend ein Erkundungsteam aus bis zu 30 unbewaffneten Militärbeobachtern zu entsenden. Später soll das Mandat 250 Beobachter umfassen. Syrien wird aufgefordert, ihnen ungehinderten Zugang zu gewähren. Das Papier droht außerdem „weitere Schritte“ an, sofern sich das Regime nicht an seine Zusagen hält. Die Resolution verurteilt zusätzlich „die weit verbreiteten Menschenrechtsverstöße der syrischen Behörden ebenso wie die Menschenrechtsverletzungen vonseiten der bewaffneten Gruppen“. Zwei frühere Resolutionsentwürfe waren in den vergangenen Monaten am Veto Moskaus und Pekings gescheitert. Diesmal sträubte sich Russland zunächst gegen einige der Forderungen. „Wir müssen all das herausstreichen, was für diesen besonderen Zweck nicht wirklich nötig ist“, hatte Moskaus Botschafter Witali Tschurkin vor der Abstimmung vor Journalisten gesagt. Umstritten war vor allem, wie frei sich die Beobachter bewegen dürfen. Kofi Annan hat dafür in seinem Sechspunkteplan, der vergangene Woche in Kraft trat, klare Formulierungen durchgesetzt. Dabei berücksichtigte er Erfahrungen einer anderen Gruppe von Beobachtern, die Anfang des Jahres von der Arabischen Liga nach Syrien gesandt worden waren. Sie wurden so stark behindert, dass ihre Mission schließlich scheiterte. Politischer Dialog Nach kleineren Zugeständnissen gelang es schließlich, Russland zum Einlenken zu bewegen. Die Resolution fordert von beiden Seiten, sich nicht nur an die Waffenruhe zu halten, sondern auch einen politischen Dialog zu beginnen. Botschafter Witali Tschurkin äußerte sich im Anschluss zufrieden. Nach den sprachlichen Änderungen sei der Entwurf ausgewogener und spiegele die Realität in Syrien besser wieder. Doch neue Gewalt am Wochenende stärkte die Zweifel an der Aufrichtigkeit von Präsident Baschar al-Assad: Allein am Tag der Abstimmung im Weltsicherheitsrat wurden landesweit 14 Tote gemeldet. Nicht nur in Homs soll das Militär seine Offensive wiederaufgenommen haben; in der nördlichen Stadt Aleppo eröffneten die Regierungstruppen Berichten zufolge das Feuer auf die Gäste einer Begräbniszeremonie. Regierung und Opposition warfen sich gegenseitig vor, die Vereinbarungen gebrochen zu haben. Am Sonntag sollen Aufständische in Aleppo eine Polizeistation überfallen hatten. Für einen Abzug des Militärs aus den Städten gibt es nach wie vor keine Anzeichen. „Ich weiß nicht, von welchem Waffenstillstand die Leute reden“, meint Abu Saad, ein Aktivist aus dem Ort Khan Sheikhoun zwischen den Städten Hama und Idlib. „Sie schießen auf Demonstranten, sie bombardieren die Siedlungen. Wir hoffen nun, dass uns die UN-Beobachter vor diesem wahnsinnigen Regime beschützen werden.“ Die Staatsmedien indessen machten erneut „bewaffnete Terroristen“ für die Gewalt verantwortlich.
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Am folgenden Morgen wollte ich in den Büschen der Umgebung jagen, wurde aber bald durch F. zurückgerufen, der mir berichtete, daß bei dem Tränken der Zugthiere, die zeitlich früh von Pit, unserem Griquadiener, auf die Weide getrieben waren, eines derselben bis zum Halse im Ufer-Schlamme eingesunken sei. Nur B. am Wagen zurücklassend eilten wir zur Stelle und fanden »Platberg«, eines unserer Zugthiere in einer schrecklichen Lage. Es war ein hartes Stück Arbeit, das Thier aus seiner mehr denn ungemütlichen Situation zu befreien, doch gelang es; der Tag war indeß verloren, da wir dem an den Füßen fast erlahmten Thiere Erholung gönnen mußten.
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Kommentar Militärmanöver in Südkorea: Raus aus der Eskalationsspirale Militärmanöver im Süden wie Raketentests des Nordens erhöhen die Gefahr eines bewaffneten Konflikts. Eine kluge Politik sieht anders aus. Jahrzehntelanger Konflikt: Die Spannungen zwischen Nord- und Südkorea wachsen Foto: dpa Südkorea fühlt sich zu Recht schon ohne Atomraketen des Nordens von diesem militärisch bedroht. Umgekehrt ist es nachvollziehbar, dass sich das nördliche Regime durch die Aktivitäten des US-Militärs im Süden in seiner Existenz bedroht sieht – auch ohne die jüngsten Drohungen des US-Präsidenten. Die Militärmanöver im Süden wie die Raketentests des Nordens tragen somit erheblich zu den Spannungen auf der koreanischen Halbinsel bei und erhöhen die Gefahr, dass beide Seiten in einen militärischen Konflikt mit unkalkulierbaren Folgen schlittern. Eine kluge Politik sieht anders aus. Statt weiter an der Eskalationsspirale zu drehen, muss diese durchbrochen werden. Seoul und Washington wären deshalb gut beraten, die seit 1976 jährlich durchgeführten Manöver wenigstens für einige Zeit aus­zusetzen. Das würde Raum schaffen für Entspannungs­signale, vertrauens­bildende Maßnahme und Verhandlungen. Letztere sind der ohnehin einzig vernünftige Weg, den Jahrzehnte währenden Konflikt, wenn nicht zu lösen, so doch wenigstens einzuhegen. Das ist in der Praxis natürlich ex­trem schwierig. Solange aber die USA und Südkorea mit dem Säbel rasseln, spielen sie nur der nordkoreanischen Propaganda in die Hände und stärken damit das Regime in Pjöngjang. Ein smarter Ausstieg aus der Eskalationsspirale darf natürlich nicht so aussehen, als belohne er die Drohungen des Nordens. Die Präsidentschaft des liberalen Moon Jae In im Süden, der erst im Mai dieses Jahres sein Amt antrat, hätte ein guter Anlass für einen Neuanfang sein können. Selbst US-Präsident Donald Trump hatte ja im Wahlkampf schon einmal seine Bereitschaft signalisiert, notfalls auch Nordkoreas Diktator Kim Jong Un zu treffen. Zu solch unkonventionellen Schritten ist er heute offenbar nicht mehr bereit. Präsident Trump ist vielmehr auf einen konfrontativen Kurs eingeschwenkt, der sich seit dem allerersten Manöver 1976 als fatal erwiesen hat. Seoul und Washington wären gut beraten, gemeinsame Manöver einstweilen auszusetzen
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Luftangriff auf die Golanhöhen: Zündeln an der Kriegsfront Mindestens zehn Menschen starben bei einem israelischen Luftangriff auf den Golanhöhen. Jetzt werden Racheakte der Hisbollah befürchtet. Der israelischen Armee ist in den Golanhöhen ein Schlag gegen die Hisbollah gelungen Bild: ap TEL AVIV taz | Diesmal wird die libanesische islamistische Hisbollah ihre ermordeten Kämpfer rächen. Darin sind sich die israelischen Terrorexperten einig, darunter Amos Jadlin, ehemals Chef des militärischen Abwehrdienstes. Offen sei nur die Frage, wann, wo und wie scharf die libanesischen Schiiten zurückschlagen werden. Mindestens zehn Menschen starben in der Nacht zu Montag bei dem Angriff der israelischen Luftwaffe in der syrischen Grenzstadt Kuneitra. Ein israelischer Hubschrauber soll Raketen auf zwei Hisbollah-Fahrzeuge abgefeuert haben. Die Hisbollah gab zunächst den Tod von nur sechs Männern bekannt. Unter ihnen ist Dschihad Mughnidscheh, der Sohn von Imad Mughnidscheh, bis 2008 Kopf des Hisbollah-Geheimdienstes, der wie jetzt sein Sohn Opfer einer gezielten Exekution durch Israels Luftwaffe wurde. Nach Angaben der Regierung in Teheran wurde bei dem Angriff auch ein iranischer General getötet, der sich zur Unterstützung der Truppen von Präsident Baschar Assad in Syrien aufhielt. Die libanesische Zeitung as-Safir berichtete unter Berufung auf Informanten aus den Reihen der Hisbollah, dass ein Vergeltungsschlag „unausweichlich“ sei. Die Operation werde „schmerzhaft“ und „unerwartet“ sein, allerdings wolle die Bewegung keine Eskalation provozieren. Auch nach der Exekution von Mughnidscheh, dem Vater, hatten die libanesischen Schiiten Vergeltung angekündigt, die letztlich jedoch ausblieb. Agenturberichten zufolge herrscht aus Sorge vor einer erneuten Zuspitzung der Gewalt erhöhte Alarmbereitschaft unter Hisbollah-Angehörigen, die im libanesischen Grenzgebiet wohnen. Auf israelischer Seite hält die Armee die Bevölkerung im Landesnorden auf dem Laufenden. Schulen und Kindergärten blieben geöffnet. Vergeltungsaktionen nicht unbedingt zeitnah Jadlin äußerte im Armeeradio seine Vermutung, dass sich die Hisbollah an die Waffenstillstandsvereinbarungen nach dem Krieg 2006 hält und deshalb „nicht vom Libanon aus“ operieren wird, sondern einen Angriff entweder vom syrischen Golan aus lanciert, wo derzeit „eine Art Vakuum besteht“, oder ins Ausland verlegt. Eine Vergeltungsaktion müsse nicht unbedingt zeitnah stattfinden. „Operationen im Ausland brauchen eine Vorlaufzeit für die Organisation.“ Nach Einschätzung Jadlins hat die Hisbollah diesmal mit dem Kommandanten Mughnidscheh und dem iranischen General einen „so schweren Schlag einstecken müssen“, den sie kaum unbeantwortet lassen könne. Den Verdacht, dass Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu gerade zwei Monate vor den Wahlen aus innenpolitischen Erwägungen Befehl zum Angriff gab, hält Jadlin für Unsinn. Dschihad Mughnidscheh habe eine „groß angelegte Terrorzelle“ angeführt, „die direkte iranische Finanzierung genoss“, berichtet das Nachrichtenportal ynet unter Berufung auf westliche Medien. Netanjahu betonte gestern erneut Israels Recht zur Selbstverteidigung. „Wir werden alles unternehmen, was nötig ist, um uns zu verteidigen, wo auch immer“, sagte Netanjahu, der Abstand davon nahm, zu dem Luftangriff auf Kuneitra Stellung zu beziehen.
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Verfassungsgericht entscheidet: Beamte angemessen bezahlen Es gilt ein dreistufiges Prüfverfahren. Die Richter des Verfassungsgerichts legen fest, ab wann die Besoldung von Beamten unzureichend ist. Vorbildliche Vergütung: Das Prüfverfahren für die Richterbesoldung soll künftig für alle Beamten gelten. Foto: dpa KARLSRUHE taz | Beamte dürfen nicht von der allgemeinen Lohnentwicklung abgekoppelt werden. Das hat am Freitag der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden. Den Verfassungsrichtern lagen vier Fälle aus Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Niedersachsen vor. Moniert wurde zunächst nur die Beamtenbesoldung in Sachsen. Im Grundgesetz steht zwar nichts Konkretes zur Beamtenbesoldung. Gewährleistet sind aber die „Grundsätze des Berufsbeamtentums“, zu denen auch das so genannte „Alimentationsprinzip“ gehört. Gemeint ist damit der Anspruch der Beamten auf einen „angemessenen“ Lebensunterhalt. Weil der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung einen weiten Spielraum habe, wollen die Verfassungsrichter nur kontrollieren, ob die Beamtenbesoldung „evident unzureichend“ ist. Hierzu hatte Karlsruhe im Mai in seinem Urteil zur Richterbesoldung ein dreistufiges Prüfungsmodell entwickelt, das es nun auch auf die Bezahlung der rund 1,7 Millionen Beamten von Bund, Ländern und Gemeinden anwendete. In der ersten Stufe werden fünf Punkte geprüft: Entfernt sich die Beamtenbesoldung (erstens) zu sehr von den Tarifabschlüssen der Angestellten im öffentlichen Dienst? Werden Beamte (zweitens) von der allgemeinen Lohnentwicklung im jeweiligen Land und (drittens) von der Preisentwicklung abgekoppelt? Dabei gelten jeweils fünf Prozent Abweichung binnen 15 Jahren als negatives Indiz. 15 Prozent über Hartz IV Viertens dürfen sich die Abstände zwischen den Besoldungsgruppen binnen fünf Jahren nicht um mehr als zehn Prozent verringern. Die unterste Besoldungstufe muss netto 15 Prozent über Hartz IV liegen. Und fünftens soll die Beamtenbesoldung in einem Land nicht mehr als zehn Prozent unter dem Bundesdurchschnitt liegen. Wenn mindestens drei dieser fünf Kriterien erfüllt sind, besteht eine Vermutung, dass die Beamten im jeweiligen Land verfassungswidrig schlecht bezahlt werden. In einer zweiten Prüfungsstufe kann die Vermutung dann erhärtet oder widerlegt werden. Hier ist zu prüfen, ob die Bezahlung die besondere Qualität und Verantwortung des jeweiligen Beamten entspricht. Auf dieser Stufe sind auch etwaige Kürzungen bei der Beihilfe und in der Altersversorgung zu berücksichtigen. In der dritten Prüfungsstufe kann der Staat geltend machen, dass eine verfassungswidrige Beamtenbesoldung ausnahmsweise gerechtfertigt ist. Hier geht es vor allem um die Einhaltung der Schuldenbremse, die von den Ländern ab 2020 ausgeglichene Haushalte verlangt. Allerdings könne von Beamten nur in „Ausnahmesituationen“, etwa bei Konjunktureinbrüchen und entsprechenden Steuerausfällen, ein Sonderopfer verlangt werden. An diesem Maßstab prüften die Karlsruher Richter dann die vier vorliegenden Fälle. Danach war die Beamtenbezahlung in Sachsen 2010 in der Besoldungsstufe A 10 verfassungswidrig. Dagegen wurden nordrhein-westfälische Beamte der Stufe A 9 in den Jahren 2003 und 2004 sowie Beamte der Stufen A 12 und A 13 im Jahr 2003 ausreichend bezahlt. Auch das Grundgehalt in der Besoldungsgruppe A 9 in Niedersachsen genügte im Jahr 2005 noch den verfassungsrechtlichen Anforderungen. Bundesweit werden Beamte nun auf die Einhaltung der neuen Grundsätze pochen. Wenn die angerufenen Verwaltungsgerichte zum Schluss kommen, die Karlsruher Anforderungen werden derzeit in einem Land nicht erfüllt, können sie das Verfahren erneut in Karlsruhe vorlegen. (Az.: 2 BvL 19/09 u.a.)
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So kam das schöne Ungeheuer gemächlich in den Hof der Dorfschenke getrabt, aus dem sofort auch der letzte Gast, den Maßkrug an die Brust gedrückt, mit lautem Geschrei ins Haus oder in die Wirtschaftsgebäude flüchtete. Der Schwarm von alten Weibern und Bauernkindern, der ihm das Geleit gegeben, blieb draußen auf der Dorfstraße stehen, und über der Verwegenheit des hohen Reisenden, sich so leichtbegleitet mitten in die Kirchweih zu begeben, schien allen das Wort in der Kehle zu erstarren. Wenigstens hörte man ringsum nur ein verhaltenes Summen und Schwirren, aus dem nur dann und wann ein paar Naturlaute des Schreckens und der Angst hervorkreischten. Alle erwarteten das Entsetzlichste, und wohl nur wenige mochten sein, die den Spuk nicht gerade für den leibhafen Gottseibeiuns hielten, der gekommen sei, das sämtliche halb betrunkene Gesindel recht in seiner Sünden Kirchweihblüte in die Hölle abzuführen.
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Kommentar Große Koalition Österreich: Der Zug der Lemminge Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass SPÖ und ÖVP in fünf Jahren keine gemeinsame Mehrheit mehr zustande bringen werden. Wer folgt wem in den Abgrund? SPÖ und ÖVP (rechts). Bild: dpa Seit sieben Jahren regieren sie jetzt miteinander. Insgesamt wurde Österreich seit 1945 nur 24 Jahre nicht von einer „großen Koalition“ regiert. SPÖ und ÖVP kennen einander nur zu gut und deswegen beherrschen gegenseitiges Misstrauen und Abneigung das Verhältnis. Das sind keine guten Voraussetzungen für große Reformen. Das ist auch dem Regierungsprogramm anzusehen, das in Grundzügen am Donnerstag präsentiert wurde. Kleinmut und Mittelmäßigkeit durchziehen jedes einzelne Kapitel. Die bürgerliche ÖVP, die ideologisch noch im 19. Jahrhundert steckengeblieben ist, blockiert seit Jahren erfolgreich eine Schulreform, die mit der frühen Trennung in Hauptschüler und Gymnasiasten aufräumen könnte. Laut übereinstimmender Meinung praktisch aller Bildungsexperten liegt dort eine Grundursache, warum bildungsferne Schichten über Generationen solche bleiben. Die SPÖ, deren letzte solide Bastion die Rentnerinnen und Rentner sind, verhindert ihrerseits jeden Eingriff in ein längst nicht mehr finanzierbares Pensionssystem. Die Anhebung des faktischen Pensionsantrittsalters für Männer auf 60,1 Jahre – bis 2018 – wird jetzt als mutiger Schritt verkauft. Selbst wenn die Parteichefs bereit wären, über den eigenen Schatten zu springen, werden sie von den Beharrungskräften in der eigenen Partei schnell wieder auf den Boden der realen Machtverhältnisse zurückgeholt. In der ÖVP sind das die mächtigen Bünde – Bauern, Wirtschaft, Arbeiter und Angestellte -, die Beamtengewerkschaft und die Landeshauptmänner. In der SPÖ geht nichts ohne Zustimmung des Gewerkschaftsbunds und des Wiener Bürgermeisters. Es geht um Macht, Einfluss, Pflege der eigenen Klientel und Versorgungsposten. Bei den Wahlen im September haben sie gemeinsam gerade noch knapp über 50 Prozent der gültigen Stimmen geschafft. Aber die offensichtliche Unfähigkeit der einstigen Großparteien, sich neu zu erfinden, hat in den Umfragen bereits die rechte FPÖ auf den ersten Platz befördert. Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass SPÖ und ÖVP in fünf Jahren keine gemeinsame Mehrheit mehr zustande bringen werden. Der Politologe Anton Pelinka sieht „einen Zug der Lemminge“, der sehenden Auges auf den Abgrund zusteuert.
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Der Hochschulbereich ist der Teil des Bildungssystems, der eine akademische Ausbildung vermittelt. Die Hochschulen qualifizieren den wissenschaftlichen Nachwuchs und schaffen mit ihren Forschungsergebnissen die Grundlagen für Innovationen. Im Wintersemester 2018 / 2019 gab es in Deutschland insgesamt 426 staatlich anerkannte Hochschulen. Davon waren 180 Universitäten (einschließlich Theologischer und Pädagogischer Hochschulen sowie Kunsthochschulen) und 246 Fachhochschulen (einschließlich Verwaltungsfachhochschulen). Studierende, Studienanfängerinnen und Studienanfänger Im Wintersemester 2018 / 2019 waren nahezu 2,9 Millionen Studierende an deutschen Hochschulen eingeschrieben – so viele wie nie zuvor. Das war ein Anstieg um 42 % verglichen mit dem Wintersemester 2008 / 2009. Dieser Anstieg ist auf einen längerfristigen Trend zur Höherqualifizierung zurückzuführen. Insgesamt waren knapp zwei Drittel (63 %) der Studierenden im Wintersemester 2018 / 2019 an Universitäten eingeschrieben und ein gutes Drittel (37 %) an Fachhochschulen. Die Zahl der Studienanfängerinnen und Studienanfänger, die im Studienjahr 2018 (Sommersemester 2018 und Wintersemester 2018 / 2019) erstmals ein Studium an einer deutschen Hochschule aufgenommen haben, erreichte mit rund 512.000 Personen erneut einen hohen Wert. Insgesamt stieg die Zahl der Erstsemester um 29 % verglichen mit dem Studienjahr 2008. Dabei war der Anstieg an Fachhochschulen mit + 43 % deutlich höher als an Universitäten mit + 21 %. Die Wahl eines Studienfachs wird von unterschiedlichen Faktoren beeinflusst: von den persönlichen Interessen der Studienanfängerinnen und Studienanfänger, vom Studienangebot der Hochschulen und von Zulassungsbeschränkungen (zum Beispiel Numerus-Clausus-Regelungen und hochschulinternen Zulassungsverfahren). Eine wichtige Rolle bei der Wahl des Studiengangs spielen auch die zum Zeitpunkt der Einschreibung wahrgenommenen und künftig erwarteten Chancen, die ein bestimmter Studienabschluss auf dem Arbeitsmarkt bietet. Die meisten Erstsemester (39 %) haben sich 2018 in der Fächergruppe Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften eingeschrieben. Dies war bereits vor zehn Jahren mit ebenfalls 39 % der Erstsemestereinschreibungen der Fall. In den Ingenieurwissenschaften betrug der Anteil der Studienanfängerinnen und -anfänger 27 % im Jahr 2018, was einen Anstieg um rund 2 Prozentpunkte im Vergleich zu 2008 bedeutet. Auf die Geisteswissenschaften und die Fächergruppe Mathematik / Naturwissenschaften entfielen 2018 jeweils ein Anteil von 11 % der Studienanfängerinnen und -anfänger. Im Jahr 2018 waren etwas mehr als die Hälfte der Erstsemester (51 %) Frauen. Der Frauenanteil variierte allerdings je nach fachlicher Ausrichtung des Studiums. In den Fächergruppen Geisteswissenschaften und Humanmedizin / Gesundheitswissenschaften (mit jeweils 70 %), Kunst / Kunstwissenschaft (mit 65 %), Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften (mit 60 %) sowie Agrar-, Forst- und Ernährungswissenschaften /Veterinärmedizin (mit 59 %) waren die Studienanfängerinnen deutlich in der Mehrheit. In der Fächergruppe Mathematik / Naturwissenschaften stellte sich das Geschlechterverhältnis mit einem Frauenanteil von 53 % nahezu ausgeglichen dar. In der Fächergruppe Ingenieurwissenschaften (25 %) waren Studienanfängerinnen hingegen deutlich unterrepräsentiert. Die Umstellung des Studienangebots im Zuge des Bologna-Prozesses zeichnete sich zunächst in den Studienanfängerzahlen ab, setzte sich bei der Zahl der Studierenden fort und wirkte sich zeitverzögert auf die Absolventenzahlen aus. Die Bologna-Reform hat vor allem dazu geführt, dass seit 1999 die traditionellen Diplomabschlüsse an Universitäten und Fachhochschulen gegenüber den neu eingeführten Bachelor- und Masterabschlüssen kontinuierlich an Bedeutung verloren haben. Info 2Der Bologna-Prozess Im Juni 1999 unterzeichneten die Wissenschaftsministerinnen und -minister aus 29 europäischen Ländern die sogenannte Bologna-Erklärung zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Hochschulraums. Wichtigstes Ziel dieses Reformprozesses war die Einführung des zweistufigen Studiensystems mit den Abschlüssen Bachelor und Master, welche die herkömmlichen Abschlüsse an Universitäten und Fachhochschulen bis 2010 (bis auf wenige Ausnahmen) ablösen sollten. Im Studienjahr 2018 begannen 77 % der Studienanfängerinnen und -anfänger ein Bachelor- oder Masterstudium (ohne Lehramts-Bachelor und -Master). Zehn Jahre zuvor waren es rund 69 %. Etwa 14 % der Erstsemester strebten im Studienjahr 2018 einen universitären Abschluss (zum Beispiel Diplom [Uni], Magister), 7,0 % eine Lehramtsprüfung, 1,4 % einen Fachhochschulabschluss und 0,7 % eine Promotion an. Von den Studienanfängerinnen und -anfängern in Lehramtsstudiengängen studierten 47 % die Fächergruppe Geisteswissenschaften, 25 % Mathematik / Naturwissenschaften und 18 % Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Im Juni 1999 unterzeichneten die Wissenschaftsministerinnen und -minister aus 29 europäischen Ländern die sogenannte Bologna-Erklärung zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Hochschulraums. Wichtigstes Ziel dieses Reformprozesses war die Einführung des zweistufigen Studiensystems mit den Abschlüssen Bachelor und Master, welche die herkömmlichen Abschlüsse an Universitäten und Fachhochschulen bis 2010 (bis auf wenige Ausnahmen) ablösen sollten. Ausländische Studierende und deutsche Studierende im Ausland Im Wintersemester 2018 / 2019 waren an deutschen Hochschulen insgesamt 394.700 Studierende mit ausländischer Nationalität immatrikuliert. Im Wintersemester 2008 / 2009 lag der Ausländeranteil an der Gesamtzahl der Studierenden bei 12 %, sank dann leicht ab und erreichte mit 14 % einen neuen Höchststand im Wintersemester 2018 / 2019. Von den Studierenden mit ausländischer Nationalität waren 23 % sogenannte Bildungsinländerinnen und -inländer, die ihre Hochschulzugangsberechtigung im deutschen Bildungssystem erworben haben. Hier handelt es sich meist um Kinder von Zuwanderinnen und Zuwanderern, die teilweise bereits in der zweiten oder dritten Generation in Deutschland leben und die Staatsangehörigkeit ihres Herkunftslandes behalten haben, sowie Kriegsflüchtlinge und Asylsuchende. Die mit Abstand größte Gruppe unter den Bildungsinländerinnen und -inländern bildeten im Wintersemester 2018 / 2019 Studierende mit türkischer Staatsangehörigkeit (34 %), gefolgt von denen mit italienischer (6 %) und mit griechischer Herkunft (4 %). Bei den sogenannten Bildungsausländerinnen und -ausländern handelt es sich um die Gruppe der ausländischen Studierenden, die ihre Hochschulzugangsberechtigung außerhalb Deutschlands erworben hat. Im Wintersemester 2008 / 2009 betrug der Anteil der Bildungsausländerinnen und -ausländer an der Gesamtzahl der Studierenden 8,9 %, sank dann leicht ab und stieg bis zum Wintersemester 2018 / 2019 wieder auf rund 10,5 % an. Im Wintersemester 2018 / 2019 studierten 302.200 Bildungsausländerinnen und -ausländer an deutschen Hochschulen, 68 % mehr als im Wintersemester 2008 / 2009. Die Anteile der Bildungsausländerinnen und -ausländer variierten je nach fachlicher Ausrichtung des Studiums: So studierten im Wintersemester 2018 / 2019 rund 40 % von ihnen Ingenieurwissenschaften, 25 % Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie jeweils 11 % Geisteswissenschaften beziehungsweise Mathematik / Naturwissenschaften. Die meisten ausländischen Nachwuchsakademikerinnen und -akademiker kamen aus China (13,2 %), gefolgt von Indien mit 6,8 % und Syrien mit 4,3 %. Gleichzeitig besuchen deutsche Studierende auch ausländische Hochschulen; im Jahr 2017 waren es rund 140.400. Das beliebteste Zielland war Österreich mit einem Fünftel aller deutschen Auslandsstudierenden, gefolgt von den Niederlanden (16 %), dem Vereinigten Königreich (11 %), der Schweiz (10 %) und den Vereinigten Staaten (7 %). Jeweils mehr als 10.000 Deutsche studierten 2017 in diesen Ländern. Der Großteil der deutschen Auslandsstudierenden (69 %) blieb innerhalb der Europäischen Union. Hochschulabsolventinnen und -absolventen Zwischen 2008 und 2018 stieg die Zahl der bestandenen Abschlussprüfungen an Hochschulen – auch aufgrund der Bologna-Reform – stetig an. Der bisherige Höchststand wurde mit 501.700 Prüfungen im Jahr 2017 erreicht; im Jahr 2018 ging die Zahl leicht zurück auf 498.700. Etwas mehr als die Hälfte (51 %) der im Jahr 2018 bestandenen Hochschulabschlüsse wurden von Frauen erworben. Von den Absolventinnen und Absolventen des Jahres 2018 erwarben 50 % einen Bachelorabschluss und weitere 28 % einen Masterabschluss. Eine Lehramtsprüfung legten 9,1 % ab und 6,0 % verließen die Hochschule mit einem anderen universitären Abschluss. Den Doktortitel erlangten 5,6 % der Absolventinnen und Absolventen und 1,4 % einen traditionellen Fachhochschulabschluss. Das mittlere Alter (Median) der Hochschulabsolventinnen und -absolventen, die 2018 ihr Erststudium erfolgreich abgeschlossen haben, lag bei 24 Jahren. Die Studiendauer ist abhängig von der Art des erworbenen akademischen Grades. Bei Bachelorabschlüssen betrug die mittlere Fachstudiendauer 7,1 Semester im Prüfungsjahr 2018. Das Masterstudium baut auf ein vorangegangenes Studium – in der Regel ein Bachelorstudium – auf. Für einen Masterabschluss benötigten Studierende 2018, einschließlich der im vorangegangenen Studium verbrachten Semester, eine durchschnittliche Gesamtstudiendauer von 12,1 Semestern. Im Vergleich dazu betrug die mittlere Gesamtstudiendauer bei Universitätsdiplomen und vergleichbaren Abschlüssen 12,7 Semester. Info 3Median Der Median, auch Zentralwert, bezeichnet die Grenze zwischen zwei Hälften. Er wird ohne aufwendiges Rechnen gefunden, denn er ist der Wert genau in der Mitte der Daten, wenn diese der Größe nach geordnet sind. Er ist unempfindlich gegenüber "Ausreißern", auf die das arithmetische Mittel stark reagiert. Deshalb ist er bei sehr ungleichen Verteilungen, wie Einkommensverteilungen, oft der am besten geeignete Mittelwert. Finanzielle Ressourcen Die Hochschulen in öffentlicher und privater Trägerschaft in Deutschland gaben im Jahr 2017 für Lehre, Forschung und Krankenbehandlung insgesamt 54,1 Milliarden Euro aus. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus den Ausgaben für das Personal, für den laufenden Sachaufwand sowie für Investitionen. Die Fächerstruktur bestimmt in besonderem Maße die Hochschulausgaben: So entfielen rund 46 % auf die medizinischen Einrichtungen (einschließlich zentraler Einrichtungen der Hochschulkliniken). Der Anteil der eingeschriebenen Studierenden in Humanmedizin / Gesundheitswissenschaften betrug im Wintersemester 2017 / 2018 aber nur 6,2 % der Studierenden insgesamt. Demgegenüber war im gleichen Zeitraum in den Fächergruppen Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften sowie Geisteswissenschaften zusammen etwa die Hälfte (rund 49 %) aller Studierenden eingeschrieben. Ihr Anteil an den gesamten Ausgaben im Hochschulbereich betrug allerdings lediglich 11 %. Die Finanzierung dieser Ausgaben erfolgt durch Trägermittel, Verwaltungseinnahmen (beispielsweise Einnahmen aus Krankenbehandlungen, Beiträge der Studierenden) sowie durch Drittmittel, die primär für Forschungszwecke eingeworben werden. Seit 2008 sind die Drittmitteleinnahmen von rund 4,9 Milliarden Euro auf 7,9 Milliarden Euro gestiegen. Im gleichen Zeitraum stiegen die Trägermittel um rund 40 % (von 18,1 Milliarden Euro auf 25,3 Milliarden Euro). Bei den laufenden Ausgaben (Grundmittel) für Lehre und Forschung handelt es sich um den Teil der Hochschulausgaben, den der Einrichtungsträger den Hochschulen für laufende Zwecke zur Verfügung stellt. Im Jahr 2017 betrugen die laufenden Ausgaben (Grundmittel) an deutschen Hochschulen durchschnittlich 7.300 Euro je Studierenden. Die laufenden Ausgaben (Grundmittel) je Studierenden waren in den Fächergruppen unterschiedlich. Sie differierten im Jahr 2017 zwischen 4.300 Euro je Studierenden der Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften bis zu 19.200 Euro je Studierenden der Humanmedizin / Gesundheitswissenschaften. Der Median, auch Zentralwert, bezeichnet die Grenze zwischen zwei Hälften. Er wird ohne aufwendiges Rechnen gefunden, denn er ist der Wert genau in der Mitte der Daten, wenn diese der Größe nach geordnet sind. Er ist unempfindlich gegenüber "Ausreißern", auf die das arithmetische Mittel stark reagiert. Deshalb ist er bei sehr ungleichen Verteilungen, wie Einkommensverteilungen, oft der am besten geeignete Mittelwert. Frauen auf der akademischen Karriereleiter Die Verwirklichung der Chancengleichheit von Frauen und Männern in Wissenschaft und Forschung ist nach wie vor ein wichtiges Thema in der deutschen Bildungspolitik. Auf den ersten Blick scheinen die Barrieren für den Zugang junger Frauen zur akademischen Ausbildung abgebaut: Jeweils etwas mehr als die Hälfte (51 %) der Studierenden im ersten Hochschulsemester und der Hochschulabsolventinnen und Hochschulabsolventen im Jahr 2018 waren Frauen. Auch der Frauenanteil auf weiterführenden Qualifikationsstufen ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Allerdings nimmt er mit steigendem Qualifikationsniveau und Status der einzelnen Positionen auf der akademischen Karriereleiter kontinuierlich ab. Während im Jahr 2018 bereits 45 % aller Doktortitel von Frauen erworben wurden, lag die Frauenquote bei den Habilitationen bei 32 %. Rund 53 % der im Jahr 2018 an deutschen Hochschulen Beschäftigten waren Frauen, was in etwa dem Frauenanteil (51 %) an der Gesamtbevölkerung entspricht. Im Bereich Forschung und Lehre sind Frauen allerdings immer noch unterrepräsentiert: Ihr Anteil lag in der Gruppe des hauptberuflichen wissenschaftlichen und künstlerischen Personals bei 40 %. In der Professorenschaft ist der Frauenanteil traditionell niedrig. In den vergangenen zehn Jahren ist er aber deutlich angestiegen und erreichte 2018 mit 25 % seinen bisherigen Höchststand. In den bestbezahlten Besoldungsstufen (C4 und W3) lag der Anteil der Professorinnen bei 20 %. Bei der Interpretation der Daten ist zu beachten, dass sich selbst ein starker Anstieg des Frauenanteils bei den Hochschulabschlüssen zunächst nicht direkt auf den Anteil bei den Habilitationen oder Professuren auswirkt, da der Erwerb von akademischen Abschlüssen sehr zeitintensiv ist. So liegen zwischen dem Zeitpunkt der Ersteinschreibung und der Erstberufung zur Professorin beziehungsweise zum Professor in Deutschland etwa 20 Jahre.
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Leichtathletik-WM 2019 in Katar: „Die schlechteste Kandidatur“ Während die Fifa sich bemüht, die WM-Vergabe an Katar reinzuwaschen, vergibt der Leichtathletik-Weltverband die WM 2019 an den Wüstenstaat. Katar will neue Sportstätten und Hotels bauen. Hier das Khalifa-International-Stadium in Doha. Bild: dpa Die Leichtathletik hat so ihre Gesetze. Etwa: Im Spätsommer bei Meetings wie dem „Istaf“ in Berlin oder der „Weltklasse Zürich“ treffen sich die fröhlichen und tragischen Helden des jeweiligen Saisonhöhepunkts zur Revanche. Oder: Sprinter mögen es warm, Marathonläufer dagegen bevorzugen ein laues Lüftchen. Oder auch: Je voller das Stadion, desto besser die Leistungen, desto werbewirksamer die TV-Bilder. All das haben die Hüter der Leichtathletik nun aber ebenso geflissentlich ignoriert wie die weltweit brodelnden Diskussionen um anhaltende Menschenrechtsverletzungen in Katar: Die Leichtathletik-WM 2019 wird in Doha stattfinden. 15 der 27 Mitglieder des Weltverband-Councils stimmten am Dienstag in Monaco dafür, 12 hätten die Ausrichtung lieber an das amerikanische 160.000-Einwohner-Städtchen Eugene in Oregon gegeben. Barcelona war schon in der ersten Wahlrunde ausgeschieden. Während die Welt also noch gebannt zuschaut, wie sich der Fußball-Weltverband Fifa in dem Bemühen selbst zerfleischt, die Vergabe der WM 2018 an Russland und 2022 an Katar als korruptionsfreie Prozeduren darzustellen, sitzen die Oberen des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF gemütlich im Fairmont Hotel in Monaco zusammen und geben Katar eine weitere Weltmeisterschaft. Den Wüstenstaat am persischen Golf prädestinieren weder seine geografische Lage noch seine Traditionen noch eine besondere Affinität seiner Bevölkerung dafür, eine Hochburg des internationalen Spitzensports zu sein. Und doch finden dort neben der Fußball-WM 2022 auch die Kurzbahn-WM der Schwimmer im Dezember, die Handball-WM im Januar 2015, die Straßenrad-WM im September 2016 und die Turn-WM 2018 statt. Das Land will mit seinen Erdöl-Milliardeneinnahmen moderne Sportstätten und Hotels aus dem Wüstensand stampfen. Die Vermutung, dass einige der Erdöl-Dollar auch den Weg in die Taschen der Entscheider in den Sportverbänden finden, begleitet jede neue Pro-Katar-Entscheidung. José María Odriozola, der Präsident des spanischen Verbandes und eines der 27 Mitglieder im IAAF-Council, erklärte in Monaco, dass sich „die mit Abstand schlechteste Kandidatur“ durchgesetzt habe, und sagte über Doha: „Das Einzige, was sie dort haben, ist Geld.“ Bis zu 38 Grad Celsius Die Menschenrechtsorganisationen Amnesty International und Human Rights Watch gaben sich „fassungslos und geschockt“. Man wirft der IAAF „Ignoranz“ gegenüber der seit Jahren laufenden öffentlichen Debatte über die Menschen- und Arbeitsrechte in Katar vor. In Deutschland ist man zurückhaltender, so mancher aus dem Lager der Leichtathleten schweigt lieber. „Das tangiert mich nicht mehr“, teilte Deutschlands zurzeit berühmtester Leichtathlet, Diskuswurf-Olympiasieger Robert Harting, mit. Der 30-Jährige will seine Karriere also offenbar nicht endlos verlängern. Ob er dennoch eine Meinung habe? „Ja, aber ich möchte sie nicht äußern.“ Clemens Prokop, der Präsident des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV), gab sich „überrascht“. Die Beschwerde seines spanischen Kollegen bezeichnet Prokop „als schwerwiegenden Vorwurf“. Er will das nicht kommentieren. „Ich war in die Vergabe nicht eingebunden und mir fehlen jegliche Informationen, was bei der Entscheidung eine Rolle gespielt hat.“ Für Prokop war Eugene der Favorit. Denn dort, in einem Kernland der Leichtathletik, hätten zum einen noch nie Weltmeisterschaften stattgefunden und man hätte zum anderen mit einem leichtathletikbegeisterten Publikum und einem somit vollen Stadion rechnen können. Ganz nebenbei würden auch die Spätsommer-Meetings nicht einem nach hinten verschobenen WM-Termin zum Opfer fallen. Prokop betont: „Die Vergabe der WM nach Katar bedeutet eine große Umstellung für den Ablauf des Leichtathletik-Jahres 2019.“ Da die Temperaturen in der Wüste im August, dem traditionellen WM-Monat der Leichtathleten, bis über 40 Grad Celsius liegen, soll die WM 2019 Ende September oder Anfang Oktober stattfinden. Allerdings kann es dann immer noch 35 bis 38 Grad warm werden.
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Wibke Hansen (© Photostudie Charlottenburg) Das Ziel politischer Konfliktbearbeitung liegt selbstredend in der Lösung beziehungsweise Transformation von gewaltsamen Konflikten – im Fall von Kriegen und Bürgerkriegen also um einen Prozess, der letztlich einem nachhaltigen, positiven Frieden den Weg bereitet. In vielen der Fälle, die gegenwärtig das internationale Konfliktgeschehen bestimmen, scheint dieses Ziel aber selbst auf mittlere Frist unerreichbar zu sein. In Teilen der Wissenschaft und auch der Politik hat sich der Begriff "intractable conflicts" durchgesetzt für "hartnäckige" Konflikte, die sich den Lösungsbemühungen internationaler Akteure anhaltend entziehen. Der Begriff ist eher von deskriptivem als von präskriptivem Wert: Er beschreibt das sehr reale Problem, dass Friedens- und Vermittlungsbemühungen scheitern, weil lokale oder regionale Akteure sich darauf nicht oder nicht im geforderten Maße einlassen. Er sollte aber nicht suggerieren, dass der Konflikt per se unlösbar wäre und internationale Akteure sich ihre Mühe deshalb besser sparen sollten. Volker Perthes (© Volker Perthes) Gerade in solchen Situationen darf die Orientierung am besten denkbaren aber zunächst unerreichbaren Ergebnis verantwortungsbewusste Akteure nicht davon abhalten, das unmittelbar Richtige zu tun: zu de-eskalieren, auf die Beendigung von Kampfhandlungen hinzuwirken, Zivilisten zu schützen und gegebenenfalls heiße Frontlinien einzufrieren und damit auch bessere Bedingungen für eine spätere umfassende Lösung zu schaffen. Krisen sind nicht mehr, was sie einmal waren Dass immer mehr ursprünglich innere, nach und nach aber regionalisierte Konflikte, nicht zuletzt Kriege und Bürgerkriege, wie die in Syrien, Mali, Sudan, Libyen oder Jemen, weder gelöst noch eingedämmt werden, hat auch damit zu tun, dass die Krisen und Konflikte, die die internationale Politik beschäftigen oder beschäftigen sollten, sich heute kaum noch zeitlich, geografisch oder mit Blick auf einzelne entscheidende Akteure eingrenzen lassen. Analytisch und praktisch hilft es, sich klar zu machen, dass internationale Politik es nicht mit einzelnen, aufeinander folgenden und nach und nach zu bearbeitenden Krisen zu tun hat, sondern mit zusammenhängenden Krisenlandschaften, innerhalb derer zwar einzelne Landschaftselemente und Landmarken erkennbar bleiben, die aber als Teil eines integrierten Geländes verstanden, erkundet und bearbeitet werden müssen. So stellen, um nur ein Beispiel zu nennen, der Krieg in Syrien, die Flüchtlingsströme, die Stabilität Jordaniens oder Libanons, die Hegemonialkonflikte regionaler Mächte, die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in der Türkei, terroristische Bedrohungen sowie die Verfasstheit der Europäischen Union oder die Beziehungen der EU-Staaten und der USA zu Russland sämtlich miteinander verwobene Elemente einer großen Krisenlandschaft dar. Dies verlangt ein vernetztes und multilaterales Konfliktmanagement, macht dies gleichzeitig aber auch schwieriger. Dies gilt für das ganze Spektrum des Konfliktmanagements – von Mediation bis zu robusten multidimensionalen Friedenseinsätzen. Die Erwartung, dass die Staatengemeinschaft oder gar einzelne Staaten in der Lage wären, nach und nach alle Krisen zu lösen, dürfte Entscheidungsträger und Öffentlichkeit eher entmutigen, als die strategische Geduld zu fördern, die für ein Management, für ein sicheres Navigieren durch diese Landschaften notwendig ist. Bedingungen für Lösung oft nicht gegeben Betrachten wir deshalb den Syrienkonflikt noch einmal: Unterstützungsbekundungen für die Vermittlungsbemühungen der Vereinten Nationen und deren Suche nach einer "politischen Lösung" kommen von allen Seiten, sind aber auch wohlfeil. Tatsächlich ist der Konflikt eben nicht, wie es der Theorie entspräche, "lösungsreifer" (William Zartman) geworden, weil die Konfliktparteien sich nach und nach in eine für beide Seiten schmerzhafte Blockade manövriert haben, überdehnt oder erschöpft sind. Eher ließe sich sagen, dass der Konflikt sich spätestens seit 2016 von der Lösungsreife wieder wegentwickelt hat. Das liegt zum einen an Art und Weise der Kriegsführung selbst, an Länge und Intensität des Konfliktes und vor allem an der dadurch bewirkten Zerstörung gesellschaftlicher Strukturen und der Zunahme von Furcht und Hass. Es liegt aber eben auch an der Einbettung in eine breitere Konfliktlandschaft und der Involvierung einer zunehmenden Zahl regionaler und internationaler Akteure, durch die die Erschöpfung lokaler Konfliktparteien und deren gesellschaftlicher Basis für den Konfliktverlauf immer weniger relevant wird: Gewaltakteure werden von außen über Wasser gehalten oder gegebenenfalls ersetzt, ohne dass dabei eindeutig klar wäre, wer wem gegenüber als Stellvertreter handelt. Eine Lösung des Konflikts, die einen nachhaltigen Frieden ermöglichen würde, ist ohne substanzielle politische Veränderungen undenkbar, die sich angesichts der lokalen, regionalen und internationalen Interessen- und Kräftekonstellationen zumindest kurzfristig nicht einstellen werden. Das heißt aber eben nicht, dass die Vereinten Nationen und die internationale Staatengemeinschaft Syrien aufgeben und den Konflikt, wie zynische Stimmen gelegentlich gefordert haben, einfach "ausbrennen" lassen können. Konfliktmanagement und politischer Raum In einer Situation wie der in Syrien bedeutet Konflikt- bzw. Krisenmanagement zuvörderst, Kampfhandlungen zu beenden, Zivilisten zu schützen und die militärischen und politischen oder gesellschaftlichen Konflikte bzw. deren gewaltsamen Austrag weitestmöglich zu deeskalieren. Als erster Schritt wird dabei meist eine Waffenruhe oder ein Waffenstillstand vereinbart, was oft nur mithilfe von außen – durch interessierte Parteien oder die Vereinten Nationen – zu erreichen ist. Eine Waffenruhe erlaubt unter Umständen, zumindest teilweise, die Rückkehr von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen, humanitäre Hilfe sowie Stabilisierungsmaßnahmen, einschließlich des Wiederaufbaus von sozialer Infrastruktur und eine gewisse Normalisierung des Lebens in vorher umkämpften Städten und Regionen. Erste Erfolge oder eine Annäherung an Normalität können helfen, politische Prozesse zur dauerhaften Lösung eines Konfliktes überhaupt erst möglich zu machen. Klar ist: Je länger der gewaltsame Konfliktaustrag anhält, desto schwieriger wird es, diesen politischen Raum überhaupt wieder zu erschließen und eine tragfähige Konfliktlösung auf den Weg zu bringen. Konfliktmanagement bleibt auch dort relevant, wo politische Lösungen in greifbare Nähe rücken – nicht zuletzt, weil Konfliktlösung Zeit braucht. Auf langwierige Prozesse des Aushandelns und Aufarbeitens folgen Umsetzungsprozesse. Die Lehren der letzten Jahrzehnte haben gezeigt, dass es Generationen dauern kann, bis sich Inklusion und politische und wirtschaftliche Teilhabe, Rechtstaatlichkeit sowie neue Prozesse, Institutionen einer "Friedensordnung" etabliert haben. In der Zwischenzeit müssen häufig politisch fragile Situationen stabilisiert werden – etwa durch internationale Sicherheitspräsenzen, Beobachtung und Verifikation von Waffenstillständen, Garantien für Konfliktparteien und Vertrauensbildende Maßnahmen. Solche Maßnahmen des Konfliktmanagements können die Gefahr eines Rückfalls in die Gewalt reduzieren, den Raum für Divergenz und gesellschaftliche Debatten allmählich wieder eröffnen sowie sensible bzw. störanfällige politische Prozesse schützen. Konflikte "einfrieren" – nicht immer die schlechteste Option Einige Blauhelmmissionen dauern seit über 50 Jahren an, ohne dass eine Lösung des Konfliktes – und damit eine Abzugsoption – in Sicht wäre. Das mag man kritisieren; gleichzeitig wird hier jedoch seit Jahrzehnten die gewaltsame Konfliktaustragung weitgehend unterbunden. Wo Verfassungsprozesse, Machtteilungsarrangements, Wahlen oder die befriedigende Regelung umstrittener Ansprüche auf absehbare Zeit unrealisierbar scheinen, kann es sinnvoll sein, Frontlinien und nach Möglichkeit auch den Konflikt selbst erst einmal "einzufrieren". Das reduziert den Druck, zeitnah eine Lösung herbeizuführen oder gar zu erzwingen, die bestimmten relevanten Akteuren Entscheidungen abverlangen würde, zu denen sie auch um den Preis eines neuen oder weiteren Krieges eben nicht oder noch nicht bereit sind. Furcht vor vermuteten Racheakten und Übergriffen, Eigeninteresse der Herrscher oder von Warlords, die aber nicht einfach weggewünscht werden können, ideologische Dispositionen, Hass und Ablehnung sind häufig schwer – und vor allem nicht kurzfristig – zu überwinden. Ein Einfrieren der Frontlinien kann immerhin dazu beitragen, zu einer Form der Normalität zurückzufinden, in der Menschen nicht von täglicher kriegerischer Gewalt betroffen sind und Gewalt vielleicht sogar zur Hauptbeschäftigungs- und Haupteinkommensquelle wird. Das ändert die Prioritäten aller Beteiligten. Kinder können wieder zur Schule gehen, gesellschaftliche und wirtschaftliche Beziehungen können sich neu entwickeln, auch über Frontlinien hinweg. Selbst in fragmentierten Staaten und Gesellschaften kann auf diese Weise nach und nach wieder so etwas wie ein politischer Raum entstehen, in dem unterschiedliche Interessen sich äußern oder verhandelt werden können. Der territoriale Status quo würde gesichert werden, bis bestimmte Akteure, die einer Konfliktbeilegung im Weg stehen, abgetreten sind bzw. ihre Relevanz verloren haben. In Syrien etwa mag es sinnvoll sein, Frontlinien zwischen von unterschiedlichen Kräften beherrschten Regionen zunächst einzufrieren, auch militärische Arrangements zu vereinbaren, um den Ausbruch von Feindseligkeiten oder unbeabsichtigte Zusammenstöße zu verhindern, dafür eine internationale Überwachungsstruktur zu schaffen und vertrauensbildende Maßnahmen, wie etwa Regeln für Checkpoints und Übergänge, auf den Weg zu bringen, damit sich wirtschaftliche und gesellschaftliche Beziehungen wieder entfalten können. Oder, um ein anderes Beispiel zu nennen: Wäre es vorstellbar, dass die im Gazastreifen herrschende Hamas-Bewegung und Israel sich auf einen 50-jährigen Waffenstillstand einigen – gegenseitige Nichtanerkennung inklusive – und eine politische Lösung, zu der die Führungseliten beider Seiten nicht bereit sind, hintanstellen, bis neue Generationen herangewachsen sind? Ein Einfrieren von Konfliktlinien bedeutet nicht, die als "frozen conflict" betitelten Konfliktsituationen im post-sowjetischen Raum zum Modell zu nehmen. Eine Form der Waffenruhe, die einer Seite erlaubt, in umstrittenen Gebieten Fakten zu schaffen und ihre Dominanz auf Kosten der anderen Parteien auszubauen, ist eben kein "Einfrieren". Es kann auch nicht darum gehen, Okkupation oder erzwungene demografische Veränderungen zu akzeptieren. Soziopolitische Verhältnisse lassen sich ohnehin nicht einfrieren. Aber sicher war und ist es auch in der Ost-Ukraine richtig, sich um ein Einfrieren der Frontlinie zu bemühen, um zunächst weitere militärische Eskalationen zu verhindern. Hier und in ähnlichen Fällen stellt sich dann eher die Frage, ob und wie die internationale Gemeinschaft, idealerweise durch die UNO, gegebenenfalls auch durch eine Koalition von Staaten, die Kosten von Okkupation und Obstruktion durch Nichtanerkennung oder Sanktionen erhöhen und damit auch das Interesse an einer Verhandlungslösung fördern kann. Vor Ort verlangt ein Einfrieren zunächst eine mehr oder weniger klare Front- oder Demarkationslinie, die von lokalen und internationalen Beobachtern zu überwachen und möglicherweise zu schützen wäre. In Konfliktmanagement investieren Während die Prävention oder die nachhaltige Lösung eines eskalierten Konfliktes immer oberste Priorität ist, sollten politische Entscheider als unmittelbare Notwendigkeit auf ein intelligentes Konfliktmanagement vorbereitet sein. Staaten müssen daher auch in diesem Bereich ihre Instrumente schärfen und ihre Zusammenarbeit verbessern. Konfliktmanagement steht nicht notwendig für ein niedriges Ambitionsniveau, sondern kann Handlungsspielräume eröffnen. Erlaubt es gegebenenfalls doch, eine Konfliktentscheidung zu vermeiden, bei der eine Partei zum Sieger, eine zum Verlierer gemacht würde – sowie die Furcht vor einem solchen Zustand. Kriegsergebnisse dieser Art mögen vordergründig den Vorteil der Eindeutigkeit haben, lassen sich aber oftmals nur durch anhaltende repressive Gewalt "stabilisieren". Konfliktmanagement kann hier durchaus als Strategie verstanden werden, die allen Beteiligten die nötige Zeit verschafft, um friedensorientierte Kompromisse – Formen der Machtteilung etwa – akzeptabel und möglich zu machen. Wibke Hansen (© Photostudie Charlottenburg) Volker Perthes (© Volker Perthes) Quellen / Literatur Externer Link: Maihold, Günther (2018): Kolumbiens Frieden und Venezuelas Krise. Wie sich in Südamerika eine regionale Krisenlandschaft aufbaut, SWP-Aktuell 2018/A 13, Februar 2018. Externer Link: Perthes, Volker (Hrsg.) (2017): "Krisenlandschaften". Konfliktkonstellationen und Problemkomplexe internationaler Politik. Ausblick 2017, SWP-Studie, Stiftung Internationale Politik/ Institut für internationale Politik und Sicherheit, Berlin. Zartman, William (1989): Ripe for Resolution. Conflict and Intervention in Africa, New York/Oxford. Externer Link: Studien und Analysen der Stiftung Wissenschaft und Politik Externer Link: Analysen und Informationen des Zentrums für internationale Friedenseinsätze (ZIF). Externer Link: Maihold, Günther (2018): Kolumbiens Frieden und Venezuelas Krise. Wie sich in Südamerika eine regionale Krisenlandschaft aufbaut, SWP-Aktuell 2018/A 13, Februar 2018. Externer Link: Perthes, Volker (Hrsg.) (2017): "Krisenlandschaften". Konfliktkonstellationen und Problemkomplexe internationaler Politik. Ausblick 2017, SWP-Studie, Stiftung Internationale Politik/ Institut für internationale Politik und Sicherheit, Berlin. Zartman, William (1989): Ripe for Resolution. Conflict and Intervention in Africa, New York/Oxford. Externer Link: Studien und Analysen der Stiftung Wissenschaft und Politik Externer Link: Analysen und Informationen des Zentrums für internationale Friedenseinsätze (ZIF).
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Sezessions-Referendum in Katalonien: Der Traum von der linken Republik Der Terror in Spanien hat den Streit über die Unabhängigkeit Kataloniens nur kurz unterbrochen. Das Referendum spaltet die Linke. Ob für oder gegen die Unabhängigkeit: Trauernde in Barcelona nach dem Anschlag Foto: dpa BARCELONA taz | Für ein paar Stunden waren Anna Gabriel und Rafael Arenas vereint – in Sorge. Leben meine Verwandten und Freunde noch? Sind sie unverletzt? Solche Fragen beschäftigten sie nach den islamistischen Attentaten am 17. und 18. August in Katalonien. Einen Moment lang unterbrach Ga­briel – eine Abgeordnete des katalanischen Parlaments – ihr Werben für die Unabhängigkeit der Region im spanischen Nordosten. Und Arenas, ein Pro-Spanien-Aktivist, sorgte sich um seine Lieben, nicht um die territoriale Einheit der spanischen Nation. Am Samstag wollen wieder Tausende in Barcelona gegen den Terror demonstrieren. „Ich habe keine Angst!“, werden sie rufen auf dem Boulevard Passeig de Gràcia mit seinen prachtvollen Jugendstilgebäuden. Auch Spaniens König wird dabei sein. Doch die Attentate haben nichts daran geändert, dass Gabriel und Arenas zerstritten sind – so wie ganz Katalonien gespalten ist. Im Gegenteil: Der Monarch dürfe die Demonstration nicht anführen, forderte Gabriels Fraktion „Kandidatur der Volkseinheit“, kurz CUP. Arenas glaubt, die Sezessionsbewegung sei mitverantwortlich dafür, dass die Sicherheitskräfte der Region und der Zentralregierung schlecht zusammengearbeitet hätten. Dabei haben Gabriel und Arenas eine Menge gemein: Beide haben Jura studiert; als Professor für internationales Privatrecht war er ihr Dozent. Beide sind dafür, das bedingungslose Grundeinkommen einzuführen und mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Sie sind dagegen, Arbeitnehmerrechte abzubauen und das Gesundheitssystem zu privatisieren. Anna Gabriel und Rafael Arenas sind beide links. Kein Konsens in Sicht Doch in der Diskussion über die Unabhängigkeit kämpfen sie seit Monaten so unerbittlich gegeneinander wie noch nie. Denn Gabriels CUP bereitet gemeinsam mit der von einem Konservativen geführten katalanischen Regierung ein Referendum vor. Am 1. Oktober wollen sie die Wahlberechtigten der Region fragen, ob Katalonien eine eigene Republik werden soll. Falls die Mehrheit zustimmt, soll zwei Tage nach Bekanntgabe des Ergebnisses die Abspaltung von Spanien erklärt werden – auch gegen den Willen der Zentralregierung in Madrid. Arenas argumentiert dagegen, zum Beispiel als Gastkommentator in der New York Times. Ein Jahr lang war er Präsident der Vereinigung „Katalanische Zivilgesellschaft“, die die wichtigste überparteiliche Organisation der Unabhängigkeitsgegner ist. Mit Geld- und Haftstrafen droht derweil die spanische Staats­anwaltschaft Politikern und Beamten, die das Plebiszit vorbereiten. Die Polizei führt schon Verhöre durch. Doch die Regionalregierung in Barcelona gibt sich unbeugsam und entwirft sogar Gesetze, die die Details der Loslösung von Madrid regeln sollen. Wenn das Referendum trotz des Drucks tatsächlich stattfindet, könnte Ma­drid der militärisch organisierten Polizeieinheit Guardia Civil befehlen, die Urnen einzusammeln. Nicht auszudenken, was passieren würde, falls sie dabei auf Widerstand stieße. Anna Gabriel, CUP-Abgeordnete„Die Unabhängigkeitsbewegung ist sehr antifaschistisch“ Und das mitten in einem der größten EU-Länder und in einer wirtschaftlich bedeutenden Region, mit Barcelona und der Costa Brava, die Deutsche als Urlaubsziel kennen. Der Streit in Katalonien betrifft vor allem deshalb auch Deutschland, weil die Regionalregierung will, dass der neue Staat in die Europäische Union und die Euro­zone aufgenommen wird. Berlin hätte ein Vetorecht. Wenn Katalonien mit seinen 7,4 Millionen Einwohnern unabhängig würde, könnten auch andere Minderheiten sich ermutigt fühlen, den gleichen Weg zu gehen. Separatisten gibt es etwa unter den Basken in Spanien und Frankreich, den Schotten in Großbritannien, den Südtirolern in Italien oder den Ungarn in der Slowakei, Rumänien und Kroatien. Es drohen wieder Dispute um Grenzen in Europa. Warum unterstützt dann eine Linke wie Anna Gabriel die na­tio­na­listische Bewegung in Katalonien? Sie lächelt, als sie diese Frage hört. Die 41-Jährige ist Sprecherin der CUP-Parlamentsfraktion. Die Gruppe hat zwar bei der letzten Wahl nur 8 Prozent der Stimmen erhalten und ist nicht Teil der Regierung, aber lediglich dank Stimmen aus ihren Reihen konnte der Konservative Carles Puigdemont Ministerpräsident werden. Gabriel sitzt – sehr aufrecht – in ihrem kleinen Büro im Keller des Parlaments in Barcelona. An der Wand hinter ihr hängt ein „Free Kurdistan“-Plakat. Sie trägt ein schwarzes T-Shirt, einen kurzen Pony, einen großen Metallring in dem einen, vier Ringe in dem anderen Ohr. Links und dafür: Anna Gabriel Foto: Antonio Melita „Ich komme aus einer Arbeiterfamilie“, erzählt sie. Ihre Eltern hätten immer ein „großes Klassenbewusstsein“ gehabt. Gewerkschaften, Anarchismus, Kommunismus, das waren Themen in ihrer Familie. „Schon als ich klein war, haben wir sehr viel über Politik geredet. Und immer im Geist, Gerechtigkeit zu suchen.“ Gabriel ist zu dem Schluss gekommen: „Wenn du mehr Rechte für Arbeiterinnen, mehr Kontrolle über die Wirtschaft und mehr Souveränität für das Volk erreichen willst, ist das im Rahmen des spanischen Staats unmöglich.“ Die Abspaltung könne mehr soziale Gerechtigkeit bringen, denn in Katalonien gebe es eine Mehrheit dafür – anders als im restlichen Spanien. Das ist Ga­briels Hoffnung. Für sie ist die katalanische Unabhängigkeit vor allem ein Mittel, um „den Weg zum Sozialismus einzuschlagen“, wie es im Wahlprogramm der CUP heißt. Vor Kurzem hat Gabriel ein Plakat der CUP für das Referendum in die Kameras gehalten, das diese Strategie auf den Punkt bringt: Darauf schubst eine Putzfrau mit einem großen Besen den spanischen König, der Korruption verdächtige Politiker, den Präsidenten der Zen­tral­regierung, einen Stierkämpfer und einen Kardinal von einer Karte Kataloniens. „Lasst uns den Kapitalismus, das Pa­tri­ar­chat, die Korruption und die Monarchie hinwegfegen“, sagen Gabriel und ihre Mitstreiter. Sie verspricht: „Die Unabhängigkeit ist dazu da, alles zu ändern.“ taz.am wochenendeDieser Text stammt aus der taz.am wochenende. Immer ab Samstag am Kiosk, im eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo. Und rund um die Uhr bei Facebook und Twitter. Dem Königshaus und der Zentralregierung wirft Gabriel sogar vor, eine Mitschuld an dem Doppelanschlag in Katalonien zu tragen. Spanien sei schließlich für den Irakkrieg 2003 gewesen, der dazu beigetragen hat, dass der „Islamische Staat“ entstanden ist. Und der König sei mit Monarchen in Golfstaaten befreundet, die die Terrororganisation finanzierten. Im Programm der CUP stehen so radikale Forderungen wie die 30-Stunden-Woche oder dass Staatsschulden nicht bezahlt werden sollen. Die klassische Familie bezeichnet Anna Ga­briel als „arm“. Sie würde Kinder lieber im Kollektiv aufziehen, so dass sie kein Zugehörigkeitsgefühl zu den biologischen Eltern entwickeln. Das katalanische Parlament tagt zwei Stockwerke über Gabriels Büro in einem kleinen, aber prächtigen Saal aus dem 18. Jahrhundert. Drei voluminöse kugelförmige Kronleuchter hängen an der Decke, an den Seiten stehen Doppelsäulen aus Marmor. Die Abgeordneten sitzen auf Holzbänken mit roten Polstern. Ende Juli 2015 drückte hier die Mehrheit der Parlamentarier – inklusive der CUP – die grünen Knöpfe in der Bank vor ihnen. Sie beschlossen, dass leerstehende Wohnungen von Banken an Arme vermietet werden müssen. Gabriel ist sehr stolz darauf. Doch dieses Gesetz hob das spanische Verfassungsgericht wieder auf, weil die Region damit ihre Kompetenzen überschreite. Für Gabriel ist die Episode ein Beleg dafür, dass mit Spanien kein gesellschaftlicher Fortschritt zu machen sei. Rafael Arenas, linker Jura-Prof„Die Unabhängigkeitsbewegung wird von rechts geführt“ Unumstritten ist, dass die Unabhängigkeitsbewegung vor allem wegen der Wirtschaftskrise ab 2007 und den Massenprotesten 2011 gegen die Sparmaßnahmen, die Arbeitslosigkeit und die Korruption an Fahrt gewonnen hat. Doch wie groß ist die Chance auf eine linkere Politik in einem unabhängigen Katalonien wirklich? Um das zu erfahren, kann man von Barcelona aus an der Küste 110 Kilometer nach Westen in die Nähe der Stadt Tarragona fahren. Hier entsteht auf einer Fläche von mehr als 74 Hektar direkt am Mittelmeer ein gigantischer Komplex aus Spielcasinos, Hotels und Geschäften – ein mediterranes Las Vegas. Der Hard-Rock-Café-Konzern aus den USA will dort 1.200 Glücksspielautomaten und 100 Spieltische für Poker und Ähnliches aufbauen. Gelockt hat die katalanische Regionalregierung potenzielle Investoren mit großzügigen Steuerermäßigungen. „Das ist das Gegenteil von einer fortschrittlichen, linken Politik“, sagt Rafael Arenas, der ehemalige Juraprofessor von Ga­briel. Er will zwar auch mehr soziale Gerechtigkeit, aber seine Forderungen sind moderater. Er ist 50, also fast zehn Jahre älter als Gabriel, hat einen kurzgeschnittenen Vollbart und trägt ein frisch gebügeltes, weißes Hemd. Arenas hat drei Kinder – von derselben Frau, mit der er den Nachwuchs auch noch gemeinsam aufzieht. Dass die Separatisten im katalanischen Parlament das Casinoprojekt nicht gestoppt oder dessen Steuerbefreiung gestrichen haben, zeigt Arenas: „In den Bereichen, wo Katalonien Gesetzgebungskompetenz hat, haben die Unabhängigkeitsbefürworter fast nichts gemacht.“ Sie hätten auch nicht die Beteiligung von Privatunternehmen am Gesundheits- und am Bildungswesen zurückgedrängt. KatalonienDie Region: Katalonien ist eine von 17 autonomen Regionen Spa­niens. Wichtigste Städte sind Barcelona, Tarragona und Girona. 16 Prozent der 46,5 Millionen Spanier leben in Katalonien. Die Region trägt 19 Prozent zum spanischen Bruttoinlandsprodukt bei. Historisch, sprachlich und kulturell unterscheidet sich Katalonien vom restlichen Spanien, weshalb es seit Langem einen Drang zur Unabhängigkeit von Spanien gibt.Das Referendum: Nach der letzten Umfrage, die die Regionalregierung ver­öffentlichte, wollen 41 Prozent der Wahlberechtigten, dass Katalonien unabhängig wird. 49 Prozent sind dagegen. Etwa die Hälfte der Befragten will ein Referendum auch gegen den Willen Spaniens, die andere Hälfte ist dagegen. Eine Mehrheit derjenigen, die an der Abstimmung teilnehmen wollen, sprach sich für die Unabhängigkeit aus. Aber hat das katalanische Parlament nicht tatsächlich progressive Gesetze beschlossen? „Sie wussten, dass diese Beschlüsse aufgehoben werden, weil sie nicht in die Zuständigkeit der Region fielen“, antwortet Arenas. Wären sie wirklich durchsetzbar, hätte die Koalition sie nicht beschlossen – wegen des Widerstands des konservativen Lagers in der Regierung. „Die ­Unabhängigkeitsbewegung wird von der Rechten angeführt“, sagt Arenas. Stärkste Kraft in der katalanischen Regierung sei die konservative Partei PdeCat. Ihr wichtigster Koa­li­tions­partner, die sozialdemokratische ERC, müsse Kompromisse akzeptieren, um die Unabhängigkeit zu erreichen. Wenn die katalanische Republik doch nicht die Revolution bringt, was dann? Chauvinismus – wie so viele Nationalismen der Vergangenheit? Anna Gabriel lächelt wieder. Ihre Stimme bleibt ruhig und klar. „Die Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien“, antwortet die CUP-Politikerin, „ist sehr antifaschistisch.“ Gabriel verweist gern auf die Geschichte: Unter dem rechten Diktator Francisco Franco wurde die katalanische Kultur diskriminiert. Der General führte Spanien von seinem Putsch gegen die gewählte republikanische Regierung 1936 bis zu seinem Tod 1975 mit eiserner Hand. Franco hob das Autonomiestatut auf, das Katalonien zum Beispiel eine eigene Regierung, ein Parlament und Kompetenzen im Bildungswesen zugestanden hatte. Katalanisch ist eine eigene Sprache Katalanisch, diese eigenständige romanische Sprache mit ihrer jahrhundertealten literarischen Tradition, war nicht mehr Amtssprache und wurde beispielsweise in der öffentlichen Verwaltung unterdrückt. Schon deshalb stand der katalanische Nationalismus gegen Franco, der vom faschistischen Italien und national­so­zia­lis­tischen Deutschland unterstützt wurde. „Es gibt keinen identitären Diskurs, keinen Diskurs der Exklusion von Nationen“, beteuert Gabriel. Wenn Rafael Arenas vom Bahnhof zum Campus seiner Universität nahe Barcelona geht, fällt sein Blick auf das riesige Graffito dort: Auf der gesamten Längsseite des Mensa- und Verwaltungsgebäudes prangt eine rote Sowjetflagge und eine gelb-rote Fahne der Unabhängigkeitsbewegung. In der Mitte eine schwarze, geballte Faust. Unter dem Bild steht: „Unabhängigkeit. ­Sozialismus. Feminismus“. Signiert ist es mit SEPC, dem Kürzel einer Studenten­organisation, die von Gabriels CUP finanziert wird und deren Mitglieder regelmäßig maskiert und mit brennenden Bengalos über den Campus marschieren. Auf Pfeilern am Rande des Wegs sind Aufkleber mit der Aufschrift „FCK SCC“. SCC ist die Abkürzung für den Namen von Arenas’ Pro-Spanien-Organisation. „Das haben sie mir auch schon auf meine Bürotür geklebt“, klagt der Professor. In seinem Büro zeigt Arenas Fotos und Videos von Veranstaltungen der SCC auf dem Campus: Etwa 30 teils maskierte Leute blockieren in ziemlich einschüchternder Art und Weise den Zugang zu einer Veranstaltung der SCC. „Die Autonome Universität Barcelona wird immer unsere bleiben“, brüllen sie. Und: „Faschisten!“ Links und dagegen: Rafael Arenas Foto: privat Einmal wurde ein Stand der SCC auf dem Campus von den sogenannten Antifaschisten mit einem Feuerlöscher eingenebelt, sie rissen die spanische Fahne herunter und verbrannten sie. Regelmäßig müssen die SCC-Veranstaltungen auf dem Campus von Sicherheitsleuten und manchmal sogar von der Polizei geschützt werden. Arenas hat Laura Casado und María Domingo mitgebracht. Die beiden Studentinnen arbeiten in der Unigruppe der SCC mit. „Sie haben Unterschriften gesammelt, um uns aus der Uni auszuschließen“, erzählt Casado. „Mich haben sie vor der Bibliothek bespuckt“, sagt Domingo. Seien sie anfangs 13 Studenten gewesen, würden jetzt nur noch fünf mitmachen, „wegen des Drucks“. „Reaktionär“ und intolerant – so nennt Arenas manche Separatisten. Die Lage an der Universität ist eine Ausnahme. Die überwiegende Mehrheit der Unabhängigkeitsbefürworter ist friedlich. Aber es gibt unter ihnen linke Strömungen, die sich nicht klar von den Aggressionen gegen die SCC oder ähnliche Organisationen distanzieren. Was hält Anna Gabriel von den Angriffen auf den Verein ihres ehemaligen Professors? Bei dieser Frage verschwindet das Lächeln aus Gabriels Gesicht – und zwar schlagartig. Ihr Blick wird kalt. Gut, sagt sie, die SCC verweigere dem katalanischen Volk das Recht auf Selbstbestimmung, das auch in der Charta der Vereinten Nationen verankert ist. Sie hätten „Beziehungen zu Mitgliedern von Gruppierungen mit einer faschistischen Ideologie“. Da verwundere es nicht, dass Menschen, die mehr Demokratie in Katalonien wollen, „reagieren“, wenn sie einen Stand der SCC und in der Nähe Rechtsextreme sehen. Rechte mischen mit Auf den Videos eines SCC-Auftritts sind tatsächlich in einiger Entfernung mehrere Glatzköpfe zu sehen. Aber das war nur bei einer Veranstaltung, gestört wurden ebenso SCC-Auftritte, bei denen keine Rechtsextreme in der Nähe waren. Arenas sagt auch, er habe die anwesenden Polizisten gebeten, sich zwischen die SCC-Leute und die Rechtsextremen zu stellen, damit diese isoliert blieben. Zudem haben sich er und seine Organisation von „Nazis“ und „Faschisten“ distanziert. „Aber in dem Moment, in dem du dich gegen die Sezession stellst, bist du für viele Unabhängigkeitsbefürworter automatisch ein Faschist“, klagt Arenas. Schweiß perlt von seiner Stirn. Es ist heiß in seinem Büro, obwohl der Ventilator vor seinem Schreibtisch läuft. Und die Debatte setzt ihm zu, weil die Fronten so verhärtet sind. „Wie tief der Riss in der katalanischen Gesellschaft ist, hat die Reaktion auf die Attentate offengelegt“, sagt er. Die Regionalregierung habe diese Tragödie missbraucht, um der Welt zu demonstrieren, dass Katalonien wie ein eigener Staat funktioniert. Dabei habe die Regionalpolizei nach der Explosion eines Hauses der Terroristen am Tag vor den Attentaten zu spät erkannt, dass dort Anschläge vorbereitet wurden. Und sie hätten der Guardia Civil nicht gestattet, dort zu ermitteln. In Arenas’ Regal steht ein juristisches Fachbuch neben dem anderen. Sogar der „Schönfelder“, ein roter Plastikordner mit deutschen Gesetzen. „Weil wir Spanier alle eine politische Gemeinschaft bilden, haben die Bürger aus Huelva, aus Madrid oder Galicien zum Beispiel das Recht, nach Katalonien zu ziehen, hier zu leben, zu arbeiten und das Regionalparlament zu wählen“, sagt der Jurist. Im Moment würden sie automatisch wie Inländer behandelt. „Durch eine Abspaltung könnten diese Bürger ihre Rechte verlieren.“ Deshalb müssten sie zustimmen, dass es eine Sezession gibt. „Man darf nicht der Gesamtheit der Spanier ein Recht nehmen, ohne sie zu befragen.“ Auf Arenas’ Schreibtisch stapeln sich auch Standardwerke zum Völkerrecht. Die braucht er für die Debatte über Katalonien. „Den Teil des Selbstbestimmungsrechts der Völker, der auch das Recht auf Sezession beinhaltet, gibt es in den internationalen Verträgen und UN-Resolutionen nur für Kolonialvölker oder wenn die Grundrechte systematisch und schwerwiegend verletzt werden“, sagt Arenas. Und die Katalanen lebten schließlich in Spanien, einer Demokratie. Katalanen fühlen sich benachteiligt Dennoch halten sich viele Katalanen für unterdrückt. „Wenn du vor Gericht stehst und auf Katalanisch mit der Justiz kommunizieren willst, sprechen weniger als 5 Prozent der Richter auf Katalanisch oder fassen die Urteile darin ab“, sagt Anna Ga­briel. Für viele Separatisten gibt es auch bei den von Madrid gesteuerten Polizeikräften eine „kulturelle Unterdrückung“ des Katalanischen. „Ich lache mich kaputt, wenn ich das höre“, sagt Arenas dazu. „Meine Kinder haben wie die meisten Katalanen Spanisch als Muttersprache. Dennoch hören sie seit dem Kindergarten nur Katalanisch, außer in den Spanischstunden, die mit sechs Jahren begonnen haben. Wo bitte sehr ist die Unterdrückung?“ In der Verwaltung der Region sei Spanisch auf ein Minimum reduziert worden. „Zu wollen, dass die Leute Spanisch vergessen, das finde ich pervers“, sagt Arenas. Anna Gabriel weist solche Pläne weit von sich. Sie verspricht eine „Vorzugsbehandlung“ für das Spanische, weil es für so viele Katalanen die Muttersprache ist. Vorzugsbehandlung ist aber nicht Gleichberechtigung. Jedenfalls verdrängt Ga­briel das Spanische zuweilen eigenhändig und mit Genuss. Für sie ist die Sprache auch ein Mittel, Macht zu demonstrieren. Arenas habe an der Uni seine Vorlesungen immer auf Spanisch gehalten, erzählt sie. „Ich habe ihm immer auf Katalanisch Fragen gestellt. Und er hat immer auf Katalanisch geantwortet. Das hat mich immer gefreut, weil es mir gezeigt hat: Hier befehle ich.“
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»Es ist ganz vernünftig,« sagte die Gräfin ruhig, ohne jedoch zu ihr aufzusehen, »daß wir die Sache von beiden Seiten betrachten; wir wissen dann Beide gleich besser, woran wir sind. Wenn Du Dich also weigerst, wird Herr von Pulteleben augenblicklich ausziehen und das Geschäft aufgeben -- das versteht sich von selbst. So wie _er_ aber aus dem Hause ist, kannst Du auch versichert sein, daß unsere Gläubiger wie ein Rabenschwarm über uns herfallen, und das Resultat ist dann sehr einfach: wir müssen ausziehen -- wohin? wirst Du vielleicht angeben können -- unsere Möbel und Sachen werden öffentlich verauctionirt und Deine Mutter verläßt mit ihren Kindern in Schande und Spott einen Platz, in dem sie bis jetzt wenigstens eine achtbare Stellung gehalten. Hab' ich Recht oder nicht?«
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Syriens Herrscherfamilie: Streit im Hause Assad Bisher hielt der Clan um Syriens Diktator Baschar al-Assad zusammen. Doch nun wird der milliardenschwere Cousin aus dem inneren Zirkel gedrängt. Assads Cousin Machluf soll den lukrativen Konzern Syriatel abgeben – hier eine Filiale in Deraa Foto: Khaled al-Hariri/Reuters KAIRO taz | Es ist ein Konflikt, der einen seltenen Einblick in die geheimnisumwobene Welt des inneren Kreises des syrischen Regimes gibt. Im Zentrum des Disputs steht Rami Machluf, der milliardenschwere Cousin des syrischen Diktators Baschar al-Assad. Sein Vermögen hat er durch seine Nähe zum Regime verdient und hat damit in den letzten Jahren dessen Kriegsmaschinerie geschmiert. Die USA und die EU haben Sanktionen gegen ihn verhängt. Doch nun ist Machluf bei Assad in Ungnade gefallen. Die syrischen Behörden haben das Guthaben des Milliardärs, seiner Frau und seiner Kinder beschlagnahmt, wie am Dienstag bekannt wurde. Außerdem wird er für fünf Jahre von allen staatlichen Verträgen ausgeschlossen. Machluf bezeichnete das in einem Facebook-Post als illegal. Zunächst wurde Machluf noch im Verborgenen unter Druck gesetzt, seinen Goldesel, den Besitz des größten syrischen Mobilfunkanbieters Syria­tel aufzugeben. Machluf setzte sich auf ungewöhnliche Art zur Wehr: Er ging via Facebook mit Videobotschaften an die Öffentlichkeit, zuletzt am vergangenen Sonntag. Darin spricht der reichste Geschäftsmann Syriens mit sanfter, geradezu Bescheidenheit heuchelnder Stimme. „Meine Firma ist eine der erfolgreichsten Firmen in Syrien und vielleicht sogar der gesamten arabischen Welt. Es ist ein Sünde, diese zu ruinieren“, erklärt er. Schon vor Wochen haben die syrischen Sicherheitskräfte begonnen, einige seiner Manager zu verhaften. „Eure Methoden schüchtern die Angestellten ein, einige haben Angst, andere wollen nicht mehr zur Arbeit kommen“, beschwert er sich und warnt gleichzeitig: „Das ist eine Katastrophe für die gesamte syrische Wirtschaft.“ Das hielt die Behörden aber nicht davon ab, Machlufs Vermögen zu beschlagnahmen. In einem Brief des Finanzministeriums hieß es, die Regierung wolle sich Garantien sichern, dass Machluf die Steuern bezahlt, die er dem Staat aus seinen Geschäften mit der syrischen Telekom schuldig sei – laut Behörden mehr als 230 Milliarden Syrische Pfund, umgerechnet etwa 120 Millionen Euro. Ende des Triumvirats In Syrien herrschte bisher eine Art Triumvirat aus dem Präsidenten Baschar al-Assad, dessen Cousin Machluf, der sich um die Finanzen kümmerte, und Assads Bruder Mahir al-Assad, der eine Eliteeinheit der Armee befehligt und selbst ein Geschäftskonglomerat sein Eigen nennt. In Medien und sozialen Netzwerken kursiert die Theorie, dass der Präsidenten-Bruder Mahir nun den Präsidenten-Cousin Rami Machluf aus dem inneren Zirkel hinausdrängen will. Dabei habe er offensichtlich die Zustimmung des Präsidenten selbst. Andere Stimmen behaupten, der Ausschluss Machlufs aus dem inneren Regimezirkel erfolge auf Wunsch des Kremls. Russlands Präsident Wladimir Putin, ohne dessen militärische Unterstützung das Assad-Regime die letzten Jahre nicht überlebt hätte, sehe die offene Korruption und Zurschaustellung von Machlufs Reichtum als eine zunehmende Belastung in einem Land, in dem laut UN-Angaben 80 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze leben. In seiner Videobotschaft vom Sonntag erklärte Machluf, dass er zugestimmt habe, die noch ausstehenden Steuern zu bezahlen. In einem Brief erklärte er, dass seine Firma sofort bereit sei, die erste Rate zu bezahlen, gemäß der Liquidität seiner Firma. Seine Anteile an Syriatel wolle er aber nicht abgeben. „Wer auch immer glaubt, dass ich mich unter diesen Umstände zurückziehe, der kennt mich nicht“, hatte Machluf verkündet.
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88: Seit 1437 führen öfter mehrere die Bezeichnung Ältermann. Man unterscheidet dann nicht zwischen dem Ältermann und den Beisitzern. HR. II 3 S. 174, n. 288 § 10, Hans. U. B. VIII n. 35, 215 § 53.
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Neue Regeln für Be­am­t:in­nen: Kein Tattoo, kein Kopftuch Für Be­am­t:in­nen gelten bald neue Regeln zum Erscheinungsbild. Obwohl diese in die Grundrechte eingreifen, wurden sie ohne Debatte beschlossen. Das sieht interessant aus, aber um Richter zu werden, müsste alles weg Foto: Laurie Dieffembacq/dpa FREIBURG taz | Für Be­am­t:in­nen gelten bald neue Regeln zum äußeren Erscheinungsbild. Auffällige Tattoos und Piercings sind künftig ausdrücklich verboten. Das Gesetz, das von Bundestag und Bundesrat geräuschlos beschlossen wurde, soll auch neue Kopftuchverbote rechtfertigen. Das „Gesetz zur Regelung des Erscheinungsbilds von Beamtinnen und Beamten“ greift deutlich in die Grundrechte von 1,7 Millionen Be­am­t:in­nen in Deutschland ein. Dennoch wurde es im Bundestag ohne jede Debatte beschlossen. Weder bei der ersten Lesung am 4. März noch beim endgültigen Beschluss am 22. April gab es einen einzigen Redebeitrag. Am Freitag stimmte nun auch der Bundesrat zu, wieder ohne Diskussion. Auslöser für das Gesetz war der Fall eines rechtsextremen Polizisten aus Berlin. Dessen Nazi-Tattoos führten zwar dazu, dass er wegen fehlender Verfassungstreue aus dem Dienst entfernt werden konnte. Das Bundesverwaltungsgericht merkte jedoch 2017 an, dass eine gesetzliche Grundlage für das Verbot auffälliger Tätowierungen fehlt. Verwaltungsinterne Erlasse seien nicht ausreichend. Diese Lücke haben Bundestag und Bundesrat nun geschlossen. Danach müssen Be­am­t:in­nen „hinsichtlich ihres Erscheinungsbildes Rücksicht auf das ihrem Amt entgegengebrachte Vertrauen“ nehmen. So können Tätowierungen, Schmuck und Symbole „im sichtbaren Bereich“ verboten werden. Auch die „Art der Haar- und Barttracht“ darf eingeschränkt werden. Entscheidendes Kriterium ist, dass die Erscheinungsmerkmale „durch ihre über das übliche Maß hinausgehende besonders individualisierende Art geeignet sind, die amtliche Funktion der Beamtin oder des Beamten in den Hintergrund zu drängen“. Diese vage Vorgabe wird im Einzelfall wohl noch für viel Streit sorgen. Sichtbarkeit bemisst sich nach Sommeruniform In der Begründung des Gesetzes heißt es, dass die Vorgaben auch für Fingernägel, Kosmetik, Ohrtunnel, Brandings und Dermal Implants gelten. Wann ein Körperschmuck „sichtbar“ ist, bemisst sich nach der Sommeruniform der Polizist:innen, zu der ein kurzärmeliges Hemd gehört. Danach sind Tattoos am Rücken oder Oberarm kein Problem. Aber bei Körperschmuck am Unterarm, an Händen, Hals und Kopf kann es Probleme geben. Die neue Vorschrift im Bundesbeamtengesetz gilt für die 185.000 Bun­des­be­am­t:in­nen in Ministerien und Bundesbehörden, zum Beispiel beim Bundeskartellamt. Ein weiterer Paragraf im Beamtenstatusgesetz erfasst auch die Be­am­t:in­nen in den Bundesländern (1,3 Millionen) und den Kommunen (187.000). Teilweise können Bundesministerien und Länder noch Einzelheiten regeln. Brisant ist das Thema Religion Besonders brisant sind Regelungen des Erscheinungsbildes, wenn es um „religiös- und weltanschaulich konnotierte Merkmale“ geht, wie das muslimische Kopftuch, das christliche Kreuz oder die jüdische Kippa. Diese sollen nur dann untersagt werden, „wenn sie objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die neutrale Amtsführung der Beamtin oder des Beamten zu beeinträchtigen.“ Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sind generelle Kopftuchverbote bei Lehrerinnen und Erzieherinnen unzulässig. Bei Richterinnen hält Karlsruhe sie aber für möglich, wenn auch nicht zwingend notwendig. Für Polizei- und andere Be­am­t:in­nen gibt es noch keine Urteile. Gesetzliche Ermächtigung für Kopftuchverbote Die Gesetzesänderung schafft hier nun zumindest eine gesetzliche Ermächtigung für Kopftuchverbote, die in den meisten Bundesländern bisher nicht bestand. Dagegen sind Gesichtsverhüllungen wie Burkas bereits seit 2017 in beiden Gesetzen verboten. Ein dritter Komplex betrifft die Rechte von Soldat:innen. Auch hier gab ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts den Anlass. 2019 klagte ein Soldat, der sich als Gothic-Fan die Haare lang wachsen lassen wollte, gegen den Haar- und Bart-Erlass der Bundeswehr. Er sah sich diskriminiert, weil Soldatinnen durchaus lange Haare haben dürfen. Das Leipziger Gericht forderte auch hier eine gesetzliche Regelung. Nun gibt es also eine ausdrückliche Regelung im Soldatengesetz. Sie entspricht weitgehend den Vorgaben für Beamt:innen, weist aber eine ausdrückliche Sonderregelung zur Ungleichbehandlung von Männern und Frauen auf: „Soweit Frauen in den Streitkräften unterrepräsentiert sind, können die Vorgaben zum Erscheinungsbild von Soldatinnnen, insbesondere zur Haartracht und zum Tragen von Schmuck, als eine zulässige Maßnahme zur Förderung von Frauen in der Bundeswehr von den Vorgaben für Soldaten abweichend geregelt werden.“ Petition für „gesellschaftliche Vielfalt“ Das Gesetz wurde im Bundestag mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD und AfD beschlossen. Die Linke stimmte dagegen, FDP und Grüne enthielten sich. Kurz vor der Beschlussfassung im Bundesrat bekam das Projekt dann doch noch öffentliche Aufmerksamkeit. Die Frankfurter Jurastudentin Rabia Küçüksahin startete eine Petition gegen drohende Kopftuchverbote und für „gesellschaftliche Vielfalt“ im öffentlichen Dienst. Sie erhielt binnen weniger Tage 164.000 Unterschriften. Im Bundesrat griff dies nur der Thüringer Kultusminister Benjamin-Immanuel Hoff (Linke) auf: „Ich kann nicht über Diversität reden und gleichzeitig sagen, dass bestimmte religiöse Symbole nicht möglich sind.“ Kein anderes Bundesland reagierte auf seinen Einwand. Das Gesetz tritt nach der Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt in Kraft.
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Diese Antwort ist ein kostbarer Beitrag für die Kenntnis der Art und Weise, wie in Niederländisch-Indien die Verwaltung gehandhabt wird. Der Herr Slymering beklagte sich, »dass Havelaar ihm von der Sache, die vorkäme in dem Briefe No. 88, nicht erst mündlich Kenntnis gegeben hätte«. Natürlich weil dann mehr Möglichkeit gewesen wäre, zu »schipperen«. Und weiterhin: »dass Havelaar ihn in seinen dringenden Geschäften störe«!
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Was hiermit nunmehr vorhanden ist, ist das _Vermittelte_, zunächst oder gleichfalls unmittelbar genommen auch eine _einfache_ Bestimmung, denn da das Erste in ihm untergegangen, so ist nur das Zweite vorhanden. Weil nun auch das Erste im Zweiten _enthalten_, und dieses die Wahrheit von jenem ist, so kann diese Einheit als ein Satz ausgedrückt werden, worin das Unmittelbare als Subjekt, das Vermittelte aber als dessen Prädikat gestellt ist, z.B. _das Endliche ist unendlich, Eins ist Vieles, das Einzelne ist das Allgemeine_. Die inadäquate Form solcher Sätze und Urtheile aber fällt von selbst in die Augen. Bei dem _Urtheile_ ist gezeigt worden, daß seine Form überhaupt, und am meisten die unmittelbare des _positiven_ Urtheils unfähig ist, das Spekulative und die Wahrheit in sich zu fassen. Die nächste Ergänzung desselben, das _negative_ Urtheil müßte wenigstens ebenso sehr beigefügt werden. Im Urtheile hat das Erste als Subjekt den Schein eines selbstständigen Bestehens, da es vielmehr in seinem Prädikate als seinem Andern aufgehoben ist; diese Negation ist in dem Inhalte jener Sätze wohl enthalten, aber ihre positive Form widerspricht demselben; es wird somit das nicht gesetzt, was darin enthalten ist; was gerade die Absicht, einen Satz zu gebrauchen, wäre.
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Brief an eine iranische Journalistin: An meine Schwester im Gefängnis Weil die iranische Journalistin Elahe Mohammadi über den Tod von Jina Mahsa Amini berichtete, ist sie in Haft. Ihre Schwester schrieb ihr einen Brief. Die beiden verhafteten Journalistinnen Nilufar Hamedi and Elahe Mohammadi auf einer Zeitung Foto: Atta Kenare/afp/getty images Es ist viele Jahre her, dass ich dir einen Brief geschrieben habe. Als wir Kinder waren und uns wieder einmal gestritten haben, riet uns unsere Mutter, einander zu schreiben, um uns zu versöhnen. Deshalb gab es nach jedem Streit zwei Briefe; ich schrieb einen für dich und du einen für mich. Seitdem sind viele Jahre vergangen. Wir haben uns nicht mehr gestritten, sodass es nicht mehr nötig war, einen Brief zu schreiben. Aber jetzt ist es an der Zeit. Du bist nun seit vierzig Tagen von mir getrennt. Von mir, von deinem Mann Said, unserer Schwester Elham und unseren Eltern. In dieser Zeit fiel es mir schwer, dir zu schreiben. Ich habe in den Spalten der Zeitung über dich geschrieben, aber auch da fehlten mir die Worte, und am Ende habe ich stets einen unfertigen Text an den Redakteur geschickt. Die Worte waren immer meine engsten Verbündeten, aber jetzt lassen sie mich im Stich. Die Worte, die mir jahrelang geholfen haben, über die Frauen dieses Landes zu schreiben, haben jetzt beschämt den Kopf gesenkt und wollten mir nicht mehr helfen. Wie soll man über die Leere schreiben, die du hinterlassen hast? Du warst nie von mir getrennt, seit wir gemeinsam im Mutterleib aufgewachsen sind. Du, die du meine engste und wichtigste Unterstützerin bist, seit wir auf der Schulbank saßen und uns gegenseitig gehänselt haben. Deine Güte war so ehrlich, so vorbehaltlos und so grenzenlos, dass nur der Gedanke an sie mich jetzt vor dir verneigen lässt. Du bist nicht mehr hier In diesen vierzig Tagen habe ich daran gedacht, dass ich nicht so freundlich zu dir war, wie ich es hätte sein sollen. Dass ich deine Zuneigung nicht so erwidert habe, wie ich es hätte tun müssen. Jetzt denke ich daran, wie ich vierzig Tage ohne dich überhaupt überstanden habe. Wie konnte ich jeden Tag aufwachen, zur Arbeit gehen, schreiben, das Word-Dokument schließen, zu Abend essen und schlafen? Wie konnte ich jede Nacht in meinem weichen Bett einschlafen, während du auf den Teppichen in den Räumen des Evin-Gefängnisses einen unruhigen Schlaf hattest? Wie habe ich im selben Augenblick die Speisen gegessen, die dir am liebsten waren? Das sind wiederkehrende, müßige ­Fragen. Anfangs habe ich mit ­anderen darüber gesprochen, aber jetzt sehe ich keinen Sinn mehr, darüber zu reden. Die Menschen sind von vielen Dingen belastet. Wenn ich dann über meine Schmerzen spreche, wird mir das manchmal peinlich. Du, meine beste Freundin, bist nicht mehr hier, und ich habe dir viel zu erzählen. Aber unsere Gespräche können bis zum Tag deiner Freiheit warten. Bis zu dem Tag, den ich voller Aufregung erwarte. Millionen von neuen Freunden Und du? Was denkst du in diesen Tagen? Machst du dir wieder einmal Sorgen um andere? Machst du dir Sorgen um deine Situation, brennst du mit der dir eigenen Eile darauf, dass deine Situation so schnell wie möglich geklärt wird? Weinst du nachts? Denkst du an deine Freunde und vermisst sie? Denkst du noch an die Menschen, denen du geholfen hast, ihnen das Leben erträglicher zu machen? Was machst du in den langen Minuten des Gefängnisses, meine Liebe? Ich wünschte, du würdest früher kommen, damit mein Kopf nicht vor lauter unbeantworteten Fragen birst. Vier Monate Aufstand im IranDie iranische Journalistin Elahe Mohammadi sitzt im Gefängnis und wartet auf ihren Prozess. Sie war im September in die iranische Stadt Saqez gereist, um über die Beerdigung von Jina Mahsa Amini zu berichten, die in Polizei­gewahrsam vermutlich an Folgen von Misshandlung gestorben war. Mohammadi wurde am 29. September 2022 festgenommen. Ihr wird vorgeworfen, für die CIA zu arbeiten und eine „primäre Nachrichtenquelle für ausländische Medien“ zu sein. Nach vierzig Tagen schrieb ihre Zwillingsschwester ihr einen Brief, der seitdem in den sozialen Medien zirkuliert. Wir veröffentlichen ihn erstmals auf Deutsch.Seit dem Tod Aminis halten die Proteste an. Mittlerweile sind die Demonstrationen abgeflaut, aber Ruhe ist in der Islamischen Republik nicht eingekehrt. Trotz der Niederschlagung durch das Regime kommt es weiter zu Streiks und Protesten. Mehr als 500 Menschen sollen mittlerweile getötet worden sein. Der Aufstand geht in seinen fünften Monat.Mindestens 88 Jour­na­list*innen wurden seit September festgenommen, berichtete die NGO Committee to Protect Journalists. Es wurden knapp 20.000 Personen festgenommen, von denen einige wieder auf freiem Fuß sind.Das Regime setzt auch auf Einschüchterung durch Hinrichtungen. Vergangene Woche fielen mehrere Todesurteile. Am 7. Januar waren erneut zwei Demonstrationsteilnehmer hingerichtet worden. Damit liegt die Zahl der Hinrichtungen im Zusammenhang mit dem Aufstand bei vier. (hag) Wenn du zurückkommst, habe ich gute Nachrichten für dich. Du triffst gerne auf neue Menschen, du bist aufgeschlossen und immer offen für neue Freunde, und an dem Tag, an dem du zurückkommst, werde ich dir sagen können, dass du Millionen von neuen Freunden gefunden hast. Freunde, denen du nie begegnet bist, die deinen Zustand aber jeden Tag mit Sorge verfolgt haben und sagen, dass sie stolz auf dich sind. Im Gegensatz zu jener Minderheit von Menschen schauen sie mir nicht zweifelnd in die Augen und denken nicht, dass du etwas wirklich Schlimmes getan haben musst, weil du jetzt im Gefängnis bist. Papa vergießt Tränen für dich Wenn du etwas über unsere Eltern wissen willst, dann kann ich sagen, dass sie uns wie immer stolz gemacht haben. Unsere Mutter hat nicht ein einziges Mal geweint. Du weißt, wie stark sie ist. Nur, als in dieser verdammten Nacht in Evin das Feuer ausgebrochen ist, hat sie Gott das Versprechen abgerungen, dass er dich sicher zu ihr zurückbringt, und „ihr Gott“ hat dich vor dem Tod bewahrt. Jeden Tag betet sie zu Gott, dass alle Gefangenen gerettet werden, und am Ende erwähnt sie auch deinen Namen. Unsere Mutter ist viel stärker, als wir all die Jahre dachten, Elahe, wusstest du das? Papa vergießt manchmal Tränen für dich, er fragt mich: „Liebe Tochter, wann kommt Elahe zurück?“ Er sagt: „Warst du nicht Elahes Redakteurin? Warum antwortest du nicht?“ Und er bittet mich, alles zu tun, damit du früher zurückkommst, aber ich kann nichts tun, ich habe keine Antwort für ihn, es quält mich. Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich als deine Redakteurin deiner Reise nach Saqez zum Begräbnis Mahsa Aminis zugestimmt habe. Ich wünschte, ich wäre taub dafür gewesen und hätte nicht zugestimmt. Said, dein besonnener und geduldiger Ehemann, ist so stark wie immer und wir sind alle stolz auf ihn. Dein lieber ­ Partner seit zwölf Jahren ist mit derselben Sanftheit, die du von ihm kennst, ruhelos, aber jeden Tag stärker und widerstands­fähiger. Komm bald zurück Elham und ich haben unsere liebe Schwester, den ruhigen Hafen unserer Rastlosigkeit, die Besitzerin des schönsten Lachens, seit vierzig Tagen nicht mehr gesehen. Wir haben von dir gelernt, geduldig zu sein. Du warst das geduldige und bedachte Mädchen unserer Familie. Ohne dich, deine Stimme, deine Anwesenheit, ist das Leben schwer. Es ist sehr schwer. Komm bald zurück und bringe Licht in diese dunklen Tage. Mach dieses Leben wieder hell. Ich vermisse es, dein schönes Gesicht zu sehen. Komm bald wieder. Aus Farsi: Kourosh Ardestani
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Auswanderungsland Ukraine : Auf dem Sprung „Ukraine voran“ verkünden die Werbetafeln auch nach der Fußball-Europameisterschaft. Doch viele junge Menschen wollen das Land einfach nur verlassen. „Wir sind nicht alle blöd“: junge Frau in Kiew. Bild: reuters BERDITSCHEW/KIEW/STYJ taz | Wie hält sie das bloß aus bei sechsunddreißig Grad im Schatten? In Winterjacke, schweren Stiefeln und mit wollenem Kopftuch steht sie da, klein und zerbrechlich wie ein junges Mädchen. Zwischen meterhohem Fenchel und umgestürzten Grabsteinen hatte sie auf der Lauer gelegen. „Der Rabbi ist gerade in Amerika“, sagt die alte Frau. Wie Ackerfurchen durchziehen Falten das Gesicht der Ukrainerin, eisblaue Augen verstecken sich zwischen den Kratern. Wer das Grab des Zaddik Levi Jizchak sehen wolle, müsse den Friedhofswärter anrufen, sagt sie. Jemand hat die Telefonnummer auf eine Holztafel gepinselt. Die Alte bindet sich das Kopftuch fester ums Kinn, sichtlich enttäuscht, dass die Gäste keine Anstalten machen, den Wärter endlich anzurufen. Sie will keine Zeit verlieren, also zieht sie die Besucher zu sich in den Schatten und beginnt zu erzählen: „Ich bin jetzt fünfundachtzig. Im Krieg war ich Krankenschwester. Damals haben sie die Juden aus der Stadt vertrieben, und ich hab mir eins ihrer Häuser genommen. Eigentlich hat sich nicht viel geändert seit damals. Im Winter ist es immer noch kalt im Haus. Gegen Ende des Krieges haben sie uns dann bombardiert. Das war schlimm, aber ich habe meine beiden Kinder trotzdem durchgebracht. Aber der Sohn ist schon gestorben und die Tochter bei einem Autounfall umgekommen. Jetzt habe ich nur noch meine Enkeltochter. Aber sie ist eine Narkomanka und nimmt Drogen. Sie ist doch erst zweiundzwanzig und hat selbst schon ein Kind. Aber ich kümmere mich um sie.“ Die Alte erbittet ein paar Scheine für die Geschichte. Ein Euro zehn verschwindet in ihrer Tasche. „Möge das erste Kind ein Sohn sein“, wünscht sie zum Abschied. Zentrum der Schtetlkultur Berditschew war vor dem Zweiten Weltkrieg eine bekannte Handelsstadt und galt als Zentrum der Schtetlkultur. Heute ist nicht viel übrig vom alten Glanz. 90.000 Einwohner hat die Stadt heute. Zwei Synagogen gibt es, auch noch ein paar Hundert Juden, viele von ihnen sind alt, fast niemand geht mehr in den Gottesdienst. Auch deshalb ist die Synagoge im Zentrum inzwischen geschlossen worden. An einer Ausfallstraße der Stadt haben orthodoxe Juden aus Brasilien und den USA eine Schule für jüdische Mädchen gegründet. Die Schülerinnen lernen Englisch und erhalten eine Ausbildung nach amerikanischem Vorbild. Viele von ihnen verlassen danach die Ukraine, gehen in die USA oder nach Israel und kehren nicht zurück. Die Armut ist so groß, dass viele ihr Judentum vor allem als Sprungbrett in den Westen begreifen – oder es gar nur vortäuschen, ähnlich der Alten auf dem Friedhof. 50 Cent für ein großes Bier Dennoch pulsiert das Leben in Berditschew . Es spielt sich im Sommer rund um den Schewtschenko-Park ab. Familien treffen sich zum Ausflug mit dem Kinderwagen. Rentner sitzen auf Bänken und besprechen das Tagesgeschehen. Sobald es dämmert, verwandelt sich die Szenerie. Herausgeputzte junge Mädchen stöckeln auf turmhohen Absätzen über vom Frost zerfetzte Gehwege. Aus der Ferne könnte man sie für Mitte dreißig halten, aber sie sind kaum älter als sechzehn. Noch in der Abendsonne schmilzt der Straßenbelag. Die wie aus Hochglanzmagazinen entstiegenen Schönheiten haben Mühe, nicht im schwarzen Brei stecken zu bleiben. Braungebrannte Jungen umtänzeln die Mädchen wie Rudel junger Hunde. Gebalzt und getrunken wird bis in den frühen Morgen. Anton hat seine Freude daran. Gegenüber der beliebten Bar Olimp betreibt er einen Bierausschank. Fünf Griwna, also etwa 50 Cent, kostet bei ihm der halbe Liter. Es gibt fünf Sorten Bier vom Fass und Kwass, ein Brotgetränk, als alkoholfreie Variante. In den Auslagen unter der nagelneuen Zapfanlage liegt getrockneter Tintenfisch in kleinen Tüten. Stockfische gibt es auch als Snack. „Ich hab gerade erst geheiratet“, sagt Anton. „Das ist zwar nicht mein eigener Laden, er gehört der Brauerei, aber ich mach die Arbeit gern, und Geld kommt auch rein.“ Einen kleinen Nachteil habe der Job, meint der 26-Jährige: Jeden Abend müsse er pünktlich zu Hause bei seiner Frau sein, denn da warte sie schon mit dem Essen. Jeden Abend ausgehen könne er nicht. Anton lacht und verschwindet in einer dunklen Tür hinterm Tresen. Bierfässer sind zu wechseln. Eine Kollegin hütet inzwischen den Laden. Kunden strömen herein und warten geduldig. Aber Anton kommt nicht. Die blondierte Kollegin feilt sich die roten Nägel und versteckt sich hinter einer Pyramide von Wodkaflaschen. Schon rebellieren die Kunden. Doch Anton bleibt weg. Er kann es sich leisten. „In Deutschland sind die Straßen ohne Löcher“ Die Schnellstraße nach Kiew ist ein Wunder – für die Fußball-EM wurde sie frisch asphaltiert. Sie ist nun eben wie ein Brett. Tankstelle folgt auf Tankstelle. Der Sprit habe hier Euroqualität, verkündet die Werbung. In der Hauptstadt drängen sich die jungen Leute in den Nebenstraßen des Chrescatyk. An der Prachtstraße im Stadtzentrum dehnte sich vor wenigen Wochen noch die EM-Fanmeile. Alexandra und Bogdan sitzen auf einer Bank im Schatten eines Hochhauses. Sie kauen an einer Hand voll Sonnenblumenkerne, die Bogdan aus seiner Hosentasche gepult hat. „Wenn ich könnte, würde ich wieder nach Deutschland gehen“, sagt Alexandra. „Ich hab Deutsch gelernt vor zwei Jahren und war in Köln und Bonn. Da sind die Straßen ohne Löcher, alles hat seine Ordnung.“ Bogdan klagt über die Politik in der Ukraine: „Um ins Parlament zu kommen, zahlen die Reichen eine Million und dann sitzen sie da und machen, was sie wollen. Da kommen wir doch gar nicht ran. Denen sind nur Geld, große Autos und schöne junge Mädchen wichtig.“ Bogdan und Alexandra studieren Jura und wollen später gutes Geld verdienen. Siebenhundert Euro wären drin pro Monat, ein Spitzengehalt. Ein Lehrer habe nicht mehr als zweihundert. Witali, ein Freund, mischt sich ein: „Ich werde später Autos bauen, wenn ich fertig bin mit dem Studium. Juristen und Wirtschaftsexperten haben wir genug hier. Ins Ausland gehe ich nicht, ich bleib lieber hier in der Ukraine.“ Ein junges Mädchen schwebt auf teuren Schuhen vorbei. Ihr Kleid ist sicher mehr wert als drei Monatslöhne. Alexandra schaut ihr hinterher und sagt: „Die Reichen und die Ausländer sind bei uns immer nur hinter den Mädchen her. Die denken, jede ist zu haben für ein paar Klamotten und eine Fahrt im SUV. Aber weißt du was, das wird sich ändern. Wir sind nicht alle so blöd.“ Der reichste Mann der Ukraine Stryj hat eine feine, glatte Straße, die sich einmal quer durch das Städtchen in der Westukraine zieht. Zufällig endet sie an einem Hotel Spa, das den Namen „Gold der Karpaten“ trägt. Große, teure Autos stehen davor, zugelassen in Russland und Deutschland. Ein einfaches Doppelzimmer kostet fünfundfünfzig Euro. Ohne Frühstück. Gelangweilt schenkt die Dame an der Rezeption den Besuchern die gerade noch nötige Aufmerksamkeit. Ein Bestatter, etwa Mitte 40, gekleidet in kurzen Hosen und Unterhemd, bietet mitten auf der Kreuzung vor dem Hotel seine Dienste als Stadtführer an. Seinen Namen will er nicht nennen. Im Gespräch gibt er sich mit Deutschland vertraut, hat sogar Freunde in Saarbrücken. Die Unterhaltung mäandert vom Vergleich ukrainischer und deutscher Straßen zu den Unterschieden der Politik der beiden Länder. Und ein Geheimnis wird gelüftet. „Wisst ihr, wem wir die schöne neuen Straße durch Stryj zu verdanken haben?“, der Bestatter blickt wissend in die Runde. „Rinat Achmetow, der reichste Mann der Ukraine, hat sie seinen russischen Freunden geschenkt. Damit die auf dem Weg in sein neues Spa bei Truskavets nicht immer mit Reifenpanne liegen bleiben. Früher war die Straße ein Graus. Aber jetzt, schaut mal, eben und ordentlich wie in Deutschland. Achmetow kennt sich aus. Der hat immer die richtigen Freunde, egal wer gerade an der Macht ist.“ Der Bestatter hat eine Idee, springt hastig in seinen weißen Transporter und pflügt über rote Ampeln hinweg zum Stadtrand, die potenziellen Stadtführungsgäste immer im Schlepptau. An einer Ausfallstraße endet die Hatz vor einem ukrainischen Restaurant. „Kommt, lasst uns hier essen“, sagt er honigsüß, „Ich zahle, und ihr gebt mir einfach euren Anteil in Euro.“ Den Besuchern ist die Sache nicht geheuer, sie lehnen die Einladung höflich ab. Der Bestatter ist enttäuscht. Er schwingt sich wieder hinters Lenkrad und prescht mit Vollgas davon. Die Armut macht das Leben hier für viele zu einem permanenten Ausnahmezustand. Der frische Asphalt von Stryj glänzt golden in der Abendsonne. Von großen Straßenplakaten lächelt siegessicher Natalia Korolewska, eine junge aufstrebende Berufspolitikerin, herunter. Sie könnte die neue Julia Timoschenko sein. Sie ist 37 Jahre alt, will hoch hinaus und sieht Timoschenko sogar recht ähnlich. Aber hinter ihr soll der russlandtreue Staatspräsident Wiktor Janukowitsch stehen. Auf den Riesenwerbetafeln der diplomierten Organisationsmanagerin steht kaum Text, nur ein einfacher Slogan zieht sich quer übers Papier. Er lautet: „Ukraina wperjod – Ukraine voran!“
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Papst Franziskus im Irak: Werben um Aussöhnung Der Besuch des Papstes zeigt, dass der Irak nach dem Krieg gegen den IS auch den Frieden gewinnen kann. Die Menschen im Land sind dazu bereit. Ein Signal, nicht nur an die Gläubigen Foto: Ameer Al Mahammedaw/dpa Der Irak ist ein gequältes Land. Seit Jahrzehnten leben die Menschen dort mit Krieg, Terror und gewaltsamen religiösen Konflikten. Die Terrororganisation „Islamischer Staat“ hatte den Nordosten des Landes regelrecht okkupieren und in der uralten Euphrat-Metropole Mossul das Hauptquartier ihres Schreckensregimes einrichten können. Man muss an diesen Hintergrund erinnern, um die Bedeutung ermessen zu können, die der Besuch des Papstes in den letzten vier Tagen im Irak hatte. Nach all den Schreckensmeldungen der letzten Jahrzehnte war der Besuch von Papst Franziskus einmal eine wirklich gute Nachricht aus dem biblischen Land zwischen Euphrat und Tigris. Obwohl dort seit bald 2000 Jahren mit die ältesten christlichen Gemeinden überhaupt existieren, war Papst Franziskus jetzt der erste Papst, der sich die Mühe machte, sie zu besuchen. Doch seine Reise war weit mehr als ein überfälliger Besuch bei seinen gerade in den letzten Jahren so sehr gequälten Anhängern, sie war nicht weniger als ein historisches politisches Statement. Der argentinische Papst machte an den Originalschauplätzen der drei monotheistischen Weltreligionen klar, dass Christentum, Islam und Judentum alle dieselben Wurzeln haben und Toleranz und Aussöhnung das erste Gebot zwischen den Gläubigen dieser Religionen ist. Anders als sein deutscher Vorgänger Ratzinger, der durch abfällige Zitate den Islam diskreditierte, traf Franziskus sich in einem bescheidenen Wohnhaus im Südirak mit dem schiitischen Ayatollah Sistani, um für die Aussöhnung zwischen den Gläubigen zu werben und den letzten versprengten Christen im Land die Unterstützung des wichtigsten schiitischen Klerikers zu sichern. Aber Franziskus sendete mit seinen Auftritten in Ur, in Bagdad und im immer noch weitgehend zerstörten Mossul auch ein wichtiges allgemeines politisches Signal. Sein Besuch zeigt, dass der Irak nach dem Krieg gegen den IS auch den Frieden gewinnen kann. Die Menschen im Land sind dazu bereit, was noch fehlt, ist mehr internationales Engagement beim Wiederaufbau der zerstörten Städte.
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Schiffsunglück in der Ägäis: Mindestens 33 Flüchtlinge sterben Das Schiff kenterte auf dem Weg nach Lesbos. Unter den Opfern befinden sich auch mehrere Kinder. Dutzende weitere Insassen konnten gerettet werden. Im türkischen Ayvacik machte sich das Schiff auf die Reise. Viele Passagiere kamen niemals an. Foto: ap AYVACIK afp | Bei einem Bootsunglück in der Ägäis sind mindestens 33 Menschen ums Leben gekommen. 75 Menschen konnten nach Angaben der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu gerettet werden, nachdem ihr Boot am Samstagmorgen auf der Überfahrt von der türkischen Provinz Çanakkale zur griechischen Insel Lesbos kenterte. Unter den Opfern waren mehrere Kinder. Wie ein AFP-Fotograf vor Ort berichtete, kamen die meisten der Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan. Demnach waren auch zwei Kleinkinder unter den Toten. Die Küstenwache suchte nach mehreren Vermissten. Trotz des Winterwetters begeben sich immer noch jede Woche tausende Menschen auf die gefährliche Überfahrt in Richtung Europäische Union. Erst am Donnerstag waren 24 Flüchtlinge beim Untergang ihres Boots vor der griechischen Insel Samos umgekommen, am Mittwoch ertranken sieben Menschen. Nach UN-Angaben kamen seit Beginn des Jahres mehr als 44.000 Flüchtlinge nach Griechenland, mehr als 200 Menschen verloren auf dem Weg ihr Leben oder gelten als vermisst.
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Das Image von Lobbying ist geprägt von Unwissen und Vorurteilen. Die öffentliche Haltung hierzulande ist verkürzt gesagt: Wer Profite erwirtschaftet, macht sich gegenüber der Gesellschaft verdächtig. Zwar rüttelt niemand an den Prinzipien der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland, doch Geldverdienen erscheint gerne verwerflich. Deutschland braucht eine Debatte über Lobbyismus Deutschland braucht eine Debatte darüber, was gute und was schlechte Interessen sind und wie man sie vertreten darf. Zur Verdeutlichung zwei Beispiele, die ein bestehendes Paradoxon vor Augen führen sollen: Nehmen wir das Beispiel der Pharmaindustrie: In Reportagen wird regelmäßig das Bild einer Branche vermittelt, die hohe Gewinne auf dem Rücken der Patienten einfährt. Dass Arzneimittelhersteller Produkte mit einem wirklichen Mehrwert – nämlich für die Gesundheit der Menschen – auf Basis jahrelanger und teurer High-Tech-Forschung entwickeln und anbieten, wird dabei gerne vernachlässigt. Dagegen werden Organisationen wie Greenpeace oder Foodwatch nicht als Lobbyisten wahrgenommen, obwohl sie ebenfalls professionell agierende Interessensvertreter sind. Natürlich sind Ziele wie Nachhaltigkeit, Umweltschutz und saubere Lebensmittel unstrittig und verfolgenswert. Doch gleichzeitig ist die Gesellschaft auch auf eine funktionierende Wirtschaft angewiesen, deren Grundstein gesunde Unternehmen sind. Diese sind wiederum auf politische Rahmenbedingungen angewiesen, die ihnen ihre Geschäftstätigkeiten erlauben. Anerkennung dafür, was Wirtschaft für die Menschen leistet Die soziale Marktwirtschaft ist hierzulande gesellschaftlicher Konsens. Vor diesem Hintergrund ist es unabdingbar, dass die Wirtschaft mit der Politik darüber diskutiert, wie Rahmenbedingungen angepasst und verändert werden müssen. Die Entscheidungsträger im Deutschen Bundestag und in den Ministerien sind auf diesen Dialog angewiesen. Sie fordern ihn aktiv ein, um aus unterschiedlichen Blickwinkeln in Erfahrung zu bringen, wie sich die Industrie und Wirtschaft verändert und was die Unternehmen brauchen, um Arbeitsplätze zu schaffen oder zu erhalten. Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten vom Externer Link: kranken Mann Europas zum Externer Link: German Wunder entwickelt – ein Erfolg, der sowohl politischen Reformen zu verdanken ist – an denen Interessenvertreter mitgearbeitet haben – als auch den Anstrengungen der Wirtschaft. Diese Leistung sollten wir anerkennen und zu schätzen wissen. Klare Regeln für Lobbying Vorurteile abzubauen und die politische Arbeit der Wirtschaft besser zu erklären ist richtig und wichtig, wäre aber zu kurz gedacht. Das Konzept Interessenvertretung muss insgesamt modernisiert werden, nicht zuletzt wegen der offensichtlichen Defizite wie beispielsweise beim Thema Transparenz. Für manche vielleicht überraschend: Eine Public Affairs-Externer Link: Umfrage der Kommunikationsberatung MSL Germany zeigt, dass Lobbyisten selber mehr Transparenz breit befürworten. 19% können sich ein umfangreiches, verpflichtendes Register vorstellen, in dem z.B. Budgets, Personalstärke und Ziele angegeben werden. 65% sprechen sich für eine namentliche Registrierung aus, ohne die Erfassung weiterer Daten. Wir sollten uns wieder bewusst machen, dass die Debatte um den richtigen Weg sowie die Suche nach Kompromissen der Kern einer jeden Demokratie ist. Nur im offenen Austausch von Positionen mit Experten aus NGOs, Wirtschaft und Wissenschaft kann Politik gute Gesetze für das Land schaffen.
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Und doch war gleichzeitig ihre Seele wie in tiefer, schwerer, unglücklicher Vergessenheit befangen; was sind Glück und Leben! von was hangen sie ab? Was sind wir selbst, daß wir wegen einer lächerlichen Fastnachtslüge glücklich oder unglücklich werden? Was haben wir verschuldet, wenn wir durch eine fröhliche gläubige Zuneigung Schmach und Hoffnungslosigkeit einernten? Wer sendet uns solche einfältige Truggestalten, die zerstörend in unser Schicksal eingreifen, während sie sich selbst daran auflösen, wie schwache Seifenblasen?
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Bayerischer Verwaltungsgerichtshof: Kopftuchverbot bestätigt Rechtsrefrendarinnen darf untersagt werden, in bayerischen Gerichten ein Kopftuch zu tragen. Gegen das Verbot hatte eine Juristin islamischen Glaubens geklagt. Die klagende Studentin im Augsburger Gerichtssaal (Archivbild aus dem Jahr 2016) Foto: dpa MÜNCHEN epd | An bayerischen Gerichten ist das Tragen religiöser Symbole für Richter oder Staatsanwälte untersagt – das gilt auch für Rechtsreferendarinnen mit muslimischem Kopftuch. Mit dieser Entscheidung hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in München am Mittwoch einem Urteil der Vorinstanz widersprochen. Eine Revision ist nicht zugelassen. Gegen das Kopftuchverbot hatte eine Augsburger Juristin islamischen Glaubens geklagt. Die Muslimin Aqilah Sandhu hatte 2014 zu Beginn ihres juristischen Vorbereitungsdienstes eine gerichtliche Auflage bekommen, ihr Kopftuch „bei der Ausübung hoheitlicher Tätigkeiten mit Außenwirkung“ nicht zu tragen. In der Folge konnte sie gewisse Ausbildungsinhalte bei Gericht nicht wahrnehmen, so etwa das Beisitzen am Richtertisch. Gegen diese aus ihrer Sicht „ungerechtfertigte Diskriminierung“ klagte Sandhu und bekam 2016 vom Augsburger Verwaltungsgericht recht. Der Freistaat legte Bayern Berufung ein. Das äußere Erscheinungsbild dürfe „keinerlei Zweifel an der Unabhängigkeit, Neutralität und ausschließlicher Gesetzesorientierung aufkommen lassen“, begründete das Justizministerium den Schritt.
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Martin Vogt Bild 1/19 - Der aktuelle Polo ist die fünfte Generation des Kleinwagens Martin Vogt Bild 2/19 - Vorne besteht eine beträchtliche Ähnlichkeit zum aktuellen Golf der sechsten Generation Martin Vogt Bild 3/19 - Auch wenn das Bild anderes suggeriert: Die Fahrdynamik hält sich bei der 60-PS-Variante in Grenzen Martin Vogt Bild 4/19 - Der aktuelle Polo ist die fünfte Generation des Kleinwagens Martin Vogt Bild 5/19 - Blick auf den Fahrer-Arbeitsplatz Martin Vogt Bild 6/19 - Die Bedienelemente des Radios und die Schalter darüber wirken hochwertig Martin Vogt Bild 7/19 - Die Rundinstrumente machen einen guten Eindruck, die digitale Benzinanzeige weniger Martin Vogt Bild 8/19 - Handschmeichelnde Schalter, aber Hartplastik auch an den Türen Martin Vogt Bild 9/19 - Der Kofferraum fasst 280 Liter. Die geteilte Rücksitzbank kostet extra. Martin Vogt Bild 10/19 - Der Polo ist 3,97 Meter lang Martin Vogt Bild 11/19 - Das Design des neuen Polo gefällt – es ist im Stil der neu entdeckten Eckigkeit vieler Hersteller gehalten Martin Vogt Bild 12/19 - Die seitliche Linie setzt sich bis ins Hecklicht fort Martin Vogt Bild 13/19 - Der kleine Dreizylinder bietet wenig Leistung und Durchzugsstärke Martin Vogt Bild 14/19 - Der fünfte Gang ist enorm lang übersetzt Martin Vogt Bild 15/19 - Bei Richtgeschwindigkeit dreht der Dreizylinder nur wenig mehr als 3000 Touren – gut für den Verbrauch – theoretisch, schlecht für den Durchzug Martin Vogt Bild 16/19 - Der kleine Motor braucht – anders als viele moderne Triebwerke mit hohen Literleistungen – keinen 98-Oktan-Sprit für optimale Leistungsausbeute Martin Vogt Bild 17/19 - Die Sitze sind straff gepolstert Martin Vogt Bild 18/19 - Die beiden Fondtüren kosten 735 Euro zusätzlich Martin Vogt Bild 19/19 - Die Bedienung des Polo ist einfach 19 Dienstag, 12.11.2013, 19:17 An den Qualitäten des kleinen Wolfsburgers – solide Verarbeitung, sehr ausgewogene Fahreigenschaften – gibt es zwar nichts zu deuteln. Aber ähnliche Merkmale weisen auch die teilweise günstigeren Wettbewerber auf. VW hat es versäumt, für den höchsten Einstiegspreis im Kleinwagensegment auch einen attraktiven Basismotor anzubieten, der als Kaufargument taugt.Der 60 PS starke Dreizylinder spricht eher gegen als für den Kauf des günstigsten Polo. Er ist unkultiviert, zu Tode übersetzt und verbraucht zu viel. Deshalb lautet unser Tipp: wenn schon (teurer) Polo, dann gleich mit einem der Turbos wie dem demnächst kommenden aufgeladenen Vierzylinder, den wir auf der Fahrvorstellung des Wagens als sehr gute Antriebsquelle kennengelernt haben. Plus+ausgewogene Fahreigenschaften+ordentliche Sitze+Kofferraum ohne Ladekante+gute VerarbeitungsqualitätMinus-unkultivierter, technisch anspruchsloser Motor mit stark eingeschränktem Drehzahlband-zu lange Übersetzung-für Fahrleistungen zu hoher Verbrauch zum Thema Fahrbericht VW PoloDer Klassensprenger Fahrbericht Renault ClioKein gallischer Zaubertrank Fahrbericht Peugeot 207 CCLuftiges Schwergewicht Vorherige Seite Nächste Seite Seite 1 ... 4 5 6 7
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UN-Schutz für Mali: Ein geografischer Alptraum Egal wer die Präsidentschaftswahl in Mali gewinnt, für die Sicherheit sorgen UN-Truppen. Das wird schwer, denn: „Dieses Land ist nicht zu sichern.“ Ein Wahllokal in der malischen Hauptstadt Bamako Bild: reuters BAMAKO taz | Zwei weiße Autos der UNO fahren auf das streng bewachte Gelände des Hotels Amitié in der malischen Hauptstadt Bamako. Das Hotel ist das Hauptquartier von Minusma, der Blauhelmmission in Mali, die seit Anfang Juli die westafrikanische Eingreiftruppe abgelöst hat und in Zukunft mehr als 12.000 Soldaten und Polizisten zählen soll. Ein ausländischer Verteidigungsspezialist schaut den Autos zu, während er auf der anderen Straßenseite eine Telefonkarte für sein Handy kauft. „Dieses Land ist nicht zu sichern“, sagt er. „Es ist zu groß, geografisch ein Alptraum, und selbst mit Drohnen ist es nicht zu überwachen. Es wird immer einfach sein für Menschen, die vertraut sind mit der Wüste, ungesehen hin und her zu reisen.“ Das Dilemma der UN-Mission in Mali wird klar, noch bevor man überhaupt ihr Hauptquartier betritt. Mali, zweimal so groß wie die ehemalige Kolonialmacht Frankreich, besteht zu zwei Dritteln aus Wüste. Die Blauhelme sollen in Zusammenarbeit mit der schwachen malischen Armee und den französischen Truppen, die Anfang dieses Jahres die islamistischen Extremisten aus dem Norden des Landes verjagten, Mali gegen neue Angriffe sichern. Der Leiter der UN-Mission ist der Niederländer Bert Koenders. Er wohnt und arbeitet im Hotel Amitié, ist ständig in Besprechungen, er glaubt, er habe eine Traumaufgabe. „Es passiert nicht oft, dass alle Länder in der Welt sagen, diese Mission ist sinnvoll. Aber hier machen selbst Truppen aus China mit. Jeder versteht, dass dieses Land, eines der ärmsten in der Welt, Hilfe braucht“, sagt Koenders, während er in seinem Büro in einem Ledersessel versinkt. Koenders, ehemaliger niederländischer Minister für Entwicklungshilfe und Chef der UN-Mission in der Elfenbeinküste, glaubt, dass Mali auch aus strategischen Gründen Unterstützung braucht. „Dieses Land wurde durch dschihadistische Gruppen destabilisiert. Damit standen internationale, also auch europäische Interessen auf dem Spiel.“ Vermittlung zwischen Norden und Süden Die erste Aufgabe von Minusma war, Hilfe zu bieten bei den Präsidentenwahlen, deren zweite Runde an diesem Sonntag stattfindet. Die Abstimmung ist nicht das Ende der Probleme von Mali, sondern nur der Anfang. Die Hauptaufgabe für eine neue Regierung, egal wer sie führt, ist ein Ausgleich zwischen dem Norden und dem Süden des Landes. Der Norden fühlt sich seit der Unabhängigkeit von Frankreich in 1960 marginalisiert. Kein Versöhnungsversuch hat bisher funktioniert. Koenders ist aber hoffnungsvoll für die Zukunft. „Die UN-Truppen bieten Sicherheit, sodass Nord und Süd einen neuen Gesellschaftsvertrag schließen können“, meint er. „In der Vergangenheit wurden zu wenig Befugnisse an die lokale Ebene übertragen, um für eine Dezentralisierung zu sorgen.“ Wenn die Minusma einmal vollständig ist, wird sie mit 11.200 Soldaten und 1.440 Polizisten eine der größten UN-Missionen der Welt sein – und eine der vielfältigsten, mit Kontingenten und Mitarbeitern aus allen Kontinenten und vielen Ländern.
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Disco-Diva aus Estland: Gewollte Symbole, spontane Power Intelligentes Spiel mit der Weiblichkeit: Die estnische Künstlerin Maria Minerva bei ihrem einzigen Deutschland-Konzert in Berlin. Maria Minvera remixt auf der Bühne ihre eigenen Songs live. Bild: Promo Sie selbst kann sich keinen Balken vor die Augen machen, wie es bei den projizierten Porträts auf der Leinwand der Fall ist. Dafür hat Maria Minerva ihr glattes, flatterndes Haar, das sie mit geübten Schwingungen vor ihr Gesicht fallen lässt – während ihrer gesamten One-Woman-Show am Freitagabend. Maria Minerva ist eine dunkle, fiebrige estnische Disco-Diva. Eine echte Erscheinung, gerade 23 Jahre alt. In den letzten zwei Jahren hat sie sich mit einem Strom von selbstproduzierten Tracks und Alben und Youtube-Videos in das Bewusstsein der Underground-Szene gebracht. Mittlerweile lebt Maria Minerva in New York, davor war sie in London. Am Freitagabend ist die Protagonistin der Petite Scène in der Berghain-Kantine. Sehr petite ist die Szene dieses Mal, erstaunlich wenige konnten sich für Minervas Konzert von der Berlinale lösen. Dennoch schmeichelt sie dem Publikum: „Lieber trete ich in Großstädten auf. Wenn ich in der Provinz spiele, habe ich immer das Gefühl, dort gehöre ich nicht hin.“ Delirium der Identität Wem oder was sich Maria Minerva zugehörig fühlt, entwickelt sie im Laufe des Abends jedoch zur Frage. Ihr Auftritt ist ein mediales Identitätsdelirium – im Dunst ihrer frei übereinandergemischten Samples tauchen R-’n’-B-Beats und Bangra-Sounds auf. Ihr verlorener, mädchenhafter Gesang kollidiert mit den Visuals, die im Loop anonymisierte Porträts von Männern – Barack Obama meint man darunter zu erkennen – als verpixelte Fotografien oder in einer digitalen Retro-Animation an die Wand projizieren. Live auf der Bühne produziert Minerva neue Remixe ihrer eigenen Songs. Fortwährend beugt sie sich, verdeckt vom wehenden Haar, über den Samplingcomputer und holt aus ihm die tiefen Bässe Londons und den Dubsmog von Los Angeles heraus. Teile ihres neuen, dritten, noch ungehörten Albums „Bless“, das im März beim kalifornischen Label 100% Silk erscheinen wird, mischt sie dazu, singt „Symbol of my Pleasure“ zu Gitarrenriffs und glockenartigen Drums. Ihre Texte kreiere sie wie Eingaben, sagte sie ein paar Tage vorher in einem Radiointerview, intuitive Satzformationen, simple Reimschemen, in zwei Minuten eingesungen. Auch ihr Bühnensound gleicht einem verspielten Klang- und Textversuch. Wie aus einem Bewusstseinsstrom singt sie in disharmonischen Melodien „Set your mind free / Set your spirit free“. Gesungene Worte schweben über einer übersteuerten Samplingwolke, das Wort „Language“ flimmert in großen Lettern über die Leinwand hinter ihr. Feministische Theorie als Motivation Maria Minervas Performance ist ein intelligentes Spiel mit dem Bild einer jungen Weiblichkeit. Minerva, die am Londoner Goldsmiths College Visual Cultures studiert hat und sich mit dem Titel ihres Debütalbums auf die Feministin und Philosophin Hélène Cixous bezieht, entwickelt ihr visuelles Auftreten aus der Theorie. Ihr kurzes, sehr kurzes Kleidchen an diesem Abend, das ständige Kreiseln ihres aufgeblondeten Haarschopfs – das sind gewollte Symbole. Trotzdem rückt die Musikerin zunehmend aus der Unnahbarkeit ihrer einstudierten Regungen heraus und gewinnt auf der Bühne spontane Power. Mit rebellischen Gesten bricht sie das Bild des naiven Mädchens auf. Ihre Stimme, die sie zunächst hinter dem krassen Delay-Effekt versteckt, wird stärker und direkter, allmählich mindert sich die Videoprojektion zu einem ornamentalen Beiwerk herab. Schließlich gibt es auf der Bühne nur noch die Minerva. Ganz am Ende spielt sie den Diva-Trumpf aus, setzt sich auf einen Barhocker und säuselt breittönig „the sound“ zu einem schnellen Loop von Pat Ballards populärer Komposition „Mr. Sandman“. Das war’s – am nächsten Morgen müsse sie früh am Flughafen sein, verabschiedet sie sich lakonisch. Protest im Publikum wehrt die Minerva mit einem galanten Handwinken ab. Ihr Equipment packt sie eigenhändig in den Rollkoffer, noch einen Wodka, und sie rollt davon.
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Nacktprotest in Tunesien: Amina fürchtet um ihr Leben Nachdem sie aus Protest Nacktbilder auf Facebook hochgeladen hatte, war die tunesische Aktivistin Amina verschwunden. Nun hat sie sich erstmals wieder gemeldet. „Free Amina“-Poster beim Femen-Protest: Aminas Abtauchen löste das Gerücht aus, sie werde gefangen gehalten. Bild: reuters TUNIS ap | Nach ihrem Nacktprotest gegen die Unterdrückung von Frauen fürchtet eine 19-jährige Tunesierin um ihr Leben und will im Ausland Zuflucht suchen. Die junge Frau, die lediglich als Amina bekanntwurde, erhielt eigenen Angaben zufolge Morddrohungen, nachdem sie im Stile der ukrainischen Aktivistinnengruppe Femen ohne Oberteil für mehr Rechte muslimischer Frauen eingetreten war. Dem französischen Fernsehsender Canal Plus sagte sie nun in einem Interview, sie müsse Tunesien verlassen. Aminas Protestfotos waren im März auf Facebook erschienen. Sie hatte über ihre nackte Brust den Satz „Mein Körper gehört mir“ geschrieben. In Tunesien, das von der islamistischen Ennahda-Partei geführt wird, sorgte das für große Aufregung. Amina tauchte ab, was wilde Gerüchte auslöste. Es hieß, man halte sie in die Psychatrie gefangen. Mit dem Interview meldete sie sich jetzt zurück. Es entstand den Informationen zufolge in einem Dorf fernab der tunesischen Hauptstadt. Trotz der Morddrohungen wolle sie an den „Femen“-Prinzipien festhalten, bis sie „80 Jahre alt“ sei, sagte sie Canal Plus. Femen hatte vergangene Woche in mehreren europäischen Städten einen „Topless Jihad Day“ organisiert und dabei vor allem auch für Amina kämpfen wollen, die nach ihrem Protest zeitweise als vermisst galt.
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US-Raketenabwehr: Polen macht mit US-Vizepräsident Joe Biden wirbt in Warschau erfolgreich für ein neues Nato-gebundenes US-Sicherheitskonzept. Das soll den unter Ex-Präsident Bush geplanten Raketenschild ersetzen. US-Vizepräsident Joe Biden (re.) und Polens Präsident Lech Kaczynski. Bild: reuters WARSCHAU taz | "Polen ist offenbar bereit, an dem neuen US-Konzept einer Raketenabwehr, genannt SM-3, teilzunehmen." Das erklärte Polens Ministerpräsident Donald Tusk am Mittwoch nach einem fast zweistündigen Treffen mit US-Vizepräsident Joe Biden in Warschau. Sein Land betrachte dieses Konzept als "sehr interessant und nützlich", betonte der polnische Politiker. Biden bezeichnete Polen als "einen der engsten Verbündeten" Amerikas und einen "Vorkämpfer" in Mittelosteuropa. Der neue Raketenabwehrschild solle "die ganze Nato" stärken, so Biden weiter und: "Ich freue mich, dass Polen bereit ist, die Elemente des neuen Raketenschilds bei sich aufzunehmen." Noch in den letzten Amtstagen von US-Präsident George W. Bush hatten Warschau und Washington im August 2008 einen Vertrag über den Bau eines amerikanischen Raketenschirms in Polen unterzeichnet. Während in Polen eine Abschussrampe für zehn Abfangraketen gegen Interkontinentalraketen aus dem Iran stationiert werden sollten, war im benachbarten Tschechien ein großer Radar vorgesehen. Schon zu diesem Zeitpunkt hatte der damalige Präsidentschaftskandidat Barack Obama erklärt, dass er das technisch unausgereifte und zudem sehr teure Abwehrschild gegen Interkontinentalraketen skeptisch beurteile. Wenige Monate nach seiner Amtsübernahme verzichtete Obama dann tatsächlich auf die Fortführung der Bush-Programms, das auch nur lose mit der Nato verbunden sein sollte. Obama entwickelte ein neues Sicherheitskonzept, das ebenfalls einen Raketenschild in Europa umfasst, aber in das bestehende Nato-Schutzsystem eingebaut werden soll. Mit dem neuen Raketenschild soll nun Europa vor Mittel- und Kurzstreckenraketen aus dem Iran geschützt werden, nicht mehr die USA vor Interkontinentalraketen aus dem Iran, die es ohnehin noch gar nicht gibt. Auf mobilen Abschussrampen sollen in Polen bis zu 50 Abfangraketen des Typs SM-3 stationiert werden. Dazu kämen eventuell noch eine oder mehrere Militärbasen für US-Streitkräfte in Polen. Offene Fragen scheinen derzeit vor allem den rechtlichen Status der Basen und ihrer Soldaten zu betreffen. Polen besteht darauf, dass beide polnischem Recht unterliegen, die USA fordern rechtliche Exterritorialität.
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Nach Plagiatsvorwürfen: Baerbock zieht Buch zurück Weil Grünenchefin Baerbock keine Zeit zur Überarbeitung hat, wird ihr umstrittenes Buch nicht mehr gedruckt. Ihr waren Plagiate vorgeworfen worden. Keine Zeit, kein Buch: Annalena Baerbock auf dem Weg zu den Koalitionsverhandlungen Foto: Michael Sohn/ap BERLIN taz | Während des Wahlkampfs hatte Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin damit Vertrauen verspielt, jetzt holt es die Grünen-Chefin ein: Der Ullstein-Verlag hat ihr Buch „Jetzt. Wie wir unser Land erneuern“ aus dem Programm genommen. Das hat nach Angaben des Verlags Baerbock selbst entschieden. Das Buch war nach Erscheinen wegen Palagiatsvorwürfen in die Kritik geraten. Zum richtigen Problem für die Grünen aber war es durch ihren Umgang mit diesen Vorwürfen geworden: Sie hatten das Buch zunächst vehement verteidigt. Eigentlich hatte Baerbock angekündigt, das Buch zu überarbeiten, laut Verlag sollten die Quellenangaben ergänzt werden. „Der Wahlkampf und die nachfolgenden Sondierungs- und Koalitionsverhandlungen haben nicht den Raum für die notwendigen Ergänzungsarbeiten gelassen“, teilt Baerbock nun aber in einer Erklärung des Verlags mit. „Es ist absehbar, dass sich dies in den kommenden Monaten nicht ändern wird.“ Darüber hinaus wollte sich die Spitzengrüne am Donnerstag nicht äußern. Im Handel verfügbare Exemplare werden noch verkauft, das Buch wird aber nicht mehr nachgedruckt, erklärte eine Verlagssprecherin auf Nachfrage der taz. Buch wurde offensichtlich zu schnell zusammengeschustert Baerbock hatte das offensichtlich zu schnell zusammengeschusterte 240-Seiten-Werk im Juni auf der Dachterrasse des Hauses der Kulturen der Welt in Berlin präsentiert, von dort ist das Kanzleramt zu sehen. Es sollte ein weiterer Schritt auf ihrem Weg genau dorthin sein. Doch bald darauf machte der österreichische Plagiatsjäger Stefan Weber auf eine Reihe von Stellen aufmerksam, die Baerbock augenscheinlich abgekupfert hatte. Die Grünen verteidigten das Buch zunächst und gingen zum Gegenangriff über. Ein Grünen-Sprecher warf Weber vor, er wolle Baerbocks Ruf „bösartig“ schädigen. Bundesgeschäftsführer Michael Kellner sprach von „Rufmord“. Und der eilig engagierte Medienanwalt Christian Schertz betonte, keine Urheberrechtsverletzung erkennen zu können. Via Ullstein ließ Baerbock nun mitteilen, dass sie dem Verlag für sein Verständnis und seine große Unterstützung in den vergangenen Monaten danke. Weiter heißt es: „Wie in dem Buch deutlich gemacht, braucht unser Land eine Modernisierung für eine gute Zukunft. Dafür möchte ich in den nächsten Jahren das mir Mögliche beitragen.“
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Pilze putzen und in Scheiben schneiden. Zwiebel würfeln. Gurken in sehr kleine Würfel schneiden.Etwas Öl in einer Pfanne erhitzen und die Pilze anbraten. Wenn sie etwas braun geworden sind, wieder herausnehmen.In der gleichen Pfanne wieder etwas Öl erhitzen. Zwiebel, Paprika und Gurken ca. 5 Minuten anbraten. Wein, Gemüsebrühe und Sahne zugeben. Die Pilze wieder zugeben und alles 10 Minuten köcheln lassen. Stärke mit 2 EL kaltem Wasser verrühren. Zur Soße geben und andicken lassen. Mit Senf und Gewürzen abschmecken.Dazu passen Nudeln.
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Heuer an der Kirchweih wollte der Max das Oberkommando in zwei Dörfern führen und, da er als Krüppel doch den Willibald Tanzkönig sein lassen wollte, vor Allem dafür sorgen, daß die "Altmodischen" zu keinem Freudlein gelangten--die plötzliche Erscheinung des Duckmäusers am Kirchweihsonntage machte jedoch einen gewaltigen Strich durch seine Rechnung und er merkte gleich, die meisten der ehemaligen Schwarzen seien eben doch keine rechten Rothen geworden.
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In Ermanglung einer solchen transzendentalen Topik, und mithin durch die Amphibolie der Reflexionsbegriffe hintergangen, errichtete der berühmte Leibniz ein intellektuelles System der Welt, oder glaubte vielmehr der Dinge innere Beschaffenheit zu erkennen, indem er alle Gegenstände nur mit dem Verstande und den abgesonderten formalen Begriffen seines Denkens verglich. Unsere Tafel der Reflexionsbegriffe schafft uns den unerwarteten Vorteil, das Unterscheidende seines Lehrbegriffs in allen seinen Teilen, und zugleich den leitenden Grund dieser eigentümlichen Denkungsart vor Augen zu legen, der auf nichts, als einem Mißverstande, beruhte. Er verglich alle Dinge bloß durch Begriffe miteinander, und fand, wie natürlich, keine anderen Verschiedenheiten, als die, durch welche der Verstand seine reinen Begriffe voneinander unterscheidet. Die Bedingungen der sinnlichen Anschauung, die ihre eigenen Unterschiede bei sich führen, sah er nicht für ursprünglich an; denn die Sinnlichkeit war ihm nur eine verworrene Vorstellungsart, und kein besonderer Quell der Vorstellungen; Erscheinung war ihm die Vorstellung des Dinges an sich selbst, obgleich von der Erkenntnis durch den Verstand, der logischen Form nach, unterschieden, da nämlich jene, bei ihrem gewöhnlichen Mangel der Zergliederung, eine gewisse Vermischung von Nebenvorstellungen in den Begriff des Dinges zieht, die der Verstand davon abzusondern weiß. Mit einem Worte: Leibniz intellektuierte die Erscheinungen, so wie Locke die Verstandesbegriffe nach einem System der Noogonie (wenn es mir erlaubt ist, mich dieser Ausdrücke zu bedienen,) insgesamt sensifiziert, d.i. für nichts, als empirische, oder abgesonderte Reflexionsbegriffe ausgegeben hatte. Anstatt im Verstande und der Sinnlichkeit zwei ganz verschiedene Quellen von Vorstellungen zu suchen, die aber nur in Verknüpfung objektiv gültig von Dingen urteilen könnten, hielt sich ein jeder dieser großen Männer nur an eine von beiden, die sich ihrer Meinung nach unmittelbar auf Dinge an sich selbst bezöge, indessen daß die andere nichts tat, als die Vorstellungen der ersteren zu verwirren oder zu ordnen.
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Ich sage demnach: daß ebensowohl, als die moralischen Prinzipien nach der Vernunft in ihrem praktischen Gebrauche notwendig sind, ebenso notwendig sei es auch nach der Vernunft, in ihrem theoretischen Gebrauch anzunehmen, daß jedermann die Glückseligkeit in demselben Maße zu hoffen Ursache habe, als er sich derselben in seinem Verhalten würdig gemacht hat, und daß also das System der Sittlichkeit mit dem der Glückseligkeit unzertrennlich, aber nur in der Idee der reinen Vernunft verbunden sei.
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Er hielt inne. Erika fühlte, daß er noch nicht zu Ende war. Am liebsten wäre sie vor ihm bettelnd hingesunken und hätte ihn gebeten, jetzt nicht weiter zu sprechen. -- Sie wollte jetzt nichts hören, nichts verstehen. -- Nein, sie wollte nicht.... Und angstvoll begann sie wieder die Wolken zu zählen.... Aber die waren schon weg.... Nein, dort war noch eine.... Eine, die letzte, rosig überhaucht wie ein stolzer Schwan, der den dunklen Strom hinabsegelt.... Wieso fiel ihr das Bild ein? Sie wußte es nicht.... Ihre Gedanken wurden immer wirrer. Sie fühlte nur, daß sie bloß an die Wolke denken wollte.... Die zog jetzt fort, ja sie zog fort über den Berg hin.... Sie spürte, wie ihr ganzes Herz an ihr hing, wie sie sie am liebsten mit ausgestreckten Händen gehalten hätte, aber sie ging ... sie lief, lief schneller, immer schneller.... Und jetzt -- jetzt war sie verschwunden.... Und Erika hörte nun wieder klar und unabänderlich seine Worte, unter denen ihr Herz in blinder Angst erbebte.
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Ich begnüge mich hier, die theoretische Erkenntnis durch eine solche zu erklären, wodurch ich erkenne, was da ist, die praktische aber, dadurch ich mir vorstelle, was da sein soll. Diesem nach ist der theoretische Gebrauch der Vernunft derjenige, durch den ich a priori (als notwendig) erkenne, daß etwas sei; der praktische aber, durch den a priori erkannt wird, was geschehen solle. Wenn nun entweder, daß etwas sei, oder geschehen solle, ungezweifelt gewiß, aber doch nur bedingt ist: so kann doch entweder eine gewisse bestimmte Bedingung dazu schlechthin notwendig sein, oder sie kann nur als beliebig und zufällig vorausgesetzt werden. Im ersteren Falle wird die Bedingung postuliert (per thesin), im zweiten supponiert (per hypothesin). Da es praktische Gesetze gibt, die schlechthin notwendig sind (die moralischen), so muß, wenn diese irgendein Dasein, als die Bedingung der Möglichkeit ihrer verbindenden Kraft, notwendig voraussetzen, dieses Dasein postuliert werden, darum, weil das Bedingte, von welchem der Schluß auf diese bestimmte Bedingung geht, selbst a priori als schlechterdings notwendig erkannt wird. Wir werden künftig von den moralischen Gesetzen zeigen, daß sie das Dasein eines höchsten Wesens nicht bloß voraussetzen, sondern auch, da sie in anderweitiger Betrachtung schlechterdings notwendig sind, es mit Recht, aber freilich nur praktisch, postulieren; jetzt setzen wir diese Schlußart noch beiseite.
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Du wirst diese meine Briefe durchlesen, Du wirst, mein geliebter Sohn, das Ergebnis meiner Leiden betrachten und mit einem Herzen voll kindlicher Liebe wirst Du den beklagen, der Dir das Leben gab, der Dich Jahre hindurch in seinen Armen trug, der Dir soviel Küsse gab, wie Sterne am Himmel stehen, und der mit überströmender Liebe Deine ersten Schritte lenkte, denn Du allein warst der kostbare Edelstein meiner im Unglück verbitterten Seele.
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Wenn du die Einsicht höher stellst als wie die Tat, Janârdana[79], 1 Warum zur fürchterlichen Tat treibst du mich an, o Keçava? Mit doppelsinn'ger Rede so verwirrest du mir nur den Geist, 2 Dies Eine sag mir ganz bestimmt, wodurch das Heil ich mag empfahn!
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Press-Schlag Doping: Von Pillen und vom bösen Wolf Der kommerzielle Hochleistungssport begünstigt Doping, denn Fans und Funktionäre wollen Medaillen sehen. Und Sportpolitiker regen sich wieder auf. Hauptsache, die Leistung stimmt. Foto: dpa Es soll bestimmte Dinge geben, die sind einfach so: Der Wolf wird in freier Wildbahn eher nicht zum Vegetarier. Man könnte freilich als Freund des Rehs eine Wald-Demo organisieren und Schilder mit griffigen Slogans in die Luft recken: „Wölfe find ich doof!“ oder „Wolf, du Sauhund, lass die Kitze in Ruh!“ Aber das hätte wohl wenig Sinn, weshalb man Raketenstufe zwei in der Anti-Wolf-Kampagne zünden müsste: Ein Politiker springt den Reh-Freunden bei und macht sich dafür stark, mit stärkerem Kaliber auf den Problemwolf zu schießen. Aber was sie auch tun: Anti-Wolf-Gesetze, Bürgerinitiativen, Vertreibungen und wölfische Fernsehdiskussionen – der Wolf bleibt Wolf. Das ist echt schwer zu verdauen für die Freunde des Rehs. Der Wolf kann nicht aus seiner Haut. Und der Hochleistungssportler kann es auch nicht. Was dem Wolf seine Fleischeslust und sein Blutrausch, das ist dem Athleten sein Medikamentenschränkchen. Er greift da nicht rein, weil er es klasse findet, sich Pillen und Substanzen reinzupfeifen, die andere zur Bekämpfung von Tumoren oder Blutarmut einsetzen. Nein, er betätigt sich unter Mithilfe von Sportärzten als Selbstoptimierer, weil er es muss. Weil die Öffentlichkeit, der Sportfan, Sportfunktionäre und Sportpolitiker Medaillen sehen wollen. Weil sie sich berauschen am Wettstreit auf höchstem Niveau, an „unmenschlichen Leistungen“, wie es immer heißt. Hochgerüstet wird nicht nur beim Militär, auch im Bereich des Leistungssports werden die Arsenale gefüllt. Eine Bombenwirkung entfalten Epo, Anabolika oder Wachstumshormone. 800 Sportler mit verdächtigen Werten Eine Dokumentation hat am Wochenende zutage gefördert, dass, verflixt noch mal, diese verdammten Leistungssportler dopen wie die Sau. Die ARD und die englische Zeitung Sunday Times haben eine Liste mit 12.000 Bluttests von rund 5.000 Läufern ausgewertet, die aus der Datenbank des Leichtathletik-Weltverbandes IAAF stammt. Darunter sollen 800 Sportler mit dopingverdächtigen Blutwerten sein, die von 2001 bis 2012 bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften an den Start gegangen sind. Potz Blitz: Darunter sollen auch 150 Athleten sein, die Medaillen bei diesen Topereignissen gewonnen haben. Die Empörung ist groß. So groß wie vor ein paar Monaten, als die ARD enthüllte, dass die russische Leichtathletik dopingverseucht ist. So groß wie nach den Enthüllungen um Lance Armstrong, den gefallenen Helden der Tour de France. So groß wie nach dem Balco-Skandal. So groß wie nach dem österreichischen Blutdopingskandal. So groß wie nach dem Festina-Skandal. So groß wie… Am lautesten schreien Sportpolitiker Zeter und Mordio, die es eigentlich besser wissen müssten, wie zum Beispiel die Vorsitzende des Sportausschusses im Bundestag, die SPD-Politikerin Dagmar Freitag. Sie ist gleichzeitig Vizepräsidentin des Deutschen Leichtathletik-Verbandes. Freitag lässt sich mit den Worten zitieren: „Die aktuellen Erkenntnisse über Dopingpraktiken in der Leichtathletik müssen Konsequenzen weit über die üblichen Lippenbekenntnisse der internationalen Verbände hinaus haben.“ Daumendrücken wäre sinnvoller Man ahnt, dass sie diese Sprechblase schon mehrfach mit heißer Luft befüllt hat. Aber das können andere auch, sogar noch besser. Justizminister Heiko Maas (SPD) glaubt ganz fest an die reinigende Wirkung seines Anti-Doping-Gesetzes – Daumendrücken wäre vermutlich sinnvoller. Oder IAAF-Chef Lamine Diack, der jetzt in der Leichtathletik „aufräumen“ will. Ist ihnen allen entgangen, dass kommerzieller Hochleistungssport, aufgeführt vor einer ständig größer werdenden Masse von Sportfans und angetrieben von prestigesüchtigen Sportfunktionären, Doping begünstigt? Auf dem Humus des globalisierten Event-Sports gedeiht der Betrug. Es ist das Wolfsgesetz des Sports.
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Ex-Weggefährte des ukrainischen Präsidenten: Staatsbürgerschaft „beendet“ Hennadij Korban darf nicht mehr in die Ukraine einreisen. Auslöser soll ein Geheimerlass Selenskis sein, der doppelte Staatsbürgerschaften ausschließt. Selenski bei einer Videoansprache Anfang Juli Foto: Ukrainian Presidential Press Off/Planet Pix via ZUMA Press Wire/dpa KIEW taz | Erneut wird ein wichtiger Mann aus dem Umfeld früherer Weggefährten von Präsident Wolodomir Selenski ausgebremst. Dieses Mal trifft es Hennadij Korban, Chef der Territorialverteidigung der ostukrainischen Millionenstadt Dnipro. Er ist ein Vertrauter des Oligarchen Ihor Kolomojskyj und des Bürgermeisters von Dnipro, Boris Filatow. Die Territorialverteidigung untersteht dem ukrainischen Generalstab und besteht aus Reservisten und Freiwilligen. Wirklich verwundert dürfte Korban nicht gewesen sein, als er am Freitag mit seinem Mercedes und in Begleitung seiner Anwälte von Polen in seine ukrainische Heimat einreisen wollte und ihn ein Grenzbeamter daran hinderte. Der Grund: Der Präsident hätte seine Staatsbürgerschaft „beendet“. Zuvor machte das Gerücht die Runde, dass Präsident Selenski einen Geheimerlass herausgegeben hätte. Personen, die neben der ukrainischen Staatsbürgerschaft eine weitere besäßen, würden diese für beendet erklärt bekommen. Am 21. Juli hatte der Abgeordnete Serhiy Vlasenko auf Facebook eine angebliche Kopie solch eines Präsidentenerlasses veröffentlicht, mit dem Hennadij Korban die ukrainische Staatsbürgerschaft „beendet“ wurde. Auf diesem Papier, das den Briefkopf des Präsidenten, nicht jedoch seine Unterschrift trägt, wird auch die ukrainische Staatsbürgerschaft weiterer Personen für „beendet“ erklärt. Darunter soll auch der Oligarch und langjährige Förderer von Selenski, Ihor Kolomoiskyj, sein. Mehrere Spitzenbeamte wurden entlassen Als „sehr schweren Fehler“ kritisierte auf Facebook Boris Filatow, Bürgermeister von Dnipro, die Beendigung der Staatsbürgerschaft seines Mitstreiters Korban. Die Angelegenheit könne zum Präzedenzfall für viele andere im Ausland tätigen Bürger werden. „Was ist mit den ukrainischen Staatsbürgern, die durch den Krieg vertrieben wurden und die Staatsbürgerschaft der Länder erhalten, die sie aufgenommen haben? Dürfen sie dann auch nicht mehr nach Hause?“ fragt er. Auch der rechtliche Status hunderttausender Ukrainer, Ungarn oder Rumänen, die einen EU-Pass besitzen, sei unklar. Das „Beenden“ der Staatsbürgerschaft stehe in einer Reihe mit Entlassungen von Spitzenbeamten, schreibt das in der Ukraine blockierte Portal strana.news. So wolle die Präsidialadministration im Sinne einer vorgeblichen „Konsolidierung des Staates im Krieg“ ihre Macht weiter festigen. Nach Angaben des Portals ukranews.com, das sich auf eine Quelle bei den Behörden beruft, besitzt Hennadij Korban auch die israelische Staatsbürgerschaft. „Jetzt werde es wohl eng werden für Ihor Kolomoiskyj, der die Staatsbürgerschaften von Zypern und Israel besitzt“, kommentiert der Investmentbanker Serhyj Fursa auf der Website gazeta.ua die „Beendigung“ dessen Staatsbürgerschaft. Uncle Sam, also die USA, würde schon auf ihn warten. Ohne Staatsbürgerschaft darf Kolomoiskyj ausreisen Laut der Plattform ermittle das FBI gegen den Oligarchen Kolomoiskyj wegen Korruption. Die USA hätten ihn mit Sanktionen belegt, ein Auslieferungsgesuch sei nun nicht mehr auszuschließen. „Die ukrainische Staatsbürgerschaft schützt ihn auch nicht mehr“, schreibt Fursa. Demgegenüber sieht das Business Information Network bin.ua auch Vorteile, die der 59-jährige Oligarch nun ohne die ukrainische Staatsbürgerschaft habe. Denn nun gelte für ihn das Gesetz nicht mehr, das männlichen ukrainischen Staatsbürgern unter 60 Jahren eine Ausreise verbietet. Außerdem habe ein Geschäftsmann des EU-Staates Zypern gute Chancen, Großaufträge beim Wiederaufbau der Ukraine zu erhalten. Schließlich würde die Ukraine europäischen Investoren sehr gute Bedingungen bieten.
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Hin und wieder runzelte der Himmel seine schöne, reine Stirne, oder er zog sie sogar in Gramesfalten und -schleiern zusammen. Alsdann war die ganze Hügel- und Seegegend von grauen, nassen Tüchern umhüllt. Der Regen fiel schwer auf die Bäume, was nicht hinderte, daß man zur Post lief, wenn man zufällig ein Angestellter des Hauses Tobler war. Herr Martin Grünen schien sich um die schönen, sanften Wechsel der Jahreszeiten auch nicht viel zu kümmern, sonst würde er kaum haben schreiben können, alles, was Tobler an Zahlungsverweigerungsgründen ihm angebe, das berühre ihn gar nicht, und er beharre auf seiner Kündigung.
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Streit in EU um Energiepolitik: Bremsen und nicht deckeln Auch auf EU-Ebene werden weitere Maßnahmen gegen die steigenden Energiepreise gefordert. Aber Deutschland versucht einen Gaspreisdeckel zu verhindern. Raffinerie in Karsto, Norwegen BRÜSSEL taz | In der EU droht neuer Streit über Notmaßnahmen gegen die Energiekrise. 15 EU-Staaten, darunter die Schwergewichte Frankreich und Italien, haben sich für einen EU-weiten Gaspreisdeckel ausgesprochen, um die Preisexplosion auf dem Gas- und Strommarkt einzudämmen. Doch ausgerechnet Deutschland, das sich jetzt für eine nationale Preisbremse entschieden hat, sperrt sich dagegen. Auch die EU-Kommission hat Bedenken. Beim mit Spannung erwarteten Krisentreffen der EU-Energieminister am Freitag in Luxemburg ist Ärger programmiert. Einige der 15 Staaten, darunter Belgien und Griechenland, fordern bereits seit dem Frühjahr ein Preislimit für Gas. Sie haben zwar bereits kostspielige nationale Preisbremsen eingeführt, kommen jedoch an die Grenzen ihrer finanziellen Möglichkeiten. Deshalb erhöhen sie nun den Druck. Sie fordern, den Preis für Gaslieferungen aus dem Ausland sowie auf Transaktio­nen an Handelsplätzen innerhalb der EU zu deckeln. Das Preislimit könne „so gestaltet werden, dass die Versorgungssicherheit und der freie Fluss von Gas innerhalb Europas gewährleistet sind und gleichzeitig unser gemeinsames Ziel, die Gasnachfrage zu senken, erreicht wird“, heißt es in einem Brief an die EU-Kommission. Die Brüsseler Behörde wischt dieses Argument jedoch beiseite. Ein Preis­deckel könne dazu führen, dass das Angebot vor allem beim teuren Flüssiggas sinkt und die Versorgungssicherheit abnimmt, sagte ein Kommissions­experte in Brüssel. Auch die praktische Umsetzung sei schwierig. Demgegenüber erklärte ein EU-Diplomat, man müsse nicht sofort ein zentralisiertes System schaffen, um den Großhandel zu ersetzen. Denkbar sei auch die schrittweise Einführung eines Preisdeckels auf Teilmärkten. Entscheidend sei, den Gaspreis schnell zu senken. Treibt Deutschland die Preise hoch? Dies liegt jedoch nicht unbedingt im deutschen Interesse. Das wirtschaftsstärkste EU-Land kauft im großen Stil Flüssiggas (LNG) auf dem Markt ein und treibt so die Preise in die Höhe. Darunter leiden nicht nur Schwellenländer etwa in Asien oder Afrika, sondern auch kleinere EU-Länder. „Für einige EU-Länder wäre es attraktiv, wenn die Deutschen nicht mehr das Gas wegkaufen können und die Preise nach oben treiben“, sagte der Energie­experte Georg Zachmann von der Brüsseler Denkfabrik Bruegel. Allerdings brauche Deutschland die Flexibilität, um seinen Bedarf zu decken. Der Vorschlag der EU-Kommission, den die Energieminister am Freitag diskutieren wollen, kommt Deutschland weit entgegen. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte schon ihren Plan für eine Übergewinnabgabe eng mit der Bundesregierung abgestimmt. Auch jetzt nimmt sie Rücksicht auf Berlin. „Wir müssen ein Modell finden, das für alle funktioniert“, heißt es in Brüssel. Die Kommission schlägt einen Preisdeckel ausschließlich für russisches Gas vor, ergänzt durch Preisverhandlungen mit „vertrauenswürdigen Partnern“ wie Norwegen. Außerdem will sie in den Markt für LNG eingreifen und die Spekulation eindämmen. „Unser Ziel ist es, den Preisanstieg zu begrenzen“, so der Kommissionsexperte. Damit vollzieht die Brüsseler Behörde eine Kehrtwende. Noch im Frühjahr hatte sie behauptet, die Energiemärkte arbeiteten tadellos. Nun heißt es, Russland manipuliere die Preise. Allerdings blendet die EU die Wirkung der Sanktionen aus. Auch das europäische „Marktdesign“, das den Strompreis an den Gaspreis koppelt, ist ein Problem. Beim Treffen der Energieminister wird keine Einigung erwartet. Immerhin wollen die Minister grünes Licht für eine Gewinnabschöpfung bei Stromkonzernen geben, die in der Krise übermäßig viel verdienen. Auch diese Übergewinnabgabe war lange umstritten. Deutschland war zunächst da­gegen, andere Länder wie Italien haben sie längst.
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Er kehrte, da die Nacht einbrach, in einem Wirtshause auf der Landstraße ein, wo er, wegen großer Ermüdung der Pferde, einen Tag ausruhen mußte, und da er wohl einsah, daß er mit einem Haufen von zehn Mann (denn so stark war er jetzt), einem Platz wie Wittenberg war, nicht trotzen konnte, so verfaßte er ein zweites Mandat, worin er, nach einer kurzen Erzählung dessen, was ihm im Lande begegnet, "jeden guten Christen", wie er sich ausdrückte, "unter Angelobung eines Handgelds und anderer kriegerischen Vorteile", aufforderte "seine Sache gegen den Junker von Tronka, als dem allgemeinen Feind aller Christen, zu ergreifen". In einem anderen Mandat, das bald darauf erschien, nannte er sich: "einen Reichs- und Weltfreien, Gott allein unterworfenen Herrn"; eine Schwärmerei krankhafter und mißgeschaffener Art, die ihm gleichwohl, bei dem Klang seines Geldes und der Aussicht auf Beute, unter dem Gesindel, das der Friede mit Polen außer Brot gesetzt hatte, Zulauf in Menge verschaffte: dergestalt, daß er in der Tat dreißig und etliche Köpfe zählte, als er sich, zur Einäscherung von Wittenberg, auf die rechte Seite der Elbe zurückbegab. Er lagerte sich, mit Pferden und Knechten, unter dem Dache einer alten verfallenen Ziegelscheune, in der Einsamkeit eines finsteren Waldes, der damals diesen Platz umschloß, und hatte nicht sobald durch Sternbald, den er, mit dem Mandat, verkleidet in die Stadt schickte, erfahren, daß das Mandat daselbst schon bekannt sei, als er auch mit seinen Haufen schon, am heiligen Abend vor Pfingsten, aufbrach, und den Platz, während die Bewohner im tiefsten Schlaf lagen, an mehreren Ecken zugleich, in Brand steckte. Dabei klebte er, während die Knechte in der Vorstadt plünderten, ein Blatt an den Türpfeiler einer Kirche an, des Inhalts: "er, Kohlhaas, habe die Stadt in Brand gesteckt, und werde sie, wenn man ihm den Junker nicht ausliefere, dergestalt einäschern, daß er", wie er sich ausdrückte, "hinter keiner Wand werde zu sehen brauchen, um ihn zu finden."--Das Entsetzen der Einwohner, über diesen unerhörten Frevel, war unbeschreiblich; und die Flamme, die bei einer zum Glück ziemlich ruhigen Sommernacht, zwar nicht mehr als neunzehn Häuser, worunter gleichwohl eine Kirche war, in den Grund gelegt hatte, war nicht sobald, gegen Anbruch des Tages, einigermaßen gedämpft worden, als der alte Landvogt, Otto von Gorgas, bereits ein Fähnlein von funfzig Mann aussandte, um den entsetzlichen Wüterich aufzuheben. Der Hauptmann aber, der es führte, namens Gerstenberg, benahm sich so schlecht dabei, daß die ganze Expedition Kohlhaasen, statt ihn zu stürzen, vielmehr zu einem höchst gefährlichen kriegerischen Ruhm verhalf; denn da dieser Kriegsmann sich in mehrere Abteilungen auflösete, um ihn, wie er meinte, zu umzingeln und zu erdrücken, ward er von Kohlhaas, der seinen Haufen zusammenhielt, auf vereinzelten Punkten, angegriffen und geschlagen, dergestalt, daß schon, am Abend des nächstfolgenden Tages, kein Mann mehr von dem ganzen Haufen, auf den die Hoffnung des Landes gerichtet war, gegen ihm im Felde stand. Kohlhaas, der durch diese Gefechte einige Leute eingebüßt hatte, steckte die Stadt, am Morgen des nächsten Tages, von neuem in Brand, und seine mörderischen Anstalten waren so gut, daß wiederum eine Menge Häuser, und fast alle Scheunen der Vorstadt, in die Asche gelegt wurden. Dabei plackte er das bewußte Mandat wieder, und zwar an die Ecken des Rathauses selbst, an, und fügte eine Nachricht über das Schicksal des, von dem Landvogt abgeschickten und von ihm zu Grunde gerichteten, Hauptmanns von Gerstenberg bei. Der Landvogt, von diesem Trotz aufs äußerste entrüstet, setzte sich selbst, mit mehreren Rittern, an die Spitze eines Haufens von hundert und funfzig Mann. Er gab dem Junker Wenzel von Tronka, auf seine schriftliche Bitte, eine Wache, die ihn vor der Gewalttätigkeit des Volks, das ihn platterdings aus der Stadt entfernt wissen wollte, schützte; und nachdem er, auf allen Dörfern in der Gegend, Wachen ausgestellt, auch die Ringmauer der Stadt, um sie vor einem Überfall zu decken, mit Posten besetzt hatte, zog er, am Tage des heiligen Gervasius, selbst aus, um den Drachen, der das Land verwüstete, zu fangen. Diesen Haufen war der Roßkamm klug genug, zu vermeiden; und nachdem er den Landvogt, durch geschickte Märsche, fünf Meilen von der Stadt hinweggelockt, und vermitteltet mehrerer Anstalten, die er traf, zu dem Wahn verleitet hatte, daß er sich, von der Übermacht gedrängt, ins Brandenburgische werfen würde: wandte er sich plötzlich, beim Einbruch der dritten Nacht, kehrte, in einem Gewaltritt, nach Wittenberg zurück, und steckte die Stadt zum drittenmal in Brand. Herse, der sich verkleidet in die Stadt schlich, führte dieses entsetzliche Kunststück aus; und die Feuersbrunst war, wegen eines scharf wehenden Nordwindes, so verderblich und um sich fressend, daß, in weniger als drei Stunden, zwei und vierzig Häuser, zwei Kirchen, mehrere Klöster und Schulen, und das Gebäude der kurfürstlichen Landvogtei selbst, in Schutt und Asche lagen. Der Landvogt, der seinen Gegner, beim Anbruch des Tages, im Brandenburgischen glaubte, fand, als er von dem, was vorgefallen, benachrichtigt, in bestürzten Märschen zurückkehrte, die Stadt in allgemeinem Aufruhr; das Volk hatte sich zu Tausenden vor dem, mit Balken und Pfählen versammelten, Hause des Junkers gelagert, und forderte, mit rasendem Geschrei, seine Abführung aus der Stadt. Zwei Bürgermeister, namens Jenkens und Otto, die in Amtskleidern an der Spitze des ganzen Magistrats gegenwärtig waren, bewiesen vergebens, daß man platterdings die Rückkehr eines Eilboten abwarten müsse, den man wegen Erlaubnis den Junker nach Dresden bringen zu dürfen, wohin er selbst aus mancherlei Gründen abzugehen wünsche, an den Präsidenten der Staatskanzlei geschickt habe; der unvernünftige, mit Spießen und Stangen bewaffnete Haufen gab auf diese Worte nichts, und eben war man, unter Mißhandlung einiger zu kräftigen Maßregeln auffordernden Räte, im Begriff das Haus worin der Junker war zu stürmen, und der Erde gleich zu machen, als der Landvogt, Otto von Gorgas, an der Spitze seines Reuterhaufens, in der Stadt erschien. Diesem würdigen Herrn, der schon durch seine bloße Gegenwart dem Volk Ehrfurcht und Gehorsam einzuflößen gewohnt war, war es, gleichsam zum Ersatz für die fehlgeschlagene Unternehmung, von welcher er zurückkam, gelungen, dicht vor den Toren der Stadt drei zersprengte Knechte von der Bande des Mordbrenners aufzufangen; und da er, inzwischen die Kerle vor dem Angesicht des Volks mit Ketten belastet wurden, den Magistrat in einer klugen Anrede versicherte, den Kohlhaas selbst denke er in kurzem, indem er ihm auf die Spur sei, gefesselt einzubringen: so glückte es ihm, durch die Kraft aller dieser beschwichtigenden Umstände, die Angst des versammelten Volks zu entwaffnen, und über die Anwesenheit des Junkers, bis zur Zurückkunft des Eilboten aus Dresden, einigermaßen zu beruhigen. Er stieg, in Begleitung einiger Ritter, vom Pferde, und verfügte sich, nach Wegräumung der Palisaden und Pfähle, in das Haus, wo er den Junker, der aus einer Ohnmacht in die andere fiel, unter den Händen zweier Ärzte fand, die ihn mit Essenzen und Irritanzen wieder ins Leben zurück zu bringen suchten; und da Herr Otto von Gorgas wohl fühlte, daß dies der Augenblick nicht war, wegen der Aufführung, die er sich zu Schulden kommen lasse, Worte mit ihm zu wechseln: so sagte er ihm bloß, mit einem Blick stiller Verachtung, daß er sich ankleiden, und ihm, zu seiner eigenen Sicherheit, in die Gemächer der Ritterhaft folgen möchte. Als man dem Junker ein Wams angelegt, und einen Helm aufgesetzt hatte, und er, die Brust, wegen Mangels an Luft, noch halb offen, am Arm des Landvogts und seines Schwagers, des Grafen von Gerschau, auf der Straße erschien, stiegen gotteslästerliche und entsetzliche Verwünschungen gegen ihn zum Himmel auf. Das Volk, von den Landsknechten nur mühsam zurückgehalten, nannte ihn einen Blutigel, einen elenden Landplager und Menschenquäler, den Fluch der Stadt Wittenberg, und das Verderben von Sachsen; und nach einem jämmerlichen Zuge durch die in Trümmern liegende Stadt, während welchem er mehreremal, ohne ihn zu vermissen, den Helm verlor, den ihm ein Ritter von hinten wieder aufsetzte, erreichte man endlich das Gefängnis, wo er in einem Turm, unter dem Schutz einer starken Wache, verschwand. Mittlerweile setzte die Rückkehr des Eilboten, mit der kurfürstlichen Resolution, die Stadt in neue Besorgnis. Denn die Landesregierung, bei welcher die Bürgerschaft von Dresden, in einer dringenden Supplik, unmittelbar eingekommen war, wollte, vor Überwältigung des Mordbrenners, von dem Aufenthalt des Junkers in der Residenz nichts wissen; vielmehr verpflichtete sie den Landvogt, denselben da, wo er sei, weil er irgendwo sein müsse, mit der Macht, die ihm zu Gebote stehe, zu beschirmen: wogegen sie der guten Stadt Wittenberg, zu ihrer Beruhigung, meldete, daß bereits ein Heerhaufen von fünfhundert Mann, unter Anführung des Prinzen Friedrich von Meißen im Anzuge sei, um sie vor den ferneren Belästigungen desselben zu beschützen. Der Landvogt, der wohl einsah, daß eine Resolution dieser Art, das Volk keinesweges beruhigen konnte: denn nicht nur, daß mehrere kleine Vorteile, die der Roßhändler, an verschiedenen Punkten, vor der Stadt erfochten, über die Stärke, zu der er herangewachsen, äußerst unangenehme Gerüchte verbreiteten; der Krieg, den er, in der Finsternis der Nacht, durch verkleidetes Gesindel, mit Pech, Stroh und Schwefel führte, hätte, unerhört und beispiellos, wie er war, selbst einen größeren Schutz, als mit welchem der Prinz von Meißen heranrückte, unwirksam machen können: der Landvogt, nach einer kurzen Überlegung, entschloß sich, die Resolution, die er empfangen, ganz und gar zu unterdrücken. Er plackte bloß einen Brief, in welchem ihm der Prinz von Meißen seine Ankunft meldete, an die Ecken der Stadt an; ein verdeckter Wagen, der, beim Anbruch des Tages, aus dem Hofe des Herrenzwingers kam, fuhr, von vier schwer bewaffneten Reutern begleitet, auf die Straße nach Leipzig hinaus, wobei die Reuter, auf eine unbestimmte Art verlauten ließen, daß es nach der Pleißenburg gehe; und da das Volk über den heillosen Junker, an dessen Dasein Feuer und Schwert gebunden, dergestalt beschwichtigt war, brach er selbst, mit einem Haufen von dreihundert Mann, auf, um sich mit dem Prinzen Friedrich von Meißen zu vereinigen. Inzwischen war Kohlhaas in der Tat, durch die sonderbare Stellung, die er in der Welt einnahm, auf hundert und neun Köpfe herangewachsen; und da er auch in Jassen einen Vorrat an Waffen aufgetrieben, und seine Schar, auf das vollständigste, damit ausgerüstet hatte: so faßte er, von dem doppelten Ungewitter, das auf ihn heranzog, benachrichtigt, den Entschluß, demselben, mit der Schnelligkeit des Sturmwinds, ehe es über ihn zusammenschlüge, zu begegnen. Demnach griff er schon, Tags darauf, den Prinzen von Meißen, in einem nächtlichen Überfall, bei Mühlberg an; bei welchem Gefechte er zwar, zu seinem großen Leidwesen, den Herse einbüßte, der gleich durch die ersten Schüsse an seiner Seite zusammenstürzte: durch diesen Verlust erbittert aber, in einem drei Stunden langen Kampfe, den Prinzen, unfähig sich in dem Flecken zu sammeln, so zurichtete, daß er beim Anbruch des Tages, mehrerer schweren Wunden, und einer gänzlichen Unordnung seines Haufens wegen, genötigt war, den Rückweg nach Dresden einzuschlagen. Durch diesen Vorteil tollkühn gemacht, wandte er sich, ehe derselbe noch davon unterrichtet sein konnte, zu dem Landvogt zurück, fiel ihn bei dem Dorfe Damerow, am hellen Mittag, auf freiem Felde an, und schlug sich, unter mörderischem Verlust zwar, aber mit gleichen Vorteilen, bis in die sinkende Nacht mit ihm herum. Ja, er würde den Landvogt, der sich in den Kirchhof zu Damerow geworfen hatte, am andern Morgen unfehlbar mit dem Rest seines Haufens wieder angegriffen haben, wenn derselbe nicht durch Kundschafter von der Niederlage, die der Prinz bei Mühlberg erlitten, benachrichtigt worden wäre, und somit für ratsamer gehalten hätte, gleichfalls, bis auf einen besseren Zeitpunkt, nach Wittenberg zurückzukehren. Fünf Tage, nach Zersprengung dieser beiden Haufen, stand er vor Leipzig, und steckte die Stadt an drei Seiten in Brand.--Er nannte sich in dem Mandat, das er, bei dieser Gelegenheit, ausstreute, "einen Statthalter Michaels, des Erzengels, der gekommen sei, an allen, die in dieser Streitsache des Junkers Partei ergreifen würden, mit Feuer und Schwert, die Arglist, in welcher die ganze Welt versunken sei, zu bestrafen". Dabei rief er, von dem Lützner Schloß aus, das er überrumpelt, und worin er sich festgesetzt hatte, das Volk auf, sich zur Errichtung einer besseren Ordnung der Dinge, an ihn anzuschließen; und das Mandat war, mit einer Art von Verrückung, unterzeichnet: "Gegeben auf dem Sitz unserer provisorischen Weltregierung, dem Erzschlosse zu Lützen." Das Glück der Einwohner von Leipzig wollte, daß das Feuer, wegen eines anhaltenden Regens der vom Himmel fiel, nicht um sich griff, dergestalt, daß bei der Schnelligkeit der bestehenden Löschanstalten, nur einige Kramläden, die um die Pleißenburg lagen, in Flammen aufloderten. Gleichwohl war die Bestürzung in der Stadt, über das Dasein des rasenden Mordbrenners, und den Wahn, in welchem derselbe stand, daß der Junker in Leipzig sei, unaussprechlich; und da ein Haufen von hundert und achtzig Reisigen, den man gegen ihn ausschickte, zersprengt in die Stadt zurückkam: so blieb dem Magistrat, der den Reichtum der Stadt nicht aussetzen wollte, nichts anderes übrig, als die Tore gänzlich zu sperren, und die Bürgerschaft Tag und Nacht, außerhalb der Mauern, wachen zu lassen. Vergebens ließ der Magistrat, auf den Dörfern der umliegenden Gegend, Deklarationen anheften, mit der bestimmten Versicherung, daß der Junker nicht in der Pleißenburg sei; der Roßkamm, in ähnlichen Blättern, bestand darauf, daß er in der Pleißenburg sei, und erklärte, daß, wenn derselbe nicht darin befindlich wäre, er mindestens verfahren würde, als ob er darin wäre, bis man ihm den Ort, mit Namen genannt, werde angezeigt haben, worin er befindlich sei. Der Kurfürst, durch einen Eilboten, von der Not, in welcher sich die Stadt Leipzig befand, benachrichtigt, erklärte, daß er bereits einen Heerhaufen von zweitausend Mann zusammenzöge, und sich selbst an dessen Spitze setzen würde, um den Kohlhaas zu fangen. Er erteilte dem Herrn Otto von Gorgas einen schweren Verweis, wegen der zweideutigen und unüberlegten List, die er angewendet, um des Mordbrenners aus der Gegend von Wittenberg loszuwerden; und niemand beschreibt die Verwirrung, die ganz Sachsen und insbesondere die Residenz ergriff, als man daselbst erfuhr, daß, auf den Dörfern bei Leipzig, man wußte nicht von wem, eine Deklaration an den Kohlhaas angeschlagen worden sei, des Inhalts: "Wenzel, der Junker, befinde sich bei seinen Vettern Hinz und Kunz, in Dresden."
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EMtaz: Götze bangt um seinen Startplatz: Wertverlust der Marke G Der Bayernspieler tollt vor dem Achtelfinalduell gegen die Slowakei vergnügt durch den Sand. Dabei droht ihm bald dasselbe Schicksal wie im Verein. Der Mario isch scho au wichtig Foto: dpa PARIS taz | Aus dem Basislager der deutschen Mannschaft in Evian dringen ja nur wenige Bilder nach außen. Wer sich einen Eindruck über das Innenleben der Auswahl vor der Partie gegen die Slowakei machen will, ist auf das Material angewiesen, das der Deutsche Fußball-Bund zur Verfügung stellt. Wenn man diesen sorgfältig ausgewählten Bildern glaubt, geht es dort derzeit so locker zu wie in einem Ferienlager. Streetbasketball und Beach­volleyball standen auf dem Programm. Und was auffiel: Mario Götze war immer dabei, sowohl bei der coolen Runde unterm Korb als auch beim lustigen Hechten im Sand. Götze scheint also bestens integriert. Auch der Bundestrainer hat dem ­Dauerreservisten des FC Bayern München bei dieser EM stets einen Platz in der Startelf frei gehalten. Joachim Löw hat eine schlichte Erklärung, weshalb die Karriere des 23-Jährigen zuletzt so gewaltig ins Stocken geraten ist. Die letzte gute Tat von Götze, die in Erinnerung geblieben ist, liegt bereits zwei Jahre zurück, als er im WM-Endspiel gegen Argentinien kunstvoll den entscheidenden Treffer erzielte. Löw sagt: „Er braucht einen Trainer, der ihn unbedingt in seiner Mannschaft haben will.“ Logisch also, dass er ihm einen großen Vertrauensvorschuss einräumte. Zumal für Löw der Einsatz von Götze, insbesondere nach dem Ausfall von Marco Reus, kaum von seinen Vorstellungen zu lösen war, wie das deutsche Team idealerweise spielen soll: ball- und kombinationssicher. Nur ist Vertrauen letztlich auch eine endliche Währung. Hohe Versagerquote vor dem Tor Im ersten Spiel musste Götze lediglich aus Gründen des Zeitgewinns bei eigener Führung in der 90. Minute vom Platz. Gegen Polen tauschte ihn Löw bereits in der 66. Minute aus. Ihm fehlte die Zuspitzung im Angriffsspiel. Am Dienstag trabte Götze schon in der 55. Minute vom Feld. Gern, verriet der Bundestrainer nach der Partie, hätte er einigen seiner Spieler eine frühe Pause gegönnt. Wegen des knappen Spielstands (1:0) wollte er aber nicht auf sie verzichten. Im Umkehrschluss bedeutet das: Götze zählt für Löw nach seinen bisherigen Vorstellungen eher zu den entbehrlichen Größen. Als sich für ihn gegen Nordirland die bislang so vermissten Räume öffneten, stach seine Versagerquote vor dem Tor besonders ins Auge. Er ist offenbar zu der Erkenntnis gekommen, dass er angesichts des schleichenden Vertrauensverlustes seinen Einsatz außerhalb des Spielfelds verstärken muss. Zu seiner kürzesten Partie bemerkte er: „Ich finde, ich habe mein bestes EM-Spiel gemacht.“ Man kann zumindest nicht behaupten, Götze würde merklich mit seinen Leistungen vom Rest der Mannschaft abfallen. Sein Fleiß und seine Unermüdlichkeit sind ihm zugutezuhalten. Nur war er für mehr vorgesehen: für die besonderen Momente im deutschen Angriffsspiel. Sollte Löw aus der letzten Partie den naheliegenden Schluss gezogen haben, dass eben nicht nur Gomez, sondern auch Müller sich im Sturmzentrum wohler fühlen als Götze, dann muss dieser sich künftig mit Julian Draxler, André Schürrle und eventuell noch Leroy Sané um einen Platz auf dem Platz streiten. Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.Externen Inhalt erlauben Die vermeintliche Systemfrage Götze oder Gomez stellt sich derzeit so gar nicht. Den Bayernspieler macht das auch in der Nationalelf entbehrlicher. Bei der WM 2014 war er übrigens auch nur Ersatz. „Mal ist man der Hund, mal ist man der Baum.“ Ganz cool gab sich Götze angesichts der Kritik. Er verschwieg dabei höflich, dass er sich seit langem angepisst fühlt. Aber in den sozialen Netzwerken werkeln er und seine Crew schon lange an dem glatten Bild eines Mannes, der mit allen und allem locker zurechtkommt. Ein eigenes Logo hat er sich gar entwerfen lassen: Ein G mit einem Pfeil nach oben. Damit sollen sowohl „Götzes fußballerisches Können als auch sein Lifestyle“ symbolisiert werden, hieß es damals in einer Erklärung. Basketball und Beachvolleyball passen offenbar zum Lifestyle von Götze. Über seinen Twitter- und Facebook-Account hat er die DFB-Bilder aus Evian gleich weiterverbreitet.
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Gründungsjahr Landesverband 2013* Mitgliederzahl in Hamburg 650* Landesvorsitz Dirk Nockemann* Wahlergebnis 2015 6,1 Prozent *nach Angaben der Partei Die "Alternative für Deutschland" (AfD) wurde 2013 gegründet. Ihr Gründungsimpuls war eine massive Unzufriedenheit mit der Finanz- und Wirtschaftspolitik der Europäischen Union. Ab dem Frühjahr 2014 zog sie bei allen Landtagswahlen, Europawahlen und der Bundestagswahl 2017 in die Parlamente ein und ist seit dem Herbst 2018 in allen Parlamenten – seit 2015 auch in der Hamburgischen Bürgerschaft – vertreten. Neben die europakritische Haltung trat spätestens 2015 auch eine restriktive Einwanderungspolitik in den programmatischen Kern der Partei und bestimmte zumindest die öffentliche Wahrnehmung der Partei. Die AfD fordert außerdem eine Stärkung von Polizei und Strafjustiz, den Schutz der Familie und kritisiert "die Verengung der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus". Außerdem stellt sie sich gegen zahlreiche Maßnahmen in der Klimapolitik, da diese auf "bisher unbewiesenen hypothetischen Modellen" beruhten. Die AfD wird in der öffentlichen Diskussion meist als rechtspopulistische Partei bezeichnet. Bei der Bürgerschaftswahl 2020 tritt der Landesvorsitzende der AfD, Dirk Nockemann, als Spitzenkandidat an. Die AfD Hamburg fordert eine Abkehr von der "Klimahysterie" in der Hamburger Umweltpolitik. Sie möchte den Straßenausbau fördern, aber Grünflächen und Erholungsgebiete erhalten. In der Schulpolitik setzt sich die Partei für das Leistungsprinzip, weniger Inklusion und gegen die Einführung einer Einheitsschule ein. In der Demokratieförderung sieht sie Nachholbedarf bei der Prävention gegen Islamismus, Antisemitismus und Linksextremismus. Bei der inneren Sicherheit fordert die Partei härtere Strafen und eine strikte Einhaltung der Gesetze. Sie fordert die Abschiebung aller ausreisepflichtigen Ausländerinnen und Ausländer und die zentrale Unterbringung aller Asylbewerberinnen und -bewerber. Die AfD möchte die Rote Flora räumen lassen. Zur Lösung des Wohnungsproblems möchte sie verstärkt Mieterinnen und Mieter direkt fördern sowie den Erwerb von Wohneigentum erleichtern, spricht sich aber gegen ein Nachverdichtung der Wohnbebauung in gewachsenen Wohnquartieren aus. Gründungsjahr Landesverband 2013* Mitgliederzahl in Hamburg 650* Landesvorsitz Dirk Nockemann* Wahlergebnis 2015 6,1 Prozent *nach Angaben der Partei
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Gül zu Besuch in Berlin: Kritik an Deutschland Der türkische Staatspräsident Abdullah Gül hält die deutsche Einwanderungspraxis für ungerecht - und fordert seine Landsleute dennoch auf, besser Deutsch zu lernen. Gül ist noch bis Mittwoch zum Staatsbesuch in Deutschland. Bild: dpa BERLIN dapd | Kurz vor seinem Deutschlandbesuch hat der türkische Staatspräsident Abdullah Gül die Ausländerpolitik der Bundesrepublik als rechtswidrig gerügt. Das mehrfach verschärfte Einwanderungsrecht widerspreche den Menschenrechten, sagte Gül dem ZDF. Es stehe nicht im Einklang mit dem Gedanken einer fortschrittlichen Demokratie. "Ich empfinde diese Politik als ungerecht", sagte Gül. Nach der Reform von 2007 hängt der Ehegatten-Nachzug davon ab, ob der Partner einen Deutschtest in der Türkei besteht. Gül reist am Sonntag zu einem viertägigen Staatsbesuch nach Deutschland. Hierzulande leben rund 2,5 Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln. Knapp ein Drittel hat einen deutschen Pass. Gleichzeitig forderte Gül seine Landsleute in Deutschland auf, besser Deutsch zu lernen: "Sie sollten die Sprache akzentfrei beherrschen." Der Sorge, dass sich die Türkei vom Westen entfernt, widersprach der Präsident. Ziel bleibe die EU-Vollmitgliedschaft. "Unsere strategische Ausrichtung ist nach Europa", sagte Gül. Zugleich sei die Türkei mit ihrer Demokratie derzeit für die Länder des arabischen Frühlings "eine Quelle der Inspiration". Bundespräsident Christian Wulff dankte den Türken in Deutschland für ihren Beitrag zum deutschen Wohlstand. "Einwanderer aus der Türkei haben Deutschland vielfältiger, offener und der Welt zugewandter gemacht", sagte Wulff der Süddeutschen Zeitung. Er sehe in einem Ausbau der deutsch-türkischen Beziehungen "ein großes Potenzial" für beide Länder.
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Joe Bidens außenpolitisches Personal: Total multilateral Mit der Wahl seiner außenpolitischen Expert:innen macht Joe Biden klar: Er will Schluss machen mit „America first“. Soll künftig die amerikanische Außenpolitik steuern: Antony Blinken Foto: Jose Luis Magana/ap Schon einen Tag vor der offiziellen Bekanntgabe ist öffentlich geworden, wer als Außenminister, Nationaler Sicherheitsberater und UN-Botschafterin die Außenpolitik des kommenden US-Präsidenten Joe Biden steuern soll. Die Nominierung der drei Obama- und Clinton-Leute Antony Blinken, Jake Sullivan und Linda Thomas-Greenfield bedeutet eine radikale Abkehr vom America-first-Unilateralismus der Trump-Regierung. Die America-first-Politik hatte vor allem deshalb so gravierende Auswirkungen, weil sich zur politisch gewollten Abkehr von Multilaterismus und dem permanenten Brüskieren von Verbündeten noch mangelnde Fachkompetenz und eine personelle Ausdünnung im State Department gesellten. Trumps außenpolitisches Handeln folgte seinen persönlichen innenpolitschen Interessen, seine Personalpolitik bewertete Loyalität erheblich höher als Kompetenz. Die Figur des früheren Trump-Botschafters in Berlin, Richard Grenell, war die Versinnbildlichung dieses Niedergangs der US-Diplomatie. Aber durchaus nicht die einzige. Joe Biden hat schon im Wahlkampf eine Rückkehr zum Multilateralismus versprochen, zum Pariser Klimaabkommen, zum Atomdeal mit dem Iran, zur Weltgesundheitsorganisation. Der designierte Außenminister Antony Blinken, langjähriger Biden-Vertrauter und sein außenpolitischer Berater im Wahlkampf, skizzierte seine Linie im Juli dieses Jahres: Nur in starken Allianzen können die USA zur Lösung globaler Probleme – er nannte Klimawandel und Pandemien – beitragen und gleichzeitig ihre Interessen gegen ein stärker werdendes China wahren. Wie Biden glaubt Blinken an die Wiederherstellung der Rolle der USA als westlicher Führungsmacht. Sicher scheint: Nato und EU werden in einer Biden-Regierung wieder Gesprächspartner*innen finden. Aber: Biden wird ohne klare Mehrheit im Kongress ein zutiefst gespaltenes Land regieren, und jeder Schritt etwa zu einer verantwortungsvollen Klimapolitik wird schwer. Ein Schuss Trumpismus wird auch in der Außenpolitik bleiben: als Störfeuer.
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»Da kriegen Sie einen Begriff, mein Verehrtester, was wir uns in unserer unsäglichen Gutmütigkeit gefallen lassen. Das hier ist nämlich das Hauptquartier der Polen diesseits und jenseits der Grenze. Wie oft, glauben Sie, ist hier wohl das Deutsche Reich zertrümmert und das großpolnische Vaterland errichtet worden? Für jedes Mal einen Taler, und ich wäre ein reicher Mann! Aber ich gehe sehr gerne hierher, denn es hat den Anschein, als wenn das Geschäft des Verschwörens nur bei besonders guten Weinen gedeiht. Blaubeersaft und saurer Mosel töten die Begeisterung. Ein feuriger Burgunder aber ... ah, Bruderherz! ...«
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Grüne diskutieren Rüstungsexporte: Habeck korrigiert Ukraine-Vorstoß Der Grünen-Chef will jetzt nur noch Nachtsichtgeräte und Sanitätstechnik an die Ukraine liefern. Abrüstungsexpertin Keul begrüßt das. Robert Habeck will jetzt nur noch Nachtsichtgeräte und Sanitätstechnik an die Ukraine liefern Foto: C. Hardt/imago BERLIN taz | Grünen-Chef Robert Habeck hat seinen umstrittenen Vorstoß für die Lieferung von Defensivwaffen in die Ukraine korrigiert. „Die Ukraine kämpft hier nicht nur für sich selbst, sie verteidigt auch die Sicherheit Europas“, sagte der Co-Parteichef im Deutschlandfunk am Mittwoch. Und mit Blick auf deren Konflikt mit Russland: „Die Ukraine fühlt sich sicherheitspolitisch allein gelassen, und sie ist allein gelassen.“ Er sprach nun aber von „Nachtsichtgeräten, Aufklärungsgeräten, Kampfmittelbeseitigung, Medivacs“, also Technik für Transport und Versorgung Verletzter. Am Vortag hatte Habeck gesagt: „Waffen zur Verteidigung, zur Selbstverteidigung kann man meiner Ansicht nach, Defensivwaffen, der Ukraine schwer verwehren.“ Diese Idee war von der politischen Konkurrenz, aber auch von einzelnen Grünen, scharf kritisiert worden. Die Bundesregierung lehnt Waffenlieferungen in das Krisengebiet ab, auch weil sie kein Interesse daran hat, den Konflikt in der Ostukraine anzuheizen. „Eine Aufrüstung der Ukraine würde Russland als Vorwand für eigene Truppen auf der Krim, in der Ostukraine sowie an der russisch-ukrainischen Grenze benutzen“, hatte der CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) gesagt. Ähnlich argumentierte die SPD. „Die Forderung, der Ukraine sogenannte Abwehrwaffen zu liefern, ist leichtfertig und unterstreicht erneut, wie wenig regierungsfähig und unaufrichtig die Grünen derzeit auftreten“, hatte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich dem Spiegel gesagt. Auch in Habecks eigener Partei hatte sein Vorschlag für Verwirrung und Kritik gesorgt. „Waffenexporte in die Ukraine würden unserem Grundsatz widersprechen, dass wir keine Waffen in Kriegsgebiete exportieren“, hatte der Außenpolitiker Jürgen Trittin gegenüber dem RND betont. „Die bisherige gemeinsame europäische Position ist, dass der Konflikt in der Ukraine nur politisch zu lösen ist und nicht militärisch.“ Waffenlieferungen würden die Umsetzung des Abkommens von Minsk weiter untergraben, sagte Trittin. Erleichterung bei grüner Abrüstungsexpertin Die Grünen treten für eine restriktive Rüstungsexportpolitik ein. „Exporte von Waffen und Rüstungsgütern […] in Kriegsgebiete verbieten sich“, heißt es im Entwurf für das Wahlprogramm, den Habeck im März vorgestellt hatte. Nähme man Habecks ursprüngliche Forderung ernst, müsste das Wahlprogramm entsprechend angepasst werden. Die Ukraine ist zumindest in Teilen ein Kriegsgebiet: In der Ostukraine herrscht seit sieben Jahren ein Konflikt zwischen prorussischen Separatisten und den ukrainischen Regierungstruppen, in dem laut UN-Schätzung schon mehr als 13.000 Menschen getötet wurden. Nach einer Zuspitzung in diesem Frühjahr hatte die ukrainische Regierung Waffenlieferungen aus dem Westen gefordert. Katja Keul, die abrüstungspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, begrüßte Habecks Präzisierung. „Ich halte es für richtig, dass die Bundesregierung in das Kriegsgebiet keine Waffen liefert“, sagte sie der taz am Mittwoch. Zentral sei, dass die OSZE-Mission ausreichend Material habe, dazu gehörten zum Beispiel zivile Aufklärungsdrohnen. „Auch gegen die Lieferung von Minensuchgeräten bestehen keine Einwände. Deshalb ist es gut, dass Robert Habeck dies klargestellt hat.“ Habeck selbst sagte zu seinem Vorschlag: „Ich habe das rein auf die Ukraine bezogen, auf die konkrete Situation, auf die Annexion der Krim, auf die Schießerei, auf die Soldaten.“ Er plädiere nicht für Waffenlieferungen an andere Staaten. Eine Nato-Mitgliedschaft des osteuropäischen Landes halte er im Moment nicht für machbar.
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Falstaff. Alle Arten von Leute bilden sich was drauf ein, auf mich zu sticheln. Das Hirn dieser närrischen Composition von Erdschollen, die man Mensch heißt, ist nicht fähig mehr Lächerliches zu erfinden als ich erfinde, oder wozu ich den Stoff hergebe. Ich bin nicht nur für mich selbst wizig, sondern auch die Ursach, daß andre Leute wizig sind. Ich geh hier vor dir her, wie ein Mutterschwein, das alle seine Jungen, bis auf eins, aufgefressen hat. Wenn der Prinz eine andre Ursach, warum er dich in meine Dienste gethan, gehabt hat, als mich lächerlich zu machen, so weiß ich nicht was rechts und links ist. Du H**sohn von einem Alraun, du taugtest besser daß ich dich an meiner Müze trüge, als daß du hinter mir drein gehen sollst. Ich habe noch nie kein Agtstein-Männchen zum Diener gehabt bis izt, aber ich will dich weder in Gold noch Silber einfassen lassen, darauf verlaß dich; in Bley sollst du mir gefaßt werden, und so will ich dich deinem Herrn wieder zurük schiken, damit er dich für ein Kleinod tragen kan. Dieser Juvenal, der Prinz dein Herr, dessen Kinn noch nicht einmal Gauchfedern hat; es soll mir eher ein Bart in meiner flachen Hand wachsen, eh er einen im Gesicht kriegen wird; und doch ist er unverschämt genug, und behauptet, sein Gesicht sey ein königliches Gesicht. Der Himmel mag es völlig ausmachen wenn er will, izt ist noch kein Haar daran auszusezen; er kan es immer als ein königliches Gesicht inne haben, denn ein Barbier wird sein Lebtag nicht sechs Pfenninge daraus ziehen, und doch kräht er immer, als ob er schon ein Mann gewesen sey, wie sein Vater noch ein Junggeselle war. Er mag seine Gnade für sich selbst sparen, denn die meinige hat er ziemlich verlohren, das kan ich ihn versichern. Was sagt Herr Dombledon, wegen des Atlas zu meinem kurzen Mantel und zu meinen Pluder-Hosen?
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Markt und Rathaus von Minden nach dem Angriff vom 28.03.1945 (© Kommunalarchiv Minden; aus: Ruth Goebel/Markus Köster: 1945 - Fotografien aus Westfalen, Münster 2005) Mit der Fragestellung "Warum vergeht diese Vergangenheit nicht?" werden die Motive der Beschäftigung mit dem Nationalsozialismus thematisiert. Der Einsatz der Karikatur M 01.01 bietet der Lerngruppe zunächst die Möglichkeit, weitgehend selbständig die Notwendigkeit zur Erinnerung an den Nationalsozialismus zu begründen. Dieser Einstieg ist insofern schülerorientiert, als hier die Lernenden ihre Vorkenntnisse einbringen können. Das Unterrichtsgespräch wird auch zahlreiche Hinweise zur (inhaltlichen) Strukturierung der Unterrichtsreihe bieten – auch deshalb sollte den Lernenden für diese Phase ausreichend Zeit zur Verfügung gestellt werden. Die Konkretisierung der Motive sollte anschließend systematisch erarbeitet werden, indem die Lerngruppe die zentralen Aussagen von Ian Kershaw dem Material M 01.02 entnimmt. Das Material kann von der Lerngruppe zu Hause vorbereitet werden, um die Unterrichtszeit effektiver zu nutzen. Der Text ist geeignet, bereits vorhandenes Wissen der Lerngruppe zu aktivieren und bietet den Lernenden für die spätere Beteiligung an der inhaltlichen Schwerpunktsetzung gute Orientierung. In einem weiteren Schritt kann sich die Lerngruppe mit Hilfe des Essays von Bernhard Schlink der Frage zuwenden, wie wir uns heute erinnern (sollen) (M 01.03). Dieser Text ist in besonderer Weise geeignet, weil er den aktuellen Stand der Diskussion der bundesrepublikanischen Erinnerungskultur bearbeitbar macht - bei Bedarf kann hier zur Vertiefung beispielsweise die so genannte Walser-Bubis-Debatte oder die so genannte Weizsäcker-Rede zum Gegenstand des Unterrichts gemacht werden. Eine wichtige Erweiterung zu dem Essay von Bernhard Schlink stellen die Materialien Interner Link: M 01.04, Interner Link: M 01.05, Interner Link: M 01.06 dar. Ute Frevert gibt hier zunächst einen Überblick über die Geschichte der Erinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland, analysiert dann die gegenwärtige Debatte um die Rückkehr der Opfererinnerung, um dann ein Konzept für eine zeitgemäße Erinnerungskultur zu entwerfen. Eine zentrale Aufgabe des Lehrenden hinsichtlich der Bearbeitung der Materialien besteht hier darin, insbesondere auf die bereits erwähnten veränderten Generationenkonstellationen und darin begründete Veränderungen im Geschichtsbewusstsein in den Untersuchungsfokus zu nehmen. "Gleichwohl ist schwer zu sagen, wie sich die Zukunft der NS-Vergangenheit gestalten wird; nicht nur für den Historiker dürfte sich in diesem Zusammenhang die Rekapitulation des Gewesenen empfehlen. [Es] soll deshalb eine Skizze der Geschichte des politischen und kulturellen Umgangs mit der NS-Vergangenheit in der Bundesrepublik mit einem Vorschlag zur Periodisierung dieser Geschichte verbunden werden. Anlass, nach spezifischen Abschnitten in der langen ‚Nachgeschichte´ des ‚Dritten Reiches´ zu fragen, besteht nicht zuletzt angesichts der für ihren Verlauf offenkundig bedeutsamen – und in ihrem Verlauf sich permanent verändernden – Generationenkonstellationen. In der Schlussphase des Abschieds von den Zeitgenossen der NS-Zeit ist dieser bisher wenig beachtete Gesichtspunkt vielleicht sogar von besonderem Gewicht." [Norbert Frei: 1945 und wir, München 2005, S. 25/26] Die Materialien Interner Link: M 01.07 und Interner Link: M 01.08 ermöglichen eine tiefergehende Erörterung der Diskussion um eine angemessene Erinnerungskultur vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen. Norbert Frei (Interner Link: M 01.07) analysiert problematische Aspekte der medialen Inszenierung nationalsozialistischer Vergangenheit. "Keine Schuld, aber Verantwortung", sagt Jan Philipp Reemtsma, Direktor des Hamburger Instituts für Sozialforschung, sei die entscheidende Verlegenheitsformel deutscher Mühen, sich mit der nationalsozialistischen Vergangenheit auseinander zu setzen (Interner Link: M 01.08). Im taz-Interview sagte er, es müsse vage bleiben, was der Debatte um die Vergangenheit dienlich sei, hinter der Formel aber verberge sich auch die Zumutung, sich von dieser Vergangenheit nicht lösen zu können. Einen Schlussstrich zu ziehen, sei jedenfalls unmöglich. Die intensive Bearbeitung dieser Texte durch die Lernenden ist für den weiteren Verlauf des Projektes bedeutsam. Hieraus lassen sich zahlreiche Aspekte für die Erforschung der Erinnerungskultur vor Ort ableiten und für die Bearbeitung des Fragebogens ableiten (Interner Link: vgl. Baustein 2). Zur Überleitung des Themas des zweiten Bausteins können die Schüler aufgefordert werden, in ihrem Freundeskreis oder in ihrer Familie zu erkunden, ob der "8. Mai 1945" eher als Tag der Befreiung oder als Tag der Niederlage angesehen wird. Die Ergebnisse dieser Befragung bieten einen guten Einstieg in für den nächsten Baustein und wecken das Interesse, auch quantifizierende Aussagen zur Verbreitung bestimmter Einstellungen zu machen. Markt und Rathaus von Minden nach dem Angriff vom 28.03.1945 (© Kommunalarchiv Minden; aus: Ruth Goebel/Markus Köster: 1945 - Fotografien aus Westfalen, Münster 2005)
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