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---|---|---|
0 | Probstein.
Amen! Wer ein zaghaft Herz hätte, möchte wohl bei diesem
Unternehmen stutzen; denn wir haben hier keinen Tempel als den Wald,
keine Gemeinde als Hornvieh. Aber was tut's? Mutig! Hörner sind
verhaßt, aber unvermeidlich. Es heißt, mancher Mensch weiß des
Guten kein Ende; recht! mancher Mensch hat gute Hörner und weiß
ihrer kein Ende. Wohl! es ist das Zugebrachte von seinem Weibe,
er hat es nicht selbst erworben.--Hörner? Nun ja! Arme Leute
allein?--Nein, nein, der edelste Hirsch hat sie so hoch wie der
geringste. Ist der ledige Mann darum gesegnet? Nein. Wie eine
Stadt mit Mauern vornehmer ist als ein Dorf, so ist die Stirn eines
verheirateten Mannes ehrenvoller als die nackte Schläfe eines
Junggesellen; und um soviel besser Schutzwehr ist als Unvermögen,
um soviel kostbarer ist ein Horn als keins.
(Ehrn Olivarius Textdreher kommt.) Hier kommt Ehrn Olivarius.--
Ehrn Olivarius Textdreher, gut, daß wir Euch treffen. Wollt Ihr
uns hier unter diesem Baum abfertigen, oder sollen wir mit Euch in
Eure Kapelle gehn? | 600 |
1 | Nachspiel für Tanklaster-Angriff: Es wird eng für Oberst Klein
Die Karlsruher Bundesanwaltschaft will gegen Klein ermitteln. Dabei soll geklärt werden, ob er mit dem Befehl zum Bombardement in Afghanistan ein Kriegsverbrechen begangen hat.
Aufräumen nach dem Luftangriff auf zwei Tanklastwagen in Afghanistan. Bild: ap
BERLIN taz | Die Bundesanwaltschaft (BAW) hat bereits vorige Woche ein Ermittlungsverfahren gegen Oberst Georg Klein und seinen Fliegerleitoffizier "Red Baron" eingeleitet. Dies berichtete am Freitag BAW-Abteilungsleiter Rolf Hannich auf einer Veranstaltung der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) in Berlin.
Oberst Klein hatte im September das Bombardement auf zwei entführte Tanklaster bei Kundus angeordnet, das zum Tod Dutzender Afghanen - Taliban und Zivilisten - führte. Seit November prüfte Hannich, ob er ein Verfahren gegen Klein einleiten soll. Er will die beiden Offiziere nächste Woche in Karlsruhe vernehmen. Voraussetzung dafür ist ein förmliches Ermittlungsverfahren
Doch die Eröffnung des Verfahrens ist keine Formalie. Mit ihr ist auch das erste Ergebnis der BAW-Prüfungen verbunden: "Bei den Auseinandersetzungen in Afghanistan handelt es sich um einen bewaffneten Konflikt." Konkret heißt das, Kämpfer der Taliban dürfen von deutschen Soldaten in Afghanistan getötet werden, auch wenn diese nicht angegriffen wurden. Und wenn bei den Kämpfen auch Zivilisten sterben, kann dies unter Umständen ebenfalls straffrei bleiben. Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hatte schon vor einigen Wochen erklärt, dass er die Lage in Afghanistan als "bewaffneten Konflikt" einstuft, maßgeblich ist aber die Wertung der Justiz.
Vorrangig anwendbar ist nun das deutsche Völkerstrafgesetzbuch, das auch Kriegsverbrechen von Soldaten definiert. Die Bundesanwaltschaft muss jetzt ermitteln, ob der von Klein verursachte Tod der Zivilisten außer Verhältnis zum militärischen Nutzen der Aktion stand und Klein dieses Missverhältnis sicher erwartete. Unter Beobachtern in Karlsruhe wird angenommen, dass die Ermittler Klein am Ende keinen entsprechend rücksichtslosen Vorsatz nachweisen können und wollen. Die Ermittlungen gegen Klein würden dann eingestellt.
Der Göttinger Strafrechtsprofessor Kai Ambos wies bei der BRAK-Veranstaltung darauf hin, dass Klein im Falle einer Verurteilung zugleich ein lebenslange Haftstrafe wegen Mordes droht.
Wie Hannich berichtete, sind bei der Bundesanwaltschaft neben Kleins Fall sieben weitere anhängig, bei denen deutsche Soldaten in Afghanistan Zivilisten getötet oder verletzt haben. Die Bundesanwaltschaft will ein einheitliches Raster für die Behandlung solcher Fälle entwickeln.
Unter der Hand ist die Bundesanwaltschaft damit zur zentralen Staatsanwaltschaft für die Behandlung möglicher Straftaten von Soldaten im Ausland geworden. Alle heiklen Fälle liegen derzeit in Karlsruhe.
Im schwarz-gelben Koalitionsvertrag ist die Schaffung einer zentralen Staatsanwaltschaft, zum Beispiel in Potsdam beim Einsatzführungskommando der Bundeswehr, vorgesehen. Hannich machte aber deutlich, dass die Zentralisierung nicht unbedingt zu einer Beschleunigung der Ermittlungen führt.
Ärgerlich für Hannich ist, dass er nicht weiß, was Oberst Klein vor zwei Wochen beim Kundus-Untersuchungsausschuss im Bundestag ausgesagt hat. Der Ermittler hofft, dass er die Protokolle bekommt, bevor er nächste Woche den Oberst befragt. | 601 |
0 | "Sehen Sie!" sagte Frau von Marigny zu ihr, indem sie mit den Augen auf
die bleiche und zitternde Unbekannte zeigte. "Das ist meine Nichte, die
Gräfin Soulanges!... Sie hat heute endlich meinen Bitten nachgegeben
und ihr Schmerzenszimmer verlassen, in dem ihr der Anblick ihres Kindes
nur einen sehr schwachen Trost gewährt.... Sehen Sie sie an.... Sie
erscheint Ihnen reizend. Beurteilen Sie nun, was sie damals war, als
Glück und Liebe noch ihren Glanz über dieses jetzt gewelkte Antlitz
verbreiteten!" | 602 |
1 | Mein Großvater Peter ist einer von 36 Menschen, die es 1988 geschafft haben, über die Ostsee aus der DDR zu fliehen. 1988 konnte noch niemand absehen, dass in einem Jahr die Mauer fallen würde. Nach einem halben Jahr Vorbereitung floh mein Opa Peter Faust vom 11. bis zum 12. Oktober über die Ostsee in die Bundesrepublik und ging dabei ein hohes Risiko ein.
Aber aus welchem Grund haben so viele Menschen aus der DDR versucht zu fliehen? Die DDR war, wie wahrscheinlich alle heute wissen, eine Diktatur. Viele Menschen, die die regierende Partei SED in Frage stellten, bekamen Probleme. Manche mussten ihre Arbeit wechseln und alle wurden ausspioniert. Das Problem war, dass man damals nicht einfach aus der DDR auswandern konnte, weil der Staat die Grenzen kontrollierte. Wer versuchte, die Grenze ohne eine Ausreiseerlaubnis zu übertreten, konnte getötet werden oder kam ins Gefängnis.
Fünf Jahre zuvor hatte Peter bei einem Auftrag als Architekt etwas Falsches zu seinem Vorgesetzten gesagt. Er fand keine Arbeit mehr. Er musste erst als Kellner arbeiten und dann lebte er mit seiner Frau in Leipzig. Magret, die Frau meines Opas, war ein halbes Jahr vor seiner Flucht von einem Besuch ihrer Tante im Westen kurzfristig nicht mehr zurückgekommen. Eigentlich wollten meine Oma und mein Opa beide die Tante besuchen, aber sie durften nur einzeln in die Bundesrepublik. Als Magret schon auf der Rückreise war, beschloss sie kurzfristig, sie würde im Westen bleiben. Opa wollte unbedingt nachkommen. Als er einen Ausreiseantrag stellte, erwiderte der zuständige Beamte in Leipzig jedoch nur: “Wir werden die Republikflucht ihrer Frau doch nicht damit belohnen, dass wir ihr ihren Ehemann hinterherschicken. Ob sie sie in einem oder in fünf Jahren wieder sehen entscheiden nur wir.”
"Sieben verschiedene Fluchten im Kopf"
Der Gedanke an Flucht stand jetzt also fest. Opa, der mehrere Jahre als Kellner in einer Kneipe auf Rügen gearbeitet hatte, in die aufgrund der nahen Ostsee und des Stützpunktes Kap Arkona oft Grenzsoldaten kamen, wusste, dass er sich etwas neues für seine Flucht ausdenken musste, denn die DDR-Grenzbeamten werteten jede Flucht sorgfältig aus, um Wiederholungen zu vermeiden. Er hatte sieben verschiedene Fluchten im Kopf, aber am Ende entschied er sich für den Weg über die Ostsee. Im folgenden halben Jahr informierte er sich über die Seefahrt und über optimale Wetterbedingungen. Er wollte in einem Taucheranzug und einem aufblasbaren Gummikajak fliehen, für das er ein Segel aus Hockeyschlägern und einer Plane konstruierte. Das Kajak ist eigentlich für Höhlenforscher gedacht. Es sollte deshalb aufblasbar sein, weil Gummi und Luft auf einem Radar viel schlechter erkannt werden als zum Beispiel ein Boot aus Aluminium. Ursprünglich wollte er am Nationalfeiertag fliehen, weil da die meisten Soldaten betrunken waren, aber das Wetter sprach gegen den Termin.
Also machte er sich drei Tage später am 11. Oktober auf den Weg. Weil man in der DDR immer nur ein Paket auf einmal in den Westen schicken durfte, hielt er auf seinem Weg zur Ostsee an verschiedenen Postämtern. Aber er wurde von einem Wartburg (Auto) der Stasi verfolgt. Sein eigentlicher Plan war es gewesen, von Rügen aus zu fliehen, aber die Stasi wusste, dass er die dortige Gegend kannte. Deshalb versteckte er seinen Wagen in Stralsund, wartete, bis der Wagen der Stasi vorbeifuhr, und machte sich auf den Weg zum Darß.
Die Stasi-Akten belegen, dass er von seinen Beobachtern auf Rügen gesucht wurde. Vom Darß aus wollte er über die Ostsee zum dänischen Gedser (auf Insel Falster) fahren. Auf dem Darß liegt das Strandbad Ahrenshoop. Von dort sind es nur zweiunddreißig Kilometer nach Gedser. Es ist die sicherste Fluchtroute über die Ostsee, weil die Westdeutschland nahen Gebiete streng überwacht wurden. Über fünfzig Flüchtlinge sind erfolgreich über diese Route entkommen. Start im Schutze kurzer Dunkelheit
Zwischen zwei Grenztürmen waren Scheinwerfer, die den Strand anstrahlten. Allerdings gingen die Scheinwerfer in kurzen Abständen aus, damit sie nicht überhitzten. Also paddelte Opa vom Strand aus in die Dunkelheit. Nach einer kurzen Strecke spannte er das Segel auf. Das Wetter war ruhig. Die Ruhe vor dem Sturm. Allerdings sah er steuerbord (rechts in Fahrtrichtung) ein Grenzschiff der DDR. Also versuchte er, das Schiff backbord (links in Fahrtrichtung) zu umrunden. Weil die Schiffe Radare haben, setzte er, um das Radar abzulenken, zwei Luftballons aus, die er mit Aluminium umwickelt hatte. Im Nachhinein erfuhr er allerdings, dass das nichts gebracht hatte, weil das Radar sowieso anders eingestellt war (auch das ergab sich aus seinen Stasi-Akten).
Nachdem er das Schiff umrundet hatte, traf er noch weitere Schiffe, die er sich allerdings nicht traute, anzurufen, weil er nicht wusste, welchem Land sie angehörten. Ein paar Stunden später wurde der Wind stärker und er musste das Segel abbauen und paddeln. Opa glaubte schon, die Straßenbeleuchtung von Gedser und den Leuchtturm sehen zu können, als sich plötzlich der Wind drehte und aus Nordost wehte. Dadurch wurde er nach Westen abgetrieben und die Lichter verschwanden. Weiter westlich liegt jedoch das Flachwasser Rødsand. Durch das flache Wasser und die hohe Windstärke waren die Wellen dort besonders hoch. Die Wellen hier kamen aus zwei Richtungen. In einem bestimmten Rhythmus verstärkten sie sich gegenseitig und waren drei Meter groß. Achtmal wurde er von einer solchen Megawelle überspült. Dadurch, dass das Boot aufgeblasen war, konnte er jedoch nicht untergehen. Mit einem Schwamm konnte er das Boot ausschöpfen.
9.30 Uhr des nächsten Tages war der Sturm vorüber und er konnte weitersegeln. Peter war jetzt so lange auf See, dass er extrem müde wurde. Er merkte das, weil er kurz einnickte und die Wellen auf einmal in die andere Richtung rollten. Nun war er bereit jedes Schiff anzurufen, das ihm begegnete, Hauptsache er war raus aus dem Wasser. Zu seinem Glück war das nächste Schiff ein Ausflugsdampfer. Auf der Dania wurde gerade gefrühstückt, als eine Frau das kleine Boot entdeckte. Als er um Hilfe und SOS schrie, warfen ihm die Matrosen einen Rettungsring zu, der sein Ziel jedoch verfehlte. Als jedoch ein Tau geworfen wurde, konnte er sich festhalten. Doch dadurch, dass sein Boot an ihm fest gebunden war, rutschten seine Sachen aus dem Boot und gingen verloren. Doch zum Glück wurden die wichtigsten Dokumente und das Kajak geborgen.
Nunmehr ein Museumboot
Das Boot ist heute im Fluchtmuseum am Checkpoint Charlie ausgestellt. Opa hatte großes Glück, denn drei Kilometer weiter lag ein weiteres DDR-Schiff vor Anker. In zwei Brechtüten wurden von den Passagieren 1.200 dänische Kronen und 46 D-Mark gesammelt. Als er in Burgstaaken (Fehmarn) an Land ging, reiste er mit dem Zug zu seiner Frau in Westdeutschland.
Während der Grenzschließung der DDR zwischen dem 13. August 1961 und dem Mauerfall 1981 haben nach meinen Recherchen im Internet 5.609 Menschen versucht, die DDR über die Ostsee zu verlassen. Die Statistik zählt wahrscheinlich viele Tote nicht auf, weil sie niemals gefunden wurden, erst jetzt versuchen Forschungsstellen an den Universitäten Rostock und Greifswald alle Fälle zu dokumentieren. 4.522 Menschen wurden festgenommen, 174 sind gestorben und nur 913 von über 5.000 haben es geschafft. Es ist eigentlich in unserer heutigen Zeit kaum vorstellbar, welchen beschwerlichen Weg Menschen aus der DDR auf sich nehmen mussten, um auszuwandern. Deshalb soll dieser Artikel daran erinnern.
Frage an Autor Johann Faust
Wie kam es zu diesem Text?
"Als wir in der Redaktion das Thema Wasser für die Ausgabe beschlossen hatten, war es für mich sofort klar etwas über die Flucht meines Opas zu schreiben. Meinen Großvater war auch sofort einverstanden. Für die Informationen habe ich dann ungefähr zwei Stunden mit ihm telefoniert und mitgeschrieben. Weil er wusste das es eine Karte im Fluchtmuseum am Checkpoint Charlie gibt, bin ich auch dort hingefahren und habe sie fotografiert. So ist der Artikel entstanden. Weil wir in der Redaktion mit Indesign arbeiten und ich schon im Homeschooling war, habe ich den Artikel mit meiner Tante zusammen gelayoutet, weil sie Grafikerin ist und Indesign hat. Die Bilder hat mir mein Opa zugeschickt. Es waren alte Abzüge. Insofern war es für mich einfacher als für andere den Artikel zu schreiben. Zu dem Zeitpunkt war ich in der zehnten Klasse. Im Unterricht vor allem in der Unterstufe(bis zur Zehnten) wird das Thema DDR generell nur behandelt, wenn es der Geschichtslehrer zeitlich noch schafft. Durch die Coronakrise ist es bei uns einfach hinten runtergefallen. Allerdings sind in Berlin in der Oberstufe(Abitur) die beiden Semester Geschichte wo der Nationalsozialismus und die DDR rankommen Pflicht. Das heißt, dass zumindest am Gymnasium das Thema immer behandelt wird."
Zitierweise: Johann Faust, "Ostseeflucht", in: Deutschland Archiv, 29.09.2021, Link: Externer Link: www.bpb.de/340950. Sein Beitrag ist der Schülerzeitung "MORON" des Carl-von-Ossietzky Gymnasiums in Berlin entnommen. Weitere Schülerzeitungstexte folgen unter Interner Link: diesem Link.
Wie kam es zu diesem Text?
"Als wir in der Redaktion das Thema Wasser für die Ausgabe beschlossen hatten, war es für mich sofort klar etwas über die Flucht meines Opas zu schreiben. Meinen Großvater war auch sofort einverstanden. Für die Informationen habe ich dann ungefähr zwei Stunden mit ihm telefoniert und mitgeschrieben. Weil er wusste das es eine Karte im Fluchtmuseum am Checkpoint Charlie gibt, bin ich auch dort hingefahren und habe sie fotografiert. So ist der Artikel entstanden. Weil wir in der Redaktion mit Indesign arbeiten und ich schon im Homeschooling war, habe ich den Artikel mit meiner Tante zusammen gelayoutet, weil sie Grafikerin ist und Indesign hat. Die Bilder hat mir mein Opa zugeschickt. Es waren alte Abzüge. Insofern war es für mich einfacher als für andere den Artikel zu schreiben. Zu dem Zeitpunkt war ich in der zehnten Klasse. Im Unterricht vor allem in der Unterstufe(bis zur Zehnten) wird das Thema DDR generell nur behandelt, wenn es der Geschichtslehrer zeitlich noch schafft. Durch die Coronakrise ist es bei uns einfach hinten runtergefallen. Allerdings sind in Berlin in der Oberstufe(Abitur) die beiden Semester Geschichte wo der Nationalsozialismus und die DDR rankommen Pflicht. Das heißt, dass zumindest am Gymnasium das Thema immer behandelt wird."
Mehr über das Museum unter https://www.mauermuseum.de/ausstellung/
Vgl. https://www.dokumentationsstelle.uni-rostock.de/forschungsstelle/laufende-forschungsprojekte-ii/ostseefluchten-aus-der-ddr-eine-deutsch-deutsch-skandinavische-verflechtungsgeschichte/ und Video https://grypstube.uni-greifswald.de/videos/watch/9a0d00cd-57d9-4190-8088-ff28fd013850 (letzte Zugriffe am 27.9.2021).
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0 | So?... Ei?... I, Kunemund! Kommt Er mir endlich so herum? O ja, daß der
Förster einmal ganz etwas Besonderes erfährt, wenn er nach Hause kommt und
nach dem Trudchen fragt, das ist schon lange das, worauf ich warte, Autor.
Und Herr Kunemund, Seiner Naseweisheit zuliebe will ich Ihm noch eine
andere Ansicht in den Handel geben, und die ist, daß Er von morgen an die
Suppe selber kocht, und mich das Kind hüten läßt. Will Er, -- will Er,
Meister Kunemund? | 604 |
0 | Blumenkohl und Brokkoli in Röschen putzen. Stiele kreuzweise einschneiden. In Salzwasser bissfest garen.In der Zwischenzeit Quark und saure Sahne vermengen, mit Limonenabrieb, Salz, Pfeffer und etwas Zucker würzen. Kräuter zufügen und abschmecken.In einer Pfanne Butter und Mandeln erhitzen und darin den Blumenkohl etwas angehen lassen. Mit Muskat und Salz würzen. In einer anderen Pfanne Butter, Sesam und Sesamöl erhitzen. Brokkoli zufügen und etwas angehen lassen. Mit Salz und Muskat würzen.Anrichten:Quark mittig auf einem Teller anrichten, Brokkoli und Blumenkohl darum verteilen und mit Salat dekorieren.Kleiner Tipp:Sehr gut schmecken Blumenkohl und Brokkoli auch, wenn sie vor dem Braten paniert wurden! | 605 |
1 | Iran: Die frechen Frauen von Teheran
Die iranische Frauenbewegung kämpft mit der Kampagne "Eine Million Unterschriften" erfolgreich für die Emanzipation. Der Beginn einer islamischen Aufklärung?
Lichtblick in der Finsternis: Frauen, die sich befreien. Bild: dpa
"Wollen Sie sehen, wie wir das machen?" Die Aktivistin der Kampagne "Eine Million Unterschriften gegen die Ungleichheit von Männern und Frauen vor dem Gesetz" lächelt verschwörerisch. Dann kramt sie ein Formular hervor und spaziert zum Nachbartisch, wo vier junge Frauen und Männer sich Witze erzählen. Wir befinden uns in einem Café in Teheran. Eine lebhafte Diskussion hebt an, nach zehn Minuten kommt sie mit drei Unterschriften zurück. "Es war nicht schwierig", sagt sie, "eine der Frauen hatte schon in der Universität unterschrieben und hat die anderen überzeugt."
Heute ist die Frauenbewegung die lebendigste Kraft der iranischen Zivilgesellschaft, und Unterstützung für den Kampf gegen Diskriminierung kommt längst nicht mehr nur aus den großen Städten. Bis dahin musste allerdings ein langer Weg zurückgelegt werden. Am 7. März 1979, gerade mal einen Monat nachdem er aus dem französischen Exil zurückkehrte, gibt Revolutionsführer Chomeini eine Erklärung ab: Von nun an dürften sich Frauen nur verschleiert, also mit Hedschab in der Öffentlichkeit bewegen. Einen Tag später, am Internationalen Frauentag, kommt es in Teheran zu lauten Protesten und im Gegenzug zu Übergriffen islamistischer Milizen. Ein Jahr zieht sich die Meuterei der Frauen hin. Zuerst schreckt der oberste geistige Führer noch vor ihren massiven Einsprüchen zurück und erklärt alles für ein Missverständnis, dann folgen Schritt auf Schritt die Einschränkungen: Zuerst werden Frauen ohne Hedschab auf Ämtern ignoriert, dann auf dem Campus der Universitäten nicht mehr zugelassen, wenig später in den Geschäften nicht bedient. Die letzte große Protestaktion findet am 8. März 1980 statt. Danach wird der Internationale Frauentag durch die Feier des Geburtstags von Fatima, der Tochter Mohammeds, ersetzt. Erst 20 Jahre später, am 8. März 2000, wird der Frauentag zum ersten Mal wieder semiöffentlich begangen, die Einladung in die Räume einer Stadtbibliothek erfolgt durch Mund-zu-Mund-Propaganda.
"Wir hatten Stühle für 50 Frauen aufgestellt, es kamen 2.000." Noch immer steht Mansureh, einer der Aktivistinnen der ersten Stunde, Überraschung und Begeisterung ins Gesicht geschrieben, wenn sie von diesem ersten Auftritt ihrer Frauen-NGO erzählt. "Es war so wunderbar! Das war der Moment, da wir uns entschieden, uns nicht mehr in den Wohnungen zu verstecken, sondern rauszugehen und sichtbar zu werden."
Die ProminentesteSeitdem Schirin Ebadi 2003 den Friedensnobelpreis bekam, ist sie die bekannteste iranische Menschenrechtlerin. Die heute 60-Jährige war in den 70er-Jahren eine der ersten weiblichen Richterinnen im Iran überhaupt. Wegen ihres Geschlechts musste sie nach dem Sturz des Schah-Regimes 1979 und der Ausrufung einer Islamischen Republik Iran ihr Amt aufgeben. Seither tritt die Mutter von zwei Töchtern für die Rechte von Frauen und Kindern, aber auch für politisch Verfolgte ein.Wegen ihrer aufklärerischen Aktivitäten saß die Kritikerin am orthodoxen Mullah-Regime mehrfach in Haft. Für ihren Einsatz ist sie neben dem Friedensnobelpreis mit mehreren weiteren Menschenrechtspreisen ausgezeichnet worden.
Seitdem finden die Forderungen der Frauenbewegung langsam wieder Gehör. Nicht nur kritische Akademikerinnen stehen hinter ihnen, wie etwa Nuschin Khorasani, die auf ihrem Weblog schreibt: "Wir müssen endlich aus der Opferrolle heraus. Statt im westlichen Ausland Mitleid zu erwecken, müssen wir zu einer Bewegung werden, die klare Forderungen stellt und diese auch durchsetzt." Für die "Eine Million Unterschriften"-Kampagne haben sich islamische und säkulare Feministinnen zusammengetan. Gemeinsam wollen sie die Veränderung solcher Gesetze wie diesem durchsetzen: Töchter erben die Hälfte dessen, was die Söhne bekommen. Das Zeugnis einer Frau hat vor Gericht nur die Hälfte des Gewichts wie das eines Mannes. Das Blutgeld für eine Frau, die durch die Schuld eines anderen Menschen zu Tode kam, ist nur halb so hoch wie das für einen Mann. Mädchen sind mit 9 strafmündig, Jungen mit 15. Der Mann kann seiner Frau verbieten zu studieren, zu arbeiten, zu reisen
Die Kampagne bewegt sich strikt innerhalb der islamischen Verfassung. "Alles, was wir machen, ist legal, transparent, für jeden einsehbar", sagen die Frauen der NGO. "Wenn wir eine Million Unterschriften haben, muss sich das Parlament damit befassen." Und sie ergänzen herausfordernd: "Wenn denn die Abgeordneten sich als Volksvertretung begreifen." Auch die Rechtsanwältin und Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi (siehe Kasten) erklärt, dass Reformen durchaus möglich seien: "In der Verfassung gibt es Bestimmungen über einen Volksentscheid." Und weil die Kampagne offen, breit und unideologisch ist, können ihr Menschen unterschiedlicher Herkunft und Bildung zustimmen. Darüber hinaus sind heute im Iran über die Hälfte der Hochschulabsolventen weiblich. Und werden gut ausgebildete junge Frauen die Herrschaft der Männer als festgeschriebene Norm auf Dauer hinnehmen?
Die iranische Menschenrechtlerin Schirin Ebadi Bild: dpa
Alle Familien, auch die der Geistlichen, sind von diesem Konflikt berührt: Die Gleichzeitigkeit von einer Rechtsprechung nach der Scharia und dem modernen Selbstverständnis der Frauen zerrt an der Gesellschaft. Und so könnte die Kampagne eine Lawine lostreten, denn wenn einmal ein Teil des Rechts zum öffentlichen Streitfall geworden ist, wird das Tor weit geöffnet für eine grundsätzliche Auseinandersetzung über die Rechtsordnung. Eben deshalb verfolgt die herrschende Koalition von Fundamentalisten und religiösen Orthodoxen die Frauenbewegung trotz aller Verfassungskonformität mit Misstrauen.
Mehr als 20 Jahre hat es seit der Revolution gedauert, bis sich im Iran wieder eine Bewegung von Frauen konstituierte, die ihre Anliegen selbst in die Hand nehmen. "Anfangs waren wir so beschäftigt, den Schah zu feuern, dass wir unsere eigenen Probleme darüber vergaßen", sagt Mansureh. Dann kam der achtjährige, vom Westen geschürte Krieg mit dem Irak. In dieser hoch ideologisierten Zeit, in der die Islamisten noch mit den Kommunisten kämpften, war die Debatte zentral, ob die westliche Moderne als Totalität abzulehnen sei oder Teile herausgebrochen werden könnten. Für so konkrete Themen wie Frauendiskriminierung war kein Platz, zumal sie nach westlichem Einfluss rochen. "Der Westen, das ist eine Art zu denken und zu handeln, die sich vor 400 Jahren in Europa herausbildete und seitdem mehr oder weniger universell geworden ist", so Reza Davari, als Präsident der Akademie der Wissenschaften so etwas wie Chefideologe der islamischen Republik. Gegen den Westen, der über "seinen Materialismus, seinen individuellen Egoismus und seiner Gottvergessenheit die höchsten und letzten Fragen, die Metaphysik und die Verbundenheit mit Gott vergessen hat", setzt er die islamische Identität als das "absolut Andere" (Huntington lässt grüßen). Und das sichtbarste Zeichen dafür ist die Verschleierung der Frauen.
1995 kommt erstmals Bewegung ins Spiel. In Peking wird die UN-Frauenkonferenz abgehalten. Auch Iran schickt eine Delegation, Frauen der sogenannten Government Family, gebildete Töchter der regierenden Ajatollahs. Vom Welttreffen kommen sie zurück mit einer Idee von Zivilgesellschaft. Sie gründen NGOs. Umwelt, Frauensport, Hilfe für Kinder sind die Themen. Etwas hatte in China gefunkt und regt nun auch ein weiteres, inoffizielles Netzwerk unabhängiger Frauen an, tätig zu werden. Mit der Feier zum 8. März 2000 wird ein erstes Signal gesetzt. Ab jetzt geht es um eine Veränderung des Rechts, das Frauen benachteiligt, und um die Veränderung kultureller Traditionen, denn die diskriminierenden Gesetze finden ihren Rückhalt in den Lebensgewohnheiten. Mansureh erzählt: "2005, als die Regierungszeit des liberalen Präsidenten Chatami dem Ende entgegen ging, beschlossen wir, öffentlich die Frage zu stellen, warum eine Frau nicht zur Präsidentin gewählt werden kann. Zusammen mit den islamischen Feministinnen gingen wir zum Präsidentenbüro, um öffentlich darüber zu diskutieren. Die bekannte Verlegerin Shahla Lahiji hielt eine Rede: 'Stellen wir uns vor, ich wäre Präsidentin. Aber selbst dann könnte ich nichts für uns tun, denn der Wächterrat würde es verhindern.' " Er ist das zentrale Gremium des islamischen Staates, das alle Gesetze und Kandidaten für ein politisches Amt auf Übereinstimmung mit dem Islam prüft. Es kann vom Parlament beschlossene Gesetze für nichtig erklären und Kandidaten von der Wahl ausschließen. Über Lahijis Rede kommt es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen muslimischen und eher säkularen Frauen, denn ihre Kritik trifft ins Herz der islamischen Republik. Und doch zeigt sie, wie sehr sich die Zeiten geändert haben. Das islamische Gesetz ist nicht mehr sakrosankt, die Diskussion über seine Gültigkeit wird vielerorts geführt: "Die Scharia selbst ist heilig, ihre Interpretation ist es nicht; die Scharia ist alte Tradition, das Verständnis der Texte aber immer zeitgenössisch." Das ist in Kurzform die Lesart der islamischen Reformer um Abdolkarim Sorush, auf die sich auch die Frauenbewegung bezieht und die auch in den theologischen Hochschulen ihre Anhänger hat.
"Drei Tage, bevor Ahmadinedschad zum neuen Präsident gewählt wurde, trafen wir uns erneut", berichtet Mansureh weiter: "Es war das bislang größte öffentliche Frauentreffen seit der Revolution. Wir hatten uns schon im Vorfeld auf die Parole: Freiheit für Frauen, Gleichheit vor dem Gesetz geeinigt. Und dann kündigten wir die Kampagne 'Eine Million Unterschriften' an. Aber bevor wir mehr darüber sagen konnten, wurden wir von der Polizei auseinandergetrieben."
Seit November 2006 wird nun gesammelt, mehr als 300.000 Unterschriften liegen vor. Ein mühsamer Prozess. Die Medien schweigen die Aktion tot, so beruht jede Unterschrift auf dem persönlichen Gespräch, der persönlichen Überzeugungskraft. Und doch scheint die Kampagne zum Kristallisationspunkt zu werden. Als bei der diesjährigen Kundgebung zum 8. März rund hundert Frauen vorübergehend in Polizeigewahrsam genommen wurden, formulierten 620 führende Mitglieder politischer Reformparteien und Gewerkschaften in einem offenen Brief an den obersten Richter ihre "Enttäuschung" über die Verhaftungen. Nicht wenige Geistliche und auch ein mächtiger Politiker wie Expräsident Haschemi Rafsandschani haben sich nach einigem Zögern hinter die Forderungen gestellt. Die Gegenseite, die darin die Anfänge eines "sanften Umsturzes" und einen Angriff auf die "nationale Sicherheit" wittert, schickt Milizen und Sittenwächterinnen los, die die Frauen drangsalieren, verprügeln oder verhaften. So sind Delaram Ali gerade zu 34 Monaten Gefängnis und 10 Peitschenhieben und Eghdam Doust zu drei Jahren verurteilt worden. Die Frauenpolitik spaltet die politische Elite, aber war das nicht immer und überall so?
Die Beschäftigung mit Philosophie ist in der islamischen Republik populär geworden, sie wird als Weg des Widerstands gegen politische Ideologien und religiösen Dogmatismus empfunden. Auch Hannah Arendt ist en vogue. "Ihre Bücher erinnern uns daran, dass Freiheit die 'Fähigkeit ist, immer erneut anzufangen' ", sagt eine Studentin. "Und dass das, was alle angeht, öffentlich ausgehandelt werden sollte. Da sind wir doch gut dabei!" Und Richard Rorty, amerikanischer Philosoph und häufiger Ost-West-Dialogpartner in Teheran, ging sogar davon aus, dass von Iran die islamische Aufklärung ausgehen wird. | 606 |
0 | Aus der Burg, von welcher jetzt wenig mehr übrig ist, führte ein
unterirdischer Gang zu dem Schlosse in den Brachenthaler Wiesen. Als
einst Mittags an der Stelle, wo dasselbe gestanden hatte, ein Bauer
zackerte, brach sein Pferd mit einem Fuße in den Boden. Beim
Herausziehen hing eine lange Goldkette daran, die aber, als der Bauer
das Pferd fluchend antrieb, augenblicklich versank. | 607 |
0 | Als nach dem Essen Philipp sich lang ins Moos streckte und die Mütze
über die Augen ziehen wollte, um ein bißchen zu schlafen, da rief Tante
Toni halb lachend, halb ärgerlich: »Aber Philipp, wie kannst du ans
Schlafen denken! Genieße doch mit offenen Augen und mit offenem Herzen
diesen schönen Tag! Schau um dich, sieh zum blauen Himmel hinauf, horch
auf das Säuseln des Windes und lausch dem Gesang der Vögel!« | 608 |
1 | Ausländische Truppen in Mali: Zeit für den Abzug
Die Bundeswehr trainiert in Mali eine Armee, deren Führung von der EU sanktioniert werden soll. Die internationalen Einsätze gelten dort als Bevormundung.
November 2018: Bundeswehrsoldaten in Gao, Mali Foto: Michael Kappeler/dpa
Es hat keinen Sinn mehr. Die Bundeswehr sollte sich auf den Abzug aus Mali vorbereiten. Die EU-Trainingsmission für Malis Armee, EUTM Mali, in der Deutschland eine wichtige Rolle spielt, kann nicht mehr sinnvoll aufrechterhalten werden. Sie trainiert eine Armee, deren Kommandanten jetzt unter EU-Sanktionen gestellt werden, weil sie die Macht im Land an sich gerissen haben.
Mit den beiden Putschen in Mali verschwand die zivile demokratische Verfassungsordnung, zu deren Verteidigung eine große UN-Blauhelmmission ebenfalls mit deutscher Beteiligung in Mali stationiert ist. Die deutschen UN-Soldaten sitzen ohnehin fast nur noch in ihrer Basis herum. Vergangene Woche erlaubte Mali der deutschen Luftwaffe nicht einmal mehr den Überflug.
Hier geht es nicht um die in Deutschland beliebte Frage der grundsätzlichen Sinnhaftigkeit von Militäreinsätzen. Es geht darum, dass Mali die internationalen Militärmissionen auf seinem Staatsgebiet nicht mehr will. Das Land fühlt sich bevormundet, und das ist es auch. Die EU-Mission leistet nicht nur militärische Ausbildung, sondern auch administrative und logistische Hilfe bei Strukturreformen.
Das UN-Mandat für Mali, festgehalten in einer 19 Seiten langen UN-Resolution, umfasst weite Bereiche der Innenpolitik, von sechzehn Projekten für nachhaltige Entwicklung bis zur Repräsentation von Frauen in den Unterkomitees der Implementierungsstruktur für das Friedensabkommen mit den Tuareg-Rebellen.
Die Weltgemeinschaft hat sich in Mali tief verstrickt und zugleich hat Malis Staat immer mehr Kontrolle eingebüßt. Kein Wunder, dass viele Malier zwischen diesen beiden Phänomenen einen Zusammenhang sehen und nun die Konsequenz ziehen wollen: Erst schaffen sie die zivilen Apparate ab, dann sollen die internationalen Eingreiftruppen verschwinden. Andere Länder wie Burkina Faso nehmen sich daran ein Beispiel.
Möglicherweise ist das ein Irrweg. Aber das müssen die Menschen in Mali entscheiden. Nicht die auswärtigen Interventionsmächte. Ihre Bilanz hat nicht überzeugt. Zeit zu gehen. | 609 |
0 | Architecture and Vision/A. Vitto
Leichtflugzeug „Black Sky“
Nick Afanasjew
FOCUS-Magazin-Korrespondentin Birte Siedenburg
Freitag, 15.11.2013, 15:21
Mit Spezialflugzeugen wollen zwei Deutsche extreme Höhenflüge in die Schwerelosigkeit anbieten
Die, die aus dem All auf die Erde geblickt hatten, waren früher Helden. Juri Gagarin, erster Mensch im Weltraum. Neil Armstrong, Pionier auf dem Mond. Vier Jahrzehnte später ist die unendliche Weite noch immer Ausgewählten vorbehalten. Ab 2011 aber wollen zwei Flugingenieure aus Flensburg wagemutigen Touristen zumindest 20-minütige Extrem-Höhenflüge anbieten: Je einen Passagier soll ihr Leichtflugzeug „Black Sky“ bis zu 45 Kilometer hoch an den Rand des Weltraums und zurück befördern – inklusive einer Minute Schwerelosigkeit. (Ticketpreis: 35000 Euro). 110 Kilometer hoch soll ihr Passagierflieger „Enterprise“ 2013 mit je sechs Gästen sogar direkt ins All starten (Ticket: 150000 Euro).Die zweisitzige „Black Sky“ baut der Hochleistungsflugzeug-Hersteller Xtreme Air nach Plänen der Konstrukteure Frank Günzel und Peer Gehrmann. Den Flieger aus Kohlefaser-Verbundstoffen sollen drei 10000 Newton starke Raketentriebwerke des Schweizer Spezialmotorenwerks SPL antreiben. Im Oktober starten erste Messflüge – zunächst mit einem 100000 Euro teuren Modell im Maßstab 1:3. Ein Jet-Pilot lenkt den mit Sensoren ausgestatteten Testflieger dabei vom Boden aus – unterstützt vom Computer. „Handgesteuert wären viele Versuchsmanöver zu ungenau“, erklärt Günzel. Als Klientel für die Höhenflüge sieht er auch die europäische Wissenschaft.„Für Forscher ist das Projekt hochgradig attraktiv“, sagt Weltraumbiologe Oliver Ullrich. Er arbeitet an der wissenschaftlichen Komponente der „Black Sky“ mit. Bisher müssen er und seine Kollegen oft Monate zwischen Versuchen pausieren, weil sie etwa Medikamente in der Schwerelosigkeit bislang nur während selten stattfindender Parabelflüge im Airbus A300 testen können – für maximal 22 Sekunden. „Bis zu 60 Sekunden Schwerelosigkeit böten ganz neue Dimensionen.“Startbasis der bemannten Flüge wird der einstige Fliegerhorst Cochstedt in Sachsen-Anhalt. Über ihre Aktiengesellschaft Talis Enterprise wollen die Pioniere den kühnen Ausflug gen All (Investitionssumme: acht Millionen Euro) komplett mit Privatgeldern verwirklichen. Noch sei die „Black Sky“ zwar nicht komplett durchfinanziert. „Wir haben aber Investoren und ernsthafte Interessenten aus Italien und der Schweiz“, beruhigt Günzel. Schließlich gelte es, einen hierzulande gerade erst entstehenden Markt zu erobern.
In den USA ist das Geschäft mit dem Weltraumtourismus bereits angelaufen“, sagt Martin Kohn, Autor des „Handbuchs Weltraumtourismus“. Der Experte mahnt zur Eile: „Soll der Zug nicht ohne deutsche Beteiligung abfahren, sind hoffnungsvolle Projekte wie ,Black Sky unabdingbar.“
„Black Sky“ in Zahlen
Länge: 9 m
Spannweite: 6,5 m
Leergewicht: 1000 kg
Geschwindigkeit: max. 1200 km/h | 610 |
1 | Gewalttätige Proteste im Kosovo: Attacken gegen KFOR-Friedenstruppe
Bei Protesten im Kosovo sind 25 Soldaten der KFOR-Friedenstruppe verletzt worden. Der EU-Außenbeauftragte Borell verurteilt die Zusammenstöße.
Schlag auf Schlag: Zusammenstoß von Demonstranten und KFOR-Soldaten am Montag in Zvečan Foto: Laura Hasani/reuters
LEPOSAVIC/BELGRAD rtr/afp/taz | Bei gewaltsamen Protesten ethnischer Serben infolge der Kommunalwahlen im Kosovo sind nach Nato-Angaben rund zwei Dutzend Soldaten der KFOR-Friedenstruppe verletzt worden. Die zum Schutz von Rathäusern eingesetzten Soldaten seien am Montag aus Menschenmengen heraus mit explodierenden Brandsätzen angegriffen worden, teilte die Kosovo Force (KFOR) der Nato mit.
Rund 25 Soldaten aus Italien und Ungarn hätten Knochenbrüche und Verbrennungen erlitten. Die aus ethnischen Albanern bestehende Polizei ging Augenzeugen zufolge mit Tränengas gegen die Proteste vor. Das serbische Staatsfernsehen berichtete, auch zwei Serben seien verletzt worden.
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell verurteilte am späten Montag die Zusammenstöße. Die Gewalt gegen die Nato-Friedenstruppen sei „absolut inakzeptabel“. „Die EU fordert die Behörden des Kosovo und die Demonstranten auf, die Situation sofort und bedingungslos zu deeskalieren“, schrieb Borrell auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Er forderte einen sofortigen Dialog.
Auch am Dienstag blieb die Lage angespannt. Vor der Stadtverwaltung in Zvecan hatten sich erneut serbische Demonstranten versammelt. Wie ein AFP-Journalist vor Ort beobachtete, stellten Soldaten der Nato-geführten Friedensmission im Kosovo eine Metallbarriere um die Verwaltung auf und hinderten Hunderte Serben daran, in das Gebäude einzudringen.
Streitkräfte gefechtsbereit
Drei gepanzerte Fahrzeuge der Polizei – deren Präsenz im mehrheitlich ethnisch-serbischen Norden des Kosovo immer wieder Diskussionen auslöst – blieben vor dem Verwaltungsgebäude stehen. Die Demonstranten fordern den Abzug der kosovarischen Sicherheitskräfte aus der Region. Auch verlangen sie die Absetzung von der ethnisch-albanischen Bevölkerungsgruppe angehörenden Bürgermeistern in der mehrheitlich von ethnischen Serben bewohnten Region.
Unterdessen versetzte das Nachbarland Serbien seine Streitkräfte in höchste Gefechtsbereitschaft, wie Verteidigungsminister Miloš Vučević mitteilte. Bereits am Freitag hatte der serbische Präsident Aleksandar Vučić Gefechtsbereitschaft angeordnet, allerdings zunächst auf einer niedrigeren Stufe. Vučić werde sich am Dienstag mit den Botschaftern der Vereinigten Staaten, Italiens, Frankreichs, Deutschlands und Großbritanniens – der sogenannten Quint-Gruppe – treffen, teilte das Büro des Präsidenten mit. Danach werde er getrennte Treffen mit den Botschaftern Finnlands, Russlands und Chinas abhalten.
Hintergrund des zuletzt wieder aufgeflammten Konflikts zwischen der serbischen Minderheit und der albanischen Mehrheit im Kosovo sind die Kommunalwahlen vom 23. April. Die Serben, die im nördlichen Landesteil die Mehrheit der Bevölkerung stellen, hatten die Wahlen boykottiert. In der Folge gewannen auch in mehrheitlich serbisch bewohnten Gemeinden albanische Bürgermeisterkandidaten. Zu deren Amtsantritten am Montag versammelten sich ethnische Serben zu Protesten.
Aus Protest gegen die Politik der albanischen Bevölkerungsgruppe hatten sich ethnische Serben bereits im vergangenen Jahr aus der Polizei und anderen öffentlichen Ämtern zurückgezogen. Das Kosovo hatte 2008 seine Unabhängigkeit von Serbien erklärt. Diese wird jedoch weder Serbien noch von der serbischen Bevölkerungsgruppe im Kosovo anerkannt. Die von der Nato entsandte KFOR soll seit 1999 auf Basis eines UN-Mandats für Sicherheit in dem Land sorgen. | 611 |
0 | Das hat auch negative Auswirkungen, und wir müssen uns mit den Folgen
auseinandersetzen, die mit der Zeit weit über das hinausgehen können,
was wir heute wissen. Kindern, die vor dem Fernsehgerät aufwachsen,
fehlt die Erfahrung der eigenen Bewegung. Unter dem Begriff der
"kindlichen Zombie-Natur" hat Jaron Lanier auf ein verbreitetes
Phänomen hingewiesen: ein leerer, nichtssagender Blick; die mangelnde
Fähigkeit, über das Fernsehbild hinaus anderes zu sehen und zu
begreifen; die Forderung nach sofortiger Befriedigung der Wünsche;
mangelnde Wertschätzung für erfolgreiche und befriedigende Arbeit.
Viele Videospiele erziehen unseren Kindern die Verhaltensmuster von
Versuchsratten an, die lernen, Probleme durch mechanische Routine zu
lösen. Die Maßstäbe fernsehgerecht aufbereiteter Wettkämpfe sind nur
ein magerer Ersatz für Leistung und Verantwortung. Und wenn sie zu
wählen haben, dann zwischen Markennamen, ganz gleich, ob damit
politische Programme oder Konsumgüter bezeichnet werden. Als Masse
angesprochen verleiben sie sich mit den für alles und jedes
erstellten Meinungsumfragen die Mehrheitsmeinungen ein. Daß diese
Technologie visuelle Alternativen zur Schriftlichkeit der
Schriftkultur anbietet, steht außer Frage. Die Crux liegt darin, in
welchem Maße diese Alternativen die ehemaligen Formen der
Determiniertheit und die früheren Zwänge perpetuieren oder ob sie
einem neuen Entwicklungsstadium des Menschen Ausdruck verleihen. Der
Grad der Notwendigkeit und damit die Effizienz einer jeglichen neuen
visuellen Ausdrucks-, Kommunikations- und Interaktionsform ist
dadurch bestimmt, wie sich die Menschen durch ihr praktisches Handeln
unter Einbezug des Visuellen in der Welt konstituieren. Der höchste
gültige Maßstab ist der der Verwirklichung unserer individuellen
Möglichkeiten. Ein Staatspräsident oder ein Fernsehstar, telegen
oder nicht, hat wenig oder gar keinen Einfluß auf unsere individuelle
Verwirklichung in der vernetzten Welt. | 612 |
1 | Die Kunstpolitik in der DDR und damit auch die Kunst selbst wurde ab 1945 maßgeblich von KPD-Funktionären um Walter Ulbricht – dem späteren Staatsratsvorsitzenden – bestimmt. Sie waren aus dem sowjetischen Exil in das zerstörte Deutschland mit der Auflage zurückgekehrt, die Besatzungsmacht bei der Neuorganisation des öffentlichen Lebens zu unterstützen und ein staatliches System mit seinen Institutionen nach deren Vorbild zu errichten. Die liberale Kulturpolitik der ersten Nachkriegsjahre – der notwendigen Rehabilitation der von den Nationalsozialisten verfemten Moderne geschuldet – täuschte zunächst darüber hinweg, dass seit 1945 zentralistisch geführte Organisationen zur Indoktrination der Kunst entstanden waren.
Die Institutionen
Volk - Kunst Wissenschaft geeint im Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands, Werbung. Oktober 1945. (© Bundesarchiv, Plak 100-050-001 / Grafiker: Därnke, John)
Bereits im Juni 1945 wurde in Berlin der "Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“ von der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) gegründet. Erster Präsident wurde der Schriftsteller Johannes R. Becher. Anfangs unabhängig und überparteilich geriet der Kulturbund Ende der 1940er Jahre in den Einflussbereich der 1946 aus der Zwangsvereinigung von KPD und SPD hervorgegangenen Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Bald darauf war er strukturell in Staat und Partei integriert, in den gewählten Leitungsgremien saßen auf allen Ebenen Parteikader der SED. Innerhalb des Kulturbundes organisierten sich Verbände und Fachgruppen, Interessen- und Arbeitsgemeinschaften, Gesellschaften und Fachausschüsse sowie Zentrale Kommissionen – unter anderen für Naturschutz, Heimatgeschichte, Denkmalpflege, bildende Kunst, Literatur, Musik, Film und Fernsehen usw. Darüber hinaus finanzierte der Kulturbund mit staatlichen Mitteln etwa 160 Klubs bzw. Klubhäuser und etwa 450 Galerien (bis 1989).
Am 2. September 1949 installierte die Deutsche Wirtschaftskommission (DWK) den Kulturfonds als weiteres Medium der Anpassung. Seine Aufgabe war die finanzielle Förderung ausschließlich der Künstler, die „ideologisch korrekte“ Werke schufen. Nach der Gründung der DDR 1949 wurde der Kulturfonds 1951 der Staatlichen Kommission für Kunstangelegenheiten unterstellt, die wiederum 1954 im Ministerium für Kultur aufging.
Nachdem bis Anfang der 1950er Jahre der private Antiquariats-, Antiquitäten- und Kunsthandel nahezu vollständig liquidiert worden war, begann das Ministerium für Kultur, einen staatlichen Kunsthandel aufzubauen. 1954 wurden alle kleinen Künstlerverbunde und Künstlergruppen zur Auflösung aufgefordert und in eine Berufsgenossenschaft, die sogenannte "Verkaufsgenossenschaften bildender Künstler“, überführt, um den privaten Handel mit Kunst im Inland zu kontrollieren. 1962 wurde die volkseigene Kunsthandelsorganisation "VEH Moderne Kunst“ registriert, fünf Jahre später aber wieder liquidiert. Unterdessen übernahm der hauptamtliche erste Sekretär der SED-Kreisleitung im Ministerium für Außenhandel Alexander Schalck-Golodkowski 1966 den Aufbau des Bereichs Kommerzielle Koordinierung (KoKo), der mit verdeckten Geschäften zur Devisenbeschaffung die Zahlungsfähigkeit der DDR sichern sollte. Formal zum Außenhandelsministerium gehörend war die KoKo durch Schalck-Golodkowski direkt mit Partei und Staatssicherheit verbunden. Unter seiner Ägide exportierte der neugegründete Tarnbetrieb "Volkseigene Handel Antiquitäten“ ab 1967 vor allem Kunstgegenstände ins Ausland. Auf Beschluss des Ministerrats wurde 1973 abermals ein "Volkseigener Handel Bildende Kunst und Antiquitäten“ eingerichtet und 1974 in "Staatlicher Kunsthandel“ umbenannt. Er unterstand ebenfalls dem Bereich Kommerzielle Koordinierung und besaß offiziell das Ausstellungs- und Verkaufsmonopol für zeitgenössische bildende Kunst im Ausland. Darüber hinaus spielte der Staatliche Kunsthandel eine entscheidende Rolle bei der Vermittlung zwischen Kunst und Öffentlichkeit im Inland: 1989 unterhielt er 40 Galerien in 26 Städten der DDR.
Am 24. März 1950 wurde die Deutsche Akademie der Künste zu Berlin gegründet. Sie sollte die kunstpolitischen Direktiven künstlerisch vermitteln. Da sie jedoch im Gegensatz zu allen anderen Institutionen von Künstlern dominiert blieb, entwickelte sie sich zum ständigen Widersacher normativer Stilvorstellungen in der Kunst der DDR. Die öffentlichen Grundsatzdebatten der frühen Jahre gingen in der Regel auf von der Akademie initiierte und organisierte Ausstellungen zurück.
Volk - Kunst Wissenschaft geeint im Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands, Werbung. Oktober 1945. (© Bundesarchiv, Plak 100-050-001 / Grafiker: Därnke, John)
Das wichtigste Instrument zur Durchsetzung der sozialistischen Kulturpolitik im Bereich der bildenden Kunst war jedoch der Verband Bildender Künstler Deutschlands (VBKD) (ab 1969 VBK der DDR). Er konstituierte sich im Juni 1950 in Berlin auf dem vom Kulturbund einberufenen 1. Kongress der bildenden Künstler der DDR. Im Zuge der territorialen Neugliederung des Landes in Bezirke bildeten sich 1952 Bezirksverbände, die sich ebenso wie der Zentralvorstand in Sektionen gliederten (Malerei und Grafik, Plastik, Karikatur, Formgestaltung, Kunstwissenschaft). Auf den etwa alle vier bis fünf Jahre stattfindenden Verbandskongressen wurde ein Zentralvorstand gewählt, der seinerseits über die personelle Besetzung des Präsidiums und des Sekretariats bestimmte. Der Präsident und der 1. Sekretär erhielten allerdings nur eine formale Bestätigung, über die Besetzung entschied allein die Partei. Die Bezirksebene des Verbandes mit Bezirksvorstand, Bezirkssekretariat und den jeweiligen Sektionen entsprach dieser Struktur.
Bundesarchiv, Plak 103-038-029 / Grafiker: Cortý (© Bundesarchiv, Plak 103-038-029 / Grafiker: Cortý )
Der Verband war zuständig für alle Belange seiner Mitglieder: Er besaß ein Mitspracherecht und oft genug die Entscheidungsbefugnis, was die Förderung und Vergabe von Stipendien und Preisen, die Verteilung öffentlicher Aufträge oder die Organisation von Ausstellungen betraf. Die zentralen "Deutschen Kunstausstellungen“ in Dresden, die sich zu den größten und wichtigsten offiziellen "Leistungsschauen“ der Kunst in der DDR entwickelten, entstanden unter seiner Regie.
Für die Künstler wiederum war eine Mitgliedschaft unerlässlich: Erst mit ihr waren sie berechtigt, überhaupt freischaffend zu arbeiten und einen vergünstigten Steuersatz in Anspruch zu nehmen; aber auch für die Möglichkeit, offiziell eigene Arbeiten in einer Galerie des Staatlichen Kunsthandels zu verkaufen oder öffentliche Aufträge zu erhalten, war die Aufnahme in den Verband notwendige Voraussetzung. Sie wiederum war in der Regel abhängig von der Absolvierung eines Diplomstudienganges an einer der künstlerischen Hochschulen des Landes.
1973 wurden im Gefolge des VIII. Parteitages vom Politbüro des ZK der SED und dem Ministerrat "Maßnahmen zur Entwicklung der Lebens- und Schaffensbedingungen der Schriftsteller und Künstler“ beschlossen. Eingebunden waren die Künstlerverbände, das Ministerium für Kultur und die Räte der Bezirke (Bezirksverwaltungsbehörden der damaligen Bezirke) mit ihrer jeweiligen Abteilung Kultur. Letzteren oblag zumeist die organisatorische Vermittlung der angeordneten "Maßnahmen“, zum Beispiel die Bereitstellung von Wohn- und Arbeitsräumen, die Finanzierung von Studienreisen, Stipendien und Förderungsverträgen, die Versorgung mit Kinderkrippen- und Kindergartenplätzen ebenso wie mit nicht im Handel erhältlichem Arbeitsmaterial. Eine "Anordnung über den Einsatz von Absolventen der Hochschulen für bildende Kunst und die weitere umfassende Förderung junger Künstler“ sah vor, die Künstler im Anschluss an ihre Ausbildung auf das Gebiet der DDR zu "verteilen“ und ihnen "Förderungsverträge“ mit einer staatlichen Institution oder einem Betrieb anzubieten. Die Mittel wurden aus dem bereits erwähnten Kulturfonds bzw. dem Staatshaushalt zur Verfügung gestellt.
Dieses System umfassender Versorgung und Kontrolle dürfte einer der wesentlichsten Gründe dafür gewesen sein, dass bildende Künstler, die ihr Wirken ausdrücklich politisch begriffen oder sich politisch engagierten, eher die Ausnahme blieben.
Die Kulturpolitik
Zentraler Bezugspunkt der Debatten um die Kulturpolitik der DDR war die Kunst der Moderne. Viele der deutschen (linken) Künstler, die nach 1945 gebraucht wurden, um die Ämter der neuen kulturellen Institutionen auszufüllen – wie Johannes R. Becher als Präsident des Kulturbundes –, hielten trotz der geforderten Parteidisziplin aus künstlerischer Überzeugung an den Traditionen der Moderne fest. Der Sozialistische Realismus stalinistischer Prägung bedeutete für sie die stilistische Fortsetzung der Staatskunst des Nationalsozialismus und deshalb einen unannehmbaren künstlerischen Rückschritt.
Vor dem Hintergrund des beginnenden Kalten Krieges initiierten sowjetische Kulturoffiziere der Militärverwaltung und Parteifunktionäre der SED den kulturpolitischen Kampf gegen den „Formalismus“ in der Kunst und für die Etablierung des Sozialistischen Realismus. Dabei diente das sowjetische Dogma der künstlerischen Moderne, die bereits den Impressionismus als "dekadent“ deklarierte, als Vorlage, um von der Kunst die Hinwendung zu Volksverbundenheit, Fortschrittsgläubigkeit und parteilicher Wirklichkeitsnähe zu verlangen. Am 20. Januar 1951 veröffentlichte ein Autorenkollektiv um den späteren Hochkommissar der UdSSR in Deutschland Wladimir Semjonowitsch Semjonow unter dem Pseudonym N. Orlow in der Täglichen Rundschau den Artikel "Wege und Irrwege der modernen Kunst“. Er wendete sich gegen die Vorherrschaft der "antidemokratische[n] Richtung der Modernisten, Formalisten, Subjektivisten“ und ihren Versuch, "die deutsche Arbeiterklasse, die werktätigen Bauern und die Intelligenz auf dem Gebiet der Kunst wehrlos zu machen, die demokratische Kunst zu liquidieren und sie vom richtigen Weg abzubringen“. Auf diesen Artikel bezog sich der offizielle Beschluss des 5. Plenums des Zentralkomitees (ZK) der SED vom März 1951, der „formalistischen“ Freiheit der Kunst ein Ende zu setzen. Ziel der Angriffe war es nicht nur, der Kunst "die Marschrichtung des politischen Kampfes“ vorzugeben (Otto Grotewohl), sondern sie von den zeitgenössischen Kunstentwicklungen im Westen abzugrenzen und zu verhindern, dass Künstler dort wieder anknüpften, wo der Nationalsozialismus die Kunst diskreditiert hatte: bei einem subjektiven Begriff der Form.
Der Bitterfelder Weg, so genannt nach zwei Kulturkonferenzen 1959 und 1964 im "Elektrochemischen Kombinat Bitterfeld“, markierte ein neues Stadium in diesem Kampf um die sozialistisch-realistische Malerei. Als kulturpolitisch verbindliches Programm wurde formuliert, dass die kulturelle und künstlerische "Selbsttätigkeit“ der "Arbeiterklasse“ innerhalb betrieblicher Kulturpläne zu aktivieren und das Interesse der Künstler gezielt auf die Gestaltung von Gegenwartsproblemen, vor allem denen der Arbeitswelt, zu lenken sei. Die Hauptaufgabe der bildenden Künstler sollte darin bestehen, "Kunstwerke nach der Methode des sozialistischen Realismus zu schaffen, die in aller Vielfalt der Thematik [...] das neue Leben und das Antlitz der neuen sozialistischen Menschen gestalten“. In diesem Sinne wurde ein System von Maßnahmen verfügt.
Das 11. Plenum des ZK der SED im Dezember 1965 rückte die Konflikte um die sozialistische Kunst erneut in den Blick. Im Zentrum der Kritik standen diesmal Schriftsteller, Musiker, Film- und Theaterregisseure, denen politische Unruhestiftung, destruktive Einstellungen und pornografische Ästhetik und damit eine negative Einflussnahme auf die Jugend vorgeworfen wurde. In der Folge wurden zahlreiche Filme und Theaterstücke mit einem Aufführungsverbot belegt, Bücher erhielten keine Druckgenehmigungen mehr und die "Beat-Bewegung“ (Walter Ulbricht) wurde für illegal erklärt.
Die bildenden Künstler und Kunsthistoriker hatte man bereits im Vorfeld zur Rechenschaft gezogen: So wurde Bernhard Heisig nach seiner Rede auf dem 5. Verbandskongress 1964, in der er sich gegen die Bevormundung der Künstler wandte und die Akzeptanz moderner künstlerischer Gestaltungsmittel einforderte, als Rektor der Leipziger Kunsthochschule abberufen. Der Bildhauer Fritz Cremer drängte in seiner Rede auf demselben Kongress zur Entstalinisierung des gesamten Kunstsystems. Er mahnte zur "Abschaffung des dogmatischen Teufels“ und einer „Theorie der Dummheit“, denn Kunst solle den Menschen "zum Denken veranlassen“. Volkstümliche Kunst sei dafür nicht zu gebrauchen. Der Künstler konnte nicht mehr abgestraft werden, da er bereits nach den Auseinandersetzungen um die Galerie Konkret und die von ihm organisierte Ausstellung "Junge Künstler“ in der Akademie der Künste im Herbst 1961 zum Rücktritt von seinem Posten als Sekretär der Sektion Bildende Kunst genötigt worden war. Der leitende Redakteur der Zeitschrift "Bildende Kunst“ Siegfried Heinz Begenau und der Kunsthistoriker und Redakteur des "Lexikons der Kunst“ Günter Feist wurden dagegen entlassen, nachdem Feist in zwei Artikeln für die Zeitschrift den Realismus nicht als Stilmittel, sondern als "Sinnfälligmachen einer individuell erlebten, menschlich wesentlichen Wahrheit“ definiert hatte und sowohl das Impressive als auch das Konstruktive und das Expressive als subjektive gestalterische Möglichkeiten bezeichnete, die dem Realismus dienen könnten.
Die repressive Politik der Partei hatte jedoch nicht den gewünschten Erfolg. Alle Versuche, diese "revisionistischen“ Auffassungen von den neuen Sehweisen der Moderne zu diskreditieren und den eigenen Realismusbegriff durchzusetzen, scheiterten. Die von einigen Kunsthistorikern und Künstlern unbeirrt geführte Auseinandersetzung mit dem historischen Expressionismus – der schon in der Formalismusdebatte stellvertretend für alle fortschrittlichen Kunstbewegungen des frühen 20. Jahrhunderts gestanden hatte – führte schließlich auch im offiziellen Kunstdiskurs dazu, dass "Expressivität im Realismus“ (Ulrich Kuhirt) der zeitgenössischen Kunst in der DDR anerkannt wurde. Expressivität, Montage, Allegorie und Symbol stellten etwa seit Mitte der 1960er Jahre eine legitime "Gestaltungsweise“ des Sozialistischen Realismus dar. Der typische Vorwurf, der Expressionismus sei lediglich Ausdruck einer nur subjektiven Emotionalität, sollte jedoch die Kunstdebatten bis in die 1980er Jahre begleiten. Nicht zufällig wurde damals ein "neuer Expressionismus“ mit selbstbestimmten künstlerischen Arbeitsweisen in Verbindung gebracht.
Das Schlusswort Erich Honeckers auf der 4. Tagung des ZK der SED im Dezember 1971 – in dem er jegliche Tabus in "Fragen der inhaltlichen Gestaltung als auch des Stils“ verwarf, sofern die "feste Position des Sozialismus“ der Ausgangspunkt sei – schien die Bestätigung dieser Liberalisierungstendenzen zu sein. Der Widerspruch zwischen "Bedürfnissen“ und "Möglichkeiten“, behaupteter gesellschaftlichen Interessenidentität und individueller Nachfrage löste sich auf in der Interpretation der Wirklichkeit als "real existierender Sozialismus“. Die VII. Kunstausstellung der DDR 1972/73 in Dresden präsentierte die ausgerufene "Weite und Vielfalt“ auch künstlerisch.
Ob man die Entwicklung als nachträgliche Billigung ohnehin bereits fortgeschrittener Differenzierungsprozesse künstlerischer Ausdrucksformen versteht oder als Aufforderung zum "Aufbruch zu neuen Ufern“, der "Abweichungen“ solcher Art unweigerlich nach sich zog, ist eine Frage der Interpretation. In jedem Fall war die Zwangsexilierung Wolf Biermanns im November 1976 das Ende jeglicher Illusionen. Das alte Feindbild vom "Kulturschaffenden“, der die DDR "unterwandert“ und "zersetzt“, wurde aktualisiert, um die Kontrolle durch die staatlichen Leitungen und die Partei erneut zu verschärfen. Zur Überwachung und Verhinderung einer möglichen "inneren Opposition“ wurde eigens eine neue Abteilung im Ministerium für Staatssicherheit eingerichtet. Im Gefolge verließen bekanntlich zahlreiche Schriftsteller, Schauspieler, Regisseure, Musiker und bildende Künstler das Land.
Bis zum Ende der DDR waren die Ausreise – die nur allzu oft die letzte Möglichkeit blieb, der Perspektivlosigkeit des beruflichen und gesellschaftlichen Wirkens zu entkommen – und die Ausbürgerung die effektivsten Mittel, die Auflehnung gegen die Vorherrschaft von Partei und Staat in allen Lebensbereichen zu brechen. Zugleich verlor die Kulturpolitik unter Honecker ihren dominierenden Einfluss, weil sie es nicht verstand, die ideologischen Richtlinien in ein Programm zu transformieren, das die folgende Künstlergeneration auch erreichte. Im Ergebnis beschleunigte sich die damals schon begonnene Aufspaltung der DDR-Kultur in eine repräsentative Staatskultur und ihre Alternative, die sich entweder für kritische Reformorientierung, politische Opposition oder ignorierende Abwendung entschied.
Bundesarchiv, Plak 103-038-029 / Grafiker: Cortý (© Bundesarchiv, Plak 103-038-029 / Grafiker: Cortý )
Zu ihnen zählen beispielsweise der Maler und Schriftsteller Roger Loewig, der Bildhauer Hans Scheib, die Schriftsteller, Künstlerin und Galeristin Gabriele Kachold und die Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley. Der Autodidakt Roger Loewig wurde 1963 nach einer ersten Ausstellung verhaftet und wegen "staatsgefährdender Hetze und Propaganda in schwerwiegendem Falle“ verurteilt. 1972 reiste er nach Westberlin aus. Hans Scheib initiierte nicht nur zwei private Ausstellungsräume in Berlin-Prenzlauer Berg, sondern beteiligte sich auch an politischen Aktionen wie dem Protest gegen den Abriss der Gasometer des Stadtbezirks und der Neugründung eines alternativen Künstlerverbandes. Er siedelte 1985 mit seiner Frau nach Westberlin über. Gabriele Stötzer (Kachold) nahm die Staatssicherheit bei der Überbringung einer Unterschriftenliste gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns fest. Sie wurde wegen "Staatsverleumdung“ zu einem Jahr Haft verurteilt. Die Malerin Bärbel Bohley, 1979 in die Sektionsleitung Malerei und den Bezirksvorstand des VBK gewählt, gründete 1982 die unabhängige Initiativgruppe "Frauen für den Frieden“ , woraufhin sie aus dem Bezirksvorstand ausgeschlossen und wegen angeblicher "landesverräterischer Nachrichtenübermittlung“ in Untersuchungshaft geriet. 1988 wurde sie erneut verhaftet und direkt in die Bundesrepublik ausgewiesen, kehrte jedoch im August desselben Jahres wieder zurück. Bekannt wurde sie als Mitbegründerin des Neuen Forums.
Zur Auseinandersetzung mit der Kunst der Moderne in Kunst und Kunstwissenschaft der DDR sind eine Reihe von hervorragenden Dissertationen erschienen. Vgl. Ulrike Niederhofer: Die Auseinandersetzung mit dem Expressionismus in der Bildenden Kunst im Wandel der politischen Realität der SBZ und der DDR 1945–1989. Frankfurt am Main 1996; Ulrike Goeschen: Vom sozialistischen Realismus zur Kunst im Sozialismus. Die Rezeption der Moderne in Kunst und Kunstwissenschaft der DDR. Berlin 2001; Maike Steinkamp: Das unerwünschte Erbe. Die Rezeption "entarteter“ Kunst in Kunstkritik, Ausstellungen und Museen der SBZ und frühen DDR. Berlin 2008.
Viele der für die unabhängige Ausstellungskultur wichtigen Protagonisten verließen nach 1976 das Land: Der Berliner Galerist Jürgen Schweinebraden (1980), die Dresdner Künstler A.R. Penck (1980) und Peter Herrmann (1984), die jüngeren Ralf Kerbach (1982), Helge Leiberg (1984), Hans Scheib (1985), Christine Schlegel (1986), Cornelia Schleime (1984) und Reinhard Stangl (1980), die Leipziger Künstler Lutz Dammbeck, Günter Firit, Hans Hendrik Grimmling und Hans J. Schulze (1986), der Karl-Marx-Städter Wolfram A. Scheffler (1986), der Galerist der dortigen Galerie Oben Gunnar Barthel (1987), die Magdeburger Galeristen Ingrid und Dietrich Bahß (1983). Allein 1984 reisten insgesamt 58 bildende Künstler aus, einigen wie Carl Friedrich Claus wurde die Ausreise nahegelegt. Werner Schmidt benennt in seinem Katalog „Ausgebürgert. Künstler aus der DDR und aus dem Sowjetischen Sektor Berlins“ (Berlin 1990) insgesamt 665 ausgereiste bildende Künstler.
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0 | Leider war jetzt gerade Ebbe, und die Barre zu seicht, mit dem ziemlich
schwer geladenen Fahrzeuge den Übergang zu riskiren. Der »Capitain«
kannte auch vielleicht nicht einmal den Canal der Einfahrt genau, und
zog es vor, unter dem Schutze der südlich vorspringenden Landzunge,
unter welcher er in fast ruhigem Wasser lag, vor Anker zu bleiben. Damit
versäumte er aber auch die ganze Nacht und die nächste Fluth, und da die
zweitnächste erst wieder Morgens zehn Uhr eintrat, und Günther unter
keiner Bedingung noch eine Nacht an Bord bleiben wollte, so beschloß er,
sich an Land setzen zu lassen. | 614 |
0 | Der Entstehungsweise entsprechend, bildet diese sandige Unterlage für
Meilen hin kleine, seichte, wiesenbedeckte Parallelthälchen und
bebuschte Erhebungen, die letzteren etwa 30-50 Fuß über der
Meeresfläche, die Thälchen 10-20 Fuß tief, 100-900 Schritte lang.
Namentlich reich an Vegetation ist das westliche Ufer, d.h. jenes vom
Leuchthaus nach Westen zu, an dem auch mehrere Farmhäuser liegen und
unzählige Quellen zu dem hier eine einzige, zerrissene Felsenklippe
bildenden Meeresufer hinabrieseln. Die Sümpfe sind hier mit zahlreichen,
den Moorboden liebenden Gewächsen überwuchert, farbenprächtige Blumen
und mehrere Schilfrohrarten säumen die offenen Tümpel ein; diese Sümpfe
bedecken die Abhänge zum Meere, während die niedrigen, oben abgeflachten
Höhen in seichten doch breiten Thälern hier mit unzähligen, oft kaum
wahrnehmbaren, dort bis vier Fuß hohen buschartigen Erica-Arten
überreich bedeckt sind; einem Botaniker geht das Herz über, wenn er so
in diesen Schätzen nach Muße schwelgen kann. Diese Erica-Arten zeigen
nicht allein mannigfache Blüthenformen, sondern auch alle möglichen
Farben in den zarten Blüthen; weiß und grau meist die hohen
strauchförmigen, gelblich bis ockerfärbig die kleineren, doch auch roth
in allen Nüancen und violett bis zu noch dunkleren Tönen. | 615 |
1 | 20.02.2018 Der Europäische Gerichtshof kritisiert erneut die Abholzung des Białowieża-Urwalds in Nordostpolen. Der zuständige Generalanwalt weist die Rechtfertigung der polnischen Regierung zurück und kommt zu dem Schluss, dass Polen gegen Naturschutzziele für das unter besonderem Schutz stehende Gebiet verstoße. Polen hatte als Grund für die Rodungen Borkenkäferbefall angegeben. Das Gerichtsurteil wird in einigen Wochen erwartet. 21.02.2018 Arkadiusz Mularczyk, Abgeordneter von Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) und zuständig für die Angelegenheit möglicher Reparationsforderungen an Deutschland wegen begangener Verbrechen während des Zweiten Weltkriegs, spricht sich dafür aus, dem Thema ein internationales Forum zu geben. Er kündigt dazu eine Konferenz an, die von den polnischen Abgeordneten der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer im Europäischen Parlament durchgeführt werden wird. 22.02.2018 Ministerpräsident Mateusz Morawiecki trifft sich in Brüssel mit dem Vizepräsidenten der Europäischen Kommission, Frans Timmermans. Thematisiert wird die Justizreform in Polen, infolge deren die Europäische Kommission ein Stimmrechtsentzugsverfahren nach Artikel 7 gegen Polen eingeleitet hat. 23.02.2018 Ministerpräsident Mateusz Morawiecki zeigt sich am Rande des informellen EU-Gipfels zufrieden mit dem Gespräch am Vortag mit Frans Timmermans, Vizepräsident der Europäischen Kommission, über die Justizreform in Polen. Sein Eindruck sei, dass Timmermans immer besser verstehe, warum die polnische RegierungVeränderungen im Justizwesen eingeführt habe. Bis zu einem Treffen mit Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker Anfang März werde Polen ein Weißbuch zu der Kritik der Europäischen Kommission an der Justizreform in Polen erstellen, kündigt Morawiecki an. 24.02.2018 Der Parteivorsitzende der Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO), Grzegorz Schetyna, kritisiert auf dem Parteitag des PO-Landesrats (Krajowa Rada), dass die PiS-Regierung Polen außenpolitisch isoliert habe. Die Beziehungen zur EU, den USA, Israel und der Ukraine steckten in einer Krise. Ohne Verbündete habe Polenauch keine Unterstützung für seine Staatsräson gegenüber Russland. Bis zu den Selbstverwaltungswahlen im Herbst habe die PO die Aufgabe, die Regierungstätigkeit zu bewerten und die Folgen der Fehler der PiS einzudämmen. Daher habe die PO einen eigenen Gesetzesvorschlag für die umstrittene, imJanuar verabschiedete Novelle zum IPN-Gesetz im Sejm eingereicht. 24.02.2018 Das Justizministerium teilt mit, dass die Anfang Februar unterzeichnete Gesetzesnovelleüber das Institut des Nationalen Gedenkens, Kommission für die Verfolgung von Verbrechen gegen die Polnische Nation (Instytut Pamięci Narodowej, Komisja Ścigania Zbrodni przeciwko Narodowi Polskiemu), rechtsgültig ist und zum 1. März in Kraft treten wird. Infolge der heftigen Kritik aus dem In- und Ausland hatte Präsident Andrzej Duda das IPN-Gesetz nach der Unterzeichnung an das Verfassungstribunal weitergeleitet. In den Medien war daraufhin von einer einstweiligen Aussetzung des Gesetzes die Rede. 26.02.2018 Ministerpräsident Mateusz Morawiecki trifft sich mit Vertretern der Polnischen Gesellschaft der Gerechten unter den Nationen der Welt (Polskie Towarzystwo Sprawiedliwych Wśród Narodów Świata). In seiner Ansprache hebt er hervor, dass es ein Zeichen höchster Menschlichkeit gewesen war, in der Zeit des Nationalsozialismus jüdische Mitbürger zu schützen und zu retten. 50 Vertreter der Gesellschaft haben vorher einen Appell an die Regierungen und Parlamente Polens und Israels gerichtet, auf den Weg des Dialogs und der Versöhnung zurückzukehren. Hintergrund ist der Streit zwischen Israel und Poleninfolge des umstrittenen IPN-Gesetzes, das im März in Polen in Kraft treten soll. 27.02.2018 Die Minister für europäische Angelegenheiten der EU-Mitgliedsstaaten diskutieren in Brüssel den Fall Polens, gegen das die Europäische Kommission ein Stimmrechtsentzugsverfahren nach Artikel 7 infolge der Justizreform in Polen eingeleitet hat. Der Vizepräsident der Europäischen Kommission, Frans Timmermans,lobt die Wiederaufnahme des Dialogs mit Polen nach dem Wechsel im Amt des polnischen Ministerpräsidenten. Nun müsse der Dialog auch Resultate zeigen. Konrad Szymański, stellvertretender Außenminister Polens, betont, Polen und die EU verträten die gleichen Werte. Warschau erwarte eine unparteiische Bewertung der Situation vonseiten der EU-Staaten. Die gemeinsame Stellungnahme Deutschlands und Frankreichs unterstreicht, dass die Justizreform in Polen keine innenpolitische Angelegenheit sei, sondern wesentlich die EU betreffe und daher geklärt werden müsse. 27.02.2018 Grzegorz Schetyna, Parteivorsitzender der Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO), spricht sich dagegen aus, Auszahlungen aus dem künftigen EU-Haushalt davon abhängig zu machen, ob die Standards der Rechtsstaatlichkeit in Polen sowie der europäischen Solidarität in der Flüchtlingspolitik eingehalten werden. Sollte Polen infolgeder schlechten Politik der aktuellen Regierung weniger Geld aus EU-Mitteln erhalten, wäre dies ein Verlust für seine Bürger. Eine solche Neuausrichtung der Mittelvergabe würde Populisten veranlassen, gegen die EU zu argumentieren. Außerdem müsse die EU nicht nur als Geldgeber, sondern als Wertegemeinschaft wahrgenommen werden. 28.02.2018 Im Europäischen Parlament findet eine Debatte über die Lage der Rechtsstaatlichkeit in Polen und die Einleitung des Verfahrens zum Stimmrechtsentzug nach Artikel 7 des EU-Vertrags statt. Der Vizepräsident der Europäischen Kommission, Frans Timmermans, betont die Bedeutung der Rechtsstaatlichkeit für das Funktionieren der Europäischen Union. Sie sei die Bedingung für den Schutz aller weiteren grundlegenden Prinzipien sowie für die Einhaltung aller Rechte und Verpflichtungen aus den Verträgen und notwendig für das gegenseitige Vertrauen in der EU. Die Europäische Kommission versage keinem EU-Staat das Recht auf Reformierung des Justizwesens, doch dürfe eine Reform nicht die politische Aufsicht und Kontrolle über die Justiz zur Folge haben, die unabhängig sein müsse. 01.03.2018 Das Europaparlament unterstützt mit 422 Stimmen bei 147 Gegenstimmen und 48 Enthaltungen die Einleitung eines Verfahrens zum Stimmrechtsentzug nach Artikel 7 des EU-Vertrags gegenüber Polen. 01.03.2018 Auf einer Pressekonferenz teilt Andrzej Halicki, Abgeordneter der Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO) und Mitglied der polnisch-israelischen Parlamentariergruppe mit, dass die Politiker der Oppositionsparteien die Gruppe verlassen. Die polnisch-israelische Parlamentariergruppe sei vor zwei Tagen auf einer Sitzung von Abgeordneten von Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) entgegen der Regularien übernommen und der Vorsitzende Michał Szczerba (PO) durch den PiS-Abgeordneten Jan Krzysztof Ardanowski ersetzt worden. Szczerba küdigt an, dass die Oppositionspolitiker den polnisch-israelischen und polnisch-jüdischen Dialog unddie Zusammenarbeit in anderer Form entschieden fortführen werden. 02.03.2018 Vizeaußenminister Bartosz Cichocki äußert sich positiv über das Treffen am Vortag in Jerusalem zwischen der polnischen "Gruppe für den juristisch-historischen Dialog mit Israel" und der israelischen Seite. Das Gespräch sei eine Gelegenheit gewesen, bestimmte Begrifflichkeiten und die praktische Anwendung des IPN-Gesetzes zu erörtern. Die polnische Seite habe Israel auf die Unzulässigkeit vieler Formulierungen hingewiesen, die Vorurteile, Aggressionen und Unverständnis gegenüber Polen zum Ausdruck brächten. Der bilaterale Dialog werde fortgesetzt. Cichocki ist Chef der polnischen Delegation. Das polnisch-israelische Gesprächsformat wurde ins Leben gerufen, da das seit März geltende Gesetz über das Institut des Nationalen Gedenkens, Kommission für die Verfolgung von Verbrechen gegen die Polnische Nation (Instytut Pamięci Narodowej, Komisja Ścigania Zbrodni przeciwko Narodowi Polskiemu) von Israel scharf kritisiert wurde. 03.03.2018 Krzysztof Szczerski, Leiter der Präsidialkanzlei, stellt in einem Radiointerview fest, dass die EU widersprüchliche Signale gegenüber Polen gibt. Hintergrund ist die Abstimmung des Europäischen Parlaments vor zwei Tagen. Einerseits spreche sich die Europäische Kommission für den Dialog mit Polen aus, andererseits verschärfe das Europäische Parlament den Streit, indem es die Einleitung des Verfahrens zum Stimmrechtsentzug nach Artikel 7 des EU-Vertrags durch die Europäische Kommission unterstützt. Eine tragende "antipolnische" Rolle würden insbesondere einige Parlamentarierinnen der Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO) in der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) spielen. 05.03.2018 Ministerpräsident Mateusz Morawiecki kündigt einen Bürokratieabbau in der Regierung an. Von den derzeit 126 Posten der Minister und ihrer Stellvertreter sowie der Staatssekretäre und Unterstaatssekretäre sollen in den kommenden zwei bis drei Monaten 20–25 % abgebaut werden. Sie können die gesamte Chronik seit 2007 auch auf http://www.laender-analysen.de/polen/ unter dem Link "Chronik" lesen. | 616 |
0 | Darum gehört zum Humor solche ungemessene Dosis Phantasie, weil diese
Himmelsgöttin ja auf dem schmalen Pfade der Ideen ebenso sicher wandelt
wie auf der Heerstraße der Trivialitäten. An einer absolut realen Sache,
an einer allgemein gültigen Wahrheit schnell ihre Unzulänglichkeit in
kühner Verallgemeinerung nachzuweisen, dazu gehört ebenso Phantasie wie
dazu, eine gespreizte Idealität im Handumdrehen vor den verzerrenden
Spiegel der Realität zu stellen. Der Humor wirft der Idealität einen
Knüppel von realem Holz zwischen die Beine, sie muß stolpern und damit
die Menschlichkeit ihres Beinwerkes selbst widerwillig erweisen. Das
Ideal steht auf einem Faß mit dünnem Deckel: ein leiser Fußtritt der
Realität, und der Götze liegt im Waschfaß. Die Idee ist eine
Seifenblase: ein Sandkorn Wahrheit läßt sie platzen. Warum tat sie auch
so schön und erhaben, dies blutleere, zimperliche Ding! Aber auch das
noch so Reale, Handgreifliche steht auf schwachen Füßen gegenüber
der Kühnheit von Philosophen wie Kant oder Nietzsche, die
unsere Wahrnehmungen schon als eine Halluzination und unsere
Diesseitsgültigkeit in Jenseitsnebel aufzulösen vermögen. Der echte
Humorist ist immer interessant, weil immer unberechenbar. Nur der kann
Humor empfinden oder erregen, der imstande ist, dies doppelte Gesicht
gleichzeitig zu haben oder zu verleihen; der Humorist verborgt Brillen
mit einem ideellen und einem realen Glase. Die einseitige, durch
Vorurteil und Sonderinteresse kaptivierte, stets logische und nur
vernünftige Betrachtungsweise der Welt ist die des Philisters; sie ist
langweilig und automatenhaft. Humor ist eine Gabe, die angeboren sein
muß, weil eine Doppelfunktion der Seele ihm zugehört. Die phantasievolle
Anschauungsweise der Vollmenschen ist vielseitig und mit Humor getränkt.
Die Vernunft an sich und die Weisheit ist aus Stein oder Erz, Blut und
Leben pulst der Humor erst in ihre starren Züge. Der geistvolle Narr und
der lachende, weinselige Weise haben mehr Erkenntnis in die Welt
gebracht als alle Schulphilosophen zusammen genommen. Sie sind ja doch
nie wirklich zu vereinigen, diese beiden Wagschalen des Lebens, das
Reale und das Ideale, nur an den schwanken Hebelarmen der Phantasie
lassen sie das Leben wägen und seinen wahren Wert bestimmen. Und welche
Quelle rein physischen Gesundheitsgefühles liegt in der Freude aus
Herzensgrund! Ich halte die Komödie direkt für hygienischer als die
Tragödie. Jene entlädt mein Gehirn von Sorgenwust und Tagesplage, diese
fügt zum Problem meines eigenen Lebens noch das des fremden Geschickes.
Gerade in diesem herrlichen Gefühl erhöhter Lebenslust beim Lachen liegt
übrigens ein Hinweis auf die atavistische, früher um Lebensbejahung und
-verneinung rotierende Bedeutung des Lachens. Von jeher sind die Bahnen,
auf denen sich das Gelächter auslöst, assoziiert mit dem positiven
Gefühl gesteigerter und vermehrter Lebensfreude. | 617 |
0 | Ich wurde wieder gesund und ging meinem gewöhnlichen Leben und
häuslichen Gewohnheiten nach, ich kam zum Essen; oben am Tisch saß die
brave Donna Michela, die Brüste hingen heraus, das Haar baumelte ihr bis
auf die Nase, die Hände waren dreckig und schwarz, das Kleid schmierig
und zwei Rotzlichter flossen ihr aus der Nase; ihre halbverhungerten
Kinder waren auch da, mit ihren Köpfen voller Patz und Läuse, ihren
Rotznasen und Triefaugen; gierig schmatzend schlangen sie den elenden
Fraß hinunter. | 618 |
0 | DFB-Spitze redet mit Rüttenauer: Wovor hat Wolfgang Niersbach Angst?
DFB-Funktionäre suchen am Freitag das Gespräch mit Andreas Rüttenauer. Nur Mitbewerber Wolfgang Niersbach weigert sich und flieht durch die Hintertür.
Präsidentschaftskandidat Andreas Rüttenauer (links) erhält Zuspruch von einem Eintracht-Frankfurt-Fan. Bild: Bernd Hartung
FRANKFURT taz | Mit seiner Aktion "Occupy DFB!" vor der Zentrale des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) in Frankfurt ist Präsidentschaftskandidat Andreas Rüttenauer auf viel positive Resonanz gestoßen. Der scheidende Amtsinhaber Theo Zwanziger, dessen Vorgänger Gerhard Mayer-Vorfelder, DFB-Vorstandsmitglied Harald Strutz, die Liga-Vertreter Christian Seifert und Peter Peters sowie Sportdirektorin Steffi Jones reagierten am Freitag mit Wohlwollen auf seine Aktion.
Außerdem bekundeten sie ihr Interesse an Rütternauers "Manifest 2020", in dem dieser für eine Demokratie und Transparenz im größten Sportverband der Welt wirbt. Beoabchter sahen dies als Zeichen dafür, dass die DFB-Spitze auf Distanz zu ihrem eigenen Kandidaten, den bisherigen Generalsekretär Wolfgang Niersbach, geht.
Niersbach selbst vermied jedes Zusammentreffen mit Rüttenauer. Die DFB-Zentrale verließ er so, wie er sie am Morgen betreten hatte: heimlich durch die Hintertür. "Meine Anwesenheit hier war ein Gesprächsangebot an Herrn Niersbach. Er hat es nicht angenommen", kommentierte Rüttenauer am Abend. Doch die "Tür zu Gesprächen" bleibe weiter offen: "Ein öffentlicher Austausch der Argumente würde dem Wahlkampf gut tun", sagte Rüttenauer und fügte hinzu: "Wovor hat Wolfgang Niersbach eigentlich Angst?"
Obwohl es zu keinem Treffen mit seinem Mitbewerber kam, bewertete Rüttenauer die Aktion insgesamt als Erfolg: "Natürlich freut es mich, dass meine Ideen im Präsidium des DFB so freundlich aufgenommen wurden." Auch der spontane Zuspruch, den Rüttenauer am Freitag von Fußballfans erhielt, bestärke ihn.
Weniger erfreut zeigte er sich über die Pressemitteilung vom Freitagnachmittag, dass der bislang für Spielbetrieb, Trainerwesen und Talentförderungbislang zuständige DFB-Direktor Helmut Sandrock neuer Generalsekretär werden soll: "Ich kenne Herrn Sandrock nicht und möchte nicht über seine Person urteilen. Aber wie schon beim Amt des Präsidenten fasst ein kleiner Kreis von Funktionären hinter verschlossenen Türen Beschlüsse, ohne dass die Öffentlichkeit, die 6,5 Millionen Verbandsmitglieder und die Fans die Möglichkeit haben, sich eine eigene Meinung zu bilden", sagte Rüttenauer. (dzy) | 619 |
1 | Google weiter in der Kritik: "Monopolähnliche Ansätze"
Die innenpolitische Sprecherin der FDP erachtet Google als Fall für das Kartellamt. Kritik äußert auch der Bundesdatenschutzbeauftragte.
Monopolist Google? Bild: ap
BERLIN taz | Gisela Piltz, innenpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, hat schon vor Monaten einen Einspruch an Google geschickt, sodass ihr Wohnhaus beim Straßenbilderdienst Street View nicht zu sehen sein wird. Dabei stellt der Dienst "für sich genommen kein unlösbares Datenschutzproblem dar", findet Piltz. "Kritisch wird die ungestüme Datensammelei einzelner Unternehmen dort, wo Daten zum Zwecke personalisierter Werbung aus unterschiedlichen Quellen im Hintergrund zusammengeführt und Profile der Betroffenen erstellt werden", sagte sie der taz.
Aus diesem Grund fordert auch der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar, Firmen zu verbieten, solche Persönlichkeitsprofile zu erstellen. Piltz geht noch weiter. "Die marktbeherrschende Stellung von Google zeigt geradezu monopolähnliche Ansätze", sagte sie. "Ein Sachverhalt, mit dem sich nicht nur Datenschützer, sondern womöglich auch das Kartellamt befassen sollte."
Google betreibt neben seiner Suchmaschine auch Geodienste wie "Street View" und "Google Earth". Dazu kommen die Videoplattform "YouTube", das Handybetriebssystem "Android", das soziale Netzwerk "Buzz" oder der Fotodienst "Picasa", der inzwischen eine integrierte Gesichterkennung hat. Sein Geld verdient das US-Unternehmen vor allem mit Internetwerbung. 2009 erzielte Google einen Gewinn von 6,5 Milliarden Dollar.
Seit Google letzte Woche ankündigte, noch in diesem Jahr seinen Straßenbilderdienst Street View auch in 20 deutschen Städten zu starten, tobt eine heftige Debatte um das Unternehmen. Am Donnerstag verlängerte Google Deutschland seine Widerspruchsfrist um vier Wochen. Wer nicht will, dass zum Start von Street View sein Haus im Netz zu sehen sein wird, kann sich bis zum 15. Oktober an Google wenden. Das Unternehmen versprach, Name und Adresse, die man dafür angeben muss, ausschließlich für den Zweck des Widerspruchs zu verwenden. | 620 |
1 | Tschechische Solidarität im Ukrainekrieg: Gelebte Verbundenheit
In Tschechien leben viele UkrainerInnen. Einige wollen nun in den Krieg ziehen – andere ihre Verwandten davor schützen.
Demonstrierende in Prag zeigen sich solidarisch mit der Ukraine Foto: CTK
CHELM taz | „Die Ukraine könnte mal wieder ihren Rasen mähen“, brummt Vasyl. Sein Blick ruht auf einem halb-überfluteten Feld irgendwo zwischen Chelm und Wolodymyr, zwischen Polen und der Ukraine. „Zwischen Krieg und Frieden“, meint Vasyl Artymovych und zeigt auf einen schwarz-weißen Grenzposten: „Wo ich stehe, ist Frieden und hinter dem Poller herrscht Krieg.“
Sein Heimatort liege „nicht weit dahinten“, sagt Artymovych und winkt mit der Hand auf den weiten, dunklen Wald, der sich hinter dem überfluteten Feld auf der ukrainischen Seite erstreckt. Über ihm brechen gerade erste zaghafte Sonnenstahlen durch den frühen ersten Märzmorgen. Die ganze Nacht ist Artymovych durchgefahren, vom tschechischen Nachod in Ostböhmen über Warschau und Lodz, bis an die polnisch-ukrainische Grenze. Kurz nach Morgengrauen steht er kurz vor Volodymyr und ärgert sich über zu hohes Gras. Aber eigentlich ist er hier, um seine 18-jährige Nichte abzuholen, die noch bei der Oma in der Ukraine lebt und mit dem Bus an der Grenze ankommen soll.
Die Details organisiert er per Handy und mit stoischer Ruhe. „Es kann eine Stunde dauern oder auch fünfzehn“, hatte er noch am Abend gedacht. Der Morgen darauf bringt Klarheit: „Die Polen winken alles durch“, sagt Artymovych und freut sich
Das Fahren sei er gewöhnt und lange Strecken sowieso, erzählt Artymovych. Es komme immerhin öfters vor, dass er nach Italien fahre oder nach Rotterdam, um Material abzuholen. Als gelernter Schreiner ist Artymovych vor 15 Jahren nach Tschechien gekommen. Im ostböhmischen Kreisstädtchen Nachod, mit Blick auf das Riesengebirge und der Grenze zu Polen, hat er sich in der Nische zwischen Handwerk und Kunst eine kleine Firma aufgebaut. Neben originalgetreuen Replikafenstern und -türen gilt Artymovychs Leidenschaft vor allem der Verbindung von Holz und Stahl. „Ich plane gerade eine neue Halle im Hof zu bauen, in der wir nur mit Stahl arbeiten werden“, erzählt Artymovych und für einen Moment durchbricht sogar ein Hauch von Erregung seine sonst ruhige tiefe Stimme.
Tschechien und die Ukraine sind eng verbunden
Jeder Dritte, der in Tschechien gemeldet ist und aus dem Ausland stammt, kommt aus der Ukraine: Es sind meist Ukrainer, die in Tschechien (das seit langem vor Arbeitermangel ächzt) die Straßen und Häuser bauen, die sich jeden Morgen als Tagelöhner verkaufen. Und es sind meist Ukrainerinnen, die die Häuser und Wohnungen dann putzen, einmal die Woche auf Hochglanz bringen. Genauso gibt es viele Studierende, UnternehmerInnen, KünstlerInnen aus der Ukraine, die sich in Tschechien eine neue Heimat gemacht haben. Oder Handwerker wie Artymovych.
Zu den rund 200.000 ukrainischen Staatsangehörigen in Tschechien kommen noch mehr als 50.000 tschechische Staatsangehörige ukrainischer Herkunft – aus der Zeiten der Ersten Tschechoslowakischen Republik, die sich bis in die Karpatoukraine erstreckte. Sie bilden die größte anerkannte nationale Minderheit in Tschechien.
Im tschechischen Alltag macht sich das bemerkbar: Bauarbeiter erläutern, warum sie jetzt in den Krieg ziehen, obwohl sie absolut keinen Bock darauf haben. Reinigungskräfte fehlen, weil sie ihre Kinder aus der Ukraine holen müssen. Studierende sind hin- und hergerissen zwischen Pflicht und Angst. Kaum jemand in Tschechien fühlt sich vom Schicksal der Ukrainer nicht persönlich betroffen. Umso mehr, als das Schicksal der Ukrainer den Tschechen im Bösen vertraut ist: Minderheitenschutz als casus belli in der so genannten „Sudetenkrise“ 1938, die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968, Appeasement, Hilflosigkeit.
Die Solidarität ist breit getragen
Die Welle der Solidarität, die der Ukraine aus der tschechischen Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft entgegenschlägt, ist überwältigend. Internationale Handelsketten, unter ihnen auch Kaufland, Penny und DM haben angekündigt, Angestellten, die in den Krieg ziehen, weiterhin die Hälfte ihres Gehalts zu zahlen und sie nach ihrer Rückkehr weiter zu beschäftigen. Alles Russische ist derweil schon in Ukrainisch umbenannt, vom Russischen Eis zu Russischen Eiern. Die Russische Straße in Prag wurde von Aktivisten in Russisches-Kriegsschiff-Fick-Dich-Straße umbenannt.
Züge, Busse und Straßenbahnen, die in ganz Tschechien blau-gelb beflaggt sind, transportieren Geflüchtete kostenlos. Tausende, die auf den Straßen und Plätzen der Republik demonstrieren, organisieren auch Hilfsaktionen und Unterkünfte, oft über Facebook und oft auch spontan. Allein in der ersten Kriegswoche sammelte die Hilfsorganisation Člověk v tisni (Mensch in Not) umgerechnet 40 Millionen Euro Spendengelder.
Die Ukraine sehen
Vasyl Artymovych an der Grenze Foto: Alexandra Mostýn
Nicht weniger rasant reagierte die Politik: Um gängige Einreise- und Asylbeschränkungen für ukrainische Kriegsflüchtlinge außer Kraft zu setzen verlieh ihnen die Regierung per Notstandsgesetzgebung de facto den Status von EU-Bürgern. Das hässliche Wort Notstand trifft in diesem Fall bei den meisten Tschechen auf Verständnis: Die Ukrainer sind seit Jahren Teil ihrer Gesellschaft, wenn, wann nicht jetzt ist Zeit dies anzuerkennen?
Ob er vielleicht mal ganz kurz in die Ukraine dürfte, fragt Artymovych den polnischen Polizisten, der entspannt ein ukrainisches Auto nach dem anderen durchwinkt. „Lieber nicht, sonst dürfen Sie ja nicht mehr raus,“ meint der Polizist, da reicht an diesem Punkt schon ein Schritt.
Artymovych muss draußen bleiben, aber irgendjemand wird die Ukraine ja auch wieder aufbauen müssen. Sein Handy klingelt. Der Bus mit seiner Nichte ist inzwischen bis Warschau weitergefahren. „Wozu bin ich dann hier,“ fragt sich Artymovych, zuckt die Schultern und geht zu seinem Auto. Bevor er einsteigt, dreht er sich nochmal um und antwortet sich selbst: „Wenigstens habe ich nochmal die Ukraine gesehen.“ | 621 |
1 | CDU/CSU in der Großen Koalition: Planspiele fürs Kanzlerinnenamt
Einiges spricht dafür, dass Annegret Kramp-Karrenbauer ihren Wechsel an die Spitze der Regierung vorbereitet. Wichtig dabei: Friedrich Merz einhegen.
Ohne SPD gut gelaunt? Annegret Kramp-Karrenbauer (l.) und Angela Merkel Foto: dpa
BERLIN taz | An diesem Samstag geht es los in Münster: CDU und CSU läuten ihren Europawahlkampf ein. Im Münsteraner Messezentrum wird der gemeinsame EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber eine im Rahmen seiner Möglichkeiten flammende Rede halten. CSU-Chef Markus Söder wird begeistert gucken. Und Annegret Kramp-Karrenbauer aufmunternde Worte finden. Die CDU-Vorsitzende weiß: Nur vier Wochen später ist Europawahl, und danach könnte es möglicherweise ernst werden für sie.
Im politischen Berlin wird seit Längerem spekuliert, ob – und gegebenenfalls wann – Angela Merkel das Kanzleramt für ihre Nachfolgerin räumt. Oder ob sie, wie sie stets wiederholt hatte, die Legislaturperiode vollmacht. Dabei hatte sie immer betont, Regierungs- und Parteiamt gehörten in eine Hand.
Dass Merkels Worte nicht in Stein gemeißelt sind, weiß man spätestens seit dem Oktober letzten Jahres, als sie in Gegenwart ihrer ziemlich perplexen damaligen Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer erklärt hatte, sich vom Amt der Parteivorsitzenden zurückzuziehen – aber Kanzlerin zu bleiben.
Die Folgen sind bekannt. Kramp-Karrenbauer musste von jetzt auf gleich ihren Anspruch auf den Parteivorsitz anmelden und einen innerparteilichen Wahlkampf starten. Selbst ihrem Ehemann konnte sie gerade noch rechtzeitig nur eine SMS schicken. Den Wettlauf gegen ihre männlichen Mitbewerber Friedrich Merz und Jens Spahn auf dem Parteitag in Hamburg Anfang Dezember gewann sie denkbar knapp. Mit gerade einmal 18 Stimmen lag sie vor Merz. Auf die Freude über den Sieg folgte der Kater über die in der Führungsfrage tief gespaltene Partei.
Geordneter Rückzug
Vor dem Hintergrund dieser Erfahrung wäre dieser Sommer 2019 perfekt für den personellen Wechsel im Kanzleramt. Und das unter gleich mehreren Gesichtspunkten.
Nach der Europawahl ist vor den Landtagswahlen im Osten. Je nachdem, wie die Brüsseler Ergebnisse für die Union ausschauen – aktuell wird mit leichten Verlusten um drei Prozent gerechnet –, könnte Merkel die Verantwortung dafür übernehmen und ihren geordneten Rückzug ankündigen. Carsten Linnemann, der Vorsitzende der einflussreichen CDU-Mittelstandsvereinigung, hat schon mal vorsorglich dem Handelsblatt gesagt: „Am Tag nach der Europawahl müssen wir anfangen, an unserem Programm für die Bundestagswahl zu arbeiten“, wann immer die stattfinde. „Wir müssen vorbereitet sein.“ Das klingt nicht nach einem „weiter so“.
Zugleich käme der AfD in den anstehenden Landtagswahlkämpfen im Osten ihre Lieblings-Hassfigur Merkel abhanden. Die drei SpitzenkandidatInnen der CDU in Brandenburg, Sachsen und Thüringen könnten im Wahlkampf einerseits die Verdienste der scheidenden Kanzlerin erwähnen, um andererseits die politischen Fähigkeiten ihrer Nachfolgerin zu preisen und einen politischen Neuanfang zu versprechen.
Zöge die SPD mit?
Fraglich ist, ob in diesem Planspiel die SPD mit im Boot wäre. Die SozialdemokratInnen haben mehrfach und laut erklärt, sie stünden nicht als Kanzlerwahlverein zur Verfügung. Zudem hatte Parteichefin Andrea Nahles der Basis versprochen, es werde zur Halbzeit der Großen Koalition Bilanz gezogen.
Gegen eine Revolte samt Neuwahlen spricht, dass die SPD in aktuellen Umfragen bei 17 Prozent liegt, also seit der Bundestagswahl noch drei bis vier Prozentpunkte verloren hat. Die Machtbasis im Parlament könnte noch einmal schmelzen, und zwar so weit, dass sie nicht einmal mehr zur Koalitionspartnerin der Union reichen würde. In der Regierung bliebe zudem noch Zeit, eineN eigeneN KanzlerkandidatIn aufzubauen. Aktuell hält sich Vizekanzler Olaf Scholz für geeignet.
Kann also Annegret Kramp-Karrenbauer die Kanzlerschaft von Angela Merkel übernehmen? Wenn ja, hätte sie sowohl im Adenauer-Haus als auch im Kanzleramt ausreichend Zeit, ihre Machtbasis auszubauen. In gut zwei Jahren beginnt der Bundestagswahlkampf. Es wäre gut, wenn die Union eine Kandidatin – oder einen Kandidaten – präsentieren könnte, die der Wählerschaft gut bekannt, wenn nicht gar vertraut ist.
Aber auch strategisch könnte der richtige Moment für Annegret Kramp-Karrenbauer bald kommen. Je mehr Zeit sie verstreichen lässt, bevor sie das Amt der Regierungschefin einfordert, desto mehr Zeit haben auch ihre GegnerInnen, Merkels Wunsch-Nachfolgerin doch noch zu verhindern.
Endlich Macht
Eine wichtige Rolle für Kramp-Karrenbauers Erfolg spielt deswegen das Einhegen von Friedrich Merz und dessen Anhängerschaft. Bei einem gemeinsamen Auftritt kürzlich im Sauerland überließ AKK dem Gründungsmitglied des Fördervereins der neoliberalen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft die große Bühne. Im März wurde bekannt, dass Merz als Vizepräsident des CDU-Wirtschaftsrats, einem Unternehmerverband, kandidieren will. Und gerade berichtete der Spiegel, Annegret Kramp-Karrenbauer sei bereit, Merz in ein von ihr geführtes Kabinett aufzunehmen, wenn er sich bis dahin ihr gegenüber wohl verhielte.
Überhaupt: das Regierungsamt. Bald Kanzlerin zu sein hätte gleich mehrere Vorteile für Kramp-Karrenbauer. Sie, die über kein Mandat verfügt und kein Amt außer dem der Parteivorsitzenden ausübt, würde endlich über eine politische Machtbasis verfügen. Bislang sitzt sie nur dabei, etwa im geschäftsführenden Fraktionsvorstand oder in der Morgenlage im Kanzleramt. Als CDU-Vorsitzende nimmt sie an den Koalitionsausschüssen teil. Sie ist das, was man ein lernendes System nennt. Ein machtpolitisches System.
Wohin die Reise mit ihr auch nach einer zu gewinnenden Bundestagswahl 2021 gehen würde, könnte sie kraft ihres Amtes als Regierungschefin umreißen. Bis auf Jens Spahn, der als Bundesgesundheitsminister seit seinem ersten Arbeitstag Full Speed fährt, machen die Unionsminister keine gute Figur. Kramp-Karrenbauer könnte, wenigstens personell, einlösen, was über dem Koalitionsvertrag steht: „Eine neue Dynamik für Deutschland“. | 622 |
0 | Nach Lichtenstein--dorthin zog es ja auch ihn. Er fühlte sich
kräftig genug, wieder einen Ritt zu wagen und das Versäumnis der neun
Tage einzuholen. Seine nächste und wichtigste Frage war daher nach
seinem Roß. Und als er hörte, daß es sich ganz wohl befinde und im
Kuhstall seiner Ruhe pflege, war auch der letzte Kummer von ihm
gewichen. Er dankte seiner holden Pflegerin für seine Wartung und
bat sie um sein Wams und seinen Mantel. Sie hatte längst alle Spuren
von Blut und Schwerthieben aus den schönen Gewändern vertilgt; mit
freundlicher Geschäftigkeit nahm sie die Habe des Junkers aus dem
geschnitzten und gemalten Schrein, wo sie neben ihrem Sonntagsschmuck
geruht hatten. Lächelnd breitete sie Stück vor Stück vor ihm aus und
schien sein Lob, daß sie alles so schön gemacht habe, gerne zu hören.
Dann enteilte sie dem Gemach, um die frohe Botschaft, daß der Junker
ganz genesen sei, der Mutter zu verkünden. | 623 |
0 | Daß daher unsere ganze Sinnlichkeit nichts als die verworrene
Vorstellung der Dinge sei, welche lediglich das enthält, was ihnen
an sich selbst zukommt, aber nur unter einer Zusammenhäufung von
Merkmalen und Teilvorstellungen, die wir nicht mit Bewußtsein
auseinander setzen, ist eine Verfälschung des Begriffs von
Sinnlichkeit und von Erscheinung, welche die ganze Lehre derselben
unnütz und leer macht. Der Unterschied einer undeutlichen von der
deutlichen Vorstellung ist bloß logisch, und betrifft nicht den
Inhalt. Ohne Zweifel enthält der Begriff von Recht, dessen sich der
gesunde Verstand bedient, ebendasselbe, was die subtilste Spekulation
aus ihm entwickeln kann, nur daß im gemeinen und praktischen Gebrauche
man sich dieser mannigfaltigen Vorstellungen in diesen Gedanken nicht
bewußt ist. Darum kann man nicht sagen, daß der gemeine Begriff
sinnlich sei, und eine bloße Erscheinung enthalte, denn das Recht kann
gar nicht erscheinen, sondern sein Begriff liegt im Verstande, und
stellt eine Beschaffenheit (die moralische) der Handlungen vor, die
ihnen an sich selbst zukommt. Dagegen enthält die Vorstellung eines
Körpers in der Anschauung gar nichts, was einem Gegenstande an sich
selbst zukommen könnte, sondern bloß die Erscheinung von etwas, und
die Art, wie wir dadurch affiziert werden, und diese Rezeptivität
unserer Erkenntnisfähigkeit heißt Sinnlichkeit, und bleibt von
der Erkenntnis des Gegenstandes an sich selbst, ob man jene (die
Erscheinung) gleich bis auf den Grund durchschauen möchte, dennoch
himmelweit unterschieden. | 624 |
0 | »Um so viel besser -- aber da drüben sehe ich ein paar Damen
eintreten, denen ich guten Abend sagen muß -- ich werde Sie nachher
bitten mir das Nähere dieses freudigen Wiedersehens mitzutheilen« --
und mit einer leichten und freundlichen Verbeugung verließ er die
jungen Leute, die jetzt Arm in Arm, kaum noch ihrer Umgebung bewußt,
an eines der Fenster traten, dort erst dem ersten glücklichen Gefühl
des Wiedersehens auch Worte zu leihen. | 625 |
0 | Europa League Männerfußball: Geht doch, Augsburg
Schalke kann sich über einen Punktgewinn freuen, Dortmunds Aubameyang macht mit einem Dreierpack alles klar und für Augsburg wird's historisch.
Der Augsburger Philipp Max zieht Joris van Overeem am Trikot. Ein bisschen mehr hat's für den Sieg aber schon gebraucht Foto: dpa
GELSENKIRCHEN/ALKMAAR/BAKU dpa | Mitten im Wirbel um einen möglichen Abschied von Manager Horst Heldt hat Jungstar Leroy Sané den FC Schalke 04 sportlich vor der ersten Niederlage in der Europa League bewahrt. Der 19-Jährige rettete den Königsblauen am Donnerstag mit seinem Treffer in der 73. Minute immerhin noch ein 2:2 (1:0) gegen Sparta Prag.
Damit bleiben die Schalker mit sieben Punkten aus drei Spielen Tabellenführer der Gruppe K und könnten beim Rückspiel am 5. November das Weiterkommen fast schon perfekt machen.
Der in der Bundesliga bislang so glücklose Neuzugang Franco di Santo hatte die Schalker vor 51.244 Zuschauern mit seinem Kopfballtor in der sechsten Minute frühzeitig in Führung gebracht. Doch Kehinde Fatai (50.) und der eingewechselte David Lafata (63.) drehten für Sparta das Spiel, ehe Sané noch der Ausgleich gelang.
Direkt nach dem Spiel stand dann schon wieder Heldt im Fokus der Öffentlichkeit – eine Entscheidung über seine Zukunft verzögert sich aber weiter. Der Sportvorstand berichtete von einem Gespräch mit Aufsichtsratschef Clemens Tönnies, das kurz vor der Partie stattgefunden habe. „Das Ergebnis ist, dass wir ein zweites Gespräch führen werden. Dies wird zeitnah stattfinden“, sagte Heldt.
AZ Alkmaar – FC Augsburg 0:1
Bei Augsburg haben Kunstschütze Piotr Trochowski und ein überragender Rückhalt Marwin Hitz das Team zum historischen ersten Sieg im Fußball-Europapokal geführt. Trochowski sorgte am Donnerstag bei seinem Startelf-Debüt mit einem wunderbaren Freistoßtor für den 1:0 (1:0)-Erfolg der Schwaben bei AZ Alkmaar, den Hitz mit starken Paraden sicherstellte.
Der Tabellenletzte der Bundesliga hat nach dem ersehnten Dreier in den Niederlanden plötzlich sogar wieder alle Chancen auf ein Weiterkommen in der Europa-League-Gruppe L, auch wenn das Team von Trainer Markus Weinzierl weiterhin Vierter ist.
Die rund 850 Augsburger Fans unter den 16.511 Zuschauern bejubelten ausgelassen den Premierensieg in Europa, Weinzierl stürmte direkt nach Abpfiff zu Hitz und umarmte seinen Schlussmann. Der von Trochowski (43. Minute) herausgeschossene Erfolg sollte dem FCA nun auch Aufwind für das schwere Ligaspiel am Sonntag bei Borussia Dortmund geben. „Die kämpferische Leistung der Mannschaft war sensationell. Das sollte uns Selbstvertrauen für die Meisterschaft geben“, kommentierte Manager Stefan Reuter.
FK Qäbälä – Borussia Dortmund 1:3
Schon früher am Donnerstagabend hat Borussia Dortmund dank Torgarant Pierre-Emerick Aubameyang Kurs auf die K.o.-Runde genommen. Mit einem Dreierpack (31./38./71. Minute) führte der seit Wochen treffsichere Gabuner den Revierclub am Donnerstag zu einem souveränen 3:1 (2:0) beim Außenseiter FK Qäbälä.
Damit festigte das Team von Trainer Thomas Tuchel vor 11.000 Zuschauern in der Bakcell Arena von Baku auch ohne den aus Sicherheitsgründen nicht mit ins ferne Aserbaidschan gereisten Mittelfeldstrategen Henrich Mchitarjan die Tabellenführung in der Gruppe C. Der sechste Sieg im siebten Saisonspiel des Wettbewerbs schürt die Hoffnung auf einen langen Verbleib auf internationaler Fußball-Bühne.
Unbeeindruckt vom Fehlen des armenischen Nationalspielers Mchitarjan, der angesichts des Konflikts zwischen Armenien und Aserbaidschan um die Region Bergkarabach in Dortmund geblieben war, setzte die Borussia den Höhenflug in Europa mit nunmehr sieben Punkten aus drei Gruppenspielen fort. Das späte Gegentor durch den Brasilianer Dodo (90.+3) spielte da keine große Rolle. „Well done guys!“, kommentierte der erleichterte Mchitarjan wenige Minuten nach der Partie via Twitter. Ähnlich zufrieden äußerte sich Torhüter Roman Weidenfeller im TV-Sender Sky: „Wir haben es angenommen. Es war ein Arbeitssieg.“
Klopp mit Liverpool nur unentschieden
Ein weiterer Deutscher, Jürgen Klopp, ist bei seinem Heimdebüt als Trainer des FC Liverpool nicht über ein Unentschieden hinausgekommen. Seine Mannschaft trennte sich in der Europa League 1:1 (1:1) vom russischen Ex-Meister Rubin Kasan. Marko Devic (15.) hatte die Gäste an der Anfield Road in Führung gebracht, Nationalspieler Emre Can (37.) glich nach einem Platzverweis für Kasans Oleg Kuzmin aus.
Auf den Rängen feierten Liverpools Fans den neuen Trainer mit Klopp-Schals und –Bannern. Auch Club-Besitzer John W. Henry verfolgte die Partie im Stadion. Für Liverpool war es das dritte Remis im dritten Europa-League-Spiel. | 626 |
0 | »Er weht aus dem Park herüber«, wollte ich sagen, aber Eshcuid kam meinem
krampfhaften Versuch, den Alp abzuschütteln, zuvor. Er stach mit einer
Nadel in den Globus und murmelte etwas, wie: es sei seltsam, daß sogar
unser See, ein so winziger Punkt, auf der Karte stünde, -- da wachte
Radspiellers Stimme am Fenster wieder auf und fuhr mit schrillem Hohn
dazwischen: | 627 |
1 | Gedenkfeier in Hanau: Was bleibt? Leere und Schmerz
Erinnerungen an die Getöteten: Bei der Trauerfeier für die Opfer des rechtsextremen Anschlags in Hanau steht das Gedenken im Mittelpunkt.
Angehörige der Opfer stehen bei der Gedenkfeier neben Kanzlerin Merkel und Bundespräsident Steinmeier Foto: reuters/Pfaffenbach
HANAU taz | Für drei Stunden ruht an diesem Nachmittag in Hanaus Innenstadt der Verkehr. Der Busverkehr ist eingestellt. Ab 16 Uhr sind die meisten Geschäfte geschlossen. In vielen Schaufenstern hängt das Plakat mit der brennenden Kerze und dem Aufdruck #hanaustehtzusammen! Auf den Plätzen der Stadt verfolgen Tausende die Übertragung der zentralen Trauerfeier für die MitbürgerInnen, die am 19. Februar ein Rechtsextremist in seinem rassistischen Wahn erschossen hat.
Im nahen Congress Park Hanau versammeln sich vor allem die Angehörigen, um der Verstorbenen zu gedenken. Gekommen sind auch der Bundes- und der Bundesratspräsident, die Bundeskanzlerin, der hessische Ministerpräsident mit seinem Landeskabinett und VertreterInnen von Kirchen und Religionsgemeinschaften.
Es wird eine bewegende Trauerfeier, bei der die Opfer und ihre Angehörigen und Freunde im Mittelpunkt stehen sollen. Und endlich kommen sie tasächlich zu Wort. Für sie spricht zunächst Kemal Koçan. Er versucht seine Fassungslosigkeit zu beschreiben. „Das, was vorgefallen ist, tut mir so in der Seele weh, mein Herz blutet derart, ich kann es nicht in Worten beschreiben“, sagt er. „Es war der Laden meines eigenen Sohnes“, berichtet er vom zweiten Tatort, am Kurt-Schumacher-Platz in Kesselstadt. Er sei oft vor Ort gewesen, um auszuhelfen: „Dieser Kiosk war kein normaler Kiosk, dieser Kiosk war ein Ort der Familie“, sagt der 45-jährige Vater von vier Kindern.
„Die Menschen kamen jeden Tag, nicht um zu kaufen, sondern um hallo zu sagen und mich zu umarmen. Jetzt sind die alle nicht mehr da“, sagt er und nennt die Namen: Mercedes Kierpacz, die ebenfalls im Kiosk geholfen hat. An diesem Tag hatte sie frei und wollte für ihre beiden Kinder eine Pizza besorgen. „Sie hatte ein Herz aus Gold“, sagt Koçan. „Sie hörte gerne laute Musik, jetzt ist es ganz leise.“ Ferhat Unvar, 23 Jahre alt, gerade fertig mit seiner Ausbildung: „Ein selbstbewusster junger Mann; wenn man ihn sieht, bekommt man vielleicht Angst, weil er gut gebaut, groß ist, aber er hatte ein Herz, das keiner Fliege etwas zuleid tun konnte. Ich kann sein Lächeln nicht mehr sehen.“
Capri-Sonne und zwei Naschtüten
Hamza Kurtović, der Sohn seines Freundes, der selten im Kiosk war, aber eben gerade an diesem Tag, Fatih Saraçoğlu, den alle als freundlichen und höflichen Menschen erlebt hätten. Nachbar Kaloyan Velkov, „der eine große Lücke hinterlässt“, Sedat Gürbüz, der jedem Hilfe angeboten habe. Vili Viorel Păun, der Stammgast war, und Said Near Hashemi: „Wenn er reinkam, wollte er drei Capri-Sonnen und zwei Naschtüten.“
Saida Hashemi„In diesem Moment hat ganz Hanau geweint“
Schließlich sein Freund Gökhan Gültekin, den alle „Gogo“ nannten, der jedes Telefonat und jedes Treffen mit den Worten beendet habe: „‚Möge Dich Gott beschützen!‘ Er hat es nicht verdient, so zu gehen“, erinnert sich sein Freund. Ein Wort gibt er denen mit, „die oben an den großen Hebeln stehen“: „Ich möchte nicht mehr viele Worte hören, sondern Taten sehen, dass so etwas nicht mehr passieren kann. Lasst uns gemeinsam gegen Hass und Hetze vorgehen!“
Ajla Kurtović, die ihren Bruder verloren hat, sagt: „Nein, ich empfinde keinen Hass. Ich möchte deutlich machen, dass Hass den Täter zu seiner rassistischen Tat getrieben hat. Damit liegen Hass und Rassismus sehr nahe beieinander. Ich will, dass wir uns alle vom Hass abgrenzen!“ Gleichwohl erinnert sie an den grenzenlosen Schmerz und die Leere, die der Tod ihres Bruders hinterlassen hat. Schließlich fordert sie „restlose Aufklärung, damit sich so eine Tat nicht wiederholen kann“.
Auch die Schwester von Said Nesar Hashemi findet die Kraft, ihre Trauer in Worte zu fassen. Saida Hashemi dankt der Stadtgesellschaft für ihre Anteilnahme. „Die BürgerInnen haben Stärke gezeigt“, sagt sie und erinnert an die Angst der Tatnacht, als erst nach Stunden Gewissheit über die Namen der Opfer geherrscht habe. „In diesem Moment hat ganz Hanau geweint“, sagt sie. Bitter sei gewesen, dass in den „sozialen Medien“ Gerüchte und falsche Informationen verbreitet worden seien: „Glaubt nicht alles, was euch vorgesetzt wird!“, ruft sie. Ihr Bruder sei stolz gewesen, ein Hanauer zu sein. Das Kennzeichen seines ersten Autos habe mit den Ziffern 454 geendet, den letzten Ziffern der Postleitzahl von Hanau-Kesselstadt.
Wie bei der ersten Trauerfeier, unmittelbar nach der Tat, sprechen auch an diesem Tag Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Ministerpräsident Volker Bouffier und Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky den Angehörigen ihr Mitgefühl aus. Die Bundeskanzlerin und andere prominente Ehrengäste begleiteten schließlich Angehörige der Opfer auf die Bühne, um mit ihnen an der Tafel mit den Namen der Verstorbenen innezuhalten und weiße Rosen abzulegen. Oberbürgermeister Kaminsky bekräftigte das Versprechen, die Stadt werde auf dem Hanauer Hauptfriedhof eine Gedenkstätte für die Opfer errichten, weil deren Namen „unauslöschbar zum kollektiven Gedächtnis dieser Stadt gehören“.
In unmittelbarer Nachbarschaft der Stadthalle, am Rande des Friedensplatzes, hat ein Graffiti-Sprayer das sichtbare Gedenken bereits bildlich umgesetzt. Auf der Wand eines unbewohnten Gebäudes am Rande eines Spielplatzes hat er in großen Buchstaben den Hashtag #SayTheirNames hinterlassen. Daneben stehen die Vor- und Nachnamen aller neun Mordopfer. | 628 |
0 | Die Schnitzel in mundgerechte Medaillons schneiden und behutsam ein wenig flach klopfen. Die Fleischscheibchen in Mehl wenden, sehr gründlich abschütteln und von beiden Seiten pfeffern. Das Öl rauchend heiß werden lassen und die Fleischstücke sehr schnell von beiden Seiten anbraten. Sofort wieder herausnehmen, salzen und warm stellen. Das Bratfett aus der Pfanne nehmen, den Bratensatz mit dem Saft einer Zitrone und der Brühe loskochen. Etwas einköcheln, dann die Butter mit dem Schneebesen einrühren. Die sorgfältig ausgelösten Filets der zweiten Zitrone, die Kapern und viel gehackte Petersilie unterrühren. Die Kalbsmedaillons noch kurz in der Sauce ziehen lassen. | 629 |
0 | Während meines sechsmonatlichen Aufenthaltes machte ich unter anderen
Bekanntschaften (unter meinen Patienten) auch die dreier mit einander
nahe verwandter deutscher Familien, welche, um mir ihre Dankbarkeit für
einige gelungene Curen zu beweisen, mich aufforderten, mir ein Häuschen
in ihrem Hofe zu bauen, wohl in meiner Office, wo ich bisher wohnte, zu
praktiziren, allein in dem ersteren zu wohnen, damit ich eine bessere
Kost etc. und andere Bequemlichkeiten genießen und mich auch besser für
meine zweite Reise vorbereiten könnte. Ich nahm ihren gütigen Antrag an,
und wohnte etwa zwei Monate unter ihnen, gerade die Zeit vor meiner
zweiten Abreise in's Innere. Ich betrachtete die Sprossen dieser Freunde
als meine Brüder und Schwestern und wir haben immer dies
freundschaftliche Verhältniß zu einander bewahrt. Sie waren mir alle zu
den Vorbereitungen zur Reise behilflich, und als ich, bis auf 120 £ St.,
die gesammten Kosten (gegen 900 £ St.) für diese Reise zurückgelegt
hatte, da wurde es mir durch die Güte des einen der drei Familienväter
ermöglicht, Güter zu denen, die ich schon für baares Geld erkauft hatte,
von einem der Handelshäuser in Dutoitspan im Werthe von 117 £ St.
geliehen zu erhalten, und schon vier Wochen vor der anberaumten Zeit die
Reise antreten zu können. | 630 |
0 | GettyImages
Avanesyan vs. Kelly erneut verschoben
Montag, 04.01.2021, 14:05
Es ist eine Art unendliche Geschichte.
Eigentlich sollten die Weltergewichtler David Avanesyan (26-3-1, 14 K.o.) und Josh Kelly (10-0-1, 6 K.o.) schon im Dezember 2018 gegeneinander kämpfen, doch Kelly musste aus Krankheitsgründen von dem Fight zurücktreten. Es kam zu weiteren Verschiebungen, der letzte angesetzte Termin am 28. März 2020 musste wegen der Corona-Pandemie abgesagt werden. Deren erneutes Aufflammen in Großbritannien ist für die nächste Absage des Kampfes, der nun eigentlich am 30. Januar stattfinden sollte, verantwortlich. Das British Boxing Board of Control (BBBoC) erklärte, dass es angesichts steigender Fallzahlen im Januar keine Kämpfe absegnen werde.
Promoter Matchroom Boxing kündigte die Verschiebung in einem Presse-Statement an. Obwohl ihr Duell seit mehr als zwei Jahren in der Mache ist, kämpften beide Boxer zwischenzeitlich gegen andere Gegner. Avanesyan wurde Europameister im Limit und verteidigte den Titel zwei Mal erfolgreich, während Kelly den International-Titel der WBA errang. Beide standen zuletzt im Dezember 2019 im Ring und werden die weitere Entwicklung abwarten müssen, wenn das BBBoC im Verlauf des Januar entscheidet, ob im Februar Box-Kämpfe in Großbritannien stattfinden können. Matchroom-Boss und Kelly-Promoter Eddie Hearn erklärte: „Für uns wird das Boxen Anfang Februar wieder beginnen. Hoffentlich wird es in Großbritannien sein, aber wir werden auf jeden Fall weitermachen, sicher und mit allen erforderlichen Mitteln.“
Text: Nils Bothmann
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Box-Sport | 631 |
0 | Die Hälfte der Butter mit dem Öl in einer Pfanne schmelzen, die Zwiebeln darin goldgelb ausbraten. Aus der Pfanne nehmen.Nun das Fleisch portionsweise scharf anbraten. Die Zwiebeln wieder zugeben, den Koriander ebenfalls, dann alles mit dem Fond übergießen, dass es gerade bedeckt ist. Notfalls noch etwas Wasser zufügen.Zugedeckt ca. 1 Std. simmern lassen, gelegentlich umrühren.Die Petersilie und die Minze in der restlichen Butter kurz andünsten, zum Eintopf zugeben und weitere 30 Minuten offen köcheln lassen.5 bis 10 Min. vor dem Servieren den Rhabarber zufügen. Nach Belieben mit Salz und Pfeffer abschmecken.Dazu schmeckt Reis. | 632 |
1 | Kommentar Protest gegen AfD in Köln: Fälschlicherweise kriminalisiert
Marodierende Banden und Bürgerkrieg? Das Bild, das die Kölner Polizei im Vorfeld von den AfD-Gegnern zeichnete, war bizarr und gefährlich.
Willkommensgruß für die Zivilgesellschaft? Räumpanzer und Wasserwerfer am Samstag in Köln Foto: dpa
Der Kölner Polizeipräsident Jürgen Mathies beschwor wochenlang ein übertrieben gefährliches Bild von den nahenden Protesten gegen den AfD-Parteitag herauf. Keine Pressekonferenz, bei der er nicht von „gewaltbereiten Gruppierungen“ sprach, von „Linksextremen“, die aus dem gesamten Bundesgebiet und dem Ausland anreisen würden, von seiner „Sorge“, es könnte „illegale Aktionen“ geben. Immer wieder wurden die DemonstrantInnen in einem Atemzug mit Gewalt genannt – obwohl sich beide Bündnisse, das zivilgesellschaftliche wie das antifaschistische, ausdrücklich davon distanzierten.
Diese Strategie hat Folgen: Erstens drang das Anliegen der Bündnisse, also die berechtigte Kritik an der AfD, vor allem im Vorfeld schwer durch – vor allem das antifaschistische Bündnis musste sich hauptsächlich gegen die Vorwürfe seitens der Polizei wehren. Zweitens wurde so einer der größten Polizeieinsätze der letzten Jahre in Köln gerechtfertigt.
4.000 Polizeikräfte waren am Wochenende auf den Straßen unterwegs, mehr als doppelt so viele wie etwa in der vergangenen Silvesternacht. Und drittens kamen wohl weniger Menschen, als es ohne die Furcht, einen Stein an den Kopf zu bekommen, wohl der Fall gewesen wäre.
Nun, wo die Zahl der erwarteten DemonstrantInnen um mehr als die Hälfte unterschritten worden ist, brüstet sich die Polizei damit, ihre Strategie sei aufgegangen. Doch dabei geht eines völlig unter: Die rund 20.000 Menschen, die am Samstag in Köln demonstriert haben, waren in weiten Teilen einfach friedlich. Ihr Anliegen war berechtigt, ihre Protestform ebenso. Die Polizei sollte beides nicht nur respektieren, sondern auch schützen.
Der Kölner Polizeipräsident hat es zwar geschafft, den AfD-Parteitag stattfinden und seine eigene Arbeit in gutem Licht dastehen zu lassen. Er hat es jedoch auf dem Rücken der Zivilgesellschaft getan, die dafür kriminalisiert wurde. | 633 |
1 | Flüchtlingsaktivisten über Angriffe: „Es gibt ein Rassismusproblem“
SPD-Poliker Wolfgang Thierse zeigt sich besorgt über Gewalt gegen Asylbewerber. Er warnte vor Wahlkampf auf dem Rücken von Flüchtlingen.
Nach Angriff auf Flüchtlingsheim: Demo in Berlin-Hellersdorf. Bild: dpa
BERLIN taz | Der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) warnt vor zunehmender Hetze und Gewalt gegen Asylbewerber. „Ich fürchte, dass wir demnächst Wahlkämpfe auf dem Rücken von Flüchtlingen erleben“, sagte er am Mittwoch auf einem Pressetermin in Berlin. Thierse äußerte sich besorgt über vermehrte Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte. Die Politik müsse rechtsextreme Instrumentalisierungen von Bürgerängsten „klar ausgrenzen“.
Zuvor hatte die taz über Zahlen des Bundeskriminalamtes (BKA) berichtet, das im letzten Jahr 58 Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte zählte – mehr als eine Verdoppelung zum Vorjahr, als es noch 24 waren. Und es geht weiter: Laut der Amadeu-Antonio-Stiftung (AAS) gab es in diesem Jahr bereits 24 Übergriffe, darunter 12 Brandstiftungen und 7 tätliche Attacken.
„Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wieder Unterkünfte brennen“, warnte AAS-Geschäftsführer Timo Reinfrank. Er forderte mehr Polizeipräsenz vor Asylheimen und eine klare Willkommenskultur für Flüchtlinge. Auch Günter Burkhardt von Pro Asyl sieht eine „flächendeckende Hetze gegen Asylsuchende“. „Deutschland hat ein Rassismusproblem. Die Entwicklung wird brandgefährlich, wenn sie nicht auf klaren Widerstand stößt.“
Thierse nannte Ängste der Bürger über Asylunterkünfte in ihrer Nachbarschaft nachvollziehbar. „Es ist die Herausforderung der Politik, Wissen über die Fluchtgründe und Solidarität zu vermitteln.“ Thierse appellierte an Kommunalpolitiker, Asylbewerber „als Träger von Grundrechten“ stärker zu verteidigen.
50 Hetzseiten im Internet
Gleichzeitig konstatierten der Sozialdemokrat und die Initiativen auch eine "wachsende Solidaritätsbewegung" mit Flüchtlingen. Daneben aber gibt es laut AAS-Geschäftsführer Reinfrank inzwischen rund 50 Seiten in sozialen Netzwerken, die gegen Asylbewerber hetzen. Die meisten, so Reinfrank, würden von der NPD gesteuert. Auch die Hälfte der 24 Demonstrationen und Kundgebungen, die in diesem Jahr gegen Flüchtlinge gerichtet waren, gingen auf das Konto der rechtsextremen Partei.
Flüchtlingsinitiativen schauen mit Sorge auf den baldigen Kommunal- und Europawahlkampf. Burkhardt forderte ein Ende rechtspopulistischer Parolen auch der etablierten Parteien. Scharf kritisierte er Forderungen der AfD nach Obergrenzen für die Aufnahme von Flüchtlingen. „Die Partei wandert auf einem dünnen Grat zum ganz rechten Rand.“
AAS und Pro Asyl wollen nun bundesweit 100.000 Broschüren verteilen, die Kommunen Argumente für die Aufnahme von Flüchtlingen liefern. Der Bedarf ist da: Parallel zur Pressekonferenz demonstrierte die NPD am anderen Ende der Stadt, in Berlin-Neukölln - gegen die Eröffnung einer neuen Asylunterkunft. | 634 |
1 | Europäische Asylpolitik: EU will Balkan zur Transitzone machen
Brüssel und Berlin planen riesige Auffanglager für Flüchtlinge auf dem Balkan. Die Menschen sollen von dort direkt abgeschoben werden.
Auf dem Weg nach Westen: Ein Foto einer Wärmebildkamera der Polizei zeigt Flüchtlinge in Slowenien. Foto: dpa
BRÜSSEL taz | Das offizielle Drehbuch las sich ziemlich pragmatisch. Man wolle das „Chaos auf der Balkanroute beenden“ und der „Politik des Durchwinkens“ abschwören, erklärte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zu Beginn des Balkan-Krisengipfels am Sonntag in Brüssel.
Mehr Zelte, mehr Decken, mehr Helfer für die Flüchtlinge, die zwischen Mazedonien, Serbien, Kroatien und Slowenien umherirren – so das EU-Programm. Juncker hatte sogar den Chef des UN-Flüchtlingshilfswerks António Guterres eingeladen, der mit seinem Know-how helfen sollte.
Doch die humanitäre Krise rückte schnell in den Hintergrund. Denn die Balkanländer stecken auch in einer politischen Krise, zwischen Kroatien und Serbien herrscht Funkstille. „Wenn sie wieder miteinander sprechen, wäre schon viel gewonnen“, seufzte ein EU-Diplomat.
Misstrauisch blicken viele Balkan-Regierungschefs aber auch nach Deutschland. Dem bevölkerungsreichsten EU-Land, das die Flüchtlinge wie ein Magnet anzieht, geben viele eine Mitschuld an dem Chaos auf dem Balkan. Wenn Deutschland und Österreich die Grenzen dicht machen sollten, würden sie sofort dasselbe tun, warnten Bulgarien, Rumänien und Serbien.
Gigantische Auffanglager
Die große Sorge der Südosteuropäer: Berlin könnte seine Flüchtlingspolitik weiter verschärfen – mit der Folge, dass immer mehr Hilfsbedürftige auf dem Balkan hängen bleiben. „Wir können aus unserem Land kein riesiges Flüchtlingslager machen“, sagte der griechische Migrationsminister Giannis Mousalas.
Jean-Claude Juncker„Es geht darum, den Migrationsstrom zu verlangsamen“
Doch genau darauf könnten die Pläne hinauslaufen, die vor dem Treffen in Brüssel diskutiert wurden. Nicht nur in Griechenland, sondern auch in Bulgarien, Kroatien und anderen EU-Grenzländern könnten gigantische Auffanglanger entstehen, in denen die Menschen auf ihre Weiterreise in ein Aufnahmeland oder die Abschiebung in die Heimat warten.
Denn nichts anderes bedeuten die Pläne für neue „Hotspots“, die nach Italien und Griechenland nun auch für die Türkei und den Balkan diskutiert werden. In den Registrierungszentren soll künftig auch entschieden werden, welche Migranten wieder abgeschoben werden sollen, weil sie keine Aussicht auf den Schutz als Asylbewerber oder Bürgerkriegsflüchtling haben.
„Es geht jetzt darum, den Migrationsstrom zu verlangsamen und unsere Außengrenzen unter Kontrolle zu bringen. Wir müssen auch klarmachen, dass Menschen, die an unseren Grenzen ankommen, aber nicht internationalen Schutz suchen, kein Recht auf Zugang in die EU haben“, sagte Juncker dazu in der Bild am Sonntag.
Die Balkanroute abdichten
In einem 16-Punkte-Plan, der vor dem Gipfel verteilt wurde, wurde der Kommissionschef noch deutlicher. „Die Regierungschefs verpflichten sich, ihre Bemühungen zur Rückführung von Flüchtlingen zu verstärken“, steht da. Wer sich nicht registrieren lasse, werde künftig als illegaler Flüchtling betrachtet, heißt es in der EU-Kommission.
Aus der Brüsseler Behörde kommen offenbar auch Pläne, auf dem ehemaligen Olympiagelände bei Athen ein Lager für 40.000 bis 50.000 Menschen zu bauen. Die EU-Kommission wollte das zwar nicht offiziell bestätigen. Doch die Idee passt in Junckers Plan, die Balkanroute abzudichten und mehr Flüchtlinge abzuschieben.
Ähnliche Überlegungen stellte vor dem Gipfel die Bundesregierung an. In den Hotspots müssten die Menschen nicht nur registriert werden, hieß es. Dort müsse auch über Schutzbedürftigkeit und „Rückführung“ entschieden werden. Da dies einige Zeit in Anspruch nehme, müsse ein „Hotspot“ in der Lage sein, einige zehntausend Menschen aufzunehmen.
Doch wie sollen solch gigantische Lager aus dem Boden gestampft werden? Auch dazu finden sich Hinweise in dem Juncker-Papier. Das UNHCR soll beim Bau von „Aufnahme-Kapazitäten“ – sprich: riesigen Zeltstädten – helfen, heißt es da. Für die Finanzierung sollen die Europäische Investitionsbank und andere EU-Institute geradestehen.
Serbien gilt als kompromissbereit
Die Sache hat allerdings einen Haken: Die Balkanländer wollen nicht mitspielen. Der Kommissionsentwurf sei „nicht ernsthaft“ und unrealistisch, sagte Kroatiens Regierungschef Zoran Milanović. „Wir werden kein Hotspot für Migranten werden“, erklärte er.
Auch der serbische Regierungschef Aleksandar Vučićsagte „schwierige Gespräche“ voraus. Serbien gilt aber als kompromissbereiter als Kroatien, da es sich noch um eine EU-Mitgliedschaft bewirbt und dabei auf deutsche Hilfe angewiesen ist. Große Hoffnungen setzten Juncker und Merkel auch auf Slowenien, das sich allein nicht mehr zu helfen weiß.
Das kleine Land ist seit der Schließung der Grenze durch Ungarn zum neuen Brennpunkt der Krise auf dem Balkan geworden. In gut einer Woche sind mehr als 60.000 Flüchtlinge angekommen. | 635 |
0 | »Und trotzdem --?« Ich stockte vor dem finsteren Blick, der mich traf.
Gleich darauf lächelte er ein wenig gezwungen und strich sich halb
nachdenklich, halb verlegen den Bart. »Ihr merkt eben nichts, gar
nichts,« sagte er, »mit der Nase muß man euch darauf stoßen;« damit wies
er mit dem Finger in die Rangliste: »Die 13. Division« stand dort, fett
gedruckt. Die 13 aber war rot unterstrichen. | 636 |
0 | © 2021 SID
Lothar Matthäus
Samstag, 10.04.2021, 11:30
Lothar Matthäus empfiehlt Bayern, um Flick zu "kämpfen"
Für Rekordnationalspieler Lothar Matthäus steht fest, dass die Differenzen zwischen Trainer Hansi Flick und Sportvorstand Hasan Salihamidzic bei Fußball-Rekordmeister Bayern München nicht zu beheben sind. "Beide haben unterschiedliche Meinungen, zum Beispiel in der Kaderplanung. Ich glaube, das ist nicht mehr zu kitten. Beide denken zu unterschiedlich", sagte der 60-Jährige im Podcast "Bayern Insider" der Bild.
Matthäus, der selbst insgesamt zwölf Jahre für den FC Bayern aktiv war, führte aus: "Es ist logisch, dass ein Gespräch stattfinden muss. Und nicht erst nach der Saison." Der Weltmeister von 1990 glaubt, dass Flick (56) nach der Europameisterschaft Nachfolger von Bundestrainer Joachim Löw (61) wird. Matthäus wünscht sich aber, "dass er bleibt, denn Flick passt zu Bayern. Ich würde an der Stelle von Bayern darum kämpfen."
Auch der frühere Münchner Kapitän Stefan Effenberg glaubt, "dass einer gehen muss". Wie es derzeit laufe, "vergrault Bayern Flick." Der sei allerdings "der beste Trainer für den FC Bayern. Es gibt niemanden, der auch nur im Ansatz so gut passt und Erfolge verspricht", sagte Effenberg bei t-online.de.
Der 52-Jährige versteht nicht, warum Flick in Transferfragen offenkundig "nicht dieses Vertrauen" genieße, "das Hitzfeld, Heynckes oder auch Guardiola entgegengebracht worden ist."
Dieser Artikel wurde verfasst von SID Redaktion
SID | 637 |
0 | Da sprach der grimme Hagen: "Die Red ist gar verloren, 2483
Viel edle Königstochter. Den Eid hab ich geschworen,
Daß ich den Hort nicht zeige: so lange noch am Leben
Blieb Einer meiner Herren, so wird er Niemand gegeben." | 638 |
0 | Die vom Dänenlande sprachen gleich zur Hand: 317
"Bevor wir wieder reiten heim in unser Land,
Gewährt uns stäten Frieden: das ist uns Recken noth;
Uns sind von euern Degen viel der lieben Freunde todt." | 639 |
0 | Fußball-Kontinentalturnier in Kamerun: Cup der großen Sorgen
In Kamerun startet der Afrika-Cup. Schon vor Beginn des Turniers gibt es Probleme – der Bürgerkrieg im Gastgeberland ist nur eines davon.
Einer der großen Stars des Turniers: Mohamed Salah ist Ägyptens Hoffnungsträger in Kamerun Foto: Yassine Mahjoub/imago
Mo Salah und Sadio Mané mussten sich ein bisschen beeilen am vergangenen Wochenende. Nachdem die beiden afrikanischen Nationalspieler des FC Liverpool den „Reds“ mit ihren Toren beim FC Chelsea ein 2:2-Remis gesichert hatten, winkten sie noch rasch in die Menge der Liverpool-Fans. Man wird sich ja jetzt eine Weile nicht sehen. Dann machten sie sich auf zum Flughafen. Sie flogen nach Kamerun, wo vom 9. Januar bis 6. Februar die 33. Auflage des Afrika-Cups ausgetragen wird. Den Auftakt macht am Sonntag Gastgeber Kamerun mit seinem Gruppenspiel gegen Burkina Faso.
Es hat viel Aufregung gegeben um den „African Cup of Nations“, wie er auf dem Kontinent liebevoll genannt wird. Vor allem die englischen Profiklubs hatten sich in den vergangenen Wochen mal wieder mächtig aufgeregt: Das vierwöchige Turnier findet mitten in der Saison der Premier League statt, die Klubs müssen wochenlang und in vielen wichtigen Spielen auf einige ihrer größten Stars verzichten.
„Eine „Katastrophe“ nannte das Trainer Jürgen Klopp, der beim FC Liverpool neben dem Senegalesen Mané und Ägyptens Salah auch noch Naby Keïta (Guinea) ziehen lassen muss. Als Klopp im November von einem „kleinen Turnier“ sprach, das da im Januar noch auf seine Spieler zukomme, hatte er das eigentlich ironisch gemeint. Ausgelegt wurde ihm der Satz aber als Beleidigung der Menschen des afrikanischen Kontinents, die ihr größtes sportliches Ereignis in Europa nicht genügend gewürdigt sehen.
Englands dunkelhäutiger ehemaliger Stürmer Ian Wright sprach von einer „rassistisch geprägten Berichterstattung“, Ajax-Amsterdam-Stürmer Sébastien Haller kritisierte in einem Interview mit der niederländischen Zeitung De Telegraaf den Umgang der Medien mit Spielern. Die Frage, ob man nicht lieber in den Niederlanden bleibe, um dort zu spielen, zeige „den Mangel an Respekt für Afrika“, sagte der ivorische Nationalspieler. „Würde diese Frage jemals einem europäischen Spieler vor den Europameisterschaften gestellt werden?“
Brutale Waffengewalt in Kamerun
Die Diskussionen um Abstellungen sind schon fast so alt wie das Turnier selbst. 1994, als der Cup in Tunesien ausgetragen wurde, stritten Eintracht Frankfurt und der ghanaische Fußballverband wochenlang um die Abstellung des seinerzeit überragenden Torjägers Anthony Yeboah. Mit dem Resultat, dass der stämmige Angreifer damals zwischen Bundesliga- und Afrika-Cup-Spielen per Privatflieger hin- und herpendelte. Allerdings nicht lange: Nach zwei Wochen zog Yeboah sich infolge der Überlastung eine Muskelverletzung zu und konnte fortan für keines der beiden Teams mehr spielen.
Die Debatte verdrängt dabei eine Frage, die im Grunde viel wichtiger erscheint: Warum kann der Afrika-Cup aktuell überhaupt in einem Land wie Kamerun stattfinden? Das Land, das seit 1982 von dem mittlerweile 89-jährigen Paul Biya autokratisch geführt wird, befindet sich inmitten eines blutigen Bürgerkriegs. Eine englischsprachige Minderheit der Bevölkerung aus dem westlichen Teil des Landes kämpft seit Jahren um Unabhängigkeit – die separatistische Bewegung wird von der frankophilen Regierung mit brutaler Waffengewalt bekämpft. Der Konflikt, in dem die bewaffneten Gruppen seit 2017 vehement versuchen, einen abtrünnigen Staat namens Ambazonia zu bilden, hat schon mindestens 3.000 Menschen getötet und fast eine Million zur Flucht gezwungen.
In Limbe, das inmitten des aufständischen Westens liegt und das als Spielort des Afrika-Cups vorgesehen ist, wurden Sicherheitsmaßnahmen organisiert. Die Polizei hat an den Kreuzungen der Stadt bewaffnete Beamte postiert, an den Straßen, die in die Stadt führen, wurden Kontrollpunkte eingerichtet. Die Separatisten haben in den vergangenen Wochen immer mal wieder Sprengstoffanschläge verübt. In der benachbarten Regionalhauptstadt Buea gab es im November zwei Detonationen, eine davon in der Universität, bei der elf Studenten verletzt wurden.
Die Verantwortlichen bemühen sich derweil, die Gefahren herunterzuspielen. „Der Cup wird unter sehr guten Bedingungen stattfinden. Es gibt keinen Grund zur Besorgnis“, sagte Emmanuel Ledoux Engamba, hochrangiger Beamter der Buea-Regionalregierung gegenüber der überregionalen südafrikanischen Tageszeitung The Star.
Derweil sind die bewaffneten Separatisten nicht das einzige Problem des Ausrichterlandes. Im Dezember stand der afrikanische Fußballverband Caf kurz davor, Kamerun das Turnier – wie schon 2019 passiert – erneut zu entziehen. Wieder waren die Vorbereitungen des örtlichen Organisationskomitees als eher stümperhaft entlarvt worden. Weder standen genügend Unterkünfte für die zu erwartenden Teilnehmer und Fans bereit, noch war der Transport zwischen Hotels, Stadien und Trainingsstätten organisiert. Zudem hatte man kein Konzept im Umgang mit dem auch in Afrika grassierenden Coronavirus parat.
16 Spieler von Gambia coronapositiv
Mithilfe des Weltverbands Fifa eröffnete die Caf daraufhin in Yaoundé kurzerhand ein eigenes Organisationsbüro, um die Dinge in die Hand zu nehmen. Neben allerlei organisatorischen Maßnahmen schaltete man sich ganz schnell in die unbeantworteten Coronafragen ein, deren fehlende Antworten vor allem die europäischen Klubs vehement moniert hatten. Resultat: Die Spieler werden sich in von außen undurchdringlichen Blasen bewegen müssen, in den Stadien werden nur komplett Geimpfte zugelassen. Heißt: Die Spiele werden nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, denn in Kamerun sind lediglich etwa drei Prozent der Bevölkerung gegen das Virus geimpft.
Dass das Virus dennoch ein gewichtiges Wort auch in der sportlichen Entwicklung des Turniers spielen könnte, wurde wenige Tage vor Beginn bereits deutlich. Außenseiter und Turnierdebütant Gambia musste ein für Anfang Januar in Doha geplantes Vorbereitungsspiel gegen Algerien kurzerhand absagen. Gleich 16 Spieler des 25-köpfigen Kaders waren positiv auf das Virus getestet worden. Mit welcher Besetzung die Mannschaft des belgischen Trainers Tom Saintfiet am 12. Januar zum ersten Gruppenspiel gegen Mauretanien antreten wird, steht noch in den Sternen.
Dabei darf man sich beim Afrika-Cup eigentlich traditionell vor allem auf das Auftreten der – meist schillernden – Außenseiter am meisten freuen. Schon 2019, als das Turnier erstmals mit 24 statt 16 Mannschaften durchgeführt wurde, hatten es „Zwerge“ wie Burundi, Madagaskar und Mauretanien zum Endturnier geschafft. Diesmal ist das Gambia und den Komoren gelungen. Während der Turniersieg mutmaßlich zwischen den Favoritenteams Algerien (mit Manchester Citys Riyad Mahrez), Ägypten mit Mo Salah und Senegal (Sadio Mané) ausgespielt wird, sind es gerade diese kleinen Teams, deren Geschichten besonders hervorstechen.
Das Inselarchipel der Komoren hat zum Beispiel nur um die 850.000 Einwohner, die weit verstreut auf irgendwelchen Landflecken im weiten Ozean leben. Zum fußballerischen Leben erweckt wurde die Inselgruppe vom in Frankreich geborenen 49-jährigen Amir Abdou, der das Team 2014 übernahm und völlig neu zusammenstellte. Fußballlehrer Abdou, der „nebenbei“ auch noch das mauretanische Vereinsteam FC Nouadhibou trainiert, schaute sich europaweit nach Spielern mit komorischen Wurzeln um und wurde tatsächlich fündig – wenn auch nur in der zweiten und dritten Liga Frankreichs.
Abdou arbeitet mit dem Nationalteam wie mit einer Vereinsmannschaft: Seit fünf Jahren hat er immer nahezu die gleichen Spielern zusammen, der Kader wurde seither kaum einmal verändert. Dadurch haben sich in teils wochenlangen Trainingslagern Automatismen und ein Zusammenhalt entwickelt, die spielerische Nachteile mehr als wettmachen.
Das Team konnte sich so in den Qualifikationsspielen für den Cup gegen Größen wie Kenia und Togo durchsetzen. In Kamerun wurden die Komoren in eine Gruppe mit den erfahrenen afrikanischen „Schwergewichten“ Gabun, Marokko und Ghana gelost. Eigentlich nicht zu schaffen für die Inselspieler. Aber Trainer Abdou gibt sich zuversichtlich: „Wir sind nicht zufällig qualifiziert. Wir glauben daher nicht, dass wir uns die Gelegenheit entgehen lassen, so weit wie möglich zu gehen. Wir werden mit unseren Waffen gegen unsere verschiedenen Gegner kämpfen, so hart sie auch sind. Fußball ist auf dem Platz.“ | 640 |
1 | Machtwechsel in Burkina Faso : Militär verspricht Wahl
Das Militär in Burkina Faso verspricht nach Protesten einen demokratischen Übergang. Doch können die Menschen den Ankündigungen trauen?
Armeechef Kouame Lougue (l.) im Gebäude des staatlichen Fernsehens. Bild: ap
OUAGADOUGOU dpa | Angesichts von Protesten gegen die Machtübernahme der Armee in Burkina Faso haben die Militärs Wahlen innerhalb von drei Monaten versprochen. Der Vize-Kommandeur der Präsidialgarde, Isaac Zida, der das westafrikanische Land als Übergangspräsident führen soll, kündigte einen „friedlichen, demokratischen Übergang“ an. In einem Kommuniqué Zidas heißt es: „Die Macht interessiert uns nicht.“ Es seien bereits Verständigungen über einen Übergang eingeleitet worden.
Ein Armeesprecher sagte, Ziel der Militärs sei es, Chaos im Land zu verhindern. Bei Protesten gegen das Militär war am Sonntag ein Mensch getötet worden.
Soldaten gaben laut Medienberichten am Sonntag Warnschüsse ab, um tausende Demonstranten in der Hauptstadt Ouagadougou auseinanderzutreiben. Die Kundgebungsteilnehmer forderten, dass auch Zivilisten an der Macht im Land beteiligt werden müssten.
Demonstranten stürmten das Gebäude des staatlichen Fernsehens. Dort wollten sich der ehemalige Verteidigungsminister und Armeechef Kouame Lougue und Oppositionsführer Saran Sereme jeweils selbst zum Präsidenten erklären. Kouame wurde nach einem kurzen TV-Statement von Soldaten abgeführt; bevor Sereme zu Wort kommen konnte, wurde die Ausstrahlung beendet.
Das Militär nannte die Proteste unverantwortlich. Aktionen dieser Art würden mit aller Härte unterbunden.
„Schwarzen Frühling“
Angesichts der unübersichtlichen Lage riet das Auswärtige Amt am Sonntag von Reisen in das westafrikanische Land ab. Die Bundesregierung appellierte zudem an die Armee, die Macht unverzüglich an die verfassungsmäßigen Staatsorgane zurückzugeben.
Die USA forderten umgehend freie und faire Präsidentenwahlen. Der nach Massenprotesten abgetretene Langzeit-Herrscher Blaise Compaoré hat sich in die benachbarte Elfenbeinküste abgesetzt.
Auch Armeechef Honoré Traoré sagte Zida seine Unterstützung zu. Traoré hatte zunächst selbst Anspruch auf die Staatsführung erhoben. Allerdings gab es in den Reihen der Opposition starken Widerstand gegen ihn, da Traoré als Gefolgsmann der alten Staatsführung gilt.
„Schwarzer Frühling“
Der bisherige Präsident Compaoré hatte sich am Freitag den Protesten gegen seine geplante Amtszeitverlängerung beugen müssen. Der 63-Jährige war vor fast 30 Jahren mit einem Putsch in der früheren französischen Kolonie Obervolta an die Macht gelangt.
Von den 17 Millionen Einwohnern in Burkina Faso lebt die Hälfte unter der absoluten Armutsschwelle. Das Land ist fast ausschließlich auf die Landwirtschaft angewiesen. Jugendarbeitslosigkeit und Analphabetismus sind weit verbreitet. Im „Human Development Index 2013“ rangiert Burkina Faso auf Platz 181 von insgesamt 187 Ländern.
Die Opposition hatte ihre Proteste gegen Compaoré in Anlehnung an den Arabischen Frühling hoffnungsvoll als „Schwarzen Frühling“ gefeiert. Im Zuge der Demonstrationen war unter anderem das Parlamentsgebäude angezündet worden und abgebrannt. | 641 |
0 | Wir haben heute früh einen Fehlritt gethan und uns wenigstens um drei
Stunden versäumet. Wir ritten vor Tag von Martinach weg, um bei
Zeiten in Sion zu sein. Das Wetter war außerordentlich schön, nur daß
die Sonne, wegen ihres niedern Standes, von den Bergen gehindert war,
den Weg den wir ritten zu bescheinen; und der Anblick des
wunderschönen Wallisthals machte manchen guten und muntern Gedanken
rege. Wir waren schon drei Stunden die Landstraße hinan, die Rhone
uns linker Hand, geritten; wir sahen Sion vor uns liegen und freuten
uns auf das bald zu veranstaltende Mittagessen, als wir die Brücke,
die wir zu passiren hatten, abgetragen fanden. Es blieb uns, nach
Angabe der Leute, die dabei beschäftigt waren, nichts übrig, als
entweder einen kleinen Fußpfad, der an den Felsen hinging, zu wählen,
oder eine Stunde wieder zurück zu reiten und alsdann über einige
andere Brücken der Rhone zu gehen. Wir wählten das letzte und ließen
uns von keinem üblen Humor anfechten, sondern schrieben diesen Unfall
wieder auf Rechnung eines guten Geistes, der uns bei der schönsten
Tagszeit durch ein so interessantes Land spazieren führen wollte. Die
Rhone macht überhaupt in diesem engen Lande böse Händel. | 642 |
1 | Einleitung
Auf einer Dienstbesprechung der Leitungsebene des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) sprach Erich Mielke am 11. August 1961 den viel, aber nicht alles sagenden Satz: "Wenn in den nächsten Tagen entscheidende Maßnahmen beschlossen werden, muss jegliche Feindtätigkeit verhindert werden." Ohne den genauen Zeitpunkt und konkrete Maßnahmen zu benennen, skizzierte der Minister anschließend die Aufgaben, die das MfS bei dieser Operation zu übernehmen habe. Das MfS müsse den Gesamtüberblick über die Lage haben. Mit der Aktion werde eine neue Phase der "tschekistischen Arbeit" beginnen; nun würde sich zeigen "ob wir alles wissen und ob wir überall verankert sind. Jetzt müssen wir beweisen, ob wir die Politik der Partei verstehen und richtig durchzuführen in der Lage sind." Auch einen Namen bekam die Aktion zwei Tage vor dem Mauerbau: "Rose" lautete das Codewort.
Dass Mielke auch noch rund 30 Stunden vor Beginn der Grenzschließung in Berlin nicht offen vor den führenden MfS-Kadern sprach, gehörte in das Konzept der absoluten Geheimhaltung der Aktion. Nicht einmal die gesamte Führungsriege der SED war über das Vorhaben zu diesem Zeitpunkt informiert. Neben Walter Ulbricht, der die Federführung nicht aus der Hand gab, waren nur Erich Mielke, Innenminister Karl Maron, Verteidigungsminister Heinz Hoffmann, Verkehrsminister Erwin Kramer, Willi Stoph sowie Paul Verner (1. Parteisekretär Berlin) und Alois Pisnik (1. Parteisekretär Magdeburg) involviert. Als Leiter des unmittelbar vor dem 13. August gebildeten Zentralen Einsatzstabes fungierte Erich Honecker. Erst am 12. August zwischen 21 und 22 Uhr wurden die übrigen Mitglieder des Ministerrats und des Staatsrats von Ulbricht persönlich über die bevorstehende Grenzschließung in Kenntnis gesetzt. Um ein Uhr in der Nacht zum 13. August 1961 wurde die Aktion ausgelöst.
Über die Rolle der Staatsicherheit bei der Durchführung der Aktion "Rose" und ihre Einschätzung der Lage in den folgenden Tagen und Wochen wusste man bislang wenig. Die bisherige Forschung stützte sich überwiegend auf den gut dokumentierten SED-internen Informationsstrang, in dem sich vor allem die Bevölkerungsstimmung abbildet. Bisher unbekannte und nun erstmals publizierte Dokumente der "Zentralen Informationsgruppe" (ZIG) des MfS geben weiteren Aufschluss über die Rolle der Staatssicherheit beim Mauerbau, über Stimmungen und Reaktionen der Bevölkerung in Ost-Berlin und der gesamten DDR sowie über die Erkenntnisse des DDR-Geheimdienstes über die Reaktionen und Entscheidungsprozesse der Westalliierten sowie der Berliner und Bonner Politik.
Über die Aktion "Rose" und die "Reaktion auf die Maßnahmen zur Sicherung der DDR" wurden bis zum 16. August zwölf Berichte verfasst, davon allein fünf noch am 13. und vier am 14. August (s. die Abbildung der PDF-Version). Von da an wurde (bis zum 3. September) zu diesem Thema nur noch einmal täglich berichtet. Wichtigste externe Adressaten der Berichte waren - neben sowjetischen Verbindungsoffizieren - der Zentrale Einsatzstab, der unter der Leitung von Honecker stand und für die Umsetzung der Abriegelungsmaßnahmen zuständig war. Ulbricht steht nur selten im Verteiler, ihm dürften die Berichte aber von Honecker oder Mielke, dem oftmals mehrere Exemplare zur Verfügung standen, zugänglich gemacht worden sein. MfS-intern gingen die Berichte - außer an Mielke - in der Regel an seinen Stellvertreter Bruno Beater, an einen internen Einsatzstab unter der Leitung des späteren Ministerstellvertreters Alfred Scholz und häufig auch an die Auswertungsabteilung VII des Stasi-Auslandsspionagebereichs (HV A) oder später direkt an ihren Chef, Markus Wolf.
13. August 1961
"Nach vorliegenden Meldungen wurden die bewaffneten Kräfte entsprechend dem Zeitplan zum Einsatz gebracht. Sie befinden sich im Marsch zu den laut Plan vorgesehenen Einsatzorten. Bisher keine Vorkommnisse. Stimmung normal." Mit diesem Satz beginnt der erste Bericht des MfS am frühen Morgen des 13. August 1961. Bei der Aktion hielt sich die Staatssicherheit - entsprechend ihren Aufgaben als Kontroll- und Sicherungsorgan - zumeist im Hintergrund. Wie die Dokumente belegen, musste sie aber auch direkt in das Geschehen eingreifen, um Versäumnisse anderer Stellen auszugleichen.
Eine ernste Panne gleich in der Nacht der Grenzschließung machte ein direktes Eingreifen des MfS erforderlich: "Der Gesamtverlauf der Aktion ist bisher zufriedenstellend, bis auf den Einsatz der Transportpolizei, die wegen falscher Einsatzzeit (X+4) ausfiel", heißt es im ersten Bericht vom frühen Morgen des 13. August. Im zweiten Bericht des Tages - wenige Stunden später - schob das MfS die Information hinterher: "Der Einsatz der Trapo erfolgte auf mehreren Bahnhöfen später als der Einsatz des MfS. Wodurch die Maßnahmen in den meisten Fällen vom MfS allein durchgeführt wurden." Diese Formulierung ist fast schon unterkühlt, denn die Unterbrechung des U-, S- und Fernbahnverkehrs war eine der zentralen Maßnahmen zur Sperrung der Grenze. Als die Einheiten der Transportpolizei nach fünf Uhr endlich an ihren Einsatzorten eintrafen, war diese Arbeit im Wesentlichen bereits getan. Zwölf S- und U-Bahnlinien zwischen Ost- und West-Berlin waren gekappt, 48 S-Bahnhöfe gesperrt und 13 U-Bahnhöfe ganz geschlossen worden.
Die Staatssicherheit hob jedoch nicht nur ihre Fähigkeit hervor, Versäumnisse anderer Sicherheitsorgane zu kompensieren, sondern empfahl sich auch als übergeordnete Kontrollinstanz, die in jeder Situation den Überblick behielt und die richtigen Entscheidungen traf. So wusste sie zu berichten: "Gegen 3.00 Uhr kam es im Raum Mahlow auf Westberliner Boden zu einer Konzentration von Bürgern aus der DDR, die sich in Westberlin aufgehalten hatten und zunächst von der VP [Volkspolizei] an der Rückkehr in die DDR gehindert wurden. Lage wurde durch entsprechende Anweisungen des MfS, diese Personen sofort in die DDR einzulassen, normalisiert."
Ein besonders heikler Punkt im Vollzug der Aktion "Rose" war der Einsatz der sogenannten Kampfgruppen der Arbeiterklasse. Operativ spielten die Feierabendkämpfer der SED zwar keine entscheidende Rolle, dafür war aber ihre propagandistische Funktion von eminenter Bedeutung, sollten sie doch die Beteiligung der Bevölkerung an der Sicherung der DDR durch den "antifaschistischen Schutzwall" symbolisieren. Bereits am 13. August vermerkte das MfS jedoch "Mängel in der Benachrichtigung der Kampfgruppenmitglieder". Tatsächlich waren in Berlin - wie man aus anderen Dokumenten weiß - sieben Stunden nach Auslösung des Alarms erst 13 Prozent der Kampfgruppenmitglieder einsatzbereit. Die Grenzschließung war zu diesem Zeitpunkt schon abgeschlossen. In scharfem Kontrast mit der späteren Heroisierung der Rolle der Kampfgruppen durch die offizielle Propaganda stellte die Stasi bei ihnen schon nach drei Tagen Einsatz eine "verschlechterte Stimmung" fest. Es gebe Klagen, dass "dringende persönliche Wünsche einzelner" nicht berücksichtigt würden. Forderungen nach einer Reduzierung der Mannschaften wurden laut, "ein Viertel der Kräfte" würden ausreichen.
Charakteristisch für viele Berichte des MfS zum Mauerbau ist die Kombination von DDR-Inlandsinformationen mit Meldungen aus dem Westen, die zumeist von der HV A stammten. Das ist insofern eine Besonderheit, als in der gewohnten MfS-Berichterstattung Inlands- und Auslandsinformationen in aller Regel scharf getrennt waren. Die Berichte der HV A wurden von der ZIG an die politische Führung nur weitergereicht. In der besonderen sicherheitspolitischen Situation nach der Grenzsperrung, als die innenpolitische Situation und die Reaktion des Westens nicht zu trennen waren, ging das MfS von dieser Praxis ab. Die meisten Berichte weisen eine thematische Dreiteilung auf: westliche Reaktionen, gegnerische Tätigkeit (unter dieser Rubrik sind Meldungen aus dem Westen und dem Osten gemischt) sowie Bevölkerungsstimmung in der DDR.
Reaktionen des Westens
Sehr zeitnah hat das MfS über die interne Meinungsbildung sowohl bei den Westalliierten als auch in der West-Berliner und Bonner Politik informiert, was angesichts der weltpolitisch heiklen Situation nicht nur für die DDR-Führung, sondern auch für die Sowjets von eminenter Bedeutung war. In den Berichten werden zum einen die offiziellen Verlautbarungen westdeutscher, britischer, amerikanischer oder französischer Politiker sowie ein Teil der Berichterstattung der Westmedien zusammengefasst. Zum anderen werden Informationen aus wie es heißt "internen" oder "verlässlichen" Quellen, also von Agenten beschafftes Material, präsentiert. Nach einer sehr kurzen Phase der Unsicherheit wusste die Staatssicherheit schon nach wenigen Tagen, dass massivere westliche Gegenmaßnahmen nicht zu erwarten waren.
Am 13. August schrieb die Stasi noch: "In der ersten offiziellen Reaktion führender politischer Kreise Bonns, Westberlins und der Westmächte wird von schärfsten Protesten gegen die Maßnahmen der DDR und von sogenannten Gegenmaßnahmen gesprochen, jedoch zugleich vor 'Unbesonnenheit' gewarnt." Auch in "führenden Westberliner CDU-Kreisen" herrsche, so das MfS, "eine gewisse Unsicherheit. Man glaube einerseits nicht mehr daran, dass die 'Berlinkrise' mit friedlichen Mitteln beigelegt werden kann. (...) Andererseits glaube man nicht daran, dass die USA in ihrer Politik in der Westberlinfrage bis zum äußersten gehen würden." Ein "Offizier des Bundesnachrichtendienstes" wird von einer "zuverlässigen Quelle" mit der Aussage zitiert, "die Amerikaner in Westberlin müssten jetzt zeigen, was ihre Versprechen wert sind. Man müsse jetzt auf alles vorbereitet sein."
Im Laufe des 14. August wurde die Berichterstattung entspannter. Jetzt stellte das MfS die Bereitschaft der Westmächte in Frage, Forderungen der Bundesregierung und des Berliner Senats nach entschlossenen Gegenmaßnahmen und Rückgängigmachung der Grenzschließung nachzukommen. Mitarbeiter des britischen Geheimdienstes hätten die Auffassung geäußert, "dass man sich mit den gegebenen Tatsachen abfinden müsse. Einen Krieg würden die Westmächte auf Grund der Maßnahmen der DDR keinesfalls riskieren." In einem weiteren Bericht wurde die Information nachgeschoben, dass der amerikanische Stadtkommandant von Berlin, Albert Watson, bereits am 13. August bei führenden CDU-Politikern (u.a. Ernst Lemmer und Franz Amrehn) mit einer zynischen Äußerung für Empörung gesorgt hatte: Bei der Grenzschließung - so Watson laut MfS - handle es sich "nur um eine Verkehrsbehinderung innerhalb Berlins", "von der die Freiheit der Bevölkerung Westberlins nicht betroffen werde". Das MfS vermutete, dass in diesem Zusammenhang "möglicherweise auch die verschiedenen widersprüchlichen Meldungen über den Grad der Einsatzbereitschaft der amerikanischen Streitkräfte in Westberlin zu sehen" seien.
Bald verdichteten sich in den Berichten der Staatssicherheit die Hinweise, dass mit keiner für die DDR in irgendeiner Form bedrohlichen Situation zu rechnen sei. Dass das MfS "Entwarnung" geben konnte, lag nicht zuletzt an Top-Meldungen aus "führenden Westberliner SPD-Kreisen". Bereits am 15. August wusste die Staatssicherheit zu berichten, "Brandt habe sich mit den westlichen Kommandanten darüber geeinigt, dass alles unternommen werden soll, um von Westberlin aus keinerlei Anlass für weitere Komplikationen zu geben" . Aus gleicher Quelle meldete das MfS am 17. August, "dass Brandt erstmalig seit längerer Zeit zum Sitz der westlichen Militärkommandanten bestellt und ihm dabei klargemacht wurde, wer in Westberlin zu bestimmen hat. Brandt sei noch einmal darauf hingewiesen worden, dass die Westmächte 'nur ihre Rechte' in Westberlin verteidigen würden." Reaktionen in der DDR
Ulbricht hatte den Beginn der Aktion "Rose" nicht zufällig auf die Nacht von einem Samstag auf Sonntag gelegt. Als die Kunde von der Grenzschließung die Runde machte, waren die meisten "Werktätigen" zuhause. Ein von den Betriebsbelegschaften ausgehender Aufruhr wie am 17. Juni 1953 war an diesem Tag auszuschließen. Noch saß das "Juni-Trauma" beim SED-Chef tief. Laut Erinnerungen des sowjetischen Diplomaten Julij A. Kwizinskij hatte er einige Wochen zuvor gegenüber Botschafter Michail G. Perwuchin geäußert, "man müsse mit Massenaufläufen, offenen Versuchen des Ungehorsams, Schlägereien und vielleicht sogar mit Schießereien" rechnen. Es lag auf der Hand, dass die Staatssicherheit die Stimmung der Bevölkerung und aufkeimende Proteste besonders sorgfältig beobachtete.
Am Morgen des 13. August meldete das MfS zunächst: "Nach der bisherigen Übersicht ist die Lage an den Grenzübergängen als ruhig einzuschätzen. Es ist sogar auffällig, dass bis zu diesem Zeitpunkt noch keine oder kaum neugierige Passanten sich von den eingeleiteten Maßnahmen überzeugten." Diese "abwartende Haltung" der Bevölkerung würde von Erkenntnissen aus (abgehörten) Telefonaten bestätigt. Doch schon wenige Stunden später musste die Geheimpolizei berichten: "An einer Reihe von Grenzübergängen zwischen dem demokratischen Berlin und Westberlin gab es Ansammlungen von ca. 50 bis 100 Personen, die sich teilweise negativ über die von der Regierung der DDR getroffenen Maßnahmen äußerten. Vielfach wird dabei erklärt, dass der Westen diese Schritte nicht hinnehmen werde. Deshalb würden die Maßnahmen der DDR nur kurze Zeit aufrechterhalten werden können." Um 9.30 Uhr sammelte sich auf dem Bahnhof Friedrichstraße eine Traube von 20 bis 30 Personen, die versuchte, auf den Bahnsteig A zu gelangen, der seit den frühen Morgenstunden für Ost-Berliner nicht mehr zugänglich war.
Einen besonderen Unruheherd bildeten die sogenannten Grenzgänger - Ost-Berliner, die bisher in West-Berlin arbeiteten und die jetzt nicht mehr zu ihren Arbeitstellen gelangen konnten. Bereits am Morgen des 13. August entstand vor dem Rathaus Pankow eine "Zusammenrottung von Westgängern", die, obwohl es Sonntag war, "Auskunft über neue Arbeitsverhältnisse im demokratischen Berlin forderten". Auch Protesthandlungen, die sich bereits in den frühen Morgenstunden ereignet hatten, wurden jetzt von der Staatssicherheit gemeldet. So hatte der Tankwart der Tankstelle Grünau (im äußersten Süden des Ostberliner Bezirks Treptow) "einem Mitarbeiter der Sicherheitsorgane" den Verkauf von Benzin mit den Worten verweigert, "wenn alle streiken, streike er auch", denn: "Die Schließung der Grenzen nach Westberlin richte sich gegen die Arbeiter." Aus dem östlich von Berlin gelegenen Kreis Strausberg wurde das "Anschmieren von Hetzlosungen" und die Festnahme von Jugendlichen gemeldet, "die gegenüber Angehörigen der Grenzpolizei provokatorisch auftraten".
Im letzten noch am 13. August verfassten Bericht stellte die Staatssicherheit fest, "die Maßnahmen der Regierung" würden "in allen Bevölkerungskreisen lebhaft diskutiert", und versuchte, die Stimmung zu bilanzieren. Es sei zwar nicht möglich, "das Verhältnis zwischen positiven und negativen Stimmen umfassend einzuschätzen", doch "aufgrund der bisher vorliegenden Informationen" würden "die positiven Stellungnahmen weit überwiegen". Diese rituelle Feststellung einer zustimmenden Haltung der Bevölkerungsmehrheit zur Politik der Führung ist typisch für MfS-Stimmungsberichte und dürfte nur selten empirisch fundiert gewesen sein. Ebenso typisch für diese Textgattung ist, dass zuerst die "positiven Stimmen" wiedergegeben werden. Es werde begrüßt, dass der "Republikflucht ein Riegel vorgeschoben" und den "Grenzgängern und Schiebern das Handwerk gelegt" worden sei. Die Maßnahmen seien "ein Schlag gegen die Agententätigkeit und gegen die von Westberlin ausgehende Unterminierung der DDR". Hier wurden offensichtlich die Äußerungen von Funktionären und SED-Mitgliedern wiedergegeben, die auf Geheiß der Ost-Berliner Parteileitungen den ganzen Tag zu "Agitationseinsätzen" ausgeströmt waren, um an den Hauptbrennpunkten die Stimmung zu beeinflussen. Wie so oft dienten dem Regime die eigenen Inszenierungen als Beleg für einen Konsens, den es in Wirklichkeit nicht gab.
Doch ungeachtet dieses obligatorischen, diktaturimmanenten Selbstbetrugs nehmen die "negativen" Äußerungen in der MfS-Berichterstattung einen deutlich breiteren Raum ein. An erster Stelle stehen "Vergleiche mit der Situation am 17. Juni 1953", die in Berlin etwa in "Ansammlungen" an S- und U-Bahnhöfen und an "mehreren Grenzübergängen" angestellt würden. Es fiel auch der Begriff "KZ". Das scheint kein Einzelfall gewesen zu sein; in einem Bericht des Folgetages heißt es, "Provokateure" würden "in einer Reihe von Fällen die Maßnahmen der DDR mit faschistischen Maßnahmen vergleichen". Vielfach wurde auch geäußert, durch diesen Schritt werde "die Spaltung vertieft". Auch der Ruf nach freien Wahlen wurde immer wieder laut. Vereinzelt kam es zu "Aufforderungen an Arbeiter, am Montag den Betrieben fernzubleiben".
Wie stark die Befürchtungen waren, dass es zu Streiks kommen könnte, zeigt die Berichterstattung des 14. August, bei der vor allem die Ost-Berliner Großbetriebe unter verstärkter Beobachtung standen. Die Staatssicherheit stellte umgehend fest, "dass Beschäftigte volkseigener Betriebe zu Beginn der Arbeitsaufnahme unentschuldigt fehlten". Beim VEB Bergmann-Borsig waren nur 60 Prozent der Belegschaft erschienen. Zwar konnte das MfS Entwarnung geben: Es ermittelte, dass "die fehlenden Arbeitskräfte aus den Randgebieten Berlins, vorwiegend aus dem Kreis Oranienburg", stammten und wegen Schwierigkeiten im S-Bahnverkehr und verschärfter Kontrollen (als Begleiterscheinungen der Grenzschließung) nicht pünktlich zur Arbeit erschienen waren. Gleichwohl blieb es in den Betrieben nicht durchgängig ruhig. Im Betonwerk Berlin-Grünau versuchten Arbeiter gleich zu Schichtbeginn "eine Resolution gegen den Regierungsbeschluss zu verfassen". Im Ost-Berliner VEB Kühlautomat wurde der Parteisekretär nach einer Diskussion, "bei der er positiv aufklärend auftrat", niedergeschlagen. Im Oranienburger VEB Holzbau streikten Arbeiter gar mit der Forderung nach Rückgängigmachung der Maßnahmen um Berlin".
Das MfS kam schon am Tag nach der Grenzsperrung nicht umhin zu bilanzieren: "Allgemein ist festzustellen, dass bei negativen Erscheinungen in der DDR und im demokratischen Berlin die Jugendlichen eine besondere Rolle spielen." Viele ostdeutsche Jugendliche orientierten sich an der westlichen Freizeitkultur und konnten, zumindest wenn sie in Ost-Berlin und im Berliner Umland wohnten, bei ihren Besuchen in West-Berlin daran teilhaben. Als dieser Weg versperrt war, reagierten sie vielfach wütend. Aus dem nördlich von West-Berlin liegenden Hennigsdorf berichtete die Staatssicherheit schon am 14. August, Jugendliche hätten gedroht, "sie würden einen Grenzdurchbruch unternehmen, wenn sie nicht mehr nach Westberlin gelassen werden". Andere beließen es nicht bei Drohungen. Unter denjenigen, welche die Flucht durch die in den ersten Tagen noch keineswegs hermetisch abgesperrte Grenze wagten, waren viele Jugendliche. Vor allem das Schwimmen durch die Berliner Grenzgewässer war anfangs noch ein aussichtsreicher Fluchtweg. Am 17. August meldete die Staatssicherheit gleich mehrere solcher Fluchten durch die Spree und den Teltowkanal. Sie war in diesem Zusammenhang auch beunruhigt, dass "ein verstärkter Ankauf von Sporttaucherausrüstungen erfolgt".
Großes Kopfzerbrechen bereitete den MfS-Verantwortlichen auch die Tatsache, dass die Flucht mithilfe von falschen oder gefälschten West-Berliner Personalausweisen zunächst offenbar nicht besonders schwierig war. Bei einer stichprobenmäßigen Überprüfung von sieben Personen, die am 15. August von fünf bis sieben Uhr den Ostsektor am Übergang Brunnenstraße mit einem West-Berliner Ausweis verlassen hatten, erwies sich, dass vier von ihnen auf diese Weise geflohen waren "und bei der Befragung nach dem Aufenthalt falsche Angaben machten". Das "Amt für Zoll und Kontrolle des Warenverkehrs", zu dieser Zeit noch für die Passkontrolle zuständig, war offenbar überfordert. Wenig später wurde dieses Aufgabenfeld wie viele andere, die direkt oder indirekt im Zusammenhang mit dem Mauerbau standen, vom MfS übernommen.
Schlussbemerkungen
Die Berichte des MfS an die Parteiführung während des Mauerbaus und danach verdeutlichen, dass die DDR-Führung nicht nur umfassend und schnell über die Reaktionen im eigenen Land, sondern auch über offizielle und interne Stimmen in westalliierten Stellen, der Bundesregierung, im Berliner Senat und bei West-Berliner Parteien informiert war. Letzteres versetzte die DDR-Machthaber in die Lage, abzuschätzen, dass sie ihre Pläne zur weiteren Grenzabdichtung ohne größere Risiken verfolgen konnte.
Auch die Rolle des MfS während und nach dem Mauerbau nimmt schärfere Konturen an: Der Staatssicherheit gelang es, Versäumnisse und Mängel anderer Organe zu identifizieren und zu kompensieren. Offenbar sah die MfS-Führung, namentlich Erich Mielke, den Mauerbau als Chance, die Stellung der Staatssicherheit im Herrschaftsgefüge des SED-Staates weiter auszubauen. Nicht zuletzt durch ihre spezifischen Mittel der Informationsbeschaffung besaß die Geheimpolizei tatsächlich eine Art Gesamtüberblick. Sie benannte Entwicklungen, die im Hinblick auf die Herrschaftssicherung und die Stabilität der DDR Probleme aufwarfen, und versuchte dies - wie sich bald zeigen sollte - teilweise in eigene Kompetenzerweiterungen und eine personelle Expansion umzumünzen.
aus: Aus Politik und Zeitgeschichte, 31-34/2011, 50 Jahre Mauerbau
Teilnehmer waren die Leiter aller operativen Diensteinheiten und der Bezirksverwaltungen des MfS.
BStU, MfS, ZAIG 4900, Bl. 1-9, hier: Bl. 3.
Ebd.
Vgl. Armin Wagner, Walter Ulbricht und die geheime Sicherheitspolitik der SED. Der Nationale Verteidigungsrat der DDR und seine Vorgeschichte (1953-1971), Berlin 2002, S. 448.
Vgl. u.a. Elke Stadelmann-Wenz, Widerständiges Verhalten und Herrschaftspraxis in der DDR. Vom Mauerbau bis zum Ende der Ulbricht-Ära, Paderborn 2009, S. 39ff.; Patrick Major, "Mit Panzern kann man nicht für Frieden sein". Die Stimmung der DDR-Bevölkerung zum Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961 im Spiegel der Parteiberichte der SED, in: Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung, (1995), S. 208-221; ders., Vor und nach dem 13. August 1961: Reaktionen der DDR-Bevölkerung auf den Bau der Berliner Mauer, in: Archiv für Sozialgeschichte, 39 (1999), S. 325-354; Armin Mitter/Stefan Wolle, Untergang auf Raten. Unbekannte Kapitel der DDR-Geschichte, München 1993, S. 297ff.
Zur ZIG, später umbenannt in Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe (ZAIG), und der Entwicklung des Berichtswesens des MfS vgl. ausführlich Roger Engelmann/Frank Joestel, Die Zentrale Auswertungs- und Informationsgruppe, Berlin 2009, S. 17ff.
Diese neuen 17 Berichte und alle übrigen geheimen Berichte der ZIG des Jahres 1961 an die Staats- und Parteiführung sind jetzt vollständig veröffentlicht in: Daniela Münkel (Bearb.), Die DDR im Blick der Stasi 1961. Mit 6 Abbildungen und einer CD-ROM, Göttingen 2011.
Information 413/61.
Information 414/61.
Vgl. Bernd Eisenfeld/Roger Engelmann, 13.8.1961: Mauerbau. Fluchtbewegung und Machtsicherung, Berlin 2001, S. 49.
Information 413/61.
Information 415/61.
Vgl. u.a.B. Eisenfeld/R. Engelmann (Anm. 10), S. 51.
Information 436/61.
Information 417/61.
Information 416/61.
Information 421/61.
Information 423/61.
Ebd.
Ebd.
Ebd.
Julij A. Kwizinski, Vor dem Sturm. Erinnerungen eines Diplomaten, Berlin 1995, S. 180.
Vgl. dazu allgemein Ilko-Sascha Kowalczuk, Die innere Staatsgründung. Von der gescheiterten Revolution zur verhinderten Revolution 1961, in: Torsten Diedrich/ders., Staatsgründung auf Raten? Auswirkungen des Volksaufstandes 1953 und des Mauerbaus 1961 auf Staat, Militär und Gesellschaft der DDR, Berlin 2005, S. 341-378; B. Eisenfeld/R. Engelmann (Anm. 10), S. 73ff; E. Stadelmann-Wenz (Anm. 5), S. 105ff; P. Major, Stimmung (Anm. 5).
Information 414/61.
Information 415/61.
Zur Grenzgängerproblematik vgl. allgemein Frank Roggenbuch, Das Berliner Grenzgängerproblem. Verflechtung und Systemkonkurrenz vor dem Mauerbau, Berlin 2008.
Information 416/61.
Information 415/61.
Information 416/61.
Information 417/61.
Information 414/61.
Information 417/61.
Information 421b/61.
Ebd.
Ebd.
Information 440/61.
Vgl. Marion Detjen, Ein Loch in der Mauer. Die Geschichte der Fluchthilfe im geteilten Deutschland 1961-1989, München 2005, S. 95ff.
Information 414/61.
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1 | Sayn-Wittgensteins AfD-Rausschmiss: Die Entbehrliche
Der Parteiausschluss der AfD-Vorsitzenden aus Schleswig-Holstein ist kein Zeichen gegen Extremismus – ganz im Gegenteil.
Die AfD traut sich, Sayn-Wittgenstein rauszuwerfen, aber nicht „Flügel“-Extremisten wie Björn Höcke Foto: dpa
Die AfD wirft eine ihrer umstrittensten PolitikerInnen aus der Partei. Doris Sayn-Wittgenstein, die 2017 beinahe Parteichefin geworden wäre und bislang Landesvorsitzende in Schleswig-Holstein ist, muss wegen parteischädigenden Verhaltens gehen. Hintergrund ist, dass sie einen rechtsextremen Verein unterstützt hat. Damit ist nicht nur ein langwieriger Streit vorläufig entschieden, die AfD sendet kurz vor den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg auch das Signal: Schaut her, wir haben mit RechtsextremistInnen nichts zu schaffen!
Doch das ist Augenwischerei. Das Gegenteil trifft zu. Schließlich geht die radikal rechte Partei in Brandenburg und auch in Thüringen, wo im Oktober gewählt wird, mit zwei Männern als Spitzenkandidaten ins Rennen, die man mit Blick auf ihre Vergangenheit und ihre Netzwerke, ihre Ideologie und Rhetorik zweifellos als Rechtsextremisten bezeichnen kann. Andreas Kalbitz und Björn Höcke stehen an der Spitze des „Flügels“, jener Strömung am rechten Rand der AfD, die der Verfassungsschuss als Verdachtsfall für rechtsextreme Bestrebungen eingestuft hat. Die Kronzeugen für diese Einschätzung: Höcke und Kalbitz.
Von diesen beiden aber grenzt sich die Partei keinen Deut ab. Im Gegenteil: Die komplette Bundesprominenz reist derzeit in die Brandenburger Provinz, um Kalbitz beim Wahlkampf zu unterstützen. Der bestens vernetzte Mann könnte ja einen grandiosen Sieg einfahren. Möglicherweise wird die AfD sogar stärkste Kraft. Da ist man doch gerne dabei.
Anders als Kalbitz ist Sayn-Wittgenstein eine Randfigur in der AfD, die außerdem den Ruf einer Querulantin hat. Schleswig-Holstein ist für die AfD unbedeutend. Von einer solchen Frau kann man sich trennen. An Kalbitz und Höcke aber traut sich keiner mehr ran. Nach vermutlich erfolgreichen Landtagswahlen wird das noch viel weniger der Fall sein. Dann wird der Einfluss der beiden Flügel-Männer weiter steigen. Und die haben das Gegenteil von Abgrenzung nach rechts im Sinn: Seit Langem arbeiten sie genau an einem solchen Netzwerk. | 644 |
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Professor Dr. Michael Braungart (© Tim Janßen)
Professor Dr. Michael Braungart ist Gründer und wissenschaftlicher Geschäftsführer von EPEA Internationale Umweltforschung GmbH in Hamburg. Zudem ist er Mitbegründer und wissenschaftlicher Leiter von McDonough Braungart Design Chemistry (MBDC) in Charlottesville, Virginia (USA), und Gründer und wissenschaftlicher Leiter des Hamburger Umweltinstituts e.V. (HUI).
Zurzeit hat er eine Lehrtätigkeit an der Rotterdam School of Management der Erasmus Universität und er ist Professor an der Leuphana Universität Lüneburg, der Universität Twente in Enschede sowie an der TU Delft. Zudem halt er im Rahmen der Exzellenzinitiative Ehrenprofessor der TU München. 2013 wurde ihm die Ehrendoktorwürde der Universität Hasselt in Belgien übertragen.
Interner Link: Thesenpapier Sektion 11: Michael Braungart
Professor Dr. Michael Braungart (© Tim Janßen)
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0 | Aus den Zeiten her, in welchen Menschen daran gewöhnt waren, an
den Besitz der unbedingten Wahrheit zu glauben, stammt ein tiefes
Missbehagen an allen skeptischen und relativistischen Stellungen zu
irgendwelchen Fragen der Erkenntniss; man zieht meistens vor, sich
einer Ueberzeugung, welche Personen von Autorität haben (Väter,
Freunde, Lehrer, Fürsten), auf Gnade oder Ungnade zu ergeben, und hat,
wenn man diess nicht thut, eine Art von Gewissensbissen. Dieser Hang
ist ganz begreiflich und seine Folgen geben kein Recht zu heftigen
Vorwürfen gegen die Entwickelung der menschlichen Vernunft. Allmählich
muss aber der wissenschaftliche Geist im Menschen jene Tugend der
vorsichtigen Enthaltung zeitigen, jene weise Mässigung, welche im
Gebiet des praktischen Lebens bekannter ist, als im Gebiet des
theoretischen Lebens, und welche zum Beispiel Goethe im Antonio
dargestellt hat, als einen Gegenstand der Erbitterung für alle
Tasso's, das heisst für die unwissenschaftlichen und zugleich
thatlosen Naturen. Der Mensch der Ueberzeugung hat in sich ein Recht,
jenen Menschen des vorsichtigen Denkens, den theoretischen Antonio,
nicht zu begreifen; der wissenschaftliche Mensch hinwiederum hat kein
Recht, jenen desshalb zu tadeln, er übersieht ihn und weiss ausserdem,
im bestimmten Falle, dass jener sich an ihn noch anklammern wird, so
wie es Tasso zuletzt mit Antonio thut. | 646 |
0 | AFP
Pep Guardiola schätzt die technischen Fähigkeiten von Mario Götze (re.)
Aktualisiert am Dienstag, 19.11.2013, 22:16
Nur vier Punkte hat der FC Bayern in dieser Bundesliga-Saison liegen lassen, beide Remis waren auswärts. Nun treten die Münchner bei Phantomtor-Opfer Hoffenheim an. Coach Pep Guardiola liebäugelt mit einem Startelf-Einsatz von Mario Götze.
11.28 Uhr: Nach knapp 25 Minuten sind alle Fragen der Journalisten beantwortet, Pep Guardiola verlässt den Presseraum beim FC Bayern.11.25 Uhr: Guardiola beschäftigt sich nicht damit, was über ihn in der Öffentlichkeit gesagt oder geschrieben wird, sagt er: „Wenn wir gewinnen, bin ich ein guter Trainer. Wenn nicht, bin ich ein schlechter Trainer. Das weiß ich mittlerweile.“ 11.19 Uhr: Guardiola über seinen Landsmann, der in Hoffenheim erstmals nach seiner Verletzung in die Startelf rücken könnte: „Javi Martinez kann sowohl Innenverteidiger als auch im defensiven Mittelfeld spielen. Und gegen Chelsea [im Supercup, Anm. d. Red.] hat er als Stürmer geglänzt. Wenn er spielt, ist er sehr gefährlich für den Gegner.“11.17 Uhr: Guardiola warnt noch einmal vor dem Gegner am Samstag: „Hoffenheim hat 25 Tore gemacht, das bedeutet, dass sie eine gute Mannschaft sind. Sie haben Innenverteidiger mit einem guten Pass, die Stürmer spielen ein gutes Pressing.“11.15 Uhr: „Mario [Götze] ist bereit für das Spiel morgen von Anfang an. Aber ich wiederhole mich: Er braucht noch etwas Zeit“, sagt Guardiola. „Wenn er spielt, hat er viele Ballkontakte, gute Ideen am Ball, das ist auf einem sehr guten Niveau.“ Es wäre erst der dritte Startelf-Einsatz für Götze in dieser Saison. Zuletzt hörte er den Anpfiff am 27. August beim Auswärtsspiel beim SC Freiburg (1:1).11.13 Uhr: „Das Geheimnis meiner Mannschaft ist die Mentalität der Spieler. Jupp Heynckes hat in der vergangenen Saison eine tolle Arbeit geleistet, ich bin nur neun Spiele [es sind eigentlich zehn, Anm. d. Red.] hier. Wir sind erst im November, wir müssen jetzt weitermachen. Unsere Gegner, Dortmund und Leverkusen, sind unglaubliche Mannschaften. Wenn wir nur ein oder zwei kleinere Probleme in unseren Spielen haben, werden wir nach hinten rutschen.“
11.11 Uhr: Guardiola: „
Dante hat gut trainiert, er hat noch etwas Schwierigkeiten mit dem verletzten Fuß. Aber es ist schon viel, viel besser. Bei Arjen Robben müssen wir noch abwarten und seine Verletzung kontrollieren.“
11.09 Uhr: „
David Alaba ist ein Geschenk für mich, er ist ein Geschenk für Bayern. So ein junger Spieler, der dauerhaft auf einem solchen Niveau spielt, das ist einfach super“, sagt Guardiola über Alaba, der gestern zum Sportler des Jahres in Österreich gewählt wurde.
11.07 Uhr: Guardiola blickt noch einmal auf den knappen 3:2-Heimsieg gegen Hertha BSC zurück: „Meine Spieler sind wohl etwas müde im Kopf gewesen. Aber
sie haben gekämpft, gekämpft, gekämpft. Das war der Beweis einer Super-Mentalität. Deshalb haben wir dieses Spiel gewonnen.“
11.05 Uhr: „Das
Gespann Javi Martinez und Bastian Schweinsteiger ist natürlich eine Option. Javi hat gut trainiert nach seiner OP“, berichtet Guardiola.
11.03 Uhr: Guardiola über Hoffenheim: „Sie sind bislang die beste Offensiv-Mannschaft. Das wird ein guter Test für uns.“ Über den
möglichen Start-Rekord sagt er: „Das ist eine tolle Möglichkeit für diesen Super-super-Verein. Für die Mannschaft geht es vor allem darum, dieses Spiel zu gewinnen.“
11.02 Uhr: Es kann losgehen, Pep Guardiola ist fast pünktlich.
Am Samstagnachmittag muss der FC Bayern München beim Tabellenneunten in Hoffenheim antreten, das klingt zunächst nach einer lösbaren Aufgabe. Doch durch den
verlorenen Phantomtor-Prozess geht die TSG mit mächtig Wut im Bauch in die Partie gegen den Triple-Sieger.
thi | 647 |
1 | Fabian Sommer/dpa
Der Bremer AfD-Landeschef Frank Magnitz im Berliner Bundestag (Archivbild)
Dienstag, 08.01.2019, 14:11
Bremens AfD-Chef Frank Magnitz wird von Vermummten attackiert und schwer verletzt. Die Ermittler gehen von einem politischen Motiv aus – Politiker verschiedener Parteien finden nach der Gewalt klare Worte.
Zahlreiche Politiker aus verschiedenen Parteien haben den Angriff auf den Bremer AfD-Chef Frank Magnitz verurteilt. Außenminister Heiko Maas (SPD) schrieb am Dienstag bei Twitter: „Gewalt darf niemals ein Mittel der politischen Auseinandersetzung sein - völlig egal, gegen wen oder was die Motive dafür sind. Dafür gibt es keinerlei Rechtfertigung.“ Wer ein solches Verbrechen verübe, müsse „konsequent bestraft werden“.
Regierungssprecher Steffen Seibert sagte, der „brutale Angriff“ auf Magnitz sei „scharf zu verurteilen. Hoffentlich gelingt es der Polizei rasch, die Täter zu fassen.“
„Gewalt geht gar nicht“
Linke-Bundestagsfraktionschef Dietmar Bartsch erklärte, es gebe „keine Rechtfertigung für ein solches Verbrechen“. Der Grünen-Politiker Cem Özdemir betonte, er hoffe, dass der oder die Täter bald ermittelt und verurteilt werden. „Auch gegenüber der AfD gibt es keinerlei Rechtfertigung für Gewalt. Wer Hass mit Hass bekämpft, lässt am Ende immer den Hass gewinnen.“
Der SPD-Politiker Johannes Kahrs erklärte, Extremismus jeder Art sei „Mist“. „Gewalt geht gar nicht. Gegen niemanden.“ Kahrs gilt als einer der schärfsten Kritiker der AfD im Bundestag.
FDP-Generalsekretärin Nicola Beer schrieb auf Twitter, Gewalt dürfe „niemals Mittel der politischen Auseinandersetzung sein.“ Sie hofft, dass die Täter „schnell gefasst und verurteilt werden“.
„Ich bin in Bremen halt bekannt“
Magnitz, Bundestagsabgeordneter und Landesvorsitzender der Bremer AfD, war nach Polizeiangaben am frühen Montagabend von mehreren Personen angegriffen und verletzt worden. Wegen seiner Funktion sei von einer politischen Motivation der Tat auszugehen, hieß es.
Nach Angaben der Bremer AfD wurde Magnitz von drei Vermummten attackiert. Sie hätten Magnitz mit einem Kantholz bewusstlos geschlagen und vor den Kopf getreten, als er auf dem Boden gelegen habe. Er liege nun schwer verletzt im Krankenhaus.
„Ich werde hier auch noch länger bleiben“, sagte Magnitz am Dienstag der Deutschen Presse-Agentur zu seinem Krankenhaus-Aufenthalt. An die Tat habe er nur wenig Erinnerung, sagte Magnitz.
„Ich bin in Bremen halt bekannt“, sagte der AfD-Politiker. Er selbst habe die Täter aber nicht gesehen und auch nicht gehört, ob sie noch etwas zu ihm gesagt hätten. Künftig werde er in Bremen besser auf sich aufpassen. „Ich werde auf jeden Fall vorsichtiger durch die Gegend gehen.“
Staatsschutz ermittelt
Die Bremer AfD veröffentlichte ein Foto des Schwerverletzten auf ihrer Webseite und bezeichnete die Tat in einer Pressemitteilung als „sinnlosen, mörderischen Akt“. Die Polizei äußerte sich zunächst nicht näher zum Gesundheitszustand des Politikers oder zu Details zum Überfall.
Der polizeiliche Staatsschutz und die Staatsanwaltschaft Bremen haben Ermittlungen aufgenommen. Nähere Einzelheiten könne er derzeit noch nicht nennen, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft am Dienstagmorgen.
Im Video: Wagenknecht-Bewegung „Aufstehen“ empört mit eindeutigem Bild zum Rundfunkbeitrag
flr/dpa | 648 |
0 | Auf das Gespann seines Dienstherrn ladet Jachl sein Gepäck. Er darf
nicht, wie er wollte, es allein schleppen. Ganz streng hat es der Doktor
verboten. Seitdem er krank sein soll, reden sie ihm in alles rein. Jachl
war das gar nicht gewöhnt. Seinen Schnucken war doch alles recht. Was
soll man aber dabei tun? | 649 |
0 | Strenge Phyllis dich zu küssen,
Dich ein einzigmal zu küssen,
Hab ich dich nicht bitten müssen!
Und doch darf ich dich nicht küssen.
Sagst du? "Meine Mutter spricht:
Phyllis, Tochter küsse nicht!"
Ist es so was Böses, küssen?
Liegt kein Trieb dazu im Blut?
Doch--weg mit den schweren Schlüssen!
Laß sie warnen! kurz und gut;
Was geht der die Mutter an,
Die selbst Mutter werden kann? | 650 |
1 | Immer wieder montags treffen sich die selbsternannten „Freigeister“ auf dem Marktplatz in Frankfurt (Oder) Foto: Jens Gyarmaty
„Montagsdemos“ in Frankfurt an der Oder:Irgendwie dagegen
Sie sind wütend, sie misstrauen dem Staat, dem „System“, der Demokratie. Und an Montagen trifft man sie auf der Straße. Bringt Reden da noch was?
Ein Artikel von
Peggy Lohse
26.11.2022, 18:43
Uhr
Ein paar hundert Menschen drängen sich um sechs leere Stehpulte in einer grauen Einkaufspassage. Ein Mann mit Anti-Habeck-Plakat ist dabei und rempelt Studentinnen mit Ukraineflaggen an. Gegenüber steht eine Frau mit russischem Georgsband neben der Zeichnung einer Friedenstaube. Sie alle starren angriffslustig auf die hell ausgeleuchtete Fläche in ihrer Mitte. Dazwischen sorgen Dutzende Securities und Polizist*innen dafür, dass die Aggressionen nicht in Gewalt übergehen.
Es ist ein Dienstag Mitte Oktober. Der Rundfunk Berlin-Brandenburg sendet live aus dem Oderturm in Frankfurt (Oder) ein Gespräch zwischen Bürger*innen und Politiker*innen. An die Pulte treten Bundestagsabgeordnete wie Gregor Gysi von der Linken und Leif-Erik Holm von der AfD. Aus dem Publikum sprechen der Oberbürgermeister, Mitarbeitende der Tafel, Ehrenamtliche der Ukrainehilfe und andere.
Das Gespräch soll klären, warum momentan vor allem so viele Menschen aus dem Osten unzufrieden sind. Besonders emotional wird es, als es um den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine geht. „Es wird ja mit Russland gesprochen, aber diese Gespräche dürfen nicht zur Erpressung werden“, versucht die Berliner Grünen-Abgeordnete Antje Kapek die Regierungsposition zu erklären. „Scheinheilig!“, schreit darauf mehrmals hintereinander eine mittefünfzigjährige Frau, die mit gereckter Faust auf einer Bank steht.
Störungen wie diese kommen an dem Abend vor allem aus der Ecke vorne rechts. Dort stehen die „Frankfurter Freigeister“. Die Gruppe organisiert die Montagsdemos in der Oderstadt, wo sich seit Monaten die Stimmung aufheizt. Auch die schreiende Frau ist regelmäßig dabei, wenn Tausende Menschen trommelnd, pfeifend und schreiend vom altstädtischen Rathausplatz durch die Innenstadt in ein nahegelegenes Plattenbaugebiet und wieder zurück ins Zentrum ziehen.
Derartige Proteste finden aktuell nicht nur in Frankfurt (Oder) statt. Deutschlandweit rufen seit Juli linke und rechte Initiativen und Parteien zu einem „Heißen Herbst“ auf. Die Themen, gegen die demonstriert wird, reichen von Covid-19-Schutzmaßnahmen über Sanktionen gegen Russland bis hin zu Waffenlieferungen an die Ukraine und Existenzängsten aufgrund von Inflation und gestiegenen Energiekosten.
Gegen Corona, gegen die Regierung, gegen das System an sich
Die größten Proteste gibt es in Ostdeutschland. Nimmt man ganz Brandenburg, demonstrieren montags regelmäßig bis zu 10.000 Menschen. Die Demos in Frankfurt (Oder) gehören mit bis zu 2.000 Teilnehmenden dabei zu den teilnahmestärksten im Bundesland. Die taz hat die dortigen Entwicklungen über Monate begleitet. Wir haben mit Organisierenden, Teilnehmenden und städtischen Akteur*innen gesprochen. Was bewegt die Menschen zu diesen Demonstrationen? Was denken die Stillen, die den Lauten hinterherlaufen? Wo stehen die Linken, wo die Rechten? Und: Hilft Reden überhaupt noch?
Montag, 26. September, 18 Uhr. Vom verwinkelten Rathausplatz aus führen zahlreiche „Freigeister“ mit Trommeln, Megafonen und Plakaten zu Fuß oder im Lkw die Montagsdemo durch die Abenddämmerung. Auf den Demo-Bannern steht: „Ampel ausschalten“, „Freiheit statt Great Reset“, „Nordstream 2 einschalten“ und „Nordstream 3 planen“. Den Initiator*innen des Protests folgen über 1.500 Kritische und Zweifelnde, Ängstliche und Wütende, Schweigende und Brüllende. Alle sind irgendwie dagegen − gegen Corona, gegen die Regierung, gegen das demokratische System an sich. Auf der breiten Magistrale füllt der Demo-Zug eine ganze Fahrbahn.
Am Ende des Zugs spaziert Kerstin. Die 56-Jährige kommt regelmäßig, immer allein. Sie könne aus gesundheitlichen Gründen keinen Krach ertragen, sagt sie, auch keine politischen Reden und Nachrichten. Aber sie will ihre Unzufriedenheit zeigen. Nostalgisch sagt sie: „Ja, ich vermisse die DDR. Es war nicht alles gut, aber damals hatten wir keine Angst.“ Über Ängste spricht Kerstin besonders viel. Ihren Nachnamen will sie nicht in der Zeitung, vor allem nicht im Internet wissen.
Kerstin ist Bankangestellte und lebt in der Nähe von Frankfurt (Oder) Foto: Jens Gyarmaty
Mit etwas Abstand beobachtet Günter, 62, die Protestmenge. Er trägt einen weißen Haarkranz, erdfarbene Kleidung und ein ledernes Notizbuch. Akribisch notiert er darin die Parolen des Protestzugs. „Man muss dem Volk aufs Maul schauen, hat Luther schon gewusst“, sagt er. Günter ist Parteimitglied der Linken. Er will die Protestierenden verstehen und wünscht sich, dass seine Partei in dieser Gemengelage die Initiative übernimmt. Auch Günter heißt in Wahrheit anders. Er will seinen Namen nicht nennen, weil er Angst vor der Verfolgung durch die rechte Szene hat.
Auf der Demo verrät eine schwarze Flagge mit dem Slogan „Widerstand lässt sich nicht verbieten“ in altdeutscher Schrift, dass auch Anhänger*innen der Reichsbürgerbewegung mitlaufen. Vereinzelt tragen AfD-Anhänger Partei-Pullover. „Klar, sind hier Rechte“, sagt Kerstin. „Aber auch Linke, Grüne und andere. Wir sind alle ganz verschieden.“
Das Motto der Demo lautet „Für Frieden, Freiheit und Selbstbestimmung“. Schlagworte aus der Coronazeit 2021. Damals zu Hochzeiten der Pandemie formierte sich die Gruppe der „Frankfurter Freigeister“. Etwa ein Dutzend Personen, die via Telegram miteinander kommunizieren. Während der Lockdowns spazierten sie unangemeldet mit 150, einmal mit 800 Teilnehmenden durch die Stadt.
Mittlerweile haben sie sich professionalisiert, lassen Plakate bedrucken, organisieren Ordner*innen, besorgen Lautsprecher und Redebühnen. Einzelne „Freigeister“ stehen verschiedenen Parteien nahe, manche auch keinen. Die AfD ist präsent, aber nicht in der Organisation, nicht in den vorderen Reihen, nie mit dem ersten Redebeitrag. Im Unterschied zu Cottbus oder dem thüringischen Gera spielen rechte Parteien in Frankfurt (Oder) bislang keine tragende Rolle bei dem Protest. Der Verfassungsschutz beobachtet die „Freigeister“ nicht.
Die „Freigeister“ selbst sagen: „Das hier ist die bürgerliche Mitte!“ Und tatsächlich gehen Unternehmer und Physiotherapeutinnen, Handwerker, Angestellte, Familien und Rentner*innen auf die Straße. Kaum jemand von ihnen ist schon in finanziellen Schwierigkeiten. Aber viele fürchten sich davor oder sind wütend, dass sie wieder etwas verlieren könnten.
Die wirtschaftlichen Folgen der Wiedervereinigung prägen die Stadt bis heute. Frankfurt (Oder), kreisfrei und Oberzentrum, ist noch immer eine der ärmsten Städte in Deutschland mit hohen Schulden. Seit 1990 ist die Bevölkerung um ein Drittel geschrumpft. Heute leben hier − eine Zugstunde von Berlin entfernt, direkt an der Grenze zu Polen − gut 56.500 Menschen.
Seitdem Anfang der 90er Jahre das renommierte Halbleiterwerk abgewickelt wurde, das zu DDR-Zeiten Tausende Arbeiter*innen in die Stadt geholt hatte, sind viele Versuche, neue Industrie anzusiedeln, gescheitert. Wohngebiete wurden abgerissen. 2018 wurde René Wilke, heute 38, zum Oberbürgermeister gewählt. Mit ihm wuchs die Zuversicht in der Stadt. Wilke ist Frankfurter, Linker, einer der jüngsten Oberbürgermeister Deutschlands und wird geschätzt für seine Bürgernähe.
Aktuell hofft die Stadt auf neuen Zuzug durch das Tesla-Werk bei Berlin. Und auf den Zuschlag für das Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation des Bundes.
Ein Mitglied des „Freigeister“-Organisationsteams Foto: Jens Gyarmaty
In der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung ist Wilkes Partei, die Linke, mit zehn von insgesamt 46 Sitzen am stärksten vertreten. CDU und AfD liegen gleichauf mit jeweils neun Sitzen. Grüne und SPD beanspruchen sechs beziehungsweise fünf Sitze. Bei der Bundestagswahl 2021 siegte aber die SPD im Wahlkreis 63 Frankfurt (Oder)/Landkreis Oder-Spree mit knapp 30 Prozent, die AfD landete auf Platz zwei mit über 20 Prozent. Linke, Grüne und FDP erhielten zwischen sechs und 16 Prozent. Auf Landes- und Bundesebene wird, typisch für Brandenburg, viel SPD gewählt. Aber im Lokalen ist die Linke stark verankert. Die AfD legt seit Jahren zu.
Frankfurt erlebt eine sehr typische negative Nachwende-Entwicklung. Darum wird gerade hier an der Europa-Universität Viadrina seit Jahren zu Transformationsprozessen nach politischen Umbrüchen geforscht. In der Zeitschrift Konfliktdynamik vom Sommer 2022 schreibt ein Viadrina-Team konkret über Frankfurt (Oder), dass sich die Menschen hier in Krisenzeiten besonders rege an Politik beteiligten. Allerdings führe das auch immer wieder zu „Polarisierungstendenzen“ und „neuen Konflikten“. Konflikte, die sich zu Großdemos auswachsen können.
Zuletzt war das 2004 der Fall, als regelmäßig Tausende Leute gegen die Hartz-IV-Gesetze protestierten. 2022 gehen nun ähnlich viele zu den Montagsdemos der „Freigeister“.
Am 3. Oktober 2022 sind es schon 1.800 Menschen. Es ist der Tag der Deutschen Einheit. Weit im Voraus mobilisierten die „Freigeister“ zu einer Großdemo. Diesmal nicht, wie normalerweise, auf dem engen Rathausplatz, weil ihnen die Initiator*innen einer Oldtimer-Schau zuvorgekommen sind. Sondern auf dem breiten, begrünten Fußweg an der größten Kreuzung des Stadtzentrums. Klein wirkt der Protest dort zwischen den drei schmucklosen Shopping-Fassaden: Oderturm, Lennépassagen und Kaufland. Dabei müsste rein rechnerisch jede*r dreißigste Frankfurter*in hier sein.
Auch Kerstin, die sich die DDR zurückwünscht, ist wieder da. Sie sitzt allein am Rand der Kundgebung auf einer Steinplatte. Auf dem Schild auf ihrem Rücken steht: „Rente ab 65+ = Sklaverei“ und „WehrPflicht = Mord“. Passanten fotografieren sich vor Kerstins Rücken und winken ihr zustimmend zu.
Kerstin trägt farbenfrohe Kleidung und Brille, interessiert sich für Kultur und klassische Musik. Sie arbeitet in einer Bank, ist aber gerade bis Frühjahr 2023 krankgeschrieben. Zurück will sie nicht, Leistungsdruck und Mobbing hätten ihr das Arbeiten verdorben: „Der Gedanke an den Job bedeutet für mich Angst.“
Die Menge buht, trommelt, pfeift, trötet durcheinander
Kerstin kommt aus einem Dorf nördlich von Frankfurt, lebte 30 Jahre in Berlin, zog in die Gegend zurück. „In Berlin sind mir die Menschen zu viel geworden, auch zu viele Ausländer.“ Einerseits, sagt sie, während sie langsam mit dem Demozug mitspaziert, ärgere es sie, wenn Montagsproteste als rechts bezeichnet werden. Andererseits: „Ach, sollen sie doch auch mich Nazi nennen, ist mir egal.“ Sie meint: „Es gibt überall gute Leute. Ich wünsche mir, dass die sich zusammentun würden − von Linken, Grünen und auch Rechten − und zusammen eine neue Mitte bilden.“
Kerstin will sich nichts vorschreiben lassen, auch nicht auf der Demo. Wenn es eng wird, trägt sie Maske: „Da werde ich auch blöd angesprochen. Aber das ist für mich Freiheit − meine Entscheidung, ohne Zwang!“ Als ein Redner gegen „Genderwahn“ wettert, ärgert sie sich: „Das finde ich nicht gut. Mein Bruder ist trans Mann, gerade frisch operiert!“
Mathias Papendieck (l.) ist SPD-Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Frankfurt (Oder) Foto: Jens Gyarmaty
Dann dreht sie sich ganz weg, als derselbe Sprecher beginnt, vom Weltwirtschaftsforum zu erzählen, von dessen Gründer Klaus Schwab und dem angeblich bis heute währenden Einfluss der jüdischen Bankiersfamilie Rothschild. Der Sprecher verbreitet damit antisemitische Propaganda des Dritten Reichs in moderner Auslegung. Diese auf den Montagsdemos populäre Erzählung besagt außerdem, dass im „Young-Leaders“-Programm, das Teil des Wirtschaftsforums ist, seit Langem die Regierenden der westlichen Welt auf ihre Arbeit zugunsten von USA und Nato vorbereitet würden.
„Das will ich alles gar nicht hören, das macht mich nur fertig“, sagt Kerstin. Sie trägt einen buddhistischen Ratgeber bei sich, den sie schon mehrmals gelesen hat. „Am liebsten würde ich in den Wald ziehen, in eine Höhle, aber das darf man nicht. Außerdem will ich die Natur nicht kaputtmachen.“ Kerstin zündet sich eine Zigarette an und spaziert um die Kundgebung herum. So wie sie sich von der Politik abwendet, wendet sie sich auch spontan von der Demo ab.
Bei vielen anderen Montagsdemonstrierenden aber funktionieren die Verschwörungsnarrative gut. Hunderte grölen zustimmend. Auch in Einzelgesprächen wird deutlich: Antiamerikanismus und tief sitzende Zweifel an Demokratie und Legitimität der deutschen Regierung sind hier Mainstream.
Im aktuellen Bericht des Ostbeauftragten der Bundesregierung vom September wird diese Entfernung vom demokratischen System bestätigt. Demnach sind nur etwas mehr als ein Drittel der Ostdeutschen „mit der Demokratie, so wie sie in Deutschland funktioniert“, zufrieden. Nicht einmal die Hälfte halten freie Meinungsäußerung, „ohne Ärger zu bekommen“, noch für möglich. In Westdeutschland hingegen ist das Vertrauen in Demokratie und Meinungsfreiheit um 20 bzw. 15 Prozentpunkte höher.
Auf den Frankfurter Montagsdemos bestimmen die Demokratiefeindlichkeit und der starke Antiamerikanismus auch die Sicht auf den russischen Krieg gegen die Ukraine. Die Kreml-Propaganda füttert dieses Narrativ seit Jahren mit eigenen Medienkanälen sowie prorussischen Blogger*innen in Westeuropa. Bei den Systemzweifler*innen kommt das gut an.
Neben Bannern für „deutsch-russische Freundschaft“ sind russische Staatsflaggen zu sehen. Ein Fahnenträger erklärt sich solidarisch „mit dem russischen Volk“: „Die Menschen vor Ort tun mir natürlich leid“, sagt er, „auf beiden Seiten der Front.“ Schuld am Krieg seien aber die Nato und die USA, die Russland seit Jahren so sehr geopolitisch bedrängt hätten, dass Putin „sich nun eben verteidigen musste“.
In diese Erzählung mischt sich eine empathielose bis hasserfüllte Meinung über die Ukraine. „Warum sollen wir den Ukrainern helfen? Die sind nicht in der Nato, die würden uns auch nicht helfen“, sagen Redner. Und: „Die Ukraine ist das korrupteste Land der Welt, eine Militärdiktatur, ein ‚failed state‘ voller Neonazis und finanziert von den USA − was geht uns das an?“
Kerstin hat die Demo umrundet. Sie interessiert sich zwar nicht für weltpolitische Themen, aber sie wünscht sich mehr Aufmerksamkeit von der Politik vor Ort. Die Regierenden, meint sie, hätten den Bezug zu den Menschen verloren. „Das sieht man doch daran, dass der Bürgermeister nicht kommt.“ Wie sie sind viele Menschen in der Stadt enttäuscht, dass das „Stadtoberhaupt“ − manche nennen es gar „Stadtvater“ − sich den „Freigeister“-Protesten nicht stellt. Sie fragen: Warum versucht René Wilke nicht, hier die Stadtgesellschaft zusammenzuhalten?
In der ersten Oktoberwoche gibt es in Frankfurt (Oder) an fünf Tagen sechs Demonstrationen. Wilke spricht auf zweien: am Donnerstag zu besorgten und verärgerten Handwerker*innen der Region, unter ihnen viele Montagsprotestierende. Am Samstag besucht Wilke Schwimmer*innen, die den Erhalt des lange sanierungsbedürftigen Hallenbads fordern.
wochentazDieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo.
Eine Woche später sitzt René Wilke in seinem Büro im Oderturm mit bestem Blick über die Stadt. Sicher kann er von hier aus die Montagsdemo-Route verfolgen. Auf einem Stuhl an der Wand lehnt eine große Fotografie als Andenken von der Schwimmbad-Kundgebung. Wilke trägt Glatze und Brille. Seine wachen dunklen Augen stechen hervor. „Ich nehme aktuell eine große Anspannung und Unsicherheit wahr“, sagt er. Dabei wirkt er auch selbst angespannt und ein wenig unglücklich.
Wilke ist ein nahbarer Typ, Menschen sprechen ihn einfach an, wenn er in der Stadt unterwegs ist. „Die Leute haben bei mir nicht so viel Distanz. Manchmal ist das gut, manchmal weniger.“ Aktuell fühle er sich als Oberbürgermeister zu oft wie eine Projektionsfläche für Probleme, die nichts mit Kommunalpolitik zu tun hätten. Wut auf „die da oben“ spüre er oft. Und Morddrohungen bekomme er auch, zuletzt: Man gehöre „abgefackelt und bei lebendigem Leibe verbrannt“, so hieß es am Ende eines Beschwerdeanrufs wegen einer hohen Stromrechnung.
Angst habe er nicht, sagt Wilke. „Dafür habe ich zu viel Grundvertrauen.“ Aber gerade fallen viele schwierige Themen zusammen: Migrationsbewegungen, Polarisierungen rund um Corona und die Preissteigerungen. „Heilige Scheiße“, sagt Wilke und erschreckt sich. Solche Wörter benutzt er im Arbeitskontext normalerweise nicht. Aber er ist eben besorgt über die steigende Empörung in der Stadtgesellschaft.
In jüngster Zeit, sagt Wilke betroffen, beschwerten sich Bürger*innen auch wieder häufiger über Geflüchtete: „Da, wo das Eigene stärker unter Bedrohung gefühlt wird, bricht wieder eine Projektion hervor: 'Wem geht’s besser als mir, aber hat es weniger verdient?’ Solidarität scheint da zu enden, wo es mehr Opfer braucht, als man sowieso gern bereit ist zu geben.“
Das bestätigen auch Frankfurter Migrant*innen gegenüber der taz. Sie erlebten wieder mehr Anfeindungen im öffentlichen Raum, auch am Rande der Montagsdemos. Jüngst wurde da eine Familie rassistisch angeschrien, die am Straßenrand wartete, dass der Protestzug vorbeizieht.
Solche Vorkommnisse dokumentiert auch die Meldestelle für rechte Vorfälle des linken Vereins Utopia. Nicht nur strafrechtlich relevante, sondern auch Delikte wie rechte Graffiti, Sticker und Alltagsrassismus. Für 2022 sind der Meldestelle bis Mitte Oktober 34 Vorfälle bekannt. Davon einige in Verbindung mit den Montagsdemos: Journalist*innen wurden mehrmals beschimpft. Demonstrierende zeigten wiederholt Reichsfarben und Reichsbürgersymbolik. Redebeiträge beinhalteten antisemitische Verschwörungsmythen.
Die Montagsproteste seien, so ein Sprecher der Meldestelle gegenüber der taz, ein „Dammbruch“ für Frankfurt: „So große, nach rechts offene Demonstrationen finden erstmals seit Jahrzehnten praktisch ohne jeglichen Protest der Zivilgesellschaft statt.“ Rechte Symbolik und Rhetorik kämen hier gerade tatsächlich in der Mitte der Gesellschaft an.
Ähnlich sieht es Oberbürgermeister Wilke: „Viele dort tun so, als ob sie politisch unbefangen wären, aber das ist nur Inszenierung.“ Zwei Treffen zwischen ihm und den „Freigeistern“ seien schon „schlimm verlaufen“. „Es war schwer, überhaupt eine gemeinsame Realitätsebene zu finden.“ Für Wilke ist die Trennlinie: Er hat Grundvertrauen in das demokratische System, die meisten der „Freigeister“ nicht.
„Gleichwohl laufen bei den Demos auch viele Leute mit, die ich gern erreichen würde.“ − „Und wie?“ − Wilke wird leise: „Wenn ich darauf eine Antwort hätte. Wir sind doch alle Suchende mit eingeschränktem Sichtfeld.“
Das Linken-Mitglied Günter dagegen hat eine Idee. Und keine Berührungsängste mit den Montagsdemos. Seit Wochen steht er jeden Montag etwas abseits und notiert sich Plakatsprüche und Sprechchöre. Dazu will er linke Argumentationen finden: „Zum Beispiel: ‚PCK statt USA‘ − klar, die Arbeitsplätze hier müssen wichtiger sein als Bündnisse oder Verabredungen mit den Vereinigten Staaten“, erklärt er.
Günter findet: Die Linke sollte die Herbstproteste anführen. Mit ihren Dienstagsdemos seit September haben sie das allerdings nicht geschafft. Einen Tag nach der Großdemo der Freigeister, am 4. Oktober, kommen wieder nur gut 30 Leute zu der Kundgebung seiner Partei. Bis Günter an diesem Tag seine vielen politischen Banner vorm Rathaus aufgehängt hat, ist der kleine Aufmarsch schon fast wieder vorbei. Günter fragt sich: Wie lange tut sich die Linke die Schmach dieser Mini-Demos noch an?
Ein Linken-Stadtverordneter sagt an diesem Abend: „Wir verachten die Montagsproteste nicht, wir respektieren sie.“ Ihre Teilnehmenden seien „potenzielle Verbündete“. Abwerben ja, aber teilnehmen nein. Günter dagegen will sich kommende Woche in den Montagszug mischen und Demonstrierende mit linken Argumenten überzeugen. Seine Parteigenossen sind skeptisch, verbieten tun sie es nicht.
Am folgenden Montag, den 10. Oktober, beschießt Russland in der Ukraine wieder mehrere Großstädte mit Raketen und Drohnen. In Berlin beschließt die Bundesregierung die ersten Entlastungspakete gegen steigende Energiepreise. Erstmals traut sich ein lokaler Bundespolitiker auf die „Freigeister“-Demo.
Mathias Papendieck von der SPD ist der im hiesigen Wahlkreis direkt gewählte Bundestagsabgeordnete. Er will an diesem Abend die Bundespolitik erklären. Besser: verteidigen. Er beginnt mit einer Rede um 18 Uhr auf dem Rathausplatz: „Wir haben mehrere Entlastungspakete geschnürt …“
Da wird er schon unterbrochen. „Wer’s glaubt!“, brüllt ein Mann. Die Menge buht, trommelt, pfeift, trötet durcheinander. „Lügner!“.
Rund 1.000 Leute stehen aufgebracht um den Politiker herum. Er ist allein gekommen, Sicherheitsleute hat er nicht.
Als Papendieck sagt „Wir stehen zur Nato“, schreitet ein Mann mit erhobener Faust auf ihn zu und schreit: „Ihr seid alles Verbrecher!“ Dutzende applaudieren und grölen mit. Ein „Freigeister“-Moderator mahnt: „Unser Motto ist, dass hier alle sagen können, was sie möchten, auch Herr Papendieck! Pfeifen könnt ihr ja, aber bitte so, dass er ausreden kann!“
Sprechchöre und erste Wortmeldungen folgen: „Wir sind das Volk!“ – „Ihr schiebt unsere Waffen in diese Ukraine da, wie sollen wir uns denn verteidigen?“ – „Mein Vorschlag: Wir schicken alle Politiker an die Front!“
Papendieck entgegnet ruhig, obwohl seine Rede in dem Tumult kaum zu hören ist: „Bezüglich der Bundeswehr: Es ist ja das Sondervermögen beschlossen worden …“ Wieder übertönen ihn Zwischenrufe: „Wir frieren nicht für euern Krieg!“ und „Zynischer geht’s nicht!“
Kerstin wollte Papendiecks Rede über die Regierungspolitik eigentlich nicht hören. Doch den „Freigeistern“ fehlten Ordner*innen. 50 müssen sie vor Demo-Beginn zusammenkriegen, um die Polizeiauflagen zu erfüllen. „Ich will’s ja nicht scheitern lassen!“, sagt Kerstin. Und steht dann doch in gelber Warnweste beim Politikerauftritt. Sie findet die Rede und die aufgeheizte Stimmung auf dem Platz schrecklich und ist froh, als der Protestzug startet. 1.300 Leute laufen an diesem Abend mit.
Darunter tatsächlich auch gut sichtbar Günter von der Linken. Er hat sich mit einem riesigen Banner eingereiht und mehrere helfende Hände zum Tragen gefunden. Auf dem Transparent steht: „Zurück zur Diplomatie gegenüber Russland. Frieden für die Ukraine und ihre europäischen Nachbarn. Keine Waffenlieferungen in Krisengebiete.“ Die Themen kommen auch hier gut an. Vergnügt unterhält sich Günter mit Mitdemonstrierenden.
Als der Demo-Zug nach einer Stunde wieder zum Rathausplatz zurückkehrt, steht dort noch immer Papendieck auf dem Platz und diskutiert. „Warum hört die Regierung nicht auf das eigene Volk, sondern erfüllt nur Forderungen aus dem Ausland?“, poltert ein „Freigeist“-Aktivist. Der SPD-Politiker erläutert geduldig, dass die Proteste durchaus die Politik beeinflussen, an Maßnahmen wie den Entlastungspaketen immer nachgebessert werde.
Fünf Diskutierende gehen mit ihm um 22 Uhr noch in die Kneipe am Platz. Sie sind die letzten Gäste, setzen sich an einen Tisch im ersten Obergeschoss. Vor bodentiefe Fenster mit Blick auf das Kopfsteinpflaster des nun leeren, dunklen Rathausplatzes.
„Ich war immer gegen’s Impfen, auch bei den Coronaspaziergängen dabei“, bringt eine ältere Frau das Pandemie-Thema noch einmal auf den Tisch. „Ich arbeite in der Pflege, musste mich doch impfen lassen.“ Später sei sie trotzdem an Corona erkrankt, leide nun unter Long Covid und bekomme keinen Therapieplatz. „Was hat mir das Impfen gebracht?“
Papendieck hört verständnisvoll zu: „Hätte man vor zwei Jahren über Coronamaßnahmen mit dem Wissensstand von heute entscheiden können, wäre das sicher anders ausgegangen.“ Er habe für die berufsbezogene Impfpflicht gestimmt, weil damals auch eine allgemeine Impfpflicht vorgesehen war. Und wegen seiner eigenen Corona-Erfahrung: „Ich bin zusammengebrochen, konnte wochenlang gar nichts tun. Ich habe verstanden, wie gefährlich das Virus ist“, erzählt er.
Um Mitternacht, nach sechs Stunden Diskussion ohne Pause, ist Schluss. Papendieck lächelt noch immer. Jetzt erleichtert. Seine beharrliche Strategie scheint aufgegangen zu sein. Fast freundschaftlich verabschieden sich alle in die Nacht.
In der folgenden Oktoberwoche sinkt die Teilnehmendenzahl bei der Montagsdemo weiter. Nur noch 1.100 Menschen kommen am 17. Oktober, 200 Menschen weniger als kurz zuvor.
Auch Günter von der Linken kommt nicht mehr. Sein Plan wurde von seinen Parteigenoss*innen gestoppt. Er war in der Vorwoche auf dem Titelbild der Lokalzeitung gelandet, mit seinem Banner direkt neben der Reichsbürgerfahne. Sein Linken-Kreisverband bat ihn daraufhin, nicht mehr mitzulaufen und das Banner nicht mehr zu zeigen.
Beim RBB-Live-Talk im Oderturm am 18. Oktober ist Günter aber wieder dabei, steht in einer der hinteren Reihen, während vorne die emotionale Diskussion zwischen den aufgebrachten Bürger*innen und den eingeladenen Politiker*innen beginnt.
Für die „Freigeister“ spricht der Maurer Lutz Kauliski, Demo-Anmelder vom September. Die Wut unter den Leuten erklärt er stockend, mit jedem Satz springt er zu einem anderen Thema: „Die Bürger sehen, dass am Ende des Monats von ihrem Erarbeiteten nichts mehr übrig bleibt.“ Die „Kriegsrhetorik“ ziele immer nur gegen Russland. „Wer fragt denn noch das Volk?!“ Ein Meer von Handykameras zeichnet seine Rede auf.
Auch René Wilke ist da. Gerade noch sagte er auf der Dienstagskundgebung der Linken zu kommunalen Nothilfen: „Für jedes Problem gibt es eine Lösung.“ Nun wirft er Gregor Gysi skeptische Blicke zu, als der sagt: „Die Linke hat ihre Identität als Partei der Ostdeutschen verloren und so der AfD das Feld überlassen.“
Für seine Forderung nach Aufhebung der Wirtschaftssanktionen gegen Russland bekommt Gysi noch Applaus. Als er sich jedoch nach rechts abgrenzt, brüllt Maurer Kauliski gut hörbar ohne Mikro: „Sie stigmatisieren uns!“ Der Journalist und Rechtsextremismus-Experte Olaf Sundermeyer wird dann schon ausgebuht, als er nur vorgestellt wird. Er ist hier eine Hassfigur, weil sich viele Montagsprotestler von ihm „in die rechte Ecke gedrängt“ sehen.
Die „Freigeister“-Protestler nutzen die Live-Sendung als Plattform für ihre Wutstimmungsmache. Die Moderierenden sind am Ende schockiert von der Aggression im Publikum. Günter sagt bedrückt: „Vielleicht sind wir der Wahrheit, dem echten Konflikt, hier aber doch ein Stück näher gekommen.“
Von einem Balkon über dem Talk-Podium ist indes zu sehen, dass die Wutstimmung von höchstens einem Drittel der Gäste ausging. „Das ist nur eine laute Minderheit“, sagt auch Experte Sundermeyer in der Sendung. Die „Freigeister“ dagegen sehen die unsichtbare Mehrheit auf ihrer Seite. „Sonst gäbe es doch Gegenaktionen, oder?“, fragt ein Aktivist, als die Gruppe nach der Sendung noch auf René Wilke trifft. Ohne Kameras sprechen sie respektvoller, laden den Oberbürgermeister wieder zur Demo ein. Er lehnt wieder ab, höflich, aber bestimmt.
Schon am folgenden Tag plant eine kleine Gruppe Studierender und jüngerer Linker einen Gegenprotest. Am 24. Oktober dann mischen sie in Kostümen und absurden Losungen die Montagsdemo auf. Für Sprüche wie „Heißer Tee statt Käsefüße“ bekommen sie sogar Applaus, bis die „Freigeister“ ihren Anhängern erklären, dass das eine Gegendemo ist.
Im November folgen neue Gesprächsformate in der Stadt: ein Diskursfestival über Ostidentität, ein Dialog mit Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke, eine zweite Handwerker-Demo mit Wilke. In Berlin werden indes die Entlastungsmaßnahmen ausgeweitet. Das alles raubt den Montagsprotesten die Mobilisierungskraft.
Kerstin läuft noch manchmal allein am ruhigeren Ende mit. Und geht, wenn die Lauten vor ihr, der Stillen, zu radikal werden. Günter sucht weiter nach Anknüpfungspunkten für die Linke, während seine Partei ihre Demos aufgegeben hat und Einzelne montags bei Gegenaktionen mitmachen.
Bald kommen zu den „Freigeistern“ nur noch 500 bis 700 Leute. Zwei Drittel haben die Demos verlassen. In Frankfurt (Oder) jedenfalls zeigt sich: Reden hilft, den „Heißen Herbst“ zumindest ein wenig abzukühlen. | 651 |
1 | privat/ Instagram 18 Karat
Die Mutter des Gangster-Rappers 18 Karat liegt derzeit im Krankenhaus.
FOCUS-online-Redakteur Malte Arnsperger
Samstag, 30.11.2019, 10:43
Mit aller Konsequenz will die Polizei gegen kriminelle Clans vorgehen, derartige Ankündigungen sind von den Behörden jetzt immer wieder zu hören. Doch geht die Polizei mittlerweile zu weit? Ein Fall aus Nordrhein-Westfalen sorgt jetzt für Empörung. Im Mittelpunkt: Eine 60-jährige Frau, gerade einmal 1,58 Meter groß.
Ein Foto zeigt eine Frau, die auf dem Rücken in ihrem Krankenhaus-Bett liegt. Auf einem anderen Bild ist eine mit zehn Stichen genähte Operationswunde zu sehen. Aufgenommen hat die Fotos der bekannte Gangster-Rapper „18 Karat“. Denn es ist seine Mutter, die da in einer Dortmunder Klinik liegt. Vor einer Woche wurde die 60-Jährige bei einem SEK-Einsatz schwer verletzt, ihr wurde ein Rückenwirbel gebrochen.
Ein Polizist habe ihr einen Tritt versetzt, dadurch sei sie gestürzt und habe sich den Bruch zugezogen, sagt die Frau. Beim Eindringen der Beamten in die Wohnung „kam die im Flur befindliche Wohnungsinhaberin zu Fall“, sagt die Polizei. Wie genau? Dazu kein Kommentar, „die Ermittlungen dauern an“.
18 Karat auf Instagram: "Unfairer Einsatz"
Der Rapper schäumt vor Wut und schreibt auf Instagram von einem „unfairen Einsatz“ gegen eine „unschuldige Frau“. Und weiter: „Es hätte jede andere Mutter, die einen Sohn hat, dem eine Straftat vorgeworfen wird, treffen können.“ Während seine Mutter mittlerweile Strafanzeige erstattet hat, gibt es auch von Experten Kritik an dem Vorgehen der NRW-Polizei in jüngster Zeit.
Tatsächlich wirkt der Einsatz auf Grundlage der bisher dürren Informationen ziemlich rabiat. Am frühen Morgen hätten die Beamten die Wohnungstür der Frau aufgebrochen, sagte ihre Anwältin Arabella Pooth zu FOCUS Online.
Ihre Mandantin sei im Nachthemd an die Tür gegangen, weil sie Einbrecher vermutete. Einer der vermummten Beamten hätte die unbewaffnete und gerade mal 1,58 Meter kleine Frau dann mit einem Fußtritt brutal auf den Boden befördert. Bis heute liege ihre Mandantin im Krankenhaus, die Ärzte vermuteten monatelange Beschwerden, so die Juristin.
Instagram 18 Karat
Rapper 18 Karat.
18 Karat mit Clan-Mitglied befreundet
Der eigentliche Grund für den Einsatz schlief ein Stock höher, 18 Karat, bürgerlich Ivo Vieira Silva. Die Polizisten hätten ihn „aufgrund vager Hinweise“ verdächtigt, an einer Attacke auf einen Bandido-Rocker beteiligt gewesen zu sein, sagt Arabella Pooth. Im Juli wurde der Bandido in Dortmund angeschossen. Verdächtig ist ein Mitglied des Miri-Clans.
Ja, Ivo Silva alias 18 Karat sei mit dem Clan-Mitglied befreundet, sagt Anwältin Pooth. Doch es sei für sie unbegreiflich, warum die Polizei nur deswegen zu einem solch massiven Einsatz in einer Wohnung anrücke, in dem 18 Karat noch nicht einmal gemeldet sei. Es sei ein weiteres Beispiel für den „unberechtigten Generalverdacht“, der sowohl gegen die Groß-Familien als auch ihre Bekannten stünde, sagt die Juristin, die einige Mitglieder aus dem Clan-Milieu vertritt.
Kriminologe: Polizeigewalt keine Ausnahme
Diese Einschätzung teilt Thomas Feltes, renommierter Kriminologe an der Uni Bochum. Aber er sieht noch weiteren Anlass zur Kritik an der Polizei. Zum einen verweist er im Gespräch mit FOCUS Online darauf, dass Polizeigewalt keineswegs die Ausnahme ist, wie eine vor einigen Wochen veröffentlichte Studie seiner Universität zeige. Demnach berichten rund 70 Prozent der Befragten von körperlicher Gewalt seitens der Polizeibeamten. Auch würden fast alle Verfahren gegen Polizisten, „oft mit fadenscheinigen Gründen“, eingestellt, bemängelt Feltes.
Zum anderen rügt Feltes ganz speziell den Kampf gegen Clans und Rocker in NRW. Die Ermittler würden sich beim Waffen- oder Zollrecht bedienen, um gegen die Clans vorgehen zu können, da sie offensichtlich mit dem Straf- oder Polizeirecht keine Handhabe gegen diese Personen sehen. Dies sei möglicherweise verfassungswidrig, sagt Feltes.
Polizei in NRW: Strategie der "Nadelstiche"
Ganz besonders kritisch sieht er aber die „massive Gewalt“, die von der Polizei dabei ausgehe. „Und das nur, um einen starken Staat zu beweisen. Damit tut sich die Polizei keinen Gefallen“, sagt Feltes. Die Vorwürfe weist das Innenministerium in Düsseldorf auf Anfrage von FOCUS Online zurück: „Das sind unbewiesene Behauptungen. Selbstverständlich hält sich die NRW-Polizei auch bei ihrem konsequenten Vorgehen gegen Clankriminalität an Recht und Gesetz. Den Vorwurf, dass die Zusammenarbeit verschiedener staatlicher Behörden verfassungswidrig sei, hören wir zum ersten Mal.“
Die NRW-Polizei hat seit Juli 2018 mehr als 26.000 Personen im Clan-Milieu kontrolliert, wie die „Rheinische Post“ kürzlich berichtete. Diese Einsätze sind Teil einer groß angelegten Strategie der „Nadelstiche“, um gegen die kriminellen Mitglieder der Clans vorzugehen und deren illegalen Geschäfte zu stören.
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1 | SPD nach Sarrazin: Nur die Sozen brauchen Quoten
Die SPD will mit einer Migrationshintergrund-Quote ihr lädiertes Image aufpolieren. Doch die Maßnahme ist umstritten, andere Parteien lehnen sie ab.
Die neue Integrationsministerin in Baden-Württemberg: Bilkay Öney. Bild: imago
BERLIN taz | Fortschritt oder Ausdruck ihres desolaten Zustands? Die SPD will mit der Einführung einer Quote für Bürger mit Migrationshintergrund in den Führungsetagen ihr lädiertes Image aufpolieren. 15 Prozent der Posten in den Parteispitzengremien sollen künftig von Migranten besetzt werden, sagte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles am Montag im Anschluss an ein Gespräch mit dem Parteipräsidium.
Was die Sozialdemokraten als großen Vorstoß in Sachen parteiinterner Migrationspolitik feiern, stößt bei anderen Parteien jedoch auf Ablehnung. Aus unterschiedlichen Gründen.
"Wenn in einer Partei Migranten besonders benachteiligt sind, kann eine Quote sinnvoll sein", sagte zwar der migrationspolitische Sprecher der Grünen im Bundestag, Memet Kiliç. Für SPD und CDU würde sich diese Frage durchaus stellen. Bei den Grünen hätte eine solche Quote jedoch nur wenig Auswirkungen, ist sich Kiliç sicher. Der Migrantenanteil in den Führungsgremien sei auch ohne Quote hoch. Cem Özdemir, der Parteivorsitzende, sei das prominenteste Beispiel. Aber auch mindestens 6 der insgesamt 68 Grünen-Abgeordneten im Bundestag hätten einen Migrationshintergrund. So genau wisse er das gar nicht, sagt Kiliç, denn: "Bei den Grünen wird die Herkunft nicht extra erfragt."
Die FDP kann sich sehen lassen
Auch die FDP kann sich sehen lassen. Mit Gesundheitsminister Philipp Rösler wird bei den Liberalen künftig ebenfalls ein Migrant an der Spitze der Partei stehen. Auch hier heißt es aus Parteikreisen, eine Quote auf den Führungsebenen sei nicht notwendig. Unter Liberalen zähle ohnehin nur die Leistung. Da hätten Parteimitglieder mit Migrationshintergrund die gleichen Chancen wie ohne, heißt es.
Sevim Dagdelen, migrationspolitische Sprecherin der Linkspartei, lehnt eine Migrantenquote gar grundsätzlich ab. Sie würde die Probleme von Migranten nicht lösen. Dagdelen hält es für wesentlich wichtiger, Politik im Sinne von Migranten zu betreiben. Dann würden sie schon von selbst in die Parteien strömen.
Das SPD-Präsidium reagierte mit der Ankündigung, eine Migrantenquote für ihre Spitzengremien einzuführen, auf die heftige Kritik im Umgang mit dem SPD-Mitglied Thilo Sarrazin. Der ehemalige Berliner Finanzsenator hatte in seinem Buch "Deutschland schafft sich ab" Muslimen hierzulande generell Integrationsunwilligkeit vorgeworfen. Ein Parteiausschlussverfahren zog die SPD-Spitze nach langen Beratungen jedoch zurück. Daraufhin erklärten zahlreiche SPDler mit Migrationshintergrund ihren Parteiaustritt.
Auf Worte folgen Taten
Mit der Quote von 15 Prozent will die Parteispitze nun gegensteuern. Dieser Wert entspricht in etwa dem Anteil der Menschen mit ausländischen Wurzeln in der SPD, der derzeit bei etwa 14 Prozent liegt. Grundlage für den Begriff Migrant soll die Definition des Statistischen Bundesamtes sein, wonach eine Person noch einen Migrationshintergrund hat, wenn die Großeltern nach Deutschland eingewandert sind. Derzeit gibt es SPD-Chef Sigmar Gabriel zufolge weder in der Parteispitze noch im Vorstand oder Präsidium jemanden mit Migrationshintergrund. Im Parteirat allerdings viele. Es sei ein Fehler des Dresdner Parteitages im November 2009 gewesen, keinen Migranten in den Vorstand zu wählen.
Die Sozialdemokraten lassen auf die Worte auch schon Taten folgen. Der baden-württembergische SPD-Landeschef Nils Schmid hat mit Bilkay Öney eine Deutsche mit türkischen Wurzeln zur Integrationsministerin im neuen rot-grünen Kabinett des südwestlichen Bundeslandes erkoren. Öney ist eine Ex-Grüne. | 653 |
0 | Indessen die Philister also klagten, dankte ich meinen Kommilitonen
für ihre Aufmerksamkeit für mich, sagte ihnen, daß sie nachts viel
bessere Gelegenheit zum Fenstereinwerfen haben, und bewog sie durch
Bitten und Vorstellungen, daß sie abzogen. Sie marschierten in
geschlossenen Reihen durch das erschreckte Städtchen und sangen ihr
_Ça ira, ça ira," _ nämlich: Die Burschenfreiheit lebe" und das
erhabene Rautsch, rautsch, rautschitschi, Revolution!" | 654 |
1 | Urteil zu religiösen Beschneidungen: Jüdische Klinik setzt Eingriffe aus
Die Chirurgen des Jüdischen Krankenhauses in Berlin sind vom Kölner Urteil verunsichert. Sie haben deshalb Beschneidungen bis auf weiteres ausgesetzt.
Hier finden vorläufig keine Beschneidungen mehr statt: Das Jüdische Krankenhaus in Berlin. Bild: dpa
BERLIN taz | Wegen des Kölner Beschneidungsurteil führt das Jüdische Krankenhaus Berlin bis auf weiteres keine religiös begründeten Beschneidungen an Jungen mehr durch. Dies erklärte der Chefarzt der Klinik für Innere Medizin, Kristof Graf, der taz.
Nach Prüfung des umstrittenen Urteils des Kölner Landgerichts vom Dienstag durch einen internen und einen externen Juristen sei man zu dem Ergebnis gekommen, dass man die Chirurgen des Krankenhauses nicht mehr in einem nun quasi rechtsfreien Raum operieren lassen könne. Der Kölner Richterspruch schaffe bei den Ärzten „große Unsicherheit“, so Graf. Es bestehe in seinem Haus jedoch der Wunsch, diesen „Bestandteil unserer medizinischen Aufgaben seit 250 Jahren“ bald wieder aufzunehmen, so Graf.
Am Dienstag hatte das Landgericht Köln die Beschneidung von Jungen aus religiösen Gründen als Straftat bewertet. Das Gericht verwies unter anderem darauf, dass der Körper des Kindes durch die im Islam und im Judentum verbreitete Beschneidung „dauerhaft und irreparabel verändert“ werde.
Jüdisches KrankenhausDas Jüdische Krankenhaus Berlin im Stadtbezirk Mitte gilt als lokales Versorgungskrankenhaus in einem Viertel, das einen hohen Anteil von Menschen türkischer Herkunft hat. Das Klinikum hat eine über 250-jährige Tradition. In der NS-Zeit war es ein Sammellager und Zwischenstation für die Transporte der Juden in die Konzentrationslager, aber auch Zufluchtstätte für Untergetauchte.
Nicht nur jüdische und muslimische Verbände übten daraufhin scharfe Kritik an dem Urteil. Dieser Kritik schlossen sich auch die beiden Volkskirchen in großer Deutlichkeit an. Schon jetzt seien im Jüdischen Krankenhaus Berlin zwei geplante Beschneidungen vom Operationsplan abgesetzt worden, erläuterte Chefarzt Graf.
„Was machen wir jetzt?“
Von den rund 300 Beschneidungen des vergangenen Jahres in seinem Haus seien über ein Drittel religiös motiviert gewesen, berichtet er. Die Mehrheit davon sei nicht an jüdischen, sondern an muslimischen Jungen vorgenommen worden.
Graf betonte, ungeachtet der religiösen Bestimmungen könne eine Beschneidung „ein durchaus sinnvoller hygienischer Eingriff“ sein. Medizinisch betrachtet sehe er in Beschneidungen keine Körperverletzung. Von den derzeit drei Fachärzten, die Beschneidungen durchführten, haben es unmittelbar nach Bekanntwerden des Urteils die Rückmeldung gegeben: „Was machen wir jetzt?“, erzählte Graf.
Man könne von den Chirurgen nach dem Urteil nicht verlangen, dass sie eine Operation durchführten, die sie in ein Rechtsverfahren verwickeln könne. Von dem Urteil sei man zunächst sehr überrascht, dann nach einem ersten Nachdenken „total entsetzt“ gewesen, so Graf.
Es sei „in seinen Konsequenzen eine Katastrophe“ und „erschreckend in seinen Dimensionen“. Die Kölner Entscheidung schränke die Religionsfreiheit des Judentums massiv ein. Graf zeigte sein Unverständnis, dass „ausgerechnet in Deutschland so ein Urteil“ gefällt werde. | 655 |
1 | Aufstand in Libyen: Tausende Tote
Gaddafi geht im Osten des Landes in die Offensive und kündigt an, "bis zum letzten Mann" kämpfen zu wollen. Tausende sind bereits gestorben, sagen Menschenrechtsorganisationen.
Aufständische in der Nähe von Adschdabija haben einen Panzer der Armee erobert. Gaddafis Truppen starteten eine Offensive im Osten des Landes. Bild: reuters
TRIPOLIS/WASHINGTON/BERLIN dpa/afp/dapd/taz | Nach Schätzungen von Menschenrechtlern sind bei den Protesten in Libyen bereits Tausende gestorben. Die Internationale Menschenrechtsliga (FIDH) in Paris sprach am Mittwoch von bis zu 3.000 Toten. Sprecher einer libyschen Menschenrechtsorganisation gingen sogar von der doppelten Zahl aus. Die FIDH hatte bei ihrer letzten Schätzung am 23. Februar noch von 640 Toten gesprochen. Diplomaten schätzten die Zahl bisher auf 1.500 bis 2.000. Der Internationale Strafgerichtshof leitet Ermittlungen gegen Libyen ein.
Staatschef Muammar al-Gaddafi ließ sich indes in Tripolis während einer Feier zum "34. Jahrestag der Herrschaft des Volkes" feiern. Eine stundenlange Rede von ihm wurde im Staatsfernsehen übertragen. Er werde kämpfen "bis zum letzten Mann und zur letzten Frau", sagte er und drohte "tausende Libyer werden sterben, wenn Amerika oder die NATO intervenieren."
„Ich habe kein Amt, von dem ich zurück treten könnte. Ich bin nicht Premierminister", sagte Gaddafi weiter. Das Einfrieren seines Vermögens im Ausland bezeichnete er als "Diebstahl".
Libysche Menschenrechtler erhoben zudem Vorwürfe gegen den Tschad, der nach seinen Angaben eine wichtige Rolle bei den ausländischen Söldnern im Dienste von Muammar al-Gaddafi spiele. "Zwei tschadische Generäle befehligen die Söldner", sagte ein Sprecher. Er gab die Zahl der Söldner mit 3000 in der Hauptstadt Tripolis und weiteren 3000 in deren Vororten an.
Unterdessen gehen die Kämpfe im Osten des Landes weiter, Augenzeugen berichten vom Einsatz von Kampfflugzeugen in den Städten Brega und Adschdabija.
Gaddafi lässt sich in Tripolis feiern und droht über das Staatsfernsehen dem Westen, sollte er militärisch eingreifen. Bild: reuters
Offensive im Osten
Gaddafi-Truppen haben am Mittwoch eine Offensive im von der Protestbewegung kontrollierten Osten des Landes gestartet. Eine Ölanlage nahe der Stadt Brega sei kampflos besetzt worden, sagte ein Manager der Ölfirma Sirte, Ahmed Dscherksi. Am Mittag sei dort ein Kampfflugzeug eingesetzt worden sein. In Brega dauerten die Kämpfe am Mittwochnachmittag noch an, berichtet die BBC. Zwei Kampfflugzeuge bombardierten ein Munitionsdepot nahe der ostlibyschen Stadt Adschdabija, berichteten Augenzeugen.
Adschdabija liegt 750 Kilometer östlich von Tripolis, Brega 200 Kilometer von der zweitgrößten Stadt Bengasi entfernt, dem Nervenzentrum der Aufständischen im Osten. In der Ölanlage arbeiten rund 4.000 Arbeiter.
Augenzeugen sagten, eine Rebelleneinheit sei auf dem Weg nach Brega, das 70 Kilometer südwestlich von Adschdabija liegt. Das Munitionsdepot dort seien gegen 10.00 Uhr bombardiert worden. "Ich kann die Jets jetzt angreifen sehen", sagte ein Augenzeuge der Nachrichtenagentur AP. Ein anderer berichtete, Rebellen seien auf dem Weg westlich der Stadt, um sich Gaddafis Truppen entgegen zu stellen. "Wir sind bereit, ihren Angriff zurückzuschlagen", sagte er.
Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag leitet unterdessen Ermittlungen gegen Libyen wegen möglicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein. In einer Erklärung vom Mittwoch hieß es, Chefankläger Luis Moreno-Ocampo habe sich dazu nach vorläufiger Auswertung bislang zusammengetragener Informationen entschieden.
Kämpfe auch nahe der Hauptstadt
Zudem eroberten Truppen Gaddafis offenbar zwei Orte in der Umgebung der Hauptstadt von den Rebellen zurück. Die Explosion eines Tanklasters am Mittwoch in Tripolis löste Panik unter Anwohnern aus.
Ob es sich um einen Sabotageakt handelte, war zunächst nicht bekannt. Die Feuerwehr rückte mit vier Löschwagen aus, um die Flammen zu bekämpfen. Anwohner griffen ausländische Journalisten an, die am Ort der Explosion eintrafen. Sie trieben die Reporter in das Hotel zurück, in dem diese wohnen.
Gaddafi-Truppen hätten die strategische wichtige Stadt Gharjan im Nafussa-Gebirge bei Tripolis zurückerobert, berichtete ein Einwohner. Nach Angaben von Gefolgsleuten Gaddafis wurde auch der Ort Sabratha westlich der Hauptstadt wieder eingenommen, der in der vergangenen Woche abwechselnd von Kräften des Regimes und Aufständischen kontrolliert wurde.
Offenbar Fahndung nach Gaddafi-Gegnern
Gharjan war am vergangenen Freitag von den Rebellen eingenommen worden, berichtete der Einwohner der Nachrichtenagentur AP. Nach der Rückeroberung hätten Gefolgsleute Gaddafis Offiziere festgenommen, die zu der Opposition übergelaufen seien. Es seien Suchlisten mit den Namen Oppositioneller erstellt worden. Die Fahndung habe sofort begonnen.
Angriffe auf die von der Protestbewegung gehaltenen Stadt Sawija seien am Dienstag erneut abgewehrt worden, berichteten Einwohner aus der 50 Kilometer westlich von Tripolis gelegenen Stadt. Auch Versuche von Gaddafis Truppen, die Kontrolle über einen umkämpften Luftwaffenstützpunkt bei Misrata auszuweiten, seien gescheitert, hieß es von dort.
Der Sohn des Staatschefs, Saif al-Islam Gaddafi, gibt sich ruhig: "In zwei Tagen wird alles wieder den gewohnten Gang nehmen", sagte er in einem Interview dem Le Figaro vom Mittwoch. Die Lage sei ausgezeichnet und vom Fall des Regimes gar keine Rede. Die Situation im Osten des Landes sei etwas chaotisch, doch werde auch dort bald Ruhe einkehren, erklärte er weiter. Er gestand, dass es bei den Protesten mehrere hundert Tote gegeben hat, bestritt jedoch erneut die Luftangriffe auf Zivilisten.
Unterdessen untersucht die London School of Economics, ob Saif in seiner Doktorarbeit abgeschrieben hat.
Ausschluss aus dem Menschenrechtsrat
Wegen des brutalen Vorgehens gegen Regierungsgegner wurde Libyen am Dienstagabend offiziell aus dem UN-Menschenrechtsrat in Genf ausgeschlossen. Mehr als zwei Drittel der 192 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen stimmten für den Ausschluss Libyens aus dem Menschenrechtsrat. Nie zuvor war die Weltorganisation in dieser Form gegen ein aktives Mitglied vorgegangen.
Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) beobachtet die Lage in Libyen und an den Grenzen mit Sorge. Vor allem die Entwicklung in dem noch vom Gaddafi-Regime beherrschten Westen Libyens mit der Hauptstadt Tripolis sei alarmierendsagte IKRK-Sprecherin Anna Nelson.
Deutschland stellt eine Million Euro zur medizinischen Versorgung der aus Libyen geflohenen Menschen bereit. Außenminister Guido Westerwelle sagte am Mittwoch in Berlin, man gehe von mehr als 140.000 Flüchtlingen an den Grenzen zu Tunesien und zu Ägypten aus. Auf Bitten der ägyptischen Regierung werde zudem geprüft, ob Ägypter, die nach Tunesien fliehen mussten, mithilfe der Bundeswehr wieder zurück in ihre Heimat transportiert werden könnten.
Großbritannien hat eine Luftbrücke für ägyptische Flüchtlinge gestartet, die an der libysch-tunesischen Grenze festsitzen. Premierminister David Cameron erklärte am Mittwoch in London, die Ägypter würden in ihre Heimat ausgeflogen. Der erste Flug sollte noch im Lauf des Tages in Großbritannien starten.
Die US-Regierung denkt darüber nach, ob sie die diplomatische Beziehung zu Libyen abbrechen soll, sagte ein hoher Beamter dem US-Nachrichtensender CNN in der Nacht zum Mittwoch.
Keine Übereinkunft mit der Nato
Eine Militärintervention sieht US-Verteidigungsminister Robert Gates zur Zeit nicht. Er sagte am Dienstag, es gebe keine Übereinkunft mit der Nato über einen Einsatz von Militär. Die USA wollten nicht in einen Krieg im Nahen Osten ziehen. Der Pentagonchef bekräftigte zwar, dass die USA eine Reihe von Militäroptionen prüften. Es sei aber noch keine Entscheidung gefallen, sagte er auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Generalstabschef Mike Mullen in Washington.
Die USA verlegen nach Angaben von Gates zwei Kriegsschiffe ins Mittelmeer, für humanitäre Hilfe und etwaige Evakuierungen. Kanada entsendet eine Fregatte ins Mittelmeer, um dort mögliche internationale Aktionen im Zusammenhang mit der Libyen-Krise zu unterstützen. US-Außenministerin Hillary Clinton warnte vor einem langjährigen Bürgerkrieg in Libyen. | 656 |
0 | Ein Teil dieser Entwicklung, glaubte ich nun, war gekommen, der zweite
wird mit Gustavs Ansiedlung eintreten. An mir hatten die Frauen wieder
einen Halt gewonnen, daß sich ein fester Kern ihres Daseins wieder
darstelle; ein neues Band war durch mich von ihnen zu den Meinigen
geschlungen, und selbst das Verhältnis zu Risach hatte an Rundung und
Festigkeit gewonnen. Den Abschluß der Familienzusammengehörigkeit wird
dann Gustav bringen. | 657 |
0 | Wallenstein.
Was geht der Schwed' mich an? Ich haß ihn, wir
Den Pfuhl der Hölle, und mit Gott gedenk ich ihn
Bald über seine Ostsee heimzujagen.
Mir ist's allein ums Ganze. Seht! Ich hab
Ein Herz, der Jammer dieses deutschen Volks erbarmt mich.
Ihr seid gemeine Männer nur, doch denkt
Ihr nicht gemein, ihr scheint mir's wert vor andern,
Daß ich ein traulich Wörtlein zu euch rede--
Seht! Fünfzehn Jahr schon brennt die Kriegesfackel,
Und noch ist nirgends Stillstand. Schwed' und Deutscher!
Papist und Lutheraner! Keiner will
Dem andern weichen! Jede Hand ist wider
Die andre! Alles ist Partei und nirgends
Kein Richter! Sagt, wo soll das enden? wer
Den Knäul entwirren, der, sich endlos selbst
Vermehrend, wächst--Er muß zerhauen werden.
Ich fühl's, daß ich der Mann des Schicksals bin,
Und hoff's mit eurer Hilfe zu vollführen. | 658 |
0 | ein Küstenfahrzeug mit flachem Boden, vorn und hinten voll und rund
gebaut, mit einem Pfahlmast und einem Treiber. Englisch smack: »A large
sloop, with a gaff-topsail and a running bowsprit, used chiefly in the
coasting and fishing trade.« Französisch semaque, niederländisch smak,
niederdeutsch smak und smakke. Das Wort steht für Schnack, vielleicht
weil die Erinnerung an Schnack = Geschwätz vermieden werden sollte. | 659 |
1 | SPD-Streit über Rassismus in der Polizei: Das große Schweigen
Die Äußerung der SPD-Chefin zu Rassismus in der Polizei war nicht spektakulär. Die Aufregung darum spiegelt eher parteiinterne Kämpfe.
Polizeiausbildung in Saarbrücken Foto: Becker&Bredel/imago
Die Polizei in der Bundesrepublik ist in erfreulich ziviler Verfassung. Sie hat, unter massivem Druck der liberalen Gesellschaft, seit den Zeiten von RAF und Antiatombewegung viel dazugelernt. Nicht nur in den USA, auch in anderen europäischen Ländern findet sich in den Reihen der Polizei mehr ungebrochener Korpsgeist.
SPD-Chefin Saskia Esken hat der Polizei kürzlich bescheinigt, es gebe in ihren Reihen latenten Rassismus. Der müsse bekämpft werden, nicht zuletzt im Interesse der großen Mehrheit der Ordnungshüter, die sich den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber korrekt verhalten, unabhängig von deren Ethnie. Dafür sei eine unabhängige Beschwerdestelle nötig.
Das ist nun keine besonders spektakuläre Aussage. Es existieren zwar keine exakten Studien darüber, ob Polizisten häufiger als der Durchschnitt zu rassistischen Mustern neigen. Aber man kann vermuten, dass Menschen in hierarchischen Organisationen anfälliger für autoritäre und ausgrenzende Verhaltensweisen sind als in Ökoläden.
Umso erstaunlicher ist die wütende Reaktion mancher SPD-Innenminister, die sich jetzt tapfer vor die Polizei stellen und von latentem Rassismus nichts wissen wollen. Die Riege der (meist männlichen) Polizeibeschützer reicht von Horst Seehofer bis zu Linksfraktionschef Dietmar Bartsch. Ihre Aufregung klingt einigermaßen hohl, weil Esken die Polizei ja gar nicht unter Generalverdacht gestellt hat.
Was macht eigentlich Kevin Kühnert?
Das staatliche Gewaltmonopol ist ein zivilisatorischer Fortschritt. Die Ausübung dieses Monpols gilt es aber zugleich besonders kritisch unter die Lupe zu nehmen. Dabei können Beschwerdestellen, die es in der Hälfte aller Bundesländer bereits gibt, nützlich sein. Die von ziemlich mutwilligen Missverständissen geprägte Debatte um Esken führt nicht weiter. Sie bedient nur alte Reflexe und scheint eher SPD-interne Kämpfen zu spiegeln als die Sache selbst. Erstaunlich ist allerdings, dass kein SPDler die Parteichefin unterstützt hat. Was macht eigentlich Kevin Kühnert? | 660 |
0 | Samstag, 16.11.2013, 00:05
Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) steckt in der Ausgabenfalle. Nach der Gründung im Mai 2006 – durch Fusion von Deutschem Sportbund und Nationalem Olympischem Komitee – hat der DOSB ein Defizit von circa vier Millionen Euro eingefahren. „Wir müssen dafür sorgen, dass wir den Gesamthaushalt für die kommenden Jahre in geordnete Bahnen lenken“, so DOSB-Schatzmeister Hans-Peter Krämer kurz vor der Delegiertenversammlung am 6. Dezember in Rostock-Warnemünde. Am Nikolaustag sollen nun die Rute ausgepackt und alle Mitglieder in den mehr als 90000 Vereinen in Deutschland zu einer Verdoppelung der DOSB-Abgabe verdonnert werden. Das Ganze bemisst sich allerdings an der Jahresabgabe in Höhe von aktuell elf Cent. Von 2010 an sollen 22 Cent fließen. Insgesamt hat der DOSB in diesem Jahr 36 Millionen Euro ausgegeben und ein höheres Minus nur vermieden, weil das Bundesministerium des Inneren sowie Sponsoren für die „Expedition Peking 2008“ etwa 3,5 Millionen extra zahlten. | 661 |
0 | Moiken ist doch eine ganz schlampige Person. Und ich hatte Küsse für
sie. Und nun nach Moiken Helga? Diese stolzen, strengen Lippen. Ob sie
es versteht, diese Keuschheit der wahren, tiefsten Liebe, die die
Geliebte wie etwas Heiliges scheut, zurückgeschreckt vor jeder unreinen
Berührung, jedem Gedanken daran. Und wenn sie sich einmal vergisst, sich
quält, in Reue quält und etwas in sich zerstört fühlt--ob sie es
versteht? Ob einem Weibe mit solcher Liebe gedient ist? | 662 |
1 | Suche nach Osama bin Laden: Hinweise auf Aufenthalt in Pakistan
Terroranführer bin Laden soll sich im Nordwesten Pakistans befinden, berichtet CNN unter Berufung auf Nato-Kreise. Für seine Sicherheit sorge auch der pakistanische Geheimdienst.
Hält er sich in Pakistan auf? Al-Kaida-Chef Osama bin Laden. Bild: dapd
KABUL/ISLAMABAD dpa | Osama bin Laden hält sich angeblich im Nordwesten Pakistans auf. Das berichtet der US-Nachrichtensender CNN unter Berufung auf eine nicht näher bezeichnete hochrangige Quelle innerhalb der Nato. Bin Laden und sein Stellvertreter Eiman al-Sawahiri wohnen den Aussagen zufolge getrennt von einander in zwei nahe gelegenen Häusern.
Die Häuser seien relativ komfortabel ausgerüstet: "Niemand von Al-Kaida wohnt in einer Höhle", zitiert CNN den Nato-Angehörigen. Die beiden hochrangigen Al-Kaida-Terroristen würden von örtlich Ansässigen, aber auch von einigen Mitgliedern des pakistanischen Geheimdienstes beschützt.
Osama bin Laden ist seit rund neun Jahren untergetaucht. Zuletzt wurde nach den verheerenden Fluten in Pakistan im Sommer eine Audiobotschaft des Al-Kaida-Chefs publik. Immer wieder wurde in den vergangenen Jahren spekuliert, er könne sich im pakistanischen Grenzgebiet zu Afghanistan verstecken. Offizielle Belege dafür gibt es nicht.
Die CNN-Quelle machte zudem Aussagen zur Sicherheitslage in Afghanistan und dem pakistanischem Grenzgebiet: Jedes Jahr könnten die Aufständischen an Stärke zunehmen, trotz erfolgreicher Militärschläge. Entlang der Grenze gäbe es zwischen 500.000 und einer Million „unzufriedener“ Männer zwischen 15 und 20 Jahren. Etwa 95 Prozent der Aufständischen führen ihre Angriff nur durch, um Geld zu verdienen und nicht aus ideologischen Beweggründen, behauptet die Person aus NATO-Kreisen.
Wie bereits mehrfach in den vergangenen Jahren dementierte die pakistanische Regierung auch diesmal, dass sich der Drahtzieher der Terroranschläge vom 11. September 2001 im Land aufhält. Samsam Bokhari, der pakistanische Vize-Informationsminister, bezweifelt, dass es eine neue Sachlage gebe.
Er sagte am Montag: "Geschichten wie diese tauchen immer wieder auf." Sollte die Nato Erkenntnisse über Bin Ladens oder Al-Sawahiris genauen Aufenthaltsort haben, sollte das Bündnis diese Informationen mit Pakistan teilen. Bei glaubwürdigen Informationen, werde man gegen Bin Laden vorgehen. | 663 |
1 | Tod in israelischer Haft: Palästinenser nach Hungerstreik tot
Ein palästinensisches Mitglied der Terrororganisation Islamischer Dschihad ist in israelischer Haft gestorben. Militante feuern Raketen auf Israel.
Protest am Dienstagmorgen in Dschenin, im Bild der Sohn des verstorbenen Khader Adnans (vorne) Foto: reuters
JERUSALEM ap | Nach fast dreimonatigem Hungerstreik in israelischem Gewahrsam ist ein palästinensischer Häftling am frühen Dienstagmorgen gestorben. Das teilte der israelische Gefängnisdienst mit. Kurz nach der Todesnachricht feuerten militante Palästinenser im Gazastreifen eine Salve Raketen auf den Süden Israels ab. Der Häftling Khader Adnan war Mitglied der militanten Gruppe Islamischer Dschihad.
Der 45-Jährige hatte seinen Hungerstreik kurz nach seiner Festnahme am 5. Februar begonnen. Bereits nach früheren Festnahmen war er mehrfach in einen Hungerstreik getreten, darunter 2015 für 55 Tage. Seinerzeit protestierte er damit gegen seine Verhaftung im Rahmen der sogenannten Verwaltungshaft, bei der Verdächtige ohne Anklage oder Prozess auf unbestimmte Zeit festgehalten werden.
Nach Angaben des israelischen Gefängnisdienstes wurde dieses Mal wegen „Beteiligung an terroristischen Aktivitäten“ gegen Adnan ermittelt. Eine medizinische Behandlung während des juristischen Verfahrens habe er abgelehnt. Er sei am frühen Dienstag bewusstlos in seiner Zelle aufgefunden und in ein Krankenhaus gebracht worden. Dort sei sein Tod festgestellt worden.
Die vom Gazastreifen aus abgefeuerten Raketen seien auf freier Fläche eingeschlagen, erklärte das israelische Militär. Es sei kein Schaden entstanden. Der Islamische Dschihad erklärte, er werde seinen Kampf fortsetzen. Palästinensische Gruppen riefen am Dienstag im Gazastreifen, in Jerusalem und Städten im Westjordanland zu einem Generalstreik auf und sprachen von einem Tag „allgemeiner Trauer“.
Über 1.000 Personen in Verwaltungshaft
Nach Angaben der israelischen Menschenrechtsgruppe HaMoked werden in Israel aktuell mehr als 1.000 Palästinenser ohne Anklage oder Prozess festgehalten, die höchste Zahl seit 2003. In den vergangenen Jahren sind mehrere Palästinenser in israelischer Verwaltungshaft aus Protest in längere Hungerstreiks getreten. In vielen Fällen wurden sie schließlich freigelassen, nachdem sich ihr Gesundheitszustand deutlich verschlechtert hatte. Keiner war bislang in Gewahrsam verstorben, viele erlitten aber irreparable neurologische Schäden.
Israel rechtfertigt die umstrittene Verwaltungshaft damit, dass sie Anschläge verhindern helfe und so gefährliche Extremisten festgehalten werden könnten, ohne aus Sicherheitsgründen belastendes Material preiszugeben. Palästinenser und Menschenrechtsgruppen kritisieren, das System werde missbraucht und verhindere einen fairen Prozess. | 664 |
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"Mit den autobiographischen Romanen von Christa Wolf und Walter Kempowski, Horst Krüger und Ludwig Harig schien fast alles über Kindheit und Jugend im "Dritten Reich", über Krieg und Vertreibung, Entwurzelung und Verrohung, Schuld und Sühne gesagt. Nun liegt ein Lebensroman vor, in dem man all dies liest wie zum ersten Mal. Denn Theodor Buhl hat für seinen Debütroman einen eigenen Ton gefunden, verknappt, jeden Satz wägend, bis nur das Wesentliche bleibt; wörtliche Reden, die um der Wahrheit willen keinerlei literarische Glättung aufweisen - und dadurch große Literatur werden."
Dieter Bartetzko, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08. Oktober 2010 Aus der Sicht eines Kindes beschreibt Theodor Buhl seine Flucht und Vertreibung am Ende des 2. Weltkriegs. Seinen autobiographischen Roman "Winnetou August" stellt der Autor am 26. Mai 2011 um 19:30 Uhr im Rahmen des 12. bpb-Forums im Medienzentrum der Bundeszentrale für politische Bildung in Bonn vor. Im Gespräch mit dem ehemaligen bpb-Präsidenten Dr. Günter Reichert und dem Journalist Rocco Thiede wird es nicht nur um das Buch und die Erlebnisse Theodor Buhls gehen. Im Zentrum des Gesprächs stehen auch der Umgang mit dem Thema Flucht und Vertreibung heute und die Bedeutung des Erinnerns für nachfolgende Generationen. In seinem Buch formt Theodor Buhl aus seinen Erinnerungen eine präzise und nüchterne, doch dadurch gleichsam umso intensivere Vergegenwärtigung des 2. Weltkrieges und seiner Folgen. Die Perspektive ist die eines Kindes, das Schreckliches sieht, doch nicht begreift. Die Welt des Krieges ist für ihn eine geheimnisvolle Welt der Erwachsenen, in deren Mittelpunkt August steht, der Vater, eine beinahe mythologische Figur. Trotz aller Tragik ein Buch voller Witz, Humor und Sarkasmus. Ein Buch gerade auch für junge Leser. Theodor Buhl, Schriftsteller, wurde 1936 in Bunzlau in Niederschlesien geboren. Im Januar 1945 flüchtete die Familie vor der Roten Armee nach Plagwitz/Niederschlesien, weiter über Dresden und wieder zurück nach Plagwitz, bevor sie im Sommer 1946 nach Westen vertrieben wurde. Seit 1950 lebt Theodor Buhl in Düsseldorf, wo er während seines gesamten Berufslebens als Lehrer und Lehrerausbilder für Gymnasien arbeitete. "Winnetou August" ist sein erstes Buch. Dr. Günter Reichert war von 1992 bis 2000 Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung. Er ist Vorstandsvorsitzender der Stiftung Sudetendeutsches Sozial- und Bildungswerk und Landesvorsitzender der Sudetendeutschen Landsmannschaft Nordrhein-Westfalen. Rocco Thiede, Journalist, hat sich als Kind Vertriebener intensiv mit dem Thema Flucht und Vertreibung auseinandergesetzt und den Autor Theodor Buhl auf seiner Lesetour und Reisen zurück zu den Originalschauplätzen seiner Flucht begleitet. 12. bpb-forum: Lesung und Gespräch mit Theodor Buhl /26. Mai 2011, 19:30 Uhr Medienzentrum der Bundeszentrale für politische Bildung/bpb Adenauerallee 86, 53113 Bonn Eintritt frei, um Anmeldung wir gebeten: E-Mail Link: [email protected] Das Buch ist im Eichborn-Verlag erschienen: Externer Link: http://to.ly/appF
Pressemitteilung als Interner Link: PDF-Version (80 KB) Pressekontakt/bpb
Bundeszentrale für politische Bildung Daniel Kraft Adenauerallee 86 53113 Bonn Tel +49 (0)228 99515-200 Fax +49 (0)228 99515-293 E-Mail Link: [email protected]
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1 | Geplante Mietpreisbremse: Ausnahmen für Neubauten
Die gesetzliche Preisbremse soll gegen steigende Mieten helfen. Justizminister Maas geht nun auf die Kritik der Union ein. Er ist zu Änderungen bereit.
Neubauten könnten von der Mietpreisbremse verschont bleiben. Bild: dpa
BERLIN dpa | Bei der geplanten Mietpreisbremse der schwarz-roten Bundesregierung zeichnen sich mehr Ausnahmen ab als bisher vorgesehen. Justizminister Heiko Maas (SPD) sagte: „Wir können darüber diskutieren, Neubauten von der Mietpreisbremse auszunehmen.“ Der ursprüngliche Entwurf sieht dies nur für erstmalige Vermietungen neu gebauter Wohnungen vor. „Wir wissen, dass zurzeit viel in den Wohnungsbau investiert wird. Diese Investitionsbereitschaft wollen wir erhalten“, sagte der Minister.
Die Bremse sieht vor, dass bei einem Mieterwechsel die neue Miete künftig maximal zehn Prozent über dem ortsüblichen Niveau liegen darf. In welchen Gebieten dies greift, sollen die Bundesländer für fünf Jahre festlegen können. Drastische Mietsprünge gibt es vor allem in vielen Großstädten und Universitätsstädten. Aus der Union und von Hauseigentümern war mehrfach Kritik an den Plänen laut geworden. Der Gesetzentwurf wird derzeit in der schwarz-roten Koalition abgestimmt.
Maas sagte, das Vorhaben sei auf einem guten Weg. „Wir wollen, dass der Zeitplan eingehalten wird, und die Mietpreisbremse wie geplant im Laufe des kommenden Jahres in Kraft treten kann.“ Er gehe davon aus, dass der Entwurf in den Wochen nach der parlamentarischen Sommerpause vom Kabinett beschlossen werden könne.
In der Koalition werde auch darüber gesprochen, dass sowohl das Gesetz als auch die darauf entstehenden Verordnungen der Länder jeweils für fünf Jahre gelten sollen. „Ich halte es für richtig, nach fünf Jahren zu evaluieren, wo das Instrument genutzt worden ist und welche Wirkungen es hatte“, sagte Maas.
Der Minister verteidigte die Pläne gegen Kritik. „Was wir vorgelegt haben, ist ein vernünftiger Mittelweg, mit dem alle leben können.“ Außerordentliche Renditen für Geldanleger gebe es im Wohnungsmarkt nur, wenn die Mietpreise weiter sehr stark anziehen. „Wohnungen können aber nicht wie Aktien an der Börse gehandelt werden. Wohnungen sind ein Zuhause für Menschen.“ Der Wohnungsmarkt sei daher „der völlig falsche Platz für die Fantasien von reinen Profitmaximierern“.
Maklerkosten neu verteilen
Die ebenfalls vorgesehenen Änderungen bei Maklerkosten seien eine Frage der Gerechtigkeit: „Wir wollen, dass in Zukunft derjenige den Makler bezahlt, der ihn bestellt hat - und nicht immer automatisch der Mieter.“ Oft bekämen Mieter die Kaution ihrer vorigen Wohnung erst Monate später zurück. „Wenn sie dazu wie bisher automatisch die Maklerkosten für die neue Wohnung tragen müssen, kommt einfach zu viel zusammen.“
Zu Forderungen des Landes Berlin und des dortigen Justizsenators Thomas Heilmann (CDU), das Bestellerprinzip für Maklerkosten auch auf Hauskäufe auszudehnen, äußerte sich Maas zurückhaltend, aber gesprächsbereit. „Bei der Miete ist das Problem drängender. Es sind weit mehr Menschen betroffen“, sagte er. „Und es sind meistens auch Menschen betroffen, die weniger Geld haben als jemand, der eine Wohnung kaufen kann." Wenn die Union dies wolle, könne man aber auch darüber jederzeit reden. | 666 |
1 | Kommentar Integrationsgesetz in Bayern: Auch Filibustern will gelernt sein
Es war keine Debattenschlacht nach US-Vorbild. Sinnvoll war die Diskussion über das umstrittene bayerische Integrationsgesetz trotzdem.
Spät geworden: 16 Stunden diskutierten die bayerischen Abgeordneten über das Integrationsgesetz Foto: dpa
Gerade mal 16 Stunden. Genau so lange hat der von SPD und Grünen angezettelte Redemarathon zum bayerischen Integrationsgesetz Donnerstag Nacht im bayerischen Landtag gedauert.
Zum Vergleich: Ganze 57 Tage dauerte eine Debattenschlacht, die man sich 1957 im US-Senat lieferte. Damals ging es um ein Gesetz der Regierung, das das Wahlrecht der Schwarzen schützen sollte. 57 Tage! Das, meine Damen und Herren von der bayerischen Opposition, ist ein Filibuster, der den Namen verdient.
Bei Wikipedia kann man das haarklein nachlesen: Allein Senator Strom Thurmond aus South Carolina sprach in dieser Debatte 24 Stunden und 18 Minuten. Am Stück! Bei den paar bayerischen Abgeordneten, die auf US-Senat machen wollten und den großen Filibuster ausriefen, hat es am Ende dann nur zu 16 Stunden gereicht.
Aber im Ernst: Hat es das jetzt wirklich gebraucht? Einmal kurz mit den ohnehin kaum sichtbaren Muskeln spielen und dabei Steuergelder verschwenden – für Saaldiener, Stenographen, Beleuchtung, Frühstück.
Ist das nicht genau die Symbolpolitik, die die Opposition der CSU wegen ihres Beharrens auf dem Begriff „Leitkultur“ immer vorgeworfen hat? Schließlich weiß die Opposition, dass sie mit der bayerischen Spielart des Filibusters anders als die amerikanischen Kollegen keine Chance hat, Gesetzgebung aufzuschieben oder gar zu verhindern.
Arroganz und Frust
Und haben wir nicht alles vorher schon gewusst, was da eine Nacht lang durchgekaut wurde? Das Integrationsgesetz stelle die Migranten unter Generalverdacht. Niemand wisse, was eigentlich genau unter Leitkultur zu verstehen ist. Und das Gesetz könne genauso gut aus der Feder von AfD-Politikern stammen. Die Vorwürfe der Opposition sind bekannt. War ein solches Spektakel also tatsächlich notwendig?
Ja. Denn es ist das ureigenste Recht der parlamentarischen Minderheit, die Regierungspartei in die Debatte zu zwingen. Dass die am Donnerstag so lang wurde, hat sich die CSU selbst zuzuschreiben. In ihrer Arroganz hatte sie sich in den Monaten zuvor nie wirklich auf eine Diskussion eingelassen. Frustriert berichteten Mitglieder der befassten Ausschüsse, ihre CSU-Kollegen hätten alles nur brav abgenickt.
Selbst das vernichtende Zeugnis, das Sachverständige, Kirchen und Gewerkschaften dem Gesetzentwurf bei ihrer Anhörung ausgestellt hatte, prallte, wenn man von ein paar Schönheitskorrekturen absieht, ohne Wirkung am Panzer der Staatspartei ab. Insofern ist es nur recht und billig, wenn die Mitglieder der CSU-Fraktion diesmal ohne Schlaf auskommen mussten.
Und immerhin: In der Debatte der letzten Nacht ging es tatsächlich um das Integrationsgesetz. US-Senator Thurmond hatte am Ende seiner 24-Stunden-Rede nur noch über die Kuchenrezepte seiner Großmutter referiert. | 667 |
1 | Wenn am 12. Mai im Irak ein neues Parlament gewählt wird, stehen die Wahlen im Zeichen der politischen Neuordnung und des Wiederaufbaus. Bei der Eindämmung künftiger Terroraktivitäten wirkt auch die Interner Link: Bundeswehr mit, die auf der Grundlage des Ende März vom Bundestag beschlossenen Mandats Soldaten der irakischen Armee beraten soll. Bereits seit Januar 2015 läuft eine weitere Ausbildungsmission im Nordirak. Hier werden kurdische Soldaten im Kampf gegen den sogenannten Interner Link: Islamischen Staat (IS) ausgebildet.
Wahlsystem
Eigentlich verfügt der Irak über ein Zwei-Kammern-Parlament. Doch die Aufgaben des irakischen Bundesrates (Art. 65 der irakischen Verfassung von 2005) sind bis heute nicht gesetzlich definiert worden. Das parlamentarische Machtzentrum ist der Repräsentantenrat. Dessen 328 Abgeordneten werden am 12. Mai neu gewählt. Ein Volksvertreter soll etwa 100.000 Bürger repräsentieren (Artikel 49.1). Es ist außerdem eine Frauen-Quote von 25 Prozent vorgesehen (Art. 49.4). Gewählt wird alle vier Jahre (Art. 56.1).
Der Repräsentantenrat wählt den Präsidenten und beschließt Gesetze (Art. 61.1, 61.3 und 70). Er muss zudem seine Zustimmung zu Personalvorschlägen für das Verfassungsgericht und führende Militärposten geben. (Art. 61.5.A und Art. 61.5.C). Mittels einer Vertrauensabstimmung für den neuen Ministerpräsidenten und sein Kabinett beendet er außerdem die Phase der Regierungsbildung (Art. 76.4).
Konflikte um Ethnien und Religionen
Der Irak ist ein äußerst komplexes Staatsgebilde. Die Diversität hat in der Vergangenheit häufig zu Konflikten geführt. Diese sind zum einen ethnischer Natur: Im Norden des Landes gibt es die autonome Region Kurdistan, in der mehrheitlich Angehörige der kurdischen Volksgruppe leben. Sie machen etwa ein Siebtel der irakischen Bevölkerung aus. Die Mitte und der Süden des Landes sind mehrheitlich arabisch.
Zum anderen gibt es religiöse Konflikte, vor allem zwischen sunnitischen und schiitischen Muslimen im arabisch besiedelten Teil des Landes. Weltweit sind 80 bis 90 Prozent der Muslime Interner Link: Sunniten, im Irak stellen aber die Interner Link: Schiiten mit einem Anteil von zwei Dritteln die Bevölkerungsmehrheit. Auch das Nachbarland Iran ist mehrheitlich von Schiiten geprägt, im ebenfalls benachbarten Syrien kommen viele Vertreter der Führungsschicht aus der schiitischen Gruppe der Alawiten. Zu den Sunniten im Irak zählen auch die meisten Kurden. Die arabischen Sunniten wiederum machen nur 15 bis 20 Prozent der irakischen Bevölkerung aus.
Sunniten, Schiiten und Kurden sind an der Macht beteiligt
Beide Konfliktlinien haben Auswirkungen auf die politische Landschaft im Irak. Vereinfacht gesagt stehen sich vor der Wahl drei Blöcke gegenüber: Sunniten und Schiiten kämpfen im arabischen Teil des Landes um die Gunst der Wähler, die Kurden im Norden wiederum führen eine Debatte um das Verhältnis zum arabischen Teil des Iraks.
Derzeit besetzen Vertreter aus den drei großen Blöcken die wichtigen Posten im Land: Staatspräsident Fuad Masum ist Kurde, Ministerpräsident Haider al-Abadi ist Schiit und Parlamentspräsident ist der Sunnit Salim al-Dschaburi.
Kompliziert wird die politische Lage im Irak nicht zuletzt dadurch, dass die Blöcke auch in sich selbst zersplittert sind. Bis Januar 2018 wurden laut türkischer Nachrichtenagentur Anadolu 27 Wahlbündnisse zugelassen, in denen sich 143 Parteien zusammengefunden haben.
Die politische Landschaft ist zersplittert
Bei den Schiiten gibt es nicht weniger als 70 miteinander konkurrierende Parteien. Die größte davon ist die Islamische Dawa-Partei. Bei der Parlamentswahl im Jahr 2014 kam das von Dawa angeführte Wahlbündnis auf 92 der 328 Sitze. Die Partei stellte auch den langjährigen Ministerpräsidenten, Nuri al-Maliki. Der musste im August 2014, wenige Monate nach seinem Wahlsieg, von seinem Amt zurücktreten. Es wird angenommen, dass sowohl die Interner Link: USA als auch derInterner Link: Iran ihm zuvor die Unterstützung aufgekündigt hatten. Schließlich drängten ihn die eigenen Parteifreunde zum Amtsverzicht.
Zu al-Malikis Nachfolger als Ministerpräsident wurde der heute 66-jährige Haider al-Abadi. Er stellt sich in diesem Jahr zur Wiederwahl und kündigte an, eine überkonfessionelle Allianz ("Nasr-Koalition") anführen zu wollen. Abadis Bündnis ist das einzige, das in allen 18 Provinzen antritt. Besonders die städtische Jugend im Irak wünscht sich eine säkulare Regierung, die sich als überkonfessionell begreift. In der Bevölkerung ist al-Abadi im Kampf gegen die Terrororganisation Interner Link: "Islamischer Staat" (IS) recht populär, die er am 9. Dezember 2017 für besiegt erklärt hat. Der IS hat wiederum angekündigt, den Ablauf der Wahl durch Anschläge sabotieren zu wollen.
Nuri al-Maliki plant, mit einer eigenen Liste anzutreten. Sie trägt den Namen "Rechtsstaat-Koalition". Sowohl al-Maliki als auch al-Abadi bleiben trotzdem Mitglied in der Dawa-Partei.
Ex-Milizenführer al-Sadr in neuer Rolle
Außerdem treten im schiitischen Lager noch drei weitere Bündnisse an: Die Fatah-Koalition unter dem früheren Transportminister Hadi al-Amiri; Hikma (zu Deutsch: "Weisheit"), unter dem Prediger Ammar al-Hakim; und Sairoon, eine Allianz aus säkularen und kommunistischen Kräften, die von Muktada al-Sadr angeführt wird und eine technokratische Regierung anstrebt. Der Sairoon-Vorsitzende al-Sadr wurde in den Nullerjahren durch die blutigen Kämpfe bekannt, die sich seine Milizen mit den US-amerikanischen Truppen lieferten. Mittlerweile gibt er sich gemäßigt, auch er will mit sunnitischen Kräften zusammenarbeiten. Außerdem distanzierte sich al-Sadr von der iranischen Regierung.
Auch das Lager der Sunniten ist vielfach gespalten. Beobachter zählen etwa 50 politische Gruppierungen. Hinzu kommt, dass die sunnitischen Siedlungsgebiete besonders vom Kampf gegen den IS betroffen waren. Die Terror-Gruppe berief sich auf den sunnitischen Islam. Mossul zum Beispiel, die vormals zweitgrößte Stadt des Irak, lag gut drei Jahre lang im Herrschaftsgebiet des IS. Etwa 80 Prozent der früher einmal drei Millionen Einwohner waren Sunniten. Viele von ihnen mussten vor der Gewaltherrschaft der radikalen Islamisten fliehen. Bis heute sind zahlreiche Sunniten im Irak nicht in ihre Siedlungsgebiete im Norden und Westen zurückgekehrt. Laut einem Bericht der "Deutschen Welle" haben sich deshalb 44 Prozent der Abgeordneten im irakischen Parlament dafür ausgesprochen, die Wahlen zu verschieben.
Prominent besetztes sunnitisches Wahlbündnis
Wichtigste Kraft ist "Al-Wataniya" (zu Deutsch "Nationale Koalition“) von Iyad Allawi, der zurzeit als Vizepräsident des Irak amtiert. Unter seiner Führung sind etwa 30 sunnitische Gruppierungen vereint. "Wataniya" gilt als gemäßigt, viele seiner Mitglieder haben sich am Kampf gegen den IS beteiligt. Parlamentspräsident Salim al-Dschaburi hat sich dieser Koalition angeschlossen, ebenso Saleh al-Mutlak, der frühere stellvertretende Ministerpräsident.
Ihnen gegenüber steht eine Liste, der die Brüder Osama und Athil al-Nudschaifi vorstehen. Das Bündnis wird jedoch vorrangig in den sunnitischen Gebieten kandidieren und hat deshalb kaum Chancen, auf nationaler Ebene eine größere Rolle zu spielen.
Einige prominente Sunniten haben dieses Mal angekündigt, schiitische Listen zu unterstützen – wie zum Beispiel der Prediger Abdul Latif Humeim, der sich der "Nasr-Koalition" von Premier al-Abadi angeschlossen hat.
Geht die Zeit der beiden großen Kurden-Parteien zu Ende?
Schließlich bleibt noch der Block der Kurden. Bis zur Wahl im Jahr 2010 gab es eine gemeinsame kurdische Liste, die den Großteil der Abgeordneten aus dem Norden des Landes stellte. Sie bestand aus den beiden großen Parteien: die eher links ausgerichtete Patriotische Union Kurdistans (PUK) und die eher konservativ orientierte Demokratische Partei Kurdistans (DPK). Seit 2014 jedoch treten beide Parteien separat voneinander an.
Gegen das politische Establishment in Kurdistan hat sich in den vergangenen Jahren Widerstand formiert. Besonders die Jüngeren hoffen darauf, dass die Dominanz von PUK und DPK ein Ende findet. Gegen die Etablierten treten unter anderem die Partei Goran (zu Deutsch: "Wandel") und die "Partei für Demokratie und Gerechtigkeit" an – beides Abspaltungen der PUK und der DPK.
Bisher kam den Kurden eine Schlüsselrolle bei der Bildung der Regierung zu, da sie gegenüber der arabischen Parlamentsmehrheit geschlossen auftraten. Inwiefern das nach der Wahl noch der Fall sein wird, ist derzeit ungewiss.
Mehr zum Thema:
Interner Link: Dossier: Innerstaatliche Konflikte – Irak Interner Link: Wilfried Buchta: Iraks Zerfall und der Aufstieg des IS. Zwei Seiten einer Medaille (19.2.2016) Interner Link: Guido Steinberg: Der Islamische Staat in Irak und Syrien (26.8.2014) Interner Link: Zehn Jahre Irak-Konflikt: Kein Ende der Gewalt in Sicht
Eigentlich verfügt der Irak über ein Zwei-Kammern-Parlament. Doch die Aufgaben des irakischen Bundesrates (Art. 65 der irakischen Verfassung von 2005) sind bis heute nicht gesetzlich definiert worden. Das parlamentarische Machtzentrum ist der Repräsentantenrat. Dessen 328 Abgeordneten werden am 12. Mai neu gewählt. Ein Volksvertreter soll etwa 100.000 Bürger repräsentieren (Artikel 49.1). Es ist außerdem eine Frauen-Quote von 25 Prozent vorgesehen (Art. 49.4). Gewählt wird alle vier Jahre (Art. 56.1).
Der Repräsentantenrat wählt den Präsidenten und beschließt Gesetze (Art. 61.1, 61.3 und 70). Er muss zudem seine Zustimmung zu Personalvorschlägen für das Verfassungsgericht und führende Militärposten geben. (Art. 61.5.A und Art. 61.5.C). Mittels einer Vertrauensabstimmung für den neuen Ministerpräsidenten und sein Kabinett beendet er außerdem die Phase der Regierungsbildung (Art. 76.4).
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0 | Der Zweck der ersten Reise war, mich durch einen mehrwöchentlichen
Aufenthalt im Freien dem afrikanischen Klima anzupassen, einen Begriff
vom Reisen im Innern zu gewinnen und namentlich durch eine solche
Versuchsreise den Umfang der Ausrüstung für eine größere Forschungsreise
nach dem Innern kennen zu lernen. Die endlich zur Abreise anberaumte
Frist war schon verflossen, allein mein Wagen konnte sich noch immer
nicht von der Stelle rühren. Man rieth mir, Ochsen als Gespann zu
wählen, ich jedoch dachte einen Versuch mit jenen stillen,
selbstzufriedenen Geschöpfen zu wagen, welche schon im grauen Alterthume
durch mehrere ihres Gleichen, wie jenen, der durch Bileam's
»Dressursinn« sprechen lernte, hochgeehrt waren und in dieser Absicht
durch die Behauptung der Eingebornen bestärkt, daß die südafrikanische
Race »tsetsefest« sei. Ich fand unter meinen Patienten einen im Besitze
von zwölf solchen Stilldenkern und schloß den Kauf ab, 3 £ St. per
Stück. Als jedoch der Tag der Abreise kam und wir auf den Farmer
warteten, erschien er nicht, auch nicht den folgenden, sondern erst den
dritten Tag und nun erst mit der traurigen Nachricht, daß sich seine
zwölf »Grubh« in ihrem Wissensdrang nach neuen (newe d.h. frisch)
Kräutern und Gras verlaufen hätten. »Vergebens habe ich sie überall
gesucht und, heute heimgekehrt vernommen, daß sie etwa 30 Meilen von
hier in der »Pound« seien.« To keep in Pound heißt das Recht,
aufsichtslose Hausthiere, vom Pferde bis zur Ziege, wenn diese von dem
Besitzer einer Farm auf seinem Grund und Boden angetroffen und von
diesem an dazu gesetzlich bestimmte Stellen, d.h. Farmen, abgeliefert
wurden--auf einen Monat zu behalten und zu überwachen. Eine solche Farm
heißt eine Pound, der dazu gesetzlich bestimmte Farmer ist ein
Poundmaster. Werden die so eingebrachten Thiere, die in den
Districtsblättern genau beschrieben werden, nicht binnen vier Wochen
(vom Tage des Einfangens) von ihrem rechtmäßigen Besitzer gegen
Entrichtung eines verhältnißmäßig geringen Betrages ausgelöst und
abgeholt, so werden sie in einer öffentlichen Auktion, die vom
Poundmaster gehalten und in den Districtsblättern annoncirt wird,
feilgeboten. Der Ertrag kommt dem Staatssäckel zu Gute. | 669 |
0 | Aber lieber von dieser Ausflucht selbst, ein Wort!--Mich duenkt, es ist
eine Ausflucht, und ist auch keine. Denn das Wort allgemein wird offenbar
darin in einer doppelten und ganz verschiedenen Bedeutung genommen. Die
eine, in welcher es Hurd und Diderot von dem tragischen Charakter
verneinen, ist nicht die naemliche, in welcher es Hurd von ihm bejahet.
Freilich beruhet eben hierauf die Ausflucht: aber wie, wenn die eine die
andere schlechterdings ausschloesse? | 670 |
0 | Der Wasserfall bei Ekeby ist eine gewaltige Granittreppe, über die die
Wogen des Björkseebaches herabgebraust kommen. Sie werden schwindlig von
dem eiligen Lauf, überschlagen sich, prallen gegeneinander. Sie fahren
in Zorn auf, bespritzen sich gegenseitig mit Schaum, straucheln über
einen Stein, über einen Baumstamm, raffen sich dann wieder auf, um
wieder und wieder unter Schäumen und Prusten und Brüllen zu straucheln. | 671 |
1 | Computergestützte Grenzsicherung: Mit dem Fingerabdruck nach Europa
Nur noch sicherheitsgeprüfte Ausländer sollen in die EU einreisen, findet die EU-Kommission. Für eine Milliarde Euro will sie dazu eine Megadatenbank aufbauen.
Einreisende zur Fingerkontrolle bitte. Bild: dpa
BRÜSSEL taz | Die Europäische Union rüstet weiter auf im Grenzschutz. Nach dem Willen der Europäischen Kommission sollen alle Nicht-EU-Bürger in Zukunft bei der Einreise ihre Fingerabdrücke abgeben. Ihre Daten werden dann in einem automatischen System gespeichert, auf das auch die Polizei Zugriff haben soll. Die EU will 1,1 Milliarden Euro für die Einführung der Megadatenbank ausgeben.
Die zuständige EU-Innen-Kommissarin Cecilia Malmström hat am Mittwoch einen entsprechenden Gesetzesvorschlag in Brüssel vorgestellt. In ihren Augen würde dieses „intelligente“ Einreisesystem den Zugang für Reisende aus Drittländern in die Europäische Union erleichtern: „Durch den Einsatz neuer Technologien wird Bürgern aus Drittländern ein reibungsloserer und rascherer Grenzübertritt ermöglicht“, sagte Malmström. „Sicherheitsgeprüfte Vielreisende“ könnten dann mit einer Chipkarte an einem Flughafen ihren Pass und Fingerabdruck lesen lassen und in den grenzkontrollfreien Schengen-Raum der EU einreisen.
Mehr Effizienz sei dringend notwendig, meinte die EU-Kommissarin, da nach Schätzungen ihrer Behörde der Einreiseverkehr allein mit dem Flugzeug bis 2030 um 80 Prozent auf 720 Millionen Menschen pro Jahr ansteigen werde.
In Zukunft sollen nicht mehr Grenzbeamte die Pässe und Visa kontrollieren und die Einreise mit einem Stempel quittieren. Malmström will ein voll automatisiertes System, das alle Daten samt der Fingerabdrücke speichert. So könnten die Menschen schneller entdeckt werden, die sich länger als die erlaubten 90 Tage in der EU aufhalten. Malmström schätzt diese Zahl auf 1,9 bis 3,8 Millionen Menschen.
Problematischer Ansatz
„Das bisherige Verfahren lieferte keine zuverlässigen Daten – vor allem wenn die Reisedokumente verloren gehen oder zerstört werden“, sagt EU-Kommissarin Malmström. Kritiker halten diesen Ansatz allerdings für problematisch. „Auch diese Datenbank kann den Aufenthaltsort eines Menschen nicht bestimmen. Das System macht also nur Sinn, wenn gleichzeitig die Kontrollen von Ausländern in den Straßen enorm verschärft werden“, sagt Ska Keller, EU-Abgeordnete der Grünen. Sonst würde die EU-Kommission mit ihrem über eine Milliarde teuren Projekt lediglich „hübsche Statistiken“ produzieren. Keller fürchtet deshalb noch strengere Kontrollen für Nicht-EU-Bürger.
Die Liberal-Demokraten begrüßen zwar die Initiative, warnen aber auch davor, den Datenschutz nicht zu vernachlässigen.
Eine der größten Datenbanken der Welt würde entstehen. „Wir werden besonders darauf achten, dass eine Balance zwischen Reiseerleichterung, dem Kampf gegen die unreguläre Einwanderung und der Respekt vor den Kernwerten der EU wie Datenschutz eingehalten werden“, sagte Nils Torvalds, EU-Parlamentarier der schwedischen Liberalen.
Ausnahmen für Geschäftsreisende und Studierende
Die EU-Kommission will die Informationen über die Einreisenden sechs Monate speichern. Falls die erlaubte Aufenthaltszeit überschritten wird, soll die Speicherfrist auf fünf Jahre ausgeweitet werden.
Eine Ausnahme soll es für Vielreisende wie Geschäftsreisende oder Studierende geben. Sie sollen nach einer gründlichen Prüfung eine Chipmarke erhalten, die ihnen an den EU-Grenzen eine automatische Einreise ohne zusätzliche Kontrollen ermöglicht. Die EU-Kommission will so auch die europäische Wirtschaft stärken. Allein 2011 haben ausländische Reisende nach Schätzungen der Behörde 271 Milliarden Euro zur Wirtschaftsleistung der EU beigetragen.
Die EU-Kommission legt ihren Vorschlag nun den 27 Regierungen und dem EU-Parlament vor. Cecilia Malmström hofft, dass das neue System spätestens 2018 starten kann. | 672 |
1 | MACIEJ GOCLON/FOTONEWS/newspix/imago images
US-Soldaten am Flughafen (Symbolbild).
Donnerstag, 24.03.2022, 16:10
Mit dem Ukraine-Krieg rückt Polen vom Rand ins Rampenlicht der US-Außenpolitik. Zugleich sind die USA, die an der Weichsel seit jeher als Garant für Sicherheit betrachtet werden, für Polen noch unverzichtbarer geworden.
Es gibt eine Anekdote, die wohl jeder Journalist in Polen kennt. Man schreibt das Jahr 1994. Der damalige US-Präsident Bill Clinton besucht Polen. Ein Land, das zu der Zeit weder EU- noch NATO-Mitglied ist und erst seit kurzem seinen demokratischen Weg geht. Journalisten buhlen um ein Interview mit dem US-Präsidenten, aber keiner bekommt eines. Dann ein Moment der Hoffnung. Ein Journalist schafft es, Bill Clinton eine Frage zuzurufen, in eher bescheidenem Englisch: "Mister President, Poland okay?" Die Antwort: "Okay!"
Was zum Dauerlacher unter Journalisten wurde, gleichzeitig aber auch Kollegen neidisch machte, die selbst nicht an den US-Präsidenten herankamen, kann man auch als Leitmotiv für die Nachwendejahre der polnisch-amerikanischen Beziehungen betrachten - und als eine nicht immer einfache Hinwendung zum "großen Bruder".
Knapp drei Jahrzehnte später ist keinem mehr zum Lachen zumute. Der russische Angriff auf die Ukraine geht in eine neue Woche. Das Entsetzen in weiten Teilen Europas ist groß. Auch die USA sahen sich bereits mehrfach genötigt, Flagge zu zeigen und "jeden Zoll" des NATO-Territoriums zu verteidigen, wie Außenminister Antony Blinken Anfang März bei einem Besuch in Warschau beteuerte. Polen wurde zum Frontstaat und in kurzen Zeitabständen von vier wichtigen US-amerikanischen PolitikerInnen besucht: neben Blinken auch von Verteidigungsminister Lloyd Austin, Vizepräsidentin Kamala Harris und nun auch von Präsident Joe Biden selbst.
Weitere Texte der Deutschen Welle
Ein neues Kapitel in den Beziehungen
Die Reise nach Polen könnte Bidens Präsidentschaft prägen, wie es einst im Fall von Ronald Reagan gewesen sei, sagte der ehemalige US-Botschafter Daniel Fried dieser Tage im Privatsender TVN24. "Das Ganze erinnert an Roosevelt und Churchill, die sich getroffen haben, bevor die USA in den Zweiten Weltkrieg eintraten, ihr Vorgehen festlegten und besprachen, wie sie den Krieg führen und gewinnen wollten." Polen und die USA seien Alliierte nicht in der Theorie, sondern in einer realen Kriegssituation, so Fried.
Vor diesem Hintergrund scheinen viele Aspekte, die die bilateralen Beziehungen zuletzt prägten, plötzlich wie aus einer anderen Epoche. Sicherheitsfragen überlagern offenbar alles: "Polen wird die Rolle der Bundesrepublik Deutschland im Kalten Krieg einnehmen", sagt Michal Baranowski, Direktor des Warschauer Büros des German Marshall Funds (GMF), einer US-Stiftung, die sich der Förderung der transatlantischen Beziehungen widmet. Er spricht von einem "neuen Kapitel", nachdem das erste Jahr der Präsidentschaft von Joe Biden in Bezug auf Polen von "ups and downs" geprägt gewesen sei, wobei die "downs", so Baranowski zur DW, deutlich vor den positiven Aspekten gelegen hätten.
Arge Verdüsterung
Washington war nicht entgangen, dass das polnische Staatsoberhaupt Andrzej Duda Joe Biden erst spät zum Wahlsieg gratuliert hatte. Während einige Staatspräsidenten Biden bereits nach den Prognosen der wichtigsten US-amerikanischen Medien beglückwünschten, gratulierte der polnische Präsident, der einen engen Schulterschluss mit Bidens Vorgänger Donald Trump gesucht hatte, zu diesem Zeitpunkt lediglich "zur gelungenen Präsidentschaftskampagne". Die eigentlichen Glückwünsche aus dem Warschauer Präsidentenpalast folgten erst nach der Abstimmung des US-Wahlmännergremiums.
"Biden liegt der Zustand der Demokratien in der Welt sehr am Herzen und dazu zählt neben der Rechtstaatlichkeit auch die Medienfreiheit", betont Baranowski. Die Beziehungen Warschau-Washington hatten sich arg verdüstert, als der Sejm Ende 2021 ein Rundfunkgesetz verabschiedete, das sich gegen den in US-Besitz befindlichen Sender TVN24 richtete. Zur Überraschung vieler in Polen legte Präsident Duda sein Veto gegen das Gesetz ein.
"Fort Trump"
Belastet war das polnisch-amerikanische Verhältnis zu diesem Zeitpunkt bereits durch die im Juli 2021 beschlossene Vereinbarung zwischen Deutschland und den USA über die Gaspipeline Nord Stream 2. Damals hatten die USA die Inbetriebnahme der Pipeline akzeptiert. Die polnische Regierung zeigte sich "überrascht". Übersetzt aus der Diplomatensprache: empört.
Zu Trumps Zeiten schien Polen zum wichtigsten US-Partner auf dem europäischen Festland aufgestiegen zu sein. Ideologisch und politisch standen sich Warschau und Washington nahe, ungeachtet von Trumps Äußerungen zur NATO, die er für "obsolet" erklärte, oder seiner unklaren Haltung zu Russland und Putin. 2018 warb der polnische Präsident für eine permanente US-Truppenpräsenz in Polen ("Fort Trump"). Zwei Jahre später unterzeichneten beide Seiten ein Abkommen über "verstärkte Verteidigungszusammenarbeit".
Persönliche Gunst versus Strategie
"Donald Trump stand im Konflikt mit Deutschland und mit der ganzen EU, auch deshalb schenkte er Polen eine gewisse Zuwendung", sagt der frühere Diplomat Janusz Reiter der DW. "Darüber herrschte in Warschau große Freude, was irgendwie verständlich war, aber auch etwas täuschend oder gar gefährlich, denn Trumps Gunst war etwas sehr Unzuverlässiges. Allein schon, weil das nur seiner Gunst entsprang und keiner Strategie. Biden dagegen hat eine Strategie." Reiter war von 2005 bis 2007 polnischer Botschafter in den USA, in einer Zeit also, als sich Polen an der Seite der USA am Krieg gegen den Irak beteiligte, den Deutschland und Frankreich ablehnten. Keine einfache, aber eine aufregende Zeit, wie Reiter sich erinnert. Das Verhältnis zu Washington sei damals eng gewesen.
Polen gilt seit Jahren als durch und durch pro-amerikanisches Land, wofür es in Europa nicht nur während der Amtszeit des US-Präsidenten George Bush jr. reichlich Ärger auf sich zog. "Viele Deutsche hatten kaum Verständnis für die polnische Sympathie für die USA, die sich durch die gesamten vergangenen 30 Jahre zog", sagt Reiter. "Ich hoffe, dass es jetzt zwischen Polen und Deutschland kein USA-Problem mehr gibt, denn ich glaube, wer wirklich die Augen offen hat und sieht und hört, was sich abspielt, der muss verstehen, dass wir als Europa ohne die USA viel schlechter dastünden." Grundsätzlich gebe es in Polen, anders als in Ländern wie Deutschland, mehr Grundvertrauen in die USA als Staat, unabhängig davon, wer gerade Präsident sei, so Reiter.
"Fehlende Augenhöhe"
Wobei das ausgerechnet unter dem in Deutschland so beliebten Barack Obama nicht durchgehend der Fall war, schränkt der Diplomat ein. "Es gab die Befürchtung, dass Obama Polen nicht genug Aufmerksamkeit in Sicherheitsfragen widmen würde und dass er sogar Zugeständnisse gegenüber Russland machen könnte. Das hat sich nicht bestätigt, aber es gab eine Phase, in der das Verhältnis zwischen Polen und den USA auch menschlich ziemlich kühl war". In solchen Phasen rücke umso mehr der latente Vorwurf der "Asymmetrie" im bilateralen Verhältnis ins Zentrum - die "fehlende Augenhöhe".
Laut Baranowski lieferten die letzten Wochen ein Beispiel, wie diese Asymmetrie nun durch ein Polen auf die Probe gestellt wird, das sich seiner größeren Bedeutung gewahr ist: nämlich im Durcheinander um die Lieferung von MiG-29-Kampfflugzeugen aus polnischen Beständen an die Ukraine - ein Schritt, vor dem Warschau zurückschreckte, weil er als Kriegseintritt gewertet werden könnte. "Es gab Druck eines Teil der US-Regierung, doch Polen reagierte öffentlich und ohne Absprache", sagt Baranowski. Warschau bot an, die Kampfflieger den Amerikanern zu überlassen, das Pentagon lehnte ab.
Noch stärkeres Ungleichgewicht
"Aus US-amerikanischer Sicht hatte sich Polen als ein nicht ganz berechenbarer Partner erwiesen, der Konflikte nach außen trägt, statt sie hinter verschlossenen Türen zu klären", so Baranowski. Ihm zufolge wird das Ungleichgewicht in den Beziehungen beider Länder nun noch stärker zutage treten, denn Polen sei für USA zwar wichtiger geworden, umgekehrt hätten die USA für Polen aber buchstäblich existenzielle Bedeutung erlangt.
Wäre die Weltlage eine andere, könnte man vielleicht scherzen nach einer polnischen Redensart, frei übersetzt: "Verdreht dir der große Bruder den Arm, treten wir ihm gegen den Knöchel." Doch heute sagt darauf niemand "Schwamm drüber" oder "Poland okay". Denn jedes Wort, jeder Schritt kann von existenzieller Bedeutung sein.
Autor: Magdalena Gwozdz-Pallokat
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Deutsche Welle | 673 |
0 | Sobald es daher lebhafter wurde auf den Straßen und der Morgen ganz
heraufgekommen war, trat er zuerst in die Kirche und verrichtete sein
Gebet. Dann trat er seinen Weg an. Der Herzog, der Herr des Landes,
o Herr, war ein bekannter Schlemmer und Lecker, der eine gute Tafel
liebte und seine Köche in allen Weltteilen aufsuchte. Zu seinem
Palast begab sich der Kleine. Als er an die äußerste Pforte kam,
fragten die Türhüter nach seinem Begehr und hatten ihren Spott mit
ihm; er aber verlangte nach dem Oberküchenmeister. Sie lachten und
führten ihn durch die Vorhöfe, und wo er hinkam, blieben die Diener
stehen, schauten nach ihm, lachten weidlich und schlossen sich an, so
daß nach und nach ein ungeheurer Zug von Dienern aller Art sich die
Treppe des Palastes hinaufbewegte; die Stallknechte warfen ihre
Striegel weg, die Läufer liefen, was sie konnten, die Teppichbreiter
vergaßen, die Teppiche auszuklopfen, alles drängte und trieb sich, es
war ein Gefühl, als sei der Feind vor den Toren, und das Geschrei:
"Ein Zwerg, ein Zwerg! Habt ihr den Zwerg gesehen?" fällte die Lüfte. | 674 |
0 | Die schwarze Gewitterwolke schwebte mit ihrer Ladung weiter und
entschwand vor Abend den Blicken der Zuschauer. Das vormalige Becken des
Sees war leer und es war nur ein sumpfiger Schlamm für Frösche
zurückgeblieben; aber auch diesen trockneten nach einigen Tagen die
Sonnenstrahlen und der Wind aus. Jetzt erhob sich groß Geschrei und
Wehklagen unter den Leuten: der Durst quälte sie, weil sie nirgend mehr
ein anderes Trinkwasser fanden, als was der Regen in Vertiefungen des
Bodens sich ansammeln ließ. Allmählich füllten zwar Regenschauer und die
Schneeschmelzen des Frühlings den früheren Raum des Emmujärw wieder bis
zum Rande, aber es war weiches Pfützenwasser, was weder den Durst
hinlänglich stillte noch den Körper zu erquicken vermochte. Die Leute
legten dem See wie zum Schimpfe den Namen _Wirtsjärw_ (Pfützensee) bei und
dieser Name ist ihm auch bis auf den heutigen Tag geblieben. Die schönen
hohen Ufer mit den grünen Laubholzwaldungen und den blühenden Blumen
sind aus der Umgebung des See's längst verschwunden; an ihrer Stelle
bildeten sich Moräste, in denen nicht viel Andres wächst, als einige
kränkliche Kiefern. | 675 |
0 | Bayrische Folk-Musik: Die Alpen sind offen
Das Münchener Volksmusikkollektiv G. Rag & die Landlergschwister eignet sich bayerische Volksmusik an – und mischt Country und Folk dazu.
Höchste Zeit, den bayerischen Folk zu entdecken. Foto: Hagen Keller/promo
Es ist eine Seltenheit, dass auf diesen Seiten ein Album mit bayerischer Blasmusik vorgestellt wird. Das Münchener Volksmusik-Kollektiv G. Rag & die Landlergschwister aber hat so viel für die Rehabilitierung dieses arg geschundenen Genres getan, dass man sagen möchte: Höchste Zeit, den bayerischen Folk zu entdecken.
Auch auf dem vierten Werk des Ensembles ist meist eine maximal runtergestrippte Form von Volksmusik zu hören. Auf dem Album mit dem sprechenden Titel „Schwung“ schmettern Klarinetten, Tubas und Posaunen, Polka, Walzer und Landler (ein langsamer Walzer) werden angestimmt. Standesgemäß hat die bis zu 16-köpfige Kapelle vor Kurzem auch beim Oktoberfest gespielt – allerdings auf der „Oide Wiesn“, dem alternativen Oktoberfest.
Denn – Überraschung – mit dem tümelnden Marianne-und-Michael-Kosmos haben Andreas Staebler alias G. Rag und seine Band absolut nichts gemein. Ihr Ziel ist es vielmehr, Volksmusik in andere Kontexte zu integrieren, um jenen Hörern diese Musik näherzubringen, für die derartige Klänge bislang tabu waren. Wie zuvor schon Bands wie das österreichische Duo Attwenger füllen die Münchener die Musik mit Inhalten, bei denen „Volksmusik“ eher im Sinne von wildwüchsigen US-„Folk“ verstanden werden will.
Dieser Ansatz zeigt sich etwa, wenn der durch ein Megaphon verzerrte Gesang G. Rags countryesk oder slackerartig klingt und an Tom Waits erinnert – und die Texte, abgesehen von einer Coverversion, auf Englisch verfasst sind. Wie schon auf den Vorgängerveröffentlichungen interpretiert die Gruppe zudem erneut ein Hank-Williams-Stück, „Lost on the River“, zum Dahinschmelzen schön gesungen von Manu Rzytki von der befreundeten Band Parasyte Woman, auch Reminiszenzen an den singenden Eisenbahnschaffner Jimmie Rodgers finden sich auf „Schwung“. Ebenso gibt es in „Poem for the Viking from 42nd Street“ eine Hommage an den nomadischen Straßenkomponisten Moondog.
G. Rag - Platte und liveG. Rag & Die Landlergschwister: „Schwung“ (Gutfeeling/Morr Music).Live: 7. 11., Kranhalle, München; 6. 12., Wirtshaus Fraunhofer, München.
Es geht der Band nicht darum, Blasmusik zu parodieren, sondern sie ernst zu nehmen, sie sich wiederanzueignen – als eine weltgewandte Form der Heimatmusik. Dabei sind einige Neuinterpretationen zu hören: Dem im Original bereits toll groovenden Song „The Liquidator“ (ein Hit aus den 60ern von den Harry J Allstars) wird ein klein wenig Reggae und Rocksteady weggenommen und dank ordentlichem Quetschn-Sound eine Portion Zausel hinzugefügt.
Lust zu tanzen
Und dann wäre da noch das mit Tuba und Bass pumpende Cover des queeren Wave-Klassikers „Der Räuber und der Prinz“ (D.A.F.) – ein Highlight. Selbst die Stücke, die noch am meisten nach Parodie klingen, wie eine völlig überdrehte Speedpolka („Fischerpolka“), machen einfach nur Lust auf dieser Art von Musik, Lust auf Tanzen.
G. Rag, Namensgeber der Band und Münchener Szenefossil, hat dabei mit G.Rag y los Hermanos Patchekos, G. Rag/Zelig Implosion und der Punkband Analstahl noch weitere Projekte, bei denen er Genres in Frage stellt. Zudem betreibt er einen Plattenladen in München (Gutfeeling), während Wegbegleiter Daniel Kappla das gleichnamige Label betreibt, auf dem nun auch „Schwung“ erscheint.
Auf dem Album gelingt es der Band, den Alpen-Folk – nach Balkan, Cumbia, Calypso und was sonst noch so war – in den Pop zu überführen. Dass die Band, bei der auch The-Notwist-Bassist Micha Acher mitwirkt, dabei bislang ein regionales Phänomen bleibt, ist bedauerlich.
Es gibt ein Video, in dem die Band in diesem Sommer im Stadtzentrum von Freising „Der Räuber und der Prinz“ spielt. Die Fans: ältere Dirndlträgerinnen, die neben Jüngeren im Kleid wippen, Menschen in Lederhosen neben Jungs mit Käppis und schnieken Typen im Hemd. Irgendwann grölen alle den Song mit. Vielleicht ist ja diese Art von Blasmusik der beste Streetpunk, den man heute spielen kann. | 676 |
0 | Ich will Sie in die Buchten führen, wo sie so gern die Steinchen
zusammenlas. Sie werden sich, lieber junger Mann, der Dankbarkeit
einer Familie nicht entziehen, die Ihnen so viel schuldig ist. Morgen
reise ich weg. Ich habe dem Abbe die ganze Geschichte vertraut, er
wird sie Ihnen wiedererzählen; er konnte mir verzeihen, wenn mein
Schmerz mich unterbrach, und er wird als ein Dritter die Begebenheiten
mit mehr Zusammenhang vortragen. Wollen Sie mir noch, wie der Abbe
vorschlug, auf meiner Reise durch Deutschland folgen, so sind Sie
willkommen. Lassen Sie Ihren Knaben nicht zurück; bei jeder kleinen
Unbequemlichkeit, die er uns macht, wollen wir uns Ihrer Vorsorge für
meine arme Nichte wieder erinnern." | 677 |
1 | Deutsche Journalisten im Nordirak: Festgesetzt in Erbil
Laut Verdi halten irakische Sicherheitsbehörden deutsche Journalisten fest, die an einem Kongress teilnehmen wollten. Was ihnen vorgeworfen wird, ist unklar.
Die zu Verdi gehörende Deutsche Journalisten-Union hatte zuerst über den Vorfall informiert Foto: dpa
HAMBURG/ERBIL epd | Irakische Sicherheitsbehörden haben nach Angaben der Mediengewerkschaft dju mehrere deutsche Journalisten in der Stadt Erbil festgesetzt. Es handele sich um mindestens drei Pressevertreter, teilte die Deutschen Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) am späten Sonnabend mit.
Es sei unklar, was den Festgehaltenen vorgeworfen werde und wann sie wieder freikämen. Aus dem Auswärtigen Amt hieß es am Sonntag, das deutsche Generalkonsulat in Erbil stehe mit den lokalen Behörden in Kontakt „und geht dem nach“.
Die Festgehaltenen gehören laut dju zu einer Gruppe von Politikern, Journalisten und Aktivisten, die sich früh am Sonnabend auf den Weg zu einem Friedenskongress in die kurdischen Autonomiegebiete im Nordirak machte.
Ein Teil der Delegation sei von der Bundespolizei an der Ausreise am Düsseldorfer Flughafen gehindert, stundenlang festgehalten und verhört worden. Der dju zufolge stellt sich die Festsetzung als „abgestimmte Aktion der deutschen und irakischen Behörden“ dar.
Linken-Abgeordnete durfte nicht abfliegen
Nach Angaben der Linkspartei wurde unter anderem die Linken-Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft, Cansu Özdemir, in Düsseldorf festgehalten und daran gehindert, das Flugzeug zu besteigen. Eine bereits in Erbil eingetroffene Gruppe, der ebenfalls Politiker der Linken angehörten, sei wieder ausgewiesen worden.
Ziel der Reise war der Linksfraktion zufolge, sich in Erbil über die seit Wochen andauernden Militäraktionen der Türkei im Nordirak zu informieren und auf völkerrechtswidrigen Angriffe aufmerksam zu machen. Die angeblich gegen Stellungen der kurdischen PKK gerichteten Angriffe träfen immer wieder die Zivilbevölkerung. | 678 |
1 |
Beate Kosmala Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
Ob lange geplant oder spontan gewährt, Solidarität und Hilfeleistungen während des Nationalsozialismus in Osteuropa entsprangen aus situativen Prozessen, die in bestimmten historischen und politischen Kontexten entstanden, so die These von Beate Kosmala. Die konkrete Situation der jüdischen Bevölkerung, der Charakter des Besatzungsregimes, die Kriegssituation und andere Rahmenbedingungen hätten bestimmt, welche Handlungsspielräume für Helfer entstanden und ob sie genutzt wurden.
So blieb die Solidarität mit den Verfolgten in der Slowakei, wo durch das mit dem Dritten Reich verbündete Regime bis Herbst 1942 zwei Drittel der Juden deportiert worden waren, bis zum Nationalaufstand im Sommer 1944 auf Einzelfälle beschränkt. Auch für Länder wie Litauen und Ungarn trifft nach Kosmala das Zitat des Politologen Istvan Bibó zu: Beispiele von Rettung "waren nur ein Tropfen im Meer, und zwar nicht in einem Meer von Feindseligkeit, sondern [...] in einem Meer von Befremdung, Zögern und Zaudern."
Hilfeleistungen für Juden in Polen dagegen bezeichnete Kosmala als ein weit verbreitetes Phänomen, aber durchaus auch ein komplexes Thema. Polen habe in Osteuropa eine besondere Rolle eingenommen, sowohl in Hinblick auf die mit 3,5 Millionen Menschen größte jüdische Bevölkerung, als auch durch die frühe Besatzung im September 1939.
Trotz drohender Todesstrafe riskierten tausende von Polen ihr Leben, um Juden und andere Verfolgte zu retten. Die Motive seien oft weniger altruistischer, als vielmehr kommerzieller Natur gewesen. So sei die Hilfe gegen Bezahlung für viele Helfer ein normales Verhalten im kriegszerrütteten Polen gewesen. Das barg besonders für sichtlich erkennbare Juden, für die das Untertauchen in Verstecken die einzige Überlebensmöglichkeit war, ein hohes Risiko, so Kosmala. "Damit begaben sie sich in totale Abhängigkeit von ihren Helfern."
Kosmala betonte darüber hinaus die wichtige humanitäre und politische Rolle des geheimen "Hilfsrats für Juden", einer von der polnischen Exilregierung in London finanzierten Organisation, die über die Verfolgung der polnischen Juden informierte und versuchte, ihnen konkret zu helfen. Entscheidend seien aber letztlich die individuellen Akte von Solidarität durch Polen gewesen, die dem Großteil der 40.000-60.000 überlebenden polnischen Juden das Leben retteten.
Beate Kosmala Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
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1 | Kommentar Deniz Yücels Freilassung: Einer ist frei
Deniz Yücel ist endlich frei, aber die Erpressung läuft weiter. Die Ausrufe deutscher Politiker vom positiven Signal klingen da nur hohl.
Das riecht nach Machtpolitik: Außenminister Gabriel beim Statement zu Deniz Yücels Freilassung Foto: Reuters
Deniz Yücel ist raus – diese Nachricht hat Wucht. Sie lässt sich erklären aus den zwölf Monaten, in denen sich nichts bewegte im Fall des Welt-Korrespondenten und früheren taz-Redakteurs. Immer wurde ja dieser bedrückende Zustand fortgeschrieben: die Einzelhaft von Silivri bei Istanbul. Aber an diesem Freitagnachmittag hat er das Gefängnis verlassen. Er ist raus. Er ist frei.
Ist er frei? Diese Frage bremst die Freude. Genau wie die Frage, wie frei wir eigentlich sind. Wie frei ist man, sich zu freuen, wenn man nicht weiß, ob man aufhören kann, sich zu sorgen. Wenn man nicht weiß, ob es Gegenleistungen gegeben hat, Panzer oder Geld oder beides? Über dem Tag, als Deniz Yücel aus dem Gefängnis trat, lag immer noch der Drohschatten des Recep Tayyip Erdoğan.
Die türkische Justiz hat ihre Version von Freiheit gleich mitgeliefert, das Kleingedruckte in seiner ganzen Ekelhaftigkeit. In der Anklageschrift fordert die Staatsanwaltschaft 18 Jahre Haft, sie nennt den Preis für Journalisten, die frei berichten möchten: So viel kostet die Pressefreiheit in diesem Land, mindestens, am Freitag verturteilte ein Gericht in Istanbul die beiden Journalisten Ahmet Altan und Mehmet Altan sowie die Journalistin Nazli Ilicak zu lebenslanger Haft.
Deniz Yücel durfte jetzt aus der Türkei ausreisen, aber dürfte er auch wieder zurück? Dürfte er wieder berichten aus Istanbul? Freilassung darf man nicht mit Freiheit verwechseln. Schon gar nicht im Staate Erdoğans. Die türkische Justiz ist eine Farce, in der Terrorvorwürfe dazu dienen, Kritiker des Präsidenten zu knebeln. 153 JournalistInnen sitzen im Gefängnis. Die drinnen sind Geiseln, damit die draußen vorsichtig sind. Auch wer für deutsche Medien aus der Türkei berichtet, dem hat diese Justiz den Fall Deniz Yücel in den Kopf gezwungen.
Der Dachgarten wartet
Ja, er ist raus, aber die Erpressung läuft weiter. Erdoğans deutsche Verhandlungspartner haben gesehen, dass der Präsident einer ist, der auch brutale Fouls einsetzt, auch gegen deutsche Staatsbürger. Wie hohl klingen da Ausrufe deutscher Politiker vom positiven Signal. Und wenn Außenminister Sigmar Gabriel stolz vermeldet, mit Erdoğan selbst habe er zweimal über Yücel gesprochen, dann schwingt da, mitten im SPD-Machtkampf, mindestens Mundgeruch mit.
BildergalerieDeniz ist frei21 Bilder
Wie frei die Presse ist – das zeigt der Fall Deniz Yücel –, entscheiden nicht die Autokraten allein. Man kann sich ihnen widersetzen. Durch großartige, ausdauernde Solidarität. Und sogar aus dem Gefängnis heraus, aus dem der Gefangene und seine Anwälte seine Gedanken, seine Haltung, sogar seinen Humor heraustrugen. Das waren Erfolge, das gilt es zu feiern.
Seinen Abschied von der taz feierte Deniz Yücel im Frühjahr 2015 auf dem Dach des Rudi-Dutschke-Hauses. In den vergangenen zwölf Monaten dachten wir oft daran.
Lieber Deniz, der Dachgarten wartet. | 680 |
0 | Herzog.
Nun, meine Brüder und des Banns Genossen,
Macht nicht Gewohnheit süßer dieses Leben
Als das gemalten Pomps? Sind diese Wälder
Nicht sorgenfreier als der falsche Hof?
Wir fühlen hier die Buße Adams nur,
Der Jahrszeit Wechsel; so den eisgen Zahn
Und böses Schelten von des Winters Sturm;
Doch, wenn er beißt und auf den Leib mir bläst,
Bis ich vor Kälte schaudre, sag ich lächelnd:
"Dies ist nicht Schmeichelei; Ratgeber sind's,
Die fühlbar mir bezeugen, wer ich bin."
Süß ist die Frucht der Widerwärtigkeit,
Die gleich der Kröte, häßlich und voll Gift,
Ein köstliches Juwel im Haupte trägt.
Dies unser Leben, vom Getümmel frei,
Gibt Bäumen Zungen, findet Schrift im Bach,
In Steinen Lehre, Gutes überall. | 681 |
1 | Debatte ums Betreuungsgeld: Kohle und mehr Kita-Plätze
Herdprämie oder Kita-Ausbau? Kanzlerin Merkel will offenbar beide Wege gleichzeitig forcieren, um das umstrittene Betreuungsgeld durchzusetzen. Die SPD glaubt noch nicht dran.
Zuhause frühstücken oder in der Kita? Bild: AP
BERLIN taz | Die völlig verfahrene Situation um Kitaausbau und Betreuungsgeld scheint sich am Wochenende etwas gelöst zu haben: Bundeskanzlerin Angela Merkel soll laut dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel in Aussicht gestellt haben, dass mit der Einführung des Betreuungsgeldes auch der Ausbau der Kindertagesstätten forciert werden solle. „Unter Umständen“ soll dafür „auch zusätzliches Geld zur Verfügung gestellt werden“, heißt es im Magazin weiter, ohne den Zitierten näher zu benennen.
Um die staatliche Unterstützung der Kinderbetreuung herrscht seit längerem Krach in der schwarz-gelben Koalition: Die CSU pocht auf das im Koalitionsvertrag vereinbarte Betreuungsgeld für Eltern, die ihre Kleinkinder nicht in eine staatlich geförderte Kita geben, sondern sie zu Hause betreuen. 100 bis 150 Euro sollen Eltern von ein- und zweijährigen Kindern dafür bekommen. Die Gruppe der Frauen in der CDU aber lehnt das Betreuungsgeld ab, auch die FDP ist nicht angetan. In der Bevölkerung ist die Herdprämie ebenfalls unbeliebt: 80 Prozent der Befragten wollten laut einer Emnid-Erhebung das Geld lieber in den Kitaausbau stecken.
Doch die CSU pocht auf die Vereinbarung: CSU-Chef Horst Seehofer drohte in der Bild am Sonntag, nicht mehr an Sitzungen des Koalitionsausschusses teilzunehmen, solange kein Gesetzentwurf zum Betreuungsgeld vorliege. Er soll schon am Donnerstagabend vor der Bundesratssitzung beim traditionellen „Kamingespräch“ der Unions-Ministerpräsidenten mit der Kanzlerin gefehlt haben.Dem Vernehmen nach soll ein entsprechender Gesetzentwurf Anfang Juni vorliegen.
Die Opposition forderte zuletzt am Donnerstag in einer aktuellen Stunde, die für das Betreuungsgeld eingeplanten 1 bis 2 Milliarden Euro in den Kitaausbau zu stecken. Der sollte bis zur Einführung eines Rechtsanspruchs auf einen Kitaplatz im Jahr 2013 abgeschlossen sein. Es fehlen aber laut Angaben des Städtetages noch etwa 200.000 Plätze. Auch mangelt es an ausgebildeten ErzieherInnen. Der Städtetag befürchtet deshalb, dass eine Welle von Schadensersatz-Klagen der Eltern, die keinen Kita-Platz bekommen, auf die Kommunen zurolle.
Dass diese Befürchtung nicht ganz unberechtigt ist, zeigt ein Urteil des Verwaltungsgerichts Mainz aus der vorigen Woche: Einer Mutter, der die Kommune trotz Rechtsanspruchs keinen Kindergartenplat zur Verfügung stellte, sprach das Gericht Schadensersatz zu. Die Mutter hatte das Kind in einer kostenpflichtige private Kita betreuen lassen müssen. Die Stadt Mainz hatte argumentiert, dass sie nur auf die Bereitstellung eines Betreuungsplatzes hin verklagt werden dürfe. Das aber sah das Gericht als „sinnlos“ an und verfügte den Schadensersatz.
„Geschenk pünktlich zur Wahl“
Eine Sprecherin des Familienministeriums verwies darauf, dass von den für den Kitaausbau bereitgestellten vier Milliarden Euro 700 Millionen noch gar nicht abgerufen worden seien. Zu weiteren Finanzhilfen könne sie nichts sagen.
Den mutmaßlichen Vorstoß aus dem Kanzleramt nennt Christel Humme, frauenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Bundestag, durchsichtig: „Da hat jemand pünktlich zur Wahl in NRW ein Geschenk platziert“, sagte Humme der taz. „Die Regierung steht mit dem Rücken zur Wand.“. Sie könne nicht vermitteln, dass sie einerseits 6 Milliarden Euro an Steuererleichterungen und 1 bis 2 Milliarden für das Betreuungsgeld beschließe, andererseits aber kein Geld für den Kitaausbau habe.
Humme sagte, sie glaube erst an zusätzliches Geld, wenn sie es sehe. CSU-Chef Seehofer wolle das Betreuungsgeld unbedingt, weil der Kitaausbau in Bayern bis zum Stichtag 1. August 2013 nicht fertig werde und die Eltern stattdessen mit dem Betreuungsgeld ruhig gestellt werden sollten. „Die Biedermeierkoalition scheint endgültig durchzudrehen“, erklärte dazu die kinderpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Diana Golze. | 682 |
1 | Einleitung
Seit den 1960/70er-Jahren oszilliert die geschichtspolitische Debatte in der Bundesrepublik zwischen zwei Identitätspolen: Auf der einen Seite handelt es sich dabei um die im linksliberalen Spektrum angesiedelte "Holocaust-Identität", welche die nationalsozialistische Vergangenheit gleichermaßen als Mahnung und Bürde für die bundesrepublikanische Gegenwart betrachtet. Auf der anderen Seite steht dem auf liberalkonservativer Seite ein Identitätsentwurf gegenüber, der sich gegen die einseitige Fokussierung auf die nationalsozialistische Vergangenheit und den Holocaust wendet. Stattdessen betonen sie stärker den Aspekt der Normalität, wobei auch die Vergangenheit jenseits des Nationalsozialismus als Referenzrahmen mit einbezogen wird. Obgleich der linksliberale Identitätsdiskurs die geschichtspolitische Debatte in der Bundesrepublik dominiert hat und immer noch dominiert, lässt sich eine Reihe von Versuchen ausmachen, in denen Liberalkonservative ihren Identitätsdiskurs stärker akzentuieren: Hierbei sind etwa die "Tendenzwende" in den 1970er-Jahren oder der Historikerstreit im folgenden Jahrzehnt zu erwähnen. Debatten wie diese und geschichtspolitische Erinnerungsdiskurse im Allgemeinen manifestieren sich zudem immer wieder auch in materialen Artefakten, was sich paradigmatisch an der Errichtung des Denkmals für die ermordeten Juden Europas gezeigt hat.
Sieger des zweiten Wettbewerbs um die Ausschreibung für das "Freiheits- und Einheitsdenkmal" in Berlin: der Entwurf "Bürger in Bewegung" von Milla und Partner in Zusammenarbeit mit Sasha Waltz. (© Milla und Partner)
Davon ausgehend thematisiert der vorliegende Beitrag das Denkmal für Freiheit und Einheit, mit dem an die Friedliche Revolution in der DDR 1989 und an die deutsche Wiedervereinigung 1990 erinnert werden soll. Untersucht wird, wie sich dieses Denkmal in die geschichtspolitischen Identitätsdiskurse der Bundesrepublik einreiht und ob es sich dabei um eine "ganz neue Idee eines deutschen 'positiven' Nationaldenkmals" handelt. Somit wird danach gefragt, inwiefern mit dem "Denkmal für Freiheit und Einheit" eine geschichtspolitische Verschiebung der historischen Erinnerung verbunden ist, insofern nicht mehr primär die Geschichte des Dritten Reiches und des Holocaust, sondern eine ins Positive gewendete deutsche Nationalgeschichte den Identitätsdiskurs bestimmt, was gleichsam auf einen geschichtspolitischen Übergang von der "Bonner" zur "Berliner Republik" schließen lassen könnte. Hierzu wird zunächst der Diskurs um die Errichtung des Denkmals thematisiert, bevor im zweiten Abschnitt die topografische Aufstellung sowie schließlich die materielle Gestaltung des Denkmals behandelt werden. 1. Deutschland – "ein normales Land?": Nationale Identität in der Berliner Republik
Erinnerung steht seit einigen Jahren im Fokus der wissenschaftlichen Debatten und firmiert dabei nicht selten unter dem Stichwort der Geschichtspolitik. Die Instrumentalisierung der Geschichte für die Gegenwart wird dabei oftmals unter dem Rubrum der Kontroverse eingeordnet und mitunter als Kampf "um die Deutung von Geschichte" gedeutet. In diesem Sinne lässt sich "Geschichte als Waffe" begreifen, die weit in die Gegenwart hineinragt. Um die Erinnerung und die Geschichte ist in der Bundesrepublik immer wieder gestritten worden. Geschichte wurde dabei auf der einen Seite als Belastung gesehen, wobei immer wieder die Erinnerung an den Nationalsozialismus und den durch ihn hervorgebrachten Holocaust im Fokus stand. In gewisser Weise verbunden war damit die These vom deutschen Sonderweg, die nicht nur die Zeit des NS-Regimes, sondern die deutsche Geschichte insgesamt in das Zentrum rückte. Gegenüber derartigen Deutungslinien wurden immer wieder auch Versuche unternommen, die deutsche Geschichte von der Bürde der nationalsozialistischen Diktatur zu entlasten. Die deutsche Geschichte, so lautete hierbei das zentrale Argument, dürfe nicht nur auf die zwölf Jahre dauernde totalitäre Diktatur reduziert werden. Der Nachweis einer positiv besetzten deutschen Geschichte wurde in Ausstellungen, wie etwa Ende der 1970er und Anfang der 1980er-Jahre über die Staufer, Wittelsbacher und vor allem über Preußen, geführt. Darüber hinaus kam es zum Bau einer Reihe von Museen: Dieser "Musealisierungsprozeß" führte auch zur Gründung des Hauses der Geschichte in Bonn. Dies wurde bereits seit den 80er-Jahren, wie wir in der Einleitung angedeutet haben, auf linksliberaler Gegen-Seite als eine Verschiebung des deutschen erinnerungspolitischen Diskurses weg von der oben angesprochenen "Holocaust-Identität" hin zu einer "offensive[n], nationalkonservative[n] Besetzung der Geschichte" durch die Bundesregierung Kohl gedeutet. Diese Diskurslinie wurde nach der Friedlichen Revolution 1989/90 im vereinten Deutschland weiter gezeichnet. Noch vor der staatlichen Wiedervereinigung warnte Jürgen Habermas im Frühjahr 1990 von einem nun heraufziehenden "DM-Nationalismus". Auf der Gegenseite fragte im Sommer 1991 Klaus von Dohnanyi, ob Deutschland "ein normales Land" sei und kam zu dem Schluss, dass dies nicht der Fall sei, was er als "ein Schaden [...] für Europa, aber auch für die Deutschen" wertete. Daneben konstatierte auch der Politologe Eckhard Jesse: "Findet die selbstquälerische Form der Vergangenheitsbewältigung kein Ende, so bedeutet das eine nachhaltige Hypothek für die politische Kultur in der Bundesrepublik – unter Umständen mit Konsequenzen, die nicht im Interesse der 'Bewältiger' sein dürften." Damit zeigte sich auch im Kontext der deutschen Wiedervereinigung, dass sich linksliberale und liberalkonservative Deutungslinien unversöhnlich einander gegenüberstanden. Der Bruch im erinnerungspolitischen Diskurs der Bundesrepublik erfolgte – zumindest in linksliberaler Deutung – mit der Walser-Bubis-Debatte. Ausgelöst hatte die Kontroverse der Schriftsteller Martin Walser. In seiner Friedenspreisrede hatte Walser 1998 gesagt, wenn ihm jeden Tag in den Medien die NS-Vergangenheit vorgehalten werde, "merke ich, daß sich in mir etwas gegen diese Dauerpräsentation unserer Schande wehrt. Anstatt dankbar zu sein für die unaufhörliche Präsentation unserer Schande, fange ich an wegzuschauen." Die folgende Kontoverse wurde von linksliberaler Seite als "Einschnitt in die 'Erinnerungskultur' der Bundesrepublik" gewertet. Im Rahmen der Walser-Bubis-Debatte wurde dem wiedervereinigten Deutschland gleichsam eine "erinnerungspolitische[...] Verschiebung im Rahmen eines sich transformierenden politisch-kulturellen Gefüges" attestiert. Ignatz Bubis´ Rolle in dieser Debatte wurde als ein "Kampf um die Erinnerung an die Shoah und gegen die soziale Freisetzung des latenten oder offenen antisemitischen Ressentiments" gesehen, die er gegen "den literarische[n] Agitator Walser" nicht habe gewinnen können. Dass der 1999 verstorbene Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland dann von der rot-grünen Bundesregierung posthum für sein Engagement gelobt wurde, die "Schatten der Vergangenheit kleiner werden zu lassen", war für den linksliberalen Diskurszweig ein weiterer Beleg für die "neuere deutsche Geschichtspolitik". Die Walser-Bubis-Debatte und die Diskussion um das geplante Holocaust-Mahnmal wurden als "Konturen" eben jener neuen geschichtspolitischen Lage des vereinten Deutschlands am Beginn der Berliner Republik verortet. Diese neue Verortung der Bundesrepublik mithilfe ihrer – unterstellten – neuen Geschichtsdeutung ziele "verstärkt auf die Normalisierung und Einordnung der deutschen Verbrechen während der Zeit des Nationalsozialismus." Von liberal-konservativer Seite hingegen wurden Walsers Äußerungen positiver bewertet. Der Philosoph Peter Sloterdijk befand, Walser habe mit der Paulskirchenrede die "Annäherung an die psychopolitische Normalität" vorangebracht. Zudem habe der Schriftsteller eine "glanzvolle Antizipation einer möglichen deutschen Normalisierung" betrieben. Von späteren linksliberalen Diskursteilnehmern, wie der Historikerin Aleida Assmann, wurden hingegen noch 2007, also fast 20 Jahre nach der Wiedervereinigung, weiterhin Zweifel an der deutschen Nation und an ihrem Umgang mit ihrer Geschichte geäußert: "Während sich in Bonn der Verzicht aufs Nationale ausdrückte, wird in Berlin in großem Stil die Nation re-inszeniert. Die Nation will nicht nur imaginiert, sie will auch repräsentiert sein: durch Ideen, Mythen, Erzählungen, Symbole und nicht zuletzt durch die Architektur ihrer neuen Hauptstadt." Inwiefern dies auch auf das Freiheits- und Einheitsdenkmal zutrifft, wird im Folgenden thematisiert. 2. Deutsche Geschichte und Identität jenseits des Nationalsozialismus
Als in der Bundesrepublik über die Errichtung des Holocaust-Mahnmals gestritten wurde, initiierte Florian Mausbach, der damalige Präsident des Bundesamtes für Bauwesen, im Jahre 1998 gemeinsam mit Günter Nooke, dem Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung, Jürgen Engert, dem Gründungsdirektor des ARD-Hauptstadtstudiums, und dem letzten DDR-Ministerpräsidenten Lothar de Maizière die Idee für den Bau eines Freiheits- und Einheitsdenkmals. In einem Brief, den die vier Initiatoren am 13. Mai 1998 an Helmut Kohl, Rita Süssmuth, Gerhard Schröder und Eberhard Diepgen sandten, erklärten sie: "Wir Deutsche tun uns schwer mit Denkmälern und Gedenkstätten. [...] Die Unfähigkeit zu feiern und die Unfähigkeit zu trauern gehören zusammen. Sie können auch nur gemeinsam überwunden werden. Denkmäler der Schande und der Trauer, des Stolzes und der Freude sind notwendige Grundsteine des neuen Deutschland und der neuen Bundeshauptstadt." Die Initiatoren des Denkmals rekurrierten damit auf die positiven Seiten der deutschen Geschichte. Die Deutschen, so die Argumentation, kämen nicht umhin, nicht nur die negativen Seiten ihrer Geschichte, sondern auch die positiven Elemente ihrer Vergangenheit zu betonen. So fragte Günter Nooke explizit, warum die Deutschen "im Kontext der national bedeutenden Denkmale nicht auch der Aktiva der deutschen Geschichte gedenken" könnten. Auch Alfred Grosser meinte, dass "man sich in Deutschland allzu wenig an die positive Vergangenheit" erinnere. Mit der Absicht, die positiven Seiten der deutschen Geschichte zu würdigen, tat sich die Bundesrepublik lange Zeit schwer. Vor allem in den "80er-Jahren war die lange und ferne deutsche Geschichte verblasst, und in den Vordergrund immer dringlicher die Geschichte des Nationalsozialismus und des Holocaust getreten". Vor diesem Hintergrund verwies die frühere Bundesministerin für innerdeutsche Beziehungen Dorothee Wilms in ihrem Plädoyer für das Denkmal auf eine "gebrochene nationale Geschichtstradition" der Deutschen. Nicht nur die föderale Struktur Deutschlands habe die Etablierung einer zentral ausgerichteten nationalen Erinnerungskultur verhindert, sondern Wilms führte dies vor allem "auf die NS-Diktatur mit Holocaust und Völkermord, auf eine SED-Diktatur mit Rechtlosigkeit und Unfreiheit in einem Teil Deutschlands und auf all die anderen bedrückenden menschlichen und gesellschaftlichen Folgen" zurück. Allerdings dürfe die deutsche Geschichte nicht allein auf diese Zusammenhänge reduziert werden. Die Sichtweise, wonach der Nationalsozialismus den einzigen Fluchtpunkt deutscher Geschichte bildet, wurde somit kritisch gewertet. Entsprechend wurde auch die Annahme von Zwangläufigkeiten oder Sonderwegen in der deutschen Geschichte zurückgewiesen: Es sei "nicht wahr, dass die deutsche Geschichte auf das Jahr 1933 zulaufen musste". Die deutsche Geschichte sei wie auch diejenige anderer europäischer Staaten gleichermaßen von negativen wie positiven Seiten geprägt und Deutschland in dieser Hinsicht als ein normales europäisches Land zu sehen. Die Würdigung der positiven Seiten der deutschen Geschichte sei gerade für die Identitätsstiftung wichtig. Die Reduzierung der deutschen Geschichte auf den Nationalsozialismus, so konstatieren die Befürworter des Denkmals, sei nicht geeignet, ein tragfähiges Identitätsgefühl hervorzubringen. So stellte Günter Nooke fest, dass "der Holocaust oder die vorbildliche Aufarbeitung des NS-Verbrechen [...] nicht als nationale Identifikation" ausreichten. Darauf machte auch der evangelische Theologe Richard Schröder aufmerksam, wenn er darauf hinwies, dass kein Volk "allein aus dem Versagen Orientierung gewinnen" könne. Weder Nooke noch Schröder sprachen sich damit grundsätzlich gegen die Errichtung von Mahnmalen aus, mit denen der Opfer staatlich begangener Verbrechen gedacht werde, doch dürfe sich die kollektive Erinnerung nicht darauf beschränken. Dies brachte auch der "linke Patriot" Peter Brandt zum Ausdruck, wenn er darlegte, "dass wir den Jungen nur zumuten können, diese Last weiterzutragen, wenn die Erinnerung an die Schrecken der Vergangenheit ergänzt wird um positive Identifikationsangebote". Es gelte vielmehr einen "Kernbestand ganz spezifischer positiver Leistungen, mit denen Deutschland seinen Beitrag zur Menschheitsentwicklung geleistet hat und fortgesetzt leistet" anzuerkennen. Dorothee Wilms erklärte, dass ohne Geschichtsbewusstsein "eine geistig-politische Orientierung in Staat und Gesellschaft nicht möglich" sei. Dies könne die Bezugnahme auf den Nationalsozialismus indes nicht leisten. Vielmehr sei es wichtig, eine Erinnerungskultur zu etablieren, in der sich die Identität widerspiegelt und gleichermaßen bewahrt werden soll, wobei insbesondere die Bedeutung von Denkmälern hervorgehoben wird. In der Diskussion um die Errichtung des Freiheits- und Einheitsdenkmals wurde über die Zeit des Nationalsozialismus hinausgegangen. Dabei wurde grundsätzlich das "selbstzerstörerische Klischee" zurückgewiesen, wonach "die Deutschen nicht über beachtliche freiheitliche Traditionen [...] verfügen könnten". Hierbei spielte insbesondere das 19. Jahrhundert eine herausragende Rolle, wobei eine spezifisch deutsche Revolutionstradition begründet wurde, die sich von 1848 bis 1989 spanne. Dabei kam den Begriffen "Freiheit" und "nationale Einheit" eine herausgehobene Bedeutung zu: "Was in der Revolution von 1848 noch misslang, wurde nach 1989 zum europäischen Ereignis: Der Sieg der freiheitlichen, demokratischen und nationalen Bewegungen. [...] Ein Freiheits- und Einheitsdenkmal der friedlichen Revolution wäre zugleich Überwindung und Vollendung: Überwindung eines martialischen Nationalismus und Vollendung der demokratischen Revolution von 1848." Dementsprechend betonten die Initiatoren des Denkmals, es gebe von 1989 "durchaus eine direkte Traditionslinie hin zu 1832 und 1848!" Aber nicht nur die Initiatoren des Freiheits- und Einheitsdenkmals stellten die Umwälzungen des Herbsts 1989 in einen revolutionären Kontext, der bis in das 19. Jahrhundert reicht. Auch die Bundesregierung machte sich diese Einordnung zu eigen und unterstrich ebenfalls diese Traditionslinie, wodurch die ursprünglich private Initiative auf eine politische Ebene gehoben wurde. Dabei bezog die Bundesregierung die Akteure von 1989 auf die Nationalbewegung im 19. Jahrhundert: "Die Frauen und Männer der friedlichen Revolution konnten an eine lange Freiheitstradition anknüpfen. Im 19. Jahrhundert war die deutsche Nationalbewegung der Träger des Freiheitsgedankens, der stets mit dem Wunsch nach Einheit verbunden war. So war die Revolution von 1848/49 nicht nur der Versuch, Menschen- und Bürgerrechte zu garantieren, sondern auch die Einheit zu schmieden." Auch die Bundesregierung konturierte eine historische Kontinuität, die von 1848 über die Weimarer Republik bis hin zur Bundesrepublik reicht. Dementsprechend wurde darauf hingewiesen, dass die Weimarer Verfassung "bewusst an die Traditionen der Reichsverfassung von 1849" anknüpfte und dabei sowohl die Freiheit als auch die Einheit als konstituierende Merkmale bewahrte, bevor sie durch den linke und rechte Kräfte zerstört wurde. Diese revolutionäre Traditionslinie fand auch Eingang in den Beschluss des deutschen Bundestages, der sich am 9. November 2007 für die Errichtung eines Einheitsdenkmals entschied: "Die Bundesrepublik Deutschland errichtet in Erinnerung an die friedliche Revolution im Herbst 1989 und an die Wiedergewinnung der staatlichen Einheit Deutschlands ein Denkmal der Freiheit und Einheit Deutschlands, das zugleich die freiheitlichen Bewegungen und die Einheitsbestrebungen der vergangenen Jahrhunderte in Erinnerung ruft und würdigt." Das Herausarbeiten einer spezifisch deutschen Revolutionstradition, die auf die Revolution von 1848 zurückgeführt wird, kommt indes nicht nur an der Errichtung des Denkmals zum Ausdruck. In diesem Zusammenhang ist beispielsweise auch die Umbenennung des Platzes vor dem Brandenburger Tor in "Platz des 18. März" einzuordnen. Hiermit soll eine Verbindungslinie zwischen dem 18. März 1848 und den ersten freien Wahlen in der DDR am 18. März 1990 gezogen werden. Es gibt somit einige städtebauliche Projekte, die – wie das Freiheits- und Einheitsdenkmal – die revolutionären Aspekte der deutschen Geschichte abbilden. Die intendierte Anknüpfung der Ereignisse im Herbst 1989 an eine deutsche Revolutionstradition spiegelt sich auch in der semantischen Bezeichnung dieser Ereignisse wider, insofern einerseits von "Revolution" andererseits von "Wende" gesprochen wird. Damit sind beide Termini zu ideengeschichtlichen Kampfbegriffen geworden, mit denen um die Deutungshoheit über die Ereignisse des Herbstes '89 gerungen wird. So verwehren sich die Kritiker gegen den "Wende"-Begriff, weil dieser vom Honecker-Nachfolger Egon Krenz geprägt wurde. Mit dem Begriff der "Wende" glaubte er einen Terminus gefunden zu haben, "der sowohl eine Hinwendung auf das Bewährte aus 40 Jahren DDR zuläßt als auch deutlich macht, daß wir uns abwenden von allem, was unser Land in die gegenwärtige Situation gebracht hat". Dies verband sich gleichermaßen mit einem offensiven Aspekt, insofern Krenz die "Wende" ausrief, mit der die Führung der DDR "vor allem die politische und ideologische Offensive wiedererlangen" sollte. Krenz ging es also lediglich darum, die DDR in gewissem Maße zu reformieren und gleichzeitig den Machtanspruch der SED als Regierungspartei der DDR aufrecht zu erhalten. Damit stand das Anliegen von Krenz allerdings konträr zu den Forderungen der Bevölkerung der DDR. Die Bezeichnung als "Wende" relativiere somit lediglich die Ereignisse vom Herbst 1989 durch einen "belanglosen, ja diffamierenden Begriff" und durch eine "Verharmlosungsformel gegenüber Charakter und Qualität der DDR". Demgegenüber unterstreichen die Kritiker des "Wende"-Begriffs die freiheitlichen Intentionen der Bewegung, die das SED-Regime zum Einsturz brachte. Der weitestgehend friedliche Verlauf des Herbstes '89 dürfe nicht über den systemischen Wandel hinwegtäuschen, den diese Ereignisse ausgelöst hätten: "Die Revolution führte zu einem anderen politischen und ökonomischen System, wenn auch nicht zu einem, das denen vorschwebte, die sich die Veränderung des alten Systems auf die Fahnen geschrieben hatten. Der Umbruch in Ostdeutschland ging weit über alles hinaus, was die Herrschenden als Konzession gerade noch toleriert hätten", erklärte Charles S. Maier in seinem Plädoyer für den "Revolutions"-Begriff. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass mit dem Denkmal für Freiheit und Einheit die Normalisierung der deutschen Identität zum Ausdruck gebracht werden soll. Dies verbindet sich vor allem mit dem Gedanken einer deutschen Revolutionstradition, mit der die Ereignisse vom Herbst 1989 in eine Kontinuitätslinie mit der Revolution von 1848 gestellt werden. Dieser Zusammenhang verdeutlicht sich auch im Hinblick auf den Standort, an dem das Denkmal errichtet werden soll. 3. Topografische Aufstellung: die Schlossfreiheit in Berlin
Als Standort des Freiheits- und Einheitsdenkmals ist die Schlossfreiheit in Berlin vorgesehen. Die Aufstellung des Denkmals in Berlin war indes nicht unumstritten. Als Alternative war auch Leipzig im Gespräch. Hierfür sprach sich etwa vehement Gunter Weißgerber aus. Auch Rainer Eckert, der Direktor des Zeitgeschichtlichen Forums in Leipzig, votierte für die Aufstellung in Leipzig auf dem Augustusplatz, den Eckert in "Platz der friedlichen Revolution" umbenannt sehen möchte. Leipzig habe im Kampf um die Freiheit stets eine herausragende Rolle gespielt, etwa in den anti-napoleonischen Befreiungskriegen 1813 und in der Märzrevolution 1848. Damit griffen auch Befürworter des Standortes Leipzig auf die Revolutionstradition Deutschlands zurück. Hingegen sprachen sich die Initiatoren des Denkmals bereits sehr früh für Berlin als Standort des Freiheits- und Einheitsdenkmals aus. Zwar wurde die Bedeutung Leipzigs und der dort einsetzenden Montagsdemonstrationen für die Revolution im Herbst 1989 gewürdigt, doch stellte Florian Mausbach zugleich die Rolle Ost-Berlins als "Hauptstadt der DDR" in den Vordergrund. So habe auf dem Alexanderplatz die größte Kundgebung stattgefunden, welche die "Machtlosigkeit der SED" demonstriert habe. Außerdem sei von der Öffnung der Mauer in Berlin, der Hauptimpuls zur Wiedervereinigung ausgegangen. Auch sei der Beschluss zur Wiedervereinigung "von der freigewählten Volkskammer in Berlin" gefällt worden, so Richard Schröder. Berlin wurde somit als der zentrale nationale Erinnerungsort angesehen, wo der revolutionären Ereignisse vom Herbst 1989 und der Wiedervereinigung gedacht werden könne. Zugleich wurde mit Berlin die nationale Dimension des Denkmals betont. Als Hauptstadt der Bundesrepublik sei Berlin auch die "Hauptstadt unserer Erinnerungskultur", erklärte Richard Schröder. In seinem Beschluss machte sich der Deutsche Bundestag diese Sichtweise zu eigen und beschloss, das Denkmal "als nationales Symbol in der Mitte der deutschen Hauptstadt" zu errichten. Damit repräsentiert das Denkmal die Nation. Ein weiterer Grund, der zugunsten von Berlin als Standort für das Denkmal angeführt wurde, ist der Umgang mit der deutschen Vergangenheit. So plädierte Bundestagspräsident Norbert Lammert für den Standort Berlin, weil neben den zahlreichen Mahnmalen zur Erinnerung an die verbrecherischen, totalitären Regime auf deutschem Boden auch ein Denkmal errichtet werden solle, das die positiven Seiten der deutschen Geschichte zum Ausdruck bringe: "Wir haben aus gutem Grund insbesondere in der Hauptstadt zahlreiche auffällige Stätten der Erinnerung an die Verbrechen zweier Diktaturen in Deutschland. Es gibt keinen vernünftigen Grund, nicht auch in ähnlich demonstrativer Weise der Freiheits- und Einheitsgeschichte der Deutschen zu gedenken." Als Standort für das Denkmal der Freiheit und Einheit wurde der Sockel des ehemaligen Nationaldenkmals für Wilhelm I. auf der Schlossfreiheit festgelegt. Das Reiterdenkmal, das anlässlich des 100. Geburtstages des Kaisers 1897 enthüllt wurde, unterschied sich von anderen Denkmälern zu Ehren des Kaisers dadurch, dass es sich um ein offizielles Denkmal, ein Auftragswerk Wilhelms II., handelte. Andere Denkmäler für Wilhelm I. gingen entweder aus den Initiativen industrieller, kaufmännischer und akademisch gebildeter Kreise oder aus Kriegsvereinen hervor, feierten also weniger die Leistung des Kaisers, sondern vielmehr die Nation. In gewisser Weise trifft dies auch auf das Freiheits- und Einheitsdenkmal zu: Es soll eben "nicht ein Denkmal des Parlamentarismus, also der repräsentativen Demokratie sein, sondern der unmittelbaren und selbsttätigen revolutionären Volksbewegung, der Menschen, die allein mit dem Mandat ihres Gewissens Freiheit und Einheit erkämpft haben", so Florian Mausbach: "Es sollte nicht ein repräsentatives Staatsmonument sein, sondern ein Bürgerdenkmal." Gemäß der Vorstellung eines "Bürgerdenkmals", das der "friedlichen Revolution von unten" gewidmet sein soll, sei beispielsweise auch der Standort unmittelbar vor dem Reichstag ungeeignet, da dieser eben nicht die Bürger, sondern das Parlament in den Vordergrund stelle. Stattdessen kam es den Initiatoren darauf an, einen Ort zu finden, der die revolutionären Ereignisse besser zum Ausdruck bringe. Hierfür bot sich in ihren Augen die Schlossfreiheit in besonderer Weise an, denn in ihrer unmittelbaren Nähe "tagte die frei gewählte Volkskammer und fasste am 23. August 1990 den Beitrittsbeschluss". Ebenso findet in diesem Zusammenhang die große Kundgebung auf dem Alexanderplatz Erwähnung. Zudem verweise die Schlossfreiheit auf die "Befreiung von allen bürgerlichen Lasten und der Gewährung der Gewerbefreiheit" und bilde somit die "Keimzelle des bürgerlichen Lebens" in Preußen. Damit knüpften die Initiatoren bewusst an die preußische Tradition an und betonten die bürgerliche Seite Preußens. Insgesamt also wird durch das Denkmal sowie die Wahl des Ortes die Nation selbst zum gefeierten Referenzpunkt; hierzu passt es auch, dass es sich bei den Initiatoren nicht nur um Parlamentarier handelt, sondern das Ansinnen auf ein solches Denkmal gewissermaßen der Mitte der bürgerlich verfassten Nation entspringt. Bei der Wahl des Standortes kommt insgesamt ein erinnerungskultureller Transfer zum Ausdruck. Aleida Assmann spricht in diesem Kontext von einem "Palimpsest". Im Rahmen der Neugestaltung der Mitte Berlins sei die Stadt "ein dreidimensionaler Palimpsest: auf konzentriertem Raum ist Geschichte immer schon geschichtet als Resultat wiederholter Umformungen, Überschreibungen, Sedimentierungen." In besonderer Weise wird dies am Ensemble der Schlossfreiheit und des Berliner Stadtschlosses deutlich: So wurde das Reiterstandbild Wilhelm I., das im Zweiten Weltkrieg schwer zerstört wurde, 1949/50 bis auf den Sockel vollständig abgetragen. Dieses Vorgehen stand indes im Zusammenhang mit dem Abriss des gesamten Berliner Stadtschlosses, den SED-Chef Walter Ulbricht 1950 folgendermaßen begründete: "Das Zentrum unserer Hauptstadt, der Lustgarten und das Gebiet der jetzigen Schloßruine, müssen zu dem großen Demonstrationsplatz werden, auf dem der Kampfwille und der Aufbauwille unseres Volkes Ausdruck finden können". Dementsprechend entstand hier der "Palast der Republik" als Zeichen des sozialistischen Aufbaus, als Ausdruck der Neudefinition der Mitte Berlins im Lichte der sozialistischen Ideologie. Mit dem Abriss des Palastes der Republik und der geplanten Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses sowie der Aufstellung des Freiheits- und Einheitsdenkmals wird dieser Ort nunmehr erneut umgeschichtet und überschrieben: "Mit der Errichtung eines Denkmals auf dem für das Reiterstandbild Wilhelms I. gebauten Sockel wird jener Ort des Einheitswillens gleichsam demokratisch vollendet und im Hegel'schen Sinne 'aufgehoben'" – im "Doppelsinn des Wortes 'Aufheben' von Bewahren und Überwinden". Insofern möchten die Initiatoren des Denkmals der Mitte Berlins ein neues Sediment deutscher Geschichte hinzufügen, welches das historische Erbe nicht leugnet, sondern dieses als Grundlage einer neuen Schichtung begreift. Dies bestätigte Jürgen Engert, als er auf "die Ironie, die Brechung [hinwies], die entsteht mit dem Ersetzen des Symbols der Einheit von oben durch ein Sinnbild der Einheit von unten, einem Denkmal für die Kerzen". Damit reagierte Engert auf Kritik, wonach das geplante Denkmal insofern einem "geschichtsblinden Triumphalismus" fröne, als sein Sockel dem Kaiser der Reichseinigung von 1871 gewidmet war. Die Einheit, die nach 1989 möglich wurde, sah Engert im Unterschied zur Einigung von 1871 nicht als von oben verordnet, sondern als von unten erkämpft an. Beide Ereignisse verdichten sich aber durchaus für die Initiatoren und Befürwortern des Freiheits- und Einheitsdenkmals in dem ausgewählten Ort auf dem Sockel der Schlossfreiheit. Ort und Raum gehen in diesem Sinne eine Verbindung ein: Einmal zeigt sich der Sockel der Schlossfreiheit als Ort, der primär auf die Vergangenheit bezogen ist; andererseits hat das abgetragene Reiterdenkmal einen Raum eröffnet, der für Planung und Deutung in die Zukunft gerichtet ist. Beide Dimensionen werden durch "Freiheit" und "Einheit" besetzt und als notwendige Orientierungspunkte der Nation in die Zukunft projiziert. Die Schlossfreiheit erweist sich somit als Palimpsest, in dem "Erfahrungsraum und Erwartungshorizont" einer Nation aufeinandertreffen und in dem Geschichte als Prozess von Um- und Überschreibungen immer wieder neu geschichtet wird. 4. Materielle Gestaltung
Nachdem eine erste, inhaltlich sehr weit gefasste Ausschreibung kläglich gescheitert war, sollte die künstlerische Gestaltung des Denkmals im zweiten – nicht öffentlichen – Wettbewerb die friedliche Revolution 1989 und die Wiedererlangung der deutschen Einheit fokussieren. Der Beitrag der Leipziger Bürgerinnen und Bürger, denen der Änderungsbeschluss des Bundestages eine herausgehobene Rolle an der friedlichen Revolution zubilligte, sollte nun mit einem eigenen Denkmal gewürdigt werden. In Berlin sollte durch das in der Nähe des geplanten Denkmals liegende Deutsche Historische Museum der Bezug zur gesamten deutschen Freiheits- und Einheitsgeschichte hergestellt werden können. Auf den ursprünglich vorgesehenen Ort der Information wurde fortan verzichtet.
Sieger des zweiten Wettbewerbs um die Ausschreibung für das "Freiheits- und Einheitsdenkmal" in Berlin: der Entwurf "Bürger in Bewegung" von Milla und Partner in Zusammenarbeit mit Sasha Waltz. Ansicht vom Kronprinzenpalais über den Kupfergraben, im Hintergrund das Stadtschloss (Wiederaufbau in Planung) und das ehemalige DDR-Staatsratsgebäude. (© Milla und Partner)
Unter den ursprünglich 28 eingereichten Entwürfen wurde am 13. April 2011 von Kulturstaatsminister Bernd Neumann der Beitrag der Architekten Milla und Partner in Zusammenarbeit mit der Künstlerin Sasha Waltz "Bürger in Bewegung" als Sieger verkündet. Dieser Entwurf, der von den Juroren gelobt wurde, weil er "weitgehend und in eindrücklicher Weise" mit den Vorstellungen der Auftraggeber übereinstimme, umfasst drei konzeptionelle Kerngedanken. Erstens werde hier den "mutigen Bürgern" von 1989 gedacht, die als Basis der gegenwärtigen Freiheit angesehen werden. Zugleich soll das Denkmal, das an eine Schale erinnert, auch Vermächtnis der Bürgerbewegung und zugleich Aufforderung an die nächsten Generationen sein. Zweitens sei das Denkmal begehbar, und somit könne sich der heutige Bürger als Teil des Denkmals betrachten. Drittens sei das entworfene Denkmal beweglich, und zwar wenn sich mehrere Bürger zusammenschließen und das Denkmal gemeinsam betreten. Hierzu formulierten die Künstler: "Freiheit und Einheit sind keine dauerhaften Zustände, sondern müssen stets neu gestärkt und definiert werden, sie erfordern ständiges Engagement." Insgesamt befand die Jury laut Neumann zum Beitrag von Waltz, Milla und Partner: "Die künstlerische Formensprache schafft einen symbolischen Ort der positiven Erinnerung an die Friedliche Revolution und Wiedervereinigung als glücklichste Ereignisse der jüngeren deutschen Geschichte." Der Bund erhoffe sich zudem, dass der Ort dieses Denkmals, das einen "interaktiven Charakter" habe, zu einem "lebendigen Ort der Auseinandersetzung mit unserer jüngsten Geschichte entwickeln" werde. Während Andreas Kilb sich in seiner Kritik an dem Entwurf in der "Frankfurter Allgemeinen" vornehmlich auf die Realisierbarkeit des Auftrages und auf Probleme mit den Sicherheitsvorkehrungen bezog, erkannte der Osteuropahistoriker Karl Schlögel in der "Welt" unter dem Titel "Wir brauchen die Wippe nicht" Probleme der Authentizität eines Freiheits- und Einheitsdenkmals. Berlin benötige keinen weiteren Ort der Inszenierung. In ganz Berlin könnten Spuren der Teilung besichtigt werden, etwa an der Bernauer Straße, am Checkpoint Charlie, ja insbesondere am Brandenburger Tor. An diesem Ort fielen "Ort und historisches Ereignis" auf ideale Weise zusammen. Ähnliches gelte in Bezug auf das nationalsozialistische Erbe der Stadt. Anstelle eines Holocaust-Memorials hätte man in Berlin, so Schlögel, durchaus die Möglichkeit authentischer Orte, beispielsweise die Villa, in der die Wannseekonferenz stattfand, oder den Bendler-Block. Schluss
Die Debatte um die Errichtung des Freiheits- und Einheitsdenkmals zeigt insgesamt ein ambivalentes Bild: Auf der einen Seite kommt dahinter der Versuch einer geschichtspolitischen Verschiebung des bundesrepublikanischen Identitätsdiskurses zum Ausdruck, insofern an eine freiheitsbewusste Revolutionstradition angeknüpft werden soll, die bis in das 19. Jahrhundert zurückreicht. Die bundesrepublikanische Geschichte wird damit nicht mehr primär auf die totalitäre Erfahrung mit dem Nationalsozialismus bezogen. Vielmehr wird eine neue Erzählung angestrebt, die sich auf die positiven Aspekte der deutschen Geschichte bezieht, die bis in die Gegenwart hineinreichen und als Anknüpfungspunkt für ein positiv besetztes nationales Identitätsgefühl diene. Dies machen nicht nur die Erwägungen der Initiatoren und der Bundesregierung deutlich, sondern auch der spezifische Standort auf der Berliner Schlossfreiheit. Vor diesem Hintergrund lässt sich die Absicht, die mit dem Einheits- und Freiheitsdenkmal verbunden ist, durchaus als eine geschichtspolitische Verschiebung im Identitätsdiskurs deuten. Dass diese Verschiebung jedoch nicht nachhaltig gelungen ist, zeigt sich an der künstlerischen Umsetzung des Denkmals und damit an der Frage, wie man die Revolutionstraditionen von 1848 und 1989 mit der Normalität der Berliner Republik verbinden könnte. Letztlich konnten auch die Liberalkonservativen, denen die Denkmalbefürworter mehrheitlich angehörten, nicht erklären, wie sich ihr positives Geschichtsbild der Nation in einem Denkmal materialisieren lassen soll. So spielen die historischen Bezüge, welche die Initiatoren mit dem Denkmal verbunden haben, bei der materiellen Gestaltung des Denkmals keine Rolle. Möglicherweise wurde das Denkmal von Anfang an mit zu vielen Konnotationen überfrachtet und sollte dadurch gleichsam zu einer "eierlegende[n] symbolische[n] Wollmilchsau der Berliner Republik" werden. Karl Schlögels Warnung vor einer Konstruktion von Orten durch die Nachgeborenen bei möglicher Missachtung der authentischen Stätten hingegen greift die Sorge aus dem linksliberalen Spektrum vor einer erinnerungspolitischen Wende praktisch auf. Vom Volksmund wurden ja bereits eigenständige, zum Teil sehr forsche Benennungen des geplanten Denkmals wie "Salatschüssel der Einheit", "Deutschlandwippe", "Neumann-Schaukel" oder einfach nur "Wippe" erfunden. Diese Bezeichnungen könnten jedoch eher auf einen zunehmend positiven Bezug der Deutschen zu den historischen Großereignissen der Friedlichen Revolution bzw. Wiedervereinigung hindeuten – und zwar mehr, als die Initiatoren und die Bundesregierung mit dem Denkmal für Freiheit und Einheit gegenwärtig auszudrücken in der Lage sind. Vielleicht gelingt der nächsten Generation dann auch ein Entwurf, der die Friedliche Revolution in die historische Linie von 1848 bis 1989 einordnet. Die Geschichte Deutschlands zwischen 1933 und 1945 wird allerdings weiterhin und auch dann noch einen wichtigen Fluchtpunkt der Debatte bilden. Eine Geschichtsvergessenheit, wie sie Johannes Gross Mitte der 1990er Jahre prognostiziert hatte, dürfte für die Berliner Republik nicht konstitutiv sein.
Sieger des zweiten Wettbewerbs um die Ausschreibung für das "Freiheits- und Einheitsdenkmal" in Berlin: der Entwurf "Bürger in Bewegung" von Milla und Partner in Zusammenarbeit mit Sasha Waltz. (© Milla und Partner)
Sieger des zweiten Wettbewerbs um die Ausschreibung für das "Freiheits- und Einheitsdenkmal" in Berlin: der Entwurf "Bürger in Bewegung" von Milla und Partner in Zusammenarbeit mit Sasha Waltz. Ansicht vom Kronprinzenpalais über den Kupfergraben, im Hintergrund das Stadtschloss (Wiederaufbau in Planung) und das ehemalige DDR-Staatsratsgebäude. (© Milla und Partner)
Edgar Wolfrum, Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Der Weg zur bundesrepublikanischen Erinnerung 1948–1990, Darmstadt 1999, S. 355.
Zur Bezeichnung "Liberalkonservativismus" vgl. Jens Hacke, Philosophie der Bürgerlichkeit. Die liberalkonservative Begründung der Bundesrepublik, 2. Aufl., Göttingen 2008, S. 20.
Vgl. Tilman Mayer, Die kulturelle Hegemonie in der Berliner Republik, in: Ders./Reinhard C. Meier-Walser (Hg.), Der Kampf um die politische Mitte. Politische Kultur und Parteiensystem seit 1998, München 2002, S. 11–29.
Edgar Wolfrum, Geschichte als Waffe, 2. Aufl., Göttingen 2002, S. 145.
Heinrich August Winkler, Einleitung, in: Ders. (Hg.), Griff nach der Deutungsmacht. Zur Geschichte der Geschichtspolitik in Deutschland, Göttingen 2004, S. 7–13, hier 7.
Edgar Wolfrum, Geschichte als Waffe, 2. Aufl., Göttingen 2002, S. 145.
Siehe auch Dominik Geppert/Jens Hacke (Hg.), Streit um den Staat. Intellektuelle Debatten in der Bundesrepublik 1960–1980, Göttingen 2008; Martin Sabrow (Hg.), Zeitgeschichte als Streitgeschichte. Große Kontroversen nach 1945, München 2003; Tilman Mayer, Die geschichtspolitische Verortung des 20. Juli 1944, in: APuZ, 27/2004, S. 11–14.
Vgl. etwa zur Preußen-Ausstellung Edgar Wolfrum, Geschichtspolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Der Weg zur bundesrepublikanischen Erinnerung 1948-1990, Darmstadt 1999, S. 316–325.
Hermann Lübbe, Der Fortschritt und das Museum. Über den Grund unseres Vergnügens an historischen Gegenständen, London 1982.
Micha Brumlik u.a., Einleitung, in: Dies. (Hg.), Umkämpftes Vergessen. Walser-Debatte, Holocaust-Mahnmal und neuere deutsche Geschichtspolitik, 2. Aufl., Berlin 2004, S. 13.
Vgl. Volker Kronenberg, Vorwort. Zeitgeschichte, Wissenschaft und Politik: Der "Historikerstreit" – 20 Jahre danach, in: Ders. (Hg.), Zeitgeschichte, Wissenschaft und Politik: Der "Historikerstreit", Wiesbaden 2008, S. 7–10.
Jürgen Habermas, Der DM-Nationalismus, in: Die Zeit, 30.3.1990.
Klaus von Dohnanyi, Deutschland – ein normales Land?, in: Die Zeit, 9.8.1991.
Eckhard Jesse, Philosemitismus, Antisemitismus und Anti-Antisemitismus, in: Uwe Backes u.a. (Hg.), Die Schatten der Vergangenheit. Impulse zur Historisierung des Nationalsozialismus, Frankfurt a. M. 1990, S. 543–567, hier 543.
Frank Schirrmacher (Hg.), Die Walser-Bubis-Debatte. Eine Dokumentation, Frankfurt a. M. 2000.
Martin Walser, Erfahrungen beim Verfassen einer Sonntagsrede, Frankfurt a. M. 1998, S. 18.
Micha Brumlik u.a., Einleitung, in: Dies. (Hg.), Umkämpftes Vergessen. Walser-Debatte, Holocaust-Mahnmal und neuere deutsche Geschichtspolitik, 1. Aufl., Berlin 2000, S. 6–12, hier 6. Das Folgende ebd., S. 6f.
Peter Sloterdijk, Theorie der Nachkriegszeiten. Bemerkungen zu den deutsch-französischen Beziehungen sein 1945, Frankfurt a. M. 2008, S. 52 u. 56.
Aleida Assmann, Geschichte im Gedächtnis. Von der individuellen Erfahrung zur öffentlichen Inszenierung, München 2007, S. 111.
Vgl. dazu die Dokumentationen von Ute Heimrod u.a. (Hg.), Der Denkmalstreit – das Denkmal? Die Debatte um das Denkmal für die ermordeten Juden Europas, Berlin 1999; Michal S. Cullen (Hg.), Das Holocaust-Mahnmal. Dokumentation einer Debatte, Zürich 1999; Claus Leggewie/Erik Meyer, "Ein Ort, an den man gerne geht". Das Holocaust-Mahnmal und die deutsche Geschichtspolitik nach 1989, München/Wien 2005.
Florian Mausbach u.a., Initiative Denkmal Deutsche Einheit, Berlin, 13.5.1998, in: Andreas H. Apelt (Hg.), Der Weg zum Denkmal für Freiheit und Einheit, Schwalbach/Ts. 2009, S. 33–35, hier 35.
Günther Nooke, Ein Denkmal für die Einheit in Freiheit? Formen der Auseinandersetzung mit der DDR, in: Peter März/Hans-Joachim Veen (Hg.), Woran erinnern? Der Kommunismus in der deutschen Erinnerungskultur, Köln u.a. 2006, S. 111–122, hier 122. Vgl. ebenso Lothar de Maizière, Die Initiatoren zu ihrem Vorschlag, in: Andreas H. Apelt (Hg.), Der Weg zum Denkmal für Freiheit und Einheit, Schwalbach/Ts. 2009, S. 38–40, hier 39.
Alfred Grosser, Laudatio anlässlich der Verleihung des Nationalpreises am 17.6.2008, in: Andreas H. Apelt (Hg.), Der Weg zum Denkmal für Freiheit und Einheit, Schwalbach/Ts. 2009, S. 177–182, hier 181f.
Aleida Assmann, Geschichte im Gedächtnis. Von der individuellen Erfahrung zur öffentlichen Inszenierung, München 2007, S. 16. Vgl. dazu auch Bernd Faulenbach, Geschichte der Übergangszeit. Zur historischen Bedeutung geschichtspolitischer Gegensätze und Debatten während der 1980er-Jahre, in: Ursula Bitzegeio u.a. (Hg.), Solidargemeinschaft und Erinnerungskultur im 20. Jahrhundert. Beiträge zu Gewerkschaften, Nationalsozialismus und Geschichtspolitik, Bonn 2009, S. 417–428.
Dorothee Wilms, Was sollte ein Freiheits- und Einheitsdenkmal versinnbildlichen?, in: DA 40 (2007) 5, S. 868–872, hier 869f.
Richard Schröder, Brauchen wir ein nationales Freiheits- und Einheitsdenkmal?, in: DA 40 (2007) 1, S. 131–136, hier 132.
Günther Nooke, Ein Denkmal für die Einheit in Freiheit? Formen der Auseinandersetzung mit der DDR, in: Peter März/Hans-Joachim Veen (Hg.), Woran erinnern? Der Kommunismus in der deutschen Erinnerungskultur, Köln u.a. 2006, S. 111–122, hier 119.
Richard Schröder, Brauchen wir ein nationales Freiheits- und Einheitsdenkmal?, in: DA 40 (2007) 1, S. 131–136, hier 135.
Lutz Haarmann, "Die deutsche Einheit kommt bestimmt!" Zum Spannungsverhältnis von Deutscher Frage, Geschichtspolitik und westdeutscher Dissidenz in den 1980er Jahren, Berlin 2005, S. 61–68.
Statement von Peter Brandt, in: Was sollte ein Freiheits- und Einheitsdenkmal versinnbildlichen? 2. Hearing der Deutschen Gesellschaft e.V. am 14.6.2007 in der Nikolaikirche in Berlin, in: Andreas H. Apelt (Hg.), Der Weg zum Denkmal für Freiheit und Einheit, Schwalbach/Ts. 2009, S. 83–113, hier 90f.
Dorothee Wilms, Was sollte ein Freiheits- und Einheitsdenkmal versinnbildlichen?, in: DA 40 (2007) 5, S. 868–872, hier 870.
Statement von Peter Brandt, in: Was sollte ein Freiheits- und Einheitsdenkmal versinnbildlichen? 2. Hearing der Deutschen Gesellschaft e.V. am 14.6.2007 in der Nikolaikirche in Berlin, in: Andreas H. Apelt (Hg.), Der Weg zum Denkmal für Freiheit und Einheit, Schwalbach/Ts. 2009, S. 83–113, hier 90.
Florian Mausbach u.a., Initiative Denkmal Deutsche Einheit, Berlin, 13.5.1998, in: Andreas H. Apelt (Hg.), Der Weg zum Denkmal für Freiheit und Einheit, Schwalbach/Ts. 2009, S. 33–35, hier 33f. Vgl. zur Rezeption der Revolution von 1848 Wolfram Siemann, Der Streit der Erben: Deutsche Revolutionserinnerungen, in: Dieter Langewiesche (Hg.), Die Revolutionen von 1848 in der europäischen Geschichte, Ergebnisse und Nachwirkungen. Beiträge des Symposions in der Paulskirche vom 21. bis 23. Juni 1998, München 2000, S. 123–154.
Dorothee Wilms, Was sollte ein Freiheits- und Einheitsdenkmal versinnbildlichen?, in: DA 40 (2007) 5, S. 868–872, hier 871.
Vgl. kritisch Stefanie Endlich, Orte des Erinnerns – Mahnmale und Gedenkstätten, in: Peter Reichel u.a. (Hg.), Der Nationalsozialismus, die zweite Geschichte. Überwindung, Deutung und Erinnerung, Bonn 2009, S. 350–377, hier 377, die mit derartigen nationalen Projekten die Gefahr verbindet, dass die Erinnerung an den Nationalsozialismus "immer weniger als gegenwartsbezogene kritische Auseinandersetzung begriffen wird".
Konzept der Bundesregierung, in: Andreas H. Apelt (Hg.), Der Weg zum Denkmal für Freiheit und Einheit, Schwalbach/Ts. 2009, S. 170. Das Folgende ebd.
Dok.: Andreas H. Apelt (Hg.), Der Weg zum Denkmal für Freiheit und Einheit, Schwalbach/Ts. 2009, S. 169.
Hilmar Sack, Der Krieg in den Köpfen. Die Erinnerung an den Dreißigjährigen Krieg in der deutschen Krisenerfahrung zwischen Julirevolution und deutschem Krieg, Berlin 2008, S. 68.
Egon Krenz, Herbst '89, Berlin 1999, S. 120.
Zit.: Ilko-Sascha Kowalczuk, Endspiel. Die Revolution von 1989 in der DDR, München 2009, S. 427. Dagegen zitiert Egon Krenz, Herbst '89, Berlin 1999, S. 120, nur den ersten Halbsatz: "Mit der heutigen Tagung werden wir eine Wende einleiten".
Rainer Eppelmann/Robert Grünbaum, Sind wir die Fans von Egon Krenz? Die Revolution von 1989/90 war keine "Wende", in: DA 37 (2004) 5, S. 864–869; Richard Schröder, Brauchen wir ein nationales Freiheits- und Einheitsdenkmal?, in: DA 40 (2007) 1, S. 131–136, hier 135. Vgl. dagegen Michael Richter, Die Wende. Plädoyer für eine umgangssprachliche Benutzung des Begriffs, in: DA 40 (2007) 2, S. 861–868.
Rainer Eckert, Das historische Jahr 1990, in: APuZ, 40/2005, S. 12–18, hier 18.
Ludger Kühnhardt, Umbruch – Wende – Revolution. Deutungsmuster des deutschen Herbstes, in: APuZ, 40–41/1997, S. 12–18, hier 13.
Charles S. Maier, Essay: Die ostdeutsche Revolution, in: Klaus-Dietmar Henke (Hg.), Revolution und Vereinigung. Als in Deutschland die Realität die Phantasie überholte, München 2009, S. 553–575, hier 553.
Eckhard Jesse/Thomas Schubert, Porträts der Akteure, in: Dies. (Hg.), Zwischen Konfrontation und Konzession. Friedliche Revolution und deutsche Einheit in Sachsen, Berlin 2010, S. 313–354, hier 339.
Zit.: Christiane Kohl, Die Mutigen des Montags. Leipzig hat eigene Vorstellungen, in: Süddeutsche Zeitung, 9.11.2007, S. 2.
Florian Mausbach, Über Sinn und Ort eines Freiheitsdenkmals, in: Andreas H. Apelt (Hg.), Der Weg zum Denkmal für Freiheit und Einheit, Schwalbach/Ts. 2009, S. 12–30, hier 15.
Richard Schröder, "Hauptstädte sind nun mal der Ort der Erinnerung", in: Süddeutsche Zeitung, 9.11.2007, S. 2 (Interview).
Richard Schröder, "Hauptstädte sind nun mal der Ort der Erinnerung", in: Süddeutsche Zeitung, 9.11.2007, S. 2 (Interview).
Konzept der Bundesregierung zur Errichtung eines Freiheits- und Einheitsdenkmals in Berlin, Auszug, in: Andreas H. Apelt (Hg.), Der Weg zum Denkmal für Freiheit und Einheit, Schwalbach/Ts. 2009, S. 167–173, hier 172.
Zit.: Die Einheit als Erfolgsgeschichte. Bundestagspräsident Lammert fordert Errichtung eines Freiheitsdenkmals in Berlin, in: Süddeutsche Zeitung, 4.10.2007, S. 6.
Thomas Nipperdey, Nationalidee und Nationaldenkmal in Deutschland im 19. Jahrhundert, in: Ders., Gesellschaft, Kultur, Theorie, Göttingen 1976, S. 133–173.
Florian Mausbach, Über Sinn und Ort eines Freiheitsdenkmals, in: Andreas H. Apelt (Hg.), Der Weg zum Denkmal für Freiheit und Einheit, Schwalbach/Ts. 2009, S. 12–30, hier 12. Vgl. kritisch dazu Marko Demantowsky, Das geplante neue Berliner Nationaldenkmal für "Freiheit und Einheit". Ansprüche, Geschichte und ein gut gemeinter Vorschlag, in: DA 42 (2009) 5, S. 879–887, hier 883ff.
Florian Mausbach u.a., Initiative Denkmal Deutsche Einheit, Berlin, 13.5.1998, in: Andreas H. Apelt (Hg.), Der Weg zum Denkmal für Freiheit und Einheit, Schwalbach/Ts. 2009, S. 33–35, hier 34.
Florian Mausbach u.a., Initiative Denkmal Deutsche Einheit, Berlin, 13.5.1998, in: Andreas H. Apelt (Hg.), Der Weg zum Denkmal für Freiheit und Einheit, Schwalbach/Ts. 2009, S. 33–35, hier 34.
Florian Mausbach, Über Sinn und Ort eines Freiheitsdenkmals, in: Andreas H. Apelt (Hg.), Der Weg zum Denkmal für Freiheit und Einheit, Schwalbach/Ts. 2009, S. 12–30, hier 18.
Aleida Assmann, Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, München 2007, S. 111f.
Protokoll der Verhandlungen des III. Parteitages der SED, 20. bis 24. Juli 1950 in der Werner-Seebinder-Halle zu Berlin, Bd. 1, Berlin 1951, S. 380.
Günther Nooke, Ein Denkmal für die Einheit in Freiheit? Formen der Auseinandersetzung mit der DDR, in: Peter März/Hans-Joachim Veen (Hg.), Woran erinnern? Der Kommunismus in der deutschen Erinnerungskultur, Köln u.a. 2006, S. 111–122, hier 118.
Florian Mausbach, Über Sinn und Ort eines Freiheitsdenkmals, in: Andreas H. Apelt (Hg.), Der Weg zum Denkmal für Freiheit und Einheit, Schwalbach/Ts. 2009, S. 12–30, hier 14. Vgl. auch Peter Brandt, Plädoyer für ein nationales Freiheits- und Einheitsdenkmals in Berlin, in: Ursula Bitzegeio u.a. (Hg.), Solidargemeinschaft und Erinnerungskultur im 20. Jahrhundert. Beiträge zu Gewerkschaften, Nationalsozialismus und Geschichtspolitik, Bonn 2009, S. 443–458, hier 449.
Jürgen Engert, Dankesworte, in: Andreas H. Apelt (Hg.), Der Weg zum Denkmal für Freiheit und Einheit, Schwalbach/Ts. 2009, S. 183–190, hier 189.
Franziska Augstein, Gusseisernes Gedenken, in: Süddeutsche Zeitung, 28.5.2008, S. 4.
Vgl. zur Unterscheidung zwischen Ort und Raum Aleida Assmann, Der lange Schatten der Vergangenheit. Erinnerungskultur und Geschichtspolitik, München 2007, S. 218: "Der Begriff des Raumes enthält ein Planungspotential, das in die Zukunft weist; der Begriff des Ortes dagegen hält ein Wissen fest, das auf die Vergangenheit bezogen ist."
Reinhart Koselleck, 'Erfahrungsraum' und 'Erwartungshorizont' – zwei historische Kategorien, in: Ders., Vergangene Zukunft. Zur Semantik geschichtlicher Zeiten, 4. Aufl. Frankfurt a. M. 2000, S. 349–375.
Vgl. den Ausschreibungstext des Wettbewerbs für ein Freiheits- und Einheitsdenkmal in Berlin 2010, Nichtoffener Wettbewerb, http://www.bbr.bund.de/cln_015/nn_22808/DE/WettbewerbeAusschreibungen/PlanungsWettbewerbe/Ablage__AbgeschlWettbewerbe/Ablage__2010/FED__Bekanntmachung.html [6.9.2011].
Preisträger für ein Freiheits- und Einheitsdenkmal, http://www.bbr.bund.de/cln_015/nn_22808/DE/WettbewerbeAusschreibungen/PlanungsWettbewerbe/Ablage__AbgeschlWettbewerbe/Ablage__2010/FreiheitEinheitDenkmal/FreiheitsEinheitsDenkmal__2/Preise__Wettbewerb.html [6.9.2011].
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Pressemitteilung Nr. 141, 13.4.2011.
Andreas Kilb, Bewegte Bürger, umstellt von Zäunen und Wachen, in: FAZ, 15.4.2011, S. 33.
Karl Schlögel, Wir brauchen die Wippe nicht, in: Die Welt, 28.5.2011, S. 1.
Andreas Kilb, Ei der Nation, in: FAZ, 30.4.2009.
Johannes Gross, Begründung der Berliner Republik. Deutschland am Ende des 20. Jahrhunderts, 2. Aufl., Berlin 1997, S. 105.
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1 | Expräsident von Honduras ist straffrei: Zelaya darf zurück nach Hause
Der 2009 bei einem Putsch gestürzte honduranische Expräsident Manuel Zelaya kann wieder nach Hause zurückkehren. Alle offenen Strafverfahren wurden eingestellt.
Der Mann mit dem Hut hat in Honduras noch Anhänger: 1.Mai-Demo in Tegucigalpa. Bild: reuters
BERLIN taz | Manuel Zelaya, der im Juni 2009 bei einem Militärputsch gestürzte Präsident von Honduras, kann als unbescholtener Mann aus dem Exil in der Dominikanischen Republik zurückkehren. Ein Berufungsgericht in Tegucigalpa hat am Montagabend zwei gegen ihn anhängige Strafverfahren aufgehoben.
Damit ist auch der Weg frei für die Wiederaufnahme von Honduras in die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS). Das Land war nach dem Putsch aus der Staatengemeinschaft ausgeschlossen worden. "Die wichtigste Bedingung für die Rückkehr von Honduras ist erfüllt", sagte OAS-Generalsekretär José Miguel Insulza. Sie wird voraussichtlich bei der OAS-Generalversammlung Anfang Juni in San Salvador vollzogen.
Der aus einer von den Putschisten veranstalteten Wahl hervorgegangene Präsident Porfirio Lobo bemüht sich seit seinem Amtsantritt im Januar 2010 um internationale Anerkennung. Für die angeblichen politischen Delikte Zelayas hat er bereits eine Amnestie erlassen.
Dem gestürzten Präsidenten war vorgeworfen worden, er wolle eine Volksbefragung zur Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung durchführen, die dann Honduras einen "Sozialismus des 21. Jahrhunderts" nach dem Vorbild von Venezuela verordnen solle. Im Februar dieses Jahres hat das Parlament die Möglichkeit einer solchen Volksbefragung in die Verfassung aufgenommen.
Zwei Verfahren wegen Amtsmissbrauchs und Betrugs aber waren noch offen. Es ging dabei um 3 Millionen Dollar Staatsgeld, das Zelaya für die Werbung zur Volksbefragung ausgegeben haben soll. Ein Gericht hatte Ende März zwar die Haftbefehle gegen den gestürzten Präsidenten aufgehoben, eine Einstellung der Verfahren aber abgelehnt. Dies wurde nun im Berufungsverfahren nachgeholt.
Die Präsidenten von Kolumbien und Venezuela, Juan Manuel Santos und Hugo Chávez, hatten sich in Verhandlungen mit Lobo um die Rückkehr Zelayas und die Wiederaufnahme von Honduras in die OAS bemüht. Venezuela hat genauso wie Argentinien, Bolivien, Brasilien, Ecuador, Nicaragua, Paraguay und Uruguay die Regierung Lobo bis heute nicht anerkannt. | 684 |
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Zusammenfassung
Das Risiko, im Krieg in der Ukraine zu fallen, ist für Soldaten einiger ethnischer Minderheiten höher als für Russen. Manchmal um mehrere Dutzend Mal. Die Mehrheit der getöteten russischen Soldaten sind jedoch Russen, und das höhere Risiko für ethnische Minderheiten ist eher durch Ungleichheiten zwischen den Regionen zu erklären als durch eine bewusste Diskriminierungspolitik.
Das Risiko, im Krieg in der Ukraine zu fallen, ist für Soldaten einiger ethnischer Minderheiten höher als für Russen. Manchmal um mehrere Dutzend Mal. Die Mehrheit der getöteten russischen Soldaten sind jedoch Russen, und das höhere Risiko für ethnische Minderheiten ist eher durch Ungleichheiten zwischen den Regionen zu erklären als durch eine bewusste Diskriminierungspolitik.
Hält die Medienberichterstattung einer Datenanalyse stand?
"In Tuwa starb eine Mutter an einem Herzinfarkt, als sie erfuhr, dass ihr Sohn im Krieg gegen die Ukraine gefallen ist! Vier Kinder verloren ihren Vater und ihre Großmutter. Schabalin Wladimir Wjatscheslawowitsch, Polizeimajor bei der Nationalgarde (Rosgwardija) in der Republik Tuwa, ist in der Ukraine gestorben", schrieb der Telegramkanal "Nowaja Tuwa" im Juli. In der 20.000 Einwohner:innen zählenden Stadt Kjachta in Burjatien sind nach Angaben einiger Lokalmedien bereits 45 Menschen in der Ukraine gestorben. Menschenrechtsaktivist:innen sagen oft: "Russland tötet die Burjaten, während Kasachstan und Kirgisistan sie retten" (Kasachstan und Kirgisistan waren unter den häufigsten Zielen für diejenigen, die vor der Mobilmachung aus Russland flüchteten, Anm. d. Redaktion der Russland-Analysen). In Dagestan kam es kürzlich zu Massenprotesten gegen die Mobilisierung.
Wenn man die Medien liest, hat man den Eindruck, dass Russland vor allem ethnische Minderheiten an die Front schickt. Einigen Berichten zufolge ist die Einberufung in die Armee (sowohl Berufssoldaten als auch jene, die nach der Mobilmachung ab September eingezogen wurden) in einigen ethnischen Republiken (Burjatien, Tuwa, Dagestan, Tschetschenien (als "ethnische Republik" werden jene föderalen Subjekte (Regionen) Russlands bezeichnet, die einen höheren Autonomiestatus besitzen und in denen ethnische Minderheiten in der Regel die Mehrheit der regionalen Bevölkerung darstellen, Anm. der Redaktion der Russland-Analysen)) höher als in ethnisch mehrheitlich russischen Regionen. Aber sind Angehörige ethnischer Minderheiten in russischen Militäreinheiten, die in der Ukraine kämpfen, wirklich statistisch gesehen häufiger vertreten?
Um dieser Frage nachzugehen, habe ich eine Liste* bestätigter Todesfälle von russischen Militärangehörigen, die in der Ukraine gefallen sind, analysiert, die von der BBC, Mediazona (einer in Russland als "ausländischer Medienagent" anerkannten Publikation) und einem Team von Freiwilligen zusammengestellt wurde.
Verteilung der Todesfälle nach Regionen Russlands
Den Daten vom 21. Oktober zufolge sind die fünf Regionen mit den meisten Todesfällen die Region Krasnodar (332), Dagestan (321), Burjatien (305), Baschkortostan (258) und die Oblast Wolgograd (230). Am niedrigsten war die Zahl in Karatschai-Tscherkessien (19), im Autonomen Kreis der Jamal-Nenzen (10), im Oblast Magadan (7), im Autonomen Kreis der Nenzen (4) und im Autonomen Kreis Tschukotka (2). Die Daten für diese und andere Regionen sind in den Karten 1a/1b, der Grafik 1 und der Tabelle 1 auf S. 22–26 dargestellt, die auch den regionalen Anteil der Todesfälle pro 10.000 Männer im Alter von 22 bis 37 Jahren angeben.
Die Regionen mit der höchsten Zahl an Todesfällen sind tatsächlich die ethnischen Republiken (Dagestan, Burjatien, Baschkortostan). Die Bevölkerungszahl variiert jedoch von Region zu Region erheblich, so dass es sinnvoller ist, nicht die absolute Zahl der Todesfälle, sondern die Zahl der Todesfälle pro Kopf zu vergleichen.
Anteil der Todesfälle pro Kopf in den russischen Regionen
Für die Berechnung der Zahl der Todesfälle pro Kopf wurden Daten der Volkszählung von 2010 verwendet. Bei den in der Ukraine ums Leben gekommenen Militärangehörigen handelt es sich überwiegend um junge Männer. Daher verwende ich die Zahl der Männer im Alter von 10 bis 25 Jahren gemäß den Zensus-Daten von 2010. Im Jahr 2022 war diese Kohorte zwischen 22 und 37 Jahre alt.
Die beiden Regionen mit dem höchsten Anteil an Todesfällen sind Burjatien (Sterblichkeitsrate: 28,4 Todesfälle pro 10.000 junge Männer) und Tuwa (27,7). Es folgen die Oblast Pskow (17,1), Nordossetien (16,8) und die Republik Altai (16,3). In Dagestan liegt die Sterblichkeitsrate bei 7,6, in Tschetschenien bei 7,1 und in Inguschetien bei 6,4. Es sollte jedoch berücksichtigt werden, dass die Schätzung für Tschetschenien und möglicherweise auch für die anderen Republiken des Nordkaukasus aufgrund unvollständiger Daten zu niedrig angesetzt sein könnte.
Die niedrigste Sterblichkeitsrate gab es in der Oblast Moskau (1,7), im Autonomen Kreis der Jamal-Nenzen (1,7), im Autonomen Kreis der Chanty-Mansi (1,7), in St. Petersburg (1,4) und in Moskau (0,3). So übersteigt das Risiko, im Ukrainekrieg zu sterben, für einen jungen Mann aus Burjatien und Tuwa das gleiche Risiko für einen jungen Moskauer etwa um den Faktor 100.
Anteil der Todesfälle und relatives Sterberisiko nach ethnischer Gruppe
Die Berechnung des Anteils der Todesfälle nach Region ermöglicht keinen direkten Vergleich der Todesfälle nach ethnischer Gruppe. Der Anteil der ethnischen Titulargruppen variiert in den einzelnen nationalen Republiken. So sind beispielsweise in Burjatien etwa 60 Prozent der jungen Männer ethnisch russisch, in Tuwa liegt der Anteil der Russen bei etwa 10 Prozent und in Tschetschenien und Inguschetien bei weniger als einem Prozent.
Die der Untersuchung zugrunde liegenden Daten enthalten keine Angaben über die ethnische Zugehörigkeit der Todesfälle. Bei einigen ethnischen Gruppen kann jedoch der Vor- und Nachname als Indikator für die ethnische Zugehörigkeit verwendet werden. Dafür nutze ich einen, für maschinelles Lernen entwickelten Algorithmus (Externer Link: https://osf.io/preprints/socarxiv/wf6p4/), um die ethnische Zugehörigkeit anhand von Vor- und Nachnamen zu kodieren. Dieser Algorithmus hat eine Reihe von Einschränkungen. Bei einigen ethnischen Gruppen mit russifizierten Namen (wie z. B. Tschuwaschien oder Komi) funktioniert er nicht. Außerdem lässt sich die ethnische Identität nicht auf einen Namen mit bestimmten ethnischen Merkmalen reduzieren, so dass der Algorithmus lediglich für ungefähre statistische Schätzungen verwendet werden kann.
In Grafik 2 und Tabelle 2 auf S. 27 sind die Schätzungen von Todesraten für aggregierte ethnische Gruppen aufgeführt. Allein anhand der Angaben zu Vor- und Nachnamen ist es nicht möglich, zwischen Russen, Ukrainern und Belarusen zu unterscheiden (viele Ukrainer haben Nachnamen russischen Ursprungs, während Russen Nachnamen ukrainischen Ursprungs haben). Wir haben auch die Baschkiren und Tataren sowie (in einer eigenen Gruppe) die nordkaukasischen Ethnien zusammengefasst.
Die Tabelle 1 enthält vier Spalten: die absolute Zahl der Todesfälle nach aggregierten ethnischen Gruppen, den prozentualen Anteil der ethnischen Gruppen an den in der Ukraine Gefallenen, den Anteil der ethnischen Gruppen an der russischen Bevölkerung (Männer im Alter von 10 bis 25 Jahren gemäß der Volkszählung des Jahres 2010) und den Quotienten aus der Division dieser beiden Indikatoren (relatives Risiko).
Das relative Risiko gibt an, um wie oft der Anteil der ethnischen Gruppe unter den Toten ihren Anteil an der männlichen Bevölkerung übersteigt. Wenn das relative Risiko größer als eins ist, sind Angehörige dieser ethnischen Gruppe unter den Verstorbenen stärker vertreten als in der männlichen Bevölkerung.
Wie die Tabelle 2 auf S. 27 zeigt, sind die meisten der in der Ukraine gefallenen Soldaten ethnische Russen, aber ihr Anteil an den Toten ist etwas geringer als der Anteil der Russen an der männlichen Bevölkerung Russlands. Dagegen ist der Anteil der Burjaten und Tuwiner unter den Toten fünfmal so hoch wie ihr Anteil an der Bevölkerung des Landes. Bei den Baschkiren, Tataren und Ethnien des Nordkaukasus ist der Anteil der Toten um etwa 20 Prozent höher als der Anteil an der Bevölkerung des Landes.
Ethnische Unterschiede beim Sterberisiko
Eine andere Möglichkeit, die ethnische Ungleichheit bei der Sterbewahrscheinlichkeit von Russlands Soldaten in der Ukraine zu schätzen, ist der Vergleich des Anteils der Todesfälle von Russen und Vertretern von Titularnationalitäten innerhalb ethnischer Republiken. Grafik 3 und Tabelle 3 auf S. 28 präsentiert diese Daten.
In dieser Tabelle vergleichen wir den Anteil der nicht-slawischen Namen unter den Gefallenen mit dem Anteil der nicht-slawischen Bevölkerung an der Bevölkerung der nationalen Republiken. Ein relatives Risiko größer als eins bedeutet, dass ethnische Minderheiten in der Ukraine ein höheres Risiko haben zu sterben als russische Männer aus denselben nationalen Republiken.
Die Daten zeigen, dass die ethnische Ungleichheit bei der Sterblichkeit innerhalb der einzelnen Republiken deutlich geringer ist als in Russland insgesamt. In Russland übersteigt beispielsweise das Sterberisiko für Burjaten in der Ukraine das Sterberisiko für Russen um etwa das Fünffache (500 Prozent). In Burjatien übersteigt das Risiko für Burjaten das Risiko für Russen um nur 23 Prozent.
In fast allen ethnischen Republiken liegt das relative Risiko nahe bei 1, was bedeutet, dass es kaum einen Unterschied zwischen der Sterbewahrscheinlichkeit von Russen und ethnischen Gruppen innerhalb der jeweiligen Republiken gibt. Allerdings sollte bedacht werden, dass dieser Zusammenhang auch an der mangelhaften Methode zur Identifizierung der ethnischen Zugehörigkeit anhand des Namens liegen könnte.
Ethnische Ungleichheit als Folge der regionalen Ungleichheit
So sind einige ethnische Minderheiten (insbesondere Burjaten und Tuwiner) unter den militärischen Todesfällen in der Ukraine tatsächlich deutlich häufiger vorzufinden, als ihr Anteil an der Bevölkerung vermuten lässt. In geringerem Maße gilt dies auch für andere ethnische Gruppen wie Tataren und Baschkiren, sowie für die Völker des Nordkaukasus (wobei die Daten für letztere möglicherweise unvollständig sind).
Die Mehrheit der in der Ukraine gefallenen Angehörigen von Russlands Militär sind jedoch ethnische Russen, und ihr Anteil an den Gefallenen entspricht ungefähr ihrem Gesamtanteil an der russischen Bevölkerung.
Im Falle der Burjaten und Tuwiner ist die höhere Sterblichkeitsrate wahrscheinlich auf eine höhere Zahl von Rekrutierungen von Zeitsoldaten in den sozial schwachen und wirtschaftlich weniger wohlhabenden Regionen Ostsibiriens und des Fernen Ostens zurückzuführen.
Zu den Regionen mit einer höheren Pro-Kopf-Sterblichkeit gehören nicht nur Burjatien und Tuwa, sondern auch die Republik Altai, das Transbaikalgebiet, das Jüdische Autonome Gebiet und die Region Sachalin. In den wirtschaftlich erfolgreicheren ethnischen Republiken (Jakutien, Tatarstan) ist der Militärdienst ein weniger attraktiver Karriereweg für junge Männer, und dementsprechend ist die Zahl der militärischen Todesfälle pro Kopf der Bevölkerung viel niedriger. In Burjatien, wo die Mehrheit der Bevölkerung ethnische Russen sind, ist die Sterblichkeitsrate der burjatischen Soldaten nur etwa 20–25 Prozent höher als die der Russen.
Es ist wahrscheinlicher, dass die ethnische Ungleichheit in diesem Fall eher eine Folge der regionalen Ungleichheit als das Ergebnis einer bewussten Diskriminierungspolitik ist. Dieser Zusammenhang ist nicht nur bei der russischen Armee zu beobachten, die derzeit in der Ukraine kämpft. In der US-Armee starben während der Kriege in Korea, Vietnam und Irak eher Soldaten aus armen Bundesstaaten und Bezirken (sie schlossen sich eher dem Militärdienst auf Zeit an), und hispanische Amerikaner starben eher im Irak als Weiße oder Afroamerikaner.
Datenquelle, die der Untersuchung zugrunde liegt: *Am 21. Oktober enthielt die namentliche Liste der russischen Militärangehörigen in der Ukraine Informationen über 7.871 Tote, die aus offenen Quellen (hauptsächlich aus sozialen Medien: Todesmeldungen von Familienangehörigen der Toten, NGOs, regionale Behörden) zusammengetragen wurden. Die Aufzeichnungen enthalten die Vor- und Nachnamen der Verstorbenen sowie weitere Daten wie Geburtsdatum, Sterbedatum, Truppengattung, Dienstgrad usw. sowie die Region. Angegeben wird die Region, deren Behörden den Tod zuerst gemeldet haben (im Falle einer amtlichen Meldung) oder die Region, in der die Familie des Gefallenen lebte.
Diese Daten sind unvollständig und umfassen nicht alle in der Ukraine gefallenen russischen Militärangehörigen. Es fehlen Personen, deren Tod nicht gemeldet wurde, sowie Vermisste. Bei der überwiegenden Mehrheit der in der Datenbank erfassten Personen handelt es sich um Zeitsoldaten, die in den ersten acht Monaten des Krieges (Februar bis Oktober) getötet wurden. Offensichtlich unterscheidet sich der Grad der Vollständigkeit der verfügbaren Informationen je nach Region. In den nordkaukasischen Republiken beispielsweise nutzen die Menschen die sozialen Medien seltener, und die Freiwilligen waren möglicherweise nicht in der Lage, Meldungen über Todesfälle in den lokalen Sprachen ausfindig zu machen. In Ermangelung offizieller Informationen ist diese Datenbank jedoch die einzige Quelle zur Quantifizierung der Eigenschaften der in der Ukraine gefallenen russischen Militärangehörigen.
Anmerkung: Der Text wurde am 28. Oktober 2022 auf der Webseite des russischsprachigen Dienstes der BBC veröffentlicht: Externer Link: https://www.bbc.com/russian/features-63416259 . Die Redaktion der Russland-Analysen bedankt sich bei Alexej Bessudnow und Andrej Gorjanow (BBC Russian) für die Erlaubnis, die deutsche Übersetzung abdrucken zu dürfen.
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Der Fotograf Kai Wiedenhöfer während der Ausstellungseröffnung "WALLONWALL" am 10. Juli 2013. (© Katharina Barnstedt)
Mehr als 20 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer erleben Mauern eine weltweite Renaissance, sagt der Fotograf Kai Wiedenhöfer. Er ist durch die Welt gereist und hat Grenzen fotografiert. Er war in Berlin, Belfast, den spanischen Exklaven Ceuta und Melilla, Bagdad, Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten, Nord- und Südkorea, USA und Mexiko und in Zypern. Zurzeit werden seine Fotos auf der Rückseite der Berliner East Side Gallery ausgestellt.
DA: Herr Wiedenhöfer, Sie haben Mauern und Grenzanlagen auf der ganzen Welt fotografiert. Woher kam Ihre Motivation dazu?
Kai Wiedenhöfer: Ich habe 1989 den Mauerfall in Berlin fotografiert. Es war für mich das wichtigste und positivste Ereignis meines Lebens. Damals dachten wir: Das war‘s jetzt mit Grenzen und Mauern, wir haben eine freie Welt. Doch mehr als 20 Jahre danach müssen wir feststellen, dass Mauern weltweit eine riesige Renaissance erlebt haben. Ein französischer Philosoph schätzt, dass seit 1989 etwa 18.000 Kilometer an befestigten Grenzen gebaut wurden.
DA: Warum werden Mauern gebaut?
Kai Wiedenhöfer: Es ist immer die einfachste Antwort auf ein Problem: Man baut eine Mauer, man grenzt sich ab. Es ist eine Bankrotterklärung, dass ein Konflikt nicht mehr anders gelöst werden kann. Diese sehr simplifizierte Herangehensweise löst ein Problem aber nicht.
DA: Wie reagieren die Menschen im Schatten der Mauern auf Ihr Vorhaben? Kommen Sie mit ihnen ins Gespräch?
Kai Wiedenhöfer: Eher selten. Meine Arbeit ist Landschaftsfotografie. Menschen sind in der Regel bestrebt, eine Grenze so schnell wie möglich zu überqueren. Wenn ich mit ihnen ins Gespräch komme und erzähle, dass ich in Berlin lebe, wird sehr häufig die Parallele zur Berliner Mauer gezogen - egal ob ich in Bagdad bin, oder in Belfast oder in Israel.
DA: Mauern werden häufig gebaut, um Konfliktparteien voneinander zu trennen – z.B. die Sunniten von den Schiiten in Bagdad oder die Katholiken von den Protestanten in Belfast. Lassen sich Konflikte durch die Separierung von Menschen eindämmen?
Kai Wiedenhöfer: Nein, lassen sie sich natürlich nicht. Im Gegenteil: Mauern verschärfen Konflikte. Durch den Bau einer Mauer entsteht ein verzerrtes Bild von der anderen Seite, das mit der Realität nichts zu tun hat. Man redet nicht mehr mit der anderen Seite und das macht eine Konfliktlösung auf Dauer schwieriger. Wo die Kommunikation total unterbrochen wird, ist eine Lösung unmöglich.
DA: Ein weiterer Grund für die Errichtung von Mauern ist die Abschottung gegenüber Einwanderern aus wirtschaftlich schwächeren Regionen – z.B. die Grenze zwischen den USA und Mexiko oder die hochgesicherten spanischen Exklaven Ceuta und Melilla an der nordafrikanischen Küste. Erfüllen diese Grenzanlagen ihren Zweck?
Kai Wiedenhöfer: An der amerikanisch-mexikanischen Grenze definitiv nicht. Die US-amerikanische Wirtschaft ist auf die Billigarbeiter aus Mexiko angewiesen. Dies ist ein generelles Problem der Globalisierung: Wir protegieren unseren Wirtschaftsraum und beuten andere Menschen aus. Kapital bewegt sich problemlos, in Sekundenschnelle, grenzenlos und erzielt riesige Gewinne, Menschen können das nicht.
DA: Zurzeit sind 36 Ihrer Fotos auf der Rückseite der Berliner East Side Gallery zu sehen. Warum war es Ihnen wichtig, hier auszustellen?
Kai Wiedenhöfer: Alle Mauern sind unendlich lang und hoch. Um diese Dimensionen in einer Ausstellung zu transportieren, bedarf es einer großen Fläche. Dafür eignet sich die Berliner Mauer mit ihrer Größe und Länge sehr gut. Dies wird unterstützt durch das Panoramaformat der Fotografien im Verhältnis 1:3. Durch die Aneinanderreihung der sieben Mauern bildet sich eine Art "World Wall" auf der Berliner Mauer, die ja der Inbegriff von Mauern überhaupt ist. So greifen Thema, Inhalt, Präsentation sowie die künstlerische Ausführung präzise ineinander.
Das Interview führte Hendrik Hoffmann
Der Fotograf Kai Wiedenhöfer während der Ausstellungseröffnung "WALLONWALL" am 10. Juli 2013. (© Katharina Barnstedt)
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0 | Neues Album von Tanya Tagaq: Die Wut, die in ihr wohnt
Die indigene Kanadierin Tanya Tagaq singt auf „Tongues“ über Gewalterfahrungen. Ihr Album ist ein Gemisch aus Metal, Elektronik und Kehlkopfgesang.
Moral essen, Gedanken essen: Tanya Tgaq in Aktion Foto: Shelagh Howard
Zunächst ertönen hohe, fanfarenartige Flötentöne; scheppernde Beckenschläge und grummelnde elektronische Basstöne folgen, ehe Tanya Tagaq mit dem für sie typischen Kehlkopfgesang ins Stück „Tongues“ einsteigt: hechelnd, röchelnd, fauchend.
Dann spricht die kanadische Künstlerin mit heller Stimme die Worte: „They took our tongues / They tried to take our tongues / We lost our language/ And we didn’t Inuuvunga“. „Inuuvunga“ ist ein Slangausdruck in ihrer Muttersprache, der Sprache der Inuit. Übersetzt bedeutet er so viel wie: „Ich bin Inuk, ich lebe“.
Wenn man den Hintergrund Tanya Tagaqs kennt, wird schnell klar, wovon der Titelsong und das kürzlich erschienene Album „Tongues“ handeln. Taqaq ist eine der prominentesten Künstlerinnen der kanadischen Inuit-Community, sie ist in Nunavut am Polarkreis aufgewachsen und hat das brutale Assimilierungsprogramm der Residential Schools, das vom 19. Jahrhundert bis in die 1990er Jahre hinein andauerte, noch am eigenen Leib erfahren.
Sprache und Kultur der Inuit sollten ausgelöscht werden, Tausende wurden misshandelt, viele starben an den Schulen – die Aufarbeitung begann erst in den vergangenen Jahren.
Die Wut, die in ihr wohnt, hört man Tagaq vor allem in ihrer Stimmartikulation an. Doch aus dieser spricht auch der Stolz einer Künstlerin, die jenes Schulregime hinter sich gelassen hat und sich offensiv damit auseinandersetzt: „You can’t take that from us / (…) You can’t have my tongue“, singt sie gegen Ende des Songs wieder und wieder. Es klingt fast triumphal.
Eine speziell weibliche Tradition
Bekannt geworden ist Tagaq mit einer Kulturtechnik, die unter Inuit verbreitet ist: dem Kehlkopfgesang. Die heute 46-Jährige begann als Jugendliche mit dieser Technik, sie studierte aber zunächst bildende Kunst am Nova Scotia College of Art and Design in Halifax und entwickelte ihren eigenen Sound, indem sie Elemente aus Metal, Hardcore und elektronischer Musik mit dem Throat Singing verband. Für ihr Album „Animism“ (2014) erhielt sie den Polaris Music Prize. 2018 veröffentlichte sie zudem ihr literarisches Debüt „Split Tooth“ (deutscher Titel: „Eisfuchs“).
In den Songs auf „Tongues“ verwendet sie zum Teil Texte aus dem Erzählungs- und Lyrikband (etwa: „Teeth Agape“, „Earth Monster“). Die kanadischen und grönländischen Inuit haben dabei eine spezielle (und speziell weibliche) Form des Throat Singing entwickelt, die sie „Katajjaq“ nennen.
In der Tradition des Katajjaq sitzen sich üblicherweise zwei Sängerinnen gegenüber und kommunizieren über bauchige und kehlige Geräusche – diese Duette funktionieren wie musikalische Zwiegespräche, weniger wie Battle Rap. Dank Künstlerinnen wie Tagaq und einigen anderen wie Katajjacoustic, die international in Erscheinung getreten sind, ist diese Tradition inzwischen wenigstens einer etwas größeren Öffentlichkeit bekannt.
„Tongues“ ist ein Werk geworden, auf dem die Breite der Ausdrucksmöglichkeiten Tagaqs mehr als je zuvor zur Geltung kommt. Stilistisch stehen mehrere Arten elektronischer Sounds nebeneinander: „Colonizer“ ist metallisch und düster angehaucht, „Teeth Agape“ dagegen ist melodiös und klingt musikalisch fast wie eingängiger elektronischer Pop. „Do Not Fear Love“ klingt dann wieder experimenteller und blubbernder.
Das AlbumTanya Tagaq: „Tongues“ (Six Shooter/Thirty Tigers)
Dass Tagaq die beiden experimentierfreudigen US-Musiker Saul Williams und Gonjasufi als Produzenten gewinnen konnte, hat ihrer Musik gutgetan – die stetig brodelnden und rumorenden Soundflächen hören sich toll an.
Den Ton setzt das einleitende „In Me“, in dem man einen guten Eindruck davon bekommt, wie Tagaq ihre Stimme einsetzt: Mal flüstert sie den Text, dann klingt sie wie eine Death-Metal- oder Grindcore-Sängerin, dann rezitiert sie Lyrics im Spoken-Word-Duktus. Bei „In Me“ signalisiert die Künstlerin, dass es auf „Tongues“ unbequem zugeht. Die ersten herausgespuckten Worte sind: „Eat your morals“, „Eat your thoughts“ und „Eat your eyes“. Kurz darauf wiederholt sie einfach nur das Wort „Marrow“, es hört sich fast an wie ein Grunzen, die Musik setzt nun ganz aus. „Marrow“ bedeutet Mark – und markerschüttert ist auch Tagaqs Gesang.
Das übergeordnete Thema, vielleicht ihr Lebensthema, ist dabei die Kolonisierung der Inuit und die Repression gegen diese durch Kanada im 20. Jahrhundert, das wird in Songs wie „Colonizer“ und im Titelstück sehr deutlich. Es geht um Gewalt, die von außen ausgeübt wurde, aber auch um Gewalt, die sich innerhalb der Inuit-Community abspielte und noch abspielt.
So sind sexueller Missbrauch und Alkoholismus bis heute drängende Probleme in Nunavut. „I Forgive Me“ ist ein Song, der von solchen Traumata handelt („Take care of your children / They can’t protect themselves / We were taken too young / I was entered too young“).
„Tongues“ erzählt wesentlich vom Überleben und vom Überwinden, vom Weiterleben und Weitermachen. Die Stimmlage und der Sound, den Tanya Tagaq dafür gefunden hat, sind ergreifend, berührend – und extrem ermutigend. | 687 |
0 | Mit einemmal hörte Otto ein furchtbares Geschrei, und er kannte die
Stimme. Es war Miezchens Stimme. Was war da geschehen? Otto
hatte keine Wahl, er mußte die Lustpartie zu Ende machen, wie groß
auch sein Schrecken war. Aber kaum unten angelangt, riß er sein
Schlittenseil los und rannte den Berg hinauf. Alle anderen liefen
hinter ihm drein, denn fast alle hatten das Geschrei vernommen und
wollten auch sehen, was los war. An der halben Höhe des Berges
stand das Miezchen neben seinem Schlitten, schrie aus Leibeskräften
und weinte. Atemlos stürzte Otto heran und rief: “Was hast du?
Was hast du?” | 688 |
1 | CCC macht Entscheidung rückgängig: Domscheit-Berg zurück im Club
Erst raus, nun wieder rein: Der Chaos Computer Club hat den Rausschmiss von Daniel Domscheit-Berg rückgängig gemacht. Ein anderer scheidet aus dem Vorstand aus.
Nun auch wieder "inside CCC": Daniel Domscheit-Berg. Bild: reuters
BERLIN taz | Sie haben ihn wieder aufgenommen: Am Samstag beschlossen die Mitglieder des Chaos Computer Clubs, den Rausschmiss des Whistleblower-Aktivisten Daniel Domscheit-Berg aufzuheben. Damit machen sie eine umstrittene Entscheidung ihres eigenen Vorstandes vom Sommer wieder rückgängig.
Der hatte während eines CCC-Sommercamps im brandenburgischen Finowfurt Domscheit-Berg aus dem Club ausgeschlossen - mit der Begründung, der Ex-Wikileaks-Sprecher habe den guten Namen der deutschen Hackervereinigung genutzt, für die technische Sicherheit seiner neuen, ewig werdenden Whistleblowing-Plattform OpenLeaks zu werben.
Eine Entscheidung, die Domscheit-Berg als "Grund zur Freude" bezeichnete. Er habe bei seinem Ausschluss das Gefühl gehabt, "dass hier etwas entgegen den Prinzipien des Clubs entschieden wurde." Das sei nun "von den Mitgliedern besprochen und in deren Sinne geregelt" worden.
Die Entscheidung des CCC-Vorstandes im Sommer, Domscheit-Berg aus dem Club auszuschließen, hatte den Club gespalten: Es gab eine Fraktion, die den Schritt begrüßte – wohl auch im Zusammenhang mit Domscheit-Bergs öffentlich ausgetragener Fehde mit Wikileaks-Kopf Julian Assange, seinem teils unnötig persönliches Enthüllungsbuch "Inside Wikileaks" und den Umständen seines Ausscheidens bei der Whistleblowing-Plattform.
"Epic Fail"
Viele andere hielten seinen Rauswurf aber schon damals für falsch oder nur unzureichend begründet – war es doch der insgesamt erst zweite Ausschluss eines Mitglieds in der fast 30-jährigen Vereinsgeschichte.
Kritik war immer wieder an der Rolle von CCC-Vorstandsmitglieds Andi Müller-Maguhn laut geworden: Seine Nähe zu Assange, hieß es, sei der eigentliche Grund für Domscheit-Bergs Rauswurf gewesen. Ein Vorwurf, der angesichts eines Interviews, dass Müller-Maguhn kurz vor dem CCC-Camp dem Spiegel gab und in dem er Domscheit-Berg scharf kritisierte, nicht ganz abwegig scheint.
Tatsächlich führten die Debatten am Wochenende dazu, dass Müller-Maguhn aus dem Vorstand des CCC ausschied. Ob sich Müller-Maguhn, der den CCC über viele Jahre stark mitgeprägt hat, auf eine neue Kandidatur für den Vorstand verzichtete oder ob er schlicht nicht wiedergewählt wurde, war am Montag nicht in Erfahrung zu bringen – auf Anfragen reagierte Müller-Maguhn bis zum Redaktionsschluss nicht.
Daniel Domscheit-Berg erklärte, die außerodentliche Mitgliederversammlung habe sich entschieden, keine Details über die Versammlung nach Außen zu tragen. Auf die Frage, welche Rolle diese Entwicklung für ihn spiele, antwortete er: "Das Thema ist nun erledigt, und wir können uns alle wieder auf die wichtigen Dinge des Lebens konzentrieren."
Etwas von der Mitgliederversammlung drang dann aber die Öffentlichkeit: Laut dem Onlinemagazin Telepolis soll bei der Aussprache des Clubs zur Causa Domscheit-Berg ein Vorstandsmitglied von einem "epic fail" gesprochen und sich bei Domscheit-Berg entschuldigt haben. Ein anderer, so berichtet Telepolis, habe die Entscheidung wegen der negativen Presseberichterstattung bedauert.
Zum neuen Vorsitzenden wählte die Versammlung am Wochenende den bisherigen Stellvertreter Christian Carstensen, als neues Vorstandmitglied Michael Hirdes. | 689 |
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Interner Link: Download "Sparen und Investieren I: Geschlossene Volkswirtschaft" als pdf-Datei Interner Link: Download "Sparen und Investieren I: Geschlossene Volkswirtschaft" als odt-Datei
Die Einleitung zum Online-Dossier "Europäische Schuldenkrise" spitzt den Streit um Europas Rettung auf die Kernfrage: "Sparen oder Investieren?" zu. Allerdings betonen die befragten Interner Link: Experten und Expertinnen in ihren Interviewbeiträgen zu Recht, dass hierin kein prinzipieller Widerspruch steht. Wie im Folgenden gezeigt wird, führt die Interner Link: Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR) sogar zu dem Ergebnis, dass auf gesamtwirtschaftlicher Ebene die Ersparnis immer genau gleich den Investitionen sein muss. Umstritten ist aber, wie erreicht werden kann, dass Ersparnis und Investitionen steigen, und welche Rolle dabei der Staat und der Privatsektor spielen sollen.
Sparen und Investieren im gesamtwirtschaftlichen Kreislauf
Der Zusammenhang zwischen Sparen und Investieren lässt sich am einfachsten aufzeigen, wenn für einen Moment das Gedankenexperiment einer geschlossenen Volkswirtschaft (ohne Exporte und Importe) angenommen wird. Dies ist sozusagen der allgemeine Fall der Weltwirtschaft, die ja keinen Außenhandel mit anderen Planeten betreibt. Die Nachfrageseite des BIP lautet dann: BIP = Konsum (privat und staatlich) + Investitionen (privat und staatlich). Wie man sieht, ist der Außenbeitrag hier nun verschwunden, da es kein Ausland gibt, mit dem die geschlossene Volkswirtschaft Handel betreibt. Zugleich ist das BIP laut der Verteilungsrechnung der VGR gleich den gesamtwirtschaftlichen Einkommen, die wiederum aus Gewinnen und Löhnen bestehen. Da der Staat einen Teil der Gewinne und Löhne über Steuern und Abgaben für sich beansprucht und gleichzeitig Transfers an die privaten Haushalte (z.B. Arbeitslosenunterstützung, Kindergeld, Renten) sowie Subventionen an die privaten Unternehmen zahlt, lässt sich die Verteilungsseite des BIP auch wie folgt schreiben: BIP = Verfügbare Einkommen (privat und staatlich). Das BIP der Nachfrageseite muss immer gleich dem BIP der Verteilungsseite sein. Daraus folgt, dass die gesamtwirtschaftlichen Einkommen den privaten und staatlichen Ausgaben für Konsum und Investitionen entsprechen müssen. Der Teil der verfügbaren Einkommen, der nicht in den Konsum fließt, muss somit gleich den Investitionen sein: Verfügbare Einkommen (privat und staatlich) – Konsum (privat und staatlich) = Investitionen (privat und staatlich). Einkommen, die nicht für Konsum ausgegeben werden, nennt man auch Ersparnis, so dass folgt: Ersparnis (privat und staatlich) = Investitionen (privat und staatlich). Wir haben damit die für die Makroökonomie wichtige Formel: Ersparnis = Investitionen formal hergeleitet. Doch was genau bedeutet diese Formel? Grundsätzlich verstehen wir unter "Sparen" meist, dass wir unser Nettovermögen (Vermögen minus Schulden) vergrößern. Wir haben also am Ende des Zeitraums, den wir betrachten, ein größeres Vermögen oder geringere Schulden als am Anfang. Ökonomen unterscheiden dabei grundsätzlich zwischen Geldvermögen und Sachvermögen. Unter das Geldvermögen fallen z.B. das Bargeld, das ich im Portemonnaie oder unter dem Kopfkissen halte, Geld, das ich auf dem Bankkonto habe, Kredite, die ich anderen gewähre, oder Aktien. Mit Sachvermögen sind z.B. Häuser oder Produktionsanlagen gemeint, die mir gehören. Wenn ich nun spare, habe ich grundsätzlich zwei Möglichkeiten: Ich kann mein Sachvermögen erweitern, indem ich einen Teil meines Einkommens spare und davon z.B. als Privathaushalt ein neues Haus oder als Unternehmer oder Unternehmerin eine neue Maschine oder eine bessere Software kaufe. Die Bildung von Sachvermögen wird auch als Investition bezeichnet, und in diesem Fall ist die Formel: Ersparnis = Investition unmittelbar verständlich. Andererseits könnte ich auch mein Nettogeldvermögen vergrößern, indem ich einen Teil meines Einkommens, das ich im betrachteten Zeitraum erhalte, einfach nicht für Güter und Dienstleistungen ausgebe, sondern beispielsweise jemandem einen Kredit gebe oder einen Kredit zurückzahle. Wenn ich mein Nettogeldvermögen ausweite, bedeutet dies, dass ich einen Finanzierungsüberschuss erziele: Meine Ausgaben für Güter und Dienstleistungen sind geringer als meine verfügbaren Einkommen. Dies ist aber nur möglich, wenn irgendwo anders in der Wirtschaft ein Finanzierungsdefizit vorliegt, das heißt das Nettogeldvermögen sinkt (zum Beispiel weil jemand sich bei mir zusätzlich verschuldet oder ich ihm einen Teil eines zuvor erhaltenen Kredites zurückzahle). Wenn wir daher die gesamte Welt als eine riesige, geschlossene Volkswirtschaft betrachten, ergibt sich notwendigerweise, dass alle Geldvermögensänderungen (= Finanzierungssalden) zusammengerechnet immer genau null ergeben! Für eine geschlossene Volkswirtschaft als Ganze sind Investitionen somit die einzige Möglichkeit, zu sparen.
Sparen und Investieren in verschiedenen Denkschulen
Vereinfacht gesagt, argumentiert der Keynesianismus, dass sparen im Sinne von Geldvermögensbildung zwar eine individuelle Tugend sein mag, aber aus makroökonomischer Sicht in die Katastrophe führen kann. Wenn die privaten Haushalte und Unternehmen zusätzliche Nettogeldvermögen bilden möchten, aber nicht zusätzlich investieren möchten, zerstören sie durch das Zurückhalten von Ausgaben für Güter und Dienstleistungen die Einkommen von Unternehmen und Beschäftigten, die entsprechend wenige Güter und Dienstleistungen verkaufen können. Unternehmen, die ihre Güter nicht absetzen können, und Arbeitnehmer, die arbeitslos werden, dürften nach dieser Sichtweise ihre Ausgaben für Investitionen und Konsum noch weiter einschränken, so dass die Volkswirtschaft in eine Abwärtsspirale geraten kann. Hierdurch fallen die Einkommen der Volkswirtschaft, so dass die ursprünglich geplante Ersparnis in Form von Geldvermögensbildung nicht realisiert werden kann. Diesen Zusammenhang bezeichnet man als keynesianisches Sparparadox: Die gesamtwirtschaftlichen Ersparnisse fallen, weil die gesamtwirtschaftlichen Einkommen fallen, weil zu viele Haushalte und Unternehmen ihre Geldvermögen erhöhen wollen, statt Güter und Dienstleistungen nachzufragen. Einen Ausweg aus dieser Situation bieten aus dieser keynesianischen Sicht höhere Interner Link: Ausgabenüberschüsse (= Budgetdefizite) des Staates, die die Einkommen der Privaten erhöhen und diesen so die gewünschte Nettogeldvermögensbildung (= Finanzierungsüberschüsse) ermöglichen. Nach keynesianischer Sichtweise steht also stets die (private und staatliche) Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen am Anfang der Betrachtung. Wenn diese hoch ist, werden auch die Produktion und die gesamtwirtschaftlichen Einkommen hoch sein, was dann auch die Bildung von hohen Ersparnissen ermöglicht. So ist es zu verstehen, wenn Interner Link: Ulrike Herrmann in ihrem Interviewbeitrag argumentiert, dass Sparen im Sinne von staatlichen Ausgabenkürzungen als Krisenbewältigungsstrategie nicht funktionieren kann. Denn nach dieser Sicht führt eine geringe staatliche Nachfrage (ob für Konsum oder Investitionen) zu einem geringeren BIP und damit zu einem geringeren gesamtwirtschaftlichen Einkommen. Und wenn die Einkommen fallen, fallen in aller Regel auch die gesamtwirtschaftlichen Ersparnisse. Dies ist eine Variante des keynesianischen Sparparadox: Obwohl bzw. gerade weil der Staat seine Ausgaben mit dem Ziel kürzt, seine Ersparnis zu erhöhen, fällt die gesamtwirtschaftliche Ersparnis, weil durch die fehlende Nachfrage nach Gütern und Dienstleistungen auch Produktion und Einkommen zurückgehen. Auf ähnliche Weise argumentiert Interner Link: Thomas Fricke in seinem Interviewbeitrag, dass zu starke staatliche Ausgabenkürzungen dazu führen, dass die Wirtschaft einbricht und die Menschen kein Geld mehr zum Ausgeben haben. Deswegen sollte man nach dieser nachfrageorientierten, keynesianisch inspirierten Sichtweise kurzfristig "Geld in die Maschine reingeben", also mehr ausgeben (für Konsum und Investitionen) und gerade nicht sparsam sein. Im Zeitverlauf müsste dies zu "mehr Sparen" und "mehr Investieren" führen, weil die Einkommen und die Wirtschaftsleistung insgesamt steigen. In einem typisch neoklassischen Szenario ist diese keynesianische Ausgabenpolitik zum Scheitern verurteilt, weil hier das BIP nicht ohne weiteres steigen kann, wenn die Nachfrage ausgeweitet wird. Der Grund sind Probleme auf der Angebotsseite: So kann es beispielsweise sein, dass Arbeitslose nicht über die nötigen Qualifikationen verfügen, die für eine Ausweitung der Produktion nötig wären. Wenn gleichzeitig die Mindestlöhne so hoch, und die Gewerkschaften so mächtig sind, dass die Unternehmen hohe Löhne zahlen müssen, kann diese nach neoklassischer Sicht zu Arbeitslosigkeit führen und das BIP auf der Angebotsseite begrenzen. Wenn in einem solchen Szenario die Investitionen steigen sollen, muss der Konsum zurückgehen. Mit anderen Worten: Es müssen Sparanstrengungen unternommen werden, damit mehr investiert werden kann. Dadurch geraten auf der Nachfrageseite die staatlichen und die privaten Ausgaben in Konkurrenz zueinander: Wenn die staatliche Ersparnis fällt, weil der Staat mehr konsumiert (also z.B. mehr Geld für Beamtengehälter oder Sozialtransfers ausgibt), müssen entweder die staatlichen Investitionen (z.B. in Forschung oder Verkehrsinfrastruktur) fallen oder die privaten Ausgaben für Konsum oder Investitionen. In diesem Sinne kritisiert etwa Interner Link: Alexander Kritikos in seinem Debattenbeitrag nicht in erster Linie die "hohen staatlichen Ausgaben" in Griechenland, sondern dass "das Geld […] nicht produktiv investiert (wurde)". Wenn aus neoklassischer Perspektive höhere Investitionen gefordert werden, wird daher in der Regel eine Umschichtung auf der Nachfrageseite der Volkswirtschaft weg von (staatlichen) Konsumausgaben hin zu (staatlichen und privaten) Investitionsausgaben gefordert. Die Neoklassik geht außerdem davon aus, dass der Privatsektor (Haushalte und Unternehmen) längerfristig keine Finanzierungsüberschüsse (= Nettogeldvermögen) bilden möchte. Zwar kann es sein, dass die privaten Haushalte Finanzierungsüberschüsse bilden möchten (z.B. für die Altersvorsorge), diese stehen dann aber den privaten Unternehmen zur Verfügung, um Kredite aufzunehmen und zu investieren. Aus neoklassischer Sicht wird der Finanzmarkt mittelfristig dafür sorgen, dass die Geldersparnisse der privaten Haushalte von den privaten Unternehmen beispielsweise in Form von Krediten aufgenommen und zur Finanzierung von realwirtschaftlichen Investitionen verwendet werden. Wenn also der Interner Link: Staat auf Finanzierungsdefizite verzichtet, können die privaten Ausgaben steigen, weil mehr Ersparnisse zur Verfügung stehen, mit denen die privaten Unternehmen ihre Investitionen finanzieren können. Wenn das BIP längerfristig steigen soll, muss nach neoklassischer Sichtweise an der Angebotsseite angesetzt werden. So argumentiert etwa Interner Link: Michael Hüther in seinem Interviewbeitrag, dass kurzfristig die Staatshaushalte in Ordnung gebracht und Strukturreformen unter anderem auf dem Arbeitsmarkt unternommen werden müssen, um das Vertrauen der privaten Unternehmen zurückzugewinnen. Dies würde in diesem Szenario zu mehr Innovationskraft und deswegen auf der Angebotsseite der Volkswirtschaft zu höherer Produktivität und geringerer Arbeitslosigkeit führen – und damit letztlich auch zu einem höheren BIP. Auf der Nachfrageseite gäbe es in der Folge Spielraum für höhere Ersparnis und höhere Investitionen.
Didaktische Anwendung zum Thema
Interner Link: Zur nummerischen Illustration: Sparen und Investieren in der geschlossenen Volkswirtschaft
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1 | Startpage führt neue Funktion ein: Weniger Spuren bei Suche im Netz
Anonym im Netz surfen, ohne etwas zu installieren – das soll eine Funktion der Suchmaschine Startpage bieten. Fachleute sind skeptisch.
Wer kennt es nicht: Im Netz ein Produkt suchen und danach wochenlang Werbung dafür erhalten Foto: dpa
BERLIN taz | Egal ob Schuhe, Smartphone oder die Kaffeemaschine: Nutzer, die sich im Internet nach einem Produkt umsehen, machen häufig die Erfahrung, dass sie danach wochenlang Werbung für eben selbes erhalten. Vor dem dahinterstehenden Sammeln von persönlichen Daten will die niederländische Suchmaschine Startpage die Nutzer nun mit einer neuen Funktion schützen: Ein anonymer Modus soll das Surfen im Internet ermöglichen, ohne Spuren zu hinterlassen – das Installieren einer speziellen Software ist dafür nicht nötig. Die neue Option, die in den vergangenen Wochen bereits testweise lief, soll am Wochenende standardmäßig für alle Nutzer zu sehen sein.
Wer bislang bei Startpage sucht, bekommt die von Google gelieferten Suchergebnisse angezeigt, ohne dass persönliche Daten an den US-Konzern gehen. Doch dieser Schutz endet, sobald ein Nutzer über einen der Such-Treffer die Seite aufruft und dort weiter surft. Persönliche Daten wie IP-Adresse oder gesetzte Cookies gehen mindestens an den Seitenbetreiber, in der Regel aber noch an mehrere Dutzend Unternehmen, die Werbung, Inhalte oder zum Beispiel die Schrift auf der Seite ausliefern. Wer das verhindern will, hat dafür unterschiedliche Tools zur Auswahl, wie den Anonymisierungs-Browser Tor. Startpage verspricht nun, dass Nutzer ganz ohne Installation oder spezielle Kenntnisse anonym im Netz unterwegs sein können. „Wir wollen, dass auch Leute geschützt werden, die keine Ahnung haben, wie sie ein Anti-Tracking-Tool oder ein VPN installieren“, sagt Sprecher Jörg Bauer.
Dahinter steckt ein technisches Konstrukt, das – vereinfacht – so funktioniert: Wer über Startpage beispielsweise die Seite example.com aufruft und auf den Anonymisierungs-Link klickt, bekommt die Seite nicht direkt vom Anbieter ausgeliefert. Stattdessen schaltet sich ein weiterer Server – ein sogenannter Proxy – dazwischen. Der soll, so verspricht es Startpage, Inhalte, die den Nutzer überwachen könnten, ausschalten. Für den Nutzer soll das keinen Unterschied machen: Zwar dauert das Laden am Anfang des anonymen Modus einen Tick länger. Danach ist die Geschwindigkeit aber die gewohnte. Nur ein schmaler lilafarbener Rahmen um die Seite weist auf den anonymen Modus hin.
Ein Test mit taz.de zeigt: Die Seite sieht aus wie gewöhnlich, lädt auch nicht merkbar langsamer. Doch der Startpage-Proxy liefert nicht alle Webseiten so unproblematisch aus – mal laden Fotos nicht, woanders baut sich die Seite nicht vollständig auf. Und Videodienste wie YouTube funktionieren derzeit gar nicht, hier sind aktuell nur graue Kästen zu sehen. Laut Firmensprecher Bauer soll das im kommenden Frühjahr behoben sein. Er rechnet auch damit, dass Seitenbetreiber künftig versuchen werden, es der Anonymisierungsfunktion möglichst schwer zu machen. Schließlich seien sie an den Nutzerdaten interessiert.
Anonym statt offenes W-LAN
Nicht alle sind jedoch davon überzeugt, dass Nutzer im anonymen Modus komplett unerkannt unterwegs sind. „Es gibt zahlreiche Punkte, an Hand derer Nutzer doch identifiziert werden könnten, zum Beispiel die im Browser installierten Erweiterungen“, sagt Mario Heiderich. Sein Unternehmen Cure53 führt unter anderem sogenannte Penetration-Tests durch, mit denen Systeme auf ihre Sicherheit getestet werden. Den Nutzer vor einem Großteil der problematischen Inhalte zu schützen, halte er für realistisch, er bezweifle aber, dass hundert Prozent erreicht werden könnten. Sogar renommierte Werkzeuge wie der Tor-Browser könnten Anonymität nicht garantieren. Heiderich empfiehlt Nutzern, unterschiedliche Browser-Profile anzulegen, das ist heute mit wenigen Klicks möglich. In einem sollten sie dann möglichst datensparsam unterwegs sein.
Jörg Bauer, Startpage„100 Prozent sind in der IT nie zu erreichen, aber wir bieten 99 Prozent“
Padeluun vom Datenschutz-Verein Digitalcourage rät zum bewussten Umgang mit Diensten. Zwar sei es zweifellos besser, Startpage zu nutzen als Google. Und im anonymen Modus unterwegs zu sein, biete immer noch mehr Schutz „als das offene W-LAN am Flughafen“. Aber genau wie bei anderen Anbietern von Anonymisierungs-Diensten müssten die Nutzer letztlich selbst entscheiden, ob sie hier Startpage vertrauen. Die Funktion immer und überall zu verwenden und sich darauf zu verlassen, dass man komplett unerkannt unterwegs sei, sei daher keine gute Idee. Er befürchtet sogar, dass einfach zu benutzende, datenschutzfreundliche Dienste Menschen davon abhalten, selbst aktiv zu werden. Sich mit dem Thema zu befassen, den Tor-Browser zu installieren oder selbst einen schützenden Heimserver aufzusetzen.
Auch Startpage-Sprecher Bauer sagt: „100 Prozent sind in der IT nie zu erreichen, aber wir bieten 99 Prozent.“ So würden sie etwa sofort reagieren, wenn sie eine Sicherheitslücke oder ein Skript entdeckten, dass den Nutzer tracken könnte. | 691 |
0 | In der Tat dauerte die Talfahrt auf dem hier breiten und tiefen
Flusse nur noch eine halbe Stunde, worauf die Kenja an einer freien
Uferstelle anlegten und uns auszusteigen aufforderten, weil hier der
Landweg längs den mit Böten nicht zu passierenden Wasserfällen von
Batu Plakau begann. Alles Gepäck wurde unter die Kenja und Malaien
verteilt und fort ging es durch den jungen Wald, in dem die Uma-Bom
früher gewohnt hatten. Bald führte der Weg über lange Reihen behauener
Stämme, die an gefährlichen Stellen wagrecht zu den Bergabhängen
hintereinander auf Stützbalken angebracht waren, eine Weganlage, die
ich bis dahin auf Borneo noch nicht gesehen hatte. An einer Steile,
wo die Böte in 50 m Höhe auf diesem Wege um die Abhänge gezogen werden
mussten, wurde der Bau noch grossartiger. Auf einigen Strecken war in
den Abhängen ein sehr breiter Weg ausgegraben, den man zum besseren
Gleiten der Böte mit dünnen Baumstämmen belegt hatte; wo Schluchten
die Bergwände trennten, waren diese durch ebenfalls mit einer Lage
von Stämmen bedeckte Gerüste überbrückt worden. Da dieses Bauwerk 2
km lang war, erregte es stets wieder _Demmenis_ und meine Bewunderung,
obgleich der Weg für uns beschuhte Europäer oft sehr unbequem war. | 692 |
0 | Den einen Vormittag stand die Bäuerin in der Dönze und sah Wieschen zu,
die im Garten mit den Kindern spielte, denn das tat sie, sobald es eben
anging. Da kam der Bauer und nickte dem Mädchen freundlich zu, und die
Frau sah, daß ihr die Brust auf und ab ging und daß sie erst ganz weiß
im Gesichte wurde und sich dann rot ansteckte. Der Bauer lachte, als er
sie so dasitzen sah: »Mußt sehen, daß du auch bald zu welchen kommst,«
rief er lustig; »mich wundert überhaupt, daß du noch immer unbeschrien
bist. Die Engenser Jungens müssen wohl alle keine Augen haben!« Damit
ging er um die Hausecke. | 693 |
1 | Konflikt zwischen USA und Iran: Iran schießt US-Drohne ab
Iranische Medien berichten, die Luftwaffe habe eine US-Drohne abgeschossen und beschlagnahmt. Sie soll im Osten des Landes die iranische Grenze verletzt haben.
Eine Drohne "RQ-1". Welcher Typ nun abgeschossen worden sein soll ist noch unbekannt. Bild: dpa
TEHERAN afp | Der Iran hat Medienberichten zufolge am Sonntag eine US-Drohne abgeschossen. Wie der arabischsprachige Sender El Alam am Sonntag unter Berufung auf Militärkreise berichtete, wurde die unbemannte US-Aufklärungsdrohne vom Typ RQ-170 im Osten des Landes abgeschossen. Wegen des umstrittenen iranischen Atomprogramms und der Sanktionspolitik des Westens hatte sich der Konflikt mit Teheran in den vergangenen Tagen zugespitzt.
Angaben dazu, wo genau die Aufklärungsdrohne abgeschossen wurde, wurden in dem Fernsehbericht nicht gemacht. Der Iran grenzt im Osten an Afghanistan und Pakistan. Die iranische Nachrichtenagentur Fars berichtete unter Berufung auf einen Militärvertreter, der namentlich nicht genannt wurde, die Drohne sei nach einer Grenzverletzung im Osten des Landes von Einheiten der elektronischen Kampfführung und der Flugabwehr abgeschossen worden. Die Drohne wurde demnach bei dem Abschuss nur "leicht beschädigt" und beschlagnahmt.
Die USA setzen vor allem im Grenzgebiet zwischen Pakistan und Afghanistan, das als Rückzugsort für Kämpfer der radikalislamischen Taliban und des Terrornetzwerks El Kaida gilt, Drohnen gegen die Aufständischen ein. Die RQ-170 ist eine vergleichsweise neue Aufklärungsdrohne, die US-Luftwaffe bestätigte ihre Existenz erst im vergangenen Jahr. Medienberichten zufolge sind die Maschinen in Afghanistan im Einsatz, um Pakistan und den Iran auszuspähen.
Abgeschossen Drohnen "nachgebaut"
Der Iran hatte zuletzt im Januar den Abschuss von zwei angeblichen Spionage-Drohnen der USA im Persischen Golf bekannt gegeben. Im Juni erklärte Teheran, russischen Experten abgeschossene US-Drohnen gezeigt zu haben. Zu den Modellen der Maschinen und zum Zeitpunkt ihres Abschusses wurden damals keine Angaben gemacht. Der General Amir Ali Hadschisadeh sagte damals, die Revolutionsgarden hätten die Drohnen "nachgebaut".
Die ohnehin angespannte Beziehung Irans zum Westen war am Dienstag durch die Erstürmung der britischen Botschaft in Teheran weiter verschärft worden. Regierungstreue Demonstranten hatte das Botschaftsgebäude gestürmt, Büros verwüstet und Dokumente verbrannt. Die Proteste richteten sich gegen die jüngste Verschärfung britischer Sanktionen wegen des iranischen Atomprogramms. Großbritannien reagierte mit der Ausweisung aller iranischer Diplomaten, Deutschland und Frankreich riefen ihre Botschafter aus Teheran zurück.
Auch die USA, Kanada und die EU hatten ihre Sanktionen gegen die Regierung in Teheran zuletzt verschärft, nachdem die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) kürzlich in einem Bericht erstmals "glaubwürdige Hinweise" für eine militärische Dimension des iranischen Atomprogramms auflistete. Der Iran weist die Vorwürfe zurück und betont weiterhin den zivilen Charakter seines Atomprogramms. Besonders Israel sieht sich jedoch in Gefahr und drohte kürzlich mit Angriffen gegen iranische Atomanlagen. | 694 |
1 | Fakten
Zu Beginn der Legislaturperiode sitzen im 17. Deutschen Bundestag 622 Abgeordnete – davon 598 nach § 1 Abs. 1 des Bundeswahlgesetzes und 24 Überhangmandate (2005: 614 Abgeordnete).
Die Sitze im 17. Deutschen Bundestag verteilen sich wie folgt:
CDU: 194 Sitze (2005: 180), darunter 173 Wahlkreise (2005: 106), CSU: 45 Sitze (2005: 46), darunter 45 Wahlkreise (2005: 44), SPD: 146 Sitze (2005: 222), darunter 64 Wahlkreise (2005: 145), FDP: 93 Sitze (2005: 61), darunter 0 Wahlkreise (2005: 0), Die Linke: 76 Sitze (2005: 54), darunter 16 Wahlkreise (2005: 3), Bündnis 90/Die Grünen: 68 Sitze (2005: 51), darunter 1 Wahlkreis (2005: 1).
Von den 24 Überhangmandaten entfielen 21 auf die CDU (zehn in Baden-Württemberg, vier in Sachsen, jeweils zwei in Mecklenburg-Vorpommern und Rheinland-Pfalz sowie jeweils eines im Saarland, in Schleswig-Holstein und Thüringen) und drei auf die CSU (in Bayern). Auf die übrigen Parteien entfielen keine Überhangmandate.
Datenquelle
Externer Link: Der Bundeswahlleiter;
Externer Link: Bundeswahlgesetz. | 695 |
1 | Schwerkranke Schwangere in El Salvador: Kaiserschnitt erlaubt
Sie darf nicht abtreiben, obwohl sie bei der Geburt des Kindes sterben würde. Nun hat El Salvador einer Frau erlaubt, die Schwangerschaft vorzeitig zu beenden.
Die Vertreterin einer Gruppe, die sich für die Entkriminalisierung der Abtreibung einsetzt, beschäftigt sich ebenfalls mit dem Fall der schwerkranken Frau. Bild: dpa
SAN SALVADOR ap | Eine schwer kranke Frau in El Salvador darf ihre Schwangerschaft nun doch vorzeitig beenden. Die Regierung gab am Donnerstag die Erlaubnis, dass Ärzte bei der Frau, die sich in der 26. Schwangerschaftswoche befindet, einen Kaiserschnitt durchführen dürfen.
Eine Abtreibung hatte der Oberste Gerichtshof zuvor abgelehnt – ungeachtet der Krankheit der Frau und der Tatsache, dass der Fötus schwer geschädigt ist und keine Überlebenschance hat.
Die Gesetze des mittelamerikanischen Landes verbieten Abtreibung, auch wenn die Gesundheit der Frau gefährdet ist. Deswegen entschied der Oberste Gerichtshof am Mittwoch, das Gesuch der 22 Jahre alten Frau abzulehnen, die an der Autoimmunkrankheit Lupus und Nierenversagen leidet.
Ihre Anwälte hatten argumentiert, dass die Gesundheit ihrer Mandantin durch die Schwangerschaft zusätzlich stark gefährdet sei. Die Richter erklärten dagegen, dass eine Untersuchung durch die Gesundheitsbehörde ergeben habe, dass die Krankheit unter Kontrolle sei.
Der Fall erregte internationale Aufmerksamkeit. Nun entschied Gesundheitsministerin Maria Isabel Rodriguez persönlich, dass das Kind vorzeitig zur Welt geholt werden darf. Einen Termin nannte sie aber nicht. Die Schwangere, die nur als Beatriz bekannt ist, befinde sich in der Obhut der besten Ärzte des Landes. „Das medizinische Team ist bereit, beim kleinsten Zeichen von Gefahr unverzüglich zu handeln“, sagte Rodriguez. | 696 |
0 | Tegea, feste Stadt im alten Arkadien, mit eignem Gebiet
(Tegeatis), hatte früher eigne Könige und war die
bedeutendste Stadt Arkadiens, öfters (560, 479, 464) mit
Sparta im Kampf, aber im Peloponnesischen Krieg dessen treuer
Verbündeter. Nach der Schlacht von Leuktra trat es gezwungen
in den Achäischen Bund. Ruinen 6 km sudöstlich von
Tripolitsa (s. d.). In T. stand ein berühmter Prachttempel der
Athene Alea, von Skopas 394 v. Chr. gebaut. | 697 |
1 | Ermittlungen zum Attentat in London: Konditor mit irischen Papieren
Einer der Täter von London war mit einer Schottin verheiratet und hatte einen Ausweis der Dubliner Behörden.
Der Sicherheitsstatus für Irland ist „moderat“. In London wird der Opfer gedacht Foto: ap
DUBLIN taz | Rachid Redouane hatte einen irischen Ausweis bei sich, als er nach dem Attentat in London am Samstag von der Polizei erschossen wurde. Der 30-Jährige hatte eine Zeit lang in Dublin gelebt. 2011 oder 2012 heiratete er dort eine Schottin, die am Wochenende verhaftet, aber wieder freigelassen wurde.
Die irische Polizei untersucht nun gemeinsam mit ihren britischen Kollegen, ob Redouane nur geheiratet hat, um sich das Aufenthaltsrecht in der EU zu sichern. 2009 war sein Antrag auf Asyl in Großbritannien abgelehnt worden. Er soll aus Marokko oder Libyen stammen, sagte ein Polizeisprecher.
Ein Ausweis, wie Redouane ihn besaß, wird von der Einwanderungsbehörde in Dublin ausgestellt und gilt als Nachweis des Wohnsitzes. Antragsteller müssen längere Zeit in Irland gewohnt haben und erhalten das Papier erst nach einer Sicherheitsüberprüfung. Radouane hat in Irland als Konditor gearbeitet. Seine Frau war Krankenpflegerin.
Irlands Noch-Premier Enda Kenny, der in Kürze von Leo Varadkar abgelöst wird, sagte, man werde darüber reden müssen, ob die Informationen über Redouane Einfluss auf die „Common Travel Area“ zwischen Großbritannien und Irland haben werden. Dieses Abkommen, das lange vor dem Beitritt beider Länder zur EU geschlossen worden war und den freien Personenverkehr garantierte, soll nach dem Brexit wieder aktiviert werden.
Irland galt schon zu Zeiten al-Qaidas als Sammelpunkt für islamistische Terroristen. Kafeel Ahmed und Abbas Boutrab zum Beispiel, die 2007 mit sechs anderen für die misslungenen Bombenanschläge in London und Glasgow verantwortlich waren, hatten sich an der Belfaster Queens University kennengelernt. Boutrab leitete eine Al-Qaida-Zelle, die in beiden Teilen Irlands operierte. Ahmed war vor seinem Studium in Belfast der islamischen Organisation „Tablighi Jamaat“ beigetreten. Zwei der Attentäter, die im Juli 2005 drei U-Bahnen und einen Bus in London sprengten, gehörten ebenfalls dieser Gruppe an.
Irlands designierter Premierminister Varadkar sagte, dass es eine seiner ersten Maßnahmen nach der Amtsübernahme sein werde, einen Cobra-Ausschuss nach britischem Vorbild einzurichten. Dem gehören je nach Bedarf verschiedene Minister sowie Polizei- und Geheimdienstchefs an, er tritt bei Sicherheitskrisen zusammen und kann Notstandsgesetze sowie Ausgangssperren verhängen und sogar das Parlament auflösen. Der Sicherheitsstatus für Irland ist „moderat“. Das heißt, ein Anschlag ist möglich, aber nicht wahrscheinlich. | 698 |
0 | Diese qualitative Übereinstimmung ist, allgemein gesagt, eine Art des
qualitativen _Verhältnisses_. Diesem qualitativen Verhältnis steht
entgegen das quantitative Verhältnis, nämlich das quantitative Verhältnis
zwischen einem psychischen Geschehen und den von ihm vorgefundenen oder
den im psychischen Zusammenhang gegebenen Bedingungen seiner
Kraftaneignung. Auch dies quantitative Verhältnis hat für das Lustgefühl
Bedeutung. Zugleich führt uns die Betrachtung desselben weiter: In diesem
quantitativen Verhältnis liegt der Grund der Gefühlsfärbungen, die wir
mit den Namen: Gefühl des Grossen, des Gewichtigen etc., andererseits mit
den Namen: Gefühl des Kleinen oder des Heiteren etc. bezeichnet haben. | 699 |
Subsets and Splits
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