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Mittwoch, 20.09.2023, 15:40 Meister ratiopharm Ulm hofft eine Woche vor seinem Saisonstart in der Basketball Bundesliga (BBL) weiter auf einen positiven Ausgang des Verfahrens der Nationalen Anti Doping Agentur (NADA) gegen Karim Jallow. "Ich erwarte, dass er ganz normal am ersten Spieltag auf dem Feld steht", sagte Geschäftsführer Thomas Stoll bei der Tip-off-Pressekonferenz der Liga am Mittwoch über den deutschen Nationalspieler.  Der NADA liegen bei Jallow drei Meldepflicht- und Kontrollversäumnisse innerhalb von zwölf Monaten vor. Abhängig vom Ausgang des Verfahrens könnte dem 26-Jährigen eine Sperre von bis zu zwei Jahren drohen. Der Forward gehört zur Kategorie RTP (Registrierter Test-Pool) und muss quartalsweise im Voraus u.a. angeben, wo er pro Tag eine Stunde für einen Test anzutreffen ist. "Grundsätzlich gehe ich davon aus, dass es keinen Grund gibt für eine Sperre gegen Karim", sagte Stoll, der Klub sei allerdings "auch nur Zuschauer im Verfahren. Wir hoffen, dass irgendwann mal eine Entscheidung fällt."  Ulm wisse nur, "was Karim uns sagen kann. Er ist sehr zuversichtlich, dass es bald positiv gelöst ist. Wie lange es dauert, weiß nur die NADA." Ulm startet am kommenden Mittwoch (20.00 Uhr/Dyn) gegen die Niners Chemnitz erstmals als Titelverteidiger in die neue Spielzeit. Von SID Redaktion SID
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"Der Untergang des Abendlandes? Grad war’s noch da – und dann verschwand es" F.W. Bernstein Das Böse existiert und es heißt Putin. Diesen Eindruck vermittelt seit einiger Zeit ein nicht unerheblicher Teil der medialen Öffentlichkeit im sogenannten Westen (mit Westen werden hier, ein wenig vereinfachend, die liberal verfassten marktwirtschaftlichen Demokratien mit den USA und der EU als historisches Zentrum bezeichnet). Mitunter komme ich mir heute beim Zeitungslesen und Nachrichtenschauen wie ein Zeitreisender vor, der wieder in der Mitte der 1980er Jahre gelandet ist, als Roland Reagan die Sowjetunion zum "Reich des Bösen" erklärte und das Star-Wars-Aufrüstungsprogramm erfand. Allerdings gibt es einen gewaltigen Unterschied. Die damalige Sowjetunion war tatsächlich (vor allem militärisch) sehr mächtig (kaum jemandem schien ihr baldiges Ende, von dem wir heute wissen, möglich), sehr viel mächtiger als das heutige Russland. Und es gab den Kalten Krieg, die weltweite Konkurrenz zweier ideologisch konkurrierender Gesellschaftssysteme. Nun meinen viele im Westen, dass wir uns heute in einem neuen Kalten Krieg (oder in seiner modernisierten Variante, einem hybriden Krieg) mit Russland befinden. Auf fast schon wundersame Weise haben Russland und der NATO-Westen binnen weniger Jahre die Rollen getauscht. Noch bis vor Kurzem galt der Westen als stark, während von russischer Seite immer wieder die Klage vorgebracht wurde, "durch die NATO eingekreist" worden zu sein. Wobei der Westen die "legitimen russischen Sicherheitsinteressen" missachte, indem er mit seinen Organisationen (NATO, EU) immer näher an die russischen Grenzen rücke, kurz: Russland sei durch den Westen bedroht. Doch inzwischen sind aus Russland immer selbstbewusstere Töne zu hören, während sich dagegen im Westen Stimmen häufen, Russland wolle die dortigen Gesellschaften unterminieren, ja führe gar einen verdeckten (eben jenen hybriden) Krieg nicht nur gegen westliche Länder, sondern gegen das Konzept einer demokratischen, offenen Gesellschaft insgesamt. Diese Umkehrung begann, anfangs fast unmerklich, irgendwann nach der vielzitierten Münchner Rede Wladimir Putins auf der Sicherheitskonferenz vor zehn Jahren. Ihre Entwicklungsrichtung wurde mit der Annexion der Krim durch Russland und dem von Russland initiierten (bewusst nachlässig verdeckt mitgeführten) Krieg in der Ostukraine einer breiteren Öffentlichkeit bewusst. Gleichzeitig begann man in Russland, aber auch im Westen, immer öfter von einer Schwäche des Westens zu sprechen, einer Schwäche, die wie ein historisches Naturereignis über kurz oder lang zum Untergang des Westens (und seines demokratischen, auf Recht basierenden politischen Modells) und zum Aufstieg einer neuen, von Russland an führender Stelle mitgestalteten Welt- und Gesellschaftsordnung führen würde. Im Sommer 2015 griffen russische Militäreinheiten in den (Bürger-)Krieg in Syrien ein, ohne dass die USA und ihre Verbündeten etwas dagegen taten (tun konnten?) und die Rede von der Schwäche des Westens wurde noch lauter. Endgültig zu einem vorherrschenden Trend aber wurde sie im vorigen Jahr in der Folge des Brexit-Votums und vor allem durch den Wahlsieg von Donald Trump in den USA. Die US-Historikerin Anne Applebaum (und nicht nur sie) extrapoliert diese Entwicklung in die nahe Zukunft und sieht nach drei weiteren Schicksalswahlen in den Niederlanden, in Frankreich und im September in Deutschland, die Gefahr, dass der Westen wie Dominosteine fallen könnte. Ein paar weitere Kostproben dieser fast schon an Hysterie grenzenden Russlandangst. Die New York Times und die Washington Post, die dicken Flaggschiffe der offenen Gesellschaft, werden seit Monaten nicht müde uns zu erklären, dass Trump seinen Sieg Putin, dessen Hackern und dessen Geheimdiensten zu verdanken habe. Die Monatszeitschrift New Yorker, das Blatt für liberale Intellektuelle, zeigt auf dem Titelbild seiner Märzausgabe Wladimir Putin mit Monokel und einem rosa Schmetterling als "Eustace Vladimirovich Tilley" (Eustace Tilley ist eine Kunstfigur, die das allererste Titelbild des New Yorkers vor 80 Jahren zierte). Im Blatt wird, wie Brendan O’Neill im britischen Spectator zusammenfasst: "… a future, dystopian America that’s been captured by the Evil Empire" gezeichnet (Externer Link: http://blogs.spectator.co.uk/2017/03/lefts-great-russian-conspiracy-theory/). Trump wird "Putin’s puppet" genannt und ein "unwissentlicher Agent" Moskaus. Vanity Fair, Fachblatt für the Lives and the Looks, geht noch einen Schritt weiter und stellt gleich die Frage: "Is Trump a Manchurian Candidate?" (Externer Link: http://www.vanityfair.com/news/2016/11/is-donald-trump-a-manchurian-candidate). Die USA seien dabei, von Putin einfach übernommen zu werden, ist die Botschaft. Im vorigen Dezember zeigte eine You-Gov-Umfrage, dass die Hälfte der US-Amerikaner glauben, "Russland habe an der Stimmenauszählung gedreht". Mitunter scheint es, als ob Putin mittlerweile für alles haftbar gemacht wird, was nicht den in den vergangenen Jahrzehnten im Westen üblich gewordenen liberalen, weltoffenen Weg geht. Nun könnte der Trump-Schock im demokratischen Teil der USA durchaus so tief sitzen, dass derartige Übertreibungen verständlich werden. Doch auch in anderen westlichen Ländern, darunter Deutschland, breitet sich die Panik aus. So versah Die Zeit, Leitblatt des liberalen Bürgertums, ihr Titelblatt am 23. Februar dieses Jahres mit dem Reichstag im Fadenkreuz und der großen Frage "Deutschland im Visier?" Unterzeile: "Sind die Großangriffe aus dem Netz von Russland gesteuert." Wird der nächste Bundeskanzler oder die nächste Bundeskanzlerin in Moskau ausgesucht, möchte man gleich unwillkürlich nachfragen. In der Tageszeitung Die Welt warnt nicht nur Richard Herzinger seit Monaten vor dem bevorstehenden Ende des Westens – mit Putin als Haupttotengräber. Vorige Woche nahm sich Herzinger die sogenannten Fake News vor: "Der Postmodernismus hat uns gelehrt, dass die Medien nicht mehr als Abbild der Wirklichkeit, sondern als selbstreferenzielles System zu betrachten seien, das seine eigene Realität erzeuge. Alles, was in den Medien erscheint, ist demnach an sich irgendwie Fake. Und wir sind angehalten, es nicht so ernst zu nehmen." Anders ausgedrückt, gibt es keine unerschütterlichen Wahrheiten mehr, was es umso schwieriger macht, sich gesellschaftlich darauf zu verständigen, was als Fakten (also altertümlich ausgedrückt als Wahrheit) akzeptiert wird und was nicht. Mit der systematischen und gezielten Verbreitung von Unwahrheiten (der Begriff "falsche Fakten", jüngst berühmt geworden in der Variante "alternative Fakten" wäre ja ein Widerspruch in sich), also der heute meist so genannten Fake News durch antidemokratische Kräfte, werden diese zu einer politischen Gefahr. Herzinger weiter: "Es ist die [Differenz] zwischen den Versuchen zur Manipulation der Wahrheit durch Mächtige in einer Demokratie, die von einer freien Öffentlichkeit kontrolliert werden, und den Desinformationstechniken autoritärer Regime oder antidemokratischer Bewegungen, deren Ziel es ist, die Kriterien zur Unterscheidung von Wahrheit und Lüge an sich zu zerstören." (Externer Link: https://www.welt.de/debatte/kommentare/article162714997/Bei-Fake-News-gibt-es-wirklich-nichts-zu-lachen.html). Natürlich hat Herzinger nur allzu Recht. Das alles ist sehr ernst. Russland führt in der Ukraine (also mitten in Europa) Krieg und hat mit der Annexion der Krim die Nachkriegsfriedensordnung auf dem Kontinent praktisch ausgehebelt. Keiner der russischen Nachbarstaaten kann sich seiner Grenzen mehr sicher sein. Der russische Staat versucht zudem ja tatsächlich auf vielfältige Weise, auf die politischen Prozesse im Westen Einfluss zu nehmen. Die Mittel reichen von den oben geschilderten Fake-News über mit russischem (Regierungs-)Geld in westlichen Ländern aufgebauten Massenmedien (wie RT oder der sogenannten Nachrichtenagentur Sputnik) über Kooperation mit und die gezielte, auch finanzielle Förderung von politischen Parteien und einzelnen Politikern in der EU (und vielleicht auch in den USA) bis zu Internettrollfabriken für die sozialen Medien. Hinzu kommen (soweit wir das wissen können) Geheimdienstoperationen wohl einschließlich gezielter Hackerangriffe wie der auf die Demokratische Partei in den USA oder den Bundestag. Auch das Wirken von Wikileaks macht zunehmend den Eindruck, wenn schon nicht direkt zum Kreml-Arsenal zu gehören, so doch sehr eng mit ihm verbunden zu sein. Noch einmal: Das ist alles sehr ernst. Die Lage des Westens ist angesichts von Brexit, Trump, einer drohenden französischen Präsidentin Marine Le Pen und stärker werden rechts- und mitunter auch linkspopulistischen Bewegungen in vielen westlichen Ländern tatsächlich kritisch. In kritischen Lagen aber gibt es zwei Fehler, die man möglichst vermeiden sollte: Panik und Schönfärberei. Die Zeit der Schönfärberei ist glücklicherweise weitgehend vorbei. Die anhaltenden Sanktionen gegen Russland wegen Krimannexion und Krieg in der Ostukraine zeigen, dass viele im Westen begriffen haben, dass es, um es salopp auszudrücken, um die Wirst geht. Bleibt also, Panik zu vermeiden (wobei mitunter der Verdacht angebracht scheint, dass Schönfärberei aus Angst entspringt). Russland und Putin sind ein wichtiger und auch einflussreicher Faktor in der internationalen Politik. Und da nationale und internationale Politik immer stärker miteinander verschränkt sind (das ist eine wichtige Folge der vom Westen ausgehenden Versuche einer Verrechtlichung auch internationaler Beziehungen), erstreckt sich dieser Einfluss auch auf andere Länder. Doch das ist keine Einbahnstraße. Der westliche Einfluss in Russland und auf die russische Politik ist nicht kleiner. Insgesamt sind die Möglichkeiten, von außen die Politik eines Landes zu beeinflussen aber grundsätzlich beschränkt. Ich hatte die Möglichkeit, in den vergangenen 25 Jahren westliche Unterstützung für eine demokratische Entwicklung in Russland nicht nur zu beobachten, sondern als Leiter des Moskauer Büros der Heinrich Böll-Stiftung lange Zeit aktiv mitzugestalten. Diese Erfahrung hat mich bescheiden gemacht. Möglich ist die Unterstützung von Trends in den jeweiligen Gesellschaften. Das Setzen von Trends von außen ist schlicht unmöglich. Dass die russische Führung das anders sieht und in einer Art Verfolgungswahn schon seit vielen Jahren an allen Ecken und Enden vom Westen angezettelte Revolutionen wittert, ist kein Gegenbeweis. Russland ist unter Putin wieder stärker und (wenn man das so sagen darf) selbstbewusster geworden, aber es bei weitem nicht so stark wie es die Sowjetunion einst gewesen ist. Die gegenwärtige Hysterie (ja, ich finde dieses starke Wort hier angemessen) in Bezug auf russische Einmischung in das, was man früher die inneren Angelegenheiten genannt hat, zeugt aber mehr von der eigenen Schwäche als von Russlands Stärke. Oder sie zeugt, genauer gesagt, eher von der eigenen Verunsicherung. Damit einher geht eine zunehmende Tendenz zur Selbstviktimisierung. Putin wird, ob nun aus Scham oder aus Angst, aus Verunsicherung oder aus Kalkül, oder weil es einfach nur nicht sein kann, dass Trump und Co unsere Ungeheuer sind, zu einem fast allmächtigen Giganten aufgeblasen. Er kann sicher viel. Aber bei weitem nicht alles, was ihm nun zugeschrieben wird. Es ist geradezu eines der Grundmerkmale Putinscher Politik, oberhalb der eigenen Gewichtsklasse zu boxen. Putins Politik ist, wenn überhaupt, nicht der Grund, sondern ein Symptom der Krise des liberal-demokratischen Gesellschaftsmodells des Westens. Wenn man ein Vakuum entstehen lässt, dann kommt jemand und füllt es. Auch aus diesem Grund betrachte ich die Diskussion in Deutschland/den USA/im Westen über eine angebliche russische Megastrategie zu seiner Zerstörung mit Skepsis. Nicht, weil ich davon überzeugt wäre, dass dieses Kalkül nicht dahinter stünde. Es weist zu vieles darauf hin, dass es vielleicht keine Strategie zur Zerstörung, wohl aber den Wunsch und die vielfältige Praxis zur nachhaltigen Schwächung dessen gibt, was in Russland abgrenzend die westliche Weltordnung genannt wird. Meine Skepsis bei der Annahme eines lang durchdachten, kühl-rational, mit viel Wissen und Können durchgeführten Plans bezieht sich vor allem auf die darauf folgenden Reaktionen: die Dämonisierung Putins auf der einen und die Übernahme des russischen Narrativs eines hybriden Kriegs. Es ist nachgerade dieses Narrativ, dass uns die russische Sichtweise einer hobbesschen oder darwinschen Welt aufzwingen will, in der jeder gegen jeden um das Überleben kämpft. Unter die Räder geraten damit immer wieder sowohl demokratische Grundsätze als auch die zivilisatorische Errungenschaft der Unterscheidung zwischen Krieg und Politik. Clausewitz mag immer noch lesenswert sein. Seine politische Philosophie aus dem 19. Jahrhundert erneut zu übernehmen, wird die Welt weder sicherer noch lebenswerter machen. Diesen und andere Texte finden Sie auf Jens Siegerts Russlandblog Externer Link: http://russland.boellblog.org/.
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Wie das Selbstbewußtsein gegen die Staatsmacht seine Sprache hatte, oder der Geist zwischen diesen Extremen als wirkliche Mitte hervortrat, so hat es auch Sprache gegen den Reichtum, noch mehr aber hat seine Empörung ihre Sprache. Jene, welche dem Reichtum das Bewußtsein seiner Wesenheit gibt, und sich seiner dadurch bemächtigt, ist gleichfalls die Sprache der Schmeichelei, aber der unedeln;--denn was sie als Wesen ausspricht, weiß sie als das preisgegebne, das nicht _an sich_ seiende Wesen. Die Sprache der Schmeichelei aber ist, wie vorhin schon erinnert, der noch einseitige Geist. Denn seine Momente sind zwar das durch die Bildung des Dienstes zur reinen Existenz geläuterte _Selbst_, und das _An-sich-sein_ der Macht. Allein der reine Begriff, in welchem das einfache _Selbst_ und das _An-sich_, jenes reine Ich und dies reine Wesen oder Denken dasselbe sind--diese Einheit beider Seiten, zwischen welchen die Wechselwirkung stattfindet, ist nicht in dem Bewußtsein dieser Sprache; der Gegenstand ist ihm noch das _An-sich_ im Gegensatze gegen das Selbst, oder der _Gegenstand_ ist ihm nicht zugleich sein eignes _Selbst_ als solches.--Die Sprache der Zerrissenheit aber ist die vollkommne Sprache und der wahre existierende Geist dieser ganzen Welt der Bildung. Dies Selbstbewußtsein, dem die seine Verworfenheit verwerfende Empörung zukömmt, ist unmittelbar die absolute Sichselbstgleichheit in der absoluten Zerrissenheit, die reine Vermittlung des reinen Selbstbewußtseins mit sich selbst. Es ist die Gleichheit des identischen Urteils, worin eine und dieselbe Persönlichkeit sowohl Subjekt als Prädikat ist. Aber dies identische Urteil ist zugleich das unendliche; denn diese Persönlichkeit ist absolut entzweit, und Subjekt und Prädikat schlechthin _gleichgültige Seiende_, die einander nichts angehen, ohne notwendige Einheit, sogar daß jedes die Macht einer eignen Persönlichkeit ist. Das _Für-sich-sein_ hat _sein Für-sich-sein_ zum Gegenstande, als ein schlechthin _Anderes_ und zugleich ebenso unmittelbar als _sich selbst_--sich als ein Anderes, nicht daß dieses einen andern Inhalt hätte, sondern der Inhalt ist dasselbe Selbst in der Form absoluter Entgegensetzung und vollkommen eignen gleichgültigen Daseins.--Es ist also hier der seiner in seiner Wahrheit und seines _Begriffes bewußte_ Geist dieser realen Welt der Bildung vorhanden.
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2) Edmond, franz. Publizist, geb. 1816 zu Rambouillet (Seine-et-Oise), studierte in Paris und veröffentlichte bereits in seinem 19. Jahr in Gemeinschaft mit Ménard eine Sammlung von Gedichten unter dem Titel: "En avant" (1835). Dann mit Leidenschaft sich auf die Journalistik werfend, lieferte er Beiträge in die beliebtesten Tagesblätter, hatte später hervorragenden Anteil am "Siècle" und übernahm 1860 die Redaktion der "Illustration". Eine seiner gelungensten und ergötzlichsten Schriften ist die Humoreske "La physiologié du poète" (1841), welche unter dem Pseudonym Sylvius erschien. Bemerkenswert sind ferner: "Biographie des journalistes" (1850); "Lettres sur l'Angleterre" (1851); "Critiques et récits littéraires" (1852); "Tableau de Paris" (1853, 2 Bde.); "Les hommes de la guerre d'Orient" (1854); "Paris, capitale du monde" (1867); "Le journal et les journalistes" (1867); die im Verein mit Le Senne geschriebenen Romane: "Madame Frusquin" (1878), "Mémoires de la Cendrillon" (preisgekrönt, 1879), "La dame du lac" (1880) u. a. T. starb 20. Okt. 1887 in Paris.
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Präsidentschaftswahl in Osttimor: Amtsinhaber verpasst die Stichwahl Zwei Veteranen des militärischen Widerstands dominieren die Präsidentschaftswahl. Der Amtsinhaber verzichtete weitgehend auf Wahlkampf und landete nur auf Platz drei. Abgewählter Amtsinhaber: Der neue Präsident von Osttimor wird in einer Stichwahl gewählt. Jose Ramos Horta wird es nicht sein. Bild: dpa BERLIN taz | Der bisherige Präsident Osttimors und Friedensnobelpreisträger José Ramos-Horta verpasst aller Voraussicht nach die Stichwahl um die Präsidentschaft seines Landes. Nach Auszählung von zwei Dritteln der Stimmen des ersten Wahlgangs vom Samstag liegt der 62-Jährige mit rund 18 Prozent nur auf den dritten Platz. Vor ihm liegen mit 28 Prozent der Kandidat der oppositionellen Fretilin, Francisco „Lu Olo“ Guterres, und mit 25 Prozent der Kandidat des regierenden Nationalkongress für Timors Wiederaufbau (CNRT), der frühere Oberkommandierende der Streitkräfte, Taur Matan Ruak. Beide spielten führende Rollen im militärischen Widerstand gegen Indonesiens Besatzung (1975–1999), während Ramos-Horta den diplomatischen Kampf führte. Bei der Wahl 2007 war Ramos-Horta noch vom CNRT und dessen Führer, Premierminister Xanana Gusmão, unterstützt worden. Jetzt trat Ramos-Horta erst nach einer Unterschriftenkampagne als Parteiloser an und verzichtete weitgehend auf Wahlkampf. „Er hat sich auf seine Reputation verlassen,“ sagt Monika Schlicher, Osttimor-Expertin der Menschenrechtsorganisation Watch Indonesia! in Berlin. „Es war klar, dass es schwer für ihn wird, wenn Gusmão nicht mehr hinter ihm steht.“ Ausländische Truppen ziehen ab Die Beziehungen zwischen den beiden prominentesten Vertretern der Unabhängigkeitsbewegung hatten sich zuletzt kontinuierlich verschlechtert. Bei den Wahlen 2007 tauschten die beiden ihre Posten. Bis dahin hatte Gusmão das Präsidentenamt inne, das überwiegend zeremoniell ist. Ramos-Horta habe dagegen das Amt politisiert. „Er ist ein starker Präsident“, sagt Schlicher. „Er hat sich eingemischt und war unbequem.“ Jetzt würde er quasi durch die alten Führer des militärischen Widerstands entmachtet. Das bisherige Ergebnis würde die Macht der Veteranen stärken, der einflussreichsten Gruppe mit dem größten Störpozential. Ende dieses Jahres sollen die UNO-Polizei wie auch eine von Australien und Neuseeland gestellte Stabilisierungstruppe aus Osttimor abziehen. Mittlerweile machen Gewinne aus Öl- und Gasgeschäften 95 Prozent der Staatseinnahmen aus.
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Bernd Settnik/dpa Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (r) und Russlands Präsident Wladimir Putin 2005. Samstag, 18.03.2023, 07:53 In dem Buch „Die Moskau-Connection“ decken die FAZ-Korrespondenten Reinhard Bingener und Markus Wehner die Moskau- Beziehungen der deutschen Politik auf und zeigen, wie Deutschland in die russische Abhängigkeit rutschte. Der folgende Buchauszug zeigt die Anfänge der umstrittenen Beziehung zwischen Putin und Altkanzler Schröder. Nachdem Wladimir Putin das Zepter der Macht zum Wechsel ins Jahr 2000 übernommen hat, hält es der deutsche Bundeskanzler Schröder nicht für besonders wichtig, den neuen starken Mann Russlands möglichst schnell persönlich zu treffen. Im Gegenteil: Schröder zeigt sich zurückhaltend. Das hat auch damit zu tun, dass der Kanzler sich von seinem Vorgänger Helmut Kohl absetzen will. Kohl pflegte einen engen persönlichen Kontakt mit Boris Jelzin, der als Saunafreundschaft bekannt wurde. Schröder will anders agieren. Neue Nüchternheit in den Beziehungen zu Russland Schon bei seinem ersten Moskau-Besuch als Kanzler im November 1998 stellt er eine neue Nüchternheit in den Beziehungen zu Russland in Aussicht, frei nach dem Motto „Raus aus der Sauna“. Zumal Russland nach der Rubelkrise und mit dem alkoholkranken, zwischen Klinik und Kreml pendelnden Präsidenten Jelzin an der Spitze ein Partner ist, der wenig attraktiv erscheint. Auf der außenpolitischen Agenda der Bundesrepublik rangiert Moskau zu Beginn der Schröder-Jahre ziemlich weit unten. Putin, seit August 1999 russischer Ministerpräsident, passt diese Haltung Schröders nicht. Das Buch von Reinhard Bingener und Markus Wehner (Anzeige) "Die Moskau-Connection" - Das Schröder-Netzwerk und Deutschlands Weg in die Abhängigkeit Ab 12,99 € bei Amazon Deutschland spielt als stärkste Wirtschaftsmacht der EU in seinen strategischen Überlegungen eine wichtige Rolle, zudem ist er durch seine Sprachkenntnisse und seine Zeit als Spion in der DDR mit dem Land besonders verbunden. Er lässt schon im Herbst 1999 anfragen, ob ein Besuch in der Bundesrepublik willkommen sei. Doch Berlin reagiert kühl auf die Offerte des neuen Mannes, schließlich hat der Kreml schon eine ganze Reihe von möglichen Nachfolgekandidaten für Boris Jelzin getestet und alsbald für ungeeignet befunden. Doch spätestens nach dem Wechsel ins Präsidentenamt entwirft Putin seine Operation Schröder. picture alliance / Holger Hollemann/dpa Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) begrüßt im April 2004 in Hannover den russischen Präsidenten Wladimir Putin. Bei Putins erstem Berlin-Besuch zeigte sich Schröder zurückhaltend Es dauert allerdings bis Mitte Juni 2000, bis Putin zum Antrittsbesuch nach Berlin kommt. Die Voraussetzungen, den Kanzler im Handstreich für sich einzunehmen, sind für den russischen Präsidenten wegen des deutschen Nüchternheitsversprechens nicht allzu gut. Schröder und Putin loben denn auch nach ihrem ersten Zusammentreffen die Offenheit ihrer Gespräche, äußern sich aber mit gebremster Herzlichkeit und keinesfalls überschwänglich. Der russische Präsident, der zu Hause gerade wegen der Verhaftung des kremlkritischen Medienunternehmers Wladimir Gussinski in der Kritik steht, demonstriert bei seinem Besuch in Berlin, wie er ein Publikum zu manipulieren versteht. Lesen Sie auch: Als er nach einer Rede im Haus der Wirtschaft gefragt wird, wie er zu Gussinskis Verhaftung stehe, sagt er, er könne dem russischen Generalstaatsanwalt doch keine Anweisungen geben. So gaukelt er dem Publikum vor, es gebe eine unabhängige Justiz in seinem Land. Wie Putin die Operation Schröder startete Im Jahr zuvor war allerdings der russische Generalstaatsanwalt Juri Skuratow entlassen worden, weil seine Ermittlungen in Kreml-Kreise geführt hatten. Zugleich doziert Putin über Gussinskis israelischen Pass, dessen Steuerwohnsitz in Gibraltar und dessen Schulden in dreistelliger Millionenhöhe, für deren Bedienung angeblich der Staatskonzern Gazprom aufkommen müsse. Das Geld solle Gazprom lieber woanders investieren, „zum Beispiel gemeinsam mit einem deutschen Unternehmen“. Die deutsche Wirtschaft im Saal klatscht der Beschränkung der Pressefreiheit in Russland begeistert Beifall. Geschickt geht Putin auch mit dem Kanzler um. Als KGB-Agent hat er es gelernt, sich auf sein jeweiliges Gegenüber perfekt einzustellen, wofür er dessen Vorlieben und Schwächen zuvor genau studiert. Dieses Wissen wendet er nun in seiner Operation Schröder an. Putin knüpfte an Gemeinsamkeiten mit Schröder an Putin kann zunächst an die Gemeinsamkeiten zwischen Schröders und seiner eigenen Biografie anknüpfen. Sie stammen beide von ganz unten, aus armen und unterprivilegierten Familien, die vom Krieg geprägt sind. Wie für Schröder, den Fußballer, spielte für Putin, den Judokämpfer, der Sport eine große Rolle. Beide Männer studieren Jura. Das ist nur der allgemeine Hintergrund, vor dem sich die Operation Schröder abspielt. Im Konkreten kommt es auf die Kenntnis von Details an. Mit Bier gewann er Schröder für sich So weiß Putin, dass der Kanzler gern Bier trinkt. Selbst gibt sich der Präsident, der Alkohol nur in Maßen genießt, am ersten Abend seines Besuchs als großer Bierliebhaber aus, in einer mittelalterlichen Schänke der Spandauer Zitadelle leert er den dargereichten Riesenbierkrug und lässt sich mit einem Holzschwert zum „Ritter von Spandau“ schlagen. Schröder serviert am folgenden Tag in der Kanzlervilla in der Pücklerstraße in Berlin-Grunewald Radeberger Pils, das Putin aus seiner Zeit in Dresden kennt. So werden erste Schritte einer persönlichen Annäherung bei diesem Gipfel des Kennenlernens gegangen, und Putin gelingt es, den Kanzler für sich zu erwärmen. Schröders Besuch in Moskau entfachte Männerfreundschaft Nicht zuletzt arbeitet der Russe daran, seine Operation erfolgreich fortzusetzen: Er schlägt vor, dass das Ehepaar Schröder ihn und seine Frau Ljudmila, die ihn in Berlin begleitet, ein halbes Jahr später zu Weihnachten in Moskau privat besuchen soll – und Schröder nimmt die Einladung gleich an. Die Schröders reisen also zum orthodoxen Weihnachtsfest am 6. und 7. Januar 2001 nach Moskau. Es ist ein Besuch, der eine Männerfreundschaft begründet, wie es sie in der Politik selten gegeben hat. Auf heimischem Terrain bietet Putin alles auf, um das persönliche Band weiterzuknüpfen und Schröder zu beeindrucken. Ljudmila Putina holt die Schröders persönlich am Flughafen ab, am Heiligabend besuchen die beiden Ehepaare den Weihnachtsgottesdienst in der Christ-Erlöser-Kathedrale in Moskau. Am Weihnachtstag selbst fahren die Putins und die Schröders in einem schneebedeckten Moskauer Park gemeinsam in einem Pferdeschlitten, gezogen von der traditionellen Troika, dem Gespann von drei Pferden. Sie besuchen das berühmte Dreifaltigkeitskloster in Sergijew Possad, eines der Zentren der russisch-orthodoxen Kirche, wo Patriarch Alexij II. auf sie wartet, der sie schon am Vortag beim Weihnachtsgottesdienst begrüßt hatte. Bei Fisch, Sauerkraut und Wodka ziehen sich die Gespräche bis in die Morgenstunden Und Putin und Schröder gehen noch – Kohl her, Jelzin hin – in die Sauna. Die fängt plötzlich Feuer, beide müssen aus ihr fliehen, die Feuerwehr rückt schon an. Schröder soll aber, was seinen Gastgeber beeindruckt, noch zuvor sein Bier ausgetrunken haben. Putin will zu vielem die Meinung des acht Jahre älteren Kanzlers wissen, was Schröder wohl schmeichelt. Die Gespräche in Putins Landhaus dauern bei Fisch, Sauerkraut und Wodka bis in den frühen Morgen um vier oder fünf Uhr. Die Ehepaare sprechen Deutsch, die anwesenden Dolmetscher haben nichts zu tun. In dieser Nacht sei etwas entstanden, das weit über das Politische hinausgehe, soll Schröder später gesagt haben. Putins Charmeoffensive zahlt sich unmittelbar politisch aus. Freundschaft mit Schröder zahlt sich für Putin aus Als er Gussinskis Konzern Media-Most, zu dem der kremlkritische Sender NTW und diverse Zeitschriften und Zeitungen gehören, zerschlägt, belässt es Schröder anlässlich des deutsch-russischen Gipfels im April 2001 bei allgemeinen Worten zur Bedeutung der Pressefreiheit. Auch die brutale Kriegsführung in Tschetschenien kritisiert er nicht. So wird es die nächsten Jahre bleiben. Zwar äußert Außenminister Joschka Fischer von den Grünen immer mal wieder mahnende Worte zum Tschetschenienkrieg oder den Einschränkungen der Meinungsfreiheit, ihm schon früh in der kremlfreundlichen Presse den Ruf eines „Totengräbers der deutsch-russischen Beziehungen“ einbringt. Doch zu einem Streit in der rot-grünen Koalition führt das nicht. Fischer ist seiner Partei, die die Menschenrechtspolitik hochhält, solche Stellungnahmen schuldig. In Wirklichkeit interessiert sich der Außenminister aber nicht sehr für Russland, die Kontakte nach Moskau überlässt er weitgehend dem Kanzler. Ein Jahr Putin-Herrschaft offenbarte seine politische Linie Dabei lässt sich schon nach einem Jahr der Herrschaft Putins erkennen, dass im Kreml alles andere als ein Liberaler regiert. Putin intensiviert die Beziehungen mit den diktatorischen Regimen von Nordkorea, Kuba, dem Irak und Iran und fördert die russischen Waffenexporte in diese Staaten. Im Innern lässt er die sowjetische Hymne wieder einführen und gibt der Armee die rote Fahne als Ehrenstandarte zurück. Die Geheimdienste entdecken wieder Hunderte angebliche Spione, oft Wissenschaftler oder Umweltschützer, die angeblich das Land ausverkaufen. Die Internet-Provider müssen sich mit dem Inlandsgeheimdienst FSB vernetzen, sonst verlieren sie ihre Lizenz. In den Schulen wird die patriotisch-militärische Erziehung verstärkt. Und am Gebäude des FSB am Moskauer Lubjanka-Platz lässt Putin eine Gedenktafel für Juri Andropow anbringen, den ehemaligen Generalsekretär der Kommunistischen Partei und langjährigen sowjetischen KGB -Chef, der gnadenlos sowjetische Dissidenten verfolgte. Zu Stalins Geburtstag erhebt Putin sein Glas und würdigt den Diktator mit einem Trinkspruch. Dies ist ein Auszug aus: „Die Moskau-Connection: Das Schröder-Netzwerk und Deutschlands Weg in die Abhängigkeit“, von Reinhard Bingener und Markus Wehner, erschienen bei Beck.
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Daß Luther Deutschland vom Papste losriß und das Recht der freien Forschung verkündete, das begriffen seine Zeitgenossen, und Theologen, Soziologen, Juristen und Politiker zogen ihre Folgerungen daraus; daß er die Hand auf die Bibel legte, um die zentrifugalen Kräfte durch das geoffenbarte Wort an den Mittelpunkt zu binden, das übersahen sie geflissentlich oder legten es buchstäblich aus. In seiner liebevollen Sorge um die Menschen, als deren Genius er sich fühlte, entrollte er sein großes Göttergemälde wie einen Vorhang, der nicht Gott vor ihrer Dreistigkeit, aber sie vor dem Schicksal derer behüten sollte, die sich erkühnen, die Majestät mit unheiligen Fingern zu berühren.
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Antifeministin Birigt Kelle in Dresden: Gleichstellung ein Luxusproblem? Birgit Kelle hat bei einer CDU-Diskussion in Dresden über „GenderGaga“ gesprochen. Das sorgte nicht nur im Saal für Tumulte. Findet, Gleichstellung hat sich schon vollzogen: Birgit Kelle Foto: dpa DRESDEN taz | Die streitbare Antifeministin Birgit Kelle hatte ihren Vortrag noch nicht begonnen, da erhob sich im Haus an der Dresdner Kreuzkirche ironischer Beifall. Fünf junge Frauen knöpften unter Anspielung auf einen Buchtitel der Publizistin ein wenig ihre Blusen auf und zeigten aufgemalte Slogans wie „GenderGaga“ und „Bluse zu“. Die Tumulte im Saal nahmen kein Ende. Konservative Anhänger von Kelle antworteten mit „Meinungsfreiheit“-Rufen. Nach einer halben Stunde stand die Veranstaltung kurz vor dem Abbruch, ehe Polizei die protestierenden Frauen aus dem Saal drängte. Auch danach blieben die etwa 300 Gäste im überfüllten Saal in zwei etwa gleich große Lager gespalten. Jung und lautstark zeigten sich die Gegner Kelles auf der einen Seite. Deutlich älter und mit eher hausbackenen Zwischenrufen hingegen präsentierten sich ihre Anhänger bei der Dresdner CDU. Deren Bundestagsabgeordnete Arnold Vaatz und Andreas Lämmel hatten zu der Veranstaltung geladen. Der Vortrag der 41-jährigen Journalistin veranschaulichte, warum sie nicht nur in Dresden polarisiert. Alles dreht sich bei Kelle um das Reizwort Gender-Mainstreaming. Für Birgit Kelle ist das ein „Luxusproblem“, weil Gleichberechtigung längst praktisch verwirklicht sei und sich angeblich niemand mehr an homosexuell orientierten Menschen störe. Zu gern polemisiert die Mutter von vier Kindern gegen Unterscheidungen des biologischen und des sozialen Geschlechts, gegen besondere Rücksichtnahmen gegenüber intersexuellen und transsexuellen Menschen. „Was geht mich das an?“, fragte sie als selbstproklamierte Vertreterin der heterosexuellen Mehrheit und behauptete, der Schutz anders orientierter Minderheiten sei nicht Aufgabe des Staates. Trotzdem fordert Kelle, zumindest verbal, gesellschaftlichen „Respekt“ für alle Lebensformen ein: sowohl für Transsexuelle als auch für die freiwillig zu Hause Kinder erziehenden Mutter. Gleichzeitig ist Frau Kelle aber strickt dagegen, den von ihr eingeforderten „Respekt“ auch durch Sexualerziehung in Kindergarten und Schule zu vermitteln. Die anhaltende Geringschätzung von Familien- und Erziehungsarbeit, etwa bei der Rentenberechnung, lastet sie nicht traditionellen Rollenklischees, sondern dem Feminismus an. Denn fährige Frauen würden sich, wie Männer auch, schon von selbst „nach oben durchkämpfen“. „Hirn statt Hetze“ Für besondere Empörung sorgte ihre Verknüpfung der Geschlechter- mit der Flüchtlingsfrage. Mit der Kölner Silvesternacht im Gepäck präsentierte Kelle ähnlich islamfeindliches Bild, wie es auch bei Pegida auftaucht. Männer aus dem arabischen Raum würden sich „konsequent daneben benehmen“ und gefährdeten mit ihrem vom Islam geprägten Frauenbild unsere Gleichberechtigungserrungenschaften. „Frauen trauen sich nicht mehr über öffentliche Plätze zu laufen – das ist unwürdig für unser Land“, meinte sie. „Hirn statt Hetze“, trug denn auch eine ältere Besucherin ein Plakat vor der Brust. Gegen die Vermischung von Frauen- und Flüchtlingsproblemen, aber auch gegen die Suggestion einer angeblich erfolgreichen Gleichstellung von Mann und Frau und verschiedener Partnerschaftsformen wandte sich insbesondere Susanne Köhler, Vorsitzende des Landesfrauenrates Sachsen. Auch die einzige, an ihrem Kopftuch erkennbare Muslima im Raum, eine Studentin, argumentierte ähnlich und bedauerte die einseitige Sichtweise der Referentin. In der Diskussion musste Kelle heftige Kritik einstecken, mit einer Ausnahme, sämtlich von Frauen geäußert. Mangelhafte Kenntnis fachwissenschaftlicher Begriffe wurde ihr vorgeworfen. Eine bi-orientierte und zugleich behinderte Frau fühlte sich diffamiert. Der Hinweis, dass sexuelle Übergriffe ungleich häufiger mitten in deutschen Familien stattfinden, wurde wiederum von den CDU-Anhängern mit Empörung aufgenommen. Kathrin Wallrabe, Gleichstellungsbeauftragte der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsen, kritisierte die aufgebauten Feindbilder und plädierte für den Gender-Ansatz, der auch Familien nütze. Vor der Veranstaltung gab es eine Demonstration. Danach wurde weiter auf dem Platz neben der Kreuzkirche diskutiert. Da waren die CDU-Anhänger längst auf dem Heimweg.
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Gespräche zwischen USA und Taliban: „Signifikante Fortschritte“ Die Gespräche zwischen den USA und den Taliban kommen voran. Zwar ist noch kein Waffenstillstand vereinbart, aber weitere Konsultationen sollen folgen. US-Delegationsleiter Zalmay Khalilzad Foto: reuters KABUL dpa | Die USA und Vertreter der radikalislamischen Taliban haben sich in der jüngsten Gesprächsrunde im Golfemirat Katar offenkundig angenähert. Nach sechstägigen Gesprächen schrieb der US-Delegationsleiter Zalmay Khalilzad am Samstag auf Twitter, die Treffen seien produktiver als in der Vergangenheit gewesen. „Wir haben in wichtigen Fragen signifikante Fortschritte gemacht“, so Khalilzad. Er wolle auf dem Momentum aufbauen und die Gespräche in Kürze fortsetzen. Es gebe noch eine Anzahl an Problemen zu lösen. „Nichts ist vereinbart, bis alles vereinbart ist“, schrieb Khalilzad weiter. Dies beinhalte einen innerafghanischen Dialog zwischen Regierung und Taliban und einen umfassenden Waffenstillstand. Khalilzad gab an, nun nach Kabul zu reisen für weitere Konsultationen. Die Taliban bestätigten die Fortschritte in einer eigenen Erklärung. Solange der Abzug der internationalen Truppen jedoch nicht geklärt sei, seien Fortschritte in anderen Fragen unmöglich, hieß es darin weiter. Sie dementierten Medienberichte, wonach es bereits eine Einigung über einen Waffenstillstand und über die Aufnahme von Gesprächen mit der Regierung in Kabul gebe. Die fünfte Gesprächsrunde zwischen Taliban-Vertretern und Washington seit Juli 2018 hatte am Montag begonnen. Seit Sommer des Vorjahres bemühen sich die USA verstärkt darum, den langjährigen Konflikt über Verhandlungen zu lösen. In einer signifikanten Änderung seiner Politik nahm Washington Direktgespräche mit den Taliban auf. Davor hatten die USA stets erklärt, die Taliban sollten mit der afghanischen Regierung verhandeln, ein Friedensprozess müsse unter afghanischer Führung stattfinden. Sie betonten allerdings, ihre Gespräche sollten zu direkten Gesprächen zwischen den Taliban und der Regierung in Kabul führen. Die Taliban lehnten dies bisher stets ab und nannten Kabul ein „Marionettenregime“.
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Vor Gipfel entzogene Akkreditierungen: Angriff auf Pressefreiheit bei G20 Mehrere Journalisten standen im Visier türkischer Behörden. Laut Regierung nahmen ausländische Geheimdienste aber keinen Einfluss. Im Medienzentrum verfolgen JournalistInnen den Gipfel. Weiter vorgelassen werden sie meist nicht Foto: dpa BERLIN taz | Haben ausländische Sicherheitsdienste Einfluss auf die Entscheidung genommen, 32 Journalisten die Akkreditierung zum G20-Gipfel wieder abzunehmen? Diesen Verdacht hat Regierungssprecher Steffen Seibert am Mittwoch erneut entschieden zurückgewiesen. „Die Sicherheitsbedenken resultierten ausschließlich aus eigenen Erkenntnissen deutscher Behörden“, sagte er. Aufgekommen war der Verdacht, weil zahlreiche betroffene Journalisten in der Vergangenheit ins Visier türkischer Behörden geraten waren – drei waren bei der Berichterstattung in kurdischem Gebiet festgenommen worden, zwei weitere hatten mit ihrer Berichterstattung Kritik türkischer Behörden ausgelöst. Insgesamt lag bei sechs von bisher acht namentlich bekannten Journalisten ein Türkei-Bezug vor. Verstärkt wurde der Verdacht durch widersprüchliche Erklärungen des Bundespresseamts und des Bundeskriminalamts (BKA), die beide am Akkreditierungsprozess beteiligt sind. Während das von Seibert geleitete Presseamt am Dienstagnachmittag erklärt hatte, dass die Sicherheitsbedenken, die die Grundlage für den Ausschluss waren, komplett „aus eigenen Erkenntnissen deutscher Behörden resultierten“, las sich das beim BKA zunächst anders: Dort hieß es, es „lagen zum Zeitpunkt der Akkreditierung Staatsschutzerkenntnisse ausschließlich deutscher Sicherheitsbehörden vor“. Später habe es aber „gewichtige zusätzliche sicherheitsrelevante Erkenntnisse gegeben“. Woher diese stammten, blieb dabei offen. Erst nachdem Medien auf diesen Widerspruch aufmerksam gemacht hatten, schob das BKA die Erklärung nach, auch diese Informationen „stammten ausschließlich von deutschen Behörden“. Angeblich sollen Straftaten ein Grund gewesen sein Nach Ansicht des Geheimdienstexperten Erich Schmidt-Eenboom folgt aus dieser Aussage aber nicht zwangsläufig, dass keine Informationen ausländischer Geheimdienste genutzt wurden. „BND und Verfassungsschutz machen normalerweise keine Angaben zu ihren Quellen“, sagte er der taz. „Sie werten alle Informationen aus, die sie erreichen, und geben das Ergebnis als ‚eigene Erkenntnis‘ weiter.“ Würde die Regierung also gar nichts davon erfahren, wenn der türkische Geheimdienst eine Warnung an den BND und dieser sie ohne Quelle ans BKA weiterreichte? Auf diese Frage antwortete ein Sprecher des Innenministeriums: „Ich kann zur Praxis des Bundesnachrichtendienstes nichts sagen.“ Den Verdacht, dass die Türkei dahinterstecke, nannte er eine „abenteuerliche Räuberpistole“. Eine alternative Erklärung, warum die Journalisten plötzlich als ernstes Sicherheitsrisiko galten, lieferte die Bundesregierung aber nicht – mit Verweis auf den Datenschutz. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums, dem das BKA unterstellt ist, sagte lediglich: „Es ging bei verschiedenen Personen um nicht unerhebliche Straftaten.“ Details würden nur den Betroffenen selbst mitgeteilt. Viele von ihnen berichten seit Jahren von Gipfeltreffen, einer durfte sogar am Vortag des G20-Treffens noch bei der Landung von US-Präsident Donald Trump auf dem Flughafen fotografieren. Neben dem Ausschluss der Journalisten war auch die Umsetzung der Anordnung auf scharfe Kritik gestoßen: An diversen Zugangspunkten zum Hamburger G20-Gelände standen Polizisten mit auf A4-Papier kopierten Listen der angeblich gefährlichen Journalisten. Diese Listen trugen keinen Vertraulichkeitsvermerk und waren aufgrund der großen Schrift auch von Dritten einsehbar. Hier hält die Regierung Versäumnisse zumindest für denkbar. Ob bei der Prüfung der Datenschutz ausreichend berücksichtigt wurde, sei „eine Frage, die im Rahmen der Nachbereitung sehr sorgfältig überprüft wird“, erklärte das Innenministerium. Auf Kritik stieß das Vorgehen des Bundespresseamts nicht nur bei Journalistenverbänden sowie Grünen, Linken und FDP. Auch SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann ging auf Distanz zum Koalitionspartner. „Schwarze Listen von ‚gefährlichen‘ Journalisten zu verfassen, ist mit der Presse- und Meinungsfreiheit nicht zu vereinbaren“, erklärte er. „Wir wollen bei Pressefreiheit definitiv keine türkischen Verhältnisse in Deutschland.“
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'Diese Frau langweilt sich,' dachte Sénecé, indem er sich beeilte, ihr zu gehorchen, 'und nichts ist so ansteckend wie die Langweile.' Die Fürstin war ihm bis zum Ende des Saals mit den Blicken gefolgt. 'Und ich war im Begriff, unbesonnen das Geschick meines Lebens zu entscheiden!' sagte sie mit einem Lächeln. 'Zum Glück haben mich seine Scherze ernüchtert! Wie dumm ist doch dieser Mensch! Wie kann ich ein Wesen lieben, das mich so wenig versteht? Er will sich und mich mit einem scherzhaften Wort amüsieren, wenn es sich um mein Leben und um das seine handelt!' Sie erhob sich. 'Wie seine Augen schön waren, als er das Wort sagte! Man muß zugeben, die Absicht des armen Chevaliers war liebenswürdig; er hat meinen unglücklichen Charakter erkannt; wollte mich den trüben Schmerz, der mich bewegt, lieber vergessen lassen, statt mich nach seiner Ursache zu fragen. Ach, der liebenswürdige Franzose! Habe ich denn das Glück gekannt, bevor ich ihn liebte?'
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Telugu, Sprache des zu den Drawida (s. d.) gehörigen Volkes der Telinga in Ostindien, an der Ostküste des Dekhan von Orissa südwärts bis beinahe Madras von ca. 20 Mill. Menschen gesprochen. Die eigentümliche Teluguschrift ist aus dem alten Sanskritalphabet abgeleitet, und die mindestens bis ins 12. Jahrh. v. Chr. zurückreichende, nicht unbedeutende, aber noch wenig gekannte Litteratur besteht ebenfalls zumeist in Übersetzungen von und Kommentaren zu bekannten Sanskritwerken. Bearbeitet wurde das T. am besten durch Brown ("T. grammar", Madras 1858; "T. dictionary", das. 1852-53, 2 Bde.); neuere Grammatiken lieferten Arden (Lond. 1873) und Morris (das. 1889).
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Bundesregierung nach Lindner-Rücktritt: Die große Beschwörung Nach Christian Lindners Rücktritt zittert die Koalition vor der FDP-Basis. Stimmt diese gegen den Europakurs der FDP, könnte dies das Ende von Schwarz-Gelb sein. Leichte Schockstarre: Angela Merkel und Philipp Rösler im Bundestag. Bild: reuters BERLIN taz | Das Erste, was vom Neuen zu hören ist, sind flehende Bitten. Die FDP müsse sich auf Geschlossenheit konzentrieren. Sich nicht wieder in Personaldebatten verstricken. Sich hinter das Ergebnis des Mitgliederentscheids stellen. Patrick Döring, frisch ausgerufener Generalsekretär, tat am Donnerstag in mehreren Interviews sein Bestes, um die Trümmerteile aufzusammeln, die der überraschende Rückzug seines Vorgängers hinterlassen hatte. Und nicht nur die FDP versuchte mühsam, ihren Schock zu kaschieren. Auch in der Union wächst die Sorge, dass der desolate Zustand des Koalitionspartners das Bündnis ernsthaft gefährden könnte. Denn nach dem Rücktritt Christian Lindners wird in der FDP offen über die Unfähigkeit ihres Parteivorsitzenden Philipp Rösler geredet. Und der ist nicht nur Wirtschaftsminister, sondern auch Vizekanzler - und damit formal wichtigster Ansprechpartner von Kanzlerin Angela Merkel. Hinzu kommt, dass an diesem Freitag eine weitere Eskalation droht, wenn das Ergebnis des FDP-Mitgliederentscheids verkündet wird. Verliert der Vorstand um Rösler diese Abstimmung um die Europolitik, könnte das die Koalition sprengen. Das spielen nicht mehr nur Oppositionspolitiker in Gesprächsrunden durch. Sondern auch Unionsleute - selbst wenn sie sich damit nicht zitieren lassen wollen. Damit der Mitgliederentscheid gültig ist und den Rang eines Parteitagsbeschlusses erhält, müssten sich mindestens 21.500 der 64.000 Mitglieder beteiligen. Über das Ergebnis, das der Liberale Parteiservice in Bonn unter Aufsicht eines Notars auszählt, herrschte Rätselraten in der Partei. "Ich wage keine Prognose", sagt etwa Lasse Becker, Vorsitzender der Jungen Liberalen. "Nur die eine: Es wird sehr knapp." Und zwar in zweierlei Hinsicht. Der Vorstand hat in 200 Veranstaltungen dafür geworben, den Eurorettungsschirm ESM und den Kurs von Merkel weiterhin mitzutragen. Ein GAU für die FDP Doch die gut organisierte Rebellengruppe um den Abgeordneten Frank Schäffler bekam riesigen Zuspruch - und die Debatten verliefen hitzig. "Die Diskussionskultur war unterirdisch, und zwar auf beiden Seiten", räumt Becker ein. So habe Schäffler die Unterstützer des Vorstands als Sozialisten angegiftet. Umgekehrt wird es Rösler in der Partei übel genommen, dass er am Sonntag per Interview in einer Boulevardzeitung den Mitgliederentscheid vorschnell für gescheitert erklärte. Dies könnte viele Kritiker noch zum Briefkasten getrieben haben. Und deshalb ist auch nicht mehr sicher, ob Röslers Vorhersage, dass das Quorum verpasst werde und der Entscheid deshalb verloren sei, tatsächlich eintreffen wird. Genüsslich malen Oppositionspolitiker bereits ein Szenario aus, das ein GAU für die FDP wäre: Was, wenn durch das komplizierte Verfahren so viele Stimmen ungültig sind, dass das Quorum eigentlich erreicht worden wäre? Die Erzählung, das Abstimmungsverfahren per Brief mit eidesstattlicher Erklärung provoziere Fehler, wurde vor allem von Schäfflers Leuten verbreitet. Der wollte sich am Donnertag auf Anfrage nicht mehr äußern. Becker glaubt nicht, dass sich ungültige Stimmen zu einem Problem auswachsen könnten: "Erstens ist unsere Basis klug genug, um die Unterlagen auszufüllen. Zweitens verteilen sich die Ungültigen sicher auf beide Lager." Wenn Schäffler gewinnt, ist fraglich, ob die Koalition das überlebt. "Dann hätte die Basis den gesamten Vorstand brüskiert", sagt ein Freidemokrat. Und ein wichtiger Unions-Mann findet: "Dann hätten wir eine sehr, sehr ernsthafte Situation." Der Parlamentarische Geschäftsführer Peter Altmaier betont, dann käme es auf politische Führung an. Der Druck auf Merkel steigt Die Frage ist nur, wie soll Merkel Beschlüsse in Brüssel vereinbaren, die ein Koalitionspartner per Basisbeschluss nicht mitträgt? Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin hält das für eine absurde Situation. Und er ist nicht der Einzige. Merkel ließe sich nach einem EU-Gipfel wie dem jüngsten für eine frühzeitige ESM-Einführung feiern, während die FDP dieses Instrument ablehnt. Der Druck auf die Kanzlerin, irgendwann die Vertrauensfrage zu stellen, würde durch eine Ablehnung der FDP weiter steigen. Auch wenn Koalitionäre in den vergangenen Tagen durch den Verweis auf die Gewissensfreiheit der Abgeordneten versucht haben, ein Rettungsnetz aufzuspannen. Dass zwei wichtige Daten nah beieinander liegen, verengt den schwarz-gelben Spielraum weiter. Die Wahl in Schleswig-Holstein Anfang Mai, bei der die FDP die nächste Niederlage kassieren könnte, und die Abstimmung über den ESM im nächsten Jahr. Für den angeschlagenen Rösler ist das eine bedrohliche Perspektive. Zumal nun offen Kritik an seiner Person laut wird. Noch sind es nur vereinzelte Stimmen aus den Ländern. Gerhard Papke, FDP-Fraktionschef im nordrhein-westfälischen Landtag, sagte der Financial Times Deutschland: "Wir brauchen klarere Kante gegenüber der Union. Und das ist vor allem Aufgabe des Parteichefs und Vizekanzlers." Baden-Württembergs Exjustizminister Ulrich Goll zielt in der Stuttgarter Zeitung unverhohlen auf Rösler: "Christian Lindner gibt letzten Endes auf, weil er sieht, dass er seine Ziele nicht erreicht hat. Das gilt nicht nur für ihn allein." Der Druck auf den Parteichef steigt auch deshalb, weil er sich beim Mitgliederentscheid mit eigenem Engagement zurückhielt. Während sich Lindner auf 19 Veranstaltungen der teils wütenden Kritik stellte, besuchte Rösler gerade mal zwei. Ein Gerücht lautet, dass der Mitgliederentscheid das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen den beiden endgültig zerrüttet habe. Lindner schmiss demnach hin, weil er keine Lust mehr hatte, ständig den Kopf für fremde Fehler hinzuhalten. Und weil er sich ein Comeback offenhalten will, falls Rösler am Ende stürzt.
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Diakonie-Vorstand über Entlastungen: „Die soziale Zielgenauigkeit fehlt“ Finanzminister Lindner will Steuern für alle senken. Maria Loheide von der Diakonie fordert mehr Entlastungen für jene, die am Existenzminimum leben. Nicht alle haben Schwein im Verteilungskampf Foto: Larry Washburn/Deepol/plainpicture taz: 48 Millionen Menschen will Bundesfinanzminister Christian Lindner mit seinem Inflationsausgleichsgesetz entlasten. Klingt nach dem großen Wurf, oder? Maria Loheide: Wir bemängeln, dass dem Paket insgesamt die soziale Zielgenauigkeit fehlt. Vor allen Dingen müssten die Menschen entlastet werden, die am Existenzminimum leben. Also diejenigen, die wenig Geld haben, die keine Einkommensteuer und auch sonst wenig Steuern zahlen. Wer wird denn aus Ihrer Sicht nicht entlastet? Ich habe zum Beispiel gerade mit einer Dame gesprochen, die eine kleine Rente hat, aber zu viel, um Wohngeld zu beantragen oder irgendwelche anderen Sozialleistungen. Das heißt, sie leidet am meisten unter der Inflation, unter den steigenden Energiepreisen und Lebensmittelpreisen. Sie fällt sozusagen bei allem raus, muss sich aber täglich enorm viel abknöpfen, kann sich keinen Urlaub mehr leisten, kein Theater und kein Kino mehr. Wer profitiert noch nicht – außer den Menschen mit geringerer Rente? Es sind tatsächlich die, die wenig verdienen oder ganz auf Sozialleistungen angewiesen sind. Eine neue Gruppe, die jetzt durch die steigende Inflation in Not gerät, sind diejenigen, die bislang gut zurechtkamen. Langsam aber sicher trifft es auch die, die im mittleren Bereich verdienen. Wie hoch die Belastungen für die Bür­ge­r:in­nen im Herbst ­konkret werden, kann derzeit noch ­niemand genau sagen. Sicher ist, wer arm ist, den treffen ­gestiegene Lebenshaltungskosten stärker. Und dass diese steigen werden, ist klar. Hat die Bundesregierung das ausreichend im Blick? Nein. Ich würde mir tatsächlich wünschen, dass sie sich mehr mit den Menschen unterhält. Was jetzt die Lebensmittel kosten, das geht ins Portemonnaie. Und der große Batzen an höheren Energiekosten kommt ja erst noch. im Interview:Maria Loheide ist seit 2012 Sozial­politischer Vorstand der Diakonie Deutschland und Vorstands­mitglied des Evangelischen Werkes für Diakonie und Entwicklung. Sie ist ausgebildete Sozial­arbeiterin und Heilpädagogin. Wären Einmalzahlungen für diese Gruppen sinnvoll, um etwa höhere Energiekosten ab­zufedern? Nein, nicht wirklich. Was getan werden muss, ist, Menschen, die nahe am Existenzminimum leben, die Zugänge zu Wohngeld- und ­Energiezuschüssen zu erleichtern. Dafür müsste man die Bemessungsgrenzen verändern, nach denen jemand dazu berechtigt ist, Wohngeld zu empfangen. Zusätzlich sollten bestimmte Leistungen für bestimmte Einkommensgruppen kostenlos oder vergünstigt zur Verfügung gestellt werden. Das schließt auch ­Kulturangebote ein oder Angebote, die in den Städten gelten. Auch das ist ein Teil der Existenzsicherung und der gesellschaftlichen Teilhabe. Zum anderen müssten die Regelsätze für Hartz IV oder für die Grundrente an die Inflation angepasst werden. Viele Menschen werden sich in den kommenden Monaten einschränken müssen. Welche Schlüsse ziehen Sie für sich und Ihre Arbeit daraus? Ich bin gegen Panikmache. Aber was wir in unseren Beratungsstellen merken, ist, dass die Menschen Ängste und Sorgen haben, dass sie teilweise verzweifelt sind und enttäuscht von der Politik. Und auch deswegen brauchen wir weniger Gießkanne, sondern zielgerichtete nachhaltige Entlastung. Ich persönlich brauche keine Energiepauschale, kriege aber trotzdem die 300 Euro an Unterstützung. Menschen, die Angst vor den hohen Heizkosten im Herbst haben, brauchen aber das Geld.
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,,So -- so ist's recht! Ein guter Junge. Ein braver Junge. Ein braver, kleiner Junge. Zweitausend Verse sind viel -- sehr, sehr viel! Und Sie brauchen die Mühe, die es Ihnen bereitet hat, es ihm beizubringen, sicher nicht zu bereuen; denn Kenntnisse sind gewiß mehr wert, als irgend etwas anderes in der Welt. Sie machen große Männer und große Menschen. -- Du wirst eines Tages ein großer Mann sein und ein großer Mensch, Thomas, und dann wirst du zurückblicken und sagen: Das alles verdanke ich der herrlichen Sonntagsschule meines Heimatsdorfes; alles meinen lieben Lehrern, die mich angehalten haben, zu lernen; alles dem guten Superintendenten, der mich anfeuerte und über mir wachte und mir eine wundervolle Bibel schenkte, eine herrliche, prächtige Bibel, damit ich sie immer, immer bei mir haben möge; alles meiner Erziehung! _Das_ wirst du sagen, Thomas! Und du würdest dir mit _keinem_ Geld deinen Schatz von zweitausend Versen bezahlen lassen -- nein, wahrhaftig nicht! -- Und jetzt kannst du mir und dieser Dame eine große Freude machen und uns einige deiner Verse aufsagen -- du wirst es _gern_ tun, denn wir freuen uns ja _so sehr_ über einen fleißigen Knaben. Ohne Zweifel kennst du die Namen aller zwölf Jünger. Willst du uns also die Namen der beiden zuerst erwählten Jünger nennen?"
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[_Jakob's Versuche, Rochester zu bekehren._] Dies war genug. Der König griff den Wink begierig auf und begann sich mit der Hoffnung zu schmeicheln, daß er vielleicht nicht nur der unangenehmen Nothwendigkeit überhoben werden würde, einen Freund von sich zu entfernen, sondern sich sogar einen geschickten Gehilfen zur Ausführung des unternommenen großen Werkes sichern könnte. Nebenbei erhob ihn auch der Gedanke an das Verdienst und den Ruhm, einen Mitmenschen vom Verderben zu retten. Er scheint in der That um diese Zeit einen ganz besonders heftigen Anfall von religiösem Eifer gehabt zu haben, und dies ist um so auffallender, da er eben erst nach einer kurzen Pause der Selbstbeherrschung in Ausschweifungen zurückverfallen war, welche alle christlichen Theologen als sündhaft verwerfen und die bei einem schon bejahrten Manne, der eine liebenswürdige junge Gattin hat, selbst von weltlich gesinnten Menschen unschicklich genannt werden. Lady Dorchester war von Dublin zurückgekommen und war wieder die Maitresse des Königs. Eine politische Bedeutung hatte ihre Rückkehr nicht. Die Erfahrung hatte sie von der Nutzlosigkeit des Versuchs überzeugt, ihren Geliebten von dem Verderben zu retten, in das er sich kopfüber stürzte. Sie überließ daher seine politische Leitung den Jesuiten und diese gestatteten ihr dagegen, daß sie dem Könige Geld ablockte. Übrigens war sie nur eine von mehreren leichtfertigen Frauen, welche damals mit seiner geliebten Kirche die Herrschaft über ihn theilten.[196] Er schien beschlossen zu haben, die Vernachlässigung seines eignen Seelenheils durch Sorge für die Seelen Anderer einigermaßen wieder gut zu machen. Daher ging er mit wirklichem guten Willen, aber mit dem guten Willen eines harten, strengen und gebieterischen Characters an das Werk seinen Schwager zu bekehren. Jede dem Schatzmeister gewährte Audienz wurde mit Abhandlungen über die Autorität der Kirche und über den Bilderdienst ausgefüllt. Rochester hatte sich vorgenommen, seinem Glauben nicht untreu zu werden; aber er trug kein Bedenken, sich zu seiner Selbstvertheidigung eben so schimpflicher Kunstgriffe zu bedienen, als sie gegen ihn angewendet wurden. Er bemühte sich wie ein Mann zu sprechen, der noch nicht mit sich im Klaren ist, sagte daß er nichts mehr wünsche, als eines Besseren belehrt zu werden, wenn er sich irren sollte, las papistische Bücher und hörte papistische Theologen bereitwillig an. Er hatte verschiedene Unterredungen mit Leyburn, dem apostolischen Vikar, mit Godden, dem Kaplan und Almosenier der Königin Wittwe und mit Bonaventura Giffard, einem in den Schulen von Douay für die Polemik gebildeten Theologen. Es wurde verabredet, daß eine förmliche Disputation zwischen diesen Gelehrten und einigen protestantischen Geistlichen stattfinden solle. Der König forderte Rochester auf, beliebige Theologen der Staatskirche zu wählen, nur mit zwei Ausnahmen: Diese waren Tillotson und Stillingfleet. Tillotson, der populärste Prediger der damaligen Zeit und von Character der harmloseste Mensch, hatte mit einigen Whigführern in vertrautem Umgange gestanden, und Stillingfleet, der als ein vollendeter Meister in allen Waffen der Polemik bekannt war, hatte sich durch Herausgabe einer Entgegnung auf die in der Cassette Karl's II. gefundenen Papiere noch mißliebiger gemacht. Rochester wählte die beiden königlichen Kaplane, welche gerade den Dienst hatten. Der eine von ihnen war Simon Patrick, dessen Bibelerklärungen noch jetzt in keiner theologischen Bibliothek fehlen dürfen; der andre war Jane, ein heftiger Tory, einer von den Verfassern des Beschlusses, durch welchen die Universität Oxford die schlimmsten Thorheiten Filmer's feierlich in sich aufgenommen hatte. Die Disputation fand am dreizehnten November in Whitehall statt. Rochester, der es nicht bekannt werden lassen wollte, daß er eingewilligt habe, die Argumente der papistischen Priester auch nur anzuhören, bedang sich Geheimhaltung aus. Es sollte kein Zuhörer weiter anwesend sein als der König. Der Gegenstand der Disputation war die wirkliche Anwesenheit Christi beim Abendmahle. Die römisch-katholischen Theologen übernahmen die Last der Beweisführung. Patrick und Jane sprachen wenig; auch hatten sie gar nicht nöthig viel zu sagen, denn der Earl unternahm es selbst die Lehre seiner Kirche zu vertheidigen und er wurde seiner Gewohnheit nach bald warm, verlor seine Ruhe und fragte mit großer Heftigkeit, ob man etwa hoffe, daß er auf so unhaltbare Gründe hin, seinen Glauben wechseln werde. Dann fiel ihm aber ein, was er riskirte; er fing wieder an sich zu verstellen, jagte den Disputanten Schmeicheleien über ihre Gewandtheit und Gelehrsamkeit und verlangte Zeit, um das Gesagte zu überlegen.[197]
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Dann fiel Heidi wieder in sein Sinnen zurück; nur hier und da guckte es einmal in seinen Korb hinein, denn alle die Brötchen der Großmutter auf den Tisch legen war sein Hauptgedanke. Nach längerer Zeit sagte es wieder: "Sebastian, wenn man nur auch ganz sicher wissen könnte, dass die Großmutter noch am Leben ist."
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Merkel-Appell zur Coronakrise: Fast ein neues „Wir schaffen das“ Kanzlerin Angela Merkel wirbt um Verständnis für die neuen Coronaregeln. Wichtiger als Verbote ist aus ihrer Sicht Vernunft – und da hat sie Hoffnung. Nüchtern, aber eindringlich: Angela Merkel am Montag bei der Bundespressekonferenz Foto: Markus SChreiber/ap Es kommt nicht oft vor, dass die Bundeskanzlerin kurzfristig und ausführlich vor die Presse tritt. Doch die aktuelle Entwicklung der Coronazahlen beunruhigt Angela Merkel offensichtlich so sehr, dass sie sich am Montag noch einmal an die Öffentlichkeit wandte, um die neuen Regeln zu erklären und für ihre Einhaltung zu werben. Für Kritik äußerte Merkel durchaus Verständnis: „Die Menschen sind natürlich enttäuscht, dass das Ganze so lange anhält“, sagte sie. Für die Politik gebe es angesichts der aktuellen Entwicklung aber keine Alternative zu schnellem Handeln. Die seit Montag geltende Beschränkung von Kontakten auf höchstens 10 Personen aus zwei Haushalten und die Schließung von Gastronomie-, Kultur- und Sporteinrichtungen seien hart, aber unverzichtbar, so Merkel. „Das bedeutet vier Wochen lang Verzicht auf vieles, was das Leben schön macht“, räumte die Kanzlerin ein. „Wir haben lange abgewogen, ob es einen besseren oder milderen Weg gibt. Wir haben ihn nicht gesehen, und deswegen haben wir diese Regelung schweren Herzens beschlossen, aber eben auch aus Überzeugung.“ Tatsächlich sind die aktuellen Coronazahlen weiterhin alarmierend: Die Zahl der täglich gemeldeten Neuinfektionen stieg im 7-Tage-Mittel auf den neuen Rekordwert von über 15.300 Fällen – wobei sich die Wachstumsrate im Vergleich zur Vorwoche etwas verlangsamt hat. Die Zahl der Coronatoten lag in der letzten Woche im Schnitt bei 68 am Tag, und die Intensivstationen füllen sich mit hoher Geschwindigkeit mit Coronapatient*innen: Am Dienstag stieg ihre Zahl auf 2.243. Sie verdoppelt sich damit weiterhin alle 10 Tage. Wenn es bei diesem Tempo bleibt, wäre noch im November mit einer Überfüllung zu rechnen. Angela Merkel„Alles zuzumachen wäre vielleicht das Gerechteste, aber nicht das Lebenspraktischste“ Und nicht nur bei älteren Menschen und Risikogruppen, sondern auch bei jungen Menschen gebe es schwere Verläufe und Langzeitschäden, warnte Merkel. „Insofern ist Vorsicht auf allen Ebenen geboten, nicht erst, wenn es um die Beatmungsmaschine geht, sondern möglichst viele Menschen vor diesem Virus zu schützen.“ Ungleichbehandlung verteidigt Ausführlich ging die Kanzlerin auch auf diverse Kritikpunkte ein. Dass der Bundestag nicht genug eingebunden sei, trifft aus ihrer Sicht nicht zu. Es sei die ausdrückliche Entscheidung des Parlaments gewesen, angesichts der Notlage die Kompetenzen des Gesundheitsministers zu erweitern. Auch die Ungleichbehandlung verschiedener Wirtschaftszweige verteidigte Merkel. Es sei eine bewusste Entscheidung, dass die produzierende Wirtschaft weiterarbeiten dürfe und Schulen, Kitas und Geschäfte aufbleiben, während kontaktintensive Bereiche, die weniger essentiell sind, geschlossen werden. „Alles zuzumachen wäre vielleicht das Gerechteste, aber nicht das Lebenspraktischste“, so Merkel. Wenn sich nach zwei Wochen herausstelle, dass die beschlossenen Beschränkungen nicht genügen, um die Infektionszahl zu senken, seien aber noch weitergehende Schließungen möglich. Dass Gottesdienste weiter stattfinden dürfen, erklärte sie damit, dass dies nach Ansicht von Verfassungsrechtler*innen aufgrund des Grundrechts der Religionsfreiheit „zwingend geboten“ sei, solange auch Schulen und Kitas offen bleiben. Bei der Umsetzung der Regeln setzt die Kanzlerin weniger auf Kontrollen als auf Einsicht. Zwar könne bei Verstößen auch das Ordnungsrecht zur Anwendung kommen. Aber sie wolle das „nicht nur über Strafen regeln“, sagte Merkel. Sondern: „Ich glaube in einer Demokratie an die Kraft der Vernunft und der Verantwortung.“ Keine Großveranstaltungen Zwar sei davon auszugehen, dass es Großveranstaltungen und Partys noch für einen längeren Zeitraum nicht geben werde. Aber zumindest eine teilweise Rückkehr zur Normalität hält die Kanzlerin für möglich. „Es klappt doch auch gut“, sagte sie unter Verweis auf die weitgehende Akzeptanz von Masken, die vor einem Jahr in Deutschland noch undenkbar schien. „Und jetzt müssen wir uns noch ein bisschen mehr anstrengen, dann kriegen wir das vielleicht auch wieder hin.“ Das war nicht ganz so prägnant wie das „Wir schaffen das“, das Merkel vor gut fünf Jahren an gleicher Stelle gesagt hat. Aber die Botschaft war durchaus vergleichbar.
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Anti-Drogen-Politik in den Philippinen: Drogenfund beim Sohn des Ministers Jesus Crispin Remulla ist als Justizminister der oberste Dienstherr der Antidrogenbehörde. Die hat gerade seinen Sohn mit Drogen erwischt. Crispin Remulla Foto: Bullit Marquez/picture alliance BERLIN taz | Den Beamten der philippinischen Antidrogenbehörde hat es offenbar die Sprache verschlagen, als sie am 11. Oktober in einem Vorort Manilas bei einer Razzia einen 38-Jährigen festnahmen: Der Mann, der sich ein Paket mit 894 Gramm Cannabis hatte schicken lassen, war Juanito Jose Remulla III. Er ist der älteste Sohn von Justizminister Jesus Crispin Remulla, dem obersten Dienstherr der Antidrogenbehörde. Dass es zwei Tage dauerte, bis diese Behörde die Festnahme von Remulla jr. bestätigte, löste viele Spekulationen aus: Hatte der Vater zwischenzeitlich etwa versucht, die Festnahme seines Sohnes zu vertuschen oder ihn gar freizubekommen? Würde der Minister fortan das Verfahren beeinflussen? Laut den harten philippinischem Drogengesetzen kann der Besitz von mehr als 500 Gramm Cannabis mit lebenslanger Haft bestraft werden, auch wenn die dort Shabu genannten synthetischen Drogen das eigentliche Problem in den Philippinen sind. 2016 wurde unter dem damaligen Präsidenten Rodrigo Duterte begonnen, mutmaßliche Drogendealer und -konsumenten außergerichtlich zu töten. Offiziell gab es im „Krieg gegen die Drogen“ bisher mehr als 6.250 Tote, Menschenrechtler sprechen von bis zu 30.000 Toten und machen Todesschwadronen der Polizei dafür verantwortlich. Berufliche Pflicht? Seit Ferdinand Marcos jr. in diesem Juni Präsident wurde, ist die Rhetorik etwas milder geworden, das extralegale Töten geht aber weiter. Daran wurde von Beginn an kritisiert, dass allenfalls „kleine Fische“ ausgeschaltet werden, aber nie die großen Dealer und Hintermänner mit ihren guten Kontakten in den Regierungsapparat. Als der Fall Rumulla jr. schließlich öffentlich wurde, beeilte sich der Minister zu erklären, seine berufliche Pflicht habe für ihn Vorrang vor väterlicher Fürsorge. Deshalb trete er auch nicht zurück. In den stark von Familienwerten geprägten Philippinen, in denen auch die Remullas ein politisch mächtiger Familienclan sind, halten viele das wegen des Interessenskonfliktes für nicht sehr glaubwürdig. Angehörige von Todesopfern des „Antidrogenkriegs“ forderten auch umgehend Remullas Rücktritt, weil er jetzt moralisch angeschlagen sei. Um die Wogen zu glätten, sprang Präsident Marcos seinem treuen Unterstützer bei und erklärte, für dessen von vielen geforderten Rücktritt gebe es „keine Basis“. Der Vater könne doch nichts für das Fehlverhalten des Sohnes. Kein Drogenhandel? Aber längst wundern sich viele, weshalb Remulla jr. nicht einmal den sonst üblichen Drogentest machen musste und jetzt nur wegen mutmaßlichem Drogenbesitz, aber nicht wegen Drogenhandels in U-Haft sitzt. Sollen damit etwa die 894 Gramm Cannabis von einem potenziellen Drogengeschäft in eine Art „Familienpackung“ für den Eigenverbrauch umdeklariert werden? Der Kolumnist Frederico Pascal riet im Phi­lippine Star dem Minister schon allein deshalb zum Rücktritt, weil jede Bestrafung seines Sohnes unterhalb des Höchstmaßes den Senior stets des Verdachts der Einflussnahme aussetze. Doch ohne Amt könne sich der Vater – ganz philippinisch – dagegen voll und ganz für seinen Sohn einsetzen. Es gebe viele Politiker, die als Minister infrage kämen, aber nur er ganz allein sei der Vater.
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Diskussion um Nord Stream 2: Röttgen für Sanktionen Der CDU-Politiker widerspricht Peter Altmaier, der meint, dass ein Abbruch von Nord Stream 2 nichts bewirken würde. Putin verstehe diese Form der Machtpolitik. Folgten 2012 als Umweltminister aufeinander: Norbert Röttgen und Peter Altmaier Foto: Michael Kappeler/dpa BERLIN dpa | Der CDU-Politiker Norbert Röttgen kritisiert den Wirtschaftsminister und Parteikollegen Peter Altmaier für dessen skeptische Haltung zu Sanktionen gegen Russland. Altmaier beschließe seit sechs Jahren Sanktionen gegen Russland wegen der Krim mit, sagte Röttgen am Dienstag in einer RTL-Sendung. „Er steht also mit dieser Aussage im Widerspruch zu seinem Verhalten, das er seit sechs Jahren selber übt.“ Im Zusammenhang mit dem Fall des vergifteten russischen Oppositionellen Alexei Nawalny hatte Altmaier am Montagabend, 7. September gesagt, er kenne keinen Fall, in dem ein Land wie Russland durch Sanktionen zu einer Verhaltensänderung bewegt worden sei. Aus Sicht von Röttgen wäre ein Abbruch des Pipeline-Projekts Nord Stream 2 hingegen ein geeignetes Sanktionsmittel gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin: „Das versteht er. Da geht es um sein Geschäft und es geht um seine Machtpolitik.“ Der einzige Grund für die neue Erdgasleitung durch die Ostsee sei, die Ukraine von der russischen Gasversorgung abkappen zu können, sagte Röttgen. Dadurch könne Putin die Ukraine weiter destabilisieren und seinen Machtanspruch weiter nach Westen und Europa ausdehnen. Die Pipeline sei daher „schädlich“, „unnötig“ und ein „machtpolitisches Projekt“. Seit Tagen wird wegen des Falls Nawalny ein möglicher Baustopp von Nord Stream 2 diskutiert. Die Bundesregierung lässt die Zukunft des Projekts bislang offen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) halte es aber auch für falsch, etwas auszuschließen, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert am Montag.
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Forderung von CDU-Generalsekretär: Tagessoll 1.000 Abschiebungen Peter Tauber findet Asyl und Integration eigentlich gut, aber: Die Länder sollten täglich insgesamt 1.000 abgelehnte Asylbewerber abschieben. CSU-Generalsekretär Tauber hat das mal nachgerechnet. Foto: dpa DÜSSELDORF epd | CDU-Generalsekretär Peter Tauber hat sich für eine deutliche Ausweitung von Abschiebungen ausgesprochen. „Wenn nach den Erfahrungswerten im Schnitt jeder zweite Antrag negativ beschieden wird, dann stehen die Länder in der Pflicht, täglich 1.000 abgelehnte Asylbewerber abzuschieben“, sagte Tauber der in Düsseldorf erscheinenden Rheinischen Post. Hier sei nicht der Bund gefordert, sondern es müssten Länder wie Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz deutlich nachlegen. Tauber betonte, es sei nach wie vor richtig, sich für die „große Herausforderung“ der Aufnahme und Integration von Flüchtlingen zu engagieren. „Aber natürlich kann es nicht immer so weitergehen.“ Deshalb werde daran gearbeitet, die Zahl der Flüchtlinge „weiter spürbar zu reduzieren“. Zwar kämen noch immer 3.000 bis 4.000 Flüchtlinge täglich nach Deutschland, was noch immer zu viele seien, doch dies sei schon deutlich weniger als im November mit täglich über 10.000. Bei der Bearbeitung der Asylanträge werde das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge besser, erklärte Tauber. Habe das Amt im vergangenen Jahr 600 Entscheidungen am Tag getroffen, so sei inzwischen eine Zahl von über 2.000 erreicht worden. Tauber sieht zudem einen Vollschleier bei muslimischen Frauen als „Zeichen für eine gescheiterte Integration“ in Deutschland. In der deutschen Gesellschaft müsse keine Frau vor den Blicken der Männer geschützt werden, sagte Tauber der Rheinischen Post: „Wir wollen das nicht.“ Der CDU-Bundesparteitag hatte im Dezember erklärt, die Christdemokraten lehnten eine Vollverschleierung in der Öffentlichkeit ab. Die Erklärung enthält jedoch keine Forderung nach einem Burka-Verbot, wie sie unter anderem von der stellvertretenden CDU-Vorsitzenden Julia Klöckner und der CSU-Politikerin Ilse Aigner erhoben wird. Wer eine Vollverschleierung trage, dokumentiere damit seine fehlende Bereitschaft zur Integration in eine offene Gesellschaft, erklärte die CDU.
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Solcherlei Frühlingsbräuche, die jungen Saaten prozessionsweise zu umreiten und zu durchreiten, stützen sich auf heidnischen und auf alttestamentlichen Glauben und wollen Abbilder sein eines den Göttern selbst beigelegten gleichen Thuns. Die Psalmenstelle 65, 12--Du krönest das Jahr mit deinem Gut und deine Fusstapfen triefen von Fett--liess eine Gottheit erblicken, welche das reifende Kornfeld persönlich beschreitet und mit ihrer Fussspur ertragsfähig macht, weshalb das Kirchenlied von Nikolaus Hermann "Um gut Gewitter und Regen" Strophe 9 jene Worte nachdrücklich wiederholt:
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Als dem edeln König zur Reise stand der Muth, 786 Da ließ man wieder reiten die schnellen Degen gut. Seiner Frauen Brüdern entbot er an den Rhein, Daß er gerne wolle bei ihrem Hofgelage sein.
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So schwärmte sein Geist in den süßesten Träumen umher, der Zorn Friedrichs lag ihm wie in einer weiten Ferne, reizende Bilder lebten und webten in seiner Seele und stellten sich lächelnd vor jede traurige Erinnerung, -- als nach und nach der Mond erblich und über die fernen Hügel das erste graue Licht des Tages zitterte.
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Sie fand die Landschaft hinreißend schön. Die kleine halbe Stunde bis Krogskog war wie ein Begrüßen guter alter Bekannter, ein fortwährendes Begrüßen. Jetzt war auch die partielle Verlegung der Strandstraße an der Küste entlang fertig. Es war wirklich lustig, wie sie sich um die Landzungen herumschlängelte und oft in die Felsen hineinschnitt. Über Krogskog führte der Weg wie früher durch die Ebene von einer Landspitze zur andern, dicht an der Landungsbrücke vorbei und dicht unter der Kapelle mit dem Kirchhof.
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Ich hielt mich nur noch so lange in dem Lauterthale auf, um noch die bedeutendsten Stellen desselben im Winterschmucke zu sehen und um die Einleitung zu treffen, daß dem Eigentümer der Ziegenalpe die Bank, die wir verbrannt hatten, ersetzt würde. Dann fuhr ich in einem Schlitten in der Richtung nach dem Asperhofe hinaus. Kaspar hatte recht herzlich von mir Abschied genommen, er war mir durch diese Unternehmung noch mehr befreundet geworden, als er es früher gewesen war.
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Von Kadix reiste sie nach Fez in Mauritanien mit einigen Juden oder Mahometanern, welche der religiose Ferdinand, der Katholische in seinem Reiche nicht dulden wollte. Sie drang mitten durch die Sandberge von Afrika bis zur Zone torrida ein. Sie wagte sich ohne Furcht unter jene schrecklichen Weiber der melindischen Küste. Sie breitete sich aus von dem Ursprunge des Senegal an bis zur Kafferei, und von Monomotapa bis an die Mündung des Nil. Sie wurzelte überall mit den Jesuiten, die dem ungeachtet nicht ihre eifrigsten Missionarien waren. Unermüdet, wie sie, aber in einer andern Art, faßte sie geschwinder als sie in den beträchtlichsten Wechselstuben Fuß. Sie hinterließ einsichtige Faktoren, die sichs angelegen hielten, die Anzahl ihrer lockeren Gesellen zu vermehren.
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Einleitung Selten hat in der neueren Geschichte eine Person eine solche Machtfülle auf sich vereinigt wie Adolf Hitler. Nach dem Tode des Reichspräsidenten von Hindenburg am 2. August 1934 gab es verfassungsrechtlich keine Institution mehr, die Hitlers Stellung hätte eingrenzen können. Im Unterschied zum faschistischen Italien, wo der Duce Benito Mussolini (1883–1945) immer mit dem Monarchen und der auf diesen bezogenen Armee und Verwaltung zu rechnen hatte, waren im Führerstaat alle institutionellen Ansatzpunkte für die Entwicklung organisierter Gegenkräfte ausgeschaltet. Hitlers Macht Auch innerhalb der NSDAP hatte Hitler nach der Ermordung des SA-Stabschefs Ernst Röhm keinen ernsthaften Widerpart mehr. Seit dieser Zeit galt für das NS-System, "daß es mit Hitler stand und fiel; mit seinen Entscheidungen, seinen ideologischen Fixierungen, seinem politischen Lebensstil und seinem Bedürfnis für die grandiose Alternative Sieg oder Katastrophe" (Karl-Dietrich Bracher). Dieser "Führerabsolutismus" (Martin Broszat) gründete sich nicht allein auf Hitlers Machtwillen oder besondere persönliche Qualitäten, sondern auch und vor allem auf die Zustimmungs- und Unterordnungsbereitschaft in Verwaltung und Gesellschaft sowie auf die besondere Herrschaftsmechanik im nationalsozialistischen Führerstaat. Der "Führer"-Mythos wurde zum gemeinsamen Nenner der inneren Herrschaftsmechanik sowie der Legitimation durch die Gesellschaft. Bereits während der Aufstiegsphase der NSDAP war Hitler zum machtpolitischen und ideologischen Bezugspunkt der nationalsozialistischen Bewegung geworden. Er hatte zudem diese Machtstellung durch die "Führer"-Erwartung innerhalb der NSDAP sowie durch den "Führer"-Kult propagandistisch verstärken bzw. überhöhen können (vgl. Informationen zur politischen Bildung Nr. 251 "Nationalsozialismus I", S. 21). Nach der Machtübernahme 1933 übertrug sich dieser Prozeß der wechselseitigen Verstärkung von allgemeiner Erwartung einer charismatischen Erlöser- und Retterfigur und von dem nunmehr staatlichen Kult um den "Führer" auf die gesamte Gesellschaft. Zu den Voraussetzungen für die erfolgreiche Wirkung dieses "Führer"-Mythos gehörte neben der verbreiteten sozialen Erwartung eines nationalen Retters, der mit seinen außergewöhnlichen Qualitäten aus Not und Krise führen sollte, die politisch-propagandistische Verstärkung dieser Erwartung durch die Gefolgschaft. Sie diente als Sprachrohr für die außerordentlichen Kräfte des charismatischen Führers. Hinzu kamen die Inszenierungen des "Führer"-Kultes durch die Propagandaapparate des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda Joseph Goebbels (1897–1945). Diese nutzten vor allem die wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Erfolge des Regimes bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Belebung der Wirtschaft sowie später die nationalpolitischen Erfolge bei der Wiederherstellung deutscher Großmachtansprüche. Sie wurden allein Hitler gut geschrieben, um damit auch diejenigen in der Zustimmung zum "Führer" zu bestärken, die dem "politischen Niemand" nur wenig Fähigkeiten und politische Erfolge zugetraut hatten. Daß die politisch-administrativ in der Tat völlig unerfahrene und unvorbereitete Führungsclique der NSDAP gerade die kritische Anfangsphase durchstehen konnte, lag an der Bereitschaft weiter Teile der traditionellen Machteliten in Bürokratie, Reichswehr und Wirtschaft, mit dem nationalsozialistischen Regime auch deshalb zusammenzuarbeiten und es zu stützen, weil sie sich selbst dadurch eigene Vorteile und die Erfüllung der unterschiedlichsten sozialen und materiellen Erwartungen versprachen. Hinzu kam ein unbestreitbares taktisches Geschick Hitlers, der sich in seiner neuen Rolle als Reichskanzler zunächst vorsichtig abwartend verhielt und sich den Anschein eines honorigen Staatsmannes gab, der nicht nur die Parteiuniform, sondern bei passender Gelegenheit auch den bürgerlichen Anzug trug. In den ersten Wochen und Monaten seiner Regierungszeit gab er sich Mühe, die Amtsgeschäfte des Regierungschefs regelmäßig und normal zu versehen. Dabei wurde bald erkennbar, daß er trotz seiner fehlenden Regierungserfahrungen die Spielregeln des Regierungshandelns rasch erfaßte und damit zur Überraschung derer, die mit einem schnellen Abwirtschaften des "vulgären" Agitators gerechnet hatten, geschickt umgehen konnte. Dabei fanden die Veränderung des Regierungsstils weg von Parlament und Parteien und hin zu einem autoritären Handeln auch die Zustimmung der konservativen Machtgruppen: Denn Hitler schien den Verfassungswandel, der mit den Präsidialregierungen der früheren Reichskanzler Heinrich Brüning (1885–1970) und Franz von Papen (1879–1969) begonnen hatte, nur fortzusetzen. Er regierte anfangs vor allem mit der Notverordnungsvollmacht des Reichspräsidenten, und auch die Ausschaltung von Parlament und Kabinett durch das Ermächtigungsgesetz vom 23. März 1933 (vgl. Informationen zur politischen Bildung Nr. 251 "Nationalsozialismus I", S. 43 ff.) erregte in der Reichsbürokratie und in der Armee keinen Argwohn. Sitzungen des Reichskabinetts fanden immer seltener statt. Daß damit auch die Möglichkeiten einer Kontrolle Hitlers durch die meist noch deutschnationalen Kabinettsmitglieder entfielen, nahmen diese hin. Abstimmungen hatte es im Kabinett Hitler von Anfang an nicht gegeben. Seit dem Ermächtigungsgesetz konnte Hitler als Reichskanzler unabhängig vom Reichspräsidenten Gesetze verkünden. Über Gesetzesvorlagen und Verordnungen aus den Ministerien wurde per Umlaufverfahren entschieden. Verzeichnete das Protokoll von 1933 noch 72 Sitzungen des Kabinetts, so trafen sich die Minister 1935 nur noch zwölfmal, seit 1938 trat das Kabinett überhaupt nicht mehr zusammen. Der prunkvolle Kabinettsaal in Hitlers neuer Reichskanzlei wurde nie benutzt. Die Regierung zerfiel in eine Vielzahl einzelner Ressorts. Sie standen einzig durch den neu ernannten Chef der Reichskanzlei Hans Heinrich Lammers (1879–1962) in Verbindung mit dem "Führer", sofern sie als Angehörige der nationalsozialistischen Führungsclique nicht ohnehin den unmittelbaren Zugang zu Hitler besaßen. Hitler wurde durch dieses Verfahren "Dreh- und Angelpunkt des Regierungsapparates" (Ian Kershaw), andererseits konnte er sich damit aber aus der alltäglichen Beratungs- und Koordinationstätigkeit heraushalten und dies dem Chef der Reichskanzlei oder anderen Führersekretären überlassen. Das verstärkte den Nimbus des über allen Zwistigkeiten stehenden "Führers" ganz erheblich. Diese Politik des Teilens und Herrschens, die Machtbefugnisse zersplitterte, um sie dann bei einer obersten Schlichtungsinstanz wieder zu bündeln, ging nicht auf ein konkretes Aktionsprogramm von Hitler und seinen Unterführern zurück. Es basierte eher auf einem intuitiven Handeln, das vorsichtiges Abwarten mit der Fähigkeit zum raschen und geschickten Ausnutzen von günstigen Gelegenheiten und einem ausgeprägten Machtinstinkt verband. Dies ließ Hitler immer erst dann handeln, wenn er seine Autorität beeinträchtigt sah, oder wenn er seine Entscheidung als Konsequenz von Handlungszwängen darstellen konnte. Ausgestattet mit der neuen Machtfülle verstärkte sich nach 1934 Hitlers Hang zu einem sprunghaften Lebens- und Arbeitsstil, der nun auch die politischen Entscheidungsprozeduren prägte. Bald hetzte er unaufhörlich zwischen Besprechungen und Kundgebungen, Aufmärschen, ersten Spatenstichen und Einweihungen hin und her. Das verstärkte nach außen das Bild vom rastlos tätigen und omnipräsenten "Führer". Die Mitglieder des Kabinetts oder der Regierungsbehörden mußten ihm oft nachreisen, um eine Entscheidung herbeizuführen. Das stärkte den Einfluß der Führungsgruppen der NSDAP, der Gauleiter und Reichsleiter oder auch der Adjutanten und Sekretäre, die gerade in der Nähe waren. Es bot sich ihnen dadurch vermehrt die Chance, Entscheidungen an den zuständigen Ministerien vorbei durchzusetzen. Gelegentlich führten solche unkoordinierten Verfahren auch zu Entscheidungen, die im Widerspruch zur eigenen Gesetzgebung der Regierung Hitler standen. So hatte beispielsweise Robert Ley die "Verordnung des Führers über die Deutsche Arbeitsfront" Hitler am Rande einer Veranstaltung am 24. Oktober 1934 gleichsam zur Unterschrift untergeschoben und über das Deutsche Nachrichten-Büro schon veröffentlichen lassen, als das Reichswirtschaftsministerium feststellte, daß deren Inhalt eindeutig dem "Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit" vom 20. Januar 1934 widersprach. Diese Panne konnte nur mühsam dadurch kaschiert werden, daß man die zur Durchführung der Verordnung notwendigen Ausführungsbestimmungen nie erließ und damit der Vorgang im Sande verlief. Denn der "Führer" durfte sich natürlich nicht irren. Trotz Hitlers erstaunlichen Gedächtnisses und seiner oft verblüffenden Detailkenntnisse ließen sich so die Fäden der Regierung nicht in der Hand halten. Dieser Regierungsstil förderte mit der Zeit viel mehr das unkoordinierte Eigenleben vieler einzelner Ressorts und führerunmittel- barer Sonderapparate. Jeden Versuch einer förmlichen Festlegung des neuen Herrschaftssystems lehnte Hitler jedoch ab. Vielfach formulierte er Vorgaben so vage, daß sich mehrere Konzepte zur Umsetzung ergaben; oder er hielt die Dinge so lange in der Schwebe, bis sich eine der Machtgruppen oder ein Unterführer aus dem vielverzweigten Herrschaftssystem durchzusetzen schien. Diese Vorgehensweise läßt sich besonders für die Stabilisierungsphase des Regimes zwischen 1934 und 1936/37 beobachten, als nach der Machtdurchsetzung und nach dem Ende der parlamentarisch-rechtsstaatlichen Ordnung die Grundlegung einer neuen politisch-sozialen Ordnung zur Entscheidung stand. Vor allem in der Innen- und Sozialpolitik zeigte sich Hitler zunehmend unwillig, eindeutige Entscheidungen zu treffen. Anders war dies in der Außenpolitik, die immer deutlicher seine Handschrift trug. Führer-Mythos Wann immer Zweifel an Hitlers Politik entstanden und in der Bevölkerung Klage über die immer wieder auftretenden Engpässe in der Versorgung mit Lebensmitteln geführt wurden oder Kritik am korrupten Verhalten von Ortsgruppenleitern oder anderen Funktionären der NSDAP aufkam, wurden diese Unmutsäußerungen durch die Wirkungsmacht des Hitler-Mythos oder durch die suggestive Überredungsgabe Hitlers aufgefangen. Das bewirkte weniger die vielzitierte Ausstrahlungskraft Hitlers als die kollektiv-psychologisch bei vielen schon vorbereitete bzw. vorhandene Anpassungsbereitschaft und Selbsttäuschung. Sie sahen in Reichskanzler Adolf Hitler den Retter und sozialen Wohltäter, den sie nach Jahren der politischen und sozialen Struktur- und Identitätskrise erwartet hatten, und machten die vermeintlich radikaleren und unfähigen Unterführer für die Unzuträglichkeiten und Zumutungen im Herrschaftsalltag verantwortlich. "Wenn das der Führer wüßte", war ein geflügeltes Wort, das diese Ablenkung und Selbsttäuschung zum Ausdruck brachte. Der Mythos des Retters und Führers war ideologisch und massenpsychologisch tief verwurzelt. Er berührte sich mit älteren Mythen und Denkweisen aus der Lebenswelt von Monarchie, Militär und Jugendbewegung. Daher neigten traditionelle Führungsgruppen, bürgerliche Schichten und auch Unterschichten zur Fehleinschätzung der politischen und sozialen Wirklichkeit des Führerstaates; sie nahmen vorzugsweise nur das wahr, was sich mit ihren Einstellungen in Übereinstimmung bringen ließ. In fast allen Schichten der Gesellschaft finden sich Beispiele für eine Bewußtseinsspaltung, die mit dem Führer-Mythos verbunden war. So hat Generaloberst Werner Freiherr von Fritsch (1880–1939), der in ehrverletzender Form von der NS-Führungsclique 1938 aus seinem Amt als Oberbefehlshaber des Heeres verdrängt wurde, ein Jahr später noch immer von dem Erlösungswerk gesprochen, das der "Führer" bewältigen müsse. Die Frau eines ehemaligen Kommunisten aus Oberbayern bekannte 1935 allen Verfolgungsmaßnahmen des Regimes gegen Kommunisten zum Trotz: "Alle Tage muß mein Dirndel für den Führer ein Vater Unser beten, weil er uns das tägliche Brot wiedergegeben hat." Der Hitler-Nimbus steigerte sich noch, als das nationalsozialistische Regime nach den Erfolgen bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, die tatsächlich nur durch die forcierte Aufrüstung möglich wurden, sich seit 1936 auch außenpolitischer Erfolge rühmen konnte, die den verbreiteten Erwartungen auf Wiederherstellung einer deutschen Großmachtposition entsprachen. Goebbels und sein Propagandaapparat verstärkten den "Führer"-Nimbus und schreckten in der Verehrung des Diktators von keiner heroischen Überhöhung und rhetorischen Entlehnung mehr zurück, um die Identität der Deutschen mit Hitler zu postulieren: "Dieses ganze Volk hängt ihm nicht nur mit Verehrung, sondern mit tiefer, herzlicher Liebe an, weil es das Gefühl hat, daß es zu ihm gehört, Fleisch aus seinem Fleische und Geist aus seinem Geiste ist. [...] Wie wir eng um ihn versammelt stehen, so sagt es zu dieser Stunde der letzte Mann im entferntesten Dorf: Was er war, das ist er, und was er ist, das soll er bleiben, unser Hitler." Der Propagandaminister enthüllte mit seinen Hymnen auf Hitler, die im krassen Gegensatz zu dessen tatsächlicher Persönlichkeitsstruktur standen, eine tiefere Schicht des Nationalsozialismus, nämlich seinen Charakter als politische Religion. Das bedeutete die Indienstnahme von religiösen Formen, der Liturgie, der Heiligenverehrung und der Heilsverkündung für die Zwecke einer weltlichen politischen Bewegung. Durch den Appell an das Jenseitige und an die Erlösungsbedürfnisse ihrer Anhängerschaft wollte sie eine intensivere, nicht mehr hinterfragbare Sicherung ihres Machtanspruches erreichen. Sichtbar wurden solche Formen des pseudoreligiösen Kultes in den Masseninszenierungen des Regimes mit ihren nächtlichen Kundgebungen und Totenehrungen. Spektakulärer Höhepunkt war etwa die Inszenierung eines bezeichnenderweise sogenannten "Lichtdoms", wobei durch die zusammenfließenden Strahlen von Flakscheinwerfern der Eindruck eines riesigen kuppelähnlichen Raumes entstand. Wie diese pseudoreligiöse Verehrung auf Hitler zurückwirkte, ist schwer zu bestimmen. Vermutlich verstand er bis zur Mitte der dreißiger Jahre den Kult um seine Person als Inszenierung und Mittel zur Integration von Partei und Volk. Danach mehren sich die Anzeichen dafür, daß er selbst daran glaubte und zum Opfer seines eigenen Mythos wurde. Denn immer häufiger sprach er seither von seiner historischen Mission, zu der er von der "Vorsehung" berufen sei. "Ich gehe mit traumwandlerischer Sicherheit den Weg, den mich die Vorsehung gehen heißt", äußerte er im März 1935 zum ersten, aber nicht zum letzten Mal voller Selbstgefälligkeit. Diese Überzeugung, von der Vorsehung auserwählt zu sein, gab seinen ideologischen Vorstellungen und dem eigenen politischen Selbstverständnis eine zusätzliche Bestätigung und erklärte die zunehmende Entschlossenheit, seine ideologischen Visionen zu vollstrecken und dabei alle Schranken des politischen Kalküls zu überspringen. Regierung und Verwaltung Daß Hitler seine dogmatischen Herrschaftsziele in die Tat umsetzen konnte, lag jedoch nicht nur in seinem "missionarischen Vollstreckungswillen" (Joachim Fest) begründet. Es war auch und vor allem auf die Machtstrukturen des Regimes sowie auf die ideologischen und politischen Dispositionen von Hitlers Helfern zurückzuführen, die zur Verwirklichung der mitunter nur sehr vage formulierten Weltanschauungsformeln bereit waren, sei es aus Gründen der eigenen Machtbehauptung oder sei es aus einem ideologischen Eifer, den sie mit Hitler teilten. Die Konsequenz und Energie, mit denen das nationalsozialistische Regime seine Macht ausbaute sowie die wirtschaftlichen, rüstungspolitischen und militärischen Vorbereitungen für seine Eroberungspläne vorantrieb und umsetzte, stehen auf den ersten Blick in einem scheinbaren Widerspruch zu den unübersichtlichen Herrschaftsstrukturen. Auch nach der neuerlichen Konzentration der Macht im August 1934 erreichte das Regime bis zu seinem Ende 1945 zu keiner Zeit eine feste und überschaubare Ordnung von Regierung und Verwaltung. Vielmehr befanden sich die verschiedenen Machtgruppen, die 1933 Hitlers Machtübernahme erst ermöglicht hatten und die fortan zu den Trägern des Regimes gehörten, in einem Zustand ständiger Rivalitäten und Kompetenz- bzw. Machtverlagerungen. Zunächst schienen die Repräsentanten der traditionellen Machteliten, neben der Staatsbürokratie die Reichswehr und die Großwirtschaft, gegenüber der nationalsozialistischen Bewegung allein schon aus Gründen ihrer administrativen Qualifikation und politischen Erfahrung das größere Gewicht zu besitzen. Dies verschob sich seit 1934 und dann verstärkt seit 1937/38 eindeutig zugunsten der nationalsozialistischen Parteiführer und ihrer Apparate. Sie waren in dem Machtbündnis von Anfang an das dynamischere Element, getrieben von Aufstiegswillen, Machthunger, einer mentalen Abneigung gegen Bürokratie und Justiz mit ihren strengen Normen und Verwaltungsvorschriften sowie von ideologischem Eifer. Aber auch innerhalb des nationalsozialistischen Machtkomplexes gab es keine politisch organisatorische Geschlossenheit. Kennzeichnend war ein permanenter Machtkampf zwischen der politischen Organisation und der Parteiarmee von SA und SS sowie zwischen den Unterführern der einzelnen Sonder- oder Nebenorganisationen. Die Ursachen für diese ständigen Rivalitäten und Kompetenzkonflikte lagen in den unterschiedlichen Erfolgen der einzelnen Unterführer bei der Verschmelzung ihrer Apparate mit staatlichen Einrichtungen, aber auch in der unterschiedlichen Anerkennung, die sie bei Hitler erfuhren. Alle Versuche, das Verhältnis zwischen dem Staat und seiner Verwaltung einerseits und der Partei mit ihren Untergliederungen andererseits dauerhaft zu klären, scheiterten. Dies wurde durch Formeln überdeckt, die zwar die Unterordnung des Staates unter die Partei ("Die Partei befiehlt dem Staat") proklamierten, tatsächlich aber nur die Unterminierung und Vereinnahmung der staatlichen Verwaltung bedeuteten. Der Dualismus zwischen Partei und Staat, dessen Konfliktlinien noch viel komplizierter verliefen als es diese Formel andeutet, gehörte zum Strukturmerkmal des Regimes. Vor allem sicherte dieses amorphe Gebilde des "Führerstaates" die unangefochtene Autorität Hitlers, der den einzigen Bezugspunkt in dieser polykratischen Ordnung darstellte. Auf seinen vermeintlichen oder tatsächlichen "Führerwillen" konnten sich alle Machtträger berufen, seine Entscheidung war ausschlaggebend in den vielen Rivalitäten. Wer den unmittelbaren Zugang und die Gunst Hitlers besaß, der galt im Machtkomplex mehr als eine noch so große Behörde. Bündnispartner Zusammengehalten wurde das permanent von inneren Machtkämpfen bestimmte Regime nicht nur durch die Autorität Hitlers, sondern auch durch eine zumindest teilweise Übereinstimmung der einzelnen Machtträger in ihren Herrschaftszielen. Gewollt war ein starker autoritärer Staat, um politischen Einfluß und sozialen Status gegen die Kräfte von Parlamentarismus und Demokratie zu sichern. Das Gewaltmonopol der Reichswehr sollte nicht nur behauptet, sondern auch durch die Wiederaufrüstung zu einem Instrument der Revisions- und Eroberungspolitik ausgebaut werden. Die Mitsprache der organisierten Arbeiterbewegung sollte ausgeschaltet und die Unternehmer wieder zu "Herren in ihrem Hause" gemacht werden. Auch die Nationalsozialisten schienen ähnliche Ziele zu verfolgen oder verbargen hinter solch konservativ-autoritären Rezepten ihre teilweise viel weitergehenden Ziele. Ihre Methoden waren zwar ungleich radikaler, aber darüber wurde zunächst großzügig hinweggesehen. Der Ausschaltung und Verfolgung der politischen Linken und des liberal-demokratischen Verfassungssystems hatten die konservativen Bündnispartner zugestimmt und auch die Zerstörung des Rechtsstaates hingenommen. Auch die Ausgrenzung der rassenpolitisch stigmatisierten Minderheit vollzog sich zunächst mit Zustimmung oder Duldung der konservativen Regierungspartner. Innerhalb dieses Machtkartells fand eine ständige Bewegung und Verschiebung der Machtverhältnisse statt: Die SS triumphierte 1934 über die SA, die staatliche Bürokratie verlor immer mehr Einfluß an neue nationalsozialistische Sonderbehörden, die vom Straßenbau bis zur Lenkung der Wirtschaft die alleinige Entscheidungsbefugnis beanspruchten und die Ministerien und Verwaltungen zu bloß ausführenden Organen degradierten. Schließlich sahen sich Justiz und Polizei in ihrer institutionellen Eigenständigkeit von der SS eingeschränkt und unterminiert, woran sie selbst durch eine allzu große ideologische Zustimmungs- und Anpassungsbereitschaft kräftig mitgewirkt hatten. Adolf Hitler war nicht der neutrale Schiedsrichter oder gemäßigte Vermittler zwischen den Machtgruppen, sondern die radikalen Impulse gingen von ihm aus oder wurden von ihm gebilligt. Er war, was viele Zeitgenossen nicht begreifen wollten, das radikale Zentrum der nationalsozialistischen Bewegung. Sie richtete nach dem Abschluß der "Machtergreifung" zunächst ihre Energien darauf, die einzelnen Sektoren von Staat und Gesellschaft durch neue Zwangsverbände zu kontrollieren und zu organisieren. Diese sollten nach der Zerstörung oder der Gleichschaltung der alten Interessenverbände den totalitären Herrschaftsansprüchen des Nationalsozialismus unterworfen werden. So wuchs beispielsweise die von dem Reichsorganisationsleiter der NSDAP Robert Ley (1890–1945) gegründete Deutsche Arbeitsfront (DAF) durch die Übernahme der Mitglieder der zerschlagenen demokratischen Gewerkschaften und die Zwangsmitgliedschaft der Arbeitnehmer in der neuen NS-Organisation rasch zu einer Massenorganisation an (1939 insgesamt 25,3 Millionen) und verfügte über Zehntausende von haupt- und ehrenamtlichen Funktionären (1939: 44500). Entsprechend versuchte Ley, die Kompetenzen der DAF auszuweiten. Mußte sich die DAF anfänglich auf die bloße sozialpolitische Betreuungs- und Propagandaarbeit beschränken, so riß Ley allmählich neue Betätigungsfelder an sich, vor allem im Bereich der Berufserziehung, des Wohnungs- und Siedlungswesens, im Freizeitbereich und Sozialversicherungswesen. Dies geschah immer in dem Bemühen, aus Gründen der Selbstbehauptung und Attraktivität der DAF quasi-gewerkschaftliche Funktionen zu verschaffen. Damit wollte die DAF die traditionelle Praxis der Arbeiterbewegung übernehmen. In ihrem Organisations- und Expansionsdrang war die DAF anfangs noch auf den Widerstand der Privatwirtschaft und des Reichswirtschaftsministeriums bzw. des Arbeitsministeriums gestoßen, die ihre Macht darauf stützen konnten, daß sie beide zunächst unentbehrlich waren. Die Industrie und das Wirtschaftsministerium für die Rüstungspolitik des Regimes, der deutschnationale Reichsarbeitsminister Franz Seldte (1882–1947) als Gegengewicht gegen den mächtigen DAF-Führer Robert Ley. "Selbstverständlich wäre Ley besser als Seldte", notierte Goebbels 1943 als Antwort Hitlers auf seine Kritik an dem schläfrigen Reichsarbeitsminister, "aber der Führer vertritt [...] den Standpunkt, Seldte könne er jederzeit auswechseln, während das bei Ley dann nicht mehr der Fall sei". Darum blieb Seldte im Amt und bildete ein wenn auch schwaches Gegengewicht gegen Ley, der, gestützt auf das große Gewicht und die vollen Kassen seiner Massenorganisation, über eine eigene Hausmacht und über den direkten Zugang zu Hitler verfügte. Verklammerung von Partei und Staat Erfolgreich in ihrer Machteroberung waren einige Gau- und Reichsleiter, die zu ihren Partei- auch entsprechende Staatsämter erreichen konnten: Goebbels als Gauleiter von Berlin und Reichspropagandaleiter der NSDAP erhielt im März 1933 das ersehnte Ministeramt (vgl. Informationen zur politischen Bildung Nr. 251, "Nationalsozialismus I", S. 42). Schließlich konnte er als Präsident der Reichskulturkammer im gesamten kulturpolitischen Bereich auch über die gleichgeschalteten Standesverbände von den Schriftstellern und Theaterleuten bis hin zu den Inhabern von Zeitungskiosken verfügen. Eine ähnliche Machtfülle durch Parallelämter eroberte Walter Darré (1895–1953): Seit 1931 Leiter des (Partei-)Amtes für Agrarpolitik, wurde er 1933 nach dem Rücktritt Alfred Hugenbergs Reichsminister für Ernährung und Landwirtschaft und 1934 als Reichsbauernführer schließlich der Leiter des Reichsnährstandes, der Organisation aller Bauern und Agrarproduzenten zur Lenkung des Agrar- und Ernährungsbereichs. Noch umfangreicher und weiter verzweigt wurde schließlich die Macht- und Ämterfülle von Hermann Göring, der sich bald rühmen konnte, der zweite Mann im Reich Adolf Hitlers zu sein: Seit 1932 Reichstagspräsident, wurde er 1933 kommissarischer preußischer Innenminister und schließlich auch preußischer Ministerpräsident sowie auf Reichsebene Minister ohne Geschäftsbereich in der Regierung Hitler. 1934 wurde er ferner Reichtsluftfahrtminister sowie Reichsforst- und Reichsjägermeister. 1935 wurde Göring offiziell zum Oberbefehlshaber der Luftwaffe ernannt und 1936 zunächst Rohstoff- und Devisenkommissar sowie dann Beauftragter für den Vierjahresplan. Dies brachte ihm de facto die Rolle eines Diktators für die gesamte Wirtschafts- und Arbeitseinsatzpolitik ein, vorbei an dem klassischen Wirtschaftsressort, das weiter bestand. Über die Vereinnahmung der Polizeipräsidien in den Ländern verlief der Aufstieg des Reichsführers SS Heinrich Himmler (1900–1945) bis hin zum Reichsinnenminister (1943) und zur militärischen Funktion des Befehlshabers des Ersatzheeres (1944). Das System der Verklammerung von Partei- und Staatsämtern setzte sich bis auf die Ebene der NS-Ortsgruppenleiter und Bürgermeister hinunter fort. Daß die Eroberung von Staatsämtern nicht unbedingt eine Machtsteigerung innerhalb des Regimes bedeuten mußte, zeigte die Rolle der insgesamt dreißig Gauleiter. Fast alle von ihnen – eine Ausnahme war der radikale Antisemit und Gauleiter in Franken Julius Streicher – durften sich zwar mit staatlichen Ämtern schmücken, wobei einige bald feststellen mußten, daß die Parteifunktion wichtiger als der Ministertitel war. Nur zwei von ihnen – Goebbels und Bernhard Rust (1883–1945) – errangen aber Ministerämter. Nur einige erreichten zusätzlich das Amt eines preußischen Oberpräsidenten bzw. eines bayerischen Landesministers, was ihnen immerhin auf regionaler Ebene eine starke Position sicherte. Umgekehrt hielten sich die Einflußmöglichkeiten derer, die zusätzlich zu Reichsstatthaltern, das heißt zu den unmittelbaren Repräsentanten der Reichsgewalt in den gleichgeschalteten Ländern ernannt worden waren, eher in Grenzen. Das änderte sich erst mit den territorialen Eroberungen des Reiches seit 1938, mit denen sich ein neues zukunftsreiches Betätigungsfeld eröffnete. Gesellschaftliche Kontrolle und Macht verschaffte sich die NSDAP zudem über ihre zahlreichen Gliederungen und angeschlossenen Verbände. Ein ganzes Netzwerk mit einer teilweise ungeregelten Kompetenz legte sich über die Gesellschaft und sicherte den zahlreichen Unterführern immer größeren Einfluß. Baldur von Schirach (1907–1974) beispielsweise, der sich als Führer der HJ (Hitlerjugend) in der Phase der Machtübernahme behauptet hatte und zum Reichsjugendführer ernannt worden war, beanspruchte nun die Kontrolle über den gesamten Erziehungsbereich. Dies rief den Widerstand des ebenfalls nationalsozialistischen Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Rust sowie den des Wirtschaftsministeriums, das die Interessen der gewerblichen Wirtschaft im Lehrlings- und Ausbildungsbereich vertrat, hervor. 1936 hatte es Schirach dann doch erreicht, die HJ zur Staatsjugend zu machen und damit eine Bresche in den staatlichen Erziehungsanspruch des Schulministeriums zu schlagen. QuellentextJugend im NS-Staat Wenn Hitler über Erziehung spricht, fällt zunächst auf, daß er dazu Begriffe benutzt wie "hineinhämmern", "hineinbrennen" oder "heranzüchten". Auch vom "gegebenen Menschenmaterial" ist die Rede. Die Entwicklung der Persönlichkeit des einzelnen als Maxime jeder aufklärerischen Pädagogik wird hier in aller Deutlichkeit abgelehnt. Hitlers Ideal ist vielmehr der widerspruchslos Gehorchende. Ohne Umschweife erklärt er, was ein Jugendlicher können muß: "Er soll lernen, zu schweigen, nicht nur, wenn er mit Recht getadelt wird, sondern soll auch lernen, wenn nötig, Unrecht schweigend zu ertragen." Was Hitler unter "Erziehung" versteht, skizziert er in einem in sich geschlossenen Abschnitt von "Mein Kampf", dem Abschnitt "Erziehungsgrundsätze des völkischen Staates". Die entscheidende Passage lautet: "Der Völkische Staat hat [...] seine gesamte Erziehungsarbeit in erster Linie [...] einzustellen [...] auf das Heranzüchten kerngesunder Körper. Erst in zweiter Linie kommt dann die Ausbildung der geistigen Fähigkeiten. Hier aber wieder an der Spitze die Entwicklung des Charakters, besonders die Förderung der Willens- und Entschlußkraft, verbunden mit der Erziehung zur Verantwortungsfreudigkeit, und erst als letztes die wissenschaftliche Schulung." Das "Heranzüchten kerngesunder Körper" war für Hitler bei den Jungen Erziehung zum Soldaten. Die Mädchen sollten zu Frauen erzogen werden, die "wieder Männer zur Welt zu bringen vermögen". "Charakter und Willensbildung" bezog sich in Hitlers "völkischer Erziehung" nicht auf das Individuum, sondern auf das zentral geführte "völkische Ganze". Dies stellt das Gegenteil einer emanzipatorischen Pädagogik dar, die das individuelle Selbstbewußtsein und das individuelle Verantwortungsbewußtsein der Schülerinnen und Schüler stärken will. Die wissenschaftliche Schulung stand dabei an letzter Stelle. Die Volksschüler, die 90 Prozent der Gesamtschülerzahl darstellten, bekamen selbst Grundwissen nur in grob verkürzter Form vermittelt. Die Verachtung der "Bildung" bei Hitler und der NS-Erziehung fand erst da ihre Grenzen, wo die notwendigen Eliten des NS-Staates auf fundiertes Fachwissen nicht verzichten konnten. [...] Von besonderer Bedeutung ist dabei Hitlers Aussage, daß die Jugendlichen ihr ganzes Leben nicht mehr frei würden, und sein Zusatz, sie seien jedoch glücklich dabei. Die Erzeugung dieses Glücksgefühls, das mit einer völligen Entmündigung der Jugendlichen einherging, war in der Tat ein Schlüssel für den Erfolg bei der Heranzüchtung von Soldaten, die freudig in den Tod gehen sollten. Benjamin Ortmeyer, Schulzeit unterm Hitlerbild, Frankfurt am Main 1996, S. 20 f. Konkurrenz um Kompetenzen Neben den Konkurrenzansprüchen durch die Ämter der NSDAP und Massenorganisationen mit Hoheitsanspruch und Zwangscharakter gab es andere Formen und Techniken der Erosion des an Rechtsnormen gebundenen Staatsapparates vor allem in Gestalt der führerunmittelbaren Sonderverwaltungen, die bald in allen Bereichen der öffentlichen Verwaltung und Daseinsvorsorge geschaffen wurden. Sie hatten ihren Anfang in der scheinbar harmlosen Einrichtung des führerunmittelbaren Amtes des "Generalinspektors für das deutsche Straßenwesen" genommen, mit dem Fritz Todt (1891–1942) in Konkurrenz zum Reichsverkehrsministerium den populären Straßen- und Autobahnbau forcieren sollte. Bald gab es einen "Führer des Reichsarbeitsdienstes". Er war zwar formal als Staatssekretär dem Reichsinnenminister unterstellt, tatsächlich fungierte er aber als selbständiger Leiter einer Pflichtorganisation des Arbeitseinsatzes sowie einer vormilitärischen Ausbildung. Letztere Funktion war typisch für die Verquickung von Staat und Partei, aber auch für die Konkurrenz von Parteieinrichtungen zur Wehrmacht. Sehr rasch entstand von der Organisation der Jugend über die Lenkung der Wirtschaft bis zur Verfügung über die staatliche Polizei durch die Parteiorganisation SS ein dichtes und unübersichtliches Netz von Sonderbevollmächtigten, Reichskommissaren, Generalbevollmächtigten und Beauftragten des Führers, das sich ohne genaue Kompetenzabgrenzung in Konkurrenz zu bestehenden Verwaltungsorganen ausbreitete. Stets waren es Sonderaufgaben, die bald eine organisatorische Eigendynamik rechtfertigten und immer mehr Kompetenzen an sich banden. Als die Bauverwaltung der Reichshauptstadt Berlin Hitlers Vorstellungen über den Ausbau seiner Kapitale nicht energisch genug vorantrieb, schuf er für seinen Privatarchitekten Albert Speer (1905–1981) das Amt des "Generalbauinspektors für die Reichshauptstadt", das Speer fast diktatorische Vollmachten im Bereich der kommunalen Bau- und Verkehrspolitik verlieh. Auf die Widerstände von Reichsbank, Wirtschaftsministerium und Privatwirtschaft gegen eine aller ökonomischen Vernunft zuwider laufende Aufrüstungspolitik reagierte Hitler 1936 mit einer Forcierung der Autarkiepolitik. Sie sollte die rüstungswirtschaftlich wichtigen Bereiche der deutschen Wirtschaft von den Spielregeln der Marktwirtschaft teilweise abkoppeln und von ausländischen Zulieferungen unabhängig machen. Hitler beauftragte Hermann Göring mit der Durchführung des Vierjahresplanes, einer Art Kommandowirtschaft zur Steuerung von so wichtigen Bereichen wie der Rohstoff-, Arbeitskräfte- und Devisenbeschaffung, der Eisenerzförderung sowie der Produktion von synthetischen Ersatzstoffen. Göring machte aus dem Auftrag quasi ein Überministerium, das quer zu allen anderen Institutionen weite Teile der Wirtschaft steuern konnte und diese kriegsfähig machen sollte. Eine schwierige Aufgabe, so Hitlers Konzept, bedürfe vor allem des richtigen Mannes an der richtigen Stelle, der mit umfassenden Sondervollmachten, eher durch seinen Machtwillen und -ehrgeiz als durch Sachkompetenz ausgezeichnet, sich in einem Konkurrenzkampf mit der staatlichen Verwaltung durchsetzen mußte und zugleich auch im Wettlauf um die Gunst des "Führers" zu überzeugen hatte. Wie weit die Zersetzung der staatlichen Verwaltungskompetenzen schon fortgeschritten war und welche Radikalisierungen eine solche Entgrenzung von Staat und Partei mit sich bringen konnte, zeigte die Ernennung Himmlers zum "Reichskommissar für die Festigung des deutschen Volkstums" am 7. Oktober 1939. Damit wurde dem Reichsführer SS die Zuständigkeit für die brutale Germanisierungs- und Umsetzungspolitik in Osteuropa mit allen Vollmachten bis hin zur gewaltsamen Deportation von Juden und Polen sowie zur Umsiedlung Volksdeutscher übertragen. Die Einrichtung dieser Behörde, die von Himmler selbstherrlich ausgebaut wurde, gründete sich auf einen geheimen Führererlaß, der nur den "obersten Reichsbehörden" bekannt war, nicht aber der allgemeinen Verwaltung. Daß dies einen Bruch mit jeder Rechtsbindung von Verwaltung bedeutete, bestätigte zwar das Reichsverwaltungsgericht, doch an dem Verwaltungschaos und vor allem an der Vernichtungspolitik per Führererlaß änderte das nichts. Daran war deutlich geworden, wie sich die Durchsetzung nationalsozialistischer Herrschaftsziele durch die Einrichtung konkurrierender und führerunmittelbarer Ämter beschleunigen ließ, ohne die Existenz klassischer Ressorts aufzuheben. Sie verloren "nur" ihre zentrale Zuständigkeit, arbeiteten aber weiter und erweckten ein Bild scheinbarer Normalität, obwohl der auf Sondervollmachten beruhende NS-Staat, der sich nicht an die Regeln des Verwaltungsrechtes gebunden fühlte, mit seinem Schlingenwerk sie schon längst eingeschnürt und entmündigt hatte. Was die Männer in diesen neuen, sekundären Parteibürokratien zu ihrem Handeln antrieb, war der Wunsch nach Beschäftigung und Aufstieg, nach materieller Sicherung und sozialer Anerkennung bzw. Einfluß, gepaart mit Anpassungsbereitschaft und einem Bedürfnis nach Organisation und Technokratie. Nicht wenige von ihnen verstanden sich aber auch als Vertreter der völkisch-nationalsozialistischen Ideologie, die sie in die Praxis umsetzen wollten. Soziale Kontrolle durch die NSDAP Durch den gewaltigen Zustrom von Mitgliedern und ihre organisatorische Expansion war die NS-Bewegung im Alltag der deutschen Gesellschaft fast überall präsent. Die Mitgliederzahl hatte sich allein zwischen Januar und März 1933 verdreifacht, und insgesamt stieg sie bis 1935 von fast 850000 auf mindestens zweieinhalb Millionen an, um sich dann bis zum Kriegsbeginn auf über fünf Millionen zu erhöhen. Ähnliche dramatische Steigerungen erlebte die SA, die von 450000 Mitgliedern Anfang 1933 auf beinahe drei Millionen zum Zeitpunkt der Röhm-Affäre anstieg, um dann nach ihrem politischen Bedeutungsverlust bis 1938 wieder auf 1,2 Millionen zu schrumpfen. Auch andere Parteigliederungen und angeschlossene Verbände expandierten gewaltig, oft durch verdeckte oder offene Formen des Zwanges herbeigeführt. Damit vermochte die NSDAP ihrem neuen Ziel der sozialen Kontrolle und Indoktrinierung gerecht zu werden, nachdem sie mit der erfolgreichen Machtübernahme 1933/34 ihre ursprüngliche Aufgabe erreicht hatte. Zwar war die NSDAP damit in viele Teilherrschaften zerfallen, aber ihre Möglichkeiten der Kontrolle und der Mobilisierung reichten fast bis in jeden Winkel des Reiches. Zudem bot sie für Hunderttausende, von deren Engagement sie getragen war, Arbeit und Brot und vor allem ein Maß an sozialer Anerkennung und Macht, wovon viele vorher nur geträumt hatten. 1937 war die Zahl der Politischen Leiter schon auf 700000 angestiegen, ohne die Funktionäre der Nebenorganisationen mitzurechnen. Im Krieg lag die Zahl des Führungskorps bei zwei Millionen. Die Tendenz zur Ausweitung des Dienstleistungssektors erhielt mit dem NS-Regime einen gewaltigen Schub und mit ihr die materielle Besserstellung der Bediensteten, vor allem im Bereich der Parteibürokratie, die mit vergleichsweise hohen Gehältern und einem dreizehnten Monatsgehalt lockte. Die Kreis- und Ortsgruppen mit ihren Block- und Zellenwarten konnten, und das gab vielen von ihnen eine besondere Form der Befriedigung, bis in das Leben des einzelnen Mitmenschen hineinwirken. Die NSDAP hatte beispielsweise politische Leumundszeugnisse für Beamte auszustellen, die befördert werden wollten. Für Anwärter des öffentlichen Dienstes sowie für Personen, die soziale Unterstützung und Ausbildungshilfen beantragten, war ebenfalls das Votum der Ortsgruppe entscheidend. Auch Gewerbegründungen und Empfehlungen für die Stellung als "UK" (unabkömmlich), die vom Kriegsdienst befreite, bedurften der Befürwortung der Partei. Der Blockleiter hatte nicht nur die Mitgliedsbeiträge für die Partei und die "NSV" (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) einzusammeln, sondern trieb mit seinen Helfern bis hin zu den HJ-Pimpfen auch die Spenden für das Winterhilfswerk, das nationalsozialistische Unterstützungswerk für Bedürftige, und die Beiträge für die Eintopfsonntage ein, die die Solidarität mit den ärmeren "Volksgenossen" durch Verzicht auf üppigere Mahlzeiten demonstrieren sollten. Zu Beginn des Krieges wurde den Orts- und Kreisgruppenleitern schließlich die Verteilung der Lebensmittel- und Kleiderkarten im Rahmen der Zwangsbewirtschaftung übertragen. Diese Aufgaben boten nicht wenigen kleinen Parteigenossen die Chance zur symbolischen Statuserhöhung und auch zur Schikane durch die Autorität der Parteiuniform. Aufstieg der SS Die Entwicklung der kleinen Schutzstaffel (SS) von einer ursprünglichen Unterabteilung der SA zur mächtigsten Gliederung des Nationalsozialismus und zum alles beherrschenden "SS-Staat" war weder vorhersehbar noch bloßer Zufall. Im Aufstieg der SS fanden die Herrschaftsformen und -ziele des Nationalsozialismus ihren deutlichsten organisatorischen Niederschlag. Die SS war sowohl die reinste Verkörperung der nationalsozialistischen Konzeption einer Weltanschauungsorganisation als auch das vollkommene Instrument der Führergewalt. Zunächst hatte es so ausgesehen, als sollte der Reichsführer SS Heinrich Himmler mit seiner kleinen Elitegruppe von 56000 "Parteisoldaten" bei der Verteilung von Ämtern und Machtpositionen im Frühjahr 1933 leer ausgehen. Himmler wurde am 9. März 1933 lediglich kommissarischer Polizeipräsident von München und erhielt von dort dann Zugriff auf die politische Polizei in Bayern. Die wichtigste Position bei der Polizei in der Reichshauptstadt und in Preußen hatte schon Göring okkupiert. Zur Machtrivalität der beiden kam ein konzeptioneller Gegensatz. Während Göring mit dem Geheimen Staatspolizeiamt eine organisatorisch von der übrigen Polizei getrennte, aber innerhalb der staatlichen Verwaltung verbleibende politische Polizeieinheit aufbauen wollte, strebte Himmler von Anfang an eine aus dem allgemeinen Polizeiapparat herausgelöste und jeder politisch-administrativen Kontrolle entzogene politische Polizeitruppe an, bei der die gesamte politische Überwachung konzentriert und die Verfolgungsmaßnahmen institutionalisiert werden sollten. Das entsprach Entstehung und Selbstverständnis der SS, die als "Stabswache" zwischen 1923 und 1925 begründet bzw. als Schutzstaffel umorganisiert worden war. 1929 war sie dann von dem zierlich und schüchtern wirkenden Heinrich Himmler, einem gelernten Diplomlandwirt und Tierzüchter als Reichsführer SS übernommen und zu einer ordensähnlichen Organisation ausgebaut worden. Der Aufbau des elitären, führerunmittelbaren Ordens, dessen Personalauswahl nicht nach den Kriterien von Besitz, Bildung oder Herkunft, sondern von Rasse und Weltanschauung erfolgte, entsprang Himmlers rassenbiologischen Vorstellungen sowie seinem Bedürfnis nach einer möglichst engen Bindung an seine neue Vaterfigur Hitler. Zugleich betrieb der Auslesefanatiker und Bürokrat die Errichtung einer Parteipolizei, die er mit dem Aufbau des Sicherheitsdienstes (SD) 1931 als Nachrichten- und Überwachungsorgan der Partei unter Reinhard Heydrich (1904–1942) vorbereitete. Schon früh hatte Himmler mit der Ausdifferenzierung der SS begonnen. Am 17. März 1933 wurde die "Leibstandarte-SS Adolf Hitler" unter Sepp Dietrich (1892–1966) gebildet, bald darauf die "Politischen Bereitschaften", die im Herbst 1934 nach der Niederschlagung der SA zur "SS-Verfügungstruppe" umgebildet wurden und den Kern der späteren "Waffen-SS" bildeten. Eine weitere Säule des SS-Imperiums war mit den Wachmannschaften der Konzentrationslager, den SS-Totenkopfverbänden, entstanden, die ihren Ausgang im Konzentrationslager Dachau genommen hatten. Am 30. Juni 1934 hatte die SS die Alleinzuständigkeit für sämtliche Konzentrationslager erhalten, die bis dahin noch vielfach unter SA-Kontrolle gestanden hatten. Mit der Ernennung von Theodor Eicke (1892–1943), bisher Lagerkommandant von Dachau, zum "Inspekteur der Konzentrationslager und Führer der SS-Wachverbände", war die Voraussetzung für die Vereinheitlichung und Systematisierung des außerstaatlichen Terrorsystems geschaffen. Damit übertraf Himmler den entscheidenden Etappenerfolg, den er bei der Kontrolle über die politische Polizei in den Ländern bereits bis zum Frühjahr 1934 in den nichtpreußischen Ländern errungen hatte. Am 20. April 1934 ernannte Göring Himmler auch zum Inspekteur der Preußischen Geheimen Staatspolizei und machte den Reichsführer SS, den er als Verbündeten im inneren Machtkampf suchte, damit zum Herren über die gesamte politische Polizei des Reiches. Wie bei der Übernahme der Polizeigewalt in den übrigen Ländern folgte auch im April 1934 der seinem Chef intellektuell überlegene Heydrich als neuer Leiter des Geheimen Staatspolizeiamtes nach. Er betrieb als Organisator des Terrors die schrittweise Verschmelzung von Gegnerermittlung durch den parteieigenen Sicherheitsdienst mit der Gegnerbekämpfung durch die staatliche Politische Partei. Das Gestapogesetz von 1936 entzog deren Tätigkeit nicht nur jeder richterlichen Nachprüfung, sondern schrieb auch ihre Herauslösung aus der allgemeinen Verwaltung fest. SS-Staat Mit diesen einzelnen Schritten war der SS-Staat vorgezeichnet, es fehlte noch Himmlers Zugriff auf die allgemeine Polizei, das heißt auf Schutzpolizei, Gendarmerie und Kriminalpolizei. Das vollzog sich mit der Ernennung von Himmler zum "Reichsführer-SS und Chef der deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern" am 17. Juni 1936. Damit wurde einerseits in Abkehr der vormaligen Länderzuständigkeiten die Zentralisierung der Polizei auf Reichsebene abgeschlossen, andererseits die Polizei endgültig durch die SS vereinnahmt. In der eigentümlichen Amtsbezeichnung Himmlers kam sowohl diese Vereinnahmung zum Ausdruck als auch die weitere Ausdehnung der Kompetenzen von Himmler und seiner SS gegenüber der staatlichen Verwaltung (und bald auch der Wehrmacht). Denn als Staatssekretär im Reichsinnenministerium unterstand Himmler zwar "persönlich und unmittelbar" dem Innenminister, als Reichsführer SS unterstand er jedoch nur dem "Führer". Diese führerunmittelbare Stellung wog allemal schwerer als die Unterstellung als Polizeichef und Staatssekretär unter einen Minister, der zwar auch alter Nationalsozialist war, jedoch über keine Hausmacht verfügte. Himmler war zu diesem Zeitpunkt schon stark genug, daß er nicht mehr ein eigenes staatliches Büro als "Chef der deutschen Polizei im Innenministerium" unterhalten mußte. Vielmehr besorgte diese Aufgabe ein Amt innerhalb der SS-Zentrale. Damit wurde die Polizei aus dem Verwaltungsstaat herausgelöst. Diesem entscheidenden Schritt ließ Himmler rasch eine organisatorische Umstrukturierung des gesamten SS-Komplexes folgen, die eine Vielzahl neuer, sich ständig umorganisierender Ämter schuf, die sich "wie eine riesige Krake mit ihren institutionellen Fangarmen in alle Bereiche von Staat, Gesellschaft und Partei hineinfraß" (Bernd Jürgen Wendt). Die Polizei wurde in zwei Hauptämter eingeteilt: die Ordnungspolizei (Schutzpolizei, Gendarmerie) unter SS-Obergruppenführer und Polizeigeneral Kurt Daluege, und die Sicherheitspolizei (Politische Polizei, Kriminalpolizei und Grenzpolizei) unter SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich, der in Personalunion auch weiterhin Chef des Sicherheitsdienstes (SD) blieb. Der Prozeß der Verschmelzung von staatlichen Ämtern und Parteiapparaten kam zum Abschluß, als am 27. September 1939 die zentralen Ämter der Sicherheitspolizei und des parteieigenen SD zum Reichssicherheitshauptamt (RSHA) zusammengefaßt wurden. Zur stärkeren Integration der verschiedenen Ämter, die mittlerweile entstanden waren, wurde bereits im November 1937 in jedem Wehrkreis, der zugleich einem SS-Oberabschnitt entsprach, ein "Höherer SS- und Polizeiführer" (HSSPF) eingesetzt, der im Mobilmachungsfall die gesamte SS-Polizeimacht in Konkurrenz zur Wehrmacht koordinieren und führen sollte. Mit dem Beginn der kriegerischen Eroberungspolitik sollten die HSSPF eine erweiterte Kompetenz bei der Etablierung der nationalsozialistischen Besatzungsherrschaft und insbesondere bei den "rassischen Säuberungen" im Osten übernehmen. Als "weltanschaulicher Stoßtrupp und Schutzstaffel der Ideen des Führers", wie Heydrich bereits 1935 die Konzeption der SS beschrieben hatte, sollte sie eine Einrichtung sein, die "den politischen Zustand des deutschen Volkskörpers sorgfältig überwacht, jedes Krankheitssymptom rechtzeitig erkennt und die Zerstörungskeime feststellt und mit jedem Mittel beseitigt". Diese Gegnerbekämpfung müsse mit technisch-polizeilichen und mit geistigen Mitteln "an allen Fronten" geführt werden. Denn, so formulierte Himmler die ideologische Angst des Nationalsozialismus, die nächsten Jahrzehnte würden "den Vernichtungskampf der [...] untermenschlichen Gegner und der gesamten Welt gegen Deutschland" bringen. Der Geschäftsverteilungsplan der Sicherheitspolizei stellt ein bürokratisches Dokument der globalen ideologischen Feindschaft des Nationalsozialismus dar. In den einzelnen Ämtern sollten "Kommunismus, Marxismus und Nebenorganisationen, Reaktion, Opposition, Legitimismus, Liberalismus", ferner der "politische Katholizismus, der politische Protestantismus, Sekten, sonstige Kirchen und Freimaurerei" überwacht und bekämpft werden. Für "Judenangelegenheiten" war beispielsweise das Referat IV B 4 "Politische Kirchen, Sekten und Juden" zuständig, Referatsleiter war SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann (1906–1962). Gruppe IV C bearbeitete Schutzhaftangelegenheiten, Gruppe IV D ausländische Arbeiter, staatsfeindliche Ausländer und Emigranten. Eng verbunden mit der Gegnerbekämpfung war Amt VII "Weltanschauliche Forschung und Auswertung", gewissermaßen das wissenschaftliche Pendant, das aus dem SD übernommen wurde. Die lückenlose Diagnose war in diesem totalitären Kontrollkonzept Voraussetzung dafür, daß die nach Meinung der NS-Ideologen eigentliche Aufgabe der SS, das deutsche Volk zu schützen und durch Auslesepolitik zu "heilen", erfüllt würde. Das war auch Aufgabe von Heydrichs SD, der seit 1937 regelmäßig Berichte über Lage und Stimmung der Bevölkerung erstellen ließ, um das Regime durch eine Art von "geheimem Meinungsforschungsinstitut" dauerhaft zu sichern. Alles, was an Organisations- und Kommunikationstechniken aufzubieten war, nutzte die SS. Die SS war die widersprüchlichste und merkwürdigste Synthese des Uralten und der Moderne. Als eine Verfolgungs- und Vernichtungsmaschinerie bediente sie sich für damalige Verhältnisse moderner Methoden. Das stand freilich in einem eigentümlichen Gegensatz zu den archaischen Leitbildern von Blut und Boden und der antimodernen Ordensmystik der SS, die sich in verfallenen Burgen die Weihestätten für ihren Ahnen- und Totenkult errichtete. Heinrich Himmler verkörperte in seiner Person die Gegensätze, Widersprüche und damit Abgründe, die sich in einem Menschen auftun können. Der penible Bürokrat und Herr über einen gewaltigen Verfolgungs- und Vernichtungsapparat konnte seinen SS-Männern in Vernichtungs- und Konzentrationslagern rücksichtslose Härte predigen und sich gleichzeitig um den Frieden des Waldes oder die Reinheit der Nahrungsmittel sorgen. Darum lehnte er die Jagd ab und ängstigte sich vor den tödlichen Wirkungen der modernen Zivilisation. Was jedoch den wegen ihrer Uniformen so genannten schwarzen Orden der SS gesellschaftsfähig machte, waren nicht solche mystischen Elemente, sondern der Anspruch, eine neue Elite zu bilden. Nicht nur, daß Himmler freigiebig die Würde eines SS-Ehrenführers an Minister, Ministerialbeamte und Wirtschaftsführer vergab (um die Reputation der SS zu steigern und den eigenen Einfluß bis in das Auswärtige Amt auszudehnen) oder daß er elitäre Reitervereine in seine Reiter-SS übernahm. Es gab überdies einen auffälligen Zustrom namhafter Vertreter der Aristokratie bereits vor 1933, der sich danach verstärkte. 18,7 Prozent der SS-Obergruppenführer, 9,8 Prozent der SS-Gruppenführer, 14,3 Prozent der SS-Brigadeführer waren Adelige, die von der SS und ihrem ausgeklügelten System der Hierarchie und elitären Rituale die Wiederherstellung von traditionellen Wert- und Sozialmustern erwarteten. Dazu kamen die Söhne des Bürgertums, verabschiedete Reichswehroffiziere, arbeitslose Akademiker, in der Regel mit juristischer Qualifikation, Freiberufler ohne Existenzgrundlage, die im Polizeidienst oder im Reichssicherheitshauptamt auf eine schnelle Karriere hofften. Sie waren fast alle Männer der Altersgruppen, die sich geprägt vom Kriegserlebnis der Jahre 1914 bis 1918 und dem materiellen Elend der Nachkriegszeit als "verlorene Frontgeneration" bezeichneten. Darunter waren Intellektuelle, von denen einige von der Gefühls- und Ideenwelt der deutschen Jugendbewegung beeinflußt waren und die nun vorwiegend über den SD in das RSHA kamen. Sie waren nicht nur juristisch ausgebildete Technokraten der Macht, sondern zu einem großen Teil auch Ideologen, die in Abgrenzung zur bürgerlich-liberalen Gesellschaft und scharfer Gegnerschaft zu sozialistischen Gesellschaftsentwürfen eine neue Weltanschauungselite gründen wollten und ihr Ziel in der Bekämpfung aller "Fremdvölkischen" bzw. in der Neuordnung Europas nach "biologisch-völkischen" Kriterien sahen. Instrumentalisierung von Recht und Justiz Der Ausschaltung und Vernichtung des inneren Feindes hatten nach der nationalsozialistischen Gewaltideologie auch Recht und Justiz zu dienen. Die Instrumentalisierung der Justiz zu politischen Zwecken ist zwar autoritären Verfassungssystemen nicht fremd, doch unterschieden sich davon Aushöhlung und Politisierung der Justiz im Dritten Reich fundamental vor allem durch Ausmaß und Methoden, die zu einer tendenziell unbegrenzten Ausweitung von Willkür und Rechtlosigkeit führten. Durchlöchert und zerstört wurde die Rechtsordnung auf mehreren Wegen: Durch die Verletzung wichtiger Rechtsprinzipien und -garantien sowie durch zahlreiche rassenideologisch bestimmte gesetzliche Einzelregelungen wie etwa die Einführung des sogenannten Arierparagraphen in verschiedene Gesetze; die Entwicklung des Strafvollzugs und insbesondere der Schutzhaft, die präventiv und als willkürliche Freiheitsberaubung angeordnet werden konnte und zum Inbegriff der politischen Gegnerbekämpfung unter der nationalsozialistischen Herrschaft wurde; die Gleichschaltung der Justiz und die Aushöhlung der Unabhängigkeit der Richter; ferner die umfassende Änderung der Gerichtsverfassung. Bei der Zerstörung der Rechtsstaatlichkeit gingen autoritäre Ordnungswünsche und Anpassungsbereitschaft auf Seiten der konservativen Justiz, die die langwierigen Rechtssprechungsverfahren der Weimarer Republik abschaffen wollte, mit Täuschungsmanövern und Gewalt durch die nationalsozialistischen Machthaber Hand in Hand. Auch wenn die Nationalsozialisten zunächst hinter der Fassade des scheinbar Vertrauten und mit propagandistischen Leerformeln agierten, überraschten doch das Tempo und die Zielstrebigkeit, mit denen der Rechtsstaat schon in den Jahren 1933/34 außer Kraft gesetzt wurde (vgl. Informationen zur politischen Bildung Nr. 251, "Nationalsozialismus I", S. 36 ff.). Weil sie nicht aus der Strafpraxis verdrängt werden wollte, willigte die konservative Justiz ein, daß nach dem Brand des Reichstags einer der fundamentalsten Rechtsgrundsätze "nulla poena sine lege" (keine Strafe ohne Gesetz) aufgehoben und mit einer "Lex van der Lubbe" (nach dem als Brandstifter verurteilten Holländer Marinus van der Lubbe) auch rückwirkend für Brandstiftung die Todesstrafe verhängt werden konnte. Bald wurden Vorgänge für strafbar erklärt, nur weil sie gegen das "gesunde Volksempfinden" verstießen, auch wenn es dafür keine Strafbestimmungen gab. Auch die Einrichtung von Sondergerichten war eine Vorgabe des Justizministeriums, um der wachsenden nationalsozialistischen Kritik am Justizwesen zu begegnen. Die Sondergerichte wurden bei allen Oberlandesgerichten eingerichtet, gegen ihre Urteile gab es keine weiteren Rechtsmittel mehr. Hier führte eine erhebliche Verkürzung der Verfahren bis hin zu regelrechten Schnellverfahren zu einschneidenden Minderungen der Rechte der Angeklagten. Recht und Justiz dienten dem Regime nicht nur zur Ausschaltung der politischen Gegner und zur Herrschaftssicherung, sondern wurden auch zu Instrumenten der Rassenpolitik und Judenverfolgung. Das begann mit dem "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7. April 1933. Es verfügte nicht nur die Entlassung von Beamten, die Mitglieder demokratischer Parteien waren, sondern grenzte auch Juden (vorerst noch mit Ausnahme der Frontkämpfer des Ersten Weltkrieges) aus. Damit hatte zum ersten Mal ein rassenideologisches Element – mit Zustimmung auch der deutschnationalen Regierungspartner – Einzug in ein Reichsgesetz gefunden. Es folgten Verschärfungen der Strafbestimmungen wie etwa gegen "gefährliche Gewohnheitsverbrecher" sowie die Verfügung, Menschen mit erblichen Krankheiten unfruchtbar zu machen. Aufgabe rechtsstaatlicher Prinzipien Auch für die Strafgesetzgebung galt, was in anderen Bereichen von Staat und Gesellschaft zu beobachten war. Die Nationalsozialisten besaßen keine eigene Rechtstheorie, wohl aber eine grundsätzliche und dumpfe Feindschaft gegen alle Prinzipien des Rechtsstaates. Sie wurden von ihnen als "liberalistisch" denunziert und mit den sehr vagen ideologischen Formeln vom "gesunden Volksempfinden" oder "Recht ist, was dem Volke nützt" kontrastiert bzw. aufgehoben. Damit ließ sich kein verläßliches Rechtsgebäude begründen, sondern es entstand eine verworrene Situation, die die Rechtsunsicherheit beförderte. Es gab ein Nebeneinander einer politisierten Strafgesetzgebung, die rechtsstaatliche Normen außer Kraft setzte und einer autoritären Rechtspraxis gegen Andersdenkende. Es gab aber andererseits auch Bereiche, in denen herkömmliche Grundsätze des bürgerlichen Rechtes weiter die alltägliche Arbeit der Gerichte bestimmten. Vor allem im Zivilrecht herrschte weiterhin der Schein von Normalität und Kontinuität. In Strafverfahren praktizierten die Gerichte, vor allem wenn die Beschuldigten Angehörige der politischen Linken oder Juden waren, eine harte Rechtssprechung, die den politischen Erwartungen des Regimes und auch den eigenen politisch-ideologischen Vorurteilen entsprach. Das galt besonders für die zahlreichen Hochverratsverfahren, die in den dreißiger Jahren an Oberlandesgerichten und am Volksgerichtshof gegen Angehörige der KPD und der SPD stattfanden. In der Regel wurden die gesetzlichen Bestimmungen von den Gerichten sehr weit ausgelegt und damit Delikte wie das Abhören von Radio Moskau oder die Weitergabe antinationalsozialistischer Schriften als Vorbereitung zum Hochverrat bewertet. Rund 16000 Todesurteile sind auf diese Art und Weise bis Ende 1944 von der Justiz verhängt worden. Auch waren die Gerichte bereit, der Gestapo in ihren Verfolgungs- und Verhörpraktiken gegen angebliche "Staatsfeinde" größte Freiheiten einzuräumen. Sie dienten damit schon vor der Verkündung des Gestapogesetzes vom 10. Februar 1936, mit dem staatspolizeiliche Aktivitäten der gerichtlichen Nachprüfung entzogen wurden, der Willkür und nicht etwa dem Rechtsschutz. Daß diese Anpassungsbereitschaft auch von autoritären bzw. sozial-reaktionären Vorurteilen und Einstellungen der Gerichte mitbestimmt wurde, zeigt die Tatsache, daß diese Praxis vor allem gegenüber Mitgliedern und Sympathisanten der Linksparteien, generell auch gegenüber Angehörigen von Unterschichten, Randgruppen und religiösen Minderheiten sowie Freikirchen üblich war. Sie war weniger ausgeprägt gegenüber bürgerlich-konservativen Angeklagten, zu denen die Richter eine größere soziale Nähe und Verbundenheit empfanden. Unsicherheit in der Rechtslage und eine von Vorurteilen bestimmte Anpassungsbereitschaft prägten vielfach auch das Verhalten von Gerichten in der Frage des sogenannten "Rasserechts", wann immer es um Eheprobleme zwischen Juden und Nichtjuden oder nur um das Wohn- und Arbeitsrecht von Juden ging. Noch vor dem berüchtigten Nürnberger "Blutschutzgesetz" (Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre) von 1935 (siehe auch Seite 15) gab es Fälle, in denen Gerichte die Gesetzgeber an "rassepolitischem Eifer" (Ralph Angermund) überbieten wollten. Es verwundert daher nicht, daß die Nürnberger Gesetze dann auch von den Gerichten in einer sehr weiten Auslegungspraxis angewandt wurden. Zerfall individuellen Rechtsschutzes Mit dem Gestapogesetz von 1936, das staatspolizeiliche Aktionen grundsätzlich der richterlichen Nachprüfung entzog, war der größte Schritt zum permanenten Ausnahmezustand getan. Als der Gestapo per Gesetz zugestanden wurde, was sie vorher schon längst praktiziert hatte, zerfiel der Rechtsschutz des Individuums vollständig. Nun konnte die Gestapo selbst entscheiden, welcher Tatbestand als politisch galt und wer als gefährlicher Staatsfeind zu verfolgen war. Die Justiz mußte trotz ihrer Anpassungsbereitschaft nun verstärkt den Druck und immer neue Eingriffe durch Himmlers Polizei hinnehmen. Oft wurden Urteile der Justiz dadurch "korrigiert", daß man die "Staatsfeinde" noch im Gerichtssaal verhaftete oder nach der Justizhaft in ein KZ verschleppte. Roland Freisler (1893–1945), Staatssekretär im Justizministerium, rügte die Oberlandesgerichtspräsidenten immer häufiger ob der milden Strafpraxis. Der spätere Präsident des Volksgerichtshofes drohte für den Fall weiteren "Versagens" mit einer "Polizeijustiz", die an die Stelle der bisherigen Justiz treten könnte. Wollte sich die Justiz nicht ständig dieser Vorhaltung und damit der Gefahr einer weiteren Ausschaltung aussetzen, blieb ihr, nachdem sie einmal selbst den Weg der Aushöhlung und Politisierung von Recht und Justiz eingeschlagen hatte, nur die weitere Anpassung und Kapitulation. Mit Beginn des Krieges im September 1939 sollte sich dieser Weg in die Willkür und die Umwertung aller bisherigen Werte der Rechtssprechung noch beschleunigen. Neue Straftatbestände von der sogenannten "Volksschädlingsverordnung", die die Plünderung und "Ausnutzung der Kriegsumstände" unter schwerste Strafe stellte, bis zur Kriegswirtschaftsverordnung, die das Horten von Lebensmitteln und die Schwarzschlachtung seitens der Bauern ahnden sollte, wurden zum "Schutz der Wirtschaft" eingeführt; ferner wurde die Zuständigkeit der Sondergerichte erheblich erweitert. Damit konnten Straftatbestände wie Diebstähle aus Metallsammlungen oder das Horten von Lebensmitteln sowie der Umgang mit Kriegsgefangenen mit hohen Gefängnis- oder Zuchthausstrafen, teilweise sogar auch mit Todesstrafe geahndet werden. Entrechtung und Verfolgung der Juden Die Durchsetzung der rassenpolitischen Ziele folgte demselben Muster wie die übrige Radikalisierung der Politik und des Rechts. Sie war eingebunden in den polykratischen Entscheidungsprozeß und verlief nach den üblichen Techniken der Propagandaaktionen der Partei von unten und den staatlich-gesetzlichen Sanktionierungen des Terrors von oben. Das zeigen alle drei gegen die deutschen Juden gerichteten einschneidenden Verfolgungs- und Ausgrenzungsakte: die Entlassung jüdischer Beamter im April 1933, die Ausgrenzung der Juden zu einer Gruppe minderen Rechtes durch die Nürnberger Gesetze 1935 und schließlich die Verdrängung der Juden aus der deutschen Wirtschaft 1938. Zugleich deuten diese Daten an, daß der Prozeß der Radikalisierung rassistischer Politik sich stufenförmig vollzog und daß er mit der völligen Ausgrenzung der jüdischen Mitbürger und den Pogromen vom November 1938 noch nicht an sein Ende gekommen war. Denn einerseits war die Radikalisierung der Rassenpolitik im "Denkansatz des Rassismus angelegt" (Hans Walter Schmuhl). Sie zielte darum über die Ausgrenzung hinaus als letztes Mittel auf die Vernichtung der als "rassisch minderwertig" und als "innerer Feind des Volkskörpers" stigmatisierten Minderheiten. Andererseits lag es in der polykratischen Struktur des NS-Regimes begründet, daß im ständigen und ungeregelten Wettbewerb einzelner Machtgruppen sich innerhalb des Regimes Herrschaftsträger fanden, die im Namen der rassistischen Ideologie jeweils Vorkämpfer einer neuen Aktion waren. Dabei stand die Verfolgung und Vernichtung der Juden im Zentrum der nationalsozialistischen Genozidpolitik; sie war aber nicht das einzige Element. Es war begleitet von einer Ausgrenzung und Vernichtungspolitik gegen psychisch Kranke, gegen geistig und körperliche Behinderte, gegen "Asoziale" und Homosexuelle sowie gegen Sinti und Roma, die alle als "Gemeinschaftsfremde" stigmatisiert wurden. Antisemitismus als Staatsdoktrin Am 30. Januar 1933 kam mit Hitler zum ersten Mal in der modernen Geschichte ein Regierungschef an die Macht, bei dem der Rassenantisemitismus zum Kern seiner Weltanschauung gehörte. Wie sich bald zeigen sollte, wurde damit der Antisemitismus zur offiziellen Staatsdoktrin. Mit dem "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" von 1933, das das Gegenteil von dem bezweckte, was es vortäuschte, wurden alle Beamten jüdischer Herkunft – vorerst noch mit Ausnahme der Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs – aus dem öffentlichen Dienst entlassen. Bald wurde dieser "Arierparagraph" auf berufsständische Vereinigungen, unter anderem Rechtsanwälte, Kassenärzte, Zahnärzte, Steuerberater und andere gesellschaftliche Organisationen übertragen. Damit war aber nur das Tor für weitere gesetzliche Bestimmungen geöffnet. Das "Gesetz gegen die Überfüllung von deutschen Schulen und Hochschulen" vom 25. April 1933 begrenzte die Neuzulassung jüdischer Schüler und Studenten auf 1,5 Prozent. Für die gebildeten deutschen Juden, die sich zunächst nicht hatten vorstellen können, daß in einem kulturell und industriell hochentwickelten Land wie Deutschland ihre bürgerlichen Rechte und ihre wirtschaftliche Existenz von einer Regierung zerstört werden könnten, lösten die Vorgänge im April 1933 ein erstes tiefes Erschrecken aus, dem dann die Einigung der verschiedenen politischen Richtungen innerhalb des deutschen Judentums unter einem Dachverband und die Errichtung verschiedener jüdischer Selbsthilfeorganisationen im sozialen und kulturellen Bereich folgte. Auch wenn das Jahr 1934 durch die innenpolitische Krise im Zusammenhang mit der Röhm-Affäre und auch durch außenpolitische Rücksichtnahmen eine gewisse Atempause brachte, hörte die rassistische Agitation nicht auf. Parallel zu der Ausgrenzung und Verfolgung der deutschen Juden begann die staatliche Zwangspolitik gegen geistig Behinderte, die im Naziorgan als "Erbkranke" entwürdigt und zwangssterilisiert wurden. Betroffen waren Personen, die an angeborenem Schwachsinn, Schizophrenie und anderen Erbkrankheiten litten. Unter dem Beifall nicht weniger Fachleute wollte das Regime damit eine Hebung der "Volksgesundheit unserer Rasse" und einen Rückgang der Pflegekosten in den Behindertenanstalten erreichen. Das Jahr 1935 brachte einen weiteren Schub in der Ausgrenzungs- und Verfolgungspolitik, und zwar wieder in der charakteristischen Doppelstrategie von Provokation und Aktion durch einzelne Parteigliederungen einerseits und durch eine gesetzgeberische Scheinlegalisierung andererseits. Seit Mitte 1934 hatte der rassenpolitische Fanatiker Julius Streicher überall im Reich Schaukästen aufstellen lassen, in denen sein antisemitisches Hetzblatt "Der Stürmer" ausgehängt wurde. Im Frühjahr 1935 steigerte er seine Aktivitäten und forderte, die Juden unter "Fremdenherrschaft" zu stellen, das heißt ihnen ihre Grundrechte zu entziehen. Zum gleichen Zeitpunkt 1935 kam es zu judenfeindlichen Aktionen, die an die Boykotte gegen jüdische Geschäfte im April 1933 erinnerten. Zusätzlich wurde die Forderung laut, die Eheschließung zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Personen zu untersagen. Verbot von "Mischehen" Wie groß die Wirkung der antisemitischen Kampagne bereits war, zeigte sich daran, daß Standesbeamte sich weigerten, solche "Mischehen" zu trauen. Auch der Versuch von Betroffenen, im Falle der Weigerung der Standesbeamten diese durch gerichtliche Anordnung zu einer entsprechenden Amtshandlung, die gesetzlich vorgeschrieben war, anzuhalten, scheiterte in nicht wenigen Fällen. Ein weiteres Signal für die kommende Entwicklung war das Wehrgesetz vom 21. Mai 1935, mit dem Juden vom Wehrdienst ausgeschlossen wurden. Die antisemitische Kampagne verstärkte sich, als die Ankündigung eines besonderen Staatsangehörigkeitsgesetzes für Juden von Innenminister Wilhelm Frick (1877–1946) nicht umgehend umgesetzt wurde. Der Grund für die Verzögerung lag nicht darin, daß sich die Ministerialbürokratie grundsätzlich gegen ein solches Gesetz sperrte. Er lag vielmehr in einem internen Streit um das freilich nicht unwichtige Detail, ob die Geltung dieses Gesetzes auf "Volljuden", das heißt auf Ehepartner mit zwei jüdischen Eltern beschränkt oder auf "Mischehen", das heißt auf Ehepartner mit einem jüdischen Eltern- oder Großelternteil ausgedehnt werden sollte. In dieser Situation forderte Hitler die Vorlage eines Gesetzes, mit dem die staatsbürgerliche Diskriminierung der Juden verfügt und die Ehe zwischen "Ariern" und "Nichtariern" untersagt werden sollte. Von den vier Entwürfen, die am Rande eines Reichsparteitages mit großer Eile erstellt wurden, entschied sich Hitler für das "Gesetz zum Schutz des deutschen Blutes und der deutschen Ehre" in einer aus seiner Sicht abgemilderten Fassung. Es verbot Eheschließungen und außerehelichen Verkehr zwischen Juden und Staatsangehörigen "deutschen und artverwandten Blutes". Das Gesetz sah für die sogenannte "Rassenmischehe" eine Zuchthausstrafe vor, bei außerehelichem Geschlechtsverkehr sollte der beteiligte Mann je nach den Umständen ebenfalls mit einer Gefängnis- oder mit einer Zuchthausstrafe verfolgt werden. Ferner wurde deutschen Juden die Beschäftigung von weiblichen deutschen Hausangestellten untersagt. Das hastig entworfene "Reichsbürgergesetz" gewährte nur "Staatsangehörigen deutschen oder artverwandten Blutes" die "vollen politischen Rechte" eines "Reichsbürgers" und würdigte die deutschen Juden zu Bürgern zweiter Klasse herab, deren Status nicht genau definiert wurde. Die Nürnberger Gesetze machten die Rechtsentwicklung und jüdische Emanzipation seit der Aufklärung und seit dem 19. Jahrhundert rückgängig und bildeten die Grundlage für weitere Diskriminierungen und Verfolgungen. Die entscheidende Frage, wer nun "Jude" war, wurde von beiden Gesetzen nicht beantwortet, sondern weiteren Ausführungsbestimmungen überlassen. Dies schuf neuerliche Unsicherheiten für die Betroffenen, den Parteiaktivisten hingegen bot es die Chance weiterer judenfeindlicher Aktionen und Verschärfungen des Gesetzes. Nach wochenlangen Auseinandersetzungen zwischen den Vertretern der Ministerialbürokratie und den Parteidienststellen sowie dem nationalsozialistischen Reichsärzteführer Dr. Gerhard Wagner enthielt die "Erste Verordnung zum Reichsbürgergesetz" vom 14. November 1935 folgende Definition: "Jude ist, wer von mindestens drei der Rasse nach volljüdischen Großeltern abstammt [...]. Als Jude gilt auch der von zwei volljüdischen Großeltern abstammende staatsangehörige jüdische Mischling, a) der beim Erlaß des Gesetzes der jüdischen Religionsgemeinschaft angehört hat oder danach in sie aufgenommen wird, b) der beim Erlaß des Gesetzes mit einem Juden verheiratet war oder sich danach mit einem solchen verheiratet, c) der aus einer Ehe mit einem Juden im Sinne des Absatzes 1 stammt." Diejenigen, die von diesen Bestimmungen betroffen waren, galten nur noch als "Staatsangehörige" mit minderem Recht, während alle anderen "von einem oder zwei der Rasse nach volljüdischen Großeltern" abstammenden sogenannten "jüdischen Mischlinge" das "vorläufige Reichsbürgerrecht" erhielten. Sicherlich bedeutete dieser Kompromiß, daß ein großer Teil der zuletzt genannten Personen zunächst vor weiteren judenfeindlichen Ausgrenzungen bewahrt blieb und ihnen nahezu volle staatsbürgerliche Rechte eingeräumt wurden. So konnten diese Menschen, die zwei jüdische Großeltern besaßen, zunächst noch das Recht auf die freie Schulwahl und den Universitätsbesuch erhalten und waren überdies wehrpflichtig. Gleichwohl hatte das von rassistischen Kriterien bestimmte Denken und Handeln endgültig Justiz und Verwaltung durchdrungen. Bereits der Streit um die erste Ausführungsbestimmung hatte angekündigt, daß weitere Radikalisierungen auf dem Verordnungsweg jederzeit möglich waren. Auch Äußerungen Hitlers im internen Führungskreis, in denen er eine Ghettoisierung und Vertreibung der Juden androhte, ließen ahnen, daß mit den Nürnberger Gesetzen keineswegs eine wirkliche Rechtssicherheit für die deutschen Juden erreicht war. Ihre weitere Ausgrenzung und Isolierung begann mit der sich ständig verschärfenden Praxis bei der Gewährung einer Eheerlaubnis für die nach dem Gesetz als "Mischlinge ersten Grades" bezeichneten Personen und setzte sich mit immer neuen Verordnungen fort. Ihnen wurden bisherige Sonderregelungen wie etwa die Zulassung zum Studium entzogen, bis sie schließlich 1943 zu Zwangsarbeit verpflichtet wurden, die sich kaum noch von einer KZ-Haft unterschied. Besonders hart traf es bereits seit dem September 1935 die als sogenannte "Volljuden" und "Dreivierteljuden" bezeichneten Personen, die nun endgültig einen minderen Rechtsstatus hatten. Auch diejenigen jüdischen Angehörigen des öffentlichen Dienstes, die 1933 als Träger militärischer Auszeichnungen noch im Amt bleiben konnten, wurden nun entlassen. All das führte zu einer zunehmenden Isolierung der jüdischen Bürger im täglichen Leben, die sich allein schon dadurch ausgestoßen fühlen mußten, daß bereits jeder berufliche oder geschäftliche Kontakt mit ihnen in den Verdacht des Verbotenen geriet und nicht selten übereifrigen Denunzianten Anlaß für eine Strafanzeige bot. Verschärft wurde die Situation der Ausgrenzung und Willkür noch durch Richter, die die rassenantisemitischen Zielsetzungen der Gesetze und Verordnungen teilten und überdies durch eine rigide Auslegung selbst harmlose Gesten zwischenmenschlicher Herzlichkeit erbarmungslos ahndeten. Umgekehrt bezeugen Einzelfälle, daß auch die harten Strafandrohungen des "Blutschutzgesetzes" viele Menschen nicht von Beziehungen zu jüdischen Bürgern abhielten. Die Nürnberger Gesetze gehörten wie die früheren antijüdischen Maßnahmen auch in den Zusammenhang der übrigen NS-Rassepolitik. So war es kein Zufall, daß am 18. Oktober 1935 das "Gesetz zum Schutz der Erbgesundheit des Deutschen Volkes" erlassen wurde, das ein Eheverbot für erbkranke Menschen vorsah und die Vorlage "eines Ehetauglichkeitszeugnisses" verlangte. Berufsverbote Während in der Folgezeit durch mehrere Verordnungen zum "Reichsbürgergesetz" Juden von der Ausübung freier, akademischer Berufe – zuletzt denen des Arztes und des Rechtsanwalts – ausgeschlossen wurden, schien in Handwerk und Gewerbe, in Handel und Banken sowie im Immobilienbesitz noch eine Überlebenschance gegeben. Das sollte sich 1938 ändern, als den deutschen Juden auch ihre materielle Existenzgrundlage genommen wurde. Hatte es 1933 vom Warenhaus und der Privatbank bis hin zum Einzelhandelsgeschäft noch etwa 100000 jüdische Betriebe der verschiedensten Größenordnungen gegeben, so waren es als Folge der unaufhörlichen antisemitischen Kampagnen und Schikanen im April 1938 nur noch 39532. Viele von ihnen befanden sich überdies in einem deutlichen wirtschaftlichen Niedergang. Gleichzeitig stieg die Arbeitslosigkeit von jüdischen Arbeitern und Angestellten, und auch viele der ehemaligen Freiberufler sahen sich bald am Rande des Existenzminimums. Trotz der zunehmenden Verarmung der jüdischen Bevölkerung ging den nationalsozialistischen Aktivisten die Verdrängung der Juden aus der Wirtschaft noch zu langsam. Mit dem zunehmend radikaleren Vorgehen des Regimes im Frühjahr 1938 erhielt auch die antijüdische Verfolgungspolitik einen neuen Schub, zumal die österreichischen Juden im Gefolge der nationalsozialistischen Machtübernahme eine Verfolgungswelle erleiden mußten, die an Radikalität alles bisherige übertraf. Ende April 1938 wurden alle Juden gezwungen, ihre Vermögen zu deklarieren, im Mai wurden sie von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen, im Juli wurde eine Kennkarte für Juden eingeführt und im August wurden sie zur Führung zusätzlicher Vornamen, Sarah bzw. Israel, gezwungen, die sie als Juden stigmatisieren sollten. Zusätzlich wurden ihre Reisepässe mit einem roten "J" abgestempelt. Schließlich wurde Mitte November 1938 jüdischen Kindern der Besuch staatlicher Schulen endgültig untersagt. Damit war auf dem Verordnungsweg nach fünf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft die Diskriminierung von Juden drastisch ausgeweitet worden, ihre Lebensbedingungen hatten sich extrem verschlechtert. Doch hatte das Regime sich in eine widersprüchliche Situation manövriert: Einerseits stieß die Verletzung des Eigentumsprinzips im In- und Ausland auf Kritik, andererseits wurde durch die bisherige Ausplünderung eine Auswanderung, wie sie die Ministerialbürokratie und der Sicherheitsdienst (SD) betrieben, erschwert. Es bedurfte daher noch eines äußeren, eher zufälligen scheinbaren Anlasses, um eine Konstellation herbeizuführen, die den Machthabern die Chance bot, ihre Verfolgungspolitik mit größerer Brutalität und Geschwindigkeit voranzutreiben. Und wiederum sollte diese als Reaktion auf den angeblich "gesunden Volkswillen" ausgegeben werden. Pogrom von 1938 Am 7. November 1938 verübte der siebzehnjährige deutsch-polnische Jude Herzel Grynszpan ein Attentat auf den deutschen Legationssekretär Ernst vom Rath in Paris. Es war ein Akt ohnmächtiger Rache, zu dem sich Grynszpan hinreißen ließ, nachdem er von dem bitteren Schicksal seiner Eltern erfahren hatte. Sie waren zusammen mit 17000 anderen Leidensgenossen von der Gestapo auf Verlangen des Auswärtigen Amtes zur deutsch-polnischen Grenze gebracht worden, wo sie sich, von den polnischen Behörden zurückgewiesen, unter erbärmlichen Bedingungen im Niemandsland aufhalten mußten. Das Attentat, dem Ernst vom Rath am Nachmittag des 9. November erlag, war der spektakuläre Vorwand für eine Welle von Pogromen, die schon am 8. November vereinzelt begannen, dann aber am Abend des 9. November mit aller Wucht über die deutschen Städte und Dörfer hereinbrachen. Die Weisungen waren von München ausgegangen, wo die NS-Führung gerade mit alten Kämpfern der NSDAP des Hitler-Putsches am 9. November 1923 gedachte. Auf Hitlers Veranlassung hatte Goebbels die Stimmung im Saal durch eine wüste antisemitische Hetzrede angeheizt und mit Hinweis auf die bereits am Vorabend initiierten Pogromaktionen weitere Ausbrüche des "Volkszorns" angekündigt. Die Bemerkung von Goebbels, daß die Partei entsprechende Aktionen zwar nicht organisieren, aber dort, wo sie entstünden, auch nicht behindern werde, wurde von den anwesenden Gauleitern verstanden. Sie gaben telefonisch Befehle an ihre Unterführer, die sie an die SA weiterleiteten. In den SA-Trupps erwachte nach Jahren der Zurückdrängung sofort wieder die alte Bürgerkriegsmentalität. Als angeblich spontanen Akt des Volkszornes, an den allerdings niemand glauben wollte, legten sie Brände in jüdischen Synagogen, zerstörten jüdische Geschäfte, demütigten, verhöhnten und mißhandelten jüdische Bürger. Die Bilanz des Pogroms, das am 10. November offiziell für beendet erklärt wurde, war erschreckend: Mehrere Hundert Synagogen waren abgebrannt, mindestens 8000 jüdische Geschäfte zerstört sowie zahllose Wohnungen verwüstet. Zwischen 90 und 100 Juden waren erschlagen, niedergestochen oder zu Tode geprügelt worden. Hinzu kamen Millionenschäden an zerstörten Geschäftseinrichtungen und Schaufensterscheiben. Das alles wurde im Volksmund bald mit dem Begriff "Reichskristallnacht" verharmlost. Daß dahinter der organisierte Wille zur Verfolgung und Radikalisierung stand, bewiesen die folgenden Tage. Zunächst wurden im ganzen deutschen Reich etwa 30000 jüdische Männer verhaftet und in die Konzentrationslager Dachau, Buchenwald und Sachsenhausen verschleppt. Zwar blieb die Aktion auf wenige Wochen beschränkt, doch bedeutete sie eine Katastrophe für die bürgerliche Existenz und das Bewußtsein vieler Juden. Die Reaktion der Bevölkerung auf die Pogromnacht und das bürokratische Nachspiel war unterschiedlich. Nur eine Minderheit in der Bevölkerung beteiligte sich an den Plünderungen und Brandschatzungen. Die Mehrheit verharrte schweigend, zeigte sich eingeschüchtert und angewidert von den pöbelhaften Gewaltaktionen oder blickte einfach weg. Nur einige Mutige zeigten Mitgefühl und Hilfe für die gepeinigten und drangsalierten jüdischen Mitbürger. Kritik löste vor allen Dingen die sinnlose Zerstörung materieller Werte in Millionenhöhe aus. Dies hinderte aber umgekehrt eine nicht unbeträchtliche Zahl von Bürgern nicht daran, im Anschluß an die Kampagne sich an dem Beutezug zu beteiligen und sich sogenannte "arisierte Ware" anzueignen. Ein häufiges Argument der vorsichtigen Kritik war überdies die Sorge um das deutsche Ansehen bzw. um die eigene Situation in einem Regime, das zu solchen Gewalt- und Zerstörungsaktionen fähig war. Die massive antisemitische Propaganda hatte es offenbar nicht vermocht, die Allgemeinheit zur Unterstützung der angeblich "spontanen" Aktionen aufzuhetzen. Das war sicherlich mit der tiefen Abneigung der Mehrzahl der Menschen gegen Gewaltaktionen und körperliche Mißhandlungen zu erklären, aber auch mit einem Auseinanderdriften der Wert- und Verhaltensweisen von Partei und Bevölkerung, die sich bislang zumindest nach der NS-Propaganda im Zeichen der "nationalen Volksgemeinschaft" in Übereinstimmung befanden. Nun aber schied sich der nationalsozialistische Radikalismus, vor allem der radikale rassenbiologische Antisemitismus, von den in der Bevölkerung verbreiteten traditionellen sozialen Einstellungen und Verhaltensformen. Das galt auch für die traditionelle Judenfeindschaft, die sich aus religiösen Motiven und sozialen Vorurteilen speiste, aber auch immer an bürgerlichen Moralvorstellungen festhielt und darum vor deren offener Verletzung zurückschreckte. Es war der Zeitpunkt, in dem sich die radikalen Elemente der nationalsozialistischen Weltanschauung zu verselbständigen begannen. Das bedeutete für den Bereich der Rassen- und Judenpolitik, daß sich die weiteren Schritte auf dem Wege zur Realisierung der Rassendoktrin noch stärker hinter dem Nebel einer bürokratischen Tarnsprache und der scheinbaren Begründung mit Notwendigkeiten der Kriegführung vollziehen würden. Das konnte zwar dem kritischen Blick der Zeitgenossen nicht verborgen bleiben, doch die meisten beruhigten sich damit, daß sie nicht wissen müßten, was sie nicht wissen wollten. Verdrängung aus der Wirtschaft Die definitive Ausschaltung der Juden aus dem Wirtschaftsleben, die schon seit dem Frühjahr 1938 vorbereitet worden war, wurde auf einer Konferenz am 12. November 1938 im Reichsluftfahrtministerium in Berlin vollzogen, zu dem Göring als Beauftragter für den Vierjahresplan alle beteiligten Dienststellen eingeladen hatte. Der Verlauf der Sitzung war von Ausbrüchen ideologischer Verblendung und brutalen Haßgefühlen geprägt. Die Demagogen beriefen sich auf den angeblichen "Volkswillen", zu deren Vollstrecker sie sich machten. Den deutschen Juden wurde die sofortige Reparatur der von NSDAP und SA-Trupps angerichteten Verwüstungen und – als Vergeltung für das Pariser Attentat – die Zahlung von einer Milliarde Reichsmark auferlegt. Dies war eine gewaltige Summe für eine Bevölkerungsgruppe, die zu diesem Zeitpunkt nur noch rund 250000 Mitglieder zählte (von etwa 500000 im Jahre 1933). Den durch die Terrorwelle angerichteten Schaden wollten zwar aus Gründen ihrer Glaubwürdigkeit die Versicherungsgesellschaften tragen, doch bestand Göring auf der Beschlagnahme der an die Juden zu zahlenden Versicherungsleistungen zu Gunsten des Reiches. Schließlich sollte die vollständige "Arisierung" nach dem Willen Görings "Schlag auf Schlag" erfolgen. Gemeint war damit die Enteignung jüdischer Gewerbebetriebe und Einzelhandelsgeschäfte, die von staatlichen Treuhändern unter Wert geschätzt und dann zu normalem Verkehrswert an "Arier" weiterverkauft wurden. Begleitet wurde diese wirtschaftliche Ausplünderung durch einen verschärften Druck zur Auswanderung und durch eine Vielzahl von anderen diskriminierenden Maßnahmen. Juden wurde der Besuch von Kinos, Schwimmbädern und Theatern untersagt, und ihnen wurde die Benutzung bestimmter Eisenbahnabteile vorgeschrieben. Die Juden wurden damit des letzten gesetzlichen Schutzes und auch des menschlichen Rechtes auf Existenz beraubt. Der Rassenantisemitismus hatte sich in einer staatlich exekutierten Verfolgungsaktion durchgesetzt und damit war, entsprechend des nationalsozialistischen Prinzips einer permanenten Radikalisierung der Herrschaftsziele und -praxis, der Weg zur letzten Etappe von der Verfolgung zur physischen Vernichtung frei. Das "Schwarze Korps", das interne Presseorgan der SS, sprach dieses Ziel drei Wochen nach dem Novemberpogrom in einer ihrer Ausgaben unverhohlen aus: "Mit Feuer und Schwert muß man das nun auf sich beschränkte Parasitenvolk auslöschen. Das Ergebnis wäre das tatsächliche und endgültige Ende des Judentums in Deutschland, seine restlose Vernichtung." Den möglichen Zeitpunkt und den Zusammenhang dieser Vernichtung hatte Göring bereits am 12. November 1938 angegeben: "Wenn das deutsche Volk in irgendeiner absehbaren Zeit in außenpolitische Konflikte kommt, so ist es selbstverständlich, daß wir auch in Deutschland in allererster Linie daran denken werden, eine große Abrechnung mit den Juden zu vollziehen." QuellentextVerfolgung der deutschen Juden Im Herbst 1938, zur Zeit des Novemberpogroms, befanden sich von ehemals rund 100000 jüdischen Betrieben noch 40000 in Händen ihrer rechtmäßigen Besitzer. Am stärksten hatten die "Arisierungen" im Einzelhandel zu Buche geschlagen, von 50000 Geschäfte waren noch 9000 übrig. Die Zahl der jüdischen Arbeitslosen war stetig angestiegen, Berufsverbote und erzwungene Verkäufe hatten zur Verarmung vieler geführt. Die "Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben" vom 12. November 1938 vernichtete die noch verbliebenen Existenzen. Ab dem 1. Januar 1939 war Juden das Betreiben von Einzelhandelsgeschäften, ebenso das Anbieten von Waren und gewerblichen Leistungen auf Märkten und Festen, das Führen von Handwerksbetrieben untersagt. Die Betriebe wurden, in der Regel zu einem Bruchteil ihres Wertes, in die Hände von nichtjüdischen Besitzern überführt ("arisiert") oder aufgelöst. Für den jüdischen Eigentümer bedeutete das in jedem Falle den Ruin, denn auch über den Erlös konnte er nicht verfügen, er wurde auf Sperrkonten eingezahlt und später zugunsten des Deutschen Reiches konfisziert. Schmuck, Juwelen, Antiquitäten mußten die Juden zwangsweise verkaufen, die Ankäufe erfolgten zu Preisen, die weit unter dem Wert lagen; auch über Wertpapiere und Aktien durften Juden nicht mehr verfügen, sie mußten ins Zwangsdepot gegeben werden. Jüdischer Immobilienbesitz wurde gleichfalls zwangsarisiert. Jüdische Arbeitnehmer wurden gekündigt, die Selbständigen hatten fast ausnahmslos Berufsverbot. Von 3152 Ärzten hatten 709 noch die widerrufliche Erlaubnis, als "Krankenbehandler" ausschließlich jüdische Patienten zu versorgen. Nach dem Novemberpogrom kam mit dem Verbot jüdischer Zeitungen und Organisationen das öffentliche Leben der Juden zum Erliegen. Ausgeraubt und verelendet, blieb ihnen die private Existenz unter zunehmend kläglichen Umständen, unter immer neuen Schikanen. Am 30. April begannen mit einem "Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden" die Vorbereitungen der Zusammenlegung jüdischer Familien in "Judenhäusern". Absicht war, und sie wurde rasch verwirklicht, das Zusammendrängen von Juden in Wohnungen, die die Überwachung (und später die Deportationen) erleichterten. "Ariern", so die Begründung, sei das Zusammenleben mit Juden im selben Haus nicht zuzumuten. Der Kriegsbeginn am 1. September 1939 brachte eine Ausgangsbeschränkung: Juden durften im Sommer ab 21 Uhr und im Winter ab 20 Uhr ihre Behausung nicht mehr verlassen. Ab 20. September war ihnen der Besitz von Rundfunkempfängern verboten, das wurde als kriegsnotwendig erklärt, ebenso das Verbot, Telefone zu besitzen (19. Juli 1940), weil Juden ja als "Feinde des Reiches" galten. Seit Anfang Dezember 1938 war ihnen Autofahren und der Besitz von Kraftfahrzeugen verboten, ab September 1939 wurden ihnen besondere Lebensmittelgeschäfte zum Einkauf zugewiesen, ab Juli 1940 durften Juden in Berlin nur noch zwischen 16 Uhr und 17 Uhr Lebensmittel einkaufen (die ihnen zugeteilten Rationen waren außerdem erheblich geringer als die der "Arier"). Immer neue Gemeinheiten dachten sich findige Bürokraten aus, etwa das Verbot, Haustiere zu halten oder Leihbüchereien zu benutzen. Von Plänen zur "Lösung der Judenfrage" wurde gemunkelt; da gab es das alte Madagaskarprojekt, nach dem alle Juden aus Deutschland auf diese Insel deportiert werden sollten, und dann schien es, als verfolgte das NS-Regime den Plan, irgendwo in Ostpolen ein großes Judenreservat zu errichten. Dabei schienen die noch in Deutschland lebenden Juden ebenso billige wie unentbehrliche Arbeitskräfte. Sie waren nämlich zur Zwangsarbeit verpflichtet und ersetzten in der Rüstungsindustrie vielfach Facharbeiter, die zur Wehrmacht eingezogen waren. Am 1. September 1941 erging die Polizeiverordnung über die Kennzeichnung von Juden: Vom 15. September an mußte jeder Jude vom sechsten Lebensjahr an einen gelben Stern auf der Kleidung aufgenäht tragen. Damit war die öffentliche Demütigung und Brandmarkung vollkommen, die Überwachung der verfolgten Minderheit perfekt. Seit dem 1. Juli waren die Juden in Deutschland (durch die 13. Verordnung zum Reichsbürgergesetz) unter Polizeirecht gestellt, das heißt, für sie gab es keine Rechtsinstanzen mehr. Aber zu diesem Zeitpunkt lebten nicht mehr viele Juden in Deutschland. Offiziell war das Deutsche Reich "judenfrei". Einige wenige hatten sich in die Illegalität geflüchtet, andere lebten im zweifelhaften Schutz, den "Mischehen" mit nichtjüdischen Partnern boten, jederzeit gewärtig, das Schicksal der Mehrheit der deutschen Juden zu teilen. [...] Im Herbst 1941 begann mit der systematischen, bürokratisch geregelten und bis ins Detail programmierten Deportation der Juden aus Deutschland die letzte Phase nationalsozialistischer Judenpolitik. Sie war nunmehr zielstrebig und ausschließlich darauf gerichtet, die europäische Judenheit auszurotten. Wolfgang Benz, "Die Juden im Dritten Reich", in: Wolfgang Benz, Werner Bergmann (Hg.), Vorurteil und Völkermord, Freiburg 1997, S. 385 ff. Propaganda und politischer Kult Propaganda war für das politische Selbstverständnis und die Herrschaftstechnik der Nationalsozialisten ein zentraler Begriff. Die Massenmobilisierung durch die Propaganda und die wachsende Zustimmung durch immer größere Teile der deutschen Gesellschaft wurden zur wichtigsten Voraussetzung für Hitlers Macht. Doch beruhte die Wirkung der Propaganda nicht auf deren vermeintlicher Originalität oder Raffinesse, sondern auf deren Intensität und Konsequenz im Einsatz aller technischen und inszenatorischen Instrumente, die sich den nationalsozialistischen Propagandisten anboten. Vor allem aber verstanden sie es, mit ihren Kundgebungen, Appellen, ihren Massenaufmärschen und Feierstunden die Bedürfnisse nach Identität und sozialer Gemeinschaft zu erfüllen. Auch gelang es ihnen, die Erwartungen auf soziale Sicherheit und nationale Größe, die in weiten Teilen einer zutiefst krisengeschüttelten Gesellschaft vorhanden waren, scheinbar zu befriedigen und mit ihren Propagandaformeln die Menschen zu mobilisieren. Hinzu kam, daß die Wirkung der Propaganda und ihre Versprechungen sich methodisch kaum von der Wirkung der Gesellschaftspolitik des Regimes trennen ließen. Die Nationalsozialisten beschränkten sich nämlich nicht auf bloße Appelle und Masseninszenierungen, sondern sie verbanden diese mit den sozialpolitisch greifbaren, wenn auch in der Realität sehr bescheidenen Erfolgen und materiellen Leistungen des Regimes zu einer realisierbaren Zukunftsperspektive. Sicherlich war der Nationalsozialismus mit seinen politischen Ritualen und Symbolen, die um die Begriffe von Nation und Volk, Größe und Macht kreisten, Teil einer gemeineuropäischen Entwicklung, die als "Nationalisierung der Massen" (George Mosse) bezeichnet wurde. Diese bediente sich der Formen einer politischen Liturgie und romantisch-frühzeitlicher Mythen, um das Volk scheinbar an der Politik teilhaben zu lassen. Nicht in der parlamentarischen Rede und im gelehrten Gespräch, sondern in einer symbolischen Kommunikation, durch Zeichen und Rituale, teilten die nationalen Bewegungen ihre Botschaften mit. Wenn das gesprochene Wort eingesetzt wurde, dann diente es weniger der rationalen Auslegung einer Ideologie, sondern war Teil eines Zeremoniells, das sich meist pseudoreligiöser Formen bediente. Der Nationalsozialismus war eine besonders ausgeprägte Form des politischen Massenkultes, eine Reaktion auf die extreme Zerrissenheit und mentale Krise der deutschen Gesellschaft. Bereits in seiner Bewegungsphase entfalteten sich Elemente der Selbstinszenierung, die dann auf das Regime übertragen wurden. Aufmärsche, Fackelzüge, Fahnenappelle und Werbefahrten prägten unverwechselbar das Erscheinungsbild der Partei. Ihre Kundgebungen sollten in einer Mischung von gesprochenem Wort, das mehr einer Verkündigung glich, und Inszenierungselementen wie Fahnen, Fackeln, Uniformen und Massenchören ein "sinnliches Gesamterlebnis" (Peter Longerich) verkörpern. Informationslenkung Mit der Machteroberung am 30. Januar 1933 bot sich die Möglichkeit, neben dem Gewaltmonopol durch die Lenkung und Kontrolle der Massenmedien Presse, Rundfunk und Film auch das Monopol über Nachrichten und Informationen zu erobern. Damit war es der Bevölkerung nur noch schwer möglich, hinter die Scheinwelt der Propaganda und der Masseninszenierungen zu blicken und sich der Durchdringung des Alltags durch nationalsozialistische Symbole und Phrasen zu entziehen. Den institutionellen Rahmen für die propagandistische Mobilisierung der Gesellschaft schufen Hitler und Goebbels mit der Neugründung des Ministeriums für Volksaufklärung und Propaganda im März 1933. Mit dem Reichskulturkammergesetz vom 22. September 1933 wurden alle im Kulturbereich Tätigen Zwangsmitglieder in ihrer jeweiligen Berufskammer, von denen es unter dem Dach der Reichskulturkammer (deren Präsident ebenfalls Joseph Goebbels war) sieben gab: Presse, Schrifttum, Rundfunk, Theater, Musik, Bildende Kunst und Film. Die Lenkung der Medien erfolgte auf einer institutionellen und personellen Ebene durch die Gleichschaltung der Verbände und die verlegerische Vereinnahmung der Pressehäuser bzw. durch die Zusammenfassung der bereits verstaatlichen Rundfunkanstalten unter einem Dach. Neben den berufsständischen und ökonomisch-organisatorischen Kontrollen fungierte als dritte Säule ein System der direkten Presse- und Informationslenkung durch tägliche Pressekonferenzen und die Verbreitung von Nachrichtenmaterial des Deutschen Nachrichtenbüros, die mit einer Nachzensur verbunden waren. Die Gefahren einer ermüdenden und abstumpfenden Propagandaroutine waren Goebbels durchaus bewußt. Deshalb genehmigte er in der reglementierten und zunehmend öder werdenden Presselandschaft aus Gründen der scheinpluralistischen Auswirkung noch einige "Farbtupfer", wie die bürgerlich-liberale "Frankfurter Zeitung" oder als Eigenkreation die Zeitung "Das Reich", die anspruchsvollen Journalismus präsentieren sollten. Zudem verband der Großdeutsche Rundfunk mit seinem Einheitsprogramm in einer geschickten Mischung Nachrichten und Kommentare mit populärer musikalischer Unterhaltung ("Wunschkonzerte"). Propaganda durch den Film Im Film wurde eine allzu plumpe Politisierung vermieden, obwohl auch in diesem Medium die Gleichschaltung bzw. Selbstgleichschaltung, erleichtert durch die ökonomischen Probleme der Filmwirtschaft, rasch erfolgte. Nach der Säuberung von jüdischen, sozialkritischen bzw. linken Regisseuren und Schauspielern betrieb Goebbels, der eine besondere Vorliebe für den Film (und seine Stars) entwickelte eine gezielte und wirkungsvolle Filmpolitik. Dies geschah mit Hilfe der gleichgeschalteten Berufsverbände und der Reichsfilmkammer sowie einer gezielten finanziellen Förderung der Filmwirtschaft und der Einstellung eines linientreuen "Reichsfilmdramaturgen". Goebbels Filmpolitik wurde noch durch eine Monopolisierung der Filmproduktion unter seiner Leitung verstärkt. Die Popularität und Wirkungskraft der Filme lag darin, daß Unterhaltungsfilme und Filme mit etablierten nationalpolitischen Themen, die etwa den Mythos Preußens pflegten, den Vorrang vor politischen Filmen einnahmen. Hatten in der Anfangsphase noch Filme mit Themen aus der nationalsozialistischen Kampfzeit ("Hitlerjunge Quex", "SA-Mann Brand" und "Hans Westmar") die Leinwände zu beherrschen versucht, so verschwanden dezidierte Darstellungen von NS-Größen und NS-Symbolen aus der politischen und vor allem der unpolitischen Unterhaltungsfilmproduktion. Während des Krieges traten rassenpolitische Themen in den Vordergrund (so der antisemitische Spielfilm "Jud Süss" und die "Rothschilds" oder der Propagandafilm "Der ewige Jude"). Große Wirkung erzielten neben den Wochenschauen, die eine sorgfältige Kontrolle durch das Propagandaministerium erfuhren, vor allem Dokumentar- und Kulturfilme, die zum Repertoire aller Kinos gehörten. Herausragend in diesem Genre waren wegen ihres inszenatorischen und finanziellen Aufwandes, aber auch wegen ihrer unbestreitbaren Wirkung der Dokumentar- und Propagandafilm von Leni Riefenstahl über den Nürnberger Reichsparteitag 1934 ("Triumph des Willens") und die zweiteilige Olympiaproduktion von 1936 ("Fest der Völker" und "Fest der Schönheit"), die mit der Monumentalität der Bilder und der Heroisierung des filmischen Gegenstandes Ansätze einer eigenen nationalsozialistischen Filmästhetik entwickelten. Mit der Lenkung und Instrumentalisierung von Rundfunk und Film knüpften die Nationalsozialisten an die Entwicklungstendenzen der modernen Massenkultur an und perfektionierten sie für ihre Zwecke. Sie waren damit ganz Teilhaber und Nutznießer der Moderne, so wenig sie zugleich darauf verzichten wollten, den traditionellen Kulturbetrieb, das heißt Literatur, Musik, Bildende Kunst und Theater zu durchdringen und ihren ambivalenten Herrschaftstechniken von Verlockung und Zwang unterzuordnen. Gleichwohl war die Autonomie der Kunst etwa im Bereich von Theater und Musik trotz aller personellen Säuberungen und Selbstanpassungen bzw. kulturpolitischen Eingriffe noch eher gewahrt als in den modernen Massenmedien. Dem nationalsozialistischen Politikverständnis und Politikstil sehr viel eigentümlicher und immanent waren der Feierstil und der nationalsozialistische Festkalender, in denen sich Elemente einer eigenen, pseudo-religiösen Liturgie und einer "Sakralisierung der Führerherrschaft" (Hans Günther Hockerts) fanden. In den Ritualen und Symbolen des politischen Massenkultes, den der Nationalsozialismus in seiner Regimephase schrittweise ausbaute und perfektionierte, zeigte sich auch sein eklektischer Charakter. Feierstil und Festkalender Was immer eine emotionale Wirkung versprach, wurde von den verschiedenen Kult- und Feierformen aufgenommen und integriert: vom christlichen Kultus über die vaterländische Feier bis zu den rituellen Formen der Jugendbewegung, daneben aber auch Elemente des politischen Kultes des italienischen Faschismus. Beschränkte sich jedoch der italienische Faschismus auf die pathetische Selbstdarstellung des Staates, so suchte der NS-Kult bis in den Alltag der Menschen hinein zu wirken. Denn die Feiern fanden nicht nur auf nationaler Ebene bei Massenveranstaltungen in Nürnberg, München oder Berlin statt, sondern wurden auf regionaler und lokaler Ebene wiederholt und imitiert. Ein besonderer Rhythmus des nationalsozialistischen Feierjahres wurde verordnet. Nichts demonstriert den totalitären Anspruch des Regimes deutlicher als dieser Versuch, über Alltag und Feste der Bevölkerung zu verfügen und damit den traditionellen Festkalender, wie er vor allem von den Kirchen bestimmt war, zu unterlaufen und letztlich zu ersetzen. Der nationalsozialistische Jahreslauf begann mit dem 30. Januar, an dem mit Aufmärschen an den "Tag der Machtergreifung" erinnert wurde. Es folgte Ende Februar der Parteifeiertag, mit dem an die Verkündigung des 25-Punkte-Programms der NSDAP erinnert werden sollte. Der "Heldengedenktag" im März übernahm Formen der Erinnerung an die Gefallenen der Kriege und deutete den Kriegstod – ähnlich wie im Denkmalskult – zum Heldentod um. In Anlehnung an die Tradition der Kaisergeburtstage wurde am 20. April "Führers-Geburtstag" mit Aufmärschen und Paraden sowie mit der Aufnahme der 14jährigen in die Hitlerjugend begangen. Der Maifeiertag, seit dem 1. Mai 1933 ein arbeitsfreier Tag, war ein Traditionselement der Arbeiterbewegung, das als Fest der Volksgemeinschaft umgedeutet und regelmäßig begangen wurde. Höhepunkt des Festjahres waren die mehrtägigen Reichsparteitage der NSDAP im September in Nürnberg, die mit der Monumentalität der Parteitagsarchitektur, der Magie der Fahnen und Fackeln, den Massenzeremonien, Todesverklärungen und Erlösungsritualen ein politisch-ideologisches Gesamtkunstwerk boten, in dessen Mittelpunkt immer der "Führer" stand. Der Parteitag war nicht Diskussionsforum, sondern grandiose Selbstdarstellung eines politischen Kultes, die Emotionen wecken und alle Sinne betäuben sollte. Auf die monumentale Machtentfaltung von Partei, SA und SS, von Arbeitsdienst sowie HJ in Nürnberg, die durch eine Parade der Wehrmacht einen martialischen Charakter erhielt, folgte Anfang Oktober das Erntedankfest vom Bückeberg, mit dem der nationalsozialistische "Blut und Boden"-Kult gefeiert wurde. Den Jahreslauf schloß die Feier des 9. November in München ab, wo durch Ritus und Dekoration die Niederlage von 1923 (Hitlerputsch in München, vgl. auch Informationen zur politischen Bildung Nr. 251, "Nationalsozialismus I", S. 18 f.) in einem Akt symbolischer Revision in einen Triumph verwandelt werden sollte. Über die Wirkung dieser Masseninszenierung haben wir widersprüchliche Berichte. Zwar konnte das im Führerkult gipfelnde Massenspektakel in Nürnberg bei den Beteiligten allemal eine Art Hochstimmung hervorrufen, die jedoch bald wieder durch Alltagsprobleme verdrängt wurde. Sie äußerten sich etwa in der Kritik an Versorgungsengpässen sowie vor allem in der Empörung über das protzige und herrische Auftreten sowie das korrupte Verhalten nicht weniger Politischer Leiter der NSDAP. Es stand im allzu krassen Gegensatz zu dem Anspruch einer neuen politischen Elite. Während die Partei mit ihren Untergliederungen ihr Image gerade während der Kriegszeit durch die Ausweitung ihres Betreuungsanspruchs zu beheben versuchte, zeigten die Kampagnen gegen die "Miesmacher und Kritikaster", die seit 1934 immer wieder gestartet wurden, daß die NS-Propaganda hinter der schönen Fassade nicht ohne Überrumpelung und Zwang auskam. Da wurde die Bevölkerung zum Ankauf von Hakenkreuzabzeichen, zur Teilnahme an Kundgebungen oder zu Spenden für das Winterhilfswerk und zum Eintopfessen genötigt. Die Propaganda, und die als ihre Erfüllungsgehilfen fungierenden vielen kleinen Unterführer übten einen gewissen Zwang aus, unaufhörlich "öffentliche Bekenntnisse" zum nationalsozialistischen Staat abzulegen. Sie enthüllte damit ihren eigentlichen Zweck, die soziale Kontrolle zu festigen. Dennoch war die Propaganda in der Regel nur dann wirkungsvoll, wenn sie nicht durch Alltagserfahrungen widerlegt wurde, sondern diese verstärkte oder von diesen unberührt blieb, wie das für den Führermythos galt, der sich über das Alltägliche erhob und darum eine größere Stabilität besaß. Auszug aus: Informationen zur politischen Bildung (Heft 266) - Ausbau des Führerstaates Wenn Hitler über Erziehung spricht, fällt zunächst auf, daß er dazu Begriffe benutzt wie "hineinhämmern", "hineinbrennen" oder "heranzüchten". Auch vom "gegebenen Menschenmaterial" ist die Rede. Die Entwicklung der Persönlichkeit des einzelnen als Maxime jeder aufklärerischen Pädagogik wird hier in aller Deutlichkeit abgelehnt. Hitlers Ideal ist vielmehr der widerspruchslos Gehorchende. Ohne Umschweife erklärt er, was ein Jugendlicher können muß: "Er soll lernen, zu schweigen, nicht nur, wenn er mit Recht getadelt wird, sondern soll auch lernen, wenn nötig, Unrecht schweigend zu ertragen." Was Hitler unter "Erziehung" versteht, skizziert er in einem in sich geschlossenen Abschnitt von "Mein Kampf", dem Abschnitt "Erziehungsgrundsätze des völkischen Staates". Die entscheidende Passage lautet: "Der Völkische Staat hat [...] seine gesamte Erziehungsarbeit in erster Linie [...] einzustellen [...] auf das Heranzüchten kerngesunder Körper. Erst in zweiter Linie kommt dann die Ausbildung der geistigen Fähigkeiten. Hier aber wieder an der Spitze die Entwicklung des Charakters, besonders die Förderung der Willens- und Entschlußkraft, verbunden mit der Erziehung zur Verantwortungsfreudigkeit, und erst als letztes die wissenschaftliche Schulung." Das "Heranzüchten kerngesunder Körper" war für Hitler bei den Jungen Erziehung zum Soldaten. Die Mädchen sollten zu Frauen erzogen werden, die "wieder Männer zur Welt zu bringen vermögen". "Charakter und Willensbildung" bezog sich in Hitlers "völkischer Erziehung" nicht auf das Individuum, sondern auf das zentral geführte "völkische Ganze". Dies stellt das Gegenteil einer emanzipatorischen Pädagogik dar, die das individuelle Selbstbewußtsein und das individuelle Verantwortungsbewußtsein der Schülerinnen und Schüler stärken will. Die wissenschaftliche Schulung stand dabei an letzter Stelle. Die Volksschüler, die 90 Prozent der Gesamtschülerzahl darstellten, bekamen selbst Grundwissen nur in grob verkürzter Form vermittelt. Die Verachtung der "Bildung" bei Hitler und der NS-Erziehung fand erst da ihre Grenzen, wo die notwendigen Eliten des NS-Staates auf fundiertes Fachwissen nicht verzichten konnten. [...] Von besonderer Bedeutung ist dabei Hitlers Aussage, daß die Jugendlichen ihr ganzes Leben nicht mehr frei würden, und sein Zusatz, sie seien jedoch glücklich dabei. Die Erzeugung dieses Glücksgefühls, das mit einer völligen Entmündigung der Jugendlichen einherging, war in der Tat ein Schlüssel für den Erfolg bei der Heranzüchtung von Soldaten, die freudig in den Tod gehen sollten. Benjamin Ortmeyer, Schulzeit unterm Hitlerbild, Frankfurt am Main 1996, S. 20 f. Im Herbst 1938, zur Zeit des Novemberpogroms, befanden sich von ehemals rund 100000 jüdischen Betrieben noch 40000 in Händen ihrer rechtmäßigen Besitzer. Am stärksten hatten die "Arisierungen" im Einzelhandel zu Buche geschlagen, von 50000 Geschäfte waren noch 9000 übrig. Die Zahl der jüdischen Arbeitslosen war stetig angestiegen, Berufsverbote und erzwungene Verkäufe hatten zur Verarmung vieler geführt. Die "Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben" vom 12. November 1938 vernichtete die noch verbliebenen Existenzen. Ab dem 1. Januar 1939 war Juden das Betreiben von Einzelhandelsgeschäften, ebenso das Anbieten von Waren und gewerblichen Leistungen auf Märkten und Festen, das Führen von Handwerksbetrieben untersagt. Die Betriebe wurden, in der Regel zu einem Bruchteil ihres Wertes, in die Hände von nichtjüdischen Besitzern überführt ("arisiert") oder aufgelöst. Für den jüdischen Eigentümer bedeutete das in jedem Falle den Ruin, denn auch über den Erlös konnte er nicht verfügen, er wurde auf Sperrkonten eingezahlt und später zugunsten des Deutschen Reiches konfisziert. Schmuck, Juwelen, Antiquitäten mußten die Juden zwangsweise verkaufen, die Ankäufe erfolgten zu Preisen, die weit unter dem Wert lagen; auch über Wertpapiere und Aktien durften Juden nicht mehr verfügen, sie mußten ins Zwangsdepot gegeben werden. Jüdischer Immobilienbesitz wurde gleichfalls zwangsarisiert. Jüdische Arbeitnehmer wurden gekündigt, die Selbständigen hatten fast ausnahmslos Berufsverbot. Von 3152 Ärzten hatten 709 noch die widerrufliche Erlaubnis, als "Krankenbehandler" ausschließlich jüdische Patienten zu versorgen. Nach dem Novemberpogrom kam mit dem Verbot jüdischer Zeitungen und Organisationen das öffentliche Leben der Juden zum Erliegen. Ausgeraubt und verelendet, blieb ihnen die private Existenz unter zunehmend kläglichen Umständen, unter immer neuen Schikanen. Am 30. April begannen mit einem "Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden" die Vorbereitungen der Zusammenlegung jüdischer Familien in "Judenhäusern". Absicht war, und sie wurde rasch verwirklicht, das Zusammendrängen von Juden in Wohnungen, die die Überwachung (und später die Deportationen) erleichterten. "Ariern", so die Begründung, sei das Zusammenleben mit Juden im selben Haus nicht zuzumuten. Der Kriegsbeginn am 1. September 1939 brachte eine Ausgangsbeschränkung: Juden durften im Sommer ab 21 Uhr und im Winter ab 20 Uhr ihre Behausung nicht mehr verlassen. Ab 20. September war ihnen der Besitz von Rundfunkempfängern verboten, das wurde als kriegsnotwendig erklärt, ebenso das Verbot, Telefone zu besitzen (19. Juli 1940), weil Juden ja als "Feinde des Reiches" galten. Seit Anfang Dezember 1938 war ihnen Autofahren und der Besitz von Kraftfahrzeugen verboten, ab September 1939 wurden ihnen besondere Lebensmittelgeschäfte zum Einkauf zugewiesen, ab Juli 1940 durften Juden in Berlin nur noch zwischen 16 Uhr und 17 Uhr Lebensmittel einkaufen (die ihnen zugeteilten Rationen waren außerdem erheblich geringer als die der "Arier"). Immer neue Gemeinheiten dachten sich findige Bürokraten aus, etwa das Verbot, Haustiere zu halten oder Leihbüchereien zu benutzen. Von Plänen zur "Lösung der Judenfrage" wurde gemunkelt; da gab es das alte Madagaskarprojekt, nach dem alle Juden aus Deutschland auf diese Insel deportiert werden sollten, und dann schien es, als verfolgte das NS-Regime den Plan, irgendwo in Ostpolen ein großes Judenreservat zu errichten. Dabei schienen die noch in Deutschland lebenden Juden ebenso billige wie unentbehrliche Arbeitskräfte. Sie waren nämlich zur Zwangsarbeit verpflichtet und ersetzten in der Rüstungsindustrie vielfach Facharbeiter, die zur Wehrmacht eingezogen waren. Am 1. September 1941 erging die Polizeiverordnung über die Kennzeichnung von Juden: Vom 15. September an mußte jeder Jude vom sechsten Lebensjahr an einen gelben Stern auf der Kleidung aufgenäht tragen. Damit war die öffentliche Demütigung und Brandmarkung vollkommen, die Überwachung der verfolgten Minderheit perfekt. Seit dem 1. Juli waren die Juden in Deutschland (durch die 13. Verordnung zum Reichsbürgergesetz) unter Polizeirecht gestellt, das heißt, für sie gab es keine Rechtsinstanzen mehr. Aber zu diesem Zeitpunkt lebten nicht mehr viele Juden in Deutschland. Offiziell war das Deutsche Reich "judenfrei". Einige wenige hatten sich in die Illegalität geflüchtet, andere lebten im zweifelhaften Schutz, den "Mischehen" mit nichtjüdischen Partnern boten, jederzeit gewärtig, das Schicksal der Mehrheit der deutschen Juden zu teilen. [...] Im Herbst 1941 begann mit der systematischen, bürokratisch geregelten und bis ins Detail programmierten Deportation der Juden aus Deutschland die letzte Phase nationalsozialistischer Judenpolitik. Sie war nunmehr zielstrebig und ausschließlich darauf gerichtet, die europäische Judenheit auszurotten. Wolfgang Benz, "Die Juden im Dritten Reich", in: Wolfgang Benz, Werner Bergmann (Hg.), Vorurteil und Völkermord, Freiburg 1997, S. 385 ff.
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"Lassen Sie ihn weg", versetzte Melina, "ich bin nichts weniger als gestimmt, einen Leiermann zu hören, und wir haben allenfalls Sänger unter uns, die gern etwas verdienten." Er begleitete diese Worte mit einem tückischen Seitenblicke, den er auf Philinen warf. Sie verstand ihn und war gleich bereit, zu seinem Verdruß den angemeldeten Sänger zu beschützen. Sie wendete sich zu Wilhelmen und sagte: "Sollen wir den Mann nicht hören, sollen wir nichts tun, um uns aus der erbärmlichen Langenweile zu retten?"
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Nikolai Apollonowitsch wandte den Kopf; merkwürdig: wie eilig die Droschken plötzlich vorbeirasten, und alle in eine Richtung; die Fußgänger beschleunigten die Schritte (und stießen die beiden immerfort); manche drehten sich um und sahen zurück; sie stießen dabei auf die Entgegenkommenden; das Gleichgewicht des Verkehrs war gestört worden. Nikolai Apollonowitsch sah auf alle Seiten und hörte Lichutin gar nicht zu.
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Chinas Präsident festigt seine Macht: Xi gilt nun offiziell als Vordenker Der chinesische Präsident Xi Jinping schafft etwas, das bisher nur Staatsgründer Mao Tsetung vergönnt war: Die Partei nimmt sein Gedankengut in ihre Verfassung auf. Steht jetzt auf einer Stufe mit Staatsgründer Mao Tsetung und mit Deng Xiaoping: Xi Foto: dpa PEKING ap | Der chinesische Präsident Xi Jinping hat seine Macht innerhalb der Kommunistischen Partei Chinas noch stärker verankert. Die Partei nahm seinen Namen und sein Gedankengut in ihre Verfassung auf, dafür stimmten die Delegierten des Parteikongresses am Dienstag. Damit gilt er nun offiziell als Vordenker und hat erheblich an Status hinzugewonnen – Xi steht jetzt auf einer Stufe mit Staatsgründer Mao Tsetung und Deng Xiaoping. „Das chinesische Volk und die Nation haben eine großartige und glänzende Zukunft vor sich“, sagte Xi zum Ende der Versammlung vor fast 2.300 Delegierten. „In dieser großen Zeit fühlen wir uns selbstbewusster und stolz. Und zugleich fühlen wir eine große Verantwortung.“ Xis Konzept „der neuen Ära des Sozialismus chinesischer Prägung“ wird von Experten als Bruch mit den wirtschaftlichen Reformen des Politikers Deng in den 1970er Jahren und dessen Nachfolgern Jiang Zemin and Hu Jintao gesehen. Die Aufnahme von Xis Gedankengut in die Statuten der Partei nach nur fünf Jahren Amtszeit kommt im Vergleich zu Mao und Deng relativ früh – erneut ein Beleg für den Einfluss, den der Präsident innerhalb seiner Partei hat. Der Kongress der Kommunistischen Partei, die rund 89 Millionen Mitglieder hat, findet alle fünf Jahre statt. Als wesentlichen Baustein seines Konzepts hat Xi unter anderem moderaten Wohlstand in einer modernen chinesischen Gesellschaft beschrieben. Diese Ziele sollen bis zum Jahr 2021, wenn die Kommunistische Partei hundert Jahre alt wird, und zum Jahr 2049, zum hundertjährigen Bestehen der Volksrepublik, umgesetzt werden. Während China über die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt verfügt und ganze Legionen neuer, reicher Stadtbewohner hervorbringt, liegt das Land nach Angaben des Internationalen Währungsfonds beim Durchschnittseinkommen pro Kopf im weltweiten Vergleich nur auf Platz 79.
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König. Tu wie du willst, allein bedenk dich selbst. Kreusa ist dir hold gesinnt, das glaube. Nur erst bat sie, die Kinder dir zu senden, Daß du sie sähest noch bevor du gehst Und Abschied nähmest für die lange Fahrt. Ich schlug es ab, weil ich dich tobend glaubte, Doch da du ruhig bist, sei dir's gewährt.
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Zweig, Stefan Singende Fontäne 288 Schwüler Abend 290
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Tote bei Protesten in Kongo: Explodierte Gerüchteküche In Goma in der DR Kongo sind schwere Unruhen ausgebrochen. Auslöser: die Behauptung, dass nach Uganda auch Ruanda eingreifen soll. Goma am Montag: Die Polizei spricht von zwölf Schwerverletzten in den eigenen Reihen Foto: West Nile TV/Twitter GOMA taz | Schon gegen vier Uhr morgens war die Stimmung aufgeheizt. Aufgeregte Jugendliche bastelten Straßensperren aus demolierten Kiosken, zündeten Reifen an und stoppten den Verkehr, bis die Polizei anrückte, nicht weniger entschlossen. Kampfszenen mitten in Goma legten die ostkongolesische Millionenstadt am Montag, 20. Dezember lahm, Schulen, Büros, Märkte und Geschäfte blieben geschlossen. Auslöser der Unruhen in der Hauptstadt der Provinz Nord-Kivu: ein Gerücht über eine gemeinsame Kommandozentrale der Polizei der Demokratischen Republik Kongo und Ruandas in Goma, um die zunehmende Unsicherheit in der Stadt gemeinsam zu bekämpfen – Goma liegt direkt an der Grenze zu Ruanda. „Das geht nicht. Die Ruander können nicht herkommen und für Sicherheit sorgen, dagegen leisten wir Widerstand mit allen Mitteln“, empört sich der junge Politiker Nzighali Lumangabo von der Partei Génération Positive. Gracien Iracan, Abgeordneter des Provinzparlaments von Nord-Kivu, hat öffentlich einen solchen Plan „inakzeptabel“ genannt. „Die Bevölkerung wird es nicht zulassen.“ Die Jugendbewegungen Veranda Mutsanga und La Lucha machten in den vergangenen Tagen dagegen mobil. Dass Behörden und Polizei den Plan dementierten, war egal – die Leute glauben ihnen nicht. „Die Bewohner von Goma haben die Schnauze voll von den wiederholten Morden trotz Kriegsrechts“, erklärt Provinzparlamentarier Jean-Paul Ngahangondi. „Erst in der Nacht zu Donnerstag töteten Banditen sechs Menschen in einer einzigen Ecke der Stadt. Es reicht.“ Die Polizei ging am Montag mit Gewalt gegen die Proteste vor, wurde aber schnell überwältigt. Zwei Polizisten sollen von Demonstranten getötet worden sein. Im Stadtviertel Majengo verbreiten die Bewohner Fotos eines jungen Mannes voller Blut – ein angebliches ziviles Todesopfer der Auseinandersetzungen. Mehrere Gebäude wurden verwüstet. Die Polizei spricht von zwölf Schwerverletzten in den eigenen Reihen und sagt, Milizen hätten die Demonstrationen infiltriert. Videos zeigen Jugendliche, die mit Schusswaffen unterwegs sind – unüblich für einen zivilen Protest. „Es ist ein Aufstand und er muss niedergeschlagen werden“, erklärte General Sylvain Ekenge, Sprecher der Militärregierung, die Nord-Kivu seit Verhängung des Kriegsrechts im Mai verwaltet. „Diese Demonstrationen sind ein Bruch der Kriegsrechtsbestimmungen, ihre Organisatoren werden ausfindig gemacht und sie werden die Härte des Gesetzes spüren.“ Eigentlich war der Montag nur als „Operation Geisterstadt“ geplant, also ein Generalstreik der gesamten Bevölkerung, aber die Dinge eskalierten schnell. „Wir wollten nichts lahmlegen, die Polizei hat unseren Aufruf in eine Auseinandersetzung verwandelt“, klagt Eric Bwanapua, einer der Organisatoren des Protests. Beobachter kritisieren, dass die staatlichen Behörden dem Gerücht über eine Stationierung ruandischer Polizisten in Goma nicht überzeugend entgegengetreten seien, in einer angespannten politischen Situation. Nord-Kivu und die Nachbarprovinz Ituri befinden sich seit Mai unter Kriegsrecht, aber die Sicherheitslage hat sich nicht verbessert. Seit Kurzem ist Ugandas Armee in Teilen Nord-Kivus im Einsatz, um Rebellen zu bekämpfen. „Wir verfolgen alles, was weiter nördlich um Beni mit dem Einmarsch der ugandischen Armee geschieht. Da kam plötzlich diese Geschichte über Ruander bei uns dazu. Die Beziehungen zu Ruanda sind ein heikles Thema in der kongolesischen Öffentlichkeit. Aber die Behörden haben nicht gesagt, was genau passierte, als Ruandas Polizeichef zu Besuch kam“, erklärt der Politologe Mova Kisuhghu. Weiter nördlich, in der Stadt Butembo, gab es am Montag ebenfalls einen Aufruf zur „Operation Geisterstadt“. Straßen wurden gesperrt, Aktivisten von Veranda Mut­sanga belästigten einige Passanten. Aber es gab keine Zerstörungen, die Lage wurde schnell unter Kontrolle gebracht.
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Es blieb feierlich still im Wald, Anje hatte ihre Haltung geändert, er sah ihre bloßen Füße im Moos. Er selbst war aufgestanden und hatte sich an den Stamm einer Birke gelehnt. Mit gerunzelter Stirn, und scheinbar ernst mit sich selbst beschäftigt, sah er forschend in die Waldferne, aber seine große Hand verwirrte sich an seiner Halsbinde und an seiner Stirn.
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Viggo Mortensen über Menschlichkeit: „Ein kleiner Funke hätte gereicht“ Der Schauspieler analysiert das menschliche Wesen, berichtet über Religionsstreitereien und schildert die Reaktionen auf eine Bordellszene. Wer ist hier der Gast und wer der Gastgeber? Mohamed (Reda Kateb) und Daru (Viggo Mortensen). Foto: Arsenal Filmverleih Ein warmer Freitagnachmittag in München, auf der Dachterrasse eines Hotels unweit des Karlsplatzes. Viggo Mortensen sitzt unter einem Sonnenschirm; seit zehn Uhr morgens empfängt er Journalisten, um mit ihnen über „Den Menschen so fern“ zu sprechen. In dem Film des französischen Regisseurs David Oelhoeffen hat er die Hauptrolle inne, und er hat sich als Koproduzent engagiert, ähnlich wie schon bei Lisandro Alonsos Film „Jauja“ (2014). Wenn Mortensen auf eine Frage antwortet, holt er weit aus, er spricht gern über das Wesen der Menschen, und selten macht er eine Pause. Immer wieder verteidigt er Albert Camus, den Autor der literarischen Vorlage, gegen Kritiker. taz: Herr Mortensen, hat es Sie gereizt, an einem Film mitzuwirken, der vor dem Hintergrund eines Kolonialregimes und des Widerstands dagegen angesiedelt ist? Viggo Mortensen: Das ist etwas, was überall auf der Welt, in jeder Stadt, in jedem Land ständig geschieht und geschehen wird, solange es Menschen gibt. Von dem Augenblick an, in dem es mehr als eine Gruppe gab, gab es einen Machtkampf zwischen den Gruppen. Wenn Leute in München, Berlin, New York oder Tokio in ein bestimmtes Viertel gehen, sind sie dort mehr oder weniger willkommen. Menschen neigen dazu, Gruppen zu bilden. Um ihre Zurechnungsfähigkeit zu bewahren, stecken sie Individuen in Schubladen. Menschen suchen nach einfachen Antworten für Probleme, ob das nun der Kolonialismus in Nordafrika oder die Probleme zwischen Vierteln in der Stadt, in der man lebt, sind. Wie sind die Nachbarn? Sie sind so und so. Aber vielleicht sind sie noch mal ganz anders. Was für Filme macht David Cronenberg? Seine Filme sind so und so. Dabei macht er doch sehr unterschiedliche Filme. Die beiden Figuren in „Den Menschen so fern“ sind ja in derselben Gegend zur Welt gekommen, vielleicht 10, 20 Kilometer voneinander entfernt, und trotzdem wirken sie auf den ersten Blick sehr unterschiedlich. Und obwohl sie die Gegend gut kennen und dort aufgewachsen sind, haben sie Vorurteile, bewusst oder unbewusst. Daru … … die Figur, die Sie spielen … … mag zwar gereist sein, er ist gebildet, nachdenklich, und er ähnelt Camus, insofern er nach dem richtigen Weg sucht und ehrlich genug ist, um zu erkennen, wann er Fehler macht. Er hat keine Scheu, seine Freunde vor den Kopf zu stoßen, wenn es sein muss. So ähnlich wie Camus, als er nach dem Zweiten Weltkrieg über die Gefahren des Totalitarismus sprach, was ihm Teile der französischen Linken bis heute nicht verziehen haben, die gedankenlosen Erben von Sartre und Beauvoir. Darus Familie kam aus Andalusien nach Algerien. Liegt es deshalb nahe, dass er zwischen die Fronten gerät? im Interview:Schauspieler, Produzent, Dichter und Verleger. 56 Jahre alt Filme (Auswahl): „Den Menschen so fern“ (Regie: David Oelhoffen, 2014), „Jauja“ (Regie: Lisandro Alonso), „Eine dunkle Begierde“ (Regie: David Cronenberg, 2011), „A History of Violence“ (Regie: David Cronenberg, 2005), „Der Herr der Ringe“ (Regie: Peter Jackson, 2001–2003), „Portrait of a Lady“ (Regie: Jane Campion, 1996) Vielleicht. Aber das macht es nicht leichter. Oft ist es ja so, dass Leute, die nicht ganz dazu passen, einen riesige Anstrengung auf sich nehmen, um sich einzufügen. Mein Vater zum Beispiel, ein Einwanderer aus Dänemark, der in den 50er Jahren in die USA kam, hätte gar kein konservativerer Amerikaner sein können. Der Titel der Kurzerzählung ist im Französischen übrigens mehrdeutig, „L’hôte“ heißt Gast und Gastgeber zugleich. Am Anfang der Geschichte scheint es klar zu sein, dass Mohamed der Gast ist, am Ende ist es vielleicht andersherum. Die Erzählung von Camus ist sehr knapp, der Film fügt vieles hinzu … … damit man die Figuren besser kennenlernt … Waren Sie daran beteiligt? Oder lag das allein bei David Oelhoffen, dem Regisseur und Drehbuchautor? Der Film„Den Menschen so fern“. Regie: David Oelhoffen. Mit Viggo Mortensen, Reda Kateb u.a., Frankreich 2014, 102 Minuten. 99,99 Prozent stammen von ihm. Ich mochte seine Adaption sehr, deswegen wollte ich mich an dem Projekt beteiligen. Er hat die Sachen nicht einfach erfunden, sondern andere Arbeiten Camus‘ hinzugezogen, die journalistischen Texte aus den 30er Jahren, die von der Ungerechtigkeit handeln, in der die Araber und die Berber in Algerien lebten. Auch die Briefe und das Drama „Die Gerechten“. Deswegen denke ich, dass die Erweiterungen und die Freiheiten, die er sich gönnt, gerechtfertigt sind und dazu dienen, die Geschichte detaillierter zu machen, was Sprache, Akzente, Gegenstände, Landschaft, Gesten und Verhaltensweisen anbelangt. Je spezifischer etwas ist, umso größer sind die Chancen, dass es universell lesbar ist. Das gilt ja auch für den Zeitrahmen. Wie ist es für Sie, eine Figur zu spielen, die in den 50er Jahren lebte? Das ist ja nicht nur eine Frage der Kostümierung … … sondern auch der Haltung, ja. Ich lese und schaue mir Filme an, setze mich mit der Mode, der Sprache, dem Slang auseinander, und dann gibt es ja noch lebende Relikte jener Zeit, meinen Vater und andere. Und indem ich nach Algerien gereist bin und dort ein wenig Zeit verbracht habe, indem ich mir dokumentarisches Footage aus jener Zeit angesehen habe, habe ich ein Gefühl dafür bekommen, wie Menschen sprachen und sich bewegten. Ich mag diese Zeit der Vorbereitung. Auch das, was man nicht sieht, worauf nur angespielt wird, besonders bei Figuren wie diesen, die so zurückhaltend sind und nicht über ihre Gefühle sprechen. Der Film ist manchmal auch sehr diskret. Zum Beispiel in der Szene, in der Daru der von Angela Molina gespielten Bordellbesitzerin schüchtern auf Spanisch sagt, er kenne sie … … und sie sagt: „Ich kann mich nicht erinnern, das muss lange her sein, mindestens 30 Jahre. Da steckt ja eine Andeutung drin. Vermutlich hat ihn sein Vater dorthin gebracht, und sie war viel jünger. Das war der Brauch damals, wie hätte er sonst vor der Ehe etwas über Sexualität lernen können? Aber es bleibt unausgesprochen, es ist auch nicht so wichtig. Aber es kommt rüber … Das ist interessant. Die Szene ist ja auf vielen Ebenen fruchtbar. Für Mohameds Figur, die ins Leben zurückkehrt. Und wegen der Zartheit – nach all dem, was in den letzten 24 Stunden passiert ist: die französischen Soldaten, der Reiter, den Daru erschossen hat, das tote Pferd, die Gewalt, der sie um ein Haar entkommen sind. Und auch für Daru, der ja zehn Jahre lang dachte, er entscheide sich für das Leben, während er in Wirklichkeit vor dem Lebend davonlief. In Schweden übrigens wurde der Film in fast allen Rezensionen verdammt, weil es eine Szene in einem Bordell gibt. Wegen der schwedischen Antiprostitutionsgesetze? Das ist eine extrem feministische Perspektive. Ich begreife mich als Feministin. Aber ich würde niemals Prostitution verbieten wollen. Das tue ich auch! Aber in Schweden gibt es eine Art Druck, dass man sich äußern muss, sowohl Journalisten als auch Journalistinnen, denn wenn man es nicht tut, bekommt man zu hören: „Warum haben Sie nicht darauf hingewiesen?“ Das ist eine verdrehte Form politischer Korrektheit. Vor allem, weil es um die Vergangenheit geht. Man kann ja schlecht aufgrund heutiger Wertmaßstäbe damalige Umgangsformen verbieten und verbannen. Das Unglückliche daran ist, dass man, wenn man sofort sagt: „Oje, das ist ein Bordell“, nicht mehr sieht, was zwischen den Figuren vor sich geht. Die Schönheit, Mohameds Blick in dem Moment, in dem er von der Bar weggeht, oder mich und die junge Frau, den menschlichen Kontakt, die Zärtlichkeit. Wie viel Zeit haben Sie eigentlich in Algerien verbracht? Vor dem Dreh hatte ich Zeit, zum Glück, also habe ich in Madrid mit jemandem an meinen Arabisch gearbeitet und auch an meinem Französisch, denn das musste besser werden, als es war, und es durfte keine Spur von Quebecois enthalten, ich habe Französisch in Kanada gelernt. Und Algerien … ich war eine Woche dort und habe mit jedem gesprochen, mit dem ich konnte. Ich habe Orte besucht, von denen ich wusste, dass Camus dort gewesen ist. Wie hilft Ihnen das für Ihr Spiel? Zum Beispiel hält Daru diese kurze Rede darüber, wie er in der Basilika Unserer Lieben Frau von Afrika geheiratet habe, und dabei beschreibt er die Aussicht, die man von dort über die Bucht hat. Ich wollte in der Kirche gewesen sein, mit dem Priester gesprochen, sie mit eigenen Augen gesehen haben. Und es ist etwas vorgefallen. Innen gab es einen in die Wand eingravierten Satz: „Gott, wache über alle Christen und Muslime.“ Den schaute ich mir an, dann ging ich in ein Geschäft für Devotionalien, da war ein Mann, der sprach eine Mischung aus Französisch und Arabisch, ich konnte von dem, was er sagte, genug verstehen. Er war Muslim, und er beleidigte den Inhaber des Laden und den Priester: „Wir werden euch loswerden!“ Die anderen waren geduldig, aber es war unangenehm, ein kleiner Funke hätte gereicht, verstehen Sie, was ich meine? Der Mann kam in die Kirche mit seinen Ideen, und was immer auch die anderen sagten, wie menschlich sie sich auch verhielten … … war er von seinem Plan nicht abzubringen? Ich hätte ihm gern gesagt: „Schauen Sie sich mal diesen eingravierten Satz an. Was denken Sie darüber? Stört es Sie, dass Gott über Christen und Muslime wacht?“ Mir sind beide Religionen egal, institutionalisierte Religionen sind die gefährlichsten Märchen, die es gibt. Sie richten viel Schaden an, vor allem unter Leuten, die ungebildet und ungeschützt sind. Wie ist die Situation ausgegangen? Er ist schließlich gegangen und hat dabei jede Menge Sachen gesagt. Ich dachte, er würde gleich mit Kreuzen um sich schmeißen. Hinterher habe ich den Priester gefragt, ob das oft vorkommt. „Von Zeit zu Zeit“, sagte der. Ich fragte: „Wie gehen Sie damit um? Haben Sie Sicherheitspersonal?“ – „Draußen steht ein Mann“ – „Was, wenn eine ganze Truppe von Männern reinstürmt?“ Er antwortete: „Dann geschieht es. Es wird uns nicht daran hindern zu tun, was wir tun. Wir versuchen ja nicht, irgendjemandem zu irgendetwas zu zwingen.“ Welchen Schaden richtet dieser Ort schon an? Keinen. Ideologische Konzepte richten Schaden an, auf beiden Seiten. Auch bei dem, der intolerant ist, er fügt sich selber Schaden zu. Hat die ideologische Verhärtung in Ihren Augen im Lauf der letzten 20 Jahre zugenommen? Ja. Und das, obwohl wir heute im Netz mehr Möglichkeiten haben, etwas herauszufinden und miteinander zu kommunizieren. Aber viele nutzen das Netz, um bereits bestehende Ideen zu bekräftigen, Teil einer Masse zu werden und Vorurteile zu verbreiten.
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Aber selbst alles dieses, was seine Einbildungskraft verwirrte, seinen Stolz verletzte, seine Liebe kränkte, war ihm nicht das Schmerzlichste. Am tiefsten verwundete ihn der Gedanke, daß sein redlicher Vorsatz, sein männlicher Entschluß, sein befolgter Plan, das Geschehene wiedergutzumachen, ganz verkannt, ganz geleugnet, gerade zum Gegenteil ausgelegt werden sollte. Wenn ihn jene Vorstellungen zu einer dunkeln Verzweiflung brachten, indem er bekennen mußte, daß er sein Schicksal verdient habe, so ward er durch diese aufs innigste gerührt, indem er die traurige Wahrheit erfuhr, daß eine übeltat selbst gute Bemühungen zugrunde zu richten imstande ist. Diese Rückkehr auf sich selbst, diese Betrachtung, daß das edelste Streben vergebens sein sollte, machte ihn weich; er wünschte nicht mehr zu leben.
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Die Ampel und ihre Impfpflicht-Pläne: Erste Bauchlandung Kommt die Impfpflicht? Zumindest ihren gesetzten Zeitplan wird die Ampelkoalition nicht einhalten. Sie wiederholt damit die Fehler der Vorgängerregierung. Keine Pflicht in Sicht: Damals-noch-nicht-Kanzler Olaf Scholz bei einem Impftermin im April 2021 Foto: Florian Gaertner/photothek/imago Wird es eine allgemeine Impfpflicht gegen Corona geben? Wetten möchte man derzeit nicht darauf. Die Ampel-Koalition verabschiedet sich gerade scheibchenweise von ihrem ehrgeizigen Ziel, diese rasch einzuführen. Die FDP ist eigentlich schon raus, SPD und Grüne erbitten mehr Bedenkzeit. Die selbsternannte Fortschrittskoalition steuert auf ihre erste Bauchlandung zu. Interessanterweise stolpert sie gerade über das gleiche Thema wie die späte GroKo. Hatte diese noch erklärt, es werde auf keinen Fall eine Impfpflicht geben, vollführte Olaf Scholz als Kanzler in spe die Wende und erklärte, diese komme im Februar oder März. Nun wird klar: Der Zeitplan ist nicht zu halten, die Impfpflicht womöglich auch nicht. Es wäre der doppelte Wortbruch – erst schließt die Große Koalition eine Impfpflicht aus, dann kriegt die nächste Regierung sie nicht hin. Das liegt nicht so sehr am fehlenden Willen. Sondern daran, dass die langsamen Prozesse des Politikbetriebs, die forsche politische Kommunikation und das dynamische Infektionsgeschehen nicht zusammenpassen. Politische Prozesse brauchen Zeit, sie basieren auf Abwägung und Abstimmung, die Ergebnisse müssen am Ende rechtssicher sein und Bestand haben. Ein Virus aber, das sich ständig verändert und Schutzschilde unterwandert, ist der politischen Realität immer mehrere Schritte voraus. Weniger Macherattitüde, mehr Demut Das muss die Ampelkoalition nun schmerzlich erfahren. Erst hat sie mitten in der vierten Welle die Aufhebung der epidemischen Lage nationaler Tragweite beschlossen und war gezwungen, den eigenen Gesetzentwurf hastig nachzubessern. Dann verkündete sie die Einführung einer Impfpflicht, doch die Mutante Omikron zerstörte jäh alle Hoffnungen auf schnelle Eindämmung der Pandemie. Bremen, wo die Impfquote am höchsten ist, hat gerade auch die höchsten Infektionsraten. Im Expertenrat ist man sich zwar einig, dass die Impfung vor schweren Verläufen schützt, der Virologe Christian Drosten betont, dass eine durchgeimpfte Bevölkerung auch für neue Virenvarianten besser gewappnet sein wird. Aber es zeigt eben auch, dass sich eine Impfpflicht nicht so einfach einführen lässt wie der Mindestlohn von 12 Euro. Und dass es sich rächt, den Bür­ge­r:in­nen Hoffnungen vorschnell als Gewissheiten zu verkaufen. Scholz hatte übrigens auch angekündigt, den Stil der politischen Kommunikation ändern zu wollen, um nicht jeden Tag neue Nachrichten zu verkünden. Das könnte die Ampel tatsächlich sofort umsetzen: Weniger Macherattitüde, mehr Demut vor der pandemischen Notlage und auch mal das Eingeständnis, es noch nicht zu wissen.
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Die Äbtissinnen waren aber auch für ihre Freunde, die Mönche, auf das liebevollste besorgt. Kranke Nonnen wurden nicht aufgenommen, ja nicht einmal solche, welche einen übelriechenden Atem hatten. Was dieser der Heiligkeit für Hindernisse in den Weg legen soll, kann ich nicht wohl begreifen; allein für die Unheiligkeit ist er höchst unbequem und bei Eheleuten, wenn ich nicht irre, in manchen Ländern ein Grund zur Scheidung.
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dpa Bild 1/14 - Bundeslandwirtschaftsminister Horst Seehofer dpa Bild 2/14 - 2007 unterlag Seehofer Erwin Huber (r.) noch im Kampf um den CSU-Vorsitz, nach dem Debakel bei der Landtagswahl musste der Niederbayer dem Oberbayern weichen dpa Bild 3/14 - Im Machtpoker um das Amt des bayerischen Ministerpräsidenten setzte sich Seehofer gegen Innenminister Joachim Herrmann (l.) und Wissenschaftsminister Thomas Goppel durch. Beide zogen ihre Kandidatur zurück. dpa Bild 4/14 - Wenige Tage später stand sein Kabinett (im Uhrzeigersinn): Seehofer, Siegfried Schneider als Staatskanzleichef, Innenminister Joachim Herrmann, Kultusminister Ludwig Spänle, Justizministerin Beate Merk, Umweltminister Markus Söder, Agrarminister Helmut Brunner, Sozialministerin Christine Haderthauer, Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP), Wissenschaftsminister Wolfgang Heubisch (FDP), Finanzminister Georg Fahrenschon und Europaministerin Emilia Müller dpa Bild 5/14 - Seehofer beim Gebet anlässlich des 20. Todestages von Franz Josef Strauß in der Pfarrkirche in Rott am Inn dpa Bild 6/14 - Am Sturz von Edmund Stoiber im Januar 2007 war Seehofer nicht beteiligt. Im Gegenzug setzte sich der geschasste Landesvater nach dem Verlust der absoluten Mehrheit bei der Landtagswahl im September 2008 für Seehofer als Spitzenmann ein. dpa Bild 7/14 - Als Bundeslandwirtschaftsminister hatte Seehofer bis dahin andere Aufgaben. Hier widmet er seine Aufmerksamkeit einer Ziege auf der Soila-Alm bei Oberammergau. dpa Bild 8/14 - Auf der „Grünen Woche“ muss er – damals noch als Bundesminster im Amt – seine Trinkfestigkeit unter Beweis stellen dpa Bild 9/14 - Die deutschen Brauer ernannten Seehofer im April 2007 zum „Botschafter des Bieres" dpa Bild 10/14 - Im traditionellen Schäfergewand beim Lammabtrieb im Landkreis Eichstätt macht Seehofer eine gute Figur – vielleicht weil keine schwarzen Schafe in der Herde sind ... dpa Bild 11/14 - Privat gab es im Leben von Horst Seehofer Aufs und Abs. Mit Ehefrau Karin hat er drei Kinder. Nach mehrmonatiger öffentlicher Diskussion über seine Geliebte in Berlin entschied er sich für die Ehefrau. dpa Bild 12/14 - Er sei in dieser Zeit durch ein Stahlbad gegangen, sagte Seehofer. Seine Frau äußerte sich nicht öffentlich. Wolfgang Wilde für Bunte Bild 13/14 - Dafür meldete sich Anfang August 2007 die ehemalige Geliebte zu Wort. In einem „Bunte“-Interview rechnete Anette Fröhlich mit dem CSU-Politiker und Vater ihrer Tochter ab. dpa Bild 14/14 - Antrittsbesuch im Vatikan: Bayerns Ministerpräsident Seehofer (l.) bei Benedikt XVI. 14 Dienstag, 12.11.2013, 20:24 "Jeder kann kandidieren, mir macht das keine Angst." (CSU-Vize Horst Seehofer am 12. Juli zur Ankündigung der Fürther Landrätin Gabriele Pauli, für den CSU-Vorsitz zu kandidieren) hal/dpa
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Ich erwähnte schon _Jean Pauls_ Beispiel: Wenn Sancho Pansa eine Nacht hindurch sich über einem vermeintlichen Abgrund in der Schwebe hält, so ist--nach _Jean Paul_--"bei dieser Voraussetzung seine Anstrengung recht verständig, und er wäre gerade erst toll, wenn er die Zerschmetterung wagte. Warum lachen wir gleichwohl? Hier kommt der Hauptpunkt: wir _leihen_ seinem Bestreben unsere Einsicht und Ansicht, und erzeugen durch einen solchen Widerspruch die unendliche Ungereimtheit." In dieser Erklärung bezeichnet _Jean Paul_ in seiner Weise den Grund der objektiven Komik, als deren Gegenstand Sancho Pansa uns erscheinen kann. Sie beruht auf dem "Leihen". Wir betrachten Sancho Pansa als mit unserer Einsicht begabt und erwarten von ihm, dass er einsichtig handle. Aber schon ehe wir Sancho Pansa "unsere Einsicht liehen", war sein Handeln naiv-komisch. Es war dies genau so lange, als wir ihm _seine_ Einsicht _liessen_ und wussten, dass er die unsrige _nicht_ habe und nicht haben könne, während wir doch _im Gegensatz_ zu ihm die Einsicht _hatten_, und _für uns_ die Handlung darnach beurteilten. Der Eindruck der objektiven Komik kann entstehen, und den der naiven Komik zerstören, erst wenn wir das Recht und die Erhabenheit der _Sancho Pansa_'schen Individualität aus dein Auge lassen. Nur für den, der dafür kein Verständnis hat, mag _Sancho Pansa_'s Gebaren von vornherein und ausschliesslich objektiv komisch sein. So ist überhaupt die Empfänglichkeit für das naiv Komische bedingt durch den Sinn für persönliche Eigenart. Es wandelt sich alles Naive in objektive Komik für den, dem dieser Sinn abgeht. Zugleich bieten freilich die verschiedenen Fälle der naiven Komik bald mehr bald weniger Veranlassung zu dieser Verwandlung. Bei _Sancho Pansa_ und mehr noch bei _Falstaff_ ist jenes, bei _Trim_ dieses der Fall.
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Bundestagsantrag gegen Antisemitismus: Nur die Linke spielt nicht mit Der Bundestag fordert einen Beauftragten für Antisemitismus von der Regierung. Die Linke enthält sich bei dem Antrag von Union, SPD, Grüne und FDP. Zustimmung ohne Die Linke: Abstimmung im Bundestag Foto: dpa BERLIN epd | Mit großer Mehrheit hat der Bundestag am Donnerstag die Berufung eines unabhängigen Antisemitismusbeauftragten der Bundesregierung gefordert. Im Parlament wurde ein gemeinsamer Antrag von Union, SPD, FDP und Grünen verabschiedet, der die Einrichtung dieser Stelle und weitere Maßnahmen zur Bekämpfung von Judenhass verlangt. Auch die AfD stimmte für den Antrag. Die Linkspartei enthielt sich. Zuvor hatte die Partei kritisiert, dass sie nicht an dem Antrag mitarbeiten durfte. Die Berufung eines Antisemitismusbeauftragten war eine der wesentlichen Empfehlungen der vom Bundestag eingesetzten Expertenkommission Antisemitismus, die im vergangenen Jahr ihren Abschlussbericht vorgelegt hatte. Der Beauftragte soll dem Antrag zufolge ressortübergreifend Maßnahmen der Bundesregierung gegen Judenhass koordinieren sowie Ansprechpartner für jüdische Gemeinden, Zivilgesellschaft und Bundesländer sein. Die Festlegung auf eine Ansiedlung des Beauftragten im Bundesinnenministerium aus einer ursprünglichen Antragsfassung aus der Unionsfraktion findet sich im verabschiedeten Dokument nicht mehr. Die SPD plädiert dafür, dass der Beauftragte seinen Sitz im Kanzleramt hat. In dem Antrag wird zudem eine umfassendere Förderung von Projekten gegen Antisemitismus verlangt und eine Überprüfung des Straf- und Versammlungsrechts gefordert, um „wirksam“ gegen das Verbrennen der israelischen Flagge vorgehen zu können. Solche Fahnenverbrennungen, die es im Dezember auf einer Demonstrationen in Berlin gegeben hatte, werden in dem Antrag verurteilt. Es seien nicht einfach Flaggen eines ausländischen Staates, betonte der Vorsitzende der Unionsfraktion, Volker Kauder (CDU). „Die Flagge Israels hat hier eine besondere Bedeutung“, sagte er. Antisemitismus in Form pauschaler Israelkritik wird auch am Beispiel von Aufrufen zum Boykott israelischer Waren verurteilt. Zudem fordert der Antrag die Bundesländer auf, antisemitische Aufstachelungen als „besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse“ bei möglichen Abschiebungen zu werten.
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Vor dem EU-Gipfel: Auf Schmusekurs mit der Türkei Beim EU-Treffen am Donnerstag und Freitag setzt Brüssel auf eine Wiederannäherung an die Erdoğan-Regierung. Sanktionen sind vom Tisch. Die EU will ihre Beziehungen zur Erdoğan-Regierung wieder ausbauen Foto: Francois Lenoir/reuters BRÜSSEL taz | Nach einer monatelangen Krise, die fast zum Krieg in der Ägäis geführt hätte, will die EU ihre Beziehungen zur Türkei wieder ausbauen. Dies kündigte Ratspräsident Charles Michel in einer Einladung für einen EU-Videogipfel an, der am Donnerstag beginnt und bis Freitag dauert. Geplant sei eine Annäherung in mehreren Phasen, die auch wieder zurückgenommen werden könne. Weitere Themen des Gipfels sind Russland, die USA und die Coronapandemie. Die Türkei hatte im Sommer 2020 Griechenland und Zypern mit Gasbohrungen im östlichen Mittelmeer provoziert; es kam zu militärischen Zwischenfällen. Nach Vermittlung durch Deutschland gelang es zuletzt, den Streit zu entschärfen und Gespräche in Gang zu bringen. Die Bundesregierung hat sich zudem erfolgreich für eine „positive Agenda“ eingesetzt, die bis zu einem weiteren EU-Gipfel im Juni umgesetzt werden soll. Als erster Schritt sei ein Besuch der EU-Spitzen in der Türkei denkbar, hieß es in deutschen Regierungskreisen. Berlin wünscht sich zudem eine Neuauflage des Flüchtlingsdeals, den Kanzlerin Angela Merkel 2016 mit Präsident Recep Tayyip Erdoğan eingefädelt hat. Er sieht die Rücknahme von nicht anerkannten syrischen Bootsflüchtlingen in die Türkei vor, wurde zuletzt aber kaum noch umgesetzt. Anfang 2020 hat Erdoğan sogar kurzzeitig die türkisch-griechische Grenze geöffnet. Ebenfalls im Gespräch ist eine Modernisierung der Zollunion mit der Türkei. Sanktionen sind dagegen vom Tisch. Die EU hatte sich nach der Krise im östlichen Mittelmeer zwar auf automatische Sanktionen verständigt, diese jedoch vor einer Woche überraschend einkassiert. Auch beim Treffen der EU-Außenminister am Montag, bei dem ein ganzes Bündel von Sanktionen gegen China, Myanmar und andere Länder verhängt wurde, blieb die Türkei verschont. „Doppelstandards“ zugunsten der Türkei Es gebe „Licht und Schatten“, sagte Außenminister Heiko Maas zur Begründung. Zu den Schattenseiten zählt der Verbotsantrag gegen die Oppositionspartei HDP sowie der Austritt der Türkei aus der Istanbul-Konvention zum Schutz der Frauen. Die Türkei missachtet zudem ein Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs, das im Dezember 2020 die sofortige Freilassung des Oppositionspolitikers Selahattin Demirtaş forderte. In vergleichbaren Fällen hat Brüssel mit Sanktionen reagiert. Die EU lege „Doppelstandards“ an, kritisierte der im deutschen Exil lebende türkische Journalist Can Dündar. Die EU-Politiker seien „dankbar“ für die Zusammenarbeit mit Ankara in der Flüchtlingspolitik und deshalb bereit, ihre Prinzipien zu opfern. Für ein härteres Vorgehen sprach sich Human Rights Watch aus. Die EU-Chefs sollten nicht zur Tagesordnung übergehen, „während die türkische Regierung ihre Angriffe auf Kritiker, die parlamentarische Demokratie und Frauenrechte eskaliert“, erklärte Geschäftsführer Kenneth Roth. Eiszeit zwischen Russland und EU Ein weiteres Reizthema beim EU-Gipfel ist Russland. Die Beziehungen hatten sich in den letzten Wochen massiv abgekühlt, nachdem die EU mehrere Sanktionen im Fall des Kremlkritikers Alexei Nawalny verhängt hatte. Der Gipfel sollte nun eigentlich eine strategische Neubewertung vornehmen. Dies wurde jedoch von der Tagesordnung gestrichen. Nun soll Michel nur noch von einem Gespräch mit Kremlchef Wladimir Putin berichten. Das Verhältnis zu Russland sei auf einem historischen „Tiefpunkt“, hat Michel bereits öffentlich erklärt. Putin wiederum warf den Europäern eine „konfrontative“ Politik vor. Russlands Außenminister Sergei Lawrow sagte, Moskau werde künftig nicht mehr mit der EU reden, sondern nur noch mit einzelnen Mitgliedsländern. Zudem will sich Russland enger mit China abstimmen. Peking war ebenfalls mit EU-Sanktionen belegt worden und hat danach Vergeltung geübt – etwa mit Reiseverboten für mehrere Europaabgeordnete. Positive Impulse erhofft sich Michel von einem kurzfristig angesetzten Videotermin mit US-Präsident Joe Biden. Es sei „Zeit zur Wiederherstellung unserer transatlantischen Allianz“, twitterte er. Allerdings gibt es auch mit den USA Streit, etwa über die Sanktionen gegen die deutsch-russische Gaspipeline Nord Stream 2. Man könne nicht immer einer Meinung sein, hieß es dazu in Berlin.
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Martin Schirdewan über Neuausrichtung der Linken: „Es wird kein Weiter so geben“ Mit Janine Wissler soll Martin Schirdewan die Linke aus der Krise führen. Der Parteitag habe eine Richtungsentscheidung getroffen, sagt er. Hat ein gutes Gefühl – Neuer Co-Vorsitzende der Linken Martin Schirdewan Foto: Martin Schutt/dpa taz: Herr Schirdewan, Sie sind neuer Parteichef der Linkspartei. Wird jetzt alles wieder gut? Martin Schirdewan: Die Weichen sind gestellt. Der Parteitag hat mit großer Mehrheit dafür votiert, dass wir jetzt die Selbstbeschäftigung beenden und die Brot-und-Butter-Themen einer modernen sozialistischen Gerechtigkeitspartei ins Zentrum unserer politischen Arbeit stellen. Warum geht es der Linkspartei denn so mies? Ein Gutteil der Krise ist tatsächlich hausgemacht. Das stimmt mich aber optimistisch, dass wir aus der Krise wieder rauskommen. Wenn wir die Selbstbeschäftigung beenden, werden wir es schaffen, mit einer Stimme unsere politischen Themen wie Mietendeckel, Energiepreise, Übergewinnsteuer und das Ende der Nahrungsmittelspekulation ins Zentrum zu stellen und dafür sorgen, dass unsere Mitglieder wieder stolz am Infostand für Die Linke werben. im Interview:Martin SchirdewanFoto: dpageboren 1975, steht seit dem Erfurter Parteitag im Juni 2022 gemeinsam mit Janine Wissler an der Spitze der Linkspartei. Der in der DDR aufgewachsene Politikwissenschaftler gehört seit 2017 dem EU-Parlament an und ist dort Vorsitzender der Linken-Fraktion. Er gehört zum Reformerlager der Partei. Und das ändert sich jetzt mit der neuen Parteispitze? War die alte so unfähig? Der Parteitag hat klar signalisiert: Es wird kein Weiter so geben. Was früher falsch gelaufen ist, kann ich nicht beurteilen, weil ich noch nicht in der Parteispitze war. Aber klar ist: Wir müssen ein politisches Zentrum in der Partei etablieren, dass unsere politischen Schwerpunkte definiert. Wir erwarten eine Kaufkraftkrise, die gerade Leute mit niedrigem Einkommen treffen wird. Einkommensschwache Familien können ihre Rechnungen nicht mehr zahlen. Wir müssen endlich wieder die Stimme jener sein, die am stärksten von den sozialen Ungerechtigkeiten betroffen sind. Gehören zu diesem Zentrum auch Sevim Dağdelen und Sahra Wagenknecht?Wir haben eine gewisse Bandbreite in der Partei. Parteitage sind dazu, da Richtungsentscheidungen zu treffen und das haben wir sehr deutlich getan. Jetzt geht’s darum, dass die Führungskräfte in Partei, Fraktion und Landesverbänden in eine Richtung laufen. Bei der Wahl des Bundesgeschäftsführers haben Sie und ihre Co-Vorsitzende Janine Wissler nicht ihren Kandidaten durchgesetzt, sondern einen, der Fraktionschef Dietmar Bartsch nahesteht. Wie stellen Sie sich die Zusammenarbeit vor? Der Parteitag hat eine souveräne Entscheidung gefällt. Ich kann mir mit Tobias Bank eine vertrauensvolle Zusammenarbeit vorstellen. Er ist Mitglied des Parteivorstandes und ein anerkannter Kommunalpolitiker. Nach dem Parteitag geht es jetzt darum, gemeinsam in die Partei zu wirken. Ich habe ein gutes Gefühl. Sie sind Vorsitzender der Linken-Fraktion im Europaparlament. Bleiben Sie das? Mein Mandat in Brüssel werde ich behalten. Meine künftige Rolle dort werde ich mit den Kolleginnen und Kollegen dort besprechen. Ich werde mit 100 Prozent Leidenschaft und Einsatz Parteivorsitzender der Linken sein. Die Linkspartei war sich bislang bei zentralen Themen wie Migration, Corona oder Klimapolitik uneins. Bei Europa auch. Soll die Linkspartei EU-freundlich sein – oder die EU als Agentur des Neoliberalismus bekämpfen? Wir brauchen eine europapolitische Debatte und Klarheit. Das hat uns vor der letzten Europawahl gefehlt. Wir werden bis zur nächsten Wahl 2024 ein einheitliches Profil haben. Aber manche wollen die EU abschaffen, andere die Vereinigten Staaten von Europa. Wie soll das zusammen gehen? Wir kritisieren den Stabilitäts- und Wachstumspakt, der die Investitionen verhindert, die wir für den sozialökologischen und sozialdigitalen Wandel brauchen. Wir kritisieren die europäische Agrarpolitik, weil die die großen Agrobusiness-Betriebe bevorzugt. Wir fordern eine Demokratisierung der europäischen Entscheidungsprozesse, ein Initiativrecht für das Europäische Parlament. Wir werden sowohl unsere positiven Vorschläge als auch unsere Kritik konkretisieren müssen. Also ein proeuropäischer Reformkurs? Ein an den Realitäten orientierter Kurs. Die EU ist Realität. Der Brexit hat bei vielen europäischen Linksparteien, die sehr EU-kritisch waren oder auch einen EU-Austritt gefordert haben, zu radikalem Umdenken geführt. Eine Rückkehr zum Nationalstaat ist sowohl für die Wirtschaft als auch für die einfachen Leute sehr, sehr teuer. Wer das nicht sieht, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Auf dem Parteitag gab es scharfe Abgrenzung von den Grünen, denen auch Sie vorgeworfen haben, nur an Waffenlieferungen zu denken. Sind die Grünen der neue Hauptfeind der Linkspartei? Nein, die Linke kritisiert als sozialistische Oppositionspartei die Regierungspolitik. Die Grünen sind Teil dieser Regierung. Sie tragen auch den Tankrabatt mit, den die FDP durchgesetzt hat, oder das Entlastungspaket, dass die Hälfte der Bevölkerung vergisst. Wenn die Ampel ihrer sozialen Verantwortung nicht gerecht wird, dann treten wir ihnen auf die Füße. Damit sie anfangen, Politik für die Mehrheit der Bevölkerung zu machen.
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Antisemitismus in der FPÖ: Judenhass mit Zwinkersmiley Die FPÖ-Abgeordnete Susanne Winter hat einem antisemitischen Facebook-Posting zugestimmt. Sie könnte dafür aus ihrer Partei fliegen. „Vieles darf ich nicht schreiben“, schrieb Susanne Winter. Ja, warum nur? Foto: Reuters Die österreichische FPÖ-Abgeordnete Susanne Winter hat ein Problem: Sie könnte zu rechts für ihre Partei sein. Winter wird kritisiert, weil sie auf Facebook einem antisemitischen Posting zugestimmt hat. Nachdem sie einen Artikel über den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán geteilt hatte, schrieb ein User dazu einen Kommentar über die „Zionistischen Geld-Juden“: Diese seien weltweit „das Problem“. „Europa und Deutschland im speziellen bekommt nun von den Zionistischen Juden und speziell von den Reichen Zionistischen Juden in den USA die Quittung für Jahrhundertelange Judenverfolgung in Europa. Europa und im Besonderen Deutschland sollen nach dem Willen der zionistischen Juden als wirtschaftliche Konkurenz gegenüber den USA ein für alle mal ausgeschaltet werden.“ Susanne Winter schrieb dazu: „... schön, dass Sie mir die Worte aus dem Mund nehmen ;-). Vieles darf ich nicht schreiben, daher freue ich mich um so mehr über mutige, unabhängige Menschen!“ Nun heißt es von Seiten der FPÖ, das Posting von Winter sei „absolut inakzeptabel“. Der Generalsekretär der Partei, Herbert Kickl, sagte, man müsste „das Zustandekommen des Postings und die Verantwortlichkeit dafür“ prüfen. Ein Ausschluss aus der FPÖ sei eine mögliche Konsequenz, berichtet Der Standard. „In der FPÖ ist kein Platz für Antisemitismus“, sagte Kickl. Der Kommentar ist mittlerweile gelöscht, Screenshots gibt es aber unter anderem auf Twitter. Die österreichischen Grünen fordern von FPÖ-Parteichef Heinz-Christian Strache, er möge für Winters Rücktritt sorgen, wenn sie es nicht selbst tut. „Die Keule ist zu groß.“ Winter selbst schrieb inzwischen auf ihrer Facebook-Seite: „Ja, das war ein Fehler, aber jeder Mensch macht Fehler.“ Antisemitisches Gedankengut sei ihr immer zuwider gewesen. Kurz darauf ergänzte sie, dass sie nicht wisse, ob sie die Erwartungen noch erfüllen könne: „Die Keule ist zu groß.“ Der Standard deutet dies als Überlegung zu einem Rückzug. Eigentlich müsste Susanne Winter inzwischen Erfahrung haben im Umgang mit heiklen Aussagen. Mal sprach sie davon, Kindesmissbrauch sei bei islamischen Männern weit verbreitet, mal erklärte sie den Propheten Mohammed zu einem Kinderschänder (“Warum darf man das nicht sagen?“). Außerdem schlug sie vor, im Grazer Stadtpark ein Tierbordell zu errichten, damit muslimische Männer sich nicht an Mädchen vergreifen müssten, sondern eben an Tieren. Für ihre Aussagen wurde sie 2009 wegen Verhetzung und Herabwürdigung religiöser Lehren verurteilt.
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Slowenien baut Grenzzaun zu Kroatien: Von Viktor Orban lernen Die slowenische Regierung dementiert, die Grenze zum südlichen Nachbarn zu schließen. Die Rhetorik deutet jedoch auf eine Verschärfung hin. Slowenische Grenzsicherung südlich der Ortschaft Gibina. Foto: dpa BERLIN taz | Als der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban seinen slowenischen Amtskollegen Miro Cerar in der vergangenen Woche anlässlich des „Tags der ungarischen Minderheit“ in der slowenischen Grenzstadt Lendava traf, fand der Ungar gewohnt drastische Worte. Mit Blick auf die Flüchtlinge auf ihrem Weg über den Balkan beschwor Orban „Europas christliche Wurzeln“ und die Verantwortung beider Länder, diese zu schützen. „Wir sind gebunden durch unsere Vergangenheit und durch unsere gemeinsame Sorge um die Zukunft. Unser Handeln wird entscheiden, ob wir an den Folgen der Geschichte leiden oder ob wir selber Geschichte schreiben werden.“ Cerar kommentierte das in Lendava noch nicht, scheint sich aber auf dem Treffen den einen oder anderen Rat Orbans zu Herzen genommen zu haben. Am Dienstag dieser Woche verkündete er in Ljubljana, dass Slowenien „technische Sicherungsmaßnahmen“ an der Grenze zu Kroatien errichten werde. Nicht, um die Grenze zu schließen, wie Cerar betonte, sondern um „eine Streuung der Migranten zu verhindern und einen geregelten Strom der neuen Ankunftswelle zu sichern. Staatspräsident Borut Pahor wurde ebenfalls schon in der vergangenen Woche deutlicher, was die zumindest mittelbare Motivation der Grenzsicherungsmaßnahmen angeht. Pahor erklärte es zur Staatsraison, zu verhindern, dass sich die Grenze des Schengenraumes im Zuge der Flüchtlingsbewegungen von der slowenischen Südgrenze an die österreichische verschiebe. Angesichts der deutschen Pläne um die Wiederanwendung der Dublinregeln und wiederholte Gerüchte um Stauungen an der deutsch-österreichischen Grenze werden in Slowenien sehr aufmerksam wahrgenommen. Die Meldung, dass Österreich zumindest informell eine Verringerung der Durchlässigkeit seiner Grenze ankündigt, dürfte zur Sorge in Ljubljana beigetragen haben, dass die nördlichen Nachbarn ihrerseits die Grenzen schließen könnten. Lob aus Österreich Kaum begann die slowenische Armee am Mittwoch mit der Errichtung von Stacheldrahtzäunen nahe der Grenzdörfer Gibina und Rigonce, lobte denn auch die österreichische Inninministerin Johanna Mikl-Leitner: „Damit beweisen unsere Nachbarn, dass sie verantwortungsvoll mit unserer gemeinsamen Außengrenze umgehen und haben dafür unsere volle Unterstützung“. Auch die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel äußerte sich positiv zum slowenischen Vorgehen. taz.bewegungWas macht die Bewegung vor Ort? Termine wie Infoabende, Diskussionsveranstaltungen, Demonstrationen und Versuche der praktischen Solidarität sammeln wir im Terminfeed zum Schwerpunkt Flucht und Migration auf bewegung.taz.de. Die bis zu zwei Meter hohen Zäune werden vorerst nur an zwei Brennpunkten aufgestellt, da die slowenisch-kroatische Grenze insgesamt durch viele geografische Barrieren kaum zun massenhaften Grenzübertritten einlädt. Vor allem in der Gegend um Rigonce jedoch ist die Grenze zwischen Wiesen, Feldern und sanften Hügeln mehrfach von Hunderten Flüchtlingen aus Kroatien überquert worden. Jedoch sind laut verschiedenen Medienberichten auch lokale Behörden in schwerer zugänglichen Grenzregionen bereits über einen geplanten zweiten Schritt der umfassenden Sicherung in Kenntnis gesetzt. Harte Kritik am Vorgehen der slowenischen Regierung kommt derweil von mehreren slowenischen humanitären Organisationen. In einer gemeinsamen Erklärung kritisieren sie vor allem Präsident Pahor, der Menschlichkeit und Mitgefühl mit Blick auf die Anerkennung durch andere EU-Staaten gänzlich über Bord werfen wolle. Parlamentarische Kritik üben einzig die sechs Abgeordneten der „Vereinigten Linken“, die die Maßnahmen als „unangemessen und anti-humanitär“ bezeichnen. Tatsächlich müssen Flüchtlinge auf dem Weg zwischen Griechenland und Slowenien nun bald damit rechnen, an einer der Grenzen ohne weitere Versorgung länger zu stranden. Noch sind die Temperaturen auf der Route ungewöhnlich mild für die Jahreszeit. Bei gleichbleibenden Flüchtlingszahlen ist jedoch spätestens mit dem Wintereinbruch eine humanitäre Katastrophe zu erwarten. In der vergangenen Woche erreichten im Durchschnitt 6.000 Menschen täglich Slowenien. Die Tendenz ist derzeit leicht steigend. Die slowenische Regierung erwartet in den kommenden Tagen eine deutliche Zunahme, was von kroatischer Seite bislang nicht bestätigt wird.
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Sie ging ohne Gutenachtkuß, und Peterlein rief sie nicht zurück. Er saß noch immer in seinem Bettchen und rang mit seltsamen Gedanken. War das nicht alles schon oft so geschehen?... Was denn?... Das mit den Steinen? -- -- Das war ja unmöglich. Nein, aber das, das so weh tat, so furchtbar weh ... das -- -- ja, nun wußte er's ... Die Mutter liebte ihren kleinen Peter lange nicht so, lange nicht so -- wie sie den Vater liebte.
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Beziehungen Deutschland und Marokko: Rabat geht auf Konfrontation Offiziell ist es nicht, aber Marokko will offenbar die Beziehungen zu Deutschland abbrechen. Hintergrund ist der Streit über die Westsahara. Das Schreiben des Außenministers Nasser Bourita wurde zuerst auf sozialen Netzwerken geleakt Foto: Chadi/imago MADRID taz | Die marokkanische Regierung hat Medienberichten zufolge die Beziehungen zu Berlin auf Eis gelegt. In einem Schreiben des Außenministers Nasser Bourita, das von Onlinemedien des Landes seit Montagabend verbreitet wird, ordnet dieser an, dass „alle ministeriellen Abteilungen und die Gesamtheit der ihnen unterstehenden Organisationen […] alle Kontakte und jede Interaktion […) sowohl mit der deutschen Botschaft in Marokko als auch mit den mit ihr verbundenen Organisationen und den deutschen politischen Stiftungen abbrechen.“ Jedwede Ausnahme müsse vom Außenministerium genehmigt werden. Als Grund nennt Bourita in dem halbseitigen Schreiben „tiefe Missverständnisse in grundlegenden Fragen des Königreichs Marokko“. Das Schreiben wurde zuerst auf sozialen Netzwerken geleakt, um dann von der Presse aufgegriffen zu werden. Eine offizielle Stellungnahme aus Rabat gab es bis Dienstagnachmittag nicht. Ob es eine entsprechende diplomatische Note an die deutsche Botschaft oder direkt an das Auswärtige Amt in Berlin gab, war nicht bekannt. „Wir haben die Medienberichte zur Kenntnis genommen“, erklärte das Auswärtigen Amt am Dienstag gegenüber der taz lediglich. Eigentlich unterhält Marokko gute politische und wirtschaftliche Beziehungen zu Deutschland. Doch spätestens seit Dezember ist Rabat über die deutsche Außenpolitik empört. Damals erkannte der ehemalige US-Präsident Donald Trump die Hoheit Marokkos über die Westsahara an. Für die Vereinten Nationen ist die militärische Annexion der ehemaligen spanischen Kolonie durch Marokko 1975 völkerrechtswidrig. Berlin kritisierte deshalb die Trump-Linie. Wenige Wochen vor Trumps Erklärung hatte die Unabhängigkeitsbewegung in der Westsahara, die Polisario, den seit 1990 gültigen Waffenstillstand gekündigt und greift seither regelmäßig marokkanische Stellungen an. Die Polisario verlangt, dass endlich das 1990 ausgehandelte Referendum über die Zukunft der Westsahara abgehalten wird. Schritt kommt nicht überraschend Aus dem Umfeld der deutschen Stiftungen vor Ort hieß es am Dienstag über Bouritas ­Schreiben: „Eine solche Anordnung des Außenministeriums muss auf eine Initiative von ganz oben zurückgehen.“ Unter anderem sind die Parteistiftungen der SPD, FDP, CDU und der Grünen in dem nordafrikanischen Land vertreten. Dass sie jetzt unter der diplomatischen Strategie von König Mohammed VI. leiden, kommt nicht wirklich überraschend. „Die Stiftungen, die viel zu Menschen- und Bürgerrechten arbeiten, stehen seit Jahren unter Druck“, erklärt der Kenner der Szene. Die Anträge von Mitarbeitern auf Aufenthaltsgenehmigungen würden gezielt verschleppt, Steuerprüfungen würden als Repressalien genutzt, Veranstaltungen immer wieder abgesagt. Bereits 2019 war es zu Verstimmungen zwischen Rabat und Berlin gekommen. Damals wurde Marokko nicht zu einer Konferenz über die Zukunft Libyens geladen. König Mohammed VI. sieht sein Land als Regionalmacht, die ein Mitspracherecht habe.
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»Er ist auch sehr für das Romantische, was freilich gleich nach der Liebe kommt und nach Meinung einiger sogar damit zusammenfällt. Was ich aber nicht glaube. Denn in seinen späteren Gedichten, die man denn auch die 'romantischen' genannt hat, oder eigentlich hat er es selber getan, in diesen romantischen Dichtungen wird in einem fort hingerichtet, allerdings vielfach aus Liebe. Aber doch meist aus anderen gröberen Motiven, wohin ich in erster Reihe die Politik. die fast immer gröblich ist, rechne. Karl Stuart zum Beispiel trägt in einer dieser Romanzen seinen Kopf unterm Arm, und noch fataler ist die Geschichte vom Vitzliputzli ...«
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Sie ging an die Haustür und klopfte mit einigen schweren Schlägen an. Sie faßte an das Schloß und rüttelte daran, daß es im ganzen Hause widerhallte. Niemand kam und öffnete; als sie aber die eiserne Türklinke loslassen wollte, die sie mit den bloßen Händen erfaßt hatte, riß sie sich die an dem Metall festgefrorene Haut von den Händen.
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Der Sieg Pranab Mukherjees schien schon Wochen vor der Präsidentschaftswahl beschlossene Sache zu sein. Kurz nachdem die regierende Kongresspartei und ihre Koalitionspartner bekannt gegeben hatten, den damaligen Finanzminister und einflussreichen Politikveteranen ins Rennen um das höchste Staatsamt zu schicken, signalisierten auch mehrere Links- und Regionalparteien ihre Unterstützung für den 76-Jährigen. Die Opposition verzichtete vor diesem Hintergrund auf einen eigenen Bewerber und versammelte sich eher halbherzig hinter dem früheren Parlamentspräsidenten Purno Agitok Sangma, der als unabhängiger Kandidat antrat. Die Entscheidung fiel Mitte Juli. Zur Wahl aufgerufen waren 776 Abgeordnete des Ober- und Unterhauses in Neu Delhi sowie 4120 Volksvertreter der Landesparlamente. Drei Tage nach der Abstimmung stand das Ergebnis fest: Das Wahlgremium hatte Pranab Mukherjee mit deutlichen 69 Prozent der abgegeben Stimmen zum 13. Präsidenten der Republik Indien gewählt. Damit steht nach dem beliebten Wissenschaftler Interner Link: Abdul Kalam und der glücklos agierenden Ex-Gouverneurin Interner Link: Pratibha Patil wieder ein echter Vollblutpolitiker an der Spitze des Staates. Der im Volk verehrte und über Parteigrenzen hinweg anerkannte Kalam hatte vor fünf Jahre seinen Posten aufgrund der veränderten politischen Machverhältnisse im Land verloren. Pratibha Patil hingegen war von der eigenen Kongresspartei nicht wieder nominiert worden. Das erste weibliche Staatsoberhaupt Indiens habe die in sie gesetzten hohen Erwartungen nicht im Ansatz erfüllen können, glauben Beobachter. Während ihrer gesamten fünfjährigen Amtszeit sei sie blass und unnahbar geblieben. Der indische Präsident nimmt wie in Deutschland vor allem repräsentative Aufgaben wahr. Gleichwohl hat er die Möglichkeit, politische Akzente zu setzen. Pranab Mukherjee machte davon gleich in seiner Antrittsrede Gebrauch und nannte den Kampf gegen die Armut als eine seiner wichtigsten Aufgaben. Ein Drittel der rund 1,2 Milliarden Inder lebt unterhalb der Armutsgrenze. "Es gibt keine schlimmere Demütigung als den Hunger", sagte er. Alle Menschen müssten am wirtschaftlichen Aufschwung des Landes teilhaben können, so dass "Armut aus dem Wörterbuch des modernen Indien gestrichen werden kann". Dieses Vorhaben müsse zu einer "nationalen Mission" werden. Aus Westbengalen ins Zentrum der Macht Pranab Kumar Mukherjee, so sein vollständiger Name, wurde am 11. Dezember 1935 in einem kleinen Dorf in der Region Birbhum im heutigen Bundesstaat Westbengalen geboren. Sein Vater engagierte sich um Interner Link: Unabhängigkeitskampf gegen die britischen Kolonialmachthaber, was den Sohn später inspirieren sollte, selbst in die Politik zu gehen. Nach der Schule studierte Mukherjee in Kolkata (Kalkutta) Politische Wissenschaften, Geschichte und Jura. Dann arbeitete er als Dozent, Anwalt und Journalist in der Millionenmetropole, bevor er sich Mitte der 60er Jahre zunehmend politisch engagierte. Den Schritt auf die große Bühne wagte Mukherjee im Juli 1969, als er für eine bengalische Regionalpartei erstmals ins indische Oberhaus gewählt wurde. "Vor meiner Wahl in die Rajya Sabha (Oberhaus) war ich nie in Delhi gewesen", bekannte er unlängst in einem Beitrag für "India Today". Die Reise zu seiner ersten Parlamentssitzung sei daher auch die erste Reise in die Hauptstadt und ins Zentrum der Macht gewesen. Regiert wurde Indien damals von Premierministerin Interner Link: Indira Gandhi, die mit ihrer Kongresspartei die politischen Geschicke des Landes bestimmte. Schon in den ersten Wochen nach seinem Eintritt ins Oberhaus sei die mächtige Regierungschefin auf ihn aufmerksam, erinnert sich Mukherjee in "India Today". Im persönlichen Gespräch habe sie seine Reden gelobt und ihn immer wieder dazu ermuntert, sich der Interner Link: Kongresspartei anzuschließen. 1971 folgte der junge Parlamentarier dem Ruf. Zwei Jahre später berief Indira Gandhi ihn erstmals als Industrieminister in ihre Regierung. Enger Vertrauter an Indira Gandhis Seite Mitte der 70er Jahre geriet die Premierministerin innenpolitisch immer stärker unter Druck. Doch anstatt zurückzutreten, wie von vielen Seiten gefordert, verhängte Indira Gandhi Mitte 1975 den Ausnahmezustand über das Land. Während des zweijährigen nationalen Notstands – der sogenannten Emergency – ließ sie Oppositionspolitiker ins Gefängnis werfen und Grundrechte der indischen Bürger außer Kraft setzen. Als Ausweg aus der Krise wurden im Frühjahr 1977 kurzfristig Neuwahlen angesetzt, die die äußerst unpopulär gewordene Kongresspartei und ihre Chefin haushoch verlor. Nach der verheerenden Niederlage sagten sich viele Parteigrößen von Indira Gandhi los. Mukherjee blieb an ihrer Seite. Als einer ihrer engsten Mitarbeiter organisierte er das politische Comeback, das im deutlichen Wahlsieg der Kongresspartei im Jahr 1980 mündete. In der neuen Regierung war Mukherjee zunächst Handels- später Finanzminister. In dieser Funktion wurde er auch Vorsitzender der Gruppe der 24, die sich für die Interessen der Entwicklungsländer beim Internationalen Währungsfonds und bei der Weltbank einsetzte. Für Kritik sorgt in Indien allerdings bis heute Mukherjees Weigerung, sich selbstkritisch mit der Zeit des Ausnahmezustands auseinanderzusetzen. So weigerte sich der Parteisoldat einer Untersuchungskommission Rede und Antwort zu stehen, die die Geschehnisse zwischen 1975 und 1977 aufarbeiten sollte. In Publikationen zeigte er zudem immer wieder Verständnis für die damaligen Entscheidungen Indira Gandhis. Die Ermordung der Regierungschefin im Jahr 1984 stellte auch für Mukherjee eine politische Zäsur dar. Gandhis Sohn und Nachfolger Rajiv hatte ihn zunächst als Finanzminister bestätigt, sich aber Ende 1984 nach Unstimmigkeiten von ihm getrennt. Zwar blieb Mukherjee Abgeordneter, aber sieben Jahre lang hatte er kein Regierungsamt inne. Erst 1991 – nach dem tödlichen Attentat auf Rajiv Gandhi – kehrte er als stellvertretender Chef der Planungskommission in den Machtapparat zurück. 1993 übernahm er erneut das Handelsministerium, 1995 wurde er Außenminister. Einzug in die Parteiführung und einflussreicher Minister Nach der Wahlniederlage gegen die Interner Link: Hindunationalistische Volkspartei (BJP) eine Jahr später stieg Mukherjee ins Führungsgremium der Kongresspartei auf. Dort machte er sich als ausgewiesener Fachmann für wirtschaftspolitische Fragen einen Namen und formulierte das neue Wirtschaftsprogramm seiner Partei maßgeblich mit. Die Wahlen im Mai 2004 brachten die Kongresspartei unter Führung von Rajiv Gandhis Witwe Sonia erneut in Regierungsverantwortung. Sonia Gandhi ernannte Manmohan Singh zum Premierminister, der Mukherjee zunächst zum Verteidigungsminister machte. Nach einer Kabinettsumbildung 2006 übernahm er das Außenministerium. Unabhängig von seinen Posten galt Mukherjee als wichtigstes Regierungsmitglied hinter dem Premier. So war es vor allem sein Verhandlungsgeschick, das in diesen Jahren den Zusammenhalt der fragilen Koalition der Vereinigten Progressiven Allianz (United Progressive Alliance, UPA) sicherte. Nach dem neuerlichen Wahlerfolg der UPA im Jahr 2009 und bis zu seiner Nominierung für das Präsidentenamt führte Mukherjee das Finanzministerium. In dieser Funktion fiel ihm die Aufgabe zu, die ins Stocken geratenen Wirtschaftsreformen zu forcieren. Neben anhaltenden innenpolitischen Widerständen gegen eine weitere Öffnung der indischen Wirtschaft machten ihm dabei jedoch vor allem die Folgen der internationalen Finanzkrise zu schaffen. Zwar blieb Indien von allzu massiven Erschütterungen verschont, doch ein wachsendes Haushaltsdefizit, eine hohe Inflation und ein insgesamt abgeschwächtes Wirtschaftswachstum sorgten auch für Kritik an Finanzminister Mukherjee. Die Deutsch-Indischen Handelskammer urteilte über die Wirtschafts- und Finanzpolitik im Frühjahr 2012 in ihrem Externer Link: Business-Monitor (PDF) vernichtend: Das Land werde von einer Regierung geführt, "die immer mehr vor Reformen zurückschreckt". Mit seiner Wahl zum Staatsoberhaupt und dem Einzug in Neu Delhis imposanten Präsidentenpalast Rashtrapati Bhawan hat sich Pranab Mukherjee vorerst aus der aktuellen Tagespolitik verabschiedet. Gleichwohl sind die Erwartungen an ihn weiterhin hoch, nicht zuletzt weil mit einem so deutlichen Mandat ins Amt gewählt wurde.
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Nach Bränden in Griechenland: Wut auf die Politik Die Regierung tue nichts, um den illegalen Bau von Häusern zu stoppen, sagen viele GriechInnen. Das habe nun die Feuerkatastrophe begünstigt. Die trauernden Menschen auf dem Syntagmaplatz stimmten Gesänge für die Toten an Foto: reuters Am Montagabend haben sich in Athen hunderte Menschen zum Gedenken der Opfer der Brandkatastrophe in Attika versammelt. Sie stellten vor dem griechischen Parlament am Syntagmaplatz Kerzen auf. Politiker waren ausdrücklich nicht eingeladen, ihnen wurde mitgeteilt, sie sollen sich von der Gedenkfeier fern halten. Zahlreiche Menschen im Land geben früheren Regierungen und auch der jetzigen Regierung unter Linken-Chef Alexis Tsipras die Schuld an der Katastrophe. Vor einer Woche wüteten in den Ortschaften Mati, Rafina und Neos Vouzas, etwa 30 Kilometer östlich und westlich außerhalb von Athen, mehrere Waldbrände. Die Zahl der Todesopfer liegt mittlerweile bei 92. Noch immer werden zahlreiche Menschen vermisst. „Ich bin so wütend auf alle, die das Land je regiert haben“, sagt auch Ranja Paraskebapou, die zur Gedenkveranstaltung auf dem Syntagmaplatz gekommen ist. Man habe bei der Ausstattung der Feuerwehr gespart. Außerdem hätten bereits vorherige Regierungen den illegalen Bau von Häusern über Jahrzehnte geduldet – auch die Regierung unter Tsipras mache da keine Ausnahme. Denn eine Ursache für die Auswirkungen der Brände sei der illegalen Bau von Häusern gewesen. Experten sagen, es habe zahlreiche bauplanerische Verstöße an den Orten der Brandkatastrophe gegeben. So sind Häuser zu nahe an Wäldern errichtet worden und blockierten den schnellen Weg zum Strand sowie einen leichten Zugang für Löschfahrzeuge in die Regionen. Angst vor Stimmenverlusten „Auch die Syriza hat in ihrer bisher dreijährigen Regierungszeit nichts dagegen übernommen“, sagt Paraskebapou kopfschüttelnd. Keine Regierung habe sich dem entgegengestellt – wohl aus Angst vor Stimmenverlusten. Die Politik sei doch dazu da, Regeln aufzustellen, damit eine Gesellschaft in Frieden existieren könne, sagt eine andere Frau leise. Gleich nach Ablauf der dreitägigen Staatstrauer erhob nun auch die Opposition Vorwürfe gegen die linksgeführte Syriza-Regierung. Diese habe es nicht geschafft, Menschen und ihren Besitz zu schützen. Sie habe falsche Entscheidungen bei den Sparmaßnahmen getroffen. Der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras hatte am frühen Montagmorgen betroffene Regionen im Osten Athens besucht. Er zeigte sich erschüttert. Immer wieder bedankte er sich bei den freiwilligen HelferInnen, Feuerwehrleuten, PolizistInnen und SoldatInnen für Ihren harten Einsatz. Die trauernden Menschen auf dem Syntagmaplatz stimmten Gesänge für die Toten an Tsipras betonte, dass die Feuerwehrleute keinerlei Schuld treffe. Er habe „außerordentlichen Respekt vor denen, die den Kampf gegen die Flammen geführt haben“, twitterte er nach seinem Besuch. Der Regierungschef sagte, dass er die politische Verantwortung auf sich nehme und kündigte an, alle notwendigen Maßnahmen zu treffen, um solche Katastrophen in Zukunft zu vermeiden. Auch gegen den illegalen Bau werde er vorgehen. „Wir müssen heute schmerzlich zur Kenntnis nehmen, dass wir ein Land regieren, das von Regelwidrigkeiten dominiert wird“, sagte Tsipras. Die trauernden Menschen auf dem Syntagmaplatz stimmten Gesänge für die Toten an. Aber auch die griechische Nationalhymne wurde gesungen. Immer wieder ertönte der Ruf „Athanati“ – unsterblich, unvergessen sollen die Opfer sein. Ein junger Mann wiederholte den Ruf. Dann sagte er, er habe die schweren Brände im Jahr 2007 auf dem Peloponnes überlebt. Dort wurden die Menschen nach einiger Zeit einfach vergessen.
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Terror und die Mitte der Gesellschaft: Kollektiver Einzeltäter Der antisemitische Anschlag in Halle kam nicht von ungefähr. Das Schweigen der Mehrheitsgesellschaft ermutigt rechtsextreme Gewalttäter. Ermutigung für Einzeltäter – nationalistischer Aufmarsch 2018 in Berlin Foto: Christian Jungeblodt Als die Polizei am Mittwoch nach dem antisemitischen Terroranschlag in Halle ermittelte, fahndete sie zunächst nach mehreren Tatbeteiligten. Lange nachdem der Täter Stephan Balliet gefasst war, kamen dann die Meldungen über den Ermittlungsstand: Es sei doch ein Einzeltäter gewesen. Das bedeutet in der Sprache von Ermittlern zunächst lediglich, dass man davon ausgeht, dass es einen einzelnen Tatbeteiligten gegeben hat. Auch jetzt ist das noch der Stand der Ermittlungen. Der zunächst auch als Einzeltäter geltende Stephan Ernst, der im Juni den Kassler Regierungspräsidenten Walter Lübcke ermordet haben soll, stellte sich innerhalb von wenigen Wochen als ein in rechtsextremen Strukturen gut eingebundener Neonazi heraus, der nicht nur Demonstrationen der AfD besuchte, sondern auch mindestens einen ganz konkreten Helfer bei seiner Tat hatte. Auch von der lange als „NSU-Trio“ bezeichneten rechtsextremen Terrorgruppe kennt man mittlerweile ein Unterstützerumfeld mit vielen Dutzend Helfenden. Es ist nicht ausgeschlossen, dass auch bei dem rechtsextremen Täter von Halle noch Unterstützer, Helfer oder Mitwisser ermittelt werden. Doch selbst wenn er sich als Täter ohne ein entsprechendes Umfeld herausstellt, war er nicht allein. Der Begriff Einzeltäter suggeriert immer genau das: Ein Einzelner, der irgendwo in seinem stillen Kämmerlein durchdreht, vermutlich verrückt ist, schreitet unabhängig vom Rest der Welt zu einer grausamen, einzelnen Tat. Das klingt so wunderbar entlastend in unseren Ohren. Es klingt, als hätten wir alle nichts mit dem Mörder zu tun, als gäbe es kein größeres, strukturelles Problem. Und gerade deshalb ist es so falsch. In dem Livevideo, das der Täter Stephan Balliet von seiner Tat ins Internet und damit an die internationale Rechtsterrorismus-Community übertrug, wird seine Ideologie deutlich. Stephan Balliet ist ein Antisemit und Verschwörungsideologe. Er glaubt, dass die Juden schuld an allen Übeln dieser Welt sind. Für ihn sind diese Übel: Die Migration, der Feminismus, die Geburtenraten. Er glaubt an eine Erzählung, die die rechtsextreme Identitäre Bewegung den „großen Austausch“ nennt. Demnach würde die Bevölkerung in Staaten des Westens planvoll ersetzt und ausgetauscht werden, nach Balliets Lesart eben kon­trol­liert durch die Juden. Mit dieser Erzählung ist er nicht allein, auch wenn nicht jeder so deutlich sagt, wen er für verantwortlich hält. Einzeltäter. Das klingt so wunderbar entlastend in unseren Ohren Im Bundestag und allen Landtagen und so mancher Talkshow sitzt eine Partei, deren Funk­tio­nä­re auch schon vom „großen Austausch“ gesprochen haben. Die Ideologen, Politiker und Anhänger der AfD sind gegen den Feminismus und die Mi­gra­tion, viele glauben an Geheimpläne eines Bevölkerungsaustauschs. Der ein oder andere AfD-Vertreter hat offen ausgesprochen, wer dahinter vermutet wird: Mal soll es die jüdische Bankiers­familie Rothschild, mal der jüdische Investor Georg Soros sein. Die meisten Funktionäre der rechtsextremen Partei verzichten darauf, „die Juden“ für alles verantwortlich zu machen. Wer als bürgerlich und konservativ gelten will, überlässt den offenen Anti­semitismus lieber seinen radikalen Anhängern und Bündnispartnern. Zum Beispiel einem Typen wie Stephan Balliet. Der Begriff Einzeltäter verstellt den Blick auf die global vernetzte rechtsextreme Szene, ihre Strukturen, ihre gemeinsamen Erzählungen und Narrative, ihre Ideologie. In Internetforen versammeln sich unzählige Anhänger der rechtsextremen Terroristen von Utøya, Charlottesville, Christchurch, Pittsburgh, El Paso. Das, was der Terrorist aus Halle in seinem Video sagt, ist in dieser Szene, die auch in Deutschland viele Anhänger hat, mehrheitsfähig. Einzeltäter, das klingt wie: „Es gibt nichts zu sehen, bitte gehen Sie weiter.“ Es gibt aber was zu sehen. Die Liste der Verfahren wegen Rechtsterrrorismus beim Generalbundesanwalt wird immer länger. Alle paar Wochen werden gigantische, illegale Waffenlager gefunden. In Chatgruppen tauschen sich unzählige Terrorfans aus, jeder von ihnen ist eine potenzielle, tickende Zeitbombe. Einige bereiten sich auf den „Tag X“ vor. Am 2. Oktober wurde einer Jüdin im niederbayerischen Massing ein Stein an den Kopf geworfen, am 4. Oktober wurde ein Mann mit einem Messer vor einer Syna­goge in Berlin festgenommen, am 9. Oktober wurde die Synagoge in Halle angegriffen. Und weil es so viel zu sehen gibt, hat das auch mit uns allen zu tun. In einer Gesellschaft, in der Antisemitismus überall, wo er sich zeigt – sei es im Ingame-Chat eines Computerspiels, in einer Zeitungsredaktion, in einer Kneipe, in den öffentlichen Verkehrsmitteln, in sozialen Netzwerken, auf der Fanmeile, in der Moschee oder am Familientisch— vehementen Widerspruch und konsequente Ächtung erfahren würde, hätten es die viel beschworenen „verwirrten Einzeltäter“ schwerer, sich zu verwirren. Jede einzelne Tat belegt, wie oft in dieser Gesellschaft vorher weggeschaut werden musste, damit der jeweilige Täter sich zur Tat ermutigt fühlen konnte. Jede Tat zeigt, wie wenig diese Gesellschaft als Ganze noch immer, trotz aller Sonntagsreden, gegen Antisemitismus tut. Mit unserem Schweigen, unserem Nichtstun, unserem Wegschauen machen wir uns mitschuldig – als kollektiver Einzeltäter.
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Abspaltung von der AfD: Alternative zur Alternative kommt Der „Weckruf“-Verein um Ex-AfD-Chef Bernd Lucke will eine neue Partei gründen. Unklar ist, welche Rolle Lucke darin spielen wird. Bernd Lucke auf einer Wahlparty der AfD im Mai in Bremen. Nicht im Bild: die Party. Foto: dpa BERLIN dpa | Anhänger des abgewählten AfD-Chefs Bernd Lucke haben nach einem Medienbericht intern die Gründung einer neuen Partei angekündigt. Dazu hätten sie ein entsprechendes Papier an die Mitglieder des Vereins „Weckruf 2015“ geschickt, berichtet der SWR, dem das Schreiben vorliegt. In dem Verein haben sich liberal-konservative Kräfte versammelt, viele von ihnen wie Lucke inzwischen aus der AfD ausgetreten. Bereits am kommenden Sonntag wollten 70 Mitglieder aus dem Vorstand und den Landesverbänden die neue Partei gründen, schrieben die Verfasser laut SWR weiter. Es sei aber organisatorisch nicht möglich, alle Interessierten dazu einzuladen. Welche Rolle Lucke bei der Parteigründung spielen könnte, ist offensichtlich unklar. Er hat den „Weckruf“-Verein zwar mit ins Leben gerufen. In dem Aufruf komme sein Name aber nicht vor, berichtet der Sender. Die Verfasser machen dem Bericht zufolge deutlich, dass sie als „Weckruf“-Vertreter das Ziel verfolgt hätten, in der Alternative für Deutschland (AfD) für ihren liberal-konservativen Kurs zu kämpfen, seit dem Parteitag in Essen die Situation aber anders sei. Der liberal-konservative Flügel hatte dort keine Mehrheit, Lucke unterlag bei der Vorsitzendenwahl Frauke Petry, die vom national-konservativen Lager inthronisiert wurde. Die „Weckruf“-Autoren schrieben laut SWR, „der fundamentalistische und der nationalkonservative Flügel“ würden die gewonnene Macht nicht wieder abgeben. „Die AfD ist daher für uns verloren.“ Schlechteste Umfragewerte seit 2013 Nach dem Parteitagskrach ist die AfD in der Wählergunst abgestürzt. In einer Emnid-Umfrage im Auftrag der Bild am Sonntag erreicht sie zurzeit nur drei Prozent der Wählerstimmen und damit zwei Prozentpunkte weniger als noch in der Vorwoche. Das ist dem Bericht zufolge der schlechteste Wert für die AfD seit knapp zwei Jahren. Zuletzt hatte die Partei bei Emnid im September 2013 bei drei Prozent gelegen – vor dem Einzug in mehrere Landesparlamente und das Europaparlament. Die AfD war zuletzt von heftigen Machtkämpfen erschüttert worden, die der nationalkonservative Flügel um Frauke Petry auf dem Parteitag am 4. Juli für sich entschied. Die Partei hat seither fast zehn Prozent ihrer 21. 000 Mitglieder verloren.
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Betreuer für Pflegebedürftige: Pflegerinnen weltweit gesucht Im Jahr 2030 werden in Deutschland eine halbe Million Pflegekräfte fehlen. In einem Pilotprojekt werden bereits Pflegerinnen aus China angeworben. In Zukunft wird es wohl mehr Pflegebedürftige und zu wenig Pflegekräfte geben. Bild: dapd BERLIN taz | Deutschland droht einer neuen Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge ein erheblicher Mangel an Betreuungskräften für Pflegebedürftige. Danach steigt der Bedarf an Pflegekräften bis zum Jahre 2030 um rund 50 Prozent. Eine halbe Million Stellen für Vollzeitkräfte könnte in der Pflege unbesetzt bleiben. Laut des „Pflegereports 2030“, so der Name der Studie, stellt sich die Situation für die einzelnen Bundesländer und Kommunen sehr unterschiedlich dar. Die Modellrechnungen weisen etwa für den Stadtstaat Bremen im Zeitraum von 2009 bis 2030 eine Zunahme der Pflegebedürftigen um 28 Prozent aus, während die Zahl der Pflegebedürftigen in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg um 56 bis 72 Prozent steigen wird. Im Jahre 2009 waren in Deutschland 2,34 Millionen Menschen pflegebedürftig im Sinne der Pflegeversicherung. Diese Zahl werde sich bis ins Jahr 2030 auf 3,4 Millionen erhöhen, schätzten die Autoren der Studie. In die Zahl der fehlenden Betreuungskräfte sind allerdings sowohl Fach- als auch Hilfskräfte und Nichtpflegekräfte wie etwa KöchInnen einberechnet. Es mangelt an Fachkräften Derzeit fehlen im Pflegebereich vor allem Fachkräfte, also examinierte AltenpflegerInnen, die eine dreijährige Ausbildung durchlaufen haben. „Die werden händeringend gesucht“, sagt Steffen Ritter, Sprecher des Arbeitgeberverbands Pflege. Im Rahmen eines Pilotprojektes mit dem Arbeitgeberverband Pflege, der Bundesagentur für Arbeit und zuständigen Stellen in China sollen dort 150 ausgebildete Pflegefachkräfte angeworben und in einem achtmonatigen Sprachkurs in China auf ihren Einsatz in Deutschland vorbereitet werden. Der hiesige Einsatz des Fachpersonals ist ab Ende 2013 geplant, so Ritter. In China habe die bis zu vierjährige Ausbildung zur Pflegerin ein hohes „Fachschulniveau“. Viele Fachkräfte sind dort aber arbeitslos. Auch das private Bildungsunternehmen Baltic Sea International Campus will Pflegekräfte aus China in Deutschkursen qualifizieren und hier einsetzen; eine Kooperation mit dem Paritätischen Wohlfahrtsverband war angekündigt. Die BewerberInnen gebe es, nur bekämen sie derzeit kein Visum. „Wir warten darauf, dass sich die rechtliche Situation klärt“, sagte Peter Jochimsen, Präsident der Gesellschaft, der taz. Bei der Anwerbung der bereits genehmigten 150 chinesischen Pflegekräfte mithilfe des Arbeitgeberverbandes handele es sich um ein „Pilotprojekt“ , betonte jedoch Beate Raabe, Sprecherin der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung der Bundesagentur für Arbeit. Man müsse erst die Evaluierung dieses Projektes abwarten, bevor man weitere Projekte genehmigen könne.
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Alle vier, d.h. der Wirt, Gawain, seine Jungfrau und sein Knappe blieben bei dem Kreuze. Bald sahen sie zwei wohlbewaffnete Ritter in die Ebene reiten und auf sich zukommen. Einer derselben forderte Gawain, ihn beim Namen nennend, mit lauter Stimme zum Kampfe heraus. Gawain konnte sich nicht erklären, woher der Fremdling seinen Namen wußte, machte sich aber sogleich kampfbereit. Mit solchem Ungestüm ritten beide Gegner aufeinander los, daß beide zu Boden stürzten und die Pferde ihnen auf die Körper fielen. Als der andere Ritter das sah, sagte er zu Gawain's Jungfrau (der 15jährigen): "Wenn du Gawain verlassen willst, will ich dein Ritter sein und dich lieben und in Ehren halten." "Gern", antwortete die Jungfrau, "denn Gawain ist nicht ein so guter Ritter als ich glaubte". Damit wandte sich die Jungfrau an den Knappen, der Gawain von Camelot her gefolgt war, und sagte zu ihm: "Auch du solltest den schlechten Ritter verlassen, in dessen Dienste du nur Schande haben kannst; hast du nicht heute gesehen, wie er sich zurückhalten ließ, dem Ritter zu Hilfe zu eilen, den die zehn hinter sich herschleiften." Der Knappe zögerte nicht und folgte der Jungfrau. Als Gawain's Wirt das sah, bestieg auch er sein Pferd und ritt nach Hause.
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Leverkusens Lars Bender: Unheimlich makellos Leverkusens Lars Bender schießt beim Derby in Köln zwei Tore. Nun reist er zur Nationalmannschaft, wo er seinen nicht minder begabten Zwillingsbruder Sven trifft. Traf gegen Köln gleich doppelt: Lars Bender. Bild: dapd KÖLN taz | Krasser hätten die Gegensätze kaum sein können nach dem leichtfüßigen 2:0-Erfolg Bayer Leverkusens drüben auf der anderen Rheinseite. Vor der Kabine des 1. FC Köln stand Lukas Podolski und bat um Gnade für den immer erfolgloseren Stale Solbakken. "Es kann ja nicht immer am Trainer liegen, dass wir jedes Jahr gegen den Abstieg spielen", sagte der Nationalspieler nach der sechsten Niederlage aus den vergangenen sieben Spielen. Derweil stand drüben vor dem Gang zur Gästedusche Lars Bender und genoss sein Fußballerleben. Der Leverkusener Mittelfeldspieler hatte beide Derbytreffer erzielt (16., 51.), war die zentrale Schaltstelle im Spiel der Werkself und steht in der kommenden Woche erstmals gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder Sven in Kader der Nationalmannschaft. "Er ist eindeutig einer der Spieler, die sich schon die ganze Saison eine kontinuierlich nach vorne entwickeln", sagte Trainer Robin Dutt, präziser wäre gewesen: Er ist der einzige Feldspieler, der sich unter Dutt nachhaltig verbessert hat in dieser durchwachsenen Spielzeit und konstant auf hohem Niveau agiert. Simon Rolfes und Michael Ballack, die beiden Kapitäne und Benders interne Konkurrenten im defensiven Mittelfeld, sitzen regelmäßig auf der Bank, Bender spielt immer. Und er ist längst auch ein Wortführer. Neulich hat er das Editorial des Vereinsmagazins verfasst und dort mit deutlichen Worten das destruktive Verhalten des Anhangs getadelt. "Ich bin kein Typ für Nobeldiscos" Mit Besonnenheit und Beharrlichkeit ist Bender zum Chef dieser Leverkusener Mannschaft geworden, er spielt strategisch geschickt, körperlich robust, technisch ohne größere Schwächen. Als am Samstag jemand Benders überragende Rolle im Derby ansprach, erwiderte der: "Meine Leistung müssen andere beurteilen, das war von allen ein guter Auftritt, dann kommen alle besser weg." Manchmal ist es fast schon unheimlich, wie makellos Lars Bender agiert, auch außerhalb des Platzes. "Ich bin kein Typ für Nobeldiscos", hat er in einem Interview mit der Zeitschrift 11 Freunde einmal gesagt, und dieser Satz kann wohl auch als Anspielung auf den FC Bayern begriffen werden, wo Nobeldiscobesuche zur Folklore gehören. Lars und Sven, das in Rosenheim aufgewachsene Zwillingspaar, hat lange bei 1860 München gespielt, und vielleicht ist es kein Zufall, dass die beiden danach zu zwei der ärgsten Konkurrenten von Bayern München gewechselt sind. Einen Wechsel zum Rekordmeister schließt aber keiner der Brüder aus, und in München stehen die beiden sicher auf der Liste der interessanten Bundesligaspieler. Ein bisschen wirken die beiden 22-Jährigen nämlich wie Spieler, die ein Fußballtrainer nach seinen Idealvorstellungen im Genlabor designt hat. Und es ist schon eine Kuriosität, dass es diesen Spieler gleich zweimal gibt. Andere Zwillingspaare wie Erwin und Helmut Kremers, Hamit und Halil Altintop oder Michael und Andreas Zeyer sehen sich zwar ähnlich, sind aber sehr unterschiedliche Spielertypen. Über die Benders hat Dortmunds Trainer Jürgen Klopp mal gesagt, beide würde er nie verpflichten, weil sie sich zu ähnlich seien, und zweimal den selben Fußballer benötige er nicht in seinem Team. Vor diesem Problem steht nun auch Joachim Löw. Keine Konkurrenz Rudi Völler beneidet seinen Nachnachfolger jedenfalls nicht darum, einen der beiden auswählen zu müssen. "Gott sei Dank muss ich das nicht mehr entscheiden; als ich noch Bundestrainer war, da gab es solche Härtefälle nicht", sagte der Leverkusener Sportdirektor am Samstag. Die Benders versichern übrigens, dass die Konkurrenz in der Nationalmannschaft ihr Verhältnis nicht belaste. "Wer uns kennt, der weiß, dass wir uns alles gönnen", sagte der Dortmunder Sven Bender, der bislang ein Länderspiel absolvieren durfte, in der vorigen Woche. Leverkusens Lars dagegen hat zwar noch keinen Titel gewonnen, war aber schon dreimal für die DFB-Elf im Einsatz. Jetzt darf Löw die beiden erstmals im direkten Vergleich beobachten.
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Benedict erzählt den Musikanten, was ihrem Schneider begegnet sei, doch Keiner verwundert sich darob und der Nachbar zählt kurz Meister Feuchtens Erlebnisse auf. Nach drei Tagen wird dieser wiederum erscheinen, sich ruhig auf den Schneiderstuhl setzen, genau sechs Wochen lang die Nadel und das Bügeleisen schwingen, schweigsam, unermüdlich, ruhelos, denn sechs Wochen hat er Kasernenarrest und nur so lange der Schneider von diesem festgehalten wird, ist Hoffnung da, daß die Hosen und Röcke der Hobisten geflickt werden. Heute über 6 Wochen wird Feucht sich wieder putzen, um 8 Uhr zum Rapport gehen, um sich als freier Mann zu melden, um 9 Uhr mit rothem Kopfe, doch taktfest die Deckel schlagen, um 10 Uhr verschwinden, Abends kurz vor dem Zapfenstreich von einem Bauer vom Mistwagen geladen, von zwei Soldaten der Kasernenwache in den Dunkelarrest für Unteroffiziere geschleppt werden und so fort bis in ferne Zeiten.
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Da hörte man wie immer zum Münster das Geläut: 1037 Kriemhild die schöne weckte manche Maid. Ein Licht ließ sie sich bringen, dazu auch ihr Gewand; Da kam der Kämmrer Einer hin, wo er Siegfrieden fand.
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Ich beschrieb meinem Gastfreunde, so gut ich es aus der Erinnerung konnte, die Vertäflungen und machte ihn mit dem Fundorte und den Nebenumständen bekannt. Ich verhehlte ihm nicht, daß ich das darum tue, daß er mir einen Rat geben möge, wie ich etwa weiter vorzugehen habe. Es handle sich um einen Gegenstand, der meinem Vater nahe gehe. Nicht vorzüglich, weil diese Dinge schön seien, obwohl dies auch ein Antrieb für sich sein könnte, sondern hauptsächlich darum suche ich darnach zu forschen, weil sie dem Vater Freude machen. Je älter er werde, desto mehr schließe er sich in einem engen Raume ab, sein Geschäftszimmer und sein Haus werden nach und nach seine ganze Welt, und da seien es vorzüglich Werke der bildenden Kunst und die Bücher, mit denen er sich beschäftige und die Wirkung, welche diese Dinge auf ihn machen, wachse mit den Jahren. Er habe sich von dem Schnitzwerke in den ersten Tagen kaum trennen können, er habe es in allen Teilen genau betrachtet und sei zuletzt so mit demselben bekannt geworden, als wäre er bei dessen Verfertigung zugegen gewesen. Darum wolle ich so vorgehen, daß ich mich nicht in die Lage setze, mir einen Vorwurf machen zu müssen, daß ich in meinen Nachforschungen etwas versäumt habe. Bisher seien sie freilich fruchtlos gewesen.
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Damit Kultur Schule macht, statt sie mit kurzlebig angelegten Projekten und Events zu bedienen, braucht die Zusammenarbeit der schulischen und außerschulischen Partner eine tragfähige Grundlage, die einiges zu stemmen vermag: Unterschiedliche Konzepte und Leitziele, durch Unkenntnis verursachte divergente Vorstellungen und unrealistische Erwartungen, mangelnde Zeitfenster für Absprachen, Ressourcenknappheit und fehlende politische Unterstützung sind nur Beispiele von Hürden, die kooperationswillige Partner vor umfassende Herausforderungen stellen. Um derartige Hürden zu meistern und den Weg für eine konstruktive Kooperation zu ebnen, entwickelte die BKJ das "Qualitätsmanagementinstrument für Kooperationen Kultur macht Schule" (QMI). QMI unterstützt die Kooperationspartner in ihrem Bemühen, die spezifischen Bildungswerte der kulturellen Bildung unter schulischen Rahmenbedingungen aufrechtzuerhalten. Jugendkulturarbeit kann ihrem Anspruch, neue Lehr- und Lernkulturen in der Schule zu etablieren, nur Genüge tragen, wenn sie (Gelingens-)bedingungen vorfindet, unter denen sie ihre Bildungswirkungen voll entfalten kann. Diese Gelingensbedingungen liegen dem Qualitätsmanagementinstrument zugrunde. Sie orientieren sich an den im Netzwerk "Kultur macht Schule" gemeinsam mit Trägern erarbeiteten "Elf Qualitätsbereichen für Kooperationen" sowie an den Ergebnissen der Evaluation von Praxisprojekten. QMI enthält allgemeine jugendpädagogische, spezifische kulturpädagogische sowie managementspezifische (organisatorische) Kriterien, die als maßgeblich für die Qualität von Kooperationen eingeschätzt werden. Das Instrument soll sowohl diejenigen unterstützen, die sich in der Planungsphase einer Kooperation befinden als auch kooperationserfahrene Träger und Personen, die ihre Arbeit optimieren wollen. Die auszufüllenden Fragebögen dienen den Partnern als Grundlage für ihre Planung und Kommunikation und sind als Anregung eines gemeinsamen Prozesses zu verstehen. Sie bieten Raum für Erweiterungen und eigene Ergänzungen und können im Ganzen wie in Teilen angewendet werden. In diesem Sinne fungieren die Qualitätsbereiche als Messlatte, sollten jedoch keinenfalls als statisch und "endgültig gesetzt" aufgefasst werden. So heißt es unter den "Hinweisen für Benutzerinnen und Benutzern: "Das Qualitätsmanagementinstrument formuliert zwar eine 'Messlatte' und Meilensteine, die nach den Erfahrungen aus der bisherigen Praxis auf dem Weg zu einer gelungenen Ganztagskooperation im Sinne einer qualitätsvollen kulturellen Kinder- und Jugendbildung nicht aus dem Auge verloren werden sollten. Die Kriterien benennen dabei jedoch ein 'offenes Optimum', d.h., dass sie als Gesamtheit alle zentralen Gelingensbedingungen zusammenfassen, die bisher in der Diskussion eine Rolle spielen. Die konkrete Umsetzung und Gewichtung der einzelnen Fragen liegt bei denjenigen, die das Instrument einsetzen." Das Qualitätsmanagementinstrument für Kooperationen (QMI) stellt den Kooperationspartnern für ihren Planungs- und Entwicklungsprozess verschiedene Qualitätsbereiche zur Verfügung, die im Folgenden verkürzt dargestellt werden . 1. Qualitätsbereiche der Arbeitsorganisation – Organisatorische Bedingungen, Infrastruktur, Ressourcen Kulturelle Angebote bringen neue Lern- und Lebenswelten in die Schule. Um diese nachhaltig im System Schule zu etablieren, brauchen Kooperationen einen Organisationsrahmen, der Sicherheit und Stabilität bietet. Finden die Angebote der kulturellen Bildung unzulängliche Verankerung in den Schulen, bleiben sie in ihrer Bildungswirkung eingeschränkt. Angemessene Rahmenbedingungen sind der Nährboden für gelingende Kooperationen, die über das zeitlich begrenzte Angebot hinaus neue Lernkulturen in Schulen entwickeln. Diese Kategorie der Qualitätsbereiche fasst strukturelle Grundlagen für die Zusammenarbeit zwischen Kultur und Schule zusammen. Einige der hier vorzufindenden Qualitätsbereiche sind nicht direkt von den Akteuren vor Ort beeinflussbar: Rechtliche Rahmenbedingungen und finanzielle Ressourcen beispielsweise sind in den Richtlinien und Gesetzgebungen der Länder und Kommunen festgeschrieben. Qualitätsbereiche, die auf der Makroebene gesteuert werden, bedürfen politischer Unterstützung. Das QMI dient somit auch als Anstoß und Grundlage für die Aufstellung politischer Forderungen! Qualitätsbereiche Rechts- und Planungsrahmen: Kooperationen brauchen einen Rechtsrahmen, der die Umsetzung der inhaltlichen Zielstellung absichert. Eine angemessene rechtliche Absicherung zählt zu den materiellen Voraussetzungen für eine qualitätsvolle pädagogische Arbeit. Ziel ist es, einen Rechtsrahmen zu schaffen, der Qualitätsvorstellungen, finanzielle Ausstattung, arbeitsrechtliche Bestimmungen, Weisungsrechte und organisatorische und sachliche Bedingungen der Kooperationen sicherstellt. Steuerung/Management: Kooperationen brauchen eine systematische und zielführende Steuerung in Form von Planung, Koordination und Kommunikation. Dazu bedarf es einer Abstimmung, Planung und Kontrolle des Gesamtkonzepts, der Einzelaufgaben sowie eine angemessene Kommunikation aller Beteiligten. Finanzen: Kooperationen brauchen Ressourcen, welche die Finanzierung von Personal, Managementleistungen, Sachkosten sowie Qualitätssicherungs- und -entwicklungsmaßnahmen gewährleisten. Personal: Kooperationen brauchen personelle Bedingungen und Ressourcen, die die Umsetzung der inhaltlichen Zielstellung ermöglichen. Ziel ist es, die personelle Ausstattung den inhaltlichen und pädagogischen Belangen in Hinblick auf Qualifikation und Umfang anzupassen. Räume: Kooperationen brauchen eine räumliche Infrastruktur und sachliche Ressourcen, die die Umsetzung der inhaltlichen Zielstellung ermöglichen. Die Nutzung der Räume und des Gesamtgebäudes sowie die Wege zu außerschulischen Lernorten sollten den jeweiligen Zwecken und Zielen der Kulturangebote angemessen sein. Zeit: Kooperationen brauchen zeitliche Bedingungen, die den Bedürfnissen der Beteiligten, den inhaltlichen und pädagogischen Zielstellungen, der Gesamtorganisation der Schule und dem Kooperationsprozess (Management, Qualitätssicherung, Kommunikation) angepasst sind. Material: Kooperationen brauchen angemessene sachliche Ressourcen wie zum Beispiel geeignete Arbeitsmaterialien, Technik und Transportmöglichkeiten. 2. Qualitätsbereiche der pädagogischen Arbeit – Konzeptionelle und fachliche Bedingungen Ob Tanztheater oder Trommelworkshop: Kulturelle Bildung orientiert sich an jugendpädagogischen Prinzipien wie Selbsttätigkeit, Partizipation, Selbstbestimmung, Eigenverantwortlichkeit und Freiwilligkeit. Gleichzeitig verfügt sie über eine breite Palette ästhetischer Formate, Methoden und Inhalte . Diese spezifische Fachlichkeit macht die Qualität ihrer Arbeit aus. Schulen bringen in ihrer Tradition andere Strukturen und Leitprinzipien mit, sie unterliegen föderal gesteuerten Richtlinien und Lehrplänen. Um die vielfältigen Wirkungen der kulturellen Bildung im schulischen Kontext aufrecht erhalten zu können, bedarf es geeigneter fachlicher und konzeptioneller Grundlagen, die die Besonderheiten aller Beteiligten berücksichtigen. Qualitätsbereiche Konzeptionelle Grundlagen: Kooperationen brauchen ein von allen Bildungspartnern entwickeltes und getragenes inhaltliches Konzept, das organisatorische und inhaltlich-pädagogische Ziele benennt. Jugendpädagogische Parameter: Kooperationen brauchen ein weites Bildungsverständnis sowie die Berücksichtigung von Prinzipien der außerschulischen Jugendarbeit wie zum Beispiel Freiwilligkeit der Teilnahme, Teilnehmerorientierung, Partizipation und Selbsttätigkeit sowie individuelle und ressourcenorientierte Förderung. Kulturelle Bildung: Kooperationen brauchen die Berücksichtigung von Parametern, Intentionen und Zielen der kulturellen Bildung, sie orientieren sich an den unterschiedlichen ästhetischen und künstlerischen Inhalten, Themen, Formaten und Methoden der einzelnen Kunstsparten. Fachliche Zusammenarbeit: Kooperationen brauchen eine abgestimmte fachliche Zusammenarbeit, um die gemeinsame organisatorische und inhaltlich-pädagogische Zielstellung zu erreichen. Das Gesamtkonzept und die inhaltlich-pädaogischen Zielstellungen werden von den Partnern gemeinsam entwickelt und umgesetzt, die Mitarbeiter/innen sind als abgestimmt handelndes Team erkennbar. 3. Qualitätsbereich Entwicklung – Konzeptionelle, fachliche und organisatorische Bedingungen Wenn Kultur Schule macht, werden Veränderungsprozesse auf beiden Seiten in Gang gesetzt. Den Lernort Schule umzugestalten, gilt dabei immer häufiger als offizieller Auftrag. Gleichzeitig jedoch müssen sich auch die Träger der kulturellen Bildung mit den Rückwirkungen der Kooperationen auf ihre eigene Einrichtungen, auf ihr professionelles Selbstverständnis und auf ihre Inhalte und Methoden auseinandersetzen. An dieser Stelle gilt es, Veränderungsprozesse konstruktiv zu reflektieren und zielgerichtet zu steuern. Lautet das Ziel der beteiligten Bildungspartner "kulturelle Schulentwicklung", so lässt dieser Qualitätsbereich Raum, um ein abgestimmtes Gesamtmodell für dieses Vorhaben zu konzipieren. Das Konzept bedarf einer kommunalen, träger- und schulübergreifenden Abstimmung und sollte die spezifischen Strukturen der außerschulischen Träger sowie der Schule berücksichtigen. Vor allem sollte es, einmal begonnen und in Gang gesetzt, einer regelmäßigen kritischen Prüfung in Hinblick auf Eignung und Akzeptanz der konzeptionellen und organisatorischen Grundlagen unterzogen werden. Qualitätsbereich Partnerschaftliche Veränderungsprozesse: Kooperationen brauchen ein fachliches Gesamtmodell, das die Qualitäten der einzelnen Bildungsbereiche erhält und verträglich und zukunftsweisend miteinander verbindet. Das Gesamtmodell muss so beschaffen sein, dass es Veränderungsprozesse auf beiden Seiten partnerschaftlich und gesamtverträglich steuert. Das Qualitätsmanagementinstrument für Kooperationen hat zum Ziel, dass alle an Kulturkooperationen beteiligten Akteure sich gemeinsam in einen langfristig angelegten Qualitätsentwicklungsprozess begeben. Von Fragen der Raumausstattung über tragfähige Kommunikationsstrukturen bis hin zu grundlegenden pädagogischen Prinzipien werden unterschiedlichste Facetten der Bildungspartnerschaften reflektiert. Qualitätsentwicklung fördert den Dialog der Partner – unverzichtbare Voraussetzung für die Gestaltung "neuer Lernkulturen in der Schule"! Eine ausführliche Beschreibung der Qualitätsbereiche, ihrer Ziele, Bedingungen sowie mögliche Schritte zu dessen Umsetzung befinden sich innerhalb des Qualitätsmanagementinstruments, als CD-Rom enthalten in der Broschüre "Mit Kunst und Kultur Schule gestalten" der Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung. Remscheid, 2009.
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Donnerstag, 05.01.2023, 18:40 Langlauf-Olympiasiegerin Victoria Carl ist aus der Tour de Ski ausgestiegen. Nach ihrem Strauchler beim Verfolgungsrennen am Mittwoch ergaben sich laut dem Deutschen Skiverband (DSV) zwar keine schwerwiegenden Verletzungen am Kniegelenk, dennoch wird die 27-Jährige die Tour vorzeitig beenden.  "Das linke Knie ist gereizt und überdehnt, schwerwiegende Verletzungen des Meniskus oder der Bänder konnten mittels MRT ausgeschlossen werden", teilte DSV-Mannschaftsarzt Tom Kastner am Donnerstag mit. Die Verletzung werde laut Verband physiotherapeutisch behandelt. Carl, die nach vier von sieben Rennen auf Rang 39 lag, könne nach einer kurzen Trainingspause aller Voraussicht nach bereits in einigen Tagen wieder in das Training einsteigen. Dieser Artikel wurde verfasst von SID Redaktion SID
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Er hielt diese Erzählung für Flausen und gedachte die Sünderin schon noch herumzubringen, ließ also der Sache ihren Lauf. Als er nach Hause kam, fand er einen Brief vor von einer Dame namens Kätter Ambach. Es war dies ein Fräulein von sechs- bis achtunddreißig Jahren, welche seit ihrem vierzehnten Jahre auf allen Liebhaberbühnen zu Seldwyla, so oft deren errichtet worden, die erste Liebhaberin gespielt hatte, und zwar nicht wegen ihrer schönen Gestalt, sondern wegen ihres höhern Geistes und ihrer kecken Vordringlichkeit. Denn was ihre Gestalt betraf, so besaß sie einen sehr langen hohen Rumpf, der auf zwei der allerkürzesten Beinen einherging, so daß ihre Taille nur um ein Drittel der ganzen Gestalt über der Erde schwebte. Ferner hatte sie einen unverhältnismäßigen Unterkiefer, mit welchem sie beträchtliche Gaben von Fleisch und Brot zermalmen konnte, der aber ihr Gesicht zum größten Teile in Kinn verwandelte, so daß dieses wie ein ungeheurer Sockel aussah, auf welchem ein ganz kleines Häuschen ruhte mit einer engen Kuppel und einem winzigen Erkerlein, nämlich der Nase, welche sich vor der vorherrschenden Kinnmasse wie zerschmettert zurückzog. Auf jeder Seite des Gesichts hing eine lange einzelne Locke weit herunter, während am Hinterhaupte ein dünnes Rattenschwänzchen sich ringelte und mit seiner äußersten Spitze stets dem Kamme und der Nadel zu entfliehen trachtete. Denn steckte man eine Nadel hindurch, so ging es auseinander und spaltete sich in eine Schlangenzunge, und zwischen den engsten Kammzähnen schlüpfte es hindurch, hast du nicht gesehen!
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Baden-Württembergs Beamte blocken: Landespolizei boykottiert Studie Baden-Württembergs Beamte werden nicht an der bundesweiten Polizeistudie teilnehmen. Eine alternative Untersuchung soll Ergebnisse bringen. Welche Einstellung steckt unter der Mütze? Die Polizei in Baden-Württemberg will es nicht verraten Foto: Arnulf Hettrich/imago KARLSRUHE taz | Weiter irritierende Nachrichten von der Polizei in Baden-Württemberg. Gerade hatte die Staatsanwaltschaft wegen sexueller Nötigung Anklage gegen den früheren Polizeiinspekteur der Polizei Andreas Renner erhoben. Jetzt erteilt der Personalrat der Beamten der bundesweiten Studie zu “Motivation, Einstellungen und Gewalt im Alltag von Polizeibeamten“ (Megavo) eine Abfuhr. „Leider ist es den Verantwortlichen der Studie nicht gelungen, die Vorbehalte unserer Personalvertretungen gegen den Frage-Katalog und die Auswertemethodik der Studie auszuräumen“, sagte Landespolizeipräsidentin Stefanie Hinz. Nach langen Gesprächen sei die Absage nun endgültig. Baden-Württemberg ist damit neben Hamburg das einzige Bundesland, das sich der Studie verweigert. Die Untersuchung läuft schon seit zwei Jahren, noch dieses Jahr sollen erste Ergebnisse veröffentlicht werden. Initiiert worden war das Vorhaben vom früheren Innenminister Horst Seehofer, durchgeführt wird es von der Deutschen Hochschule der Polizei Münster. Mit der Studie soll die politische Einstellung und Motivation der Beamtinnen und Beamten untersucht werden, aber auch die berufliche Belastung. Die Teilnahme an der Studie ist freiwillig. Über die Studie hatte es eine lange Debatte gegeben. der baden-württembergische Innenminister Thomas Strobl (CDU) und Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatten sich mehrfach für die Teilnahme der Beamten ausgesprochen. Über die Gründe für die Verweigerung hüllt sich der Personalrat der baden-württembergischen Polizei seit Monaten in schweigen. Die Ablehnung scheint aber Teil einer Blockadepolitik gegenüber Reformbestrebungen in der Landespolizei zu sein. Der Personalratsvorsitzende Ralf Kusterer übt sich seit langem in harscher Kritik am Innenminister Thomas Strobl. Küster forderte Strobl im Zusammenhang mit der Affäre um den Polizeiinspekteur Renner früh zum Rücktritt auf. Zudem gilt Kusterer, der auch Landesvorsitzender von Reiner Wendts umstrittener Deutschen Polizeigewerkschaft ist, als Kritiker der Kennzeichnungspflicht für Beamtinnen und Beamten, die die Regierung Kretschmann beschlossen hat. Auch machte er Front gegen den Aufbau einer Antidiskriminierungsstelle für Bürger gegenüber Behörden nach Berliner Vorbild. Nach der Absage des Personalrats setzt das Innenministerium jetzt auf eine eigene Studie, die derzeit von der Landespolizeihochschule Villingen-Schwenningen in Form einer Langzeitbefragung von Auszubildenden der Polizei durchgeführt wird. Auch hier sollen Fragen zum Selbstverständnis und zur Belastung der Beamten untersucht werden. Jetzt will Polizeipräsidentin Hinz überprüfen ob die laufende Studie gegebenenfalls ergänzt und ausgeweitet werden kann, „um eine fundierte Alternative zur Megavo-Studie erhalten“.
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Ein Maurergeselle fiel vom Gerüst und erlitt am rechten Schenkel eine solche Quetschung, daß er auf dem Fuß nicht mehr stehen konnte. Nach genauer Untersuchung stellte sich heraus, daß die Knochen noch in der Ordnung und nur starke Quetschungen vorhanden seien. Gewöhnlich werden in solchen Fällen kalte Umschläge gemacht, damit keine zu große Hitze die Herrschaft bekomme, sondern durch die Überschläge Alles vertheilt werde. Ich lobe Dieses und empfehle es; aber noch viel schneller und größer ist die Wirkung, wenn die verwundete Stelle zuvor mit Arnicatinktur eingewaschen wird. Am allerbesten ist die Wirkung, wenn man einen Lappen, in verdünnte Arnicatinktur getaucht, auflegt und darüber noch einen kalten Umschlag thut. Die Wirkung ist rascher und sicherer. Den unteren Lappen lasse man liegen, der obere wird häufig gewechselt, stets wieder in kaltes Wasser mit Arnica eingetaucht.
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Volkswagen AG/dpa-mag Wie schon der Bulli soll auch der ID.Buzz für ein Gefühl von Freiheit stehen. Mit ihm bringt VW die erste Elektro-Generation seines legendären Kleinbusses heraus. Dienstag, 02.08.2022, 04:22 Touchscreen statt Pril-Blumen, Elektromotor statt Flower-Power: VW bringt nun endlich den ID Buzz heraus und schreibt die Bulli-Historie in die elektrische Zukunft fort. Wie gut ist den Wolfsburgern die Zeitreise gelungen? VW dreht bei der Elektromobilität jetzt am großen Rad. Und das kann man nicht nur auf die mehr als zehn Milliarden Euro beziehen, die der Konzern in dieser Dekade in die Mobilitätswende steckt. Denn als bislang größtes Modell aus dem Modularen Elektrobaukasten MEB kommt bald der ID Buzz in den Handel. Fünf Jahre nach der gefeierten Studie geht er im Sommer in Serie und soll im Herbst zu Preisen ab zunächst etwa 63.000 Euro ausgeliefert werden. Erst 2023 sinkt die Hürde für den Einstieg mit einem Basismodell auf etwa 55.000 Euro. Oder man kauft den Cargo für Handel, Handwerk und Gewerbe für etwa 45.000 Euro in Fahrt - muss dann aber auf Fenster und Sessel im Fond verzichten. Außerdem will VW den E-Bulli auch als California herausbringen. Außen Flowerpower, innen Flatscreen Mit dem elektrischen Enkel des legendären Bulli wollen die Niedersachsen nicht nur die grüne Zukunft ansteuern, sondern auch an die glorreiche Vergangenheit anknüpfen. Wie in Flowerpower-Manier haben sie die Studie daher an den Stränden Kaliforniens präsentiert. Auch wenn in Zeiten des digitalen Fortschritts nicht allzu viel vom Flair der Pril-Blumen und Beach Boys übriggeblieben ist, so hält der ID Buzz das Erbe des Bullis doch in Ehren. Nicht umsonst hat er wie das Original aus den 1950ern ein extra großes VW-Logo am Bug, das ihm zusammen mit den Schweinwerfern das Gesicht von damals verpasst. Die Hinterbänkler greifen in die Halteschlaufen von Käfer und Co. Und selbst der Heckantrieb ist nach drei Generationen Pause mit dem E-Motor zurückgekehrt. Innen dagegen ist von der Nostalgie nicht mehr viel zu spüren. Das Cockpit ist dasselbe wie in allen anderen ID-Modellen: Es hat keine Tasten mehr, sondern dafür einen großen Touchscreen, viele Sensorfelder und eine verständige Sprachsteuerung. Nur der Schaltknauf ist vom kleinen Bildschirm hinter dem Lenkrad an die Lenksäule gewandert, wo er sich auch besser erreichen lässt. Ein Manko bleibt jedoch: Weil wichtigen Touchleisten die Beleuchtung fehlt, wird die Bedienung im Dunkeln erschwert. Hippie-Feeling hat überlebt Aber all das ist vergessen, wenn der Bulli erst einmal Fahrt aufnimmt. Denn tatsächlich packt einen im ID Buzz das Freiheitsgefühl der 60er Jahre. Man thront hoch über der Straße und lässt die Gedanken bis nach Kalifornien schweifen. Natürlich hört man nur ein leises Summen statt des lauten Boxer-Brummens von einst. Wer keine seligen Erinnerungen hat, der freut sich einfach an der ruhigen, geschmeidigen Fahrt, an all den Assistenzsystemen und am kleinen Wendekreis. Weil die Vorderräder stärker einschlagen können als beim Verbrenner, braucht der Bulli nur 11 Meter für einen U-Turn. Gemessen am konventionellen Multivan fühlt er sich damit so handlich an wie ein Golf. Und auch Parkhäuser verlieren ihren Schrecken. Nicht ganz so frei wie Fahrer und Beifahrer auf dem Bock dürften sich die Hinterbänkler fühlen. Zwar gibt es mehr Platz als in jedem anderen elektrischen VW. Aber auf der konventionellen Rückbank kommt man sich eher vor wie im Touran als im T7 - selbst wenn man die zwei Hälften der Bank verschieben kann. Doch VW will bald nachlegen: Wenn der ID Buzz nächstes Jahr von 4,70 auf 5,00 Meter wächst, dann gibt es auch eine dritte Sitzreihe und auf Wunsch die klassischen Captain Chairs. Immer noch nicht der Schnellste Auch beim Antrieb tut sich etwas: Zum Start verkauft VW nur eine Variante mit 150 kW/204 PS, einer 77-kWh-Batterie und gut 420 Kilometer Reichweite. Später gibt es eine Allrad-Variante mit 299 kW/406 PS und eine Spar-Version mit gut 50 kWh, die für etwa 300 Kilometer reichen. Aber selbst mit unterschiedlicher Leistung bleibt eines gleich: das Spitzentempo von 145 km/h. Das klingt nach wenig, ist aber der Aerodynamik geschuldet - und passt irgendwie zum Bulli. Denn der war auch als Verbrenner nie der Schnellste. Fazit: Das Warten hat sich gelohnt Zwar hat es fünf Jahre gedauert, bis die Buzz-Studie in Serie ging. Und dabei sind auch ein paar kultige Details wie der meditierende Buddha auf dem Armaturenbrett auf der Strecke geblieben. Doch als Elektro-Kleinbus vertritt der ID Buzz selbst ohne Kultbonus würdig ein neues Fahrzeugsegment. Er ist ausgereift und durchdacht und hat genügend Charme geerbt, um auch treue Bulli-Fans zu überzeugen. Das Warten hat sich also gelohnt. Datenblatt: VW ID Buzz Motor und Antrieb: Elektroantrieb mit Heckmotor Max. Leistung: 150 kW/204 PS Max. Drehmoment: 310 Nm Antrieb: Heckantrieb Getriebe: Eingang-Getriebe Maße und Gewichte Länge: 4712 mm Breite: 1985 mm Höhe: 1937 mm Radstand: k.A. Leergewicht: k.A. Zuladung: k.A. Kofferraumvolumen: 1121 Liter Fahrdaten: Höchstgeschwindigkeit: 145 km/h Beschleunigung 0-100 km/h: k.A. Durchschnittsverbrauch: k.A. Reichweite: ca. 420 km (US-Norm) Batteriekapazität: 77 kWh CO2-Emission: 0 g/km Kraftstoff: Strom Schadstoffklasse: k.A. Effizienzklasse: k.A. Kosten: Grundpreis des VW ID Buzz (2023): ca. 55.000 Euro Startpreis des VW ID Buzz: ca. 63.000 Euro Typklassen: k.A. Kfz-Steuer: 0 Euro/Jahr Wichtige Serienausstattung: Sicherheit: Acht Airbags, ESP, Spurhalte- und Abstandsregelung, Tempomat Komfort: Klimaautomatik, Digitale Instrumente, Sitzheizung Alle Daten laut Hersteller, GDV, Schwacke DPA
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Den nächsten Morgen gedachte Wilhelm Madame Melina zu besuchen; er fand sie nicht zu Hause, fragte nach den übrigen Gliedern der wandernden Gesellschaft und erfuhr, Philine habe sie zum Frühstück eingeladen. Aus Neugier eilte er hin und traf sie alle sehr aufgeräumt und getröstet. Das kluge Geschöpf hatte sie versammelt, sie mit Schokolade bewirtet und ihnen zu verstehen gegeben, noch sei nicht alle Aussicht versperrt; sie hoffe durch ihren Einfluß den Direktor zu überzeugen, wie vorteilhaft es ihm sei, so geschickte Leute in seine Gesellschaft aufzunehmen. Sie hörten ihr aufmerksam zu, schlürften eine Tasse nach der andern hinunter, fanden das Mädchen gar nicht übel und nahmen sich vor, das Beste von ihr zu reden.
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bpb.de: Im Zentrum der Berichterstattung über die Corona-Krise stehen in Deutschland oft die Entwicklungen in Europa, den USA und Ostasien. Wie trifft die Pandemie andere Regionen der Welt? Irene Weipert-Fenner: Die Regionen, die immer mehr in unsere Aufmerksamkeit rücken, sind die des sogenannten Globalen Südens. Wir sehen dramatische Entwicklungen der Fallzahlen von Corona-Infizierten in Lateinamerika, beispielsweise in Brasilien, Peru und Mexiko. In Subsahara-Afrika ist ein Anstieg der Fallzahlen zu erwarten, ebenso in Westasien und Nordafrika (WANA). Die offiziellen Zahlen sind dort noch gar nicht so hoch, was aber wohl daran liegt, dass wenig getestet wird. Einen wirklichen Eindruck über das Ausmaß der Krise wird man wahrscheinlich erst bekommen, wenn – so dramatisch das ist – die Todeszahlen steigen. Kurz erklärtWestasien und Nordafrika Die Region Westasien und Nordafrika (WANA) erstreckt sich von Afghanistan, Iran über Irak, Syrien, und Libanon bis ans Mittelmeer. Zu ihr gehören auch die Golfstaaten sowie die Länder im Norden Afrikas einschließlich Sudan und Mauretanien. Anders als die Bezeichnung "Naher und Mittlerer Osten" ist der Begriff "WANA" der Versuch, sich von einem eurozentristischen Blick auf die Region loszulösen ("nah" in Bezug auf Europa) und eine geographisch neutralere Betrachtungsweise zu verwenden. Gibt es Regionen oder Länder, die besonders gefährdet sind? Besonders gefährdet sind Länder, in denen Krieg oder bewaffnete Konflikte herrschen. Ein fragiler oder bereits zusammengebrochener Staat kann nicht die nötige Infrastruktur liefern, um das Virus einzudämmen. Dies trifft beispielsweise auf Länder in der sogenannten WANA-Region zu. Hier sind vor allem Externer Link: Syrien, Interner Link: Jemen oder Interner Link: Libyen betroffen. Eine Gesundheitsversorgung ist dort kaum vorhanden. Viele Menschen können die Hygienestandards nicht einhalten, weil sie beispielsweise keinen Zugang zu Wasser, Seife oder Desinfektionsmitteln haben und ein Mindestabstand nicht möglich ist. Daher ist die Ansteckungsgefahr und Ausbreitungsgeschwindigkeit des Virus besonders hoch. Dies gilt auch für umliegende Länder, in denen viele Geflüchtete aus den benachbarten Kriegsgebieten oft auf engem Raum in Lagern leben. Zusätzlich gibt es besonders in Nordafrika informelle Bereiche, die vom Staat weder registriert noch kontrolliert werden, beispielsweise informelle Siedlungen, sogenannte Slums. Oft sind diese nicht an öffentliche Infrastruktur, wie Wasserversorgung oder Verkehr, angeschlossen. Stattdessen gibt es informelle Transportmöglichkeiten, etwa Sammeltaxis oder Mikrobusse. Hier ist ein Mindestabstand oder die Einhaltung von Hygieneregeln so gut wie unmöglich. Darüber hinaus arbeiten in der WANA-Region Externer Link: bis zu 70 Prozent der Menschen im sogenannten informellen Sektor, beispielsweise im Straßenhandel oder als Tagelöhner. Der Zugang zum Gesundheitssystem und den Rentenkassen ist aber in vielen Ländern der Region an formale Beschäftigung gebunden. Viele Menschen des informellen Sektors leben daher sprichwörtlich von der Hand in den Mund. Die meisten Länder der Region haben relativ schnell auf die Krise reagiert, indem sie Ausgangsbeschränkungen drastischer Art verhängten. Wenn aber beispielsweise ein Straßenhändler das Haus nicht verlassen darf, verdient er kein Geld mehr. Da ihm meist soziale Sicherungssysteme fehlen, bedeutet das, dass er sich keine Nahrungsmittel leisten kann – zumal aktuell in der WANA-Region die Lebensmittelpreise ansteigen. Wenn er aber weiterhin arbeiten geht, um sich und seine Familie zu ernähren, riskiert er, sich oder andere anzustecken. Welche Maßnahmen gibt es auf nationaler Ebene, um soziale und wirtschaftliche Sicherheit zu gewährleisten? Es werden vor allem Kredite gestundet – also deren Rückzahlung aufgeschoben – und insbesondere für kleinere und mittlere Unternehmen neue Kredite gewährt, um die Geschäfte weiterlaufen zu lassen und die Menschen in Arbeit zu halten. Eine weitere Maßnahme ist, Steuern später zahlen zu lassen, um das Geld im Wirtschaftssystem zu halten. Kurz erklärtGlobaler Süden Mit dem Begriff "Globaler Süden" wird umschrieben, dass bestimmte Länder und Regionen eine politisch und wirtschaftlich benachteiligte Position in einer globalisierten Welt einnehmen. Das sind beispielswiese viele Regionen oder Länder mit Kolonialerfahrung. Dabei ist Süden hier keine rein geografische Zuordnung, da Länder des "Globalen Südens" auch auf der Nordhalbkugel liegen können und bspw. Australien auf der Südhalbkugel als Industriestaat nicht zu diesen Ländern gezählt wird. Anders als mit dem Begriff "Entwicklungsländer" soll betont werden, dass Ungleichheiten kein Merkmal einzelner Länder sind, sondern sich weltweit in unterschiedlichen Konstellationen wiederfinden. In den vergangenen Jahren gab es zudem Reformansätze hin zu direkten Auszahlungen an Bedürftige, die im Zuge der Corona-Krise in vielen Ländern nun ausgeweitet werden – auch auf informelle Arbeiterinnen und Arbeiter, um diese direkt in ihrer Überlebenssicherung zu unterstützen und auf diese Weise auch Proteste zu vermeiden. In Ägypten wird beispielsweise der Versuch unternommen, Gelder an informell Arbeitende über Poststellen auszuteilen. Zur Finanzierung dieser Maßnahmen werden in einigen Ländern, wie etwa Marokko, Corona-Fonds gegründet, wobei dabei auf die Solidarität der eigenen Bevölkerung gebaut wird. Privatpersonen sowie Unternehmen zahlen beispielsweise Spenden, um dem Staat noch zusätzliches Geld zur Verfügung zu stellen. Das große Problem ist aber, dass die statistische Datenlage je nach Land sehr unterschiedlich und der Zugang zu den Bedürftigen meist mangelhaft ist. Zudem werden die finanziellen Mittel schnell erschöpft sein. Letztlich bleibt es bei der Frage, wie lange es sich Menschen leisten können, zu Hause zu bleiben. Welche Rolle spielen regionale Akteure bei der Bewältigung der Krise? Potenziell gäbe es für regionale Organisationen eine Menge zu tun. Die Interner Link: Arabische Liga wäre ein Kandidat, der für die WANA-Region – mit Ausnahme von Iran und der Türkei – zuständig sein könnte. Die Covid-19-Pandemie zeigt jedoch erneut, dass die Arabische Liga, deren Hauptthema einst der Israel-Palästina-Konflikt war, als Regionalorganisation keine Rolle spielt. Die Interner Link: Afrikanische Union dagegen Externer Link: hat in Subsahara-Afrika eine sehr positive und aktive Rolle eingenommen, indem sie zwischen Ländern koordiniert, Standards gesetzt sowie technische Unterstützung und Ressourcen mobilisiert hat. Potenziell könnte sie dies auch in Nordafrika tun. Die meisten nordafrikanischen Länder schauen allerdings in Richtung Europa, wenn es um Standards und politischen Anschluss geht. Das ist vor allem für Marokko und Tunesien immer wichtig gewesen. Ägypten wiederum sieht sich als arabische Führungsmacht und identifiziert sich wenig mit der Afrikanischen Union. Der Interner Link: Golf-Kooperationsrat wäre auch eine Regionalorganisation, an die man denken könnte. Die Golfländer sind aber aufgrund des historisch niedrigen Ölpreises derzeit damit beschäftigt, ihre eigene Wirtschaft finanziell zu stützen. Schaut man also auf die WANA-Region insgesamt, sind es vor allem internationale Organisationen, die eine Rolle spielen. Welche internationalen Initiativen gibt es? Eine zentrale Rolle kommt dem Internationalen Währungsfonds (IWF) zu. Hierbei geht es um finanzielle Nothilfen und darum, Gelder schnell aufzutreiben, um die genannten nationalen Maßnahmen finanzieren zu können. Dabei gibt es leider erneut einen Trend hin zu Krediten, dauerhafter Verschuldung und somit internationaler Abhängigkeit der Länder. Der Rückzug des Staates aus der Gesundheitsversorgung oder der Bereitstellung von öffentlicher Infrastruktur war auch ein Produkt der Interner Link: Strukturanpassungsprogramme des IWF, die dieser seit den 1970er Jahren in der WANA-Region zusammen mit der Weltbank hat durchführen lassen. Diese Politik hat mit dazu geführt, dass die Staaten nun vor allem im Gesundheitsbereich ihren Aufgaben nicht mehr nachkommen können – und wieder Kredite des IWF benötigen. In Ländern, wo sowohl die Möglichkeiten für die Eindämmung des Virus als auch die Gesundheitsversorgung desolat sind, wird zudem versucht, mit finanzieller und logistischer Unterstützung humanitäre Katastrophen zu verhindern. Das gilt insbesondere für die besonders gefährdeten Bürgerkriegsgebiete. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) versucht beispielsweise in Syrien zu helfen, die Weltbank im Jemen-Konflikt. Damit sind ebenfalls Dilemmata verbunden. In Syrien gibt es etwa Rebellengebiete im Nordwesten sowie die kurdische Selbstverwaltung im Nordosten, die dem syrischen Regime Baschar al-Assads ein Dorn im Auge sind. Die WHO kooperiert in Syrien jedoch vornehmlich mit den offiziellen Machthabenden, also dem Assad-Regime. Wer unterstützt dann aber medizinisch die Menschen im Nordosten und Nordwesten des Landes? Internationale Hilfe wird so schnell ein Druckmittel der autoritären Regime selbst, indem Rebellengebiete konsequent von dieser Versorgung abgeschnitten werden, um damit den Druck auf die Rebellen zu erhöhen. Welche politischen Auswirkungen der Corona-Pandemie zeichnen sich ab? Es gibt kurz-, mittel- und langfristige Auswirkungen. Kurzfristige Auswirkungen hängen vom Krisenmanagement ab. Wenn die Regierungen beziehungsweise die Staatsoberhäupter der autoritären Regime es schaffen, als Manager der Krise gut dazustehen, und es schaffen, die Pandemie einzudämmen, kann dies zunächst regimestabilisierend wirken. Mittel- bis langfristig habe ich diesbezüglich allerdings große Bedenken. Denn die Krise hat sehr verschiedene Facetten der wirtschaftlichen Verwundbarkeit dieser Regime aufgezeigt. Neben dem großen informellen Sektor zählen dazu die starke Abhängigkeit von Nahrungsmittelimporten und globalen Lieferketten, der Verfall der nationalen Währungen sowie insbesondere in Ländern der Golfregion die große Abhängigkeit von Erdölexporten, wie sie sich momentan im Kontext des Ölpreisverfalls zeigt. Diese Abhängigkeiten sowie die Notwendigkeit, vor dem Hintergrund der Corona-Krise schnell an zumeist kreditfinanziertes Geld zu kommen, wird ziemlich sicher zu weiteren Verschlechterungen der Wirtschaftslage führen. So werden sich mittel- bis langfristig die sozialen und soziökonomischen Konflikte verschärfen und damit auch stärkeren Druck auf die Regime ausüben. Die Frage stellt sich daher, inwiefern die sich anbahnende Wirtschaftskrise Auswirkungen hat – zum einen auf die verschiedenen Elitegruppen und ihren Zugang zu immer knapper werdenden Ressourcen des Staates und zum anderen auf die Protestbewegungen, die sich in den letzten Jahren von Marokko bis Iran entwickelt haben. Man sollte sich nicht täuschen lassen, wenn Proteste kurzfristig zurückgehen. Mittel- bis langfristig werden sie wiederkommen. Das heißt nicht automatisch, dass es zu einem Zusammenbruch der Regime kommt. Die autoritären Staaten der WANA-Region versuchen schon jetzt, sich stärker abzusichern, indem sie ihre Repressionsmöglichkeiten erweitern. Im Zweifel werden sie die vor dem Hintergrund der Corona-Krise durchgeführte Beschneidung der Grundrechte und Ausweitung der Überwachungsmaßnahmen nicht wieder zurücknehmen. Können sich durch die Pandemie Ungleichheiten innerhalb der WANA-Region und zu anderen Regionen der Welt verschärfen? Die Ungleichheit tritt durch die Corona-Krise nicht nur deutlich hervor, sie nimmt auch zu. Dies hängt von den Startbedingungen ab. Wer die finanziellen Möglichkeiten hat, seine Wirtschaft über die Krise hinweg zu retten, wird – wenn wieder normal Handel betrieben, produziert und konsumiert werden kann – einen klaren Startvorteil haben, wenn der globale Wettbewerb wieder an Fahrt aufnimmt. Innerhalb der Region werden vor allem die ressourcenreichen Golfstaaten ihren Weg durch die Krise finden. Wie gut sie durchkommen, hängt aber auch ein wenig davon ab, wie sich der Ölpreis entwickelt. Die Länder, die ohnehin schon finanziell abhängig sind, werden dagegen noch abhängiger werden: Sie werden Schulden tilgen müssen und somit noch weniger Geld haben, um in die Wirtschaft zu investieren. Die große soziale Frage, die sich seit Jahrzehnten in der WANA-Region herausgebildet hat, wird sich so Externer Link: verschärfen und zur weiteren Destabilisierung beitragen. Das Interview führte Eva Hochreuther. Redaktion: Lisa Santos, Frederik Schetter, Thomas Fettien. Interner Link: Wie verändert die Corona-Pandemie unsere Gesellschaft? Hier finden Sie alle Beiträge unserer Interview-Reihe zu den gesellschaftspolitischen Folgen der Corona-Krise. Die Region Westasien und Nordafrika (WANA) erstreckt sich von Afghanistan, Iran über Irak, Syrien, und Libanon bis ans Mittelmeer. Zu ihr gehören auch die Golfstaaten sowie die Länder im Norden Afrikas einschließlich Sudan und Mauretanien. Anders als die Bezeichnung "Naher und Mittlerer Osten" ist der Begriff "WANA" der Versuch, sich von einem eurozentristischen Blick auf die Region loszulösen ("nah" in Bezug auf Europa) und eine geographisch neutralere Betrachtungsweise zu verwenden. Mit dem Begriff "Globaler Süden" wird umschrieben, dass bestimmte Länder und Regionen eine politisch und wirtschaftlich benachteiligte Position in einer globalisierten Welt einnehmen. Das sind beispielswiese viele Regionen oder Länder mit Kolonialerfahrung. Dabei ist Süden hier keine rein geografische Zuordnung, da Länder des "Globalen Südens" auch auf der Nordhalbkugel liegen können und bspw. Australien auf der Südhalbkugel als Industriestaat nicht zu diesen Ländern gezählt wird. Anders als mit dem Begriff "Entwicklungsländer" soll betont werden, dass Ungleichheiten kein Merkmal einzelner Länder sind, sondern sich weltweit in unterschiedlichen Konstellationen wiederfinden.
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Bundesliga spielt am Wochenende: Nach der Zäsur ist vor dem Spiel Nach der Länderspielabsage in Hannover wollen die Bundesligavereine am Wochenende unbedingt spielen. Aber die Sicherheitsmaßnahmen steigen. Polizei im Stadion, das kennen Fußballfans schon – hier beim Karlsruher SC Foto: imago/MIS Das Vormittagstraining von Hannover 96 wurde am Mittwochmorgen gestrichen. „Schon aus logistischen Gründen“, wie es von Vereinsseite aus hieß. Kein Bundesligaverein will gerade auch nach diesem Dienstagabend den Eindruck erwecken, dass man sich von möglichen Terroranschlägen schrecken lassen würde. Nachdem das Freundschaftspartie zwischen Deutschland und den Niederlanden am Dienstagabend wegen einer Terrorwarnung abgesagt wurde, sind die Bundesligavereine bestrebt, den nationalen Fußballalltag aufrechtzuerhalten. Sie halten an ihren Fahrplänen fest. Etliche Klubs hatten diese Nachricht bereits am Mittwochmorgen verbreitet. Der Dachverband, die Deutsche Fußball-Liga, folgte leicht verspätet am Mittag mit der Erklärung, der Spieltag werde wie geplant stattfinden. Allerdings wird die Absage von Hannover durchaus als historische Zäsur im deutschen Fußball wahrgenommen, zumal das Länderspiel nach den Terroranschlägen von Paris, bei denen 132 Menschen starben, intensiv als Zeichen gegen den Terror beworben wurde. „Mein Eindruck ist, dass der Fußball in Deutschland mit dem heutigen Tage in allen Facetten eine andere Wendung genommen hat“, resümierte DFB-Interimschef Reinhard Rauball. Und Hannover-96-Präsident Martin Kind erklärte: „Das wird den Fußball verändern und stellt uns vor eine neue Herausforderung.“ Was sich genau verändern wird, ist derzeit natürlich nicht abzusehen. Für das Wochenende kündigten bereits mehrere Vereine verschärften Sicherheitsmaßnahmen an. Der Hamburger SV, der bereits am Freitagabend Borussia Dortmund empfängt, wird die Anzahl seiner Ordner erhöhen. Auch der 1. FC Köln möchte mit dieser Maßnahme reagieren. Beim FC Schalke dagegen, der den FC Bayern empfängt, erklärte man: „Es gelten die normalen Sicherheitsmaßnahmen.“ Es gebe bislang keine Hinweise, die für ein veränderte Konzept sprechen würden. Auch der Polizeisprecher von Gelsenkirchen, Olaf Brauweiler, teilte mit, die Zahl der Beamten werde nicht verstärkt. Über Details sicherheitspolitischer Maßnahmen wird bei den Klubs sowieso Stillschweigen gewahrt, um deren Effizienz nicht zu mindern. In den nächsten Monaten wird sicherlich Grundsätzlicheres diskutiert werden Abgesehen von der Gewährleistung des Spielbetriebs am Wochenende wird aber in den nächsten Monaten Grundsätzlicheres debattiert werden. Dirk Mesch, der Vereinssprecher von Bayer Leverkusen, etwa warb für ein gemeinsames Vorgehen. Man müsse mit den anderen beteiligten Klubs und mit der Deutschen Fußball-Liga reden. Leverkusens Sportdirektor Rudi Völler hatte sich bereits für erhöhte Sicherheitsstandards in der Bundesliga ausgesprochen und für personalisierte Eintrittskarten geworben. Ein System, das in Italien bereits im Jahre 2005 eingeführt wurde. Was Völler jedoch nicht erwähnte: Das Problem mit der massiven Fangewalt wurde auf diese Weise auch nicht gelöst. Sicherheitsdiskussionen werden im Fußball ja bereits schon lange geführt. Bislang ging es dabei auch in Deutschland vornehmlich um die Vermeidung von Ausschreitungen und Pyrotechnik, um das schlechte Verhältnis insbesondere zwischen Ultra-Anhängern und der Polizei. Fanvertreter machten mobil gegen die aus ihrer Sicht immer repressivere Law-and-Order-Politik der Vereine und des Staates. Die Debatte wird nach den Anschlägen von Paris eine andere Dimension bekommen. Der frühere DFB-Sicherheitschef Helmut Spahn hat indes vor überzogenen Reaktionen gewarnt. Prinzipiell sei es nichts Neues, sagte er, dass Sportveranstaltungen auch ein Ziel für Terroristen seien. Und er riet: „Wir müssen sensibel mit der Bedrohung umgehen, aber – so schwer es fällt – auch eine gewisse Gelassenheit und Ruhe bewahren.“ Wie das bereits im Vorfeld des geplanten Spiels zwischen Deutschland und den Niederlanden geschehen war, betonte der Hamburger SV auf seiner Website den gesellschaftlichen Auftrag des Fußballs: „Gerade jetzt in diesen schweren Zeiten werden wir ungebrochen unserer Bestimmung folgen. Mit jedem neuen Spiel bringen wir Tausende von Menschen zusammen. … Das ist unser Beitrag für eine friedliche Welt.“ Entscheiden werden das aber wie in Hannover die Sicherheitsbehörden.
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dpa/Jimmy Villalta/VW Pics via ZUMA Wire Strom- und Wassermangel in Venezuela: Seit dem 07.03.2019 fehlten in Teilen des Landes Strom und Wasser. Dagegen protestierten Tausende Demonstranten. Donnerstag, 14.03.2019, 02:34 Nach einem fast einwöchigen Stromausfall in Venezuela ist die Energieversorgung in dem südamerikanischen Land nach Angaben der Regierung vollständig wiederhergestellt. Es gebe nur noch einige Probleme in den Ortschaften Baruta und Hatillo nahe der Hauptstadt Caracas wegen des Brands in einem Umspannwerk, sagte Informationsminister Jorge Rodríguez am Mittwoch. Durch Plünderungen nach Stromausfällen in einer Stadt im Westen Venezuelas haben die betroffenen Geschäfte nach Angaben der Handelskammer viele Millionen Dollar an Einnahmen verloren. Die rund 500 betroffenen Läden in Maracaibo hätten nach ersten Erkenntnissen rund 50 Millionen Dollar Verlust erlitten, sagte der Präsident der Handelskammer im Bundesstaat Zulia, Fergus Walshe, der Tageszeitung „El Nacional“ am Mittwoch. Er nehme an, dass die Zahl noch steigen werde. „Maracaibo ist eine Geisterstadt. Das einzige, das noch geöffnet hat, sind Bäckereien und Mini-Supermärkte“, sagte Walshe. AP Einkaufszentren wurden gestürmt. Das Einkaufszentrum „Sambil“ in Maracaibo war am Montag während eines anhaltenden Stromausfalls in Venezuela gestürmt worden. Berichte über Plünderungen kamen aus dem ganzen südamerikanischen Land, das in einer tiefen politischen und wirtschaftlichen Krise steckt. Seit der vergangenen Woche hat ein massiver Stromausfall weite Teile Venezuelas lahmgelegt. Die Regierung erklärte, die Versorgung sei wieder hergestellt. Regierungsgegner kritisieren Missmanagement In dem einst reichen Land fehlt es mittlerweile an den nötigsten Dingen. Supermarktregale bleiben leer, es gibt keine Medikamente. Seit Donnerstag vergangener Woche hatte ein massiver Stromausfall weite Teile des Landes lahmgelegt. Die Regierungsgegner sehen die Ursache des Blackouts in Missmanagement und mangelnder Wartung der Anlagen in dem kriselnden Ölstaat. Staatschef Nicolás Maduro hingegen machte einen von den USA und der Opposition geplanten Cyberangriff für den Kollaps der Energieversorgung verantwortlich. dpa/Rafael Hernandez Jeder Tropfen Wasser ist kostbar: Menschen versuchen, Eimer und Kanister mit Wasser zu füllen, das an einer Wand entlang fließt. „Sie haben versucht, mit einem brutalen Verbrechen das venezolanische Vaterland zu zerstören“, sagte Informationsminister Rodríguez. „Mit der Störung der Energieversorgung wollten sie einen echten Völkermord herbeiführen.“ Die Generalstaatsanwaltschaft leitete Ermittlungen wegen Sabotage gegen den Oppositionsführer und selbst ernannten Interimspräsidenten Juan Guaidó ein. Im Video:
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Prozess gegen Münchener U-Bahnschläger: "Am Ende einen Kick" Der Prozess gegen zwei Männer, die in der U-Bahn einen Renter zusammengeschlagen haben sollen, beginnt mit Geständnissen und Entschuldigungen. Agression mit Alkohol erklärt: Kamerabilder der Tat. Bild: dpa MÜNCHEN taz Spyridon L. müht sich. Das Deutsch ist gebrochen, aber er redet, antwortet auf die Fragen des Richters und des Staatsanwalts, manchmal mit Unterstützung des griechischen Dolmetschers. "Ein, zwei Fäuste - und am Ende einen Kick. Ich konnte in diesem Moment nicht denken. Sein Gesicht ich habe gar nicht gesehen." Mit Geständnissen und Entschuldigungen hat am Montag der Prozess gegen die beiden Burschen begonnen, die am 20. Dezember 2007 an der Münchner U-Bahn-Haltestelle Arabellapark den 76-jährigen Pensionär Hubertus N. beinahe zu Tode getreten hatten. Die beiden sind wegen versuchten Mordes angeklagt. Während der in München geborene Türke Serkan A. eine Erklärung von seinem Anwalt verlesen lässt und dem Prozess ruhig folgt, ist dem in Thessaloniki geborenen Spyridon L. die Anspannung anzumerken. Vor einem halben Jahr soll er den Kopf von Hubertus N. laut Anklageschrift "nach Art eines Fußballers" getreten haben. Stockend schildert der inzwischen 18-Jährige, wie er sich am Nachmittag des 20. Dezembers mit Serkan A. betrunken hat und schließlich den Streit mit dem Pensionär begann. Sie hätten in der Spielhalle einige Runden gezockt und dazu getrunken. Mit jeweils acht Halben intus seien sie dann kurz vor zehn in die U-Bahn gestiegen. Als Hubertus N. dort Spyridon anspricht wegen einer Zigarette, die sich der Grieche ansteckt, da fängt der Streit an. "Hurenbastard", habe er den Mann beschimpft. "Dann hab ich ihn geschlagen. Es tut mir leid. Ich habe an gar nichts gedacht in dem Augenblick." Das sei nicht ungewöhnlich, ab vier bis fünf Bier werde er oft aggressiv. Ein paar Tage nach der Tat hätte er dann mit Serkan A. Zeitung gelesen. "Boah, der ist 76, der könnte mein Opa sein", habe er sich dabei gedacht und ab da jeden Tag gebetet, dass der Mann nicht sterbe oder im Rollstuhl bleibe. Bier und Aggression haben Spyridon in den letzten Jahren immer wieder in psychiatrische Behandlung gebracht. Seine psychotischen Zustände wurden zeitweise mit Haldol und Diazepam behandelt. Am Dienstag wird die Verhandlung fortgesetzt.
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Obwohl ihre wirtschaftlichen Kräfte deutlich geringer als die der Bundesrepublik waren, konnte die DDR in der Tuberkulosebekämpfung, in der schnellen Zurückdrängung der spinalen Kinderlähmung, bei Kinderkrankheiten und später auch bei Aids zum Teil bessere Ergebnisse erreichen. Auch auf dem Gebiet der Seuchenbekämpfung wies sie gute Ergebnisse auf. Wieso? Das möchte ich erklären. Die Reaktion auf eine Epidemie/Pandemie war vom Gesetz her geregelt. Der Gesundheitsminister leitete eine ständige Kommission zur Verhütung und Bekämpfung von Epidemien. Bereiche wie Bildung, Handel, Wirtschaft, Polizei gehörten dazu. Die staatliche Plankommission hatte die Aufgabe, schnellstmöglich zusätzliche Ressourcen zu mobilisieren. In den 15 Bezirken und den Kreisen gab es Kommissionen und Seuchenbekämpfungspläne. Die Einrichtungen des Gesundheitswesens – Universitätskliniken, Kreiskrankenhäuser, Polikliniken, Hygieneinspektionen, Arztpraxen, Kinder- und Pflegeeinrichtungen, aber auch die Betriebe, Schulen, Behörden – wurden von Beginn einbezogen. Das war präzise vorbereitet. Es fanden dazu sogar Übungen statt. Die Polikliniken in der DDR konnten mit ihrer Struktur (mehrere Ärzte, eigenes Labor, räumliche Abgrenzung von Infektionsbereichen, Aufstellung von Notbetten, längere Öffnungszeiten) ihre Kräfte relativ schnell auf neue Aufgaben einstellen, ohne dass der einzelne Arzt wirtschaftlich in Gefahr geraten wäre. Das DDR-Gesundheitswesen war fast ausschließlich öffentliches Eigentum, wurde staatlich organisiert und in der Regel ärztlich geleitet. Der Gesundheitsminister und seine Stellvertreter, die Verantwortlichen in den Bezirken oder in den Kommunen waren fast ausschließlich Ärzte, vielfach erfahren in der Hygiene oder Sozialmedizin und Epidemiologie. Diese Autorität erleichterte die Abstimmung mit anderen Bereichen. Die DDR war in der WHO gerade wegen ihrer Expertise auf diesem Gebiet geschätzt. Als Facharzt für Sozialmedizin bewegen mich all diese Fragen sehr. Mich wundert, wie lange es in den letzten Wochen manchmal dauerte, ehe praktikable Regelungen erarbeitet werden und wurden – für Gottesdienste, größere Kinos, Handel, Gaststätten, Hotels. Angeblich hatte sich der Berliner Senat mit der Gastronomie detailliert nicht beschäftigt, hieß es noch Ende April. Da ist der Protest der Berliner Amtsärzte und anderer Gremien zu verstehen, dass sie nicht in Entscheidungsprozesse einbezogen sind oder Leiter von Einrichtungen zuerst über die Medien von Entscheidungen erfahren. Man staunt, dass es trotzdem einigermaßen funktioniert, jedoch um den Preis völlig unnötiger Verunsicherung und Zeitverlust. Das Wort von Ärzten des öffentlichen Gesundheitsdienstes hat neben den Statistiken besonderes Gewicht. Denn die Mitarbeiter in den Gemeinden, Städten und Landkreisen kennen die jeweiligen Lebensumstände von Corona-Betroffenen und die Art und Weise der Verbreitung oder Zurückdrängung von Infektionen. Bei ihnen werden aus Statistiken konkrete Vorgänge, auf die mit konkreten Maßnahmen reagiert wird, natürlich einschließlich der korrekten Meldung an das Robert-Koch-Institut. Ich plädiere dafür, die Tests weiter auszubauen. Sichere Erkenntnisse über Verlauf und Verbreitung der Krankheit werden sich am Ende auszahlen, besonders da es sich um ein Virus mit noch wenig bekannten Eigenschaften handelt. Für Kinder und Jugendliche sind die Erkenntnisse entscheidend, auch die Meinung von Kinderärzten. Geöffnete Schulen und Kitas können mit medizinisch begleiteter Überwachung auf Dauer einen besseren Gesundheitsschutz sichern als die jetzige Situation. Die Erfahrungen mit den "notbetreuten" Kindern und dem begonnenen Schulunterricht machen Mut. Lieber höhere bekannte Ziffern als Dunkelziffern! Und das Robert-Koch-Institut sollte bei seiner Methode der Datenerfassung und Berichterstattung bleiben. Das schließt die zügige Ausweitung der Tests, die Komplettierung der zu erfassenden Daten und die Erweiterung von Meldepflichten ein. Es ist im Übrigen eine Unart, bei Statistiken mit besserwisserischem Eifer unterschiedliche Datenerheber, Erhebungsmethoden und Messzeitpunkte je nach Bedarf und ohne entsprechende Erläuterung ins Spiel zu bringen. Nicht selten wird in bestimmte Zahlen mehr hineingedeutet, als sie aussagen können. Die Ziffern der Hopkins-Universität haben bisher meines Erachtens keine signifikant anderen Erkenntnisse über Deutschland gebracht. Eine Analyse der regionalen Unterschiede in den Corona-Fällen (so zum Beispiel die seit Beginn sehr günstigen Zahlen in Mecklenburg-Vorpommern oder auch in einigen Berliner Bezirken) kann dazu beitragen, unterschiedliches Vorgehen bei Lockerungen gut zu begründen und nachvollziehbar zu machen. Alle Gestorbenen mit Corona-Verdacht sollten obduziert werden, wie es nach Hamburg nun häufiger geschieht. Solche wichtigen Sektionen sind leider generell aus der Mode gekommen. Sie belegen zum Beispiel, dass es im Vergleich zur Influenza tatsächlich einen anderen Befall der Lungen bzw. anderer Organe gibt. Der Behandlungsbedarf anderer Krankheiten muss trotzdem im Blick bleiben. In anderen Teilen der Welt bleiben Tuberkulose, Malaria, Hunger, unsauberes Wasser tödliche Bedrohungen, obwohl wir die Mittel dagegen kennen und hätten. Eine der wichtigsten politischen Forderungen ist, das Gesundheitswesen (endlich) zu verändern, ja, zu verstaatlichen. Das hieße, es aus den Fesseln einer gewinnorientierten Gesundheitswirtschaft zu befreien. Denn dann könnten wir schneller und effektiver auf außergewöhnliche Aufgaben wie eine Epidemie reagieren. Der am Beginn der Corona-Krise erfolgte "Hilferuf" von privatisierten Krankenhäusern nach Ausgleich ihrer Einnahmeausfälle, weil sie planbare Operationen verschieben sollten, ist bezeichnend. Im ambulanten Bereich schienen viele Ärzte mit ihren Praxen allein gelassen. Inwieweit sehen jedoch die kassenärztlichen Vereinigungen die Vorbereitung auf epidemische Situationen als Teil ihres Sicherstellungsauftrages? Der öffentliche Gesundheitsdienst, seit Jahren heruntergefahren, wird wegen seiner offensichtlich nicht ersetzbaren Funktion gelobt. Besonders Ärzte in diesem Bereich werden aber schon seit längerem unanständig schlecht vergütet. Die Änderung der Eigentumsverhältnisse muss einhergehen mit der Befreiung der Krankenhäuser vom Fluch der Fallpauschalen. Das wäre nicht nur kostengünstiger, sondern auch medizinisch wirksamer. Ein Arzt ist kein (Klein-)Unternehmer! Diese Rolle führt zu Interessenkonflikten. Es ist kein Zufall, dass im ambulanten Bereich immer mehr Ärzte als Angestellte tätig sein wollen. Wenn das Gesundheitswesen staatlich wäre, könnten die als Medizinische Versorgungszentren etablierten Kapitalunternehmen, die oft täuschend als Polikliniken firmieren, keine privaten Gewinne aus der über die gesetzlichen Krankenversicherung erfolgenden Finanzierung ihrer Leistungen ziehen. Ja, es würde keiner mehr aus gesetzlichen Versicherungsbeiträgen sachfremde Erlöse erzielen. Das Wort Gesundheit taucht im Grundgesetz überhaupt nicht auf! Wichtigste Verfassungsstütze bisher ist das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Ansatzpunkte bieten das Sozialstaatsgebot, Aussagen über den Schutz von Frauen und Kindern und über die allgemeinen Katastrophen- und Notstandssituationen. Demgegenüber gibt es völkerrechtliche Aussagen zu Gesundheit in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, im Uno-Menschenrechtsabkommen. In unserem Land kann man lange spitzfindige Gutachten lesen, die die Nichtaufnahme von Rechten in das Grundgesetz rechtfertigen. Zwar könnte man auch mit dem jetzigen Grundgesetz vieles ermöglichen, zum Beispiel den Aufbau von Polikliniken, die Abrechnung der Leistungen ohne Fallpauschalen, eine bessere Krankenhausplanung. Doch sollte die Corona-Erfahrung Anlass sein, den Schutz der Gesundheit in das Grundgesetz aufzunehmen. Wer das Gesundheitssystem verbessern will, sollte Konzept, Struktur und Ergebnisse des DDR-Gesundheitswesens kennen. Hier offenbart sich unaufschiebbarer Nachholbedarf. So nannte der letzte DDR-Gesundheitsminister Prof. Dr. Jürgen Kleditzsch (CDU) in der Regierung de Maizière die Gesundheitspolitik in Gesamtdeutschland "konzeptionslos", es fehlte an dem politischen Willen, die "positiven Seiten beider Seiten" zusammenwachsen zu sehen. Ähnlich erinnerte sich Franz Knieps als nach dem Osten gesandter Gesundheitsexperte. Ihm wurde "von den eigenen Leuten" gesagt: "Ich sei nicht in den Osten geschickt worden, um über den Erhalt von DDR-Strukturen nachzudenken, sondern um eine reibungslose Ausweitung der westdeutschen Krankenversicherung zu organisieren." Die DDR-Verfassung machte in fünf Artikeln Aussagen zur Gesundheit. Ich zitiere hier den Artikel 35: (1) Jeder Bürger hat das Recht auf Schutz seiner Gesundheit und Arbeitskraft. (2) Dieses Recht wird durch die planmäßige Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen, die Pflege der Volksgesundheit, eine umfassende Sozialpolitik, die Förderung der Körperkultur, des Schul- und Volkssports und die Touristik gefördert. (3) Auf der Grundlage eines sozialen Versicherungssystems werden bei Krankheit und Unfällen materielle Sicherheit, unentgeltliche ärztliche Hilfe, Arzneimittel und andere medizinischen Leistungen gewährt. In weiteren Artikeln wird auf das Recht auf Betreuung im Alter, bei Invalidität und Arbeitsunfähigkeit sowie den Schutz und die medizinische Betreuung von Mutter und Kind abgestellt. Was muss geschehen? Die Grenzen der gegenwärtigen ambulanten Medizin mit seinen privaten Niederlassungen und den privaten Versorgungszentren sollten durch das poliklinische Prinzip aufgelöst werden: unbürokratische Zusammenarbeit zwischen Ärzten, eine breitere Zugänglichkeit, längere Öffnungszeiten, effektivere Nutzung von Geräten und Labors, kurze Wege, effektivere Verwaltung. Der öffentliche Gesundheitsdienst muss gestärkt und qualifiziert werden. Es ist verantwortungslos, wenn zurzeit allein in Berlin wohl deutlich mehr als 50 Ärzte in diesem Bereich fehlen, weil sie nicht angemessen bezahlt werden. Eine vernünftige Krankenhausplanung muss ein Krankenhausnetz zum Ziel haben, dem sich die Interessen der einzelnen Träger und Eigentümer unterordnen müssen. Auch in der DDR wurden die Bettenzahlen dem tatsächlichen Bedarf und den neuen Behandlungsmöglichkeiten angepasst und über die Jahre reduziert. Auch in der DDR spielte die Entwicklung von Kapazitäten bei schwierigen, seltenen Operationen oder Therapien eine wichtige Rolle. Doch der Effekt für die Gesundheit hatte das Primat, nicht Profitabilität. Der berühmte amerikanische Herzspezialist und Gründer der Ärztebewegung gegen den Nuklearkrieg, Bernard Lown, schrieb im Vorwort seines Buches "Die verlorene Kunst des Heilens": "Ein profitorientiertes Gesundheitswesen ist ein Oxymoron, ein Widerspruch in sich. In dem Augenblick, in dem die Fürsorge dem Profit dient, hat sie die wahre Fürsorge verloren." Der Beitrag erschien 2020 zunächst in der Serie "Zeitenwende" der Berliner Zeitung. Zitierweise: Heinrich Niemann, "Was die DDR in der Seuchenbekämpfung besser machte“, in: Deutschland Archiv, 08.01.2021, Link: Externer Link: www.bpb.de/325016. Weitere Texte und Interviews in dieser Serie folgen. Es sind Meinungsbeiträge der jeweiligen Autorinnen und Autoren, sie stellen keine Meinungsäußerung der Bundeszentrale für politische Bildung dar. Weitere Beiträge in dieser Reihe unter: Interner Link: Zeitenwende
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»Kehrt Euch nicht an die Alte; sie ist still und gutmüthig, nur _hier_,« setzte er leiser, mit dem Finger auf die eigene Stirn deutend hinzu, »nicht ganz richtig. Wenn wir allein sind laß ich sie ruhig gehn, nur wenn Fremde zu mir kommen, was freilich selten genug geschieht, muß sie in ihrer Ecke bleiben und darf mir sie nicht stören. Aber hier,« setzte er lauter hinzu, »ist wenigstens ein Imbiß für Euch. Da ist ein Stück Brod und Käse, den ich neulich von Vincennes mitgebracht, und ein guter Brandy, der Euch wahrscheinlich mehr noth thut als alles Andere; das Wasser wird auch jetzt heiß sein -- ja es kocht sogar schon -- und ich mach' Euch indessen einen Grog zurecht. Setzt Euch nur zum Tisch und langt zu.«
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Herausgeber Bundeszentrale für politische Bildung, Bonn © 2023 ViSdP: Thorsten Schilling Recherche und Texte Dr. Andrea Bahr und Michèle Matetschk Externer Link: Berliner Beauftragter zur Aufarbeitung der SED-Diktatur (BAB) Redaktion bpb Inga Jochimsen
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Da ergrimmten die Leute vom Stalle und vom Harem über Abners Unverschämtheit, wie sie es nannten, über kaiserliches Eigentum seinen Scherz zu treiben, und zweifelten keinen Augenblick, so unwahrscheinlich dies auch war, daß er Hund und Pferd gestohlen habe. Während die anderen ihre Nachforschungen fortsetzten, packten der Stallmeister und der erste Eunuch den Juden und führten den halb pfiffig, halb ängstlich Lächelnden vor das Angesicht des Kaisers.
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Ausschreitungen bei Protesten: Generalstreik legt Guadeloupe lahm In Frankreichs Überseegebieten Guadeloupe und Martinique mischen sich soziale Forderungen mit Protest gegen Covidmaßnahmen. Es kam zu Gewalt. Die Krankenschwetser Marylis Colzin protestiert gegen die Impfpflicht in Pointe-a-Pitre Foto: Elodie Soupama/ap PARIS taz | Auf den beiden französischen Antilleninseln Guadeloupe und Martinique gipfeln soziale Forderungen der Gewerkschaften mit Protesten gegen Impfzwang für das Pflegepersonal und Coronamaßnahmen in Protest und Ausschreitungen. Auf Martinique haben 17 Gewerkschaften und Berufsverbände ab Montag einen unbefristeten Generalstreik ausgerufen, was am Samstag sogleich Hamsterkäufe zur Folge hatte. Vor den Tankstellen bildeten sich Warteschlagen. Besonders explosiv ist die Lage seit mehreren Tagen auf Guadeloupe, wo der Gewerkschaftsbund LKP zu einem unbefristeten Generalstreik aufgerufen hatte. Nach wochenlangen Protesten gegen die überall in Frankreich verhängte Impfpflicht für das Pflegepersonal eskalierte der Generalstreik am Wochenende in gewaltsamen Zusammenstößen. An zahlreichen strategischen Punkten wurden Barrikaden errichtet, in den Städten wurden Autos verbrannt. In Pointe-à-Pitre, der größten Stadt, wurden mehrere Häuser durch Brandstiftung zerstört, Polizei, Ambulanzen und Feuerwehrleute wurden mit Steinen beworfen, in einigen Fällen fielen laut offizieller Darstellung sogar Schüsse. Nach Angaben der Behörden wurden 80 Geschäfte angegriffen und geplündert. 30 Personen wurden am Wochenende festgenommen. Am Freitag verhängten die Behörden außerdem ein Ausgehverbot von 18 Uhr abends bis 5 Uhr vormittags über die ganze Insel. Am Samstag ist auf Guadeloupe eine Verstärkung von 200 Beamten aus Eliteeinheiten der Polizei und Gendarmerie vom französischen Festland eingetroffen. Die Erinnerung an den Generalstreik von 2009 für soziale Gerechtigkeit und höhere Kaufkraft ist noch lebendig: Damals legte die LKP mit dem Protest gegen die „Pwofitasyon“ (auf Kreolisch „Ausbeutung“) die Insel 44 Tage lang lahm. Die obligatorische Impfung für das Pflegepersonal hat nun Feuer an das Pulverfass der weiterhin bestehenden Wut über die soziale Ungleichheit gelegt. Großes Misstrauen gegen Gesundheitspolitik Die Lebenskosten in Frankreichs Überseegebieten sind vergleichsweise höher, die Einkommen eher niedriger. „Wir stehen vor dieser Situation, weil zur Krise wegen der Pandemie und der Angst vor der Impfung soziale Unzufriedenheit hinzukommt“, erklärte der grüne Bürgermeister von Pointe-à-Pitre, Harry Durimel, dem Sender France-24. „Die Wiederherstellung des öffentlichen Friedens reicht nicht, es braucht einen Dialog.“ LKP-Sprecher Elie Domota hat als Vorbedingung für ein Ende der Protestaktionen sofortige Verhandlungen mit dem Vertreter der Pariser Regierung auf Guadeloupe über die gewerkschaftlichen Forderungen verlangt. Zudem ist das Misstrauen gegen die staatliche Gesundheitspolitik auf Guadeloupe und Martinique besonders groß. Sie erklärt sich auch mit der Erinnerung an den Skandal mit dem Insektizid Chlordecon, das trotz bekannter Krebsrisiken von 1972 bis 1993 in den Bananenplantagen massiv eingesetzt worden war. Auf Guadeloupe haben bisher nur 47 Prozent der Erwachsenen (im kontinentalen Frankreich mehr als 76 Prozent) mindestens eine Impfdosis gegen Covid-19 erhalten. Eine Minderheit der Mitglieder des Personals in den Krankenhäusern und privaten Einrichtungen des Gesundheitswesens weigert sich trotz Impfpflicht kategorisch. In Paris wollte sich Premier Jean Castex am Montagabend mit den zuständigen Ministern und Delegationen aus Guadeloupe und Martinique über die Krise in der Karibik beraten. Präsident Emmanuel Macron sagte am Montag, die Nation sei angesichts einer „explosiven Situation“ zwar mit den Landsleuten auf den Antillen „solidarisch“, doch die Staatsführung werde „der Lüge und Manipulation nicht nachgeben“. Damit war wohl die Ablehnung der Gesundheitspolitik gemeint.
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Streit um Abstandsregel für Windräder: Habeck hofft auf Rückenwind Robert Habeck wagt sich in die Höhle des bayerischen Löwen. In München will er Markus Söders Widerstand gegen Windräder brechen. Kann sehr überzeugend sein: Robert Habeck Foto: Markus Schreiber/ap MÜNCHEN taz | Um 8.30 Uhr wird der Missionar aus dem Norden in der bayerischen Staatskanzlei erwartet. Robert Habeck heißt er. Seine Mission: die ungläubigen Bayern auf den rechten Glaubenspfad, sprich den Weg der Windkraft, zu bringen. Wobei: Die Bayern trifft es nicht ganz, vor allem bei deren Oberstem, Markus Söder, will und muss Habeck Überzeugungsarbeit leisten. Von einem „stolzen Ministerpräsident“ sprach der neue grüne Bundesminister für Wirtschaft und Klima denn auch, am Kaffeetisch wolle er mit ihm über dieses und jenes reden, vor allem aber über Söders sture Haltung in Sachen Windkraft. Am Kaffee solle es nicht scheitern, machte Söder vorab klar. „Höflichkeit ist Teil des bayerischen Charmes. Natürlich wird in der Staatskanzlei freundlich bewirtet“, sagt er dem Münchner Merkur, darüber hinaus scheint der bayerische Ministerpräsident dem Gast aus dem Norden jedoch wenig anbieten zu wollen. Konkret geht es um die 10-H-Regel. Eine Abstandsregel, die es in dieser Schärfe nur in Bayern gibt. Der Abstand einer neuen Windkraftanlage zum nächsten Wohnhaus müsse mindestens zehnmal die Höhe des Windrades betragen, besagt diese. Bei modernen Anlagen sind das gut und gerne zwei Kilometer und mehr. Die Regel, die unter Ministerpräsident Horst Seehofer 2014 eingeführt wurde, hat den Ausbau der Windkraft in Bayern extrem abgebremst und steht Habecks Ziel, zwei Prozent der Landesfläche für den Ausbau der Windkraft bereitzustellen, diametral entgegen. „Da, wo Abstandsregeln vorgehalten werden, um Verhinderungsplanung zu betreiben, können sie nicht länger bestehen bleiben“, kündigte der Minister daher in der vergangenen Woche an. „An der 10-H-Regel wird nicht gerüttelt“, schimpfte hingegen Söders Lautsprecher, CSU-Generalsekretär Markus Blume. Und auch Söder selbst machte deutlich, dass er keineswegs von der Anti-Wind-Haltung seines Vorgängers abkehren wolle. Ausbau der Windkraft liegt darnieder „Topografie“ und „Akzeptanz“ sind dann meist die Schlüsselworte in der Söderschen Argumentation. Will heißen: Bayern sei halt nun mal kein Windland. Überall liege man bei den erneuerbaren Energien an der Spitze, nur eben beim Wind nicht. In Baden-Württemberg sei das im Übrigen nicht anders. Im Norden dagegen sei es genau umgekehrt. „Im Kern heißt das: Stärken stärken, nicht alles gleichmachen und Bayern nicht nur durch eine norddeutsche Brille betrachten“, so Söders Forderung im Merkur. „Unsere Potenziale sind Sonne, Wasser und Geothermie.“ Außerdem habe die Windkraft in Bayern ein großes Akzeptanzproblem bei der Bevölkerung. Die Sorgen der windkraftskeptischen Bürgerinnen und Bürger waren seinerzeit auch zur Begründung der 10-H-Regel angeführt worden. Kurz zur Erinnerung: Markus Söder, das ist der Mann, der 2011 zur Zeit der Reaktorkatastrophe von Fukushima Umweltminister in Bayern war. Unter dem Eindruck des Atom-Unfalls kündigte er damals einen radikalen Kurswechsel bei der Windkraft an. Weniger Bürokratie wollte der Minister, kürzere Genehmigungsverfahren und Lärmgutachten nur noch, wenn das Windrad weniger als 800 Meter von der nächsten Wohnbebauung entfernt sei. Und überhaupt: Neue Windräder brauche das Land. Mindestens 1.500. Und jetzt? Liegt der Ausbau der Windkraft in Bayern darnieder. Erst vor wenigen Tagen hat das Wirtschaftsministerium auf Anfrage der Grünen im Landtag Zahlen für das vergangene Jahr vorgelegt: Sechs neue Anlagen wurden in den ersten drei Quartalen immerhin noch genehmigt, neue Anträge jedoch gar nicht mehr gestellt. Auch im Jahr zuvor waren es lediglich drei Anträge. 2013 waren es noch 400. Zahlen, die deutlich auf einen Zusammenhang mit der 10-H-Regel hindeuten. Die 10-H-Befürworter weisen zwar immer wieder darauf hin, dass der geforderte Abstand von den Kommunen durch entsprechende Bauleitpläne unterschritten werden kann, diese Hürde ist allerdings sehr hoch. Maximal 27 Gemeinden haben laut Bauministerium zwischen 2014 und 2020 von diesem Instrument Gebrauch gemacht. Habeck braucht Bayerns Unterstützung Robert Habeck hätte es nun in der Hand, die 10-H-Regel einfach von Berlin aus zu kippen. Der Freistaat hat hier trotz Blumes vollmundiger Ankündigung gar kein Mitspracherecht. Dass der Minister dennoch auf Überzeugungsarbeit setzt, dürfte auch daher rühren, dass er an anderer Stelle durchaus auf den bayerischen Kooperationswillen angewiesen ist. So ist die für Habecks Zwei-Prozent-Ziel wichtige Ausweisung von Windvorranggebieten wiederum Ländersache. Es könnte also beim Kaffee in der Staatskanzlei kräftig gefeilscht werden. Der Grünen-Politiker hatte ohnehin schon betont, es gehe bei den zwei Prozent um den Gesamtwert. So sei es kein Problem, wenn sich Bundesländer etwa darauf verständigten, dass in einem Land 1,5 Prozent der Fläche bereitgestellt würden und in einem anderen 2,5 Prozent, solange die Gesamtsumme stimme. Habeck könnte im Gespräch mit Söder zumindest darauf verweisen, dass die harte CSU-Haltung in Bayern keinesfalls Konsens ist. Jüngst forderte etwa die eigentlich CSU-nahe Vereinigung der bayerischen Wirtschaft eine Abschaffung der 10-H-Regel. Auch Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger und Umweltminister Thorsten Glauber (beide Freie Wähler) zeigten sich Habecks Ansinnen gegenüber deutlich offener als ihr Kabinettschef. Nach dem Stelldichein in der Staatskanzlei wird Habeck auch ihnen einen Besuch abstatten.
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EU-Reaktionen zum Fall Nawalny: Nur Orbán hält sich zurück Nach der Verhaftung Nawalnys kritisieren alle EU-Staaten bis auf Ungarn das Vorgehen Russlands. Später veröffentlichen sie eine gemeinsame Erklärung. Ungarns Regierungschef Viktor Orbán äußerte sich nicht zur Verhaftung von Alexei Nawalny Foto: Francisco Seco/reuters BRÜSSEL taz | Die Reaktion war ungewöhnlich schnell und heftig: Nur wenige Minuten, nachdem die ersten Meldungen von der Festnahme Alexei Nawalnys aus Moskau kamen, forderte die EU in Brüssel bereits seine Freilassung. Es sei „inakzeptabel“, dass Nawalny direkt nach seiner Rückkehr nach Russland in Gewahrsam genommen worden sei, schrieb Ratspräsident Charles Michel bei Twitter. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell rief die russischen Behörden auf, Nawalnys „Rechte zu respektieren“. Eine „Politisierung“ der Justiz sei nicht hinnehmbar. Ähnliche Forderungen kamen aus fast allen EU-Ländern – mal deutlicher, wie aus Polen, mal diplomatisch verklausuliert, wie aus Frankreich. Nur aus Ungarn kam keine Reaktion: Regierungschef Viktor Orbán pflegt gute Beziehungen zu Wladimir Putin und will sich offenbar nicht von seinem Schmusekurs abbringen lassen. Ungarn dürfte versuchen, neue Sanktionen gegen Russland zu verhindern. Am Nachmittag dann veröffentlichten die EU-Staaten eine gemeinsame Erklärung, in der sie die russische Regierung vor weiteren Repressionen gegen die Opposition und die Zivilgesellschaft warnen. Die Inhaftierung Nawalnys bestätige das negative Bild, dass in Russland der Raum für die Opposition, die Zivilgesellschaft und unabhängige Stimmen schrumpfe. Zuletzt hatte die EU Reiseverbote und Vermögenssperren gegen führende Vertreter der russischen Geheimdienste erlassen, um auf die Vergiftung Nawalnys mit der international geächteten Chemiewaffe Nowitschok zu reagieren. Die Strafen waren auf Druck aus Deutschland verhängt worden. Vom Kreml heißt es, das Ausland solle sich nicht einmischen Allerdings hatte sich die Bundesregierung in Berlin zuvor geweigert, die deutsch-russische Gaspipeline Nord Stream 2 infrage zustellen. Das heiße Eisen der Sanktionen wurde nach Brüssel weitergereicht, der „Fall Nawalny“ sollte das Projekt nicht stören. Daran dürfte sich auch jetzt nichts ändern. Zwar wird in Osteuropa erneut der Ruf nach einem sofortigen Stopp der Pipeline laut. Auch FDP und Grüne in Berlin machen Druck. Doch in Brüssel spielt man nach der Blitzreaktion auf die Verhaftung schon wieder auf Zeit. Die EU-Kommission wich dem Thema Sanktionen am Montag aus. Nachfragen bleiben unbeantwortet. Dafür gibt es mehrere Gründe. Für den Gebrauch von Chemiewaffen hat die EU ein eigenes Sanktionsinstrument – für die Verhaftung bei der Einreise jedoch nicht. Die Außenminister hatten zwar im Dezember einen neuen Rechtsrahmen für Strafmaßnahmen erlassen. Damit lassen sich aber nur individuelle Menschenrechtsverletzungen ahnden, kein Missbrauch der Justiz. Zudem ist der neue Rechtsrahmen bisher nicht eingesetzt worden. Die EU kann mit dem neuen Instrument also nicht aus der Hüfte schießen. Die Europäer können zwar laut protestieren – einen wirksamen Hebel haben sie nicht. Schnelle Reaktionen kamen derweil auch aus den USA, wo US-Außenminister Mike Pompeo die Festnahme des Oppositionellen „nachdrücklich“ verurteilte. Sie sei der jüngste Versuch Russlands, „oppositionelle und unabhängige Stimmen, die kritisch gegenüber den russischen Behörden sind, zum Schweigen zu bringen“, so Pompeo, der Nawalnys „sofortige und bedingungslose Freilassung“ forderte. Der künftige Nationale Sicherheitsberater des designierten US-Präsidenten Joe Biden, Jake ­Sullivan, forderte ebenfalls die Freilassung Nawalnys. Eine Sprecherin des russischen Außenministeriums rief die ausländischen Politiker indessen dazu auf, sich nicht einzumischen.
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Oberbürgermeister-Wahl in Dresden: Wer setzt sich durch? In Dresden wollen Grüne, Linke und SPD den amtierenden FDP-Oberbürgermeister Dirk Hilbert ablösen. Die Chancen dafür stehen nicht schlecht. Wer wird Dresden regieren? Der wilde Schnittlauch am Elbufer verrät es nicht Foto: Robert Michael/dpa DRESDEN taz | Die Dresdner Oberbürgermeisterwahl ist ein Ereignis, das über die Grenzen Sachsens hinweg spannend ist. Nicht nur, weil sich an ihr ablesen lassen wird, wie weit der Niedergang der AfD inzwischen auch im Osten Deutschlands vorangeschritten ist. Sondern auch, weil es sein könnte, dass in der nach Leipzig zweitgrößten Stadt Ostdeutschlands zum ersten Mal seit dreißig Jahren ein:e Mitte-links-Kandidat:in Stadtoberhaupt wird – seit der Wende wurde Dresden ausschließlich von CDU- und FDP-Politiker:innen regiert. Nach dem desaströsen Ergebnis bei der vergangenen Oberbürgermeisterwahl 2015 schickt die einst in Dresden so erfolgreiche CDU diesmal jedoch erst gar kei­n:e Kan­di­da­t:in ins Rennen. Bei jener OB-Wahl kam CDU-Kandidat Markus Ulbig, Sachsens damaliger Innenminister, gerade mal auf 15 Prozent. Auch bei der Stadtratswahl 2019 büßte die Dresdner CDU deutlich an Stimmen ein. Der Verzicht auf eine eigene Kandidatur habe laut CDU-Kreischef Markus Reichel jedoch nichts mit einem Mangel an konkurrenzfähigen Kan­di­da­t:in­nen zu tun. „Es ist besser, einen in der Bevölkerung anerkannten OB zu stützen, als ihn durch eine eigene Kandidatur zu schwächen“, sagte Reichel im März. Sieben Jahre Hilbert Der amtierende Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) jedoch, der als überparteilicher Kandidat für den Verein „Unabhängige Bürger für Dresden“ zur Wiederwahl antritt und von FDP und CDU unterstützt wird, hat im Laufe seiner siebenjährigen Amtszeit an Anerkennung eingebüßt. Zwar sind seit seinem Amtsantritt mehr als 25.000 neue sozialversicherungspflichtige Jobs entstanden, hat sich die Arbeitslosenquote um zwei Prozent auf 5,4 Prozent verringert und haben sich die Gewerbesteuereinnahmen um 170 Millionen Euro erhöht. Auch die vor knapp einem Jahr eröffnete Halbleiterfabrik von Bosch im Norden Dresdens zählt zu den Erfolgen des OBs, der unter anderem die Wirtschaft voranbringen wollte. Allerdings ist es dem 50 Jahre alten Wirtschaftsingenieur nicht gelungen, die großen Probleme der sächsischen Landeshauptstadt zu lösen: Dresden hängt sowohl beim Radwegeausbau als auch beim Klimaschutz deutlich hinterher. Die Kaltmieten sind stetig gestiegen, die Zahl der armutsgefährdeten Menschen hat sich um 10.000 auf 78.700 erhöht und auch die gesellschaftliche Spaltung ist eher größer als kleiner geworden. Zögerlich während Corona Hinzu kommen Hilberts zögerliches Handeln während der Coronapandemie, für das er zum Teil heftig kritisiert wurde, sowie die Patzer bei seiner Nominierung durch den Verein „Unabhängige Bürger für Dresden“. Bei Hilberts Aufstellung hatten zwei Vereinsmitglieder mitgewirkt, die dazu nicht berechtigt gewesen waren, weil sie zu diesem Zeitpunkt nicht in Dresden wohnten. Eine der beiden Personen hatte zudem eidesstattlich erklärt, dass die Wahlversammlung korrekt ablief – wozu sie in diesem Fall ebenfalls nicht befugt war. Sieben OB-Kandidat:innen reichten daraufhin Beschwerden bei der Landesdirektion Sachsen ein. Die Aufsichtsbehörde entschied zwar im April, dass Hilbert trotz der Formfehler an der Wahl teilnehmen darf. Dennoch hat das Hin und Her um seine Wahlzulassung Hilberts Image geschadet. Gute Chancen also für die Mitte-links-Parteien, sich gegen den Amtsinhaber durchzusetzen. Anders als 2015 schicken Linke, Grüne und SPD diesmal kei­ne:n ge­mein­sa­me:n Kan­di­da­t:in ins Rennen, sondern stellen jeweils eigene Kan­di­da­t:in­nen auf. Erst im zweiten Wahlgang am 10. Juli wollen sich die Parteien zusammentun und die Person unterstützen, die im ersten Wahlgang die meisten Stimmen geholt hat. Die Ziele der Kan­di­da­t:in­nen Für die SPD tritt der Innenpolitiker und Landtagsabgeordnete Albrecht Pallas an. Der 42-Jährige ist in Dresden geboren und hat vor seinem Einstieg in die Berufspolitik als Polizist gearbeitet. Er will sich um die Alltagsprobleme der Dresd­ne­r:in­nen kümmern: bezahlbare Mieten, ein sauberes Wohnumfeld, einen nachhaltigen und effizienten Verkehr, sichere Jobs mit guten Löhnen, gut ausgestattete Schulen und Kitas, genügend Freiräume für junge Menschen. „Dresden ist ein starker Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort und eine sehr schöne Stadt, aber Dresden droht zurückzufallen“, sagte Pallas bei einer Podiumsdiskussion am Montagabend in Dresden. „Unser Land und auch unsere Stadt stehen vor der größten Modernisierung von Industrie und Wirtschaft seit 1990.“ Bis spätestens 2045 solle Deutschland – und damit auch Dresden – klimaneutral sein. Um das zu erreichen, müssten Entscheidungen getroffen und konkrete Ziele gesetzt werden, sagte der Sozialdemokrat. „Ich erlebe Dresden in den letzten sieben Jahren aber anders.“ Streit und Verzögerungen Der amtierende Stadtchef Hilbert habe sich auf den Erfolgen der Vergangenheit ausgeruht und sich häufig vor Entscheidungen gedrückt, was zu Streitereien und Verzögerungen bei wichtigen Infrastrukturprojekten geführt habe. Als Beispiel nannte Pallas das 2015 beschlossene Radverkehrskonzept, das bis 2025 realisiert werden soll, bisher aber erst zu 17 Prozent umgesetzt wurde. Hilbert gehe die Zukunftsfragen zu kompliziert und langwierig an. Dieser Ansicht ist auch Linken-Kandidat André Schollbach, der Hilbert „eine gewisse Bequemlichkeit und Selbstzufriedenheit“ zuschreibt. Schollbach, 43, ist seit 2007 Linken-Fraktionsvorsitzender im Dresdner Stadtrat und arbeitet als Rechtsanwalt. Sein Ziel ist es, Dresden gerechter zu machen. Eines der großen Probleme der Stadt seien die steigenden Mieten. „Ich will dafür sorgen, dass Wohnen in Dresden bezahlbar bleibt – zum Beispiel, indem wir die Mietpreisbremse einführen, den sozialen Wohnungsbau vorantreiben und städtische Grundstücke nicht mehr privatisieren“, sagte der OB-Kandidat bei der Podiumsdiskussion. Ziel: Nazis raus Darüber hinaus möchte Schollbach die jährlichen Erhöhungen der Ticketpreise für Bus und Bahn beenden und entschlossener gegen Rechtsextremismus vorgehen. „Seit Jahren missbrauchen rechte Hetzer die Straßen und Plätze unserer Stadt. Daher habe ich mir ein großes Ziel gesetzt: Ich möchte Dresden zur unfreundlichsten Stadt für Nazis, Hetzer und alle anderen Feinde der Demokratie machen.“ Die Kandidatin der Grünen ist die gebürtige Dresdnerin Eva Jähnigen. Seit 2015 ist sie Beigeordnete für Umwelt und Kommunalwirtschaft in Dresden, kurz: Umweltbürgermeisterin. Davor war sie sechs Jahre Abgeordnete im Sächsischen Landtag und als Rechtsanwältin tätig, vor der Wende hat sie als Werkzeugmacherin und Krankenschwester gearbeitet. Aufgrund einer Corona-Infektion konnte Jähnigen nicht an der Podiumsdiskussion teilnehmen, stattdessen hat sie mit der taz telefoniert. Jähnigen will Rathauschefin werden, weil sie als Umweltbürgermeisterin nicht genug Entscheidungsmacht habe. „Die wenigsten Klimaschutzmaßnahmen werden im Ressort der Umweltbürgermeisterin realisiert“, erklärte sie und nannte als Beispiele den Verkehr, die Baubranche, die Wärme- und Energieversorgung. Grüne Energie und grüne Mobilität Die Stadtwerke müssten „konsequent“ auf erneuerbare Energien umsteigen, und das könne sie nur als OB durchsetzen. Sie möchte etwa Fotovoltaikanlagen auf Gebäuden und Windräder im Stadtgebiet errichten lassen. Daneben will Jähnigen den Radverkehr stärken. Radwege müssten so gebaut werden, „dass ein zehnjähriges Kind bedenkenlos überall mit dem Rad hinfahren kann“. Null Verkehrstote lautet ihr Ziel. Nicht zuletzt will die Grünen-Politikerin Dresden zu einer „weltoffenen“ Stadt machen und dafür „die vielen Menschen“ unterstützen, die sich für Demokratie und gegen Rassismus einsetzen. Würde Jähnigen die Wahl gewinnen, wäre sie das zweite grüne Stadtoberhaupt in Ostdeutschland. Nur Greifswald hat einen grünen Oberbürgermeister. Neben Pallas (SPD), Schollbach (Linke) und Jähnigen (Grüne) tritt noch ein weiterer Mitte-links-Kandidat an: Martin Schulte-Wissermann von der Piratenpartei. Der 51 Jahre alte promovierte Physiker sitzt seit 2014 im Stadtrat und plant ein radikales Umsteuern in der Klima- und Verkehrspolitik. „Ich bin bekannt dafür, dass ich Dinge ausspreche und nicht dumm rumlabere“, sagte Schulte-Wissermann bei der Podiumsdiskussion. Klimaneutrales Dresden Sein Ziel ist es, Dresden bis 2035 klimaneutral zu machen. „Dafür müssen wir ganz Dresden dekarbonisieren.“ Der Dresdner Energieversorger Sachsen-Energie sei durch den Oberbürgermeister und die Verwaltung bisher „immer daran gehindert worden, hier irgendetwas zu tun“, sagte Schulte-Wissermann. Es brauche Solaranlagen auf „jedem Dach“. Außerdem müsse das Konzept Auto in der Innenstadt nicht nur infrage gestellt, sondern abgeschafft werden. Der Piraten-Politiker fordert eine autofreie Neustadt und Altstadt. Für die AfD kandidiert Maximilian Krah, Vize-Chef der sächsischen AfD und EU-Abgeordneter. Der 45 Jahre alte Jurist, der bis 2016 Mitglied der CDU war, hat engen Kontakt zu russischen Hardlinern und taucht viermal im AfD-Gutachten des Verfassungsschutzes auf, unter anderem weil er regelmäßig das Wort „Umvolkung“ benutzt und in Bezug auf die Fluchtbewegung 2015 von „orientalischer Landnahme“ sprach. Krahs Ziel ist es, „die Identität Dresdens zu stärken“. Anders als „diejenigen, die zurzeit im Rathaus die Mehrheit haben“, wolle er den „politisch aktiven Bürgern“ zuhören und „nicht zu Gegendemos“ aufrufen. Das gehöre sich in einer Demokratie nicht, sagte der AfD-Politiker. Der AfDler wird's wohl nicht Krahs Chancen auf den Posten des Oberbürgermeisters sind extrem gering. Krah wird im zweiten Wahlgang weder mehr Stimmen als der jetzige Rathauschef Hilbert bekommen noch als die Kan­di­da­t:in von Grünen, SPD und Linken. Dafür genügt nur ein Blick auf die Sitzverteilung im Stadtrat. Auch Jähnigen, Pallas und Schollbach räumen dem AfD-Politiker keine Chance auf den OB-Posten ein. „Ich sehe kein Szenario, in dem ein AfD-Kandidat siegreich aus der Wahl hervorgehen könnte“, sagte etwa Albrecht Pallas (SPD) der taz. Weitere Kandidaten sind Marcus Fuchs und Sascha Wolff von der Initiative „Querdenken 351“. Fuchs ist Informatiker und Anführer der Querdenken-Bewegung in Dresden, Wolff wurde als Maskenverweigerer im Mai vor Gericht zu einem Bußgeld verurteilt. Beide gelten als komplett chancenlos. Der neunte und jüngste Kandidat ist Sozialarbeiter Jan Pöhnisch, Jahrgang 1990. Er tritt für die Satirepartei Die Partei an. Pöhnischs zentrales Thema ist die Digitalisierung. „Es brauche nur einen einzigen Computervirus oder einen Angriff von einem mies gelaunten Hacker und schon würden sich die Maschinen gegen Dresden erheben und versuchen, die Stadt zu versklaven“, sagte der Satire-Politiker dem MDR. Daher wolle er „alle notwendigen Haushaltsmittel dafür einsetzen, eine leistungsfähige elektromagnetische Impulsbombe zu bauen“. Ausgang offen Wer am Ende die Wahl gewinnen wird, ist schwer vorherzusagen. Geht man von den Ergebnissen bei der letzten Stadtratswahl 2019 aus, könnte man vermuten, dass Grünen-Politikerin Eva Jähnigen das Rennen macht. Bei jener Wahl holten die Grünen die meisten Stimmen, die CDU wurde erstmals seit 1990 nicht mehr stärkste Kraft. Bei der Bundestagswahl landeten die Grünen in Dresden mit 16,8 Prozent knapp hinter SPD und AfD auf Platz drei, gewannen dafür aber am meisten Stimmen hinzu. Ihr Ergebnis verbesserte sich um 8, das der SPD um 7,5 und der FDP um 2 Prozentpunkte. AfD, CDU und Linke verloren hingegen an Stimmen. Da die Oberbürgermeisterwahl aber eine Personenwahl ist, lässt sich von vergangenen Wahlen nicht auf die anstehende schließen. Entweder es wird der amtierende Oberbürgermeister Hilbert – oder aber die Kan­di­da­t:in von Grünen, SPD und Linken.
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Weil zum didaktischen Vortrag Gewißheit verlangt wird, indem der Schüler nichts Unsicheres überliefert haben will, so darf der Lehrer kein Problem stehenlassen und sich etwa in einiger Entfernung da herumbewegen. Gleich muß etwas bestimmt sein ("bepaalt" sagt der Holländer), und nun glaubt man eine Weile den unbekannten Raum zu besitzen, bis ein anderer die Pfähle wieder ausreißt und sogleich enger oder weiter abermals wieder bepfählt.
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"Du mußt Dir eine Antwort auf Deinen herrlichen -- mir herrlichen -- Brief gefallen lassen; es giebt auch mit 70 Jahren Lichtstrahlen, wie sie das 17te beleuchten, aber es sind nur Blitze, und unter einem solchen stand die Landschaft meines Jugendlebens vor mir, Deine Mutter, die ich nie aufgehört habe zu lieben, Du als Knabe, dunkle Wolken und nun milder Regen. Das mußte erst wieder still bei mir werden. Ich hoffte auch auf einen Brief meiner Enkelin, um zu erfahren, weß Geistes Kind der Theaterdirektor ist, ob verstehend oder nur berechnend, -- sie hat aber noch nicht geschrieben, und ich glaube in Deinem Sinn gehandelt zu haben, als ich ihm gleich bei Lilys Anfrage, ehe ich Dir schrieb, sagen ließ, Du seist verreist, ich rate zu keiner direkten Anfrage, gab ihm auch nicht Deine Adresse. So bist Du, ohne ihn zu kränken, aus dem Spiel und frei, eventuell hervorzutreten. Ich verstehe Deine Auffassung -- ich fühle ganz die letzten Zeilen Deines Briefes -- dann siegt aber doch die ungeheure Scheu vor den Krallen des Lebens, und wir behalten unsere Narben und unsere Ruhe!
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Schwedens Staatsepidemiologe Tegnell: Anders macht es anders Anders Tegnell steuert Schwedens Kampf gegen Covid-19. Dabei weicht er vom Weg der europäischen Nachbarn ab. Der Christian Drosten Schwedens: Anders Tegnell Foto: Archiv STOCKHOLM taz | Deutschland mag in Christian Drosten eine Art inoffiziellen „Mister Corona“ haben. Schweden hat kraft Amtes einen „Staatsepidemiologen“. Seit 2013 ist das Anders Tegnell, ein Spezialist für Infektionskrankheiten mit Erfahrung beim Einsatz gegen Ebola und Schweinegrippe. Nun ist er für die Strategie der Corona-Bekämpfung verantwortlich. Seinen Empfehlungen vertraut die Regierung bislang bei allen ihren Maßnahmen. Und nicht nur sie. Aftonbladet spricht schon von einem „Nationalidol“, das die Bevölkerung durch den Dschungel der Verhaltungsregeln im Umgang mit Covid-19 führe. Mit seiner unaufgeregten Art scheinen die SchwedInnen ihn ins Herz geschlossen zu haben. Obwohl er ja meist unangenehme Nachrichten zu verkünden hat. Die Linie, die er von Beginn an konsequent verfolgt, wird im Ausland oft als Sonderweg beschrieben. Was Tegnell bestreitet: „Wir wollen dasselbe wie alle anderen Länder: Die Virusausbreitung so gut es geht zu verlang­samen.“ Anders macht es anders: Er hält nichts von überstürzten Panikmaßnahmen und wenig wirksamen Verboten. Wichtig sei das Vertrauen der Bevölkerung. Die habe das Recht, erklärt zu bekommen, warum man ihre Freiheit und das gesellschaftliche Leben einschränke. Und warum eine andere nicht oder noch nicht notwendig sei, weil sie nur eine marginale Verlangsamung verspreche. Seine Botschaft: Hier habt ihr die Infos, jetzt könnt ihr selbst denken und entscheiden. Keine Experimente Bei der täglichen Pressekonferenz erscheint er im charakteristischen Wollpullover. Manchmal fällt es ihm schwer, seine Irritation zu verbergen, wenn er aus Journalistenfragen die Unterstellung heraushört, er nehme den Schutz der Bevölkerung nicht so ernst wie andere Länder: Nein, er unterwerfe die schwedische Bevölkerung keinem „Experiment“. Es stelle sich eher die Frage, ob nicht andere Länder gefährlich experimentierten, weil sie die Folgen eines langen Lockdowns gerade auf die Gesundheit der Menschen unterschätzten. „Faszinierend“ findet Göteborgs-Posten Tegnell, der auf jede Frage eine „konkrete, durchdachte Antwort“ habe und nicht wie ein Politiker ausweiche und vorwiegend daran denke, wie er sich am besten vermarkten könne. Dagens Nyheter lobt den 63-Jährigen als vorbildlichen Repräsentanten für die positiven Seiten einer 400 Jahre alten schwedischen Verwaltungstradition, die die obersten Behörden unabhängig von der Politik konstituiert hat. „Natürlich lastet ein enormer Druck auf ihm, den man ihm aber kaum anmerkt“, bewundert ein Ex-Kollege Tegnell: „Er hat eine unheimliche Energie und Arbeitskapazität.“ Wird ihm das Pendeln ins eineinhalb Stunden von Stockholm entfernten Linköping, wo er mit Frau Margit lebt, nicht zu viel? Nein, lacht Tegnell: Gerade beim Kontakt mit ­Mitreisenden „begegnet mir unheimlich viel Zuspruch, ja Liebe“. „Du machst einen tollen Job“, habe er heute gleich mehrfach wieder gesagt bekommen.
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Ende von Guantánamo in den USA?: Obamas letzte Heldentat Das Pentagon treibt die Schließung des Gefangenenlagers voran. Vier Gefängnisse in Colorado werden als Unterbringung für die Häftlinge geprüft. Blick in eine hoffnungsvolle Zukunft: Camp Justice auf Guántanamo. Foto: reuters WASHINGTON dpa | 15 Monate vor dem Ende der Amtszeit von US-Präsident Barack Obama treibt das Pentagon die Schließung des umstrittenen Gefangenenlagers Guantánamo weiter voran. Kommende Woche würden vier Gefängnisse in Florence (Colorado) geprüft, in denen Häftlinge untergebracht werden könnten, sagte Marine-Kapitän Jeff Davis am Mittwoch. Ein Pentagon-Team werde mögliche Umbauten, die Unterbringung von Truppen sowie Fragen zur Sicherheit klären. Die Gefängnisse könnten auch Standort von Militärgerichten werden. Vor einem solchen von Rechtsexperten umstrittenen Militärtribunal soll in Guantánamo Bay auch Chalid Scheich Mohammed und weiteren mutmaßlichen Drahtziehern der Terroranschläge vom 11. September 2001 der Prozess gemacht werden. Zuvor hatten Vertreter des Pentagon mit Blick auf mögliche Häftlings-Transfers bereits Militärgefängnisse in Fort Levenworth (Kansas) und Charleston (South Carolina) besucht. Das Aus für Guantánamo gehört zu den wichtigsten Zielen Obamas. Vor allem Republikaner im Kongress sperren sich aber gegen eine Verlegung von Insassen in die USA. Beim Transfer in Drittländer fürchten Kritiker, dass Gefangene sich dem Terrorkampf anschließen könnten. Das Lager auf dem US-Marinestützpunkt wurde 2002 nach den Anschlägen vom 11. September 2001 und dem Beginn des Militäreinsatzes in Afghanistan eröffnet. Ziel war es, dort Terrorverdächtige ohne Kriegsgefangenen-Status festzuhalten. Von einst mehr als 800 Männern sitzen derzeit noch 114 Häftlinge ein. Anklagen oder Prozesse gab es in Guantánamo nur selten – die meisten Gefangenen wurden und werden ohne Gerichtsverfahren oder rechtlichen Beistand festgehalten.
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Zeitsprung zurück: Athens Überfall auf Melos Der Begriff Zäsur Der Hunger nach dem Epocheneinschnitt Die Zeitenwende als Fundamentalzäsur Die biographische Bewältigung von Zeitenwenden Athens Überfall auf Melos Zäsuren bezeichnen in der Geschichtswissenschaft Einschnitte innerhalb eines historischen Kontinuums; sie bilden „den markanten Punkt, den sichtbaren Einschnitt in einer geschichtlichen Entwicklung“. Doch so klar und eingängig diese Begriffsbestimmung scheint, so komplex und vieldeutig ist sie in der Handhabung, wie schon Thukydides, der „Homer der Geschichtsschreibung“ (Barthold Georg Niebuhr) und Ahnherr der Zeitgeschichte, in seiner „Geschichte des Peloponnesischen Kriegs“ vorführt: Als die Athener den zwischenzeitlichen Frieden mit Sparta brachen und 416 vor unserer Zeitrechnung und mit einer gewaltigen Flotte von 38 Kampfschiffen, den sogenannten Trieren, Melos belagerten, um mit dem Recht des Stärkeren die Unterwerfung der kleinen Kykladeninsel zu fordern, spürten die Melier, dass sie vor einer Zäsur standen. Aber sie trachteten sie zu verhindern, so berichtet es jedenfalls Thukydides (454 - 399/396), und beschieden die Athener, dass sie nicht „eine Stadt, die schon siebenhundert Jahre besteht, der Freiheit berauben“ wollten, sondern sie "sowohl nach dem nach dem Willen der Götter waltenden Glück, das sie bis zu diesem Tag beschützt, anvertrauen als auch der von den Menschen kommenden Hilfe und so versuchen, unser Bestehen zu sichern“. Die Melier setzten also auf politische Kontinuität in der Krise und boten ihren Aggressoren einen Vertrag an, der den status quo ante wiederherstellte und wie bisher gleiche Distanz zu Athen und Sparta wahrte: „Wir verbinden den Vorschlag, Freunde für euch und Feinde für keinen von beiden zu sein, mit der Aufforderung, dass ihr aus unserem Lande abzieht nach Abschluss eines Friedensabkommens, das beiden Parteien angemessen erscheint.“ Retten konnten sich die Melier mit dieser mutigen Abwehr einer Zeitenwende allerdings nicht. Sie mussten sich vielmehr von den Athenern vorhalten lassen, dass ihr Festhalten am Herkommen sich bitter rächen würde und die Unfähigkeit, dem Wechsel der Zeiten Rechnung zu tragen, den Epochenbruch nur schrecklicher machen könnte: „So seid ihr denn (...) die einzigen, die Zukünftiges für gewisser halten als was sie vor Augen haben und Unerkennbares aus Wunschdenken als bereits sich vollziehende Realität betrachten: Und da ihr im Vertrauten auf (...) Glück und Hoffnungen den höchsten Einsatz wagt, wird der tiefste Fall für euch die Folge sein.“ Die ausgehungerte Polis von Melos musste sich noch im Winter ergeben, und für sie kam es in der Tat zu einer fürchterlichen Zäsur; die Stadt wurde auf Antrag durch Beschluss der athenischen Volksversammlung ausgelöscht und seine Bewohner hingerichtet oder versklavt. Für Athen stellte der Untergang von Melos keine Zäsur dar, sondern nur die nächste Stufe auf der Leiter, die zur Weltherrschaft führte. Doch im Überschwang des Triumphes rüstete Athen eine Expedition nach Sizilien aus, die im Folgejahr in einer Katastrophe mündete und seinen Niedergang einleitete. 404 v.u.Z endete der Peloponnesische Krieg mit der Athens Kapitulation vor Sparta, das wie zum Hohn die Rückführung der letzten überlebenden Melier auf ihre verwüsteten Inseln veranlasste. Erst im Nachhinein erwies sich so, dass der Untergang von Melos auch für Athen eine Zäsur darstellte; die durch den Sieg genährte Hybris hatte Athen dazu verführt, seine Kräfte zu überspannen, und rückblickend so seinen politischen Abstieg nach sich gezogen. Der Begriff Zäsur Am Ende erwies sich also die Zäsur von Melos sogar für Athen in gewisser Weise einschneidender als für Melos, das mit Spartas Hilfe an seine alte Stellung wieder anknüpfen konnte, während Athen seine politische Weltgeltung für immer verspielt hatte. Was lehrt der Kampf um Melos vor bald zweieinhalbtausend Jahren für die Frage nach dem Charakter historischer Zäsuren? Sie sind zum einen schwer eindeutig zu bestimmen und zum anderen selten umfassend, sondern meist nur sektoral für bestimmte Regionen, Milieus, Gemeinschaften, Gruppen. Zitat Ereignisgeschichtliche Zäsuren sind scharfe Einschnitte im historischen Kontinuum, wie sie mit den Daten 1789, 1917, 1933 oder 1945 und schließlich 1989 jedem historisch Bewanderten sofort vor Augen stehen. Gesellschaftsgeschichtliche Zäsuren hingegen folgen den Amplituden eines Strukturwandels, der die Zwischenkriegszeit ebenso umfassen kann wie die trente glorieuses des Wirtschaftsbooms nach 1945 in Frankreich und Deutschland oder die neuerlichen trente glorieuses der weltpolitischen Warmzeit zwischen 1990 und 2022, aber auch humangeschichtliche Epochen wie das fossile Zeitalter oder gar das Anthropozän. In jedem Fall ist von der geschichtstheoretischen Grunderkenntnis auszugehen, dass Epochenbegriffe subjektive Vorstellungen repräsentieren und nicht objektive Tatsachen abbilden; sie sind mit Johann Gustav Droysen immer nur „Betrachtungsformen (...), die der denkende Geist dem empirische Vorhandenen gibt“ , des ordnenden Historikers dar, nicht Eigenschaften der Welt und der Geschichte selbst. Diese Festlegung wirkt angreifbar – wenn nicht menschliches Handeln, so bewirkten doch zumindest Naturereignisse vom welterschütternden Erdbeben bis zum täglichen Lauf der Sonne unwiderleglich so einschneidende Veränderungen, dass ihr Zäsurcharakter als objektive Tatsache gelten müsse. Doch es scheine nur so, hielt der Philosoph Kurt Flasch in einer Betrachtung über Zeitgrenzen dagegen, „als schaffe die Natur selbst Zeitrhythmen durch den Wechsel von Tag und Nacht. Aber wann beginnt ein Tag? Römisch gedacht, nicht mit dem Sonnenaufgang, sondern mit der Virgil des Vorabends. Augustin notierte erstaunt, wir bezeichneten Tag und Nacht zusammen als einen einzigen Tag. Der Naturanteil von Hell und Dunkel gibt nicht den Ausschlag.“ Historische Zäsuren sind deswegen perspektivenabhängig. Aber sie sind deswegen nicht völlig willkürlich; ungeachtet ihres Konstruktionscharakters greift jede Epochenbildung auf eine außersprachliche Realität durch, aber ihre Bildung orientiert sich an den unterschiedlichen Prägungen von Kulturkreisen und Staatsnationen. Der Zweite Weltkrieg begann nach deutscher Sicht 1939 und nach russischer 1941 und die postkommunistischen Revolutionen aus polnischer Perspektive spätestens im Juni 1989, aus deutschem Blickwinkel im folgenden Oktober und November, im russischen Verständnis aber erst 1991. Der Hunger nach dem Epocheneinschnitt Die Unzuverlässigkeit des Zäsurenbegriffs tut seiner Beliebtheit keinen Abtrag, seitdem, mit dem Historiker Reinhart Koselleck zu sprechen, Erfahrung und Erwartung in der Frühneuzeit auseinanderzuklaffen begonnen haben und die vielen Geschichten zu einer Geschichte zusammenfließen. Zitat Die Suche nach Zäsuren entspringt dem Wunsch nach Gliederung des Zeitflusses in sinnvolle Zeiteinheiten, wie sie sich in der griechischen Unterscheidung zwischen der metrisch-quantitativen und der qualitativen Zeitmessung spiegelt: Chronos ist der Gott der gleichmäßig verfließenden Zeit, Kairos hingegen der Gott des rechten Zeitpunkts einer Entscheidung, um die günstige Gelegenheit beim Schopfe oder besser bei der Stirnlocke zu packen – oder die epochale Wende zu verpassen und am kahlen Hinterkopf des flüchtigen Gottes abzugleiten. Dass Zeitgrenzen für die menschliche Orientierung eine immer wichtigere Rolle spielen, ist eine seit langem vertraute Erkenntnis. So hat etwa der Philosoph Odo Marquard aus der Annahme, dass der menschliche Grenzbedarf infolge der Globalisierung immer weniger räumlich gedeckt werden kann, auf den wachsenden Bedeutungsgewinn der Zeitgrenzen in den Gegenwartskulturen geschlussfolgert. In der Tat: Wie rasch Zäsuren in unserer Zeit erst ausgerufen und dann schnell wieder vergessen werden können, zeigt etwa die Jahrhundert- und Jahrtausendzäsur des „Milleniums“, die von einem starken Bewusstsein der Zeitenwende begleitet wurde und rückblickend ihren Zäsurencharakter rasch wieder eingebüßt hat. Ebenso erging es in der jüngeren deutschen Zeitgeschichte etwa den Notstandsgesetzen, deren drohende Verabschiedung die Studentenbewegung mobilisierte und eine fast hysterische Furcht vor der drohenden Faschisierung der Gesellschaft auslöste, der Einführung des Euro am 1. Januar 2002 oder der EU-Osterweiterung vom Mai 2004 – allesamt als historisch bezeichnete Daten, deren Historizität rasch nivelliert worden ist. In der neuzeitlichen Geschichtsschreibung allerdings stellen Periodisierung und Epochenbildung seit jeher ein unabdingbares Instrument dar, um den Lauf der Zeit über die bloße Chronik hinaus der historischen Erklärung zu öffnen: Das Interesse an historischer Zäsurenbildung, resümierte der Geschichtswissenschaftler Martin Broszat in einem zeithistorischen Rückblick 1990, gehe „davon aus, daß nicht jedes Jahr der Geschichte gleich zu Gott ist, sondern daß es dicht beschriebene, aber auch ziemlich leere Blätter der Geschichte gibt.“ Jede Vergangenheitsvergegenwärtigung ist daher auf epochale „Sehepunkte“ angewiesen, wie der Theologe Johann Martin Chladni (oder latinisiert Chladenius) schon im 18. Jahrhundert lehrte. Zitat Die Zeitgeschichte als die gegenwartsnächste Subdisziplin der Geschichtswissenschaft ist besonders zäsurenempfindlich, denn sie braucht den Fluchtpunkt des eigenen Vergangenheitsentwurfs so sehr wie jede Historiographie älterer Zeiten. Aber sie kennt ihn eben oft genug nicht und muss sich dann mit unerwarteten Epochenbrüchen arrangieren, die bisherige Verlaufsmuster und Meistererzählungen über den Haufen werfen. Um dieser ausfransenden Unbestimmtheit Herr zu werden, ist die Unterscheidung zwischen zeitgenössischer Erfahrungszäsur und nachträglicher Deutungszäsur nützlich. Deutungszäsuren ergeben sich aus der retrospektiven Festlegung von Zeitgrenzen durch die Nachlebenden. Sie können ereignisgeschichtlich begründet sein wie die Französische Revolution 1789 und die „Stunde Null“ 1945, aber genauso auch strukturgeschichtlich hergeleitet werden wie die mit „1968“ verbundene „Umgründung“ der Bundesrepublik oder der Umbruch im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts hin zu einer Zeit „nach dem Boom“. Zitat Deutungszäsuren benennen historiographisch anerkannte Einschnitte in den Gang der Geschichte, die keine zeitgenössische Geltungsmacht erlangt haben müssen. Sie bestätigen Erfahrungszäsuren oder verwerfen sie und setzen andere an ihre Stelle. Auf diese Weise spielen sie die Macht der Gegenwart über die Vergangenheit aus, und darin liegen Stärke und Schwäche von Deutungszäsuren zugleich: Sie ordnen den Lauf des vergangenen Geschehens aus dem Blickwinkel der Gegenwart, aber sie relativieren zugleich die Wirkungsmacht der zeitgenössischen Zäsurerfahrung. Zur Geschichte der Novemberrevolution passt nicht recht, dass der Umsturz in den östlichen Teilen des Deutschen Reichs kaum wahrgenommen wurde oder Berliner Beobachter das Ende der Monarchie gänzlich alltäglich als Spaziergänger im Grunewald oder zeitungslesend im Café erlebten; und ebenso steht gänzlich quer zur zeitgenössischen Mehrheitserfahrung in der zertrümmerten Kriegsgesellschaft, dass wir die deutsche Kapitulation 1945 heute als befreienden Sieg deuten. Die Zeitenwende als Fundamentalzäsur Nicht weniger erkenntnisfördernd ist allerdings eine andere Unterscheidung von Zäsurformen: Die einen ereignen sich entweder innerhalb einer bestehenden politisch-kulturellen Verfassung, die anderen sprengen sie. Zitat Binnenzäsuren wie der Mauerbau 1961 oder die Kubakrise im Jahr darauf, das Ende der Ära Kohl 1998 oder der Brexit 2020 ereigneten sich innerhalb einer gegebenen Ordnung und stärkten sie womöglich noch; Umbrüche wie 1918, 1933, 1945 und wieder 1989 lassen sie zusammenbrechen. Der zuletzt so abgedroschene Terminus „Zeitenwende“ ist geeignet, den besonderen Charakter dieser Epocheneinschnitte zu fassen. Zeitenwenden in diesem Sinne lenken den Lauf der Geschichte in eine unerwartete, nicht vorhersehbare Richtung; sie erschüttern gewohnte Ordnungen und Sichtweisen, indem sie einen neuen Normalzustand an der Stelle eines alten etablieren. Eine scheiternde Revolution kann eine historische Zäsur bilden, aber zu einer Zeitenwende wird nur die siegreiche Umwälzung, die eine neue politische und kulturelle Ordnung mit eigenen Maßstäben von Gut und Böse erzeugt. Sie erst macht den Kampf gegen die alte Macht zur Legitimationsgrundlage der neuen und im November 1918 den eben noch blutig unterdrückten Hochverrat der meuternden Matrosen von Wilhelmshaven und Kiel zur republikanischen Tugend. Zitat Zäsuren strukturieren unser Leben, aber Zeitenwenden stellen es in Frage. Sie verwandelten 1989 endgültig den Jahrhunderttraum der kommunistischen Menschheitsbefreiung in den überwundenen Albtraum der Unterdrückung der Menschlichkeit und die eifrig oder widerwillig erfüllte Berichtspflicht eines Inoffiziellen Stasi-Mitarbeiters in den perfiden Verrat am Nächsten. Die weltgeschichtliche Wende von 1989/91 in Deutschland und Europas markiert anders als die Anschläge vom 9. September 2001 eine Zeitenwende, weil sie die Gültigkeit der bisherigen Ordnung der Dinge aufhob. Sie setzte neue normative Maßstäbe des Handelns und Denkens, die sich aus den alten Verhältnissen nicht hätten ergeben können, und bildet einen unhintergehbaren Sehepunkt, der die zunächst empfundene Unerhörtheit rasch zur selbstverständlichen Normalität werden ließ. Wie sehr auch die Zeithistoriker und Zeithistorikerinnen unter den Zeitgenossen und Zeitgenossinnen weltgeschichtlicher Umbrüche sich der historisch erzwungenen Verschiebung ihres Sinnhorizontes beugen müssen, lehrt der Vergleich ihrer Auffassungen und Äußerungen vor und nach 1989 zur deutschen Nation und der deutsch-deutschen Systemkonkurrenz. Zitat Das prominenteste Beispiel dieser zeitgeschichtlichen Neuausrichtung bildet die bis 1989 als eigene Subdisziplin betriebene DDR-Forschung, soweit sie mit Hilfe eines systemimmanenten Deutungsansatzes die allmähliche Konvergenz der beiden konkurrierenden Gesellschaftssysteme zu erfassen hoffte. Nach der Zeitenwende von 1989 wurde die Frage, warum zeitgenössische Analysen das nahende Ende der DDR nicht kommen sahen, bevorzugt mit bedauerlicher moralischer Indifferenz oder fachlicher Blindheit erklärt, statt anzuerkennen, dass die Zeitenwende einen neuen Denkhorizont geschaffen hat, der wissenschaftlich nicht seriös zu antizipieren war. Die biographische Bewältigung von Zeitenwenden Mit dem Ausbruch des Krieges um die Ukraine 2022 und bereits vorher mit der Covid-Pandemie wurde die Zäsur von 1989/90 nun durch eine neuerliche Zeitenwende überlagert, die ebenso wie die vorausgegangenen Zäsuren, wie nach 1918 oder 1945, die Frage aufwirft, wie die Zeitgenossen auf einen Umbruch reagieren, der die Maßstäbe des eigenen Lebens angreift und die eigene Ich-Identität in Frage stellt. Wohl gab es auch im Februar 2022 wie schon zwei Jahre zuvor beim Ausbruch der Covid-Epidemie für einen kurzen Moment das Empfinden einer historischen Zäsur, die die Welt umstürzen könnte: In der Nacht der gestapelten Särge von Bergamo im März 2020 schien für einen Moment die lebensgeschichtliche Zeitgewissheit zu zerbrechen, die sich der erfolgreich verarbeiteten Vergangenheit ebenso sicher war wie einer beherrschbaren Zukunft. Zitat Die Corona-Epidemie ebenso wie der bis zuletzt kaum für möglich gehaltene Angriff Russlands auf die Ukraine verwandelten schlagartig Zeitgewissheit in Zukunftsunsicherheit. Sie bedeuteten mit Hartmut Rosa den Einbruch des „Unverfügbaren“ in einen Lebensstil der Moderne, für den das immer ausgreifende „Verfügbarmachen der Welt“ eine selbstverständliche Grunderfahrung darstellte. Doch beide Herausforderungen existenzieller Verunsicherung wurden rasch eingehegt. Im Fall der Covid-Seuche leistete dies eine Flut mit dem Pathos der Wissenschaft vorgetragener Handlungsanweisungen des Staates, der sogar den Primat der politischen Entscheidung zugunsten des „evidenzbasierten“ Handelns opferte und mit dem Mediziner und Gesundheitsökonomen Karl Lauterbach das Expertenwissen mit Ministerrang ausstattete; in Bezug auf den Ukrainekrieg tat es der Bundeskanzler mit seiner immer wieder erneuerten Versicherung, dass er keine unkontrollierte Eskalation zulassen werde und in bei aller militärischen Unterstützung für Kiew immer auch den Weg zum Frieden im Blick behalte. In der Folge ließen sich die bekannten Muster der biographischen Einhegung historischer Zäsuren durch Kontinuität oder Konversion erkennen. Rarer waren wie gewöhnlich die Stimmen, die den Weg der Distanzierung von der eigenen Vergangenheit wählten und etwa ihre eigene frühere Kriegsdienstverweigerung öffentlich revozierten. Weit mehr öffentlichen Anklang fand und findet die entgegengesetzte Strategie zur Identitätswahrung, die nicht die eigene Biographie den neuen Verhältnissen anpasst, sondern die Vergangenheit an die Maßstäbe der Gegenwart. „Wenn es um die frühere Russland-Politik der SPD geht, hat auch Klingbeil einiges aufzuarbeiten“, rief die Frankfurter Allgemeine Zeitung dem SPD-Parteivorsitzenden im März 2023 auf dessen Kiew-Reise nach; denn er sei ja bekanntlich früher „Teil der Schröder-Connection“ gewesen und habe in „prorussischen Lobbyorganisationen“ mitgewirkt. Erkennbar projizieren solche Einlassungen ein heutiges Russlandbild auf frühere Zeiten, ohne die unterschiedlichen Handlungskontexte und den zwischenzeitliche Paradigmenwechsel von einer interessenbasierten zu einer wertebasierten Außenpolitik in Rechnung zu stellen. In dieser teleologischen Neuformatierung der Vergangenheit wird der heutige Ukrainekrieg zum Maßstab des Urteils über die Entspannungspolitik vor vierzig Jahren der Ära Schmidt und Breschnew und zieht die SPD den Vorwurf auf sich, dass sie „in den Achtzigerjahren (...) im Namen der Entspannung den Ausgleich mit den Unterdrückern gepflegt hat.“ Zitat Hier greift ein Modus der Vergangenheitsvergegenwärtigung, der sich mit dem französischen Historiker François Hartog als historischer Präsentismus fassen lässt. Er verschluckt die Andersartigkeit der Vergangenheit und unterlegt sie den Denk- und Handlungsnormen der Gegenwart. Er übergeht, dass die Entspannungspolitik in den 1980er Jahren ein parteiübergreifendes Prinzip europäischer Außenpolitik gewesen war und nach fachwissenschaftlichem Urteil entscheidend zum friedlichen Ende des Kalten Krieges beigetragen hat. Er verdeckt, dass bis zum Moskauer Stabwechsel von Jelzin zu Putin und noch bis zu dessen Bundestagsrede 2001 die Hoffnung auf eine politische Demokratisierung und kulturelle Verwestlichung Russlands als historische Chance gelten konnte, die auszuschlagen ein politisches Versagen vor der Geschichte bedeutet hätte. Der historische Präsentismus blendet ebenso aus, dass bis 1991 auch die Ukraine zur Sowjetunion zählte und sogar mit Nikita Chruschtschow und Leonid Breschnew die beiden einflussreichsten Sowjetführer nach Stalin stellte. Er ignoriert schließlich, dass im Horizont der Zeitgenossen die Ukraine noch vor wenigen Jahren als ein infolge der polnischen Teilungen gespaltenes und teils zu Russland, teils zu Österreich-Ungarn gehöriges Land galt, dessen westlicher Teil nach dem Ersten Weltkrieg an Polen, Rumänien und die Tschechoslowakei gefallen war, während der Osten als ukrainische Sowjetrepublik Teil der UdSSR wurde. Zitat Über die ausgerufene Zeitenwende von 2022 lässt sich noch kein zeithistorisches Urteil fällen. Aber die Vermutung liegt doch nahe, dass auch sie nicht als der fundamentale Epocheneinschnitt in die Geschichte eingehen wird, als der sie angesichts ihrer unablässigen Berufung gegenwärtig erscheinen mag. Begünstigt durch die anders als in den Epochenzäsuren des 20. Jahrhunderts weitgehend unveränderten äußeren Verhältnisse, vollzieht sich die kulturelle und biographische Anpassung an die Zäsur von 2022 wohl eher unbemerkt durch eine schleichende Verschiebung des öffentlichen Diskursfeldes. Eine Zeitenwende wird die Zäsur von 2022 höchstens darin bilden, dass sie die Vergangenheit umschreibt, nicht aber das kulturelle Selbstverständnis der Gegenwart in Frage stellt. Zitierweise: Martin Sabrow, "Zäsur und Zeitenwende – zeitgenössische Erfahrung und nachträgliche Deutung". Deutschland Archiv vom 22.4.2023, www.bpb.de/519981. Der Text basiert auf einem Vortrag Martin Sabrows bei einem "Zeitenwende-Kolloquium" in der Bundeszentrale für politische Bildung am 15. März 2023. Er erscheint zeitgleich in einer gekürzten Fassung im Berliner Tagesspiegel. Weitere Beiträge werden folgen. Ergänzend zum Thema: Externer Link: Zeitenwende? 50 Reflexionen über Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine. Deutschland Archiv 2022/2023. In Kürze folgen: Christiane Bender, Zur Rolle von Olaf Scholz in der "Zeitenwende", Deutschland Archiv vom 4.5.2023. Externer Link: www.bpb.de/520279. Wolfgang Templin, "Im zweiten Kriegsjahr". Deutschland Archiv vom 21.4.2023, Externer Link: www.bpb.de/520270. Hier und auch im weiteren beziehe ich mich verschiedentlich auf: Martin Sabrow, Zäsuren in der Zeitgeschichte, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 3.6.2013, URL: http://docupedia.de/zg/Zaesuren, letzter Zugriff 20.4.2023. Thukydides, Der Peloponnesische Krieg, Fünftes Buch, 112, übersetzt von Michael Weißenberger, mit einer Einleitung von Antonios Rengakos, Berlin/ Boston 2017, S. 939. Ebd., S. 113 Johann Gustav Droysen, Historik, hg. von Peter Leyh, Stuttgart 1997, S. 371. Kurt Flasch, Zeitgrenzen, in: Wolfram Hogrebe (Hg.), Grenzen und Grenzüberschreitungen. XIX. Deutscher Kongress für Philosophie, Bonn, 23.-27. September 2002, Vorträge und Kolloquien, Berlin 2004, S. 843-853, hier S. 843. Vgl. Odo Marquard, Temporale Positionalität. Zum geschichtlichen Zäsurenbedarf des modernen Menschen, in: Reinhart Herzog/Reinhart Koselleck (Hg.), Epochenschwelle und Epochenbewußtsein, München 1987, S. 343–352, hier S. 345 f. Martin Broszat, Einleitung, in: Ders. (Hg.), Zäsuren nach 1945. Essays zur Periodisierung der deutschen Nachkriegsgeschichte, München 1990, S. 9-10, hier S. 10. Johann Martin Chladenius, Einleitung zur richtigen Auslegung vernünfftiger Reden und Schrifften, Leipzig 1742. Anselm Doering-Manteuffel/Lutz Raphael, Nach dem Boom. Perspektiven der Zeitgeschichte nach 1970, Göttingen 2008. Hartmut Rosa, Unverfügbarkeit, Salzburg 2018 Vgl. hierzu Gerald Wagner, Die Macht der Expertise. Politik schmückt sich gern mit dem Adjektiv evidenzbasiert. Ist das mehr als ein Vorwand für alternativlose Entscheidungen und die Politisierung der Wissenschaft?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.9.2022. So zum wiederholten Male in seiner Regierungserklärung vom 2. März 2023: „Wie also kommt die Ukraine dem Ziel eines gerechten Friedens näher?“, zit. n. Eckart Lohse, Der Kanzler, die Waffen und der Frieden. Olaf Scholz spricht im Bundestag ausführlich über die Frage, wie der Krieg in der Ukraine enden kann, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 3.3.2023. Tobias Rapp, Warum ich meine Kriegsdienstverweigerung zurückziehe, in: Der Spiegel 8/2023. Markus Wehner, Ein Besuch mit besonderer Note. Klingbeil gehörte zur Schröder-Connection, Mützenich war der rote Friedensapostel. Nun reisten sie nach Kiew, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7.3.2023. Reinhard Veser, In die gleiche Falle, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7.3.2023.
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Aleksey Nikolskyi/Sputnik/dpa Russlands Präsident Wladimir Putin. Dienstag, 06.09.2022, 06:44 Das Wichtigste Wladimir Putin hat einen neuen außenpolitischen Grundsatz gebilligt.Dieser orientiert sich am Konzept der "russischen Welt".Die Doktrin soll den im Ausland lebenden Russen bei der Durchsetzung ihrer Rechte helfen. Russlands Präsident Wladimir Putin hat eine neue außenpolitische Doktrin gebilligt, die auf dem Konzept der „russischen Welt“ basiert. Russland solle „die Traditionen und Ideale der russischen Welt schützen, bewahren und fördern“, heißt es in dem am Montag veröffentlichten, 31 Seiten langen Dokument, über das die Agentur „Reuters“ berichtet. „Die Russische Föderation unterstützt ihre im Ausland lebenden Landsleute bei der Durchsetzung ihrer Rechte, um den Schutz ihrer Interessen und der Bewahrung ihrer russischen kulturellen Identität sicherzustellen.“ Konzept der „russischen Welt“ soll Moskaus Unterstützung russischer Gruppen im Ausland rechtfertigen Das Konzept der „russischen Welt“ ist von Konservativen als Rechtfertigung für ein Vorgehen im Ausland zur Unterstützung russischsprachiger Gruppen herangezogen worden. Putin hat wiederholt auf die etwa 25 Millionen Russen hingewiesen, die sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 in den daraus hervorgegangen, unabhängigen Staaten wiederfanden. Die Regierung in Moskau betrachtet die ehemaligen Sowjet-Staaten vom Baltikum bis nach Zentralasien als Teil einer Einflusssphäre. Viele dieser Länder und auch der Westen weisen dies zurück. Frau bricht in verlassenes Aquarium ein und macht erschreckende Aufnahmen Bit Projects Frau bricht in verlassenes Aquarium ein und macht erschreckende Aufnahmen Weitere Nachrichten zum Ukraine-Krieg: Das Ukraine-Update am Morgen - Russland kauft Munition in Nordkorea und verdient mehr als der Krieg kostet Russland kauft nach US-Geheimdienstinformationen Artillerie in Nordkorea ein. Die russischen Einnahmen mit dem Verkauf von Energie übersteigen die Kosten für den Krieg wohl. Und: Die Lage am Kernkraftwerk Saporischschja bleibt unsicher. Was in der Nacht im Krieg gegen die Ukraine passiert ist. Ukraine-Krieg - Hat der Iran Schrott geliefert? „Die Russen sind nicht zufrieden“ US-Medienberichten zufolge, soll Russland Kampfdrohnen aus dem Iran zur militärischen Unterstützung im Ukraine-Krieg erhalten haben. Doch es gibt Hinweise, dass die Russen mit den gelieferten Drohnen nicht zufrieden sind. Bei Tests soll es zahlreiche Fehler mit den vergleichsweise langsamen Drohnen gegeben haben. Politische Entwicklungen und Stimmen zum Krieg - Gazprom unterstellt Siemens Pfusch bei Nord-Stream-Turbine Der Ukraine-Krieg könnte laut Militärexperte Carlo Masala noch bis ins nächste Jahr hinein dauern. Ex-CIA-Chef David Petraeus ist optimistisch, was die Erfolgsaussichten der Ukraine angeht - hat aber noch einen Zweifel. Alle Stimmen und Entwicklungen zum Ukraine-Krieg hier im Ticker. pn/dpa
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Alexander Iwanowitsch Dudkin vernahm einen seltsamen knallenden Laut; der knallende Laut kam von unten; dann wiederholte er sich (begann er sich zu wiederholen) auf der Treppe: ein Schlag folgte dem anderen, mit Pausen dazwischen. Wie wenn jemand mit aller Wucht ein riesengroßes, zentnerschweres Metallstück auf Stein warf; und diese auf Stein niederfallenden Metallschläge stiegen immer höher, kamen immer näher. Alexander Iwanowitsch begriff nun, daß ein Übeltäter die Treppenstufen zerschlug. Er horchte, ob nicht aus irgendeiner Tür jemand herauskam, um den nächtlichen Ruhestörer dingfest zu machen. Ist es aber auch wirklich bloß ein nächtlicher Übeltäter?
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Das Special 20 Jahre Putin (Externer Link: putin.dekoder.org/worte) ist ein Versuch, Putin zu entschlüsseln – und zwar nicht nur in einem übertragenen Sinn, sondern tatsächlich in einem technischen. Dafür hat dekoder ein Tool entwickelt, das die Texte der offiziellen Webseite des russischen Präsidenten aufbereitet, und die Häufigkeit der von Wladimir Putin (2000 – 2008 und 2012 – 2020) und Dimitri Medwedew (2008 – 2012) verwendeten Wörter in Grafiken zeigt. Wissenschaftler aus europäischen Universitäten greifen sich einzelne dieser Begriffe heraus und schreiben dazu ihre Stories. Das Tool ist von zwei Texten begleitet: einmal über die Person Putin und über das System Putin. Die ehemalige Moskau-Korrespondentin Katja Gloger traf Wladimir Putin Anfang der 2000er zu Hause, beim Angeln, beim Sport und in seinem Büro im Kreml und hat für dekoder knapp 20 Jahre später einen persönlichen Rückblick geschrieben. Der Politikwissenschaftler Fabian Burkhardt beschreibt das System Putin: Er zeigt, wie viel Putin heute in Russland steckt. Das Special entstand im Rahmen des Projektes "Wissenstransfer hoch zwei – Russlandstudien", einer Kooperation zwischen der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen und Externer Link: dekoder.org. Das Projekt wird von der VolkswagenStiftung finanziell unterstützt.
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Wenn eine jede einzelne Vorstellung der anderen ganz fremd, gleichsam isoliert, und von dieser getrennt wäre, so würde niemals so etwas, als Erkenntnis ist, entspringen, welche ein Ganzes verglichener und verknüpfter Vorstellungen ist. Wenn ich also dem Sinne deswegen, weil er in seiner Anschauung Mannigfaltigkeit enthält, eine Synopsis beilege, so korrespondiert dieser jederzeit eine Synthesis und die Rezeptivität kann nur mit Spontaneität verbunden Erkenntnisse möglich machen. Diese ist nun der Grund einer dreifachen Synthesis, die notwendigerweise in allem Erkenntnis vorkommt: nämlich, der Apprehension der Vorstellungen, als Modifikationen des Gemüts in der Anschauung, der Reproduktion derselben in der Einbildung und ihrer Rekognition im Begriffe. Diese geben nun eine Leitung auf drei subjektiven Erkenntnisquellen, welche selbst den Verstand und, durch diesen, alle Erfahrung, als ein empirisches Produkt des Verstandes möglich machen.
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Nach der Debatte ums Heizungsgesetz: Was wird aus der Klimapolitik? Wirtschaftsminister Habeck hat das Ruder herumgerissen, die Leute hören ihm wieder zu. Versagt haben die angeblich so Klima-Engagierten. Selbstreflexion und Selbstkritik, Robert Habeck macht es vor Foto: Political-Moments/imago Die letzten zwei Wochen erlebten wir Robert Habeck bei einem außergewöhnlichen Politiker-Sprechakt – wenn das nicht eine Tautologie sein sollte. Nicht, dass er in Sack und Asche gegangen wäre, gar nicht, aber der Wirtschafts- und Klimaminister thematisierte seinen eigenen Schuldanteil an der missglückten gesellschaftlichen Mehrheitsfähigkeit des Gebäudeenergiegesetzes (GEG). Selbstreflexion und nun gar Selbstkritik ist etwas, was man von den politischen Superchecker-Darstellern Scholz, Lindner und Baer­bock gewiss nicht erwarten darf. „Robertkritisch“, nannte der Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland das auf seiner Sommertour diese Woche; ganz klar Habeckstyle, aber auch ein Begriff, der vermutlich besser nicht in die heavy rotation übernommen werden sollte. Nichts im Übermaß, wie das Orakel von Delphi zu sagen pflegt. Angesichts der Lage und des partiellen Vertrauensverlustes seiner Person und seiner Politik hat Habeck aber mit seiner persönlichen Mischung aus Intuition und Strategie bei Markus Lanz und anderenorts offenbar einen Weg gefunden, der dazu führt, dass Leute ihm wieder offen zuhören. Es ist ungewohnt in der bundesdeutschen Maß-und-Mitte-Kultur, nicht nur defensive Fehlervermeidungspolitik und -kommunikation zu machen, sondern Fehler zu riskieren, zu korrigieren und dafür Kritik offen und konstruktiv zu nutzen, aber es ist auf der notwendigen Höhe der Problemlage. Dieses Denken und diese Methode will Habeck durchsetzen. Das große Problem der Zukunftspolitik sind nicht Nazis Die größten Versager sind die angeblich so Klima-Engagierten. Grundsätzlich stellt sich jetzt die Frage, ob und wie es mit der sozialökologischen Transformation weitergehen kann, angesichts der vielfältigen Widerstände, in- und außerhalb der Bundesregierung, und des eher geringen öffentlichen Engagements dafür. Der Zusammenhalt der im Aggregat und Vergleich wohlhabenden deutschen Gesellschaft ist schwieriger als gedacht oder gehofft, die negativen Emotionen sind intensiver und sehr viel einfacher zu schüren, als die berühmte positive Zukunftsgeschichte zu zünden. Die größten Versager sind in dieser Lage die angeblich so Klima-Engagierten: Sowohl Fridays for Future als auch NGOs und Öko­bürger sind nicht für das Heizungsgesetz auf die Straße gegangen, sondern verharrten in der physikalisch korrekten, strategisch problematischen, aber halt supergemütlichen „alles viel zu wenig“-Ecke. Wenn man nun die Hauptfehler des Wirtschaftsministeriums nennen will, dann wären das vermutlich – abgesehen von der sogenannten Trauzeugenaffäre – die fehlende politische Übersetzung des Transformationskonzeptes, das die Agora Energiewende ausgearbeitet hat, seine Überarbeitung auf Durchsetzbarkeit, sowie die mangelnde Antizipation und kommunikative Strategie zum erfolgreichen Umgang mit der politischen und medialen Gegenkampagne. „Der große Medienkommunikator“, also Habeck, habe nach einem in dieser Hinsicht brillanten ersten Regierungsjahr den Faden verloren, lautet eine Fachexpertise. Ja. Allerdings hatte der Vizekanzler im Unterschied zu der Phase der Energiesicherung ohne russisches Gas auch die aktiv-aggressive FDP und die passiv-aggressive SPD gegen sich, die die Interpretationsspielräume des Koalitionsvertrages ein ums andere Mal gegen transformative Wirtschafts- und Klimapolitik ausreizten. So kann das halt nur bedingt funktionieren. wochentazDieser Text stammt aus der wochentaz. Unserer Wochenzeitung von links! In der wochentaz geht es jede Woche um die Welt, wie sie ist – und wie sie sein könnte. Eine linke Wochenzeitung mit Stimme, Haltung und dem besonderen taz-Blick auf die Welt. Jeden Samstag neu am Kiosk und natürlich im Abo. Und man sollte erst mal nicht davon aus­gehen, dass Scholz und Lindner in den Sommerferien in sich gehen, um danach auch Teil der Transformation zu werden. Das große Problem der Zukunftspolitik sind nicht Nazis, sondern es ist das fehlende Commitment der beiden Ex-Volksparteien.
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»Wir wurden einander im Kavalier-Café, wo er verkehrte, vorgestellt. Es ist kein Café ersten Ranges, aber ein sehr behagliches Lokal und ziemlich viel von Künstlern besucht, weil es eigentlich für Nichtkünstler gegründet wurde. Deruga ist dort sehr bekannt, und ich hatte öfters von ihm als von einer eigentümlichen Persönlichkeit und einem guten Gesellschafter sprechen hören, so daß ich mich freute, ihn kennenzulernen. Er hatte einen bestimmten Platz an einem bestimmten Tisch, wo sich ein ziemlich gemischter Kreis um ihn zu versammeln pflegte.«
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Die Aufnahme der in den Jahren Interner Link: 2015 und Interner Link: 2016 nach Deutschland gekommenen 1,2 Millionen Asylsuchenden war kein Abwägen von Chancen und Risiken, sondern ein humanitärer Akt. Mittlerweile ist etwas Zeit seit der Hochphase der Flüchtlingsaufnahme vergangen, gleichzeitig wollen Externer Link: einer Befragung zufolge neun von zehn Menschen, die aufgrund von Krieg und Vertreibung im eigenen Land nach Deutschland geflüchtet sind, hier eine neue Heimat finden. Da stellt sich die Frage, was diese Zuwanderung für die deutsche Volkswirtschaft bedeutet? Dominieren die Chancen oder die Risiken? Zunächst musste und muss der Staat viel Geld in die Hand nehmen, um die nach Deutschland geflüchteten Menschen aufzunehmen, zu versorgen und in Gesellschaft und Arbeitsmarkt zu integrieren. So kommen 2017 schätzungsweise Externer Link: 20 Milliarden Euro zusammen. Die Summe kann in den kommenden Jahren sogar noch steigen, da viele Interner Link: anerkannte Flüchtlinge zunächst auf Sozialleistungen, also vor allem Hartz IV, angewiesen sein werden. Außerdem kommen Familienangehörige nach, für die das gleiche gilt. Da hilft es auch nur bedingt, dass die zusätzlichen Staatsausgaben wie eine Konjunkturspritze wirken, indem vor allem Bauunternehmen und Bildungseinrichtungen neue Aufträge erhalten, der Einzelhandel mehr umsetzt und so zusätzliche Steuereinnahmen erzielt werden. Die vergangenen Monate haben gezeigt, dass nur ein geringer Teil der Flüchtlinge schnell einen Arbeitsplatz findet, die Erwerbslosenquote wird bis zum Jahr 2020 vermutlich um etwa 1,5 Prozentpunkte steigen. Und selbst wer zügig einen Job findet, verdient zunächst eher wenig. Denn obwohl etwa jeder Fünfte volljährige Asylantragsteller studiert hat, dauert es, bis sprachliche Hürden abgebaut und spezifische Jobkenntnisse aufgebaut werden. Das Pro-Kopf-Einkommen in Deutschland von durchschnittlich rund 40.000 Euro wird deshalb bis 2020 voraussichtlich um knapp zwei Prozent oder 800 Euro sinken. Eine höhere Arbeitslosigkeit und eine geringere Wirtschaftskraft je Einwohner – für sich genommen sind das keine guten Nachrichten. Allerdings ist das auch noch kein Grund zur Panik. Denn die Frage, ob die Chancen oder Risiken überwiegen, entscheidet sich erst mittel- bis langfristig. Je besser die Integration in das Bildungssystem und den Arbeitsmarkt gelingt, desto stärker verbessert die Flüchtlingsaufnahme die wirtschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik auf lange Sicht. Wenn die Politik das Geld also intelligent ausgibt, kann es zum großen Teil wieder hereingeholt werden. Wer einen Job hat, zahlt in der Regel Einkommensteuer und hat mehr Geld zum Ausgeben zur Verfügung. So werden Mehrwertsteuer, Kfz-Steuer, Tabaksteuer und Stromsteuer fällig. Und auch für Kranken- und Rentenversicherung sind neue Beitragszahler ein Segen. Im besten Fall könnte die Aufnahme der Flüchtlinge so den aufkommenden Interner Link: Fachkräftemangel teilweise abfedern und die Alterung der Bevölkerung zumindest verlangsamen. Ein Vorteil ist, dass viele Flüchtlinge relativ jung sind. Das heißt umgekehrt nicht, dass Deutschland selbst bei erfolgreicher Integration keinen Bedarf mehr an qualifizierter Zuwanderung hätte. Es ist zudem utopisch zu glauben, dass aus jedem Flüchtling der Jahre 2015 und 2016 fünf Jahre später eine auf dem Arbeitsmarkt begehrte Fachkraft geworden ist. Aber die Politik sollte alles dafür tun, dass dies für so viele wie möglich gilt. Sonst wird die Flüchtlingsaufnahme auch auf lange Sicht teuer. Dieser Artikel ist Teil des Kurzdossiers Interner Link: Perspektiven auf die Integration von Geflüchteten in Deutschland. Zum Thema Interner Link: Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen. Antwort auf den Fachkräftemangel? Interner Link: Zuwanderung und Integration. Aktuelle Zahlen, Entwicklungen, Maßnahmen Interner Link: Warum ist die Bundesrepublik Deutschland 2015 Ziel umfangreicher globaler Fluchtbewegungen geworden? Interner Link: Arbeitsmarktintegration Geflüchteter in der Vergangenheit
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Baseball Play-offs ohne die Red Sox: Der Fluch des Bambino Die Boston Red Sox verspielen in letzter Sekunde einen sicher geglaubten Play-off-Platz. Nun fürchten Fans, dass der Fluch des Bambino zurückgekehrt ist. Die Red Sox am Boden: Marco Scutaro wird im Spiel gegen Baltimore ausgezählt. Bild: reuters BERLIN taz | Nicht nur Fans von Schalke 04 erinnern sich mit Grausen an den 19. Mai des Jahres 2001. Vier Minuten und 38 Sekunden lang feierte Gelsenkirchen damals ausgelassen den Gewinn der Deutschen Meisterschaft, dann schoss Patrik Andersson doch noch den Ausgleich in Hamburg - und Bayern München mal wieder zum Titel. Tränen, Trauer und Verzweiflung. Aber Pipifax verglichen mit dem 28. September 2011, als der Fluch des Bambino nach Boston zurückkehrte. Denn heute beginnen die Play-offs in der Major League Baseball (MLB) - ohne Boston. Was einem Wunder gleichkommt, allerdings einem negativen. Anfang September hatten die Red Sox noch einen schier uneinholbaren Vorsprung in der Tabelle. Der Einbruch aber, der darauf folgte, wird als der dramatischste in die Geschichte des professionellen Baseball eingehen. Neun Siege führte man vor den Verfolgern: Einen solchen Vorsprung hatte noch kein Team in anderthalb Jahrhunderten professionellen Baseballs vergeigt. Doch das zweitteuerste Team der Liga - nach den bereits für die sogenannte "Postseason" qualifizierten New York Yankees - gewann von 27 Spielen nur noch erbärmliche 7. "Wir haben Geschichte geschrieben", sagte Carl Crawford, einer der vielen teuren Stars des Teams, "es fühlt sich aber nicht gut an." Unter Schock Crawford und seine Kollegen standen noch sichtlich unter Schock, denn die letzte Niederlage, die die Red Sox endgültig aus dem Titelrennen katapultierte, kam denkbar unglücklich zustande. Boston führte gegen die Baltimore Orioles, ihres Zeichens Tabellenletzte, knapp mit 3:2, als ein Regenguss das Spiel unterbrach. Die direkte Konkurrenten, die Tampa Bay Rays, lagen derweil 0:7 gegen die Yankees zurück. Zu diesem Zeitpunkt war Boston einer der acht Play-off-Plätze sicher. Doch während der Regenpause konnten die Red Sox auf dem Fernsehschirm in der Umkleidekabine verfolgen, wie die Rays das Spiel drehten. Als der Regen in Baltimore aufhörte, stand es in Tampa 7:7. Die verunsicherten Red Sox verspielten ihre Führung im letzten Inning, verloren 3:4 - und vier Minuten später donnerte Evan Longoria in Tampa einen Homerun in die Zuschauer, der den Rays den 8:7-Sieg und den letzten Play-off-Platz sicherte. "Sehr bizarr" fand das nicht nur Derek Jeter, Kapitän der Yankees, die den Red Sox in einer solch herzlichen Feindschaft verbunden sind wie hierzulande Schalke 04 Borussia Dortmund. Fluch des Bambino Die Rays dagegen freuten sich über das "filmreife Ende", wie es deren Alterspräsident Johnny Damon formulierte. Der 37-Jährige vergaß da zwar, dass die Saison für Tampa eben nicht vorbei ist und er mit seinen Kollegen heute schon wieder zum ersten Viertelfinal-Spiel bei den Texas Rangers antreten muss. Aber Damon konnte sicher gut einschätzen, wie sich die gescheiterten Red Sox fühlen mussten. Schließlich gehörte Damon zu der Bostoner Mannschaft, die einst den berühmten Fluch des Bambino vertrieben hatte. 2004 hatten die Red Sox nach 86 Jahren ohne Titel endlich wieder die "World Series" gewonnen und damit eine Serie von Enttäuschungen, Missgeschicken und peinlichen Ausrutschern beendet, die Generationen von Red-Sox-Fans hatte glauben lassen, ihr Klub sei verflucht. Als Auslöser dieses Fluchs galt der Verkauf eines gewissen Babe Ruth im Jahr 1920 an die Yankees. Ruth wurde in New York zum berühmtesten Baseball-Spieler aller Zeiten, Boston gewann nie wieder den Titel, und die Rivalität zwischen Yankees und Red Sox wurde die intensivste Rivalität im US-Sport. Nun fürchtet man in Boston, der seit dem Titel 2004 eigentlich verbannt geglaubte Fluch könnte zurückkehren. Geradezu beschwörend klangen deshalb die Worte von Jonathan Papelbon, jenem Pitcher, der im letzten Inning die Führung aus der Hand gegeben und die historische Niederlage zu verantworten hatte: "Was einen nicht umbringt, macht einen stärker." Die Frage ist nun: Sind die Rex Sox im kommenden Jahr stark genug, um den Fluch des Bambino zu besiegen?
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Kommentar Waffenstillstand für Syrien: Skepsis leider angebracht Nicht nur die Schwachstellen des Abkommens zur Waffenruhe sind Grund für Zweifel. Der Krieg in Syrien ist nicht zu gewinnen. Aleppo, Syrien: Werden in nächster Zeit wirklich keine Waffen zum Einsatz kommen? Foto: dpa Ab Montagabend schweigen in Syrien endlich die Waffen. Nicht nur für ein paar Stunden oder wenige Tage, sondern mindestes für einige Wochen oder gar Monate. Hunderttausende schwer notleidende Menschen können endlich von der UNO mit überlebenswichtigen Gütern versorgt werden. Es wäre wunderbar, wenn sich diese nach der jüngsten russisch-amerikanischen Vereinbarung aufkeimende Hoffnung erfüllen würde und die Skeptiker unrecht behielten. Für Skepsis gibt es leider einigen Anlass. Zum einen die Schwachstellen der Vereinbarung selber. Zum anderen der Umstand, dass wichtige kriegsbeteiligte Akteure wie die Türkei nicht in die Verabredung einer Waffenruhe miteinbezogen wurden. Mit Angriffen gegen die syrischen Kurden, die die Regierung Erdoğan nach eigenem Bekunden fortsetzen will, könnte die Türkei eine Waffenruhe zwischen den syrischen Regierungstruppen und den von Washington eingebundenen Oppositionsmilizen sabotieren. Doch selbst wenn das nicht passieren sollte und es tatsächlich zu einer länger anhaltenden Waffenruhe kommt: Das mittel- und langfristig größte Problem der russischen-amerikanischen Vereinbarung liegt in ihrem dritten Punkt, der geplanten Kooperation bei der militärischen Bekämpfung des „Islamischen Staates“ und des syrischenAl-Qaida-Ablegers Al-Nusra-Front. Der „Krieg gegen den Terrorismus“, den der ehemalige US-Präsident George W. Bush heute vor 15 Jahren nach den Anschlägen vom 11. September ausgerufen hatte, ist vollkommen gescheitert. Es ist ein asymmetrischer Krieg, wie ihn die vermeintlich haushoch überlegenen Militärweltmächte USA und Russland bereits in Afghanistan, Tschetschenien und Irak verloren haben. Auch in Syrien ist dieser Krieg selbst mit einer noch so engen militärischen Kooperation zwischen den USA und Russland nicht zu gewinnen.
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Einleitung Die Entwicklungspolitik steht zu Beginn des 21. Jahrhunderts vor neuen Herausforderungen. Einerseits hat sie sich mit den Millennium Development Goals (MDGs) anspruchsvolle Vorgaben bei der Verbesserung der Lebensbedingungen für breite Teile der Weltbevölkerung gesetzt, so etwa die Halbierung der weltweit in absoluter Armut Lebenden bis zum Jahr 2015. Andererseits bleibt eine nennenswerte Zahl von Ländern durch Staatsversagen blockiert oder ist bereits von Staatsverfall geprägt. Derart fragile Länder weisen erhebliche Leistungsdefizite in zentralen staatlichen Funktionsbereichen auf: Sie sind nicht oder nur bedingt in der Lage, ein legitimes Gewaltmonopol zu etablieren und ihre Bürger vor Gewalt zu schützen. Die politische Machtkontrolle ist defizitär, das Rechtswesen kaum existent. Staatliche Dienstleistungen und Steuererhebung funktionieren allenfalls in den Städten und auch hier nur mangelhaft. Die soziale Grundversorgung ist nur rudimentär gewährleistet, der Wirtschaft fehlen verlässliche Rahmenbedingungen. Eine erste empirische Annäherung an diese Gruppe fragiler Staaten ist über Daten der Weltbank möglich, die in ihrem Country Policy and Institutional Assessment (CPIA) die Politikgestaltung und institutionelle Leistungsfähigkeit von Kreditnehmern auf einer Skala von 1 (sehr gut) bis 5 (sehr schlecht) bewertet. So hat das britische Department for International Development (DFID) eine Liste von 46 Ländern zusammengestellt, die zwischen 1999 und 2003 mindestens einmal schlechte oder sehr schlechte CPIA-Werte aufwiesen. Die Ermittlung "fragiler Staaten" allein auf Grundlage der CPIA-Werte wirft jedoch eine Reihe von Fragen auf. So bezieht das DFID u.a. Staaten ein, die nicht mehr als fragil gelten können, sondern bereits regelrecht kollabiert sind (z.B. Somalia, zeitweise auch Liberia). Andererseits fehlen Länder wie Pakistan, Ruanda oder Uganda, deren Staatlichkeit durchaus noch nicht hinreichend konsolidiert ist, um sie aus der Kategorie "fragile Staaten" herauszunehmen. Dennoch ist die DFID-Liste als erste Annäherung hilfreich. Im Vergleich zu anderen armen Ländern, die im CPIA-Ranking besser abschneiden, ist die soziale Lage in den fragilen Staaten dramatisch: Das Pro-Kopf-Einkommen beträgt nur etwa die Hälfte der Vergleichsgruppe. Die Kindersterblichkeit ist doppelt, die Müttersterblichkeit sogar dreimal so hoch. Etwa ein Drittel der Bevölkerung ist unterernährt; große Teile der Bevölkerung sind an Malaria erkrankt. Umgang mit fragilen Staaten Zahlreiche Geberländer waren in den neunziger Jahren zurückhaltend, sich unter den schwierigen Bedingungen von Staatsversagen und Staatsverfall finanziell wie politisch zu engagieren. Hierfür gab es gute Gründe: Die Erfolgschancen externen Engagements waren, wie zahlreiche empirische Studien nachwiesen, gering, solange in den Nehmerländern gegen die Prinzipien verantwortlicher Regierungsführung verstoßen wurde oder die Kapazitäten für einen funktionsfähigen Staat fehlten. Von daher konzentriert sich die Entwicklungszusammenarbeit seit dem Ende des Ost-West-Konflikts vorrangig auf so genannte "good performers", die sich in Richtung marktwirtschaftliche Demokratien bewegen. Besonders zum Ausdruck kommt dieser Ansatz aktuell im Millennium Challenge Account (MCA) - ein Programm, das die Bush-Administration im März 2002 aufgelegt hat und in dessen Rahmen bis zum Jahr 2006 zusätzlich fünf Milliarden US-Dollar zur Verfügung gestellt werden sollen. Zunehmend setzt sich in der entwicklungspolitischen Diskussion die Erkenntnis durch, dass man sich nicht gänzlich von problematischen Ländern abwenden kann. Die zentrale Botschaft, die gleichermaßen von der Weltbank wie vom Entwicklungshilfeausschuss (DAC) der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) verkündet wird, lautet: "Stay engaged, but differently." Denn das "Ignorieren" von Krisenländern ist ein gefährliches Unterfangen, welches das Risiko eines Abgleitens in den Staatsverfall erhöhen kann. Umgehung von Partnerregierungen? Entwicklungszusammenarbeit kann bei fragilen Staaten nicht länger an Standardmodellen der zwischenstaatlichen Kooperation festhalten. Insbesondere erscheint es problematisch, Reformen forcieren oder gar erzwingen zu wollen. Strukturanpassungs-, Liberalisierungs- und Privatisierungsprogramme schlagen fehl, wenn das politisch-administrative System nicht zuvor eine entsprechende Leistungsfähigkeit erlangt hat. Grundsätzlich sinnvolle Maßnahmen wie der Abbau eines Staatssektors und die Privatisierung öffentlicher Unternehmen lassen sich nur verwirklichen, wenn es eine "Binnennachfrage" für Reformen gibt und Institutionen existieren, die Regelwerke aufstellen und implementieren können. So weit als möglich sollten Maßnahmen der Entwicklungszusammenarbeit mit den Partnerregierungen abgestimmt werden, damit keine Parallelstrukturen entstehen, welche die staatliche Handlungsfähigkeit unterhöhlen. Der Entwicklungshilfeausschuss der OECD verwendet für die Orientierung an der Politik der Partnerländer den Begriff des alignment (Abgleich): Er zielt darauf, die Strategien, Politiken und Budgetplanungen von Gebern mit denen von Nehmerregierungen in Übereinstimmung zu bringen. Dadurch soll zum einen Eigenverantwortung, zum anderen die effektive Implementierung von Maßnahmen gefördert werden. Zugleich kann aber bei mangelnder Entwicklungsorientierung, verbreiteter Korruption oder stark repressiver Herrschaft die Zusammenarbeit mit der Regierung hoch problematisch sein, da sie die Legitimität des bestehenden Regimes stärkt. In derartigen Situationen wird es notwendig, auch "jenseits des Staates" mit nichtstaatlichen Gruppen, der Privatwirtschaft und lokalen staatlichen Einheiten zu kooperieren. Wie weit externe Akteure mit oder jenseits der bestehenden Regierung zusammenarbeiten, hängt maßgeblich von zwei Faktoren ab: der Leistungsfähigkeit staatlicher Institutionen und der politischen Legitimität, die sich einerseits aus den Partizipationsmöglichkeiten der Bevölkerung (Input-Legitimität) und andererseits aus der Entwicklungsorientierung des Regimes (Output-Legitimität) ergibt. Dabei lassen sich idealtypisch vier Konstellationen unterscheiden. Erstens: Relativ günstig ist die Lage, wenn die institutionelle Leistungsfähigkeit eines Staates zwar Mängel, nicht aber Verfall aufweist ("bloßes" Staatsversagen). Verfügt die Regierung zudem über eine eher hohe Legitimität, so sollten Geber sich weitgehend an bestehende Strukturen des politisch-administrativen Systems anlehnen (systems alignment) und auch die politischen Prioritäten eng mit der Regierung abstimmen (policy alignment). Budgethilfen, bei denen die Partnerregierung weitgehend selbständig über die Verwendung der Gelder entscheiden kann, sind in diesem Rahmen sinnvoll. Projektarbeit sollte weitgehend in breiter angelegte Sektorprogramme integriert sein, damit die Ergebnisse nicht "verpuffen", sondern Breitenwirkung erzielen. Zweitens: Bei Staaten mit defizitär funktionierenden Institutionen, in denen die Regierung eine eher geringe politische Legitimität hat, weichen die Prioritäten von Gebern und Nehmer-Regierung hingegen voneinander ab. Hier ist ein bloßes systems alignment empfehlenswert. Von Budgethilfen sollte Abstand genommen werden, da die Missbrauchsgefahr hoch ist; Sektorprogramme sind bei strengen Auflagen und Überprüfungsmechanismen möglich. Zusätzlich erscheint eine Förderung von Reformkräften ("change agents") sinnvoll. Drittens: Eine dritte Konstellation bilden Länder, in denen Institutionen - etwa in Folge kriegerischer Konflikte - weitgehend zerrüttet sind, deren Regierungen aber einen von der Bevölkerung unterstützten Reformkurs eingeschlagen haben. Hier sollten Geber den Aufbau staatlicher Institutionen mit Nachdruck fördern und die politischen Prioritäten eng mit der Partnerregierung abstimmen. Das policy alignment kann in derartigen Situationen mitunter besser gelingen als das systems alignment, insofern die institutionellen Strukturen erst noch rekonstruiert bzw. neu formiert werden müssen. Die Agenda der Geberseite sollte soweit wie möglich auf einige Kernmaßnahmen reduziert werden, die auch tatsächlich durchführbar und kontrollierbar sind, eine schnelle Wirkung erzielen und der Bevölkerung sichtbare Erfolge präsentieren können. Viertens: Die größten Problemfälle unter den fragilen Staaten sind jene Länder, in denen der Institutionenverfall weit fortgeschritten ist und deren Regierungen zugleich wenig politische Legitimität besitzen. In manchen Fällen - etwa Myanmar oder Zimbabwe - kann die Entwicklungszusammenarbeit (EZ) grundsätzlich in Frage stehen. Eine abgestuftere Option ist, die finanzielle Zusammenarbeit (FZ) einzustellen, die Sachgüter in Form günstiger oder nicht rückzahlbarer Kredite finanziert. Stattdessen kann sich Entwicklungspolitik auf ausgewählte Maßnahmen der technischen Zusammenarbeit (TZ) konzentrieren, welche die Leistungsfähigkeit von Menschen und Organisationen in Entwicklungsländern fördern will und weniger leicht missbraucht werden kann. Bleiben Geber nach einer eingehenden Kosten- und Nutzenkalkulation in einem Land involviert, so ist häufig die Kooperation mit Strukturen jenseits des Staates nötig. Projektorientierte Maßnahmen stellen eine Alternative dar; oftmals ist humanitäre Hilfe nötig. Um die damit verbundene Etablierung von Parallelsystemen in ihren Negativfolgen zu begrenzen, kann ein so genannter shadow systems alignment sinnvoll sein. Dabei handelt es sich um den Versuch, EZ-Maßnahmen zumindest mittel- bis langfristig an das institutionelle System eines Landes anschlussfähig zu machen - etwa indem Fördermaßnahmen sich an bestehenden Budgetklassifikationen, Planungszyklen, Berichts- und Rechnungslegungspflichten oder auch an den etablierten administrativen Einheiten orientieren. Stärkung von "change agents" Gerade wenn es einer Regierung an Reformbereitschaft und politischer Legitimität mangelt, gewinnt die Frage an Bedeutung, ob und in welcher Form die bereits angesprochenen Reformkräfte ("change agents") unterstützt werden sollen. Weltbank bzw. OECD/DAC plädieren mit guten Gründen immer offener dafür, sich gezielt an Vertreter der Zivilgesellschaft und Reformkräfte in der Regierung (z.B. Technokraten, die für Veränderungen aufgeschlossen sind) zu wenden. Eine wichtige Rolle können auch Wissenschaftler spielen, die über ein Mindestmaß an Unabhängigkeit verfügen. Konsequenterweise müssen externe Akteure klar für Informationsfreiheit und weitere Freiheitsrechte eintreten, sodass Parlamentarier, unabhängige Richter, Journalisten, Gewerkschafter und berufsständische Vereinigungen sich gegen Machtmissbrauch einsetzen können. Gerade die Arbeit politischer Stiftungen sowie akademische Austauschprogramme können zur Qualifizierung derartiger Reformkräfte beitragen. Hat sich ein Krisenland politisch abgeschottet, kann es sogar sinnvoll sein, mit einflussreichen Mitgliedern der Diaspora Kontakt aufzunehmen. Bei der Förderung von "change agents" sollte darauf geachtet werden, dass gesellschaftliche Brüche nicht vergrößert, sondern eher überwunden werden. So stehen sich beispielsweise in muslimisch geprägten Gesellschaften oftmals religiös-fundamentalistische und säkulare Kräfte gegenüber. Drängen externe Geber auf eine rasche Modernisierung, so könnte das ohnehin schon vorhandene Misstrauen zwischen gesellschaftlichen Gruppen verstärkt werden. Die Unterstützung von "change agents" sollte außerdem nicht nur die Hauptstadt, sondern auch Provinzstädte und die lokale Ebene einbeziehen, um eine strukturelle Teilung der Gesellschaft zu verhindern. Schwerpunktsetzungen für die Entwicklungszusammenarbeit lassen sich nicht anhand von Blaupausen festlegen, sondern müssen letztlich für jedes einzelne Land auf der Basis einer genauen Bestandsaufnahme der Bedingungen vor Ort konzipiert werden - am besten unter Beteiligung lokaler Experten. Trotz dieser Einschränkung lassen sich einige übergreifende Prioritäten in den staatlichen Funktionsbereichen Sicherheit, Politik, Justiz, Verwaltung und Wohlfahrt identifizieren, die für die meisten fragilen Staaten relevant sind. Gewaltmonopol und Rechtsbindung Um das Gewaltmonopol in angemessener und effektiver Weise wiederherzustellen, kommt in Ländern, die über Jahrzehnte von kriegerischen Konflikten geprägt waren, der Kleinwaffenkontrolle und der Demobilisierung von Ex-Kombattanten eine hohe Bedeutung zu. In mittelfristiger Perspektive ist insbesondere eine sachgerechte Kompetenzverteilung zwischen den verschiedenen Teilen des Sicherheitsapparats nötig. Die politische Priorität muss auf einer besseren Ausrüstung und einem besseren Training der Polizei liegen, damit diese volle Zuständigkeit in Fragen der "inneren Sicherheit" erhält, für die sich oft auch das Militär zuständig fühlt. Angesichts häufiger Übergriffe von Sicherheitskräften sowie ihrer Verstrickung in kriminelle Machenschaften sind zudem Maßnahmen zur Absicherung einer unabhängigen Justiz und freier Medien notwendig, damit Menschenrechtsverletzungen von Polizei, Militär und Geheimdienst angeprangert, geahndet und präventiv verhindert werden können. Um eine Störung des politischen Transformationsprozesses durch die Sicherheitskräfte zu unterbinden, ist eine klare Unterordnung und Rechenschaftspflicht gegenüber zivilen Autoritäten vonnöten. Aus entwicklungspolitischer Sicht entscheidend sind Maßnahmen, welche die Expertise ziviler Akteure (Regierungsmitglieder, Parlamentarier, Forscher, Medien) erhöhen. Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt dabei ein transparentes Budget, da sich über verdeckte Zuwendungen und die illegale Umwidmung von Geldern häufig "Schattenmächte" herausbilden. Partizipation und Konfliktregelung In jüngster Zeit ist kontrovers diskutiert worden, wie die Partizipation der Bevölkerung unter den Bedingungen fragiler Staatlichkeit am besten gewährleistet werden kann. In der ersten Hälfte der neunziger Jahre hatte die Idee einer raschen Demokratisierung von Transformations- und Entwicklungsländern eine beachtliche Konjunktur erlebt. Mittlerweile gibt es aber auch zunehmend kritische Stimmen, die auf das hohe Gewaltpotenzial von Demokratisierungsprozessen hinweisen - eine Befürchtung, die durch umfangreiche empirische Untersuchungen untermauert wird. Instabilen Staaten mangelt es häufig an Institutionen der verregelten Konfliktaustragung, was sie im Kontext von Wahlen verwundbar macht: So ist die Zivilgesellschaft nicht zwangsläufig liberal orientiert, sondern kann durch Intoleranz geprägt sein und in Demokratisierungsprozessen polarisierend wirken. "Ethnische Unternehmer" vermögen bestehende gesellschaftliche Spaltungen für die Propagierung nationalistischer Ideologien zu instrumentalisieren und zu vertiefen. Daraus lässt sich ableiten, dass Demokratisierungsprozesse von außen nicht mit allzu großem Druck forciert werden sollten. Wichtiger kann es sein, zunächst eine gewisse Leistungsfähigkeit und Überparteilichkeit staatlicher Institutionen anzustreben, die wechselseitige Kontrolle verschiedener staatlicher Organe zu verbessern sowie gesellschaftliche Potenziale zu fördern, die den politischen Transformationsprozess tatsächlich von innen tragen können. Die Mängel im Justizapparat fragiler Staaten sind häufig derart schwerwiegend, dass die Bevölkerung die öffentliche Rechtspflege als nicht existent betrachtet. Unzureichende Ausbildung, undurchsichtige Strukturen, eine mangelhafte Koordination zwischen Ermittlungsbehörden und Polizei sowie die Verfilzung politischer, militärischer und juristischer Eliten verhindern, dass Kriminelle abgeurteilt werden. Nicht zuletzt ist das Rechtswesen für die Bürgerinnen und Bürger in äußerst ungleicher Weise erreich- und verfügbar. Das Stadt-Land-Gefälle, der soziale Status, aber auch ethnische oder religiöse Diskriminierung spielen eine Rolle. Um die Durchsetzung rechtsstaatlicher Grundsätze zu fördern, sollte die Entwicklungszusammenarbeit deshalb in einem kritischen Politikdialog die Partnerregierung drängen, der Justiz Unabhängigkeit von politischer Einflussnahme und die Möglichkeit zur Kontrolle exekutiver Entscheidungen und administrativen Handelns einzuräumen. Eine zentrale Rolle kommt der Unterstützung von transparenten Auswahlverfahren zu, damit Spitzenpositionen in der Justiz nach der Qualität der Bewerber und nicht nach deren politischen Loyalitäten besetzt werden. Wichtig ist aber auch die Aufklärung ärmerer Bevölkerungsschichten, damit diese in die Lage versetzt werden, ihre Rechte auch wahrzunehmen. Bei einem weitreichenden Verfall staatlicher Institutionen kann die verregelte Konfliktschlichtung zudem über die Einbeziehung informeller Institutionen und die Berücksichtigung lokaler Traditionen verbessert werden. Dienstleistungen und Korruptionsbekämpfung Unter den Bedingungen fragiler Staatlichkeit ist der Staat mit seinen administrativen Dienstleistungsfunktionen gerade in ländlichen Gebieten häufig kaum präsent. Elementare Schritte wie der Aufbau einer verlässlichen Datenbasis zu den öffentlichen Bediensteten, die Einführung eines einfachen Gehaltssystems und die Einrichtung von Kontrollverfahren können hier schon einen nennenswerten Mehrwert bedeuten. Sobald eine derartige infrastrukturelle Basis geschaffen ist, müssen weitere Maßnahmen hinzutreten, die über die Ausbildung materieller und personeller Kapazitäten hinausgehen. Entwicklungszusammenarbeit sollte in einer solchen Phase darauf achten, dass die Rekrutierung und Beförderung von Staatsangestellten auf der Grundlage von Qualifikationen und Verdiensten und nicht durch Patronage erfolgt. Außerdem sollte frühzeitig "Kundenorientierung" zum Leitbild der Verwaltung erhoben werden: Zugangsbarrieren für Bürger müssen fallen, Verfahren abgekürzt sowie Bürger in ihren Rechten gestärkt werden. Staat, Wirtschaft und Gesellschaft sind in fragilen Staaten häufig durch Korruption geradezu gelähmt. Mitunter partizipieren auch Nichtregierungsorganisationen kräftig an Korruption; Unternehmer konzentrieren sich nicht auf Wettbewerbsvorteile, sondern auf den geschickten Einsatz von "Schmiermitteln". Versuche externer Geber, den nur wenig entwicklungsorientierten Staat zugunsten anderer Akteure zu umgehen, sind zum Scheitern verurteilt. Korruptionsbekämpfung kann unter derartigen Bedingungen nur gelingen, wenn Pakete von Maßnahmen geschnürt werden. Wichtige Ansatzpunkte sind: eine wechselseitig abgestimmte Selbstkontrolle der Geber; der Aufbau von Institutionen zur Korruptionsbekämpfung (Ombudsleute, Inspektoren, Behörden); die Einforderung öffentlicher Ausschreibungen und die Verkürzung von Amtswegen; gesetzgeberische Maßnahmen, die durch eine unabhängige Gerichtsbarkeit und transparente Strafverfolgung auch implementiert werden; die Unterstützung von Parlament, Medien und zivilgesellschaftlichen Organisationen in ihren Bemühungen, mehr Transparenz bei der Aufstellung und Verwendung öffentlicher Haushalte zu erreichen; die Aufstellung von Regeln, nach denen transnational agierende Unternehmen ihre Zahlungen an Regierungsinstitutionen offen legen müssen; die Förderung einer raschen Ratifizierung und Implementierung der UN-Konvention gegen Korruption vom 9. Dezember 2003. Soziale Grundversorgung und Wohlfahrt In zahlreichen Ländern mit autoritären oder korrupten Regierungen vernachlässigen die lokalen oder nationalen Eliten die soziale Grundversorgung. Sie sind mit dafür verantwortlich, dass arme Bevölkerungsschichten in den Bereichen Gesundheit, Erziehung, Wasser, sanitäre Einrichtungen und Elektrizität unzureichend versorgt sind. Geberländer haben insofern mit herkömmlichen Regierungskanälen oftmals hochgradig unbefriedigende Erfahrungen gemacht. Unter diesen Bedingungen ist es erforderlich, komplementäre und alternative Möglichkeiten zu erkunden und sich dabei vor allem auf nicht- und substaatliche Akteure zu stützen. Fragile Staaten brauchen im Bereich der Wohlfahrt vor allem verlässliche wirtschaftliche Rahmenbedingungen. Die von Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) betriebene Strukturanpassungspolitik der achtziger und neunziger Jahren hat in dieser Hinsicht zwar durchaus einige Erfolge erzielt, so bei der Förderung einer inflationsdämpfenden Fiskal- und einer marktgerechten Währungspolitik. Zugleich gab es jedoch eklatante Fehlschläge: So hat die verfrühte Privatisierung öffentlicher Unternehmen zur Herausbildung von machtvollen Oligopolen und nicht selten auch zur Stärkung des kriminellen Sektors geführt, weil es schlicht an staatlichen Management- und gesellschaftlichen Kontrollkapazitäten fehlte, um faire öffentliche Ausschreibungsverfahren durchzuführen. Wichtiger als das simple Rezept "Mehr Markt, weniger Staat" ist in fragilen Staaten insofern ein funktionsfähiger Gesetzesrahmen, der Erwartungsverlässlichkeit schafft, den wirtschaftlichen Akteuren auch tatsächlich bekannt ist und nicht zuletzt dazu beiträgt, die informelle Ökonomie schrittweise in einen legalen Kontext einzubetten. Eckpfeiler sind die Garantie von Eigentumsrechten, einfache Genehmigungsverfahren sowie eine faire und wirksame Besteuerung. In einer nennenswerten Anzahl fragiler Staaten bildet die Bekämpfung krimineller Ökonomien eine zentrale Herausforderung. Seit Beginn der neunziger Jahre hat die weltwirtschaftliche Globalisierung nicht nur Wohlfahrtsgewinne, Marktchancen, Mobilität und neue Wahlmöglichkeiten geschaffen. Die Liberalisierung der Waren- und Finanzmärkte, neue Kommunikationstechnologien und die deutlich verbilligten intra- und transkontinentalen Transportmöglichkeiten haben vielmehr auch die Verwundbarkeit schwacher Ökonomien erhöht und die Herausbildung von Grauzonen jenseits der Legalität erleichtert. Unter den Bedingungen einer derartigen "Schattenglobalisierung" florieren Geldwäsche sowie der illegale Drogen-, Diamanten-, Edelholz- oder auch Menschenhandel. Besonders betroffen sind Länder, die über einen Reichtum an Bodenschätzen verfügen, durch Krieg und Staatszerfall zerrüttet wurden oder aber aufgrund ihrer geographischen Lage als Umschlagplätze illegaler Gütertransfers besonders geeignet sind. Um den kriminellen Sektor nach und nach zu verkleinern, sind eine Stärkung der Strafverfolgung sowie sozioökonomische Programme gefordert, die der Bevölkerung alternative Erwerbsquellen jenseits der Illegalität eröffnen. Im Zeitalter der Globalisierung kommt aber letztlich internationalen Maßnahmen eine ausschlaggebende Bedeutung zu. Mit der Extractive Industry Transparency Initiative (EITI), die der britische Premierminister Tony Blair im September 2002 auf dem Weltgipfel von Johannesburg verkündet hat, gibt es einen wichtigen Ansatzpunkt, der politischen Ökonomie von Gewaltkonflikten beizukommen. Sie zielt auf die Offenlegung von Zahlungen, die transnationale Unternehmen im Bereich der Rohstoffextraktion an Regierungen der Entwicklungsländer leisten und die allzu oft zur Selbstbereicherung verwendet werden. Die zentrale Herausforderung für die nahe Zukunft dürfte es sein, Steueroasen einzudämmen, Geldwäscheaktivitäten zu bekämpfen sowie den Rohstoff- und Waffenhandel aus Krisengebieten durch Kontrolle der entsprechenden Finanztransaktionen zu unterbinden. Anforderungen an internationale Akteure Oftmals scheitert ein angemessener Umgang mit fragilen Staaten bereits daran, dass einzelne Geberländer dem Problem geringe Priorität einräumen oder die politische Praxis durch Interessengegensätze und Konkurrenz zwischen den Ministerien, durch Ad-hoc-Entscheidungen und mangelnde Koordination geprägt ist. Gerade in kritischen Phasen von Verfalls- oder Reformprozessen sind aber Antworten wichtiger Regierungen gefordert. Neben erhöhter Kohärenz auf nationaler Ebene ist die gemeinsame Strategieentwicklung unter den Gebern von zentraler Bedeutung. Stärker als bislang sollte eine kohärente Geberpolitik auf ein kontinuierliches Engagement achten, das keinen starken Schwankungen unterliegt. Allzu häufig wurden Entwicklungsländer in der Vergangenheit entweder von Hilfe überschwemmt oder aber ignoriert und quasi als "Waisenkinder" behandelt. Um insbesondere Letzterem entgegenzuwirken, sollten Krisenländer nie ohne Ansprechpartner auf internationaler Ebene bleiben. Einzelne Geberländer könnten hier eine besondere Zuständigkeit übernehmen. Schließlich muss die internationale Staatengemeinschaft effektiver reagieren, wenn sich fragile Staaten in kritischen Situationen befinden. In solchen Phasen können nennenswerte Fortschritte gemacht, aber auch gefährliche Abwärtsspiralen in Gang gesetzt werden. Letzteres ist insbesondere dann der Fall, wenn politische Eliten sich Umsturzversuchen aus Nachbarstaaten ausgesetzt sehen oder breite Bevölkerungsschichten durch wirtschaftliche Einbrüche in Existenzängste gestürzt und für Feindbildideologien anfällig werden. Internationale Akteure können in derartigen Situationen bei einer sorgfältigen Abstimmung ihrer Politiken konstruktiv Einfluss nehmen. So sollten sie subregionale Organisationen in Krisengebieten dazu drängen, Vereinbarungen zur Verhinderung wechselseitiger Destabilisierung abzuschließen und im Zweifelsfall auch umzusetzen. Darüber hinaus müssen wichtige Geberstaaten auf eine Reform der internationalen Finanzinstitutionen hinwirken, damit diese ihre Reformpolitik in fragilen Staaten an Konfliktanalysen binden und auf negative Rückwirkungen hin analysieren. Der Beitrag stützt sich auf ein Hintergrundpapier, das der Autor im Rahmen eines Studien- und Beratungsvorhabens für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) verfasst hat. Die Einschätzungen in diesem Artikel geben ausschließlich die Meinung des Autors wieder. Die Weltbank legt dem internen Instrument der CPIA vier Dimensionen zugrunde: ökonomisches Management, Strukturpolitik, Politik der sozialen Inklusion/Exklusion, Management des öffentlichen Sektors. World Bank, 2003 Country Policy And Institutional Assessment (CPIA): worldbank.org/IDA/Resources/Quintiles 2003CPIA.pdf (15. 9. 2004). Vgl. Department for International Development (DFID), Why We Need to Work More Effectively in Fragile States, London 2005, S. 7, 28f. Die Liste umfasst folgende Staaten: Afghanistan, Angola, Aserbaidschan, Äthiopien, Myanmar, Burundi, Elfenbeinküste, Djibouti, Dominica, Eritrea, Gambia, Georgien, Guinea, Guinea-Bissau, Guyana, Haiti, Indonesien, Jemen, Kambodscha, Kamerun, Kenia, Komoren, DR Kongo, Kongo-Brazzaville, Kiribati, Laos, Liberia, Mali, Nepal, Niger, Nigeria, Papua-Neuguinea, Sa o Tomé & Principe, Sierra Leone, Solomon Islands, Somalia, Sudan, Tadschikistan, Timor Leste, Togo, Tonga, Tschad, Usbekistan, Vanuatu, Zentralafrikanische Republik und Zimbabwe. Vgl. DFID (Anm. 2), S. 9, Table 1. Vgl. World Bank, World Bank Group Work in Low-income Countries under Stress: A Task Force Report. Washington 2002: http://www1.worldbank.org/operations/licus/documents/licus.pdf. Vgl. OECD/DAC, Senior Level Forum on Development Effectiveness in Fragile States. Harmonisation and Alignment in Fragile States. Draft Report by Overseas Development Institute (ODI), United Kingdom, for a Meeting in London, 13 - 14 January 2005, Ziff. 6. Vgl. dies., Poor Performers: Basic Approaches for Supporting Development in Difficult Partnerships, Paris 2001, Ziff. 21, 22: http://www.oecd.org/dataoecd/26/56/21684456.pdf. Vgl. Tobias Debiel/Ulf Terlinden, Promoting Good Governance in Post-Conflict Societies, Discussion Paper, Deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ), Eschborn 2005. Vgl. Larry Diamond, Promoting Democracy in the 1990s: Actors, Instruments, Issues and Imperatives. Report to the Carnegie Commission on Preventing Deadly Violence, New York 1995. Vgl. State Failure Task Force, State Failure Task Force Report. Phase III Findings. Prepared by Ted Robert Gurr u.a., Center for International Development and Conflict Management at the University of Maryland, College Park, Md.: http://www. cidcm.umd.edu/inscr/stfail/SFTF%20Phase%20III %20Report%20Final.pdf. Vgl. Petra Bendel/Michael Krennerich, Staat und Rechtsstaat in jungen Demokratien - eine Problemskizze, in: Petra Bendel/Aurel Croissant/Friedbert W. Rüb (Hrsg.), Demokratie und Staatlichkeit. Systemwechsel zwischen Staatsreform und Staatskollaps, Opladen 2003, S. 17. Vgl. Sabine Kurtenbach/Peter Lock (Hrsg.), Kriege als (Über-)Lebenswelten. Schattenglobalisierung, Kriegsökonomien und Inseln der Zivilität, Bonn 2004.
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Mohr (mißt ihn mit großen Augen). Höret, Graf von Lavagna! Genua muß groß von Euch denken. Man kann's nicht verdauen, daß ein Cavalier vom ersten Hause--voll Talenten und Kopf--in vollem Feuer und Einfluß--Herr von vier Millionen Pfund--Fürstenblut in den Adern--ein Cavalier wie Fiesco, dem auf den ersten Wink alle Herzen zufliegen würden-Fiesco (wendet sich mit Verachtung ab). Von einem Schurken das anzuhören-Mohr. Daß Genuas großer Mann Genuas großen Fall verschlafe. Viele bedauern, sehr Viele verspotten, die Meisten verdammen Euch. Alle beklagen den Staat, der Euch verlor. Ein Jesuit wollte gerochen haben, daß ein Fuchs im Schlafrock stecke.
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Ernst. Gott will dich versuchen! Hab wohl acht, daß du vor ihm bestehst! Er hat noch nie auf zwei Menschen herabgeschaut, wie jetzt auf dich und mich! (Er tritt Albrecht näher.) Mein Sohn, du hast dich mit meinem ärgsten Feind verbunden, mit deinem falschen Ohm, der dir zwar gern die Brandfackel vorantrug, als es galt, mein unschuldiges Land zu verheeren, der dir aber nicht das Schwert aus der Hand gerissen haben würde, wenn du es gegen dich selbst gezückt hättest! Kehre zu mir zurück, es ist besser. Ich mußte tun, was ich tat, du wirst es selbst dereinst begreifen, und wär's erst in deiner letzten Stunde, aber ich kann auch mit dir weinen, denn ich fasse deinen Schmerz!
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So standen die Dinge, als meine Mutter plötzlich starb. Ich war dreizehn Jahre alt, und mitten in der Entwicklung begriffen. Daß mir die Brüste so rasch wuchsen, daß mein kleiner Polster zwischen meinen Füßen mit Locken sich bedeckte, schreibe ich heute doch wohl dem vielen Geschlechtsverkehr zu, den ich so frühzeitig gepflogen, den heftigen Reizungen, denen mein Körper ausgesetzt war. Ich hatte die ganze Zeit, bis zum Tode meiner Mutter, fortwährend gevögelt, und wenn ich es überschlage, vielleicht mit zwei Dutzend Männern Unzucht getrieben.
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Pökelrippchen mit 2 l kaltem Wasser in einem großen Topf aufkochen, abschäumen und bei mittlerer Hitze 60 Minuten kochen lassen.In der Zwischenzeit Graupen mit kaltem Wasser in einem anderen Topf ansetzen, aufkochen, auf ein Sieb geben und mit kaltem Wasser abbrausen. Zu den Pökelrippchen geben und mitkochen lassen.Kartoffeln, Sellerie, Petersilienwurzel, Lauch, Möhren, Zwiebeln putzen, waschen und in kleine Würfel schneiden. Alles, außer Lauch, 20 Minuten vor Ende der Garzeit in die Suppe geben. Lauch 5 Minuten vor Ende, sonst zerkocht er. Petersilie waschen, trocken tupfen und fein hacken. Pökelfleisch aus der Suppe nehmen, Knochen auslösen, Fleisch klein schneiden und mit der Petersilie wieder in die Suppe geben. Mit Salz und Pfeffer abschmecken.
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Lisette. Wenigstens schien er Sie sehr wohl zu kennen. "Ein guter Prediger", fiel er der dicken Rechtsgelehrsamkeit ins Wort, "sollte Herr Damis gewiß auch werden. Eine schöne Statur; eine starke deutliche Stimme; ein gutes Gedächtnis; ein feiner Vortrag; eine anständige Dreistigkeit; ein reifer Verstand, der über seine Meinungen türkenmäßig zu halten weiß: alle diese Eigenschaften glaube ich, in einem ziemlich hohen Grade, bei ihm bemerkt zu haben. Nur um einen Punkt ist mir bange. Ich fürchte, ich fürchte, er ist auch ein wenig von der Freigeisterei angesteckt."--"Ei, was Freigeisterei?" schrie der schon halb trunkene Medikus. "Die Freigeister sind brave Leute! Wird er deswegen keinen Kranken kurieren können? Wenn es nach mir geht, so muß er ein Medikus werden. Griechisch kann er, und Griechisch ist die halbe Medizin. (Indem sie allmählich wieder lauter spricht.) Freilich das Herz, das dazu gehört, kann sich niemand geben. Doch das kömmt von sich selbst, wenn man erst eine Weile praktiziert hat."--"Nu", fiel ihm ein alter Kaufmann in die Rede, "so muß es mit den Herrn Medizinern wohl sein wie mit den Scharfrichtern. Wenn die zum ersten Male köpfen, so zittern und beben sie; je öfter sie aber den Versuch wiederholen, desto frischer geht es."--Und auf diesen Einfall ward eine ganze Viertelstunde gelacht; in einem fort, in einem fort; sogar das Trinken ward darüber vergessen.
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